Prinzenfluch (Enchanted 2) - Jess A. Loup - E-Book
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Prinzenfluch (Enchanted 2) E-Book

Jess A. Loup

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Beschreibung

Die atemberaubende Fortsetzung der magisch-romantischen High-Fantasy-Trilogie **Finde den Drachen und rette das Elfenreich** Drei Schlüssel braucht man, um das Verlies des Drachen zu öffnen und seine zerstörerische Macht auf immer zu bannen. Zwei davon befinden sich in den falschen Händen, sie gilt es zu finden und zu stehlen. Eine Fähigkeit, die die Elfen glücklicherweise ganz besonders gut beherrschen. So machen sich Hauptmann Sullivan und die Kriegerin Audra wieder einmal zusammen auf den Weg – und ihre aufflammenden Gefühle mit ihnen. Der dritte Schlüssel ist in Sicherheit, aber damit nicht weniger schwer zu erreichen. Er befindet sich beim verschollenen Elfenprinzen. Ihm ist Faye auf der Spur, denn er hat auch ihr Herz gestohlen... Jess A. Loup erschafft mit ihrer zauberhaften Trilogie »Enchanted« eine Welt, der man sich von der ersten Seite an nicht entziehen kann, und erweckt darin eine der schönsten Liebesgeschichten der Fantasy zum Leben. //Dies ist ein Roman aus dem Carlsen-Imprint Dark Diamonds. Jeder Roman ein Juwel.// //Alle Bände der magischen »Enchanted«-Trilogie:    -- Enchanted 1: Elfenspiel    -- Enchanted 2: Prinzenfluch   -- Enchanted 3: Drachenwut//  Die »Enchanted«-Trilogie ist abgeschlossen.    //Alle Bände der zauberhaften Spin-off- Trilogie »Mysterious«:  -- Mysterious 1: Zwergenerbe  -- Mysterious 2: Druidenkraft   -- Mysterious 3: Hexensturm//   Die »Mysterious«-Reihe ist abgeschlossen.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

Jess A. Loup

Prinzenfluch (Enchanted 2)

**Finde den Drachen und rette das Elfenreich** Drei Schlüssel braucht man, um das Verlies des Drachen zu öffnen und seine zerstörerische Macht auf immer zu bannen. Zwei davon befinden sich in den falschen Händen, sie gilt es zu finden und zu stehlen. Eine Fähigkeit, die die Elfen glücklicherweise ganz besonders gut beherrschen. So machen sich Hauptmann Sullivan und die Kriegerin Audra wieder einmal zusammen auf den Weg - und ihre aufflammenden Gefühle mit ihnen. Der dritte Schlüssel ist in Sicherheit, aber damit nicht weniger schwer zu erreichen. Er befindet sich beim verschollenen Elfenprinzen. Ihm ist Faye auf der Spur, denn er hat auch ihr Herz gestohlen …

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Vita

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© privat

Jess A. Loup versteht Deutsch, obwohl sie in Bayern lebt. Wenn sie nicht im Kopf mit imaginären Leuten spricht (oder über sie schreibt), ist sie auf dem Bogenparcours zu finden, lässt sich von ihren Katzen terrorisieren oder fotografiert wilde Tiere in Afrika. Solange der Brief aus Hogwarts verschollen bleibt, erschafft sie ihre eigenen magischen Welten.

Prolog

Finsternis.

Rauch brannte in ihrer Lunge, reizte ihre Atemwege, brachte sie zum Husten. Sie wusste nicht, wo sie sich befand noch wie sie hierhergekommen war. Ihre Augen tränten, als sie versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Feuer flackerten hier und da, kaum mehr als zusammenfallende Glut. In dem aufsteigenden Rauch tanzten Schemen wie Geister über einem Friedhof.

Und dann wurde es ihr bewusst: Genau da befand sie sich.

Ein Schlachtfeld umgab sie. Je weiter sie voran taumelte, desto deutlicher wurde es. Geborstene weiße Knochen ragten anklagend in den sternenlosen Himmel und einmal blieb sie an etwas hängen. Ihr Blick wanderte nach unten und sie entdeckte einen schwarz verbrannten Körper. Schmierige Asche stieg auf, als sie versuchte, sich zu befreien; immer panischer zerrte sie an ihrer Kleidung und mit einem Mal zerfiel der Tote unter ihr, ließ nur mehr Staub und Sand zurück. Der Gestank des verwesenden Fleisches um sie herum wurde so intensiv, dass es sie schüttelte. Sie hustete wieder, in ihren Schläfen pochte es, ein glühender, immer enger werdender Reif schien sich um ihren Kopf zu legen und sich mehr und mehr zusammenzuziehen. Was war hier nur passiert? Und wie kam sie an diesen fürchterlichen Ort? Hatte sie sich die Rettung aus der Knochenschlucht nur eingebildet? Waren alle tot und nur sie hatte überlebt? Vielleicht war auch sie gestorben und in den tiefsten Höllen der scheußlichsten Dämonen gelandet? Bei den Göttern, das war ein Albtraum, und sie wollte erwachen! Ihre stumme Bitte blieb ungehört.

