Drachenwut (Enchanted 3) - Jess A. Loup - E-Book
SONDERANGEBOT

Drachenwut (Enchanted 3) E-Book

Jess A. Loup

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das atemberaubende Finale der magisch-romantischen High-Fantasy-Trilogie **Finde den letzten Schlüssel und banne die Drachenmacht** Vor vielen Jahrzehnten zog sich der Drachenwandler Heliarkos in einen todesähnlichen Schlaf zurück, in der Hoffnung, Menschen und Elfen vor seiner zerstörerischen Kraft zu bewahren. Doch nun, da die drei gehüteten Schlüssel zu seinem Verlies trickreich gestohlen wurden, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich seinem eigenen Fluch zu stellen. Ihm auf der Spur sind nicht mehr nur der Elfenprinz Tyric und die Junghexe Faye sowie die Elfenkrieger Sullivan und Audra, sondern auch der Sohn des Mannes, der den gesamten Krieg heraufbeschworen hat. Aber Rupard ist ganz anders als sein machtbesessener Vater. Er will die drei Schlüssel zum Verlies des Drachen für den Frieden einsetzen. Dabei merkt er zu spät, dass ihm ein entscheidender Schlüssel fehlt… Jess A. Loup erschafft mit ihrer zauberhaften Trilogie »Enchanted« eine Welt, der man sich von der ersten Seite an nicht entziehen kann, und erweckt darin eine der schönsten Liebesgeschichten der Fantasy zum Leben. //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.//  //Alle Bände der magischen »Enchanted«-Trilogie:    -- Enchanted 1: Elfenspiel    -- Enchanted 2: Prinzenfluch   -- Enchanted 3: Drachenwut//  Die »Enchanted«-Trilogie ist abgeschlossen.    //Alle Bände der zauberhaften Spin-off- Trilogie »Mysterious«:  -- Mysterious 1: Zwergenerbe  -- Mysterious 2: Druidenkraft   -- Mysterious 3: Hexensturm//   Die »Mysterious«-Reihe ist abgeschlossen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Jess A. Loup

Drachenwut (Enchanted 3)

**Finde den letzten Schlüssel und banne die Drachenmacht** Vor vielen Jahrzehnten zog sich der Drachenwandler Heliarkos in einen todesähnlichen Schlaf zurück, in der Hoffnung, Menschen und Elfen vor seiner zerstörerischen Kraft zu bewahren. Doch nun, da die drei gehüteten Schlüssel zu seinem Verlies trickreich gestohlen wurden, bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich seinem eigenen Fluch zu stellen. Ihm auf der Spur sind nicht mehr nur der Elfenprinz Tyric und die Junghexe Faye sowie die Elfenkrieger Sullivan und Audra, sondern auch der Sohn des Mannes, der den gesamten Krieg heraufbeschworen hat. Aber Rupard ist ganz anders als sein machtbesessener Vater. Er will die drei Schlüssel zum Verlies des Drachen für den Frieden einsetzen. Dabei merkt er zu spät, dass ihm ein entscheidender Schlüssel fehlt …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

Das könnte dir auch gefallen

© privat

Jess A. Loup versteht Deutsch, obwohl sie in Bayern lebt. Wenn sie nicht im Kopf mit imaginären Leuten spricht (oder über sie schreibt), ist sie auf dem Bogenparcours zu finden, lässt sich von ihren Katzen terrorisieren oder fotografiert wilde Tiere in Afrika. Solange der Brief aus Hogwarts verschollen bleibt, erschafft sie ihre eigenen magischen Welten.

All jenen gewidmet, die wie ich den Glauben an Magie niemals aufgeben.

Prolog

Im Traum kehrte er immer wieder an diesen Ort zurück und trotz allem, was er bereits getan hatte, erschauderte er. Schlafend und doch hellwach entging ihm nichts. Die Schwärze um ihn herum hüllte alles ein, nur ein winziger Lichtpunkt zeigte sich weit vor ihm. Scharfe Nadeln stachen in seine Haut, trieben ihn vorwärts. Er widersetzte sich nicht, schleppte sich voran, spürte Feuchtigkeit über seine Haut rinnen. Er näherte sich der Quelle der Helligkeit vor ihm und schrie auf, als er erkannte, was sich vor seinen geblendeten Augen abzeichnete.

Eine Frau.

Oder nein: die Leiche einer Frau.

Ihr Gesicht wirkte wie Pergament, zerknittert, eingefallen, gelblich. Sie war nackt und ihr Körper war von so vielen Wunden übersät, dass sie verblutet sein musste, auch wenn er keinen einzigen Tropfen ihres Lebenssaftes erspähen konnte. Sie wirkte wie ausgesaugt, und er wusste instinktiv, dass die Finsternis ihr Blut genommen hatte. In seinem Hals schien etwas anzuschwellen, ihm die Luft zu nehmen, und das Brennen, das unter seiner Brust aufflackerte, war ihm fremd. Er hatte diese Frau so nah an sich herangelassen, wie es ihm möglich gewesen war, und jetzt …

»Weißt du, warum sie sterben musste?« Die Worte waren laut, leise, grob, sanft, kamen von vorn, von hinten, kreiselten um ihn herum, befanden sich in seinem Inneren.

»Ja«, krächzte er.

»SAG ES!«, donnerte die körperlose Stimme.

»Sie hat ihren Schwur gebrochen.«

»Der nur aus einer einzigen Bedingung besteht im Austausch für unermessliche Macht. Die da lautet?«

»Füttere die Macht.«

»Genau. Ist das zu viel verlangt?«

»Nein. Aber sie …«

»Was? Hast du etwa Skrupel? Mitleid?«

»Ihre Tochter. Nur wegen ihrer Tochter!«

»Die auch die deine ist. Wirst du ihrem Beispiel folgen? Wegen so lächerlich unbedeutenden Gefühlen wie … Liebe?«

Ein Schauder fuhr durch seinen Körper. Er konnte die Gefahr schmecken, wusste, dass er kurz davorstand, dasselbe Schicksal zu erleiden. »Nein, nein. Auf keinen Fall, ich schwöre es! Es gibt Wichtigeres, Größeres! Ich habe Pläne, Ziele, ich werde nicht nachlässig sein und meinen Schwur brechen.«

»Nicht einmal für deine Tochter?«

Etwas wallte in ihm auf, Entschlossenheit, Kälte, Gewissheit. »Im Gegenteil. Ich lehre meine Tochter, der einzig wahren Macht zu dienen. Der dunklen Kraft, die uns befähigt, alles zu tun, alles zu erreichen, nach Höherem zu greifen und es zu erhalten.«

Stille. Sosehr er auch lauschte, er vernahm keinen Ton, nicht einmal seine eigenen Atemzüge. Entsetzt starrte er an sich herunter, hob die Hände, bewegte sie. War er schon tot? Das konnte nicht das Ende sein!

Plötzlich befand er sich in einem Orkan, wurde hin und her gewirbelt, doch seine Angst verflog. Er wusste, was passierte, hatte viele Male diesen Weg benutzt und würde es auch künftig tun. Die Schwärze vertraute ihm weiterhin, verließ sich auf ihn, erkannte ihn als einen Teil von sich selbst. Schmieriger dunkler Rauch kräuselte sich vor seinem Gesicht, drang in seinen Mund ein, bahnte sich einen heißen glühenden Pfad in seinen Körper, doch trotz der Qualen, die ihn durchzuckten, spürte er, dass er stärker wurde, noch mächtiger. Die Dunkelheit beschenkte ihn, gab ihm all das, was sich seine Frau im Laufe der Jahre angeeignet und jetzt für etwas weggeworfen hatte, das nur eine Illusion war: Liebe. Was für eine Verschwendung, aber wie sehr es ihm zum Nutzen gereichen würde! Während seiner Transformation, welche die Kraft in seinem Inneren noch mehr wachsen ließ, veränderte er sich auch äußerlich. Seine Finger wurden länger, zeigten Krallen, und er streckte und beugte sie, testete ihre Flexibilität und die eiserne Härte ihrer Spitzen. Sie konnten ihn verraten, aber dann musste er sie eben verbergen. Wie alles, was er bis jetzt von der Schwärze erhalten hatte, war das ein Geschenk, und er würde es nutzbringend einsetzen. Die Wunden an seinem Körper schlossen sich, Schmerzen verschwanden, als hätten sie nie existiert. Die Dunkelheit beschenkte ihn, der er immer treu blieb, bis zum letzten Atemzug, sich nicht von Gefühlen und lächerlichen Empfindungen beeinflussen ließ. Der Sturm spuckte ihn aus und für einen Moment konnte er nichts sehen. Dann schlug er die Augen auf und atmete befriedigt durch.

Die Schatten waren hungrig und verlangten nach Blut, und Aodhan würde es ihnen geben.