Ein Schatten vor ihr verdichtete sich, wurde dunkler, größer, wuchs in die Höhe, türmte sich regelrecht vor ihr auf. Im Inneren dieser furchterregenden Schwärze erglühte es in einem so heißen Rot, dass sie zurückwich und über den zerschmetterten Huf eines grotesk verdrehten Pferdes stolperte, dessen gebrochene Augen von einem bläulichen Film überzogen waren.

Der Schmerz in ihrem Kopf flammte so bösartig auf, dass sie ihre Hände an ihn presste und auf die Knie sank.

»Was ist hier nur geschehen?«, flüsterte sie gebrochen. Tränen tropften auf den Boden, der über und über mit grauem Staub bedeckt war, und zeichneten makabre Muster.

»Ich bin passiert.« Die Stimme war überall, um sie herum, in ihrem Inneren, grollte, drohte, vibrierte. »Ich bin passiert, ich werde wieder passieren.« Die Glut in der schwarzen Masse verengte sich und endlich erkannte sie, was sich vor ihr befand: Das gewaltigste Ungeheuer, das sie je gesehen hatte. Klauen schälten sich aus der Dunkelheit, Beine, ein mächtiger geschuppter Körper, eine Echsenschnauze, leicht geöffnet, mit aufblitzenden dolchartigen Zähnen, zwischen denen sich eine lange, muskulöse Zunge hervorwand. Die geschlitzten Augen oberhalb der Nasenöffnungen bestanden aus flüssigem Feuer und ihr Blick versengte sie mit gleichgültiger Mühelosigkeit. Ein Drache. Die Behauptungen, sie seien ausgestorben, waren ganz offensichtlich übertrieben.

Sie wandte sich ab; das war das Ende, nicht einmal ihre neu entdeckten Fähigkeiten konnten es mit so viel schierer Kraft und Gefahr aufnehmen. In ihrem Geist explodierten Schmerzstöße und jeder Gedanke an Flucht oder Kampf ertrank in einer Lava reinen Feuers. Ihr war so heiß, dass Schweiß ihren ganzen Körper bedeckte, gleichzeitig überzog eine Gänsehaut ihre Arme.

Und doch konnte sie es nicht auf sich beruhen lassen, wollte, nein musste wissen, was es mit diesem grauenhaften Ort auf sich hatte.

»Wer seid Ihr? Warum …« Sie schluckte angestrengt; ihr Mund war so trocken, dass ihr das Sprechen schwerfiel. »Warum habt Ihr so viel Leid verursacht?«

Die riesige Schnauze senkte sich auf sie nieder, und sie war überzeugt, dass sie die scharfen Zähne in ihrem Fleisch spüren würde. Mit trotzigem Mut hob sie den Kopf und fand sich Auge in Auge mit der flammenden Pupille der Bestie wieder.

»Der Zorn. Der Hass. Die Bosheit«, rumpelte das Ungeheuer mit einem dumpfen Widerhall. »All das ist in mir, entflammbar wie das Feuer in meinem Quell, und ein Funke genügt, um zu zerstören. Sieh dich um, Menschenkind. Sieh dich um und sag mir, was du siehst.«

Ein grauer Schein schob sich aus dem todesdunklen Firmament und erhellte genug um sie herum, dass sie Folge leisten konnte. Dumpf hämmerte ein glühender Stein von innen an ihre Schläfen und es war schwer, genügend Konzentration aufzubringen, doch auch so war klar, dass sich außer dem Ungeheuer und ihr keine lebende Seele hier aufhielt. Eingestürzte, schwelende Palisaden deuteten auf eine Siedlung hin, rauchende Trümmer waren die einzigen Überreste von Häusern, Lagern, Ställen. Leichen säumten die schmalen, mit Gebälk und zerfetzten Ziegeln blockierten Straßen.

»Ihr habt ein Dorf angegriffen und dem Erdboden gleichgemacht.« Ihre Stimme brach und noch mehr Feuchtigkeit bahnte sich einen Weg über ihre heißen Wangen.

»Das habe ich.« Der Boden unter ihr bewegte sich, und hätte sie nicht bereits gekniet, wäre sie wohl gestürzt. Der Drache hatte seinen mächtigen Körper neben ihr niedergelassen – wie eine übergroße Katze schlang er seinen Schwanz um die gewaltigen Pranken und verdeckte die Krallen, von denen jede einzelne länger als ihr Mittelfinger war. »Glaubst du, dass es irgendetwas gibt, das eine solche Tat entschuldigen könnte?«

Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine absurdere Frage gehört. Wie kam dieses Ungeheuer dazu, überhaupt einen solchen Gedanken zu äußern? Spielte er mit ihr? Katzen amüsierten sich schließlich auch mit ihrer Beute, bevor sie sie verzehrten.

Trotzdem hielt sie inne und dachte nach, verdrängte die Übelkeit, die stetig in ihr aufzusteigen drohte. »Nein«, sagte sie schließlich. »Nichts kann den Tod all dieser armen Menschen entschuldigen. Selbst wenn sie zuerst Euch angegriffen haben sollten …«

»Das haben sie«, unterbrach der Drache sie grollend. »Doch du hast recht. Ich habe viele für die Taten Einzelner büßen lassen. Und ich werde es wieder tun.«

Sie schloss die Augen. »Dann bringt es hinter Euch. Warum das Unvermeidliche hinauszögern? Tötet mich jetzt, das ist barmherziger als Euer böses Spiel.«

Die Bestie überraschte sie, als sie kriechend vor ihr zurückwich. »Oh, du Menschenkind!«, donnerte sie. Heiße Luft fegte über sie hinweg und ließ ihre Haare flattern. »Und ich dachte, in dir sei Intelligenz und Magie! Ich will dir nichts tun, im Gegenteil – ich hoffte, du würdest weiteres Unheil verhindern!«

Sein Gebrüll tat nichts, um ihre Befürchtungen zu verringern.

Sie presste die Hände auf ihr Gesicht. »Wisst Ihr denn nicht, dass keine Magie der Welt die Toten wieder zum Leben erwecken kann? Und ich habe soeben meine Blütezeit erreicht, ich wüsste nicht einmal, wie ich das bewerkstelligen könnte, wenn es denn möglich wäre!«

»Natürlich ist mir das bekannt! Was ich getan habe, ist unmöglich wiedergutzumachen. Aber du kannst verhindern, dass Ähnliches passiert. Du musst verhindern, dass meine Kerkermeister mich auf ihre Feinde hetzen.«

»Ich fürchte, ich verstehe nicht.« Es musste ein Trick sein. Drachen waren bekannt dafür, Hinterhältiges auszuhecken. Jetzt noch wog er sie in Sicherheit – als ob das in seiner Anwesenheit ginge! –, und sobald sie anfing, ihm zu vertrauen, würde er doch noch zuschlagen.

»Natürlich nicht.« Etwas wie ein Seufzen entwich in einem kurzen Aufglühen seinem Rachen. »Es wäre zu viel verlangt. Dass du mich überhaupt verstehst, gleicht einem Wunder. Es muss deine Magie sein, dieselbe, die mich geweckt hat. Normalerweise kann das nur mein Reskis, mein Seelengefährte. Doch die Götter lachen. Er verfügt über keinerlei Magie und du bist kein Teil meiner Seele.«

»Ich verstehe nicht!«, wiederholte sie, nahezu frustriert. »Was ist es, das Ihr mir sagen wollt? Und eilt Euch, denn wenn Ihr es nicht tut, wird mich mein Kopf umbringen. Ich ertrage es kaum noch!«

Die Bestie robbte auf dem Bauch näher und Faye hatte den Eindruck, dass sie versuchte, so harmlos wie möglich zu wirken. Ein unmögliches Unterfangen. Um ihn herum waberte Nebel auf, und durch das Stechen in ihren Augen hindurch hatte sie für einen kurzen Moment das Gefühl, der Drache verblasse und an seiner statt stünde ein Mann vor ihr. »Es ist wichtig, dass du mir glaubst. Auf Vertrauen zähle ich gar nicht, aber du musst wissen, dass das hier« – er ruckte den gepanzerten Schädel, wie es Menschen taten, wenn sie mit dem Kopf irgendwo hinwiesen – »echt ist. Ich bin echt. Mein Name ist Heliarkos, und ich bin ein Drachenwandler, gefangen in dem Nerkeren-Verlies. Deine Magie ist so mächtig, dass sie meinen Geist bereits streifte, als ich noch schlief, tief versunken in der Steinstarre.«

Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder, nicht bereit, sich auf Fragen einzulassen.

»Ich weiß nicht, warum ich hier eingesperrt bin, aber es kann keinem guten Zweck dienen, und in deinem Geist habe ich gesehen, dass du bereits einen der Schlüssel meines Verlieses in der Hand gehalten hast.«

»Bei den Göttern!«, flüsterte sie.

»Es ist ein Verlies mit drei Schlüsseln«, fuhr er fort. »Es trieft vor schwarzer Magie, was mir beweist, dass ich nicht eingesperrt wurde, um unschuldige Wesen vor mir zu beschützen.«

Mittlerweile zitterte sie und biss die Zähne zusammen. Unfassbar grausame Nadelstiche quälten ihren Geist. »Nur einmal angenommen, es stimmt, was Ihr erzählt. Was sollte ich allein schon tun können?«

»Du hast mich geweckt, Hexe. Wenn du nichts tun kannst, wer dann?« Das Knurren war in seine Stimme zurückgekehrt, die Hitze seiner Emotionen verbrannte sie. »Verhindere, dass die Schlüssel in die falschen Hände fallen.« Für einen kurzen Moment schien ihr, dass sie durch die Augen des Drachen sehen konnte, und sie erblickte ein seltsam anmutendes Schloss – wenn es denn eines war. Da war eine mit Metall beschlagene Tür mit einer Luke, wie bei einem Verlies. Doch unterhalb dieser Öffnung wölbte sich die Tür wie eine aufplatzende Blase und in deren Inneren befanden sich drei seltsam geformte Einschnitte. Schon verblasste das Bild und sie befand sich wieder auf dem stinkenden Schlachtfeld. In ihrem Kopf drehte sich alles.