Rupard

Das Pferd war nicht gerade heißblütig, und er war dankbar dafür. Es trottete mit solcher Gelassenheit, ja geradezu Langeweile aus dem Tor hinaus, dass ihm keiner der Wächter einen zweiten Blick schenkte. Zumal Rupard ohnehin die Kleidung der Jünger der Reinheit trug und den Kopf gesenkt ließ. So würde er es auch weiterhin halten, zumindest bis er außer Sichtweite der Stadt war. Dann würde er dem Wallach die Sporen geben und so schnell wie möglich versuchen, Antochtnar zu erreichen. Er musste Faye von Melliar finden – und vor allem sie davon überzeugen, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte. Während er der Straße folgte, die parallel zu den Stadtmauern nach Nordwesten führte, dachte er an Sullivan und Audra. Der Drang, umzudrehen und ihnen zu Hilfe zu eilen, wurde fast übermächtig. Er biss die Zähne zusammen und trieb das Pferd stur geradeaus. Wenn er jetzt nachgab, war die Opferbereitschaft der Sidhe umsonst gewesen. Die Gefahr, dass der verräterische Kanzler ihn abfangen und vor seinem Vater als wahnhaft krank darstellen würde, war hoch. Immerhin besaß Rupard zwei der drei Schlüssel zu dem geheimen Verlies, in dem sich … Heliarkos befand. Der Name und das Bild eines groß gewachsenen, muskulösen Mannes schoben sich in seine Gedanken. Ungewollt. Unbeabsichtigt. Heliarkos war der Name des Fyldraks, des Drachenwandlers, den sein Vater und dessen Komplizen gefangen genommen und eingesperrt hatten. Die Zweifel drohten ihn erneut zu überschwemmen. Was, wenn sich alles als ein riesiger Irrtum herausstellte? Wenn sich die Hexe hatte täuschen lassen und ebenso die Sidhe? Und er selbst? Konnte er noch auf seinen eigenen Verstand bauen, so oft, wie er in letzter Zeit verletzt, auf den Kopf geschlagen und unter Drogen gesetzt worden war?

Nur eines wusste er mit Sicherheit: Er wollte weder Sirus noch Danian dabei unterstützen oder auch nur dabei zusehen, wie sie die gefährlichste Kreatur der Welt dazu zwangen, Krieg und Tod über freie Städte und Länder zu bringen.

Als sein Reittier schnaubte, wurde er sich bewusst, wie sehr er es vernachlässigt hatte, auf seine Umgebung zu achten. Jeder hätte ihn überfallen können. Es war zwar allgemein bekannt, dass die Jünger der Reinheit keinen weltlichen Besitz bei sich zu tragen pflegten, doch es gab genügend verzweifelte Menschen, die andere für einen Kanten Brot angriffen und auch vor Mord nicht zurückschreckten.

Eine Staubwolke in einer halben Meile Entfernung erregte seine Aufmerksamkeit. Es handelte sich wohl um einige Fuhrwerke, und wenn er Glück hatte, konnte er sich ihnen anschließen. Er drängte das Pferd zu einer schnelleren Gangart und erreichte die Wagen, von denen er fünf zählte. Die meisten waren mit einer Plane bedeckt, doch das Klappern und Klirren verriet ihm, dass sich in ihrem Inneren wohl Töpferwaren befanden. Wie es aussah, traf er auf eine Gruppe Händler, die sich zusammengeschlossen hatten, um gemeinsam den Heimweg von Kopays aus anzutreten.

Rupard ließ seine Hand über dem Herzen ruhen, als er zu dem vordersten Fuhrwerk aufschloss. Ehrerbietig neigte er den Kopf.

»Seid gegrüßt, edler Herr«, murmelte er.

Das Gesicht des älteren Mannes auf dem Kutschbock war zerfurcht und wettergegerbt. Aufmerksame Augen musterten ihn ein paar Herzschläge lang, bevor er nickte. »Bin kein edler Herr, aber sei auch du gegrüßt, Jünger.«

»Mit Verlaub«, hob Rupard an. »Würdet Ihr es mir erlauben, eine Zeit lang mit Euch zu reisen? Ich habe meine Gruppe der Reinheit verloren, weil ich eine Weile krank war, und es ist doch bedeutend sicherer, zu mehreren zu reisen.«

Gleichmütig zuckte der Mann mit den Schultern. »Kann’s schlecht verbieten, oder? Ist schließlich eine fürstliche Straße, die allen zugänglich ist. Wenn du allerdings glaubst, Gold oder Silber oder auch nur Essen schnorren zu können, bist du bei mir falsch.«

»Es käme mir nicht in den Sinn«, wollte Rupard abwehren, doch er verstummte, als aus dem hinteren Teil des Wagens eine junge Frau erschien und auf den Bock stieg.

»Mit wem redest du, Gilmer?« Sie zwitscherte wie ein Vögelchen, und Rupards Lippen verzogen sich unwillkürlich zu einem Lächeln. In diesem Moment fiel ihr Blick auf ihn. »Oh! Ein Jünger! Ich grüße Euch von Herzen! Ich hoffe, der alte Brummbär hier hat Euch nicht abgeschreckt? Wo kommt Ihr her? Wohin geht Eure Reise? Wollt Ihr nicht einen Teil des Weges unser Begleiter sein? Ich sehne mich seit Längerem nach reinem Beistand, Ihr kämt also wie gerufen!«

»Jetzt halt doch mal einen Moment lang die Luft an«, knurrte der Mann namens Gilmer. »Der Jünger muss sich fühlen wie in einem Sturm, wenn du so viel Wind beim Plappern verursachst!«

Rupard verbeugte sich, soweit das vom Sattel aus möglich war. »Durchaus nicht«, versicherte er sanft. »Höchstens wie im Auge eines Sturms, also an dem sichersten Ort, der während eines solchen Ereignisses möglich wäre.«

»Oh!« Sie errötete auf entzückende Weise. »Verzeiht mir meinen Redeschwall! Es stimmt, was Gilmer sagt, ich neige wirklich dazu, zu viel zu reden, wenn ich aufgeregt bin, und ich bin schon seit Tagen aufgeregt, denn wir waren zum ersten Mal in Kopays …«

»Sprich nur für dich, Weib!«

»Wie ich sagen wollte, bevor mich der Brummbär hier unterbrach – wir waren zum ersten Mal zusammen in Kopays, und das war sehr aufregend, denn ich bin nie zuvor so weit gereist. Ihr müsst wissen, wir kommen aus dem Herzogtum Nurtoni, und selbst dort wohnen wir so weit im Westen, dass unser Heimatort schon fast an Ritonas grenzt.«

Rupards Gedanken überschlugen sich. In seiner Ausbildung hatte man immer sehr viel Wert daraufgelegt, dass er sich der Grenzen von Kopays und seiner ihm untergegebenen Herzogtümer bewusst war. Er musste sich schon sehr täuschen, wenn Ritonas nicht das letzte Herzogtum vor der freien Stadt Antochtnar war. Auch die Knochenschlucht befand sich in Ritonas. Zwar hatte er keinesfalls das Bedürfnis, sein Erlebnis mit den Untoten zu wiederholen, doch wenn er sich so lange den fahrenden Händlern anschließen durfte, wäre das nicht nur ein ausgezeichneter Schutz vor umherschweifenden Räubern, sondern auch eine sehr gute Tarnung. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet Leute aus einem so entfernten Herzogtum sein Gesicht und damit seine wahre Identität kannten, war mehr als gering.

Er setzte sein harmlosestes Lächeln auf. »Ich bat bereits Euren Vater darum, Euch begleiten zu dürfen …«

Ihr lautes Lachen unterbrach ihn. »Meinen Vater? Meint Ihr Gilmer? Das ist mein Ehemann, und auch wenn er äußerlich immer brummt und knurrt, so ist er doch tief in seinem Inneren der beste und liebevollste Gatte, den man sich wünschen kann!«

Der »beste und liebevollste Gatte« brummte und knurrte etwas Unverständliches in seinen Bart, doch Rupard entging nicht, dass seine Ohren rot anliefen.

»Ich bitte um Verzeihung«, wandte er sich an den Mann, den er auf Anfang vierzig und somit gut doppelt so alt wie seine junge Frau schätzte. »Um nichts in der Welt wollte ich Euch beleidigen.«

Gilmer grinste schief. »Kein Grund, Jünger. Kann’s ja selbst kaum glauben, dass die kleine Lady hier mich erhört hat.« Er warf einen scheuen Blick zu der jungen Frau hinüber, die ihn genauso scheu erwiderte. Ganz offensichtlich waren sie noch nicht sehr lange verheiratet, und ihre Zuneigung zueinander war tief und ungebrochen. Für einen winzigen Moment beneidete Rupard die beiden.

»Wie auch immer.« Sie schien sich wieder daran zu erinnern, dass er neben ihrem Fuhrwerk ritt. »Seid willkommen in unserer kleinen Gruppe. Bestimmt werden auch die anderen nichts dagegen haben, Euch bei uns zu wissen.« Sie deutete mit dem Daumen nach hinten, dorthin, wo die anderen Fahrzeuge hinter ihnen her rumpelten.

Rupard tastete in den Taschen seines Umhangs herum in der Hoffnung, wenigstens auf ein paar Münzen zu stoßen, doch sie waren leer. Natürlich besaß er noch die in seine Ärmel eingenähten Wechselscheine, doch die konnte er wohl kaum hervorholen und behaupten, er sei ein Jünger der Reinheit.

Die junge Frau hatte ihn beobachtet. »Ich weiß, dass Ihr kein Gold oder Silber mit Euch tragt«, sagte sie. »Doch ich weiß auch, dass Ihr uns so viel mehr als weltliche Güter zu geben in der Lage seid, nicht wahr?«

»Ja?«, stammelte Rupard. Wovon redete sie nur?

»Ihr werdet doch jeden Abend mit uns beten?«, fragte sie.

»Beten.« Ein paar Herzschläge lang war sein Kopf völlig leer, dann hörte er das Echo eines warmen Gelächters in seinem Geist. »Oh … das. Natürlich. Ich werde mit Euch beten, edle Lady!« Dieses Lachen stammte nicht von ihm. Es war ganz sicher der Fyldrak, der schon wieder versuchte, seine Gedanken zu verwirren. Das musste aufhören! Wenn er ihm endlich begegnete, würde er ihm klarmachen, dass er sich nicht einfach so ständig bei ihm einnisten konnte, nein, durfte!

»Ich bin keine edle Lady. Mein Name ist Sandora, und ich bin froh, dass Ihr zu uns gestoßen seid. In Hoharim, unserer Heimatstadt, gehen wir regelmäßig in die Kirche der Vier Heiligen, und die waren uns auch immer gewogen, aber in Kopays …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube fast, sie kennen die Vier Heiligen nicht einmal. Stattdessen beten sie zu einer Vielzahl von Göttern! Was sagt denn Eure Göttin dazu, Jünger?«

Rupard versuchte wirklich, darauf eine Antwort zu finden, doch er hatte nicht einmal eine rechte Vorstellung davon, was genau die Jünger der Reinheit anbeteten, geschweige denn was ihre Göttin zu all den anderen Religionen meinte. Er besann sich seiner größten Stärke, der Diplomatie, und senkte die Stimme, um sie warm und eindringlich klingen zu lassen. »Wisst Ihr, Sandora: Die Göttin ist der Meinung, man müsse ein reines Herz besitzen. Sich Unschuld bewahren. Alles mit den Augen eines Kindes betrachten, wieder über schlichte Dinge staunen können und Schönheit in der Einfachheit der Natur erkennen. Dafür muss man nur seinen Geist öffnen und der Welt zuhören.«

Oha! Woher kamen denn all diese Worte? Rupard hatte eine Ahnung, als erneutes Lachen seinen Kopf mit Wärme und Freude erfüllte. Er war nicht allein, und auch wenn er nur kurze Zeit vorher gedacht hatte, dass diese fremden Gedanken, die nicht die seinen waren, verschwinden mussten, war er doch jetzt froh darüber.

Sandora betrachtete ihn mit glühenden Wangen und presste die Hände aneinander. »Das habt Ihr schön gesagt.« Dankend neigte Rupard den Kopf.

Den ganzen Tag lang blieben sie auf der Straße und machten nur gegen Mittag eine kurze Pause. Gilmer erklärte ihm, dass jetzt, da die heiße Jahreszeit dem Herbst wich, Eile angesagt war, denn dort, wo sie herkamen, konnte es auch schon frühzeitig den ersten Wintereinbruch geben. Er spuckte kurz über seine Schulter, als er das sagte, um zu verhindern, dass seine Worte die Heiligen dazu brachten, ebenjenes Ereignis eintreten zu lassen, und Rupard wurde bewusst, dass Gilmer genauso gläubig war wie seine Frau. Am Abend, als sie ihr Lager aufschlugen, lernte er auch die anderen fahrenden Händler kennen. Sie waren insgesamt dreizehn – eine Unglückszahl, wie ihm Sandora flüsternd verkündete – und daher sehr glücklich, dass er sich ihnen angeschlossen hatte. Rupard, der sich bis jetzt für wirklich tolerant gehalten hatte, was Aberglauben und dergleichen Volksmärchen anging, ertappte sich mehrmals dabei, ein Augenrollen zu unterdrücken.

Heliarkos

Dieses Mal flog sein Geist nicht aus freien Stücken. Jemand zog ihn, zerrte an ihm, fast wie in dem Moment, bevor er aus der Steinstarre erwacht war. Hel hatte gerade noch Zeit, seinem Gedanken-Ich menschliche Gestalt zu verpassen, da krachte er auch schon unsanft gegen eine Mauer. In völliger Dunkelheit. Das war … unangenehm. Natürlich konnte er, wenn er seinen Geist vom Körper löste, nicht verletzt werden, doch solange er sich in diesem Zustand befand, den die Fyldraki Traumzeit nannten, kam ihm alles wirklich und echt vor. Also glaubte er in diesem Augenblick, Schmerzen zu empfinden. Hel knurrte und blieb kauernd sitzen. Bevor er sich wieder auf den Weg zurück machte oder anfing, den Traum zu kontrollieren, würde er abwarten und herausfinden, was hier passierte. Nie zuvor hatte jemand anders seinen Geist gerufen, also war er zumindest milde interessiert. Ein Geräusch ließ ihn die Ohren spitzen.

Jemand hustete und fluchte. »Verdammt! Was ist hier los?«

Ohne sein Zutun musste Hel grinsen. Er kannte diese Stimme. Obwohl sie ihm erst seit Kurzem vertraut war, brachte sie sein Herz und seine Seele zum Singen. Sein Reskis. Er hätte es ahnen müssen.

Mit einem Fingerschnipsen ließ er eine kleine Flamme auf seiner Handfläche erscheinen und hob den Arm, um seine Umgebung auszuleuchten.

Der Mensch namens Rupard rappelte sich hoch und starrte in seine Richtung. »Du!«, sagte er anklagend, streckte sogar den Zeigefinger in seine Richtung, damit ja kein Zweifel blieb, wen er meinte. »Wohin hast du mich dieses Mal wieder gebracht?«, blaffte der Fürstensohn. Hel mochte es, dass der junge Mann überhaupt keine Angst vor ihm zu haben schien.

Federnd kam Hel aus seiner geduckten Haltung hoch und sah sich um. Gleichzeitig entzündete er mit mehreren Gedankenimpulsen die Fackeln, die ringsherum in Haltern steckten. Er war kein Magier, aber in der Traumzeit gab es nur wenige Dinge, die er nicht tun konnte. Sie befanden sich in einem geschmackvoll eingerichteten Turmzimmer, in dem Wandbehänge und Teppiche in unterschiedlichsten Formen und Farben die Kälte des rauen Steines abhielten. Unwillkürlich sah er auf das Bett, das den hinteren Teil des Zimmers dominierte. Ein Blick aus dem kleinen Erkerfenster verriet Hel, dass es Nacht war und sich weit unter ihm das blitzende Band eines kleinen Flüsschens zeigte. Dann verschwand der Halbmond wieder hinter einer Wolke und verbarg den Rest der Landschaft, die Hel jedoch nicht bekannt vorkam. Ruhig wandte er sich um.

»Da ich keine Ahnung habe, wo wir sind, bist dieses Mal wohl du für die Wahl unseres Treffpunktes verantwortlich. Du hast mich gerufen, Reskis.«

Die grauen Augen blitzten zornig auf, und Hel fragte sich, ob Rupard auch so aussah, wenn eine andere Leidenschaft als Wut ihn übermannte. Er konnte nicht erwarten, es herauszufinden. »Mein Name ist Rupard!« Wenn er das Knurren noch ein wenig übte, würde er eines Tages als Fyldrak durchgehen.

Hel nickte. »Dein Name ist Rupard, und du bist mein Reskis. Der verlorene Teil meiner Seele. Spürst du es nicht auch?«

Die Fäuste des jungen Mannes ballten sich, doch er atmete tief durch. Man musste ihm zugutehalten, dass er seine Beherrschung schnell wiederfand. »Ich weiß nicht, was es bedeutet. Ich bin ein Mensch, du bist ein Drachenwandler. Wie kann ich ein Teil deiner Seele sein? Wieso kannst du in meinen Gedanken lauern und meine Sinne verwirren? Warum kann ich dich … rufen?«

Seine Sinne verwirren? Hel runzelte die Stirn. Er konnte in der Traumzeit Kontakt mit seinem Reskis aufnehmen, weil das die Art war, wie Seelenmagie funktionierte. Wenn er einen starken magischen Gegenpart fand – wie die junge Hexe Faye beispielsweise –, vermochte er es auch, mit ihren Gedanken Verbindung aufzunehmen. Aber er konnte – und vor allem wollte – keine Sinne verwirren. Was meinte Rupard damit?

»Ich kann niemanden verwirren … Rupard«, sagte er sanft und näherte sich ihm langsam, hielt Abstand, auch wenn alles in ihm danach schrie, ihn zu berühren. Rupard musste doch ähnlich empfinden? Oder unterschieden sich Menschen und Fyldraki so sehr voneinander, dass er völlig unberührt blieb? Wie grausam wäre das Schicksal, wenn es so etwas zuließe?

Rupards Finger zitterten, als er sich über das Gesicht strich. Er wich zurück und ließ sich auf der Bettkante nieder. Hel begriff augenblicklich, dass der junge Mann einfach nur überfordert war. Innerlich seufzend zog er den schweren Stuhl aus der Ecke am Fenster und schob ihn so nahe an Rupard heran, wie er es wagte. Nahe genug, um seinen Duft nach Tannennadeln und Waldboden einatmen zu können, ohne offensichtlich zu schnüffeln, aber noch weit genug entfernt, damit sich ihre Knie nicht berührten. »Ich schätze mal, ich kann hier wieder nicht fort, bevor du es erlaubst?«, fragte Rupard leise.