»Ich bitte dich, mich zu befreien. Dort draußen befindet sich ein Teil meiner Seele – ohne sie werde ich sterben. Doch vorher werde ich gezwungen sein, noch einmal viel Leid und Tod zu bringen. Jemand, der weiß, wie, kann mich dazu treiben, so viel Feuer zu speien, dass dieses Schlachtfeld dagegen wie ein tragisches, aber kleines Unglück aussieht. Das, oder du nutzt deine Macht und Gabe und tötest mich, sobald du die Schlüssel besitzt. Was immer du tust, wende dich nicht ab, trau deinem Verstand und vergiss mich nicht!«

Die Worte des Drachen wurden lauter und lauter, dröhnten in ihren Ohren, ließen ihre Trommelfelle platzen, ein feuriges Inferno in ihr erblühen. Sie ertrug es nicht länger, keinen Augenblick mehr.

Faye schrie.

Sullivan

In dieser Nacht hielt er durchgehend Wache, doch vermutlich würden auch die beiden Frauen nicht allzu viel Schlaf bekommen. Sie saßen sich an dem niedrig brennenden Feuer gegenüber, jedoch mit so viel Abstand, wie es innerhalb eines kleinen Lagers möglich war. Sullivan wollte an nichts mehr denken, doch seine Gedanken entließen ihn nicht aus ihren Klauen. Er starrte in die Nacht, aber was er sah, fand nicht vor ihm statt, sondern in seinem Inneren. Vielleicht war es gut, dass sich in diesem Moment keine Feinde in ihrer Nähe aufhielten. Die beiden Männer des Menschenvolkes waren ebenso verschwunden wie die Untoten – er wollte sich nicht einmal vorstellen, wohin die Macht der jungen Hexe sie geschickt hatte. Die Hexe. Er war sich nicht sicher, ob ihr Erblühen vor wenigen Stunden wirklich ein Segen oder nicht doch ein Fluch war. Sullivan biss die Zähne zusammen und wandte den Kopf, um zum Feuer hinüberzusehen, auch wenn er wusste, dass es das Dümmste war, was sich eine Wache leisten konnte; viel zu lange dauerte es danach, bis sich die Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnten. Trotzdem konnte er kaum den Blick abwenden. Es war nicht die Hexe namens Faye, die ihn anzog wie eine Flamme die Motte, es war Audra. Lady Audra, Kandidatin der Hatz, Jägerin des Kronprinzen – und Hexenmeister. Sullivan wollte schreien, gegen etwas treten, seine Fäuste in harte Widerstände hämmern. Audra hatte nicht widersprochen, als Faye sie bezichtigt hatte, sie war nur blass geworden und einen Schritt zurückgetreten.

»Was erzählt Ihr!«, hatte Sullivan an ihrer Stelle die Hexe angefahren. »Ihr steht unter Schock, erholt Euch noch eine Weile.« Verwunderlich war das nicht, immerhin musste sie vieles verarbeiten. Anscheinend war ihr Augenlicht erst jetzt vollständig zurückgekehrt, dann hatte sie erfahren müssen, dass der Mann, mit dem sie seit Tagen unterwegs war, sie all die Zeit belogen hatte, was seine wahre Identität anging, und außerdem hatte sie selbigen auch noch verloren – er befand sich auf der anderen Seite der in sich zusammengestürzten Schlucht, sehr wahrscheinlich lebend und doch so weit entfernt, dass er sich gleich auf der anderen Seite der Welt aufhalten mochte. Sie würden den Berg nicht kletternd überwinden können, und Fayes Magie schien nur zu funktionieren, wenn sie in Lebensgefahr schwebte. Zumindest hatte sie keine Ahnung, wie sie die Kraft in sich dazu bewegen konnte, die Felsbrocken wieder wegzuräumen. Zudem war sie todmüde und völlig erschöpft, wer sollte es ihr also verdenken, wenn sie plötzlich glaubte, einen Hexenmeister vor sich zu sehen? Sullivan wusste, dass Hexenmeister nicht zwingend Männer sein mussten, ihm war ebenso bewusst, dass alle Kandidatinnen auf gewisse Weise skrupellos genug waren, um als Hexenmeister infrage zu kommen, und doch hätte er Audra nicht einmal annähernd in Erwägung gezogen.

Audra.

Die Frau, die es mit jedem Satz, mit jeder hochgezogenen Augenbraue, mit jedem spöttischen Lächeln schaffte, ihn in Rage zu bringen. Und die ihn schwindlig küssen konnte, ohne sich dabei anstrengen zu müssen. Bei den Sumpfgeistern, er hasste sie.

Nein. Das tat er nicht, auch wenn es für sein verdammtes Herz vernünftiger wäre.

Denn sie widersprach nicht. Ließ kein amüsiertes Lachen ertönen. Machte überhaupt nichts, um ihm, Sullivan, die Bürde zu nehmen – den Stein, der aus dem Nichts gekommen war, um ihn unter sich zu zerquetschen. Er bekam keine Luft mehr, für einen Augenblick war ihm so schwindlig wie in dem Moment, als er erfuhr, dass Jägerinnen vom Tod Tyrics berichtet hatten. Doch Audra schüttelte nicht einmal den Kopf, das unternahm Faye an ihrer Stelle.