Die warme Stimme des Jungen ging Hel durch und durch. Wusste sein Reskis überhaupt, was er allein mit wenigen Worten anrichtete? Dezent rutschte er auf dem Stuhl hin und her und zog den schweren Reiseumhang, den er in seiner menschlichen Gestalt immer trug, um sich, um zu verbergen, dass sich zwischen seinen Beinen mehr regte, als er zulassen wollte.

»Sieh dich um«, erwiderte er und dämpfte das Grollen der Erregung, indem er seine Lautstärke derjenigen Rupards anpasste. »Wenn mich nicht alles täuscht, befinden wir uns in den Gemächern deines Schlosses. Ich habe dich heute nicht gerufen, das warst du. Als ich es das letzte Mal versuchte, waren …« Er brach ab. In der Tat schienen die Sinne Rupards verwirrt gewesen zu sein, als er vor Kurzem nach ihm gesucht hatte. »Warst du krank? Dein Geist war unlesbar und hat nicht auf mich reagiert.« Besorgt versuchte er im Gesicht seines Gegenübers zu lesen, was schwer war, da Rupard es noch immer in seinen Händen verbarg. Tief atmete er ein und aus, bevor er die Arme sinken ließ und ihn ansah.

»In den letzten Wochen ist so viel passiert, dass ich kaum noch weiß, wo oben und unten ist und ob ich nicht dem Wahnsinn anheimgefallen bin. Ich musste erkennen, dass mein eigener Vater Geheimnisse vor mir verbirgt, die unser ganzes Reich in den Abgrund stürzen können, dass er und sein Kanzler Komplotte schmiedeten, um uns anvertraute Geiseln umzubringen, dass er ein Wesen in seiner Gefangenschaft hält … dich! Legenden berichten, dass Fyldraki, die man in fremde Dienste gezwungen hat, viele Menschenleben auf dem Gewissen haben. Und du kannst dich in meine Gedanken schleichen und mich irgendwohin bringen, ob mit oder ohne meine Zustimmung! Als wäre das nicht genug, musste ich erfahren, dass der Kanzler kein Problem damit hat, mich umzubringen. Ich wurde von untoten Skeletten angegriffen, ein Söldner versuchte, mir den Schädel einzuschlagen, und wunderschöne, gefährliche Sidhe-Kriegerinnen haben mich unter Drogen gesetzt, bevor ich mit einer Flugmaschine aus meinem eigenen Schloss geflohen bin. Und jetzt bin ich anscheinend wieder zurück – mit dir!«

Hel hätte sich die letzten zwei Worte leidenschaftlich, nicht so abwertend gewünscht, doch Rupard hatte recht. Er hatte in letzter Zeit wirklich viel durchgemacht, und falls es stimmte, dass man ihn mit Drogen betäubt hatte, war es kein Wunder, dass er letztens bei der Geistverbindung nicht geantwortet hatte. Hel bedauerte das, doch jetzt war nicht die richtige Zeit dafür – sie mussten einiges klären, und er wusste nicht, wie lange Rupard die Verbindung halten konnte. Dass überhaupt ein Mensch ohne den Hauch von Magie eine Traumzeit mit einem Fyldrak eingehen konnte, fand er zumindest ungewöhnlich, aber dann auch noch selbst zu rufen, davon hatte er noch nie gehört. Er legte die Hände auf seinen Knien ab und beugte sich nach vorn.

»Wir sind hier, weil du instinktiv den sichersten Ort für unser Zusammentreffen gewählt hast, der dir in den Sinn gekommen ist. Vielleicht werde ich es bereuen, das zu sagen, aber du kannst jederzeit unsere Verbindung trennen. Derjenige, der ruft, hat in der Regel die Kontrolle über die Länge der Traumzeit – so nennt man das, worin wir uns befinden. Dir ist bestimmt klar, dass du schläfst und dich nicht wirklich mit deinem Körper von dort wegbewegt hast, wo du dich zuletzt aufhieltst?«

Rupard blinzelte und strich mit den Fingern über die mit Brokat bestickte dunkelgrüne Tagesdecke, auf der er saß. »Es fühlt sich verdammt echt an«, murmelte er. Dann nickte er zögernd. »Aber gut, ich denke, die Vernunft gebietet, dir zuzuhören, denn entweder sagst du die Wahrheit, dann kann ich ohnehin jederzeit gehen, oder du lügst, dann ist es mir unmöglich zu fliehen und ich muss trotzdem ausharren. So oder so kennst du dich mit dieser Sache … Traumzeit … besser aus als ich und ich würde gern mehr darüber erfahren.«

Tief durchatmend fuhr Hel fort. »Du kannst mich alles fragen. Ich werde dich nie wissentlich anlügen, das ist mir auch gar nicht möglich, denn du bist mein Reskis – du würdest spüren, wenn ich nicht die Wahrheit sage. Vielleicht ist es für dich jetzt noch verwirrend, doch je mehr wir uns kennenlernen, desto tiefer werden deine und meine Gefühle zu lesen sein.«

»Ich will das nicht!«, fuhr Rupard auf. Er presste die Lippen zusammen und schlug mit der Faust gegen seinen Brustkorb, dorthin, wo sich sein Herz befand, das Hel selbst aus dieser Entfernung hören konnte. Da war kein gleichmäßiger Rhythmus, da gab es Aufruhr und Verwirrung, aus denen sein Zorn resultierte. Und er log, allerdings auch nicht wissentlich, wie Hel aufatmend zur Kenntnis nahm. Er wusste nicht, dass der Schmerz in seiner Brust Sehnsucht war, nach etwas, nach jemandem … er konnte es nicht benennen, doch er konnte sich auch nicht dagegen wehren. Vielleicht sah Rupard es sogar als Verrat seiner Seele an, sich mit der eines Fyldrak verbunden zu haben, aber Seelenmagie log nicht. Sie suchte und fand nur das, was menschliche und auch Sidhedichter theatralisch wahre Liebe nannten. Hel hatte zu lange ohne diese Sehnsucht auskommen müssen; er erinnerte sich nur noch vage an die letzte Zeit vor der Steinstarre, verschwommen schien es ihm, als sei er nur noch unruhig und aggressiv gewesen. Er hatte schlimme Dinge getan, doch er schob die Erinnerungen schnell fort. Trotzdem wusste er von dem blutroten, heiß schäumenden Zorn und Hass, der dazu geführt hatte, dass er schließlich seinen Geist in den todesähnlichen Schlaf geschickt hatte. Vor wie vielen Jahren, Jahrhunderten, Ären mochte das gewesen sein? Er wusste es nicht, und eigentlich interessierte es ihn nicht. Alles, was er jetzt wollte, war, Rupard von seiner Ehrlichkeit und seinen ehrbaren Absichten zu überzeugen.

»Hör zu«, beschwor er ihn. »Ich entschuldige mich dafür, dass ich es zu forsch angegangen bin; mir war nicht klar, dass du nie zuvor mit Reskisalos, der Seelenmagie, zu tun hattest. Ich weiß nicht, warum das Schicksal uns dazu ausersehen hat, aber ich weiß, dass ich mein ganzes Leben – Feuer und Verdammnis! Viele Leben, vermute ich! – auf dich gewartet hatte. Ich kannte deinen Namen nicht, deine Stimme war mir fremd, aber ich spürte dich aus der Steinstarre heraus, meine Seele sehnte sich nach der deinen, sie sangen zusammen. Du hast nichts gemerkt, dort unten in der Knochenschlucht?«

Rupard lachte bitter auf. »Du meinst, abgesehen davon, dass ich um mein Leben kämpfte und ein unnatürlicher Sturm mich und meinen Gefährten umherwirbelte?« Er schüttelte den Kopf, hielt inne, schüttelte wieder den Kopf. »Moment. Vielleicht. Ich dachte, es sei passiert, weil schwarze Magie uns umnebelte, aber …«

Hel biss die Zähne zusammen, um nicht ungeduldig nachzufragen. Seine Finger gruben sich schmerzhaft in seinen Oberschenkel.

»Es gab einen kurzen Augenblick, da fühlte ich mich sehr leicht, warm und glücklich. Ich dachte, so muss man sich in den Armen von jemandem fühlen, der einen liebt, dachte, es sei eine Erinnerung an meine Mutter, die früh gestorben ist und von der ich fast nichts mehr weiß … dann prallte ich gegen einen Felsen, und ich kann dir versichern, dass jedes warme, leichte, geliebte Gefühl mich schneller verließ, als du Reskis sagen kannst.« Rupard sah ihn zum ersten Mal direkt an. Das kaum wahrnehmbare, spöttische Grinsen, das um seine Mundwinkel spielte, ließ in Hel das Bedürfnis aufkommen, ihn zu küssen. Er grollte, und in Rupards graue Sturmaugen trat ein wachsamer Ausdruck. Bei anderen Menschen hätte es Hel amüsiert, wenn sich ihre Muskeln anspannten und sie vermeintlich unauffällig eine Verteidigungshaltung annahmen. Doch Rupard sollte sich in seiner Gegenwart nicht bedroht fühlen, im Gegenteil. Je gelassener er war, desto eher würde Hel zu seinem Kuss kommen. Hoffte er jedenfalls. Der junge Mann sprach beiläufig, trotz der Gefahr, in der er sich wähnte. »Dir ist klar, dass du auf Menschen vielleicht … aggressiv wirken könntest? Du bist größer als jeder andere, den ich je getroffen habe, du bestehst scheinbar nur aus Muskeln und du bewegst dich wie ein Raubtier – und natürlich weiß ich, dass sich in deinem Inneren auch das gefährlichste Raubtier befindet, das möglicherweise nur darauf wartet, freigelassen zu werden.«

»Du musst niemals Angst vor mir haben!«, knurrte Hel dumpf. Knurren, so dachte er, war möglicherweise keine gute Art, einen anderen von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen. Er kämpfte gegen das Raubtier in sich, das Rupard so gut beschrieben hatte. Es war wirklich unruhig, aber nicht aus Aggressionslust, Wut oder Gier. Der Drache in ihm sehnte sich ebenso nach der Wärme des Reskis’ wie der Mann. Hel zählte langsam innerlich bis zehn. »Fürchte dich nicht«, bat er dann, und ihm war bewusst, wie scharf ihn sein Seelengefährte beobachtete. »Ich weiß, dass es dauern wird, bis du mir glaubst oder gar vertraust, aber ich bitte dich darum, es zu versuchen.«

Rupard neigte den Kopf, es wirkte zustimmend. »Ich habe Sidhe kennen- und schätzen gelernt, als ich unterwegs war. Sie haben mich vor meinen eigenen Leuten gerettet, und obwohl ich es anfangs nicht wollte, standen sie mir plötzlich so nahe wie Freunde.« Er sah zu Boden. »Oder wie ich mir vorstelle, dass sich Freunde anfühlen. Als Sohn eines Fürsten ist es schwer, Nähe zu anderen zu finden – eigentlich jeder erwartete etwas, das ich nicht bereit war zu geben. Doch dann kamen Sullivan und Audra und die verlangten nichts von mir, glaubten nicht, dass mein Lächeln eine höhere Gunst bedeutete, wie so viele weibliche Geiseln. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich, dass nichts in der Lage der Geiseln natürlicher ist, als sich des Wohlwollens dessen zu versichern, der irgendwann über ihr Leben bestimmen könnte, aber …« Er biss die Zähne zusammen und schwieg.

»Aber es ist unmöglich, in einer solchen Umgebung Freundschaft und Liebe zu finden«, beendete Hel seinen Satz.

»Ja«, bekannte Rupard schlicht. »Und jetzt habe ich quasi eine Sidheschwester, einen Sidheschwager, bin auf dem Weg, meinen eigenen Vater zu verraten, und vor mir sitzt ein Fyldrak, der glaubt, dass er und ich zusammengehören.«

Hel musste lachen. Die Mischung aus Verzweiflung, Selbstironie und Verlorenheit, die aus Rupards Worten klang, wirkte unfreiwillig komisch. »Es tut mir leid.« Er hob die Hand, um anzuzeigen, dass er ihn nicht auslachte. »Aber es in so einer geballten Form zu hören, ist wirklich ein bisschen viel. Langsam verstehe ich, wie du dir vorkommst.«

»Du hast ja keine Ahnung«, erwiderte Rupard, doch auch in seinen Augen schimmerte Belustigung auf, und ein schmales Lächeln hob seine Mundwinkel. »Aber zurück zu einer ernsten Sache: Wenn du wirklich mein Seelenpartner bist, erwarte ich von dir Respekt. Ich verlange, dass du nicht tagsüber versuchst, in meine Gedanken einzubrechen. Ich will mich nicht ständig fragen müssen, ob ich verrückt werde oder einen verrückten Drachen in meinem Kopf sitzen habe. Können wir uns darauf einigen?«

Hel zögerte. »Hat es dir heute nicht geholfen, über die Jünger der Reinheit Bescheid zu wissen?«

»Zweifellos. Aber das ist nicht der Punkt. Meine Gedanken gehören mir, und ich kann es nicht ertragen, dass ich dich ständig dort spüre. Lass es.« Jeglicher Humor verschwand aus seinem Gesicht. »Ich meine es ernst, Heliarkos. Wenn du willst, dass ich dir vertraue, musst du mir zeigen, dass ich das auch kann. Wirst du also versprechen, dich in Zukunft außerhalb der Traumzeit nicht in meine Gedanken zu schleichen?«

Hel grinste. »Das kann ich dir nicht versprechen, nein, ich hoffe sogar, dass ich in Zukunft sehr oft in deinen Gedanken sein werde. Aber«, fuhr er schnell fort, bevor der Sturm in Rupards Seele Orkanstärke annehmen konnte, »ich verspreche dir, dass es nicht von mir ausgehen wird. Wenn du in Zukunft an mich denkst, wird es ganz allein dein Wille und dein Geist sein, der sich mit mir beschäftigen will.«

Rupard legte den Kopf schief, als überlege er, ob sich Hel eine Hintertür offenhielt, zuckte dann jedoch mit den Schultern. »Gut.« Anscheinend dachte er nach, denn er verharrte eine Weile unbeweglich. Schließlich stellte er die Frage, auf die Hel schon gewartet hatte: »Weißt du, wo du dich befindest? Ich habe zuvor noch nie vom Nerkeren-Verlies gehört, und Audra meinte, aus dem Grund befinden sich auch die Hexe, Faye – bei den Göttern, ich werde mich nie daran gewöhnen können, dass das kleine Mädchen, das immer so scheu umherhuschte …« Ein versonnenes Grinsen zeigte sich kurz – viel zu kurz, wie Hel fand. Andererseits war es wohl gut so, denn Rupards Lächeln wirkte unwiderstehlich. Um es zu sehen, würde er töten oder sterben, fürchtete er. »Egal«, murmelte Rupard. »Was ich sagen wollte: Wenn du es weißt und mir genau beschreiben kannst, können wir uns vielleicht eine zeitaufwendige Suche ersparen.«

Bedauernd schüttelte Hel den Kopf. »Nein. Ich kann meinen Geist fliegen lassen, wenn ich träume. Aber in der Regel begibt er sich sofort dorthin, wo sich ein Teil meiner Seele oder eine mir wohlgesonnene Magie aufhält. Wäre ich wach gewesen, hätte ich die Umgebung beschreiben können, aber als mich die Menschen – auf deines Vaters Anordnung, wie es scheint – gefangen nahmen, befand ich mich in der Steinstarre. Ich sah nichts, spürte nichts, regte mich nicht. Genauso gut hätte ich tot sein können. Von daher kann ich also nicht einmal im Entferntesten einschätzen, wie weit sie mich transportierten oder wohin sie mich brachten.«

Rupard rutschte ein Stück nach vorn, sodass sich ihre Knie berührten. Hel hütete sich, dagegen zu protestieren. »Erklär mir diese Steinstarre. Was bedeutet es? In welcher Form warst du – Drache oder Mensch?«

Nachdenklich strich sich Hel durch seinen ungebändigten Schopf. »Es ist schwer, Nicht-Fyldraki zu erklären, wie wir sind.«

»Versuch es«, sagte Rupard. »Ich bin nicht so dumm, wie ich aussehe.«

Hels Augenbraue schoss verblüfft nach oben, und er öffnete bereits den Mund zum Protest, dann bemerkte er, dass der Junge ihn sanft verspottete. Das war ihm auch noch nie passiert, doch schlecht fand er es nicht. Es bedeutete, dass Rupard anfing, sich in seiner Gegenwart wohlzufühlen. Oder zumindest hoffte er das. »Das bleibt abzuwarten«, antwortete er leichthin. »Ihr Menschen seid so jung, dass ihr noch in den Kinderschuhen steckt. Wer weiß, wie viel ihr zu begreifen in der Lage seid?«

Rupard hustete, und Hel hatte das Gefühl, dass er damit ein Lachen verbarg. »Du wirst langsam reden müssen, damit mein tumber Geist hinterherkommt, o alter ehrwürdiger Fyldrak!«

»Impertinent«, murmelte Hel, allerdings amüsiert. Die Stoppeln auf seiner Wange gaben ein knisterndes Geräusch von sich, als er mit den Fingern darüberstrich, um sich zu sammeln. »Die Steinstarre«, dozierte er, »ist der letzte Ausweg eines Fyldrak, über sich selbst zu bestimmen. Die Gemeinschaft der Fyldraki war schon immer sehr klein, aber sie unterlag stets strengen Regeln. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wir sind gefährlich. In unserem Inneren lauert stets eine Bestie, und wenn sie auch die Oberhand über unser Äußeres gewinnt, ohne dass der menschliche Verstand sie beherrscht, gibt es Tote. Viele Tote, viel Feuer, viel verbrannte Erde. Unser Volk will das nicht. Nicht nur weil wir so edle moralische Vorstellungen haben, sondern natürlich auch deshalb, weil die anderen Rassen es vielleicht nicht amüsant finden, wenn ein Drache verrückt wird und anfängt, ihre Zahlen zu dezimieren. Sie neigen dann dazu, sich zusammenzurotten und entsprechenden Fyldrak zu jagen. Und auch wenn ein Drachenwandler Hunderte oder Tausende anderer Wesen töten kann, fällt er ihnen früher oder später zum Opfer. Mit jedem Fyldrak, der stirbt, stirbt ein Teil unseres Volkes, denn unsere Geburtszahlen sind geradezu unfassbar niedrig.«

»Woran liegt das?«, fragte Rupard interessiert. »Ich möchte dir nicht zu nahe treten, Heliarkos, aber wenn du dich statt für mich für eine Frau interessieren würdest …?«