»Ich …« Sie starrte die Kandidatin mit den erschrockenen Augen eines Rehs an. »Ich weiß es. Ich habe es gespürt, als ich Euch berührte. Euer Innerstes, Eure Seele …« Sie suchte nach Worten, doch wie sollten sie den Aufschlag mildern, den Sullivan zu spüren glaubte? »Sie ist umwunden von dunkler Magie, verdorben und geschwärzt. Aber …« Sie griff erneut nach Audras Hand, die nicht einmal Anstalten machte, sie ihr zu entziehen. Die junge Adlige schien jeden sprühenden Funken, der sie ausmachte, verloren zu haben und sich in ihr Schicksal zu ergeben. »Ihr kämpft dagegen an«, flüsterte Faye. »Wie kann das sein?«

Sullivan hatte sein Schwert gezogen, unbewusst, ohne Absicht. »Was, bei allen Balggnomen der Berglande, habt Ihr dazu zu sagen, Lady Audra? Sprecht doch endlich! Sagt der Hexe, dass sie sich irrt!« Letzteres stieß er regelrecht verzweifelt, fast schon bittend, hervor.

Erst jetzt hob Audra den Kopf, um ihn anzusehen. Das Funkeln in ihren grünen Katzenaugen, das ihn stets und ständig herausgefordert hatte, war erloschen. »Ich lüge nie«, sagte sie einfach und sah teilnahmslos zu, wie er den Boden unter den Füßen verlor, obwohl er fest mit beiden Beinen vor ihr stand.

Er schüttelte den Kopf, dass seine schwarzen Haare flogen. »Nein!«, blaffte er sie an. »Nein! Ich weiß nicht, welches Spiel Ihr jetzt treibt, edle Lady, aber ich weigere mich zu glauben, dass Ihr es wart, die Tyric angegriffen hat.«

»Dann bist du wohl doch dümmer, als ich angenommen hatte, Sully.« Endlich blitzten ihre Augen auf. Wütend, zornig …? Er verstand weniger denn je, was sie dachte. Sein Schwert hob sich ein winziges Stück in ihre Richtung, obwohl er genau wusste, dass er es nicht einsetzen würde, sollte sie jetzt zu fliehen versuchen.

»Lord Sullivan, wartet!«, bat die Hexe.

»Ich bin kein Lord«, knurrte er verbittert. »Ich bin Hauptmann der königlichen Leibgarde!«

Sie seufzte so leise, dass er sich kurz fragte, ob er es sich nicht eingebildet hatte. »Das habe ich vor Kurzem von jemand anderem auch immer gehört, aber ich vermute, bei Euch stimmt es sogar.« Ihr Lächeln war traurig und verschwand in der einsetzenden Dunkelheit wie die letzten Sonnenstrahlen. »Hauptmann Sullivan. Ich verstehe noch gar nicht richtig, wie meine Gabe funktioniert, nur dass ich Wahrheit und Falsch spüren kann. Und so sicher ich weiß, dass Lady Audra der Hexenmeister war, so sicher spüre ich auch, dass noch etwas anderes dahintersteckt.« Sie ließ die Kandidatin nicht los, umschloss ihre Hand noch fester. »Warum habt Ihr … Tyric angegriffen?«

Audra wandte sich ihm zu, ihre Stimme war so klar und deutlich, wie er es von ihr gewohnt war. »Tyric muss sterben, damit ein Bündnis Besta…« Sie griff sich an die Kehle und brach in die Knie, röchelnd. »Das Bündnis …«, stieß sie atemringend hervor, »zwischen …« Ihre Augen traten hervor, ihr Gesicht lief blau an.

»Hört auf!«, rief Faye und Sullivan ließ sein Schwert fallen, um sich neben Audra sinken zu lassen.

Er packte ihre Schultern. »Atmen!«, befahl er ruhig, obwohl sein Herz in einen panischen Galopp gefallen war.

Die Hexe unterstützte ihn. »Atmet, Lady Audra. Denkt sofort an …« Sie starrte hilflos zu ihm herüber. Auch wenn Sullivan nicht verstand, was hier passierte, wusste er, dass sie Audra ablenken mussten, oder sie würde sterben. »Tut doch etwas!«, forderte Faye.

Sullivans Gedanken liefen kreuz und quer. In einem Kampf hatte er noch nie den Kopf verloren, doch hier drohte er weit mehr zu verlieren als seinen Bastard-Sturschädel. Audras Augen verdrehten sich, bis nur noch das Weiße zu sehen war; jeden Moment würde sie bewusstlos werden und wenn sie dann noch immer keine Luft bekam, sterben. Sullivan dachte nicht, er handelte, presste seine Lippen auf ihre und sprach in ihren Mund.