Lachen stieg in ihm auf. »Du glaubst, ich kann es mir aussuchen? Ich könnte genauso wenig eine Frau lieben wie einen Orkeber, Reskis. Meine Seele entscheidet, wer ein Teil von ihr ist – und deine Seele scheint dasselbe beschlossen zu haben, sonst wären sie nicht zusammengekommen und ich wäre nicht erwacht. Die Steinstarre ist das völlige Zurückziehen des Verstandes, lediglich die Seele pulsiert weiter in dem Körper des Drachen, wartend, rufend, flehend. Als sie dich fand, als sich unsere Seelen erkannten und verbanden, erst in diesem Moment konnte ich erwachen und mein Leben wieder aufnehmen.«

»Du hast recht, glaube ich«, murmelte Rupard. »Ich gehöre zu einem jungen, dummen Volk, denn ich begreife es nicht: Warum überhaupt das alles? Wenn ich es richtig verstehe, hast du dich freiwillig in diesen todesähnlichen Zustand begeben. Weil du keinen Seelenpartner gefunden hast? Was ist so wichtig daran? Hättest du nicht mit jemandem anders glücklich werden können? Nicht jeder findet seine große Liebe … Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht einmal, wie Liebe wirklich funktioniert. Ich verstehe mich auf viele der Geräte und Apparate, die angeblich meine Mutter auf das Schloss meines Vaters gebracht hat, ich kann mich sehr schnell in ihre fremdartigen Mechanismen eindenken, aber Gefühle, Heliarkos, verwirren mich.«

Hel betrachtete das ernste, schöne Gesicht des jungen Mannes, und er konnte es einfach nicht fassen, dass ausgerechnet dieser eine Mensch es war, zu dem ihn seine Seele geführt hatte. Verleugnen konnte er es aber nicht, denn alles an Rupard zog ihn an. Der schmale schlanke Körper, die kontrollierten, wohl dosierten Bewegungen, diese unglaublichen Augen … wie Wind und Sturm und peitschender Regen, wie Lachen im Angesicht lodernden Feuers, wie salzige Seeluft und der Gesang des Himmels an klaren Nächten. Er konnte all das sehen, ja geradezu greifen, doch Rupard war nur ein Mensch – er würde es erst spüren, wenn er nicht nur seine Seele, sondern auch sein Bewusstsein mit ihm teilte. Ob er ihm schon so weit vertraute? Einen Versuch war es wert.

»Ich werde es dir zeigen, wenn du mich lässt«, sagte er langsam und bedächtig. »Doch dafür muss ich dir den Kuss des Feuers geben.«

Rupard

Der Kuss des Feuers?! In seinen eigenen Wangen schienen bereits Flammen entfacht worden zu sein, zumindest war ihm mit diesen wenigen Worten so heiß geworden, dass er an dem Kragen seines Hemdes zerrte. Die goldenen Augen Heliarkos’ glitzerten, doch er konnte nicht sagen, ob es sich um Spott, Freude oder etwas gänzlich anderes handelte. Ob sich der Drachenwandler seiner Wirkung auf ihn bewusst war? Verdammt noch mal, allein die raue animalische Wildheit, die er ausstrahlte, brachte Rupard dazu, dass er die Fäuste ballen musste, um das Zittern in seinen Händen zu verbergen. O nein, es war keine Angst. Vielleicht hatte er tatsächlich einen Anflug von Panik verspürt, als er begriff, dass er sich wieder in einem gemeinsamen Traum mit dem Fyldrak befand, doch das war nach wenigen Augenblicken vorbei gewesen. Stattdessen wollte er jede Sekunde und Minute nutzen, um diesen faszinierenden Mann … dieses Wesen kennenzulernen. Aber musste es gleich so intim sein? Heliarkos hatte ihn bereits einmal geküsst, ohne ihn zu fragen. Und wenn er ehrlich war, hatte es ihm gefallen, obwohl er empört gewesen war. Verdammt, warum war alles so kompliziert geworden? Und vor allem: wann?

Er musste sich räuspern, weil er das Gefühl hatte, seine Stimme versage. »Was … bedeutet das?«

»In erster Linie Vertrauen. In der Traumzeit kann dir nichts passieren, aber das weiß dein Körper nicht. Wenn ich dich also hier küsse, ist es für dich, als würde das auch in der Wirklichkeit geschehen – also dort, wo du gerade schläfst.«

Rupard schnaubte abfällig. »Ich liege gerade in eine Pferdedecke eingewickelt unter einem Planwagen, vorausgesetzt, ich bin nicht verrückt und bilde mir alles ein. Meine Reise nach Antochtnar, dich, all die Ereignisse der letzten Wochen.«

»Wie kommst du immer wieder darauf, dass du dem Wahnsinn nahe sein könntest? Du bist der rationalste Mensch, den ich kenne!«, knurrte der Drachenwandler.

»Dann kennst du wohl nicht viele Menschen?« Ein bitteres Lachen stieg in ihm auf, als ihn die alte Furcht packte. Die Angst, genauso wie seine Mutter zu enden, die sich von den Zinnen des Schlosses gestürzt und ihn zurückgelassen hatte in der Obhut seines Vaters und der Kindermädchen. Er schüttelte den Kopf. »Irgendwann werde ich es dir erzählen. Vielleicht. Aber jetzt sag mir, was es mit diesem Kuss auf sich hat. Für mich klingt das nicht beruhigend, weißt du? Wir Menschen nutzen das Feuer, aber wir spielen nicht damit.«

Gold leuchtete in Heliarkos’ Augen auf, und Rupard meinte, Amüsement zu erkennen. »Du kleiner Lügner«, schnurrte der Fyldrak. »Du spielst mit dem Feuer, seit du mich kennst!«

»Ohne Absicht, möchte ich anmerken. Also?«

»Wenn du es gestattest, werde ich dich küssen. Und dabei … meine Erinnerungen mit dir teilen. Meine Gedanken. Wenn du so willst, alles, was mich ausmacht.«

Rupard runzelte die Stirn. »Für mich klingt das so, als müsstest du weit mehr dafür opfern als ich. Es ist eher dein Vertrauen, das hier auf dem Spiel steht.«

»Nein, denn ich zweifle ja nicht an der Reskisalos, meine Seele wünscht sich nichts mehr, als sich mit dir zu verbinden. Deine Seele weiß das, nur dein Verstand akzeptiert es noch nicht. Deshalb wiederhole ich: Du bist der rationalste Mensch, den ich kenne.«

»Dein Feuer könnte mich verbrennen«, murmelte Rupard.

»Es ist metaphorisch gemeint«, erklärte Heliarkos. »Ich gebe dir mein Feuer – also alles, was ich bin. Es wird dir keine Schmerzen zufügen, ich werde dir nicht wehtun.«

Was hatte er schon zu verlieren? Nichts. Wie er gesagt hatte, lag er schlafend und träumend unter dem Wagen von Gilmer und Sandora. Es handelte sich nur um einen Kuss. Keine große Sache. Warum wurden dann seine Knie weich und zitterten, als er aufstand? Unsinn, das bildete er sich ein.

»Gut«, erwiderte er und legte den Kopf in den Nacken, denn auch der Drachenwandler hatte sich erhoben. Bei den Göttern, war er groß! So sehr, dass er den Kopf neigen musste.

»Bist du sicher?«

»Nein«, antwortete Rupard wahrheitsgemäß, »aber ich würde es mir nie verzeihen, es nicht gewagt zu haben. Ich bin kein Feigling.«

»Meine Seele hätte sich auch nie für einen Feigling entschieden«, raunte Heliarkos so dicht über seinem Mund, dass ihm sein warmer Atem über das Gesicht strich. Ein muskulöser Arm legte sich um seine Schultern, dann spürte Rupard die Härte seines Brustkorbes, und er wurde so nahe herangezogen, dass zwischen ihnen kein Blatt mehr Platz gefunden hätte. Alles wirkte kantig, unnachgiebig, stählern, keine Rundungen oder weiche samtige Haut, von der Rupard andere hatte schwärmen hören. Tief sog er den Duft des Mannes vor ihm ein. Flammen und Rauch und ungezähmte Wildnis. Er wollte daran teilhaben, kosten, schmecken.

Heliarkos’ Lippen berührten die seinen, und Rupard wusste, dass seine Flammen ihn verzehren würden. Hitze stieg in ihm auf, verglühte ihn, ließ ihn in einen Feuerball aufgehen – doch wie der Fyldrak angekündigt hatte: Es tat nicht weh. Im Gegenteil, allein der Gedanke aufzuhören bereitete ihm geradezu körperliche Schmerzen. Ihre Zungen berührten sich, tanzten, schlangen sich umeinander, kämpften, doch es war kein Kampf auf Leben und Tod; hier ging es nur um das Feuer der Leidenschaft. Und plötzlich flog Rupard; er existierte auf mehreren Ebenen, konnte sowohl von außerhalb des Geschehens beobachten als auch mit den Augen eines Drachen sehen. Seines Drachen.

***

Die mächtigen Schwingen ausgebreitet, stürmte das gewaltige Wesen schneller als jeder Vogel, schneller gar als der Wind über einen sich endlos erstreckenden dunklen Wald. Weit entfernt erspähten die scharfen Augen ihr Ziel – die von Barrikaden ummauerte Stadt, die den glühenden Zorn in seinem Inneren brodeln ließ. Der Drache … nein, Rupard … oder doch der Drache? Ein menschliches Bewusstsein, schwach am Rande seines Geistes, kämpfte gegen das Feuer der Wut, doch schwarzer Hass spülte jede Stimme der Vernunft fort. Die Kreatur übernahm jetzt vollends die Kontrolle, senkte sich nieder und ließ einen zischenden gewaltigen Feuerstoß auf die Siedlung niedergehen. Flammen loderten auf, breiteten sich rasend schnell aus, verzehrten die trockenen Holzhäuser wie Zunder, ließen das Mehl in der Mühle explodieren und sorgten dafür, dass sich die Flammen noch schneller ausbreiteten. Das glühende Meer wogte durch die Straßen, die Hitze entfachte immer nur noch mehr Hitze und hinterließ ein Schlachtfeld bestehend aus grauer Asche und schmutzig-weißem Staub. Der Drache nahm Geschwindigkeit auf, ließ sich von den Winden hoch hinaustragen und überblickte sein Werk der Zerstörung. Am entfernten Ende der Siedlung hatten sich Menschen versammelt, bildeten Eimerketten, um zu verhindern, dass die noch unberührten Häuser verbrannten. Er schlug einen Bogen und ging erneut in den Sinkflug …

… um im nächsten Moment mit zwei weiteren Bestien zu kollidieren. Drachenmäuler wurden aufgerissen, blitzende, armlange Zähne drohten, Geifer tropfte zur Erde. Die anderen Drachen drängten ihn ab, fort von der brennenden Stadt, den toten, sterbenden, schreienden Menschen und ihrem Leid, ihrer Hilflosigkeit und ihrem Drang nach Vergeltung. Immer wieder rammten ihn die beiden Fyldraki, sorgten dafür, dass ihm nur eine Richtung blieb, diejenige, die sie vorgaben. Meilenweit vom Ort der Zerstörung entfernt zwangen sie ihn zu Boden, nahmen in dem Moment, als ihre mächtigen Klauen die Erde berührten, ihre menschliche Gestalt an.

»Heliarkos!«, donnerte der kleinere, breitere und ältere der Männer. »Zeige dich in einer Form, in der du noch menschlich denken kannst!«

Der gewaltige schwarz-rote Drache fauchte und Flammen züngelten über das Wams des Mannes. Der kümmerte sich nicht einmal darum, und das Feuer auf seinen Sachen erlosch, als hätte jemand Wasser darübergeschüttet. Sein Gesicht verzerrte sich in einer Mischung aus Abscheu und Unwillen, als er ein silbernes Schwert aus der Lederscheide seines Gürtels riss. »Du lässt mir keine andere Wahl, mein Junge!«, knurrte er, nicht einmal laut, und doch schien der Klang seiner Worte über die mit blühenden Pflanzen bestäubte Ebene zu klingen. Tief rammte er die Klinge in die Vorderpfote des Drachen, der sich brüllend aufbäumte. Sein Schrei hallte weit hinaus, und in ihm lag mehr als nur Schmerz, mehr als Wut, mehr als eine Bestie, die weder fühlen noch denken konnte. Als der Lärm verklang, lag anstelle des Drachen ein junger Mann mit wilden Haaren in allen Farben, die Blond aufweisen konnte, auf dem weichen Gras. Die rote Glut in seinen Augen erlosch und machte einem bernsteinfarbenen Gold Platz. Er keuchte und zitterte. Trotz dessen, was Rupard soeben mit angesehen hatte, verspürte er das Bedürfnis, den Fyldrak in den Arm zu nehmen.

»Tötet mich!«, ächzte Heliarkos, »tötet mich, denn ich habe keine Kontrolle mehr. In mir ist nur noch Wut, nur noch rasender Hass und ein Schmerz, der nie mehr aufzuhören scheint. Es tut so weh, versteht ihr das nicht?« Den letzten Satz schrie er mit einer Verzweiflung, die Rupard das Herz brach.

Der andere Mann, ein dunkelhaariger Riese, der in Heliarkos’ Alter schien, umrundete ihn. »Er hat zwei Pfeile abbekommen«, sagte er zu dem Schwertträger. »Das muss den Ausschlag gegeben haben.«

»So geht es trotzdem nicht weiter«, murmelte der Ältere und fuhr sich durch den mit grauen Strähnen versetzten Bart, der die untere Hälfte seines Gesichts bedeckte. Ächzend kniete er sich neben Heliarkos nieder und berührte das Schwert, das fast seine gesamte Handfläche durchbohrte und ihn am Boden festnagelte. »Hel«, sagte er sanft. »Hör mir zu. Du weißt, was mit dir los ist, nicht wahr?«

Heliarkos nickte mit zusammengebissenen Zähnen. »Meine Seele brennt. Ich verbrenne, denn ich habe keine Reskis gefunden, die zu mir gehört. Deshalb müsst ihr mich töten; so etwas wie heute darf nie wieder passieren! Ich wollte das nicht, ich schwöre es, das wollte ich nicht zulassen, doch der Drache hat die Kontrolle übernommen. Er ist so stark geworden, ich kann ihn nicht bändigen. Jäger aus der Siedlung haben auf mich geschossen und da … ab da ist alles verschwommen, aber ich fürchte, ich habe Unverzeihliches getan. Zieht das Schwert aus meiner Hand und beendet es, Schwertmeister. Ich habe Schande und Gefahr über unser Volk gebracht.«

»Das hast du«, bestätigte der Schwertmeister und riss die Klinge aus seinem Fleisch. Heliarkos stöhnte dumpf auf, rührte sich jedoch nicht.

Der andere Mann kniete sich zu ihnen. »Es gibt noch einen Weg, Heliarkos. Einen, der dich aufhält und gleichzeitig deiner Seele alle Zeit der Welt gibt, ihre Suche fortzuführen. Verstehst du mich?«

Rupard wollte schreien, als er die Resignation und die Trauer in Heliarkos spürte. Der Fyldrak nickte langsam. »Die Steinstarre«, murmelte er. »Aber hätte ich nicht für das Leid und den Tod, die ich brachte, meine eigene Auslöschung verdient?«

»Unsere Gesetze sind eindeutig«, sagte der Schwertmeister. »Wer aggressiv wird, stirbt. Du jedoch wurdest zuerst angegriffen und erst dann hat der Drache übernommen. Das ist der einzige Grund, warum wir dir diese Wahl überlassen: Wirst du in die Steinstarre gehen und vielleicht für alle Zeiten nur von deiner Seele gehalten, doch ohne Bewusstsein, existieren oder bevorzugst du einen schnellen und gnädigen Tod?«

Obwohl Rupard sehr genau wusste, wofür sich Heliarkos entschieden hatte, schmerzte ihn die Erkenntnis, dass er eine lange Zeit ernsthaft darüber nachdachte und dem Tod nicht abgeneigt war. Doch dann beugte sich der jüngere Fyldrak zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Sei kein Feigling, Hel. Lass dich nicht auslöschen!«

Und Heliarkos nickte. »Ich wähle die Steinstarre. Wo soll ich es tun?«

Der Schwertmeister stand auf und klopfte sich Laub und Schmutz von der Kleidung. »Ich kenne einen Ort, an dem du wohl ungestört sein kannst. Folge mir!«

Sie flogen, alle drei, und Rupard beobachtete, wie die Sonne sank, die Dämmerung einsetzte, die Nacht verging und ein neuer Morgen anbrach. Erst dann landeten die Fyldraki in einem karstigen Gebirge und der ältere Drachenwandler deutete mit einer Klaue auf einen natürlichen Überhang, der eine Aushöhlung im Felsen verdeckte. Innerhalb eines Wimpernschlags wandelte er sich. »Diese Gegend ist tot und wird weder von Menschen, Sidhe, den Unterweltler-Völkern oder irgendjemand anders aufgesucht. Hier bist du sicher, mein Junge.«

Heliarkos nahm ein letztes kurzes Mal seine menschliche Gestalt an und kniete vor den anderen nieder. »Ich danke euch. In einem anderen Leben werden wir uns wiedersehen.«

»In einem anderen Leben werden wir uns wiedersehen«, wiederholten die anderen, und Rupard schien es, als handle es sich um eine rituelle Abschiedsformel. Heliarkos wurde zu dem mächtigen Drachen, der auf starken, schuppenbehafteten Füßen unter den Überhang kroch. Gemeinsam mit ihm nahm Rupard wahr, wie er den Geist des Drachen, der plötzlich ohne Zorn und Wut war, dämpfte. Er hatte keine Ahnung, wie genau Heliarkos das tat, doch er spürte, wie sein Körper mit einem Mal schwer wurde, sich tiefer in die Erde senkte, dann glitt Schwärze aus seinem tiefsten Inneren voran, legte sich über sein Bewusstsein, lähmte nach und nach alle seine Sinne. Als Erstes verschwanden die Gerüche des Tages, der Felsen, seiner Freunde. Dann verstummten die Geräusche; der helle Schrei eines Adlers verklang abrupt, das Summen der Bienen verschwand. Dann fühlte er auch den Wind nicht mehr. Als Letztes verlor er die beiden Fyldraki aus seinem Sichtfeld. Sie knieten neben ihm, und er wusste, sie hatten die Hände auf seinem Panzer abgelegt, doch ihre Wärme erlosch, und die Schwärze aus seinem Inneren legte sich über seine Augen und nahm ihm die letzten Empfindungen. Stille. Dunkelheit. Vergessen.