»Atmet, verdammt noch mal. Atmet, Audra, oder ich schwöre, ich folge Euch in das Land der Toten und fordere Euch dort heraus. Ich werde Euren hochadligen Arsch versohlen, Euch zurück ins Land der Lebenden zerren, Euer schwarzes Herz mit dem Schwert durchbohren und auf ein Neues zu den Toten schicken, nur um noch einmal dasselbe von vorn zu beginnen.« Zugegeben, er war nicht stolz auf den Unsinn, den er erzählte, aber er erfüllte seinen Zweck. Audras Lippen bewegten sich, liebkosten seine, dann keuchte sie und er zog sich schnell und kampfbereit von ihr zurück.

Sie sah noch immer nicht gut aus, hielt weiterhin ihren Hals mit den Fingern umklammert, aber in ihr Gesicht kehrte langsam ihre normale Hautfarbe zurück. Sie rang nach Luft, als wäre sie eine lange Zeit getaucht.

»Seit wann glaubst du, mit Süßholzraspeln etwas bei mir erreichen zu können, Sully?«, ächzte sie. »Und wie du mit deinen Waffen umgehst …« Sie schnalzte mit der Zunge, bewegte sich plötzlich mit unglaublicher Geschwindigkeit. In einem Augenblick starb sie beinahe, im nächsten hatte Sullivan sein eigenes Schwert an der Kehle. Audra wählte ihre Worte sehr bedächtig, während sie ihm angespannt in die Augen starrte und mehr Druck auf die Klinge ausübte, als seine Haut ertrug. Ein feines rotes Rinnsal perlte an seinem Hals hinunter. »Die Hexe spricht die Wahrheit, Hauptmann, und ich lüge nie, kann dir jedoch nicht alle deine Fragen beantworten. Verstehst du das?«

Er begriff nur, dass er jetzt sterben würde. Nicht im Kampf. Nicht indem er Tyric schützte, sich vor ihn warf, mit seinem Körper den des Kronprinzen deckte, nein. Er starb, weil er seine Gefühle hatte die Oberhand gewinnen lassen, weil er glaubte, einer Kandidatin trauen zu können. Der kleine Schnitt, den seine scharfe Klinge gezogen hatte, brannte, doch nicht so sehr wie die Scham, die sein Blut erhitzte.

Wieder war es die Hexe, die intuitiv erfasste, was Audra nicht sagte. »Hauptmann Sullivan! Ich verstehe!«

Sie erhob sich, sodass sich die Frauen gegenüberstanden. Beide waren etwa gleich groß und somit kleiner als der Durchschnitt. »Ihr seid der Hexenmeister, der Tyric angegriffen hat, aber es war nicht Euer Wille, nicht wahr? Jemand …« Sie legte den Kopf schief und dachte offensichtlich nach. »Ihr werdet gezwungen«, sagte sie dann langsam. »Jemand kann auf Eure dunkle Macht zugreifen und dieser Jemand … Ich weiß nicht genau. Er hat Euch so in seiner Gewalt, dass Ihr nicht darüber sprechen könnt, oder Ihr leidet …?«

Sullivan hatte noch nie eine solche Fülle an Emotionen über Audras Gesicht huschen sehen. Erstaunen, Dankbarkeit, Erleichterung … es passierte zu schnell, als dass er verstand, was dort alles zu erkennen war. Langsam sank Audras Kopf auf ihre Brust und sie atmete tief aus, dann drehte sie mit einer schnellen Bewegung des Handgelenks sein Schwert um und hielt es ihm hin, mit dem Griff voraus.

»Bei den Sumpffeen, bin ich froh, dass wenigstens eine Person hier Ansätze von Intelligenz aufweist. Walte deines Amtes, Hauptmann, lungere nicht dort unten so herum. Das gehört sich nicht für einen Offizier der Elfengarde.«

Er erhob sich so schwerfällig, als wären die Felsen, welche die Hexe bewegt hatte, auf seinen Schultern niedergegangen. »Lady Audra vom Clan der Cadiens, ich nehme Euch in Gewahrsam.« Seine Stimme klang rau, als hätte er sie jahrelang nicht benutzt. »Ihr habt die Wahl: Gebt mir Euer Wort, dass Ihr nicht versucht, mich anzugreifen oder zu töten, dann werde ich Euch weiterhin gestatten, mich auf meiner Suche nach dem Kronprinzen zu begleiten, unter gewissen Einschränkungen für Euch. Verweigert Ihr Euer Wort, breche ich die Suche nach Tyric ab und bringe Euch sofort zurück zum Hof, auf dass Ihr dort für Eure Verbrechen gerichtet werdet.«

»Du würdest wirklich das Prinzchen im Stich lassen, um mich verurteilen zu lassen? Töte mich doch einfach gleich, dann hättest du keine Probleme mehr mit mir. Niemand würde dich dafür zur Rechenschaft ziehen.«

Er biss so fest die Zähne zusammen, dass sein Kiefer schmerzte. »Kronprinz Tyric vom Lichten Hof hat es über mehrere Wochen geschafft, sich den besten Jägerinnen des Sidhe-Reiches zu entziehen. Er ist Manns genug, auch ohne mich zu tun, was … auch immer er vorhat. Mich binden meine Pflichten. Euer Wort, Lady Audra.« Sein Herz schlug so langsam, als bereite es sich wirklich darauf vor, ins Land der Toten einzutreten.

Sie hob Stimme und Blick. Stolz. Ungebrochen. Als wäre sie sich keiner Schuld bewusst. Er hasste sie. Wollte sie hassen. Das musste reichen. »Ich, Audra vom Cadien-Clan, gebe dir mein Wort: Weder werde ich dich angreifen noch versuchen, dich zu töten. Ich werde dir keine Hindernisse in den Weg legen und nicht fliehen.«

Das war mehr, als er erwartet hatte. Obwohl er sich konzentrierte und über den genauen Wortlaut nachdachte, fiel ihm kein Schlupfloch ein, das ihr gestatten würde, sich aus ihrem Versprechen zu winden, ohne jegliche Ehre und damit alle Privilegien zu verlieren. Schließlich nickte er und sah sich zum ersten Mal seit dem Ende des Angriffs der Untoten richtig um.

Vorher hatten sie sich auf einer Lichtung befunden, die vom Rest des Weges durch einen Nebel abgeschnitten gewesen war. Jetzt sah der Ort nicht anders aus als jeder andere Weg inmitten einer tiefen Schlucht, nur dass es nach vorn kein Weiterkommen mehr gab. Er konnte sich nicht erinnern, was es außerhalb des Nebels gegeben hatte, durch den sie sich gekämpft hatten. Sie mussten zu Fuß weiter, nachdem sich Niamh aufgebäumt und sie abgeworfen hatte, und er fragte sich, ob durch Fayes Macht die dunkle Kraft, die ganz offensichtlich diese Schlucht beherrscht hatte, endgültig verschwunden war. Es war keine Gefahr zu sehen oder zu spüren, nirgends, was nach den schockierenden Ereignissen gerade ein winziger Glücksfall war. Er beschloss, dass es nicht schaden konnte, nach Niamh zu suchen. Selbst in größter Angst würde sie sich nicht zu weit von dem Platz entfernt haben, an dem sie von ihm getrennt worden war, darin war er sich sicher. Dann durchfuhr es ihn. Er hatte zwar Audras Wort verlangt, dass sie ihm gegenüber keine Gewalt verwendete, doch die Hexe hatte er nicht bedacht. Wenn er die beiden Frauen allein ließ … natürlich hätte Audra keinen Grund, Faye anzugreifen, doch das hätte er vormals auch gedacht, wenn es um Tyric ging. Er durfte kein Risiko eingehen. Langsam löste er den Gürtel seines ledernen Reiseumhangs.

»Dreht Euch um und legt die Hände auf den Rücken, Lady Audra«, sagte er leise.

Da war es wieder, das spöttische Lächeln, das so vieles in ihm auslöste. Er unterdrückte den aufsteigenden Zorn und musterte sie teilnahmslos, bis sie tat, was er verlangte. Sorgfältig legte er die provisorische Fessel an, zog sie fest und überprüfte, dass sie Befreiungsversuchen standhielt, jedoch nicht die Blutzufuhr abtrennte. Er führte Audra zu einer Stelle, die sich als Lager für die Nacht eignete, und drückte sie mit sanfter Gewalt zu Boden.

»Bleibt hier, rührt Euch nicht.« Er wandte sich an die Hexe, die ihm schweigend gefolgt war. »Könntet Ihr ein Feuer entzünden?«, bat er. »Ich werde schnell zurück sein, nur auf einen kurzen Rundgang gehen, um zu sehen, ob sich noch irgendwelche Untoten herumtreiben oder die beiden Männer, die Euch gefolgt sind.«

Sie nickte und wies mit dem Kinn auf Audra. »Ist das wirklich notwendig? Sie hat Euch doch ihr Wort gegeben. Ich habe erfahren, dass es für ehrbare Sidhe bindend ist.«

Er lachte bitter. »Habt Ihr das von dem ehrbaren Sidhe erfahren, der sich für mich ausgegeben hat?«

Die Röte, die in ihre Wangen stieg, beschämte ihn und er wandte sich ab, um in leichtem Trab die Gegend zu erkunden. Von grauen Felsen umgeben, eingerahmt in das letzte Licht des Tages, lag vor ihm eine sanfte Ebene mit spärlichem Grün, aber zum Glück frei von Skeletten. Mehrmals pfiff er nach Niamh und endlich, als er schon fast aufgegeben hatte, antwortete ein vertrautes Wiehern, Hufe donnerten und dann stürmte die helle Stute um eine Felsengruppe, von der er geglaubt hatte, dass sie das Ende des Weges darstellte. Er streichelte das Pferd, ließ sich ihre Nüstern ins Gesicht drücken, anschnauben und heißen Atem ins Gesicht blasen. »Ich habe mir auch Sorgen gemacht«, murmelte er Niamh zu und sah sich um, als könnte ihn jemand belauschen. Die Stute sah gut aus, verschwitzt natürlich, aber unverletzt. Seine Satteltaschen waren noch alle vorhanden, sodass sie heute Abend wenigstens über einen Rest Proviant verfügten. Es war unklug, den Ort zu verlassen, ohne abzuwarten, ob die Hexe vielleicht doch noch einen Weg fand, die eingestürzten Felsen zu entfernen. Außerdem war es nie eine gute Idee, sich des Nachts in einer unbekannten Gegend herumzutreiben. Nachdem er mit Niamh den Weg jenseits der Kurve erkundet hatte, kehrte Sullivan zurück zu den Frauen. Die junge Hexe hatte ein glimmendes Feuer errichtet; eine Vorsichtsmaßnahme, die er guthieß. Es mochte im Moment still und ungefährlich sein, aber man musste nicht mit lodernden Flammen potenzielle Gegner auf sich aufmerksam machen. Er teilte Wasser und ein wenig trockenes Brot zwischen ihnen auf. Zum Essen löste er Audras Fesseln, doch später band er sie erneut.