***

Rupard keuchte und schrak hoch, als wäre er in tiefem Wasser getaucht und nahe daran zu ersticken. Die goldenen Augen des Drachenwandlers schwebten so nahe über ihm, dass er darin versinken wollte. Fest presste er seine Hand gegen Heliarkos’ Brust, spürte den heftigen Herzschlag unter seinen Fingern, den heißen Atem, der über sein Gesicht strich und ihn zu verbrennen drohte. Rupard fühlte sich nicht in Gefahr, trotz der Hitze. Sie wirkte beruhigend auf ihn.

»Du hast freiwillig …« Er wusste noch immer nicht genau, was Heliarkos eigentlich getan hatte. Eine Art Winterschlaf gehalten, wie manche Tiere, nur dass er es anscheinend auf viele Jahre ausgedehnt hatte. Wie konnte man das überleben?

»Magie«, erklärte der große Mann, als hätte er seine Gedanken belauscht. »Wir Drachenwandler bestehen aus purer Magie, sonst könnten wir uns weder wandeln noch in denselben Sachen in menschlicher Form auftauchen, in denen wir zum Drachen wurden. Jetzt allerdings muss ich spätestens in ein paar Wochen etwas zu mir nehmen, sonst werde ich schwächer und entweder sterben oder in die Steinstarre zurückkehren. Und ob sich meine Seele ein zweites Mal von einer anderen berühren lässt, ist fraglich.«

»Ich werde dich da rausholen!«, schwor Rupard. »Die Sidhe, die Hexe und ich, wir werden alles tun, um dich zu befreien.« Er dachte nach. »Du musst uns allerdings dein Wort geben, niemanden anzugreifen oder zu töten.«

Heliarkos zog ihn wieder an sich heran. »Das kann ich nicht«, grollte er in sein Ohr, und obwohl er sich weigerte, ihm sein Versprechen zu geben, stellten sich Rupards feine Härchen im Nacken auf.

»Du musst!«, beharrte er. »Verdammt, du siehst doch ein, dass wir dich dort nicht herausholen können, wenn du noch immer dieselbe Gefahr wie vorher darstellst.«

Er wurde auf Armlänge fortgeschoben und vermisste die Wärme des Mannes sofort. Innerlich verfluchte er sich dafür, aber er würde in dieser Sache trotzdem nicht nachgeben. »Welche Gefahr sollte ich denn darstellen, Reskis?« Die Augenbrauen des Drachenwandlers waren drohend zusammengezogen. Falls er von seiner Harmlosigkeit überzeugen wollte, hatte er spektakulär versagt.

Es war wohl die Zeit der Wahrheit gekommen. »Auf die Gefahr hin, dass du mich ab jetzt hassen wirst …«

»Ich kann dich nicht hassen, närrischer Mensch!«, blaffte der Fyldrak, doch Rupard ließ sich nicht aufhalten.

»… muss ich dir gestehen, dass mein Vater es gutheißt, dass du gefangen bist. Er und seine Handlanger, so fürchte ich, haben es darauf abgesehen, dich als Waffe einzusetzen, auch wenn ich nicht weiß, wie sie das bewerkstelligen wollen. Wie kann man einen Fyldrak zwingen?« Die Erkenntnis blitzte in seinem Kopf auf, als er sich an den Schwertmeister erinnerte. »Silber?«, flüsterte er.

»Silber«, bestätigte Heliarkos düster. »Ich befinde mich in einem Verlies, das von Silberadern nur so durchzogen ist, weshalb ich kaum in der Lage bin, mich zu bewegen, geschweige denn meine Kräfte einzusetzen, um mich selbst zu befreien. Silber ist eine Qual – als der Schwertmeister meine Hand durchstach, tat er das, um mich daran zu hindern, etwas Dummes anzustellen. Solche Wunden verheilen nie ohne Narben.« Er zeigte Rupard seine Handfläche, auf der ein weißer wulstiger Strich die Haut zweiteilte. »Ich halte mich nicht für einen Schwächling, aber wenn es meinen Gefängniswärtern gelingt, mir in Menschenform Silber anzulegen, werde ich nachgeben, wimmern wie ein Hase und alles tun, was man von mir verlangt.«

Bei der Vorstellung, was sein Vater Heliarkos antun könnte, biss Rupard die Zähne zusammen. »Verdammt! So schmerzhaft?«

»Wie eine immerwährende Folter. Ein Drachenwandler würde alles tun, alles versprechen, um diese Qual loszuwerden.« Er fuhr sich mit der narbigen Hand über das Gesicht. »Siehst du, jetzt hast du die größte Waffe gegen mich in der Hand, die ich mir vorstellen kann. Aber das meinte ich nicht einmal, als ich sagte, ich würde dir mein Wort verweigern, niemanden anzugreifen. Ich kann zwar hier nicht raus, aber meine Gefängniswärter offenbar auch nicht rein. Wenn es so ausgeht, wie du sagst, werdet ihr mich befreien. Aber dann kann es immer noch jederzeit vorkommen, dass jemand dich angreifen möchte, Reskis. Und das werde ich niemals zulassen; ich töte jeden, der dir auch nur ein Haar krümmt!«

Rupard hob die Hand. »Hör! Sofort! Auf!« Seine Stimme, sonst vibrierend von einem warmen Timbre, hörte sich selbst in seinen eigenen Ohren wie gefrorenes Kristall an, das jeden Moment zerspringen würde. Heliarkos starrte ihn an, Verwirrung spiegelte sich in seinen Goldaugen. »Hör mir zu, und vor allem, nimm mich ernst, verdammt noch mal! Egal, was du denkst, egal, was dir deine Traditionen oder selbst dein Herz und deine Seele diktieren – ich bin ein freier Mann und ich bleibe frei. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich dich kennenlernen, fühle ich mich von dir angezogen, aber wenn du glaubst, ich würde dir gehören oder dass du über mich bestimmen kannst, dann irrst du dich. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen und ich erwarte, dass du mich respektierst. So sehr respektierst, dass du mich meine eigenen Kämpfe ausfechten lässt und dir nicht einbildest, ich müsste stets und ständig von dir gerettet oder verteidigt werden. Gib mir auf der Stelle dein Wort, dass du niemanden angreifst oder gar tötest, es sei denn, jemand geht gegen dich vor oder du schwebst in Lebensgefahr. Niemals um meinetwillen!«

Rupard konnte sehen, dass der Drachenwandler nachdachte. Anscheinend war es tief in ihm verwurzelt, mit Haut und Haar in dieser Seelenmagie aufzugehen, sich selbst aufzugeben für den anderen. Hoffentlich begriff Heliarkos, dass er das niemals akzeptieren würde. Wenn diese … Anziehung, die zweifellos zwischen ihnen bestand, weiterführen, tiefer gehen sollte, musste er einsehen, dass sie beide sich selbst treu bleiben mussten. Sonst konnte … das, was immer das war, keinen Bestand haben. Je länger der Fyldrak grübelte, desto mehr sank Rupards Laune. Er würde es nicht verstehen. Resigniert ließ er sich auf die Bettkante zurücksinken und wartete, während Heliarkos anfing, mit großen, raumgreifenden Schritten hin und her zu laufen.

Schließlich blieb er stehen und fuhr sich durch die wilden Haare, etwas, das Rupard auch gern getan hätte, doch er blieb eisern sitzen. Blonde Strähnen fielen dem Drachenwandler ins Gesicht, als er sich plötzlich neben Rupard kniete. Da er so groß war, befanden sie sich fast auf Augenhöhe. »Du bist ein Krieger, Reskis«, murmelte er. »Glaub mir, ich verstehe das. Wahrscheinlich fände ich die Vorstellung, dass du für mich kämpfen wolltest, auch absurd. Und trotzdem … trotzdem bekomme ich kaum Luft bei dem Gedanken daran, dass jemand auf dich losgeht, dich verletzt, dich … tötet. Ein Teil meiner selbst würde in diesem Moment sterben, endgültig. Davor könnte mich auch keine Steinstarre schützen.«

Rupard atmete tief durch und gab dem Drang nach, in Heliarkos’ Mähne zu greifen. Sie war dicht und so seidig wie der Umhang, den sein Vater zu zeremoniellen Anlässen trug. »Es ist immer schwer, jemanden zu verlieren«, murmelte er sanft. »Oder allein darüber nachzudenken. Aber wir dürfen uns doch deshalb nicht selbst verlieren, nicht einer ständigen Angst nachgeben. Meine Mutter starb, als ich noch ein Kleinkind war, ich habe sie genau genommen nie kennengelernt. Und doch vermisse ich sie manchmal so sehr, dass ich an Sturmtagen auf einen Turm steige und meine Wut in die Elemente schreie. Auf dieselben Zinnen, von denen sie sich hinuntergestürzt hat. Ich vermisse sie, und doch macht mir das Wissen um ihren Tod auch Angst, denn sie war verrückt, hat mein Vater gesagt. Sie konnte das Leben nicht ertragen, denn sie fürchtete sich davor, also wählte sie den Freitod. Was ist, wenn ich ihren Wahnsinn geerbt habe?«