»Du musst mich wirklich fürchten, Sully, wenn du trotz meines Wortes zu solchen Maßnahmen greifst«, spottete sie, widersetzte sich jedoch nicht.

Er wollte sie ignorieren, doch er konnte nicht. »Ich habe Euch vertraut, Lady Audra«, sagte er so leise, dass nur sie ihn verstand. »Ich war wirklich so dumm, wie Ihr es mir auf so unermüdliche Weise verkündet habt. Aber auch ein Bastard ist in der Lage, aus seinen Fehlern zu lernen.«

»Du hältst mich für einen Fehler?«

Er antwortete nicht, ließ sie neben dem Feuer Platz nehmen und reichte Faye seinen Umhang.

»Was habt Ihr vor, Hauptmann … Sullivan?«

»Ich werde Wache halten, edle Lady. Schlaft, wenn Ihr könnt. Wenn Ihr es nicht könnt, ruht Euch wenigstens aus und versucht, warm zu bleiben.«

Mit diesen Worten hatte er sich auf einen der Felsbrocken zurückgezogen, um aufzupassen. Hier saß er seit Stunden und versuchte immer wieder, nicht an Audra und ihren abscheulichen Verrat zu denken, und mit jedem Mal, dass seine Augen wieder zu ihr zurückkehrten, zog sich die Schlinge um seinen Brustkorb enger und enger. Ein winziger Hoffnungsstrahl existierte: Die Hexe hatte gesagt, jemand habe Audra gezwungen. Aber entsprach das der Wahrheit? Und wie konnte man jemanden, der über schwarze Magie gebot, dazu zwingen, etwas zu tun, das derjenige nicht wollte? Was bedeutete das für sein weiteres Vorgehen? Hieß das, Tyric war noch immer nicht außer Gefahr? Wütend hieb er seine Faust auf den Stein unter sich, ohne auf den Schmerz der aufgeplatzten Knöchel zu achten. Er vermisste sie. Er vermisste ihr spöttisches Lachen, ihr Gemurmel am Abend, wenn sie versuchte, ihn auszufragen, die Kameradschaft, die sich in den letzten Tagen, die sie gemeinsam auf dem Rücken Niamhs verbracht hatten, eingestellt hatte. Verdammt! Wie konnte er etwas vermissen, das nie existiert hatte? Benutzt hatte sie ihn, an der Nase herumgeführt, seine Schwäche für sie zu ihrer Stärke gemacht. Das würde kein zweites Mal passieren.

Sullivan fuhr auf, als ein gellender Schrei vom Lager herüberscholl.

Audra

»Wacht auf, Lady Faye, wacht auf! Es ist nur ein Albtraum, kommt zu Euch!«, rief Sully.

Audra stieß ihre Stiefelspitze in die Glut und ein paar Funken stoben auf, lange genug, um das verschwitzte Gesicht und die aufgerissenen Augen der Hexe zu erhellen.

»Er … er hat mit mir gesprochen«, stammelte sie.

»Es war nur ein Albtraum«, wiederholte Sully sanft und seine dunkle Stimme ging Audra durch und durch. »Alles ist gut, Ihr könnt beruhigt weiterschlafen.«

Doch die Hexe schüttelte den Kopf. »Ich … es war kein Albtraum. Es war …« Sie rang nach Luft. »Es war ein Drache. Und er hat zu mir gesprochen, in meinem Kopf. Mir ist klar, dass es sich verrückt anhört, aber ich weiß jetzt, wer in dem Nerkeren-Verlies gefangen gehalten wird.«

Audra wollte lachen, doch etwas hielt sie davon ab. Sie musste Hohn in ihre Stimme zwingen. »Ein Drache? Wirklich jetzt? Und von welchem Verlies redest du?«

Sully ging an ihr vorbei und entfachte das Feuer wieder. Er kniete sich bei seinen Sachen nieder, holte einen Wasserschlauch hervor und reichte ihn der Hexe, die ihn dankbar, wenn auch schwach anlächelte. Wut stieg in Audra auf, ohne dass sie zu sagen wusste, woher diese Wut so plötzlich kam.

»Für den Fall, dass es sich um keinen Albtraum handelt, berichtet mir alles, was in diesem … Nicht-Traum passiert ist. Nehmt Euch Zeit, versucht, Euch an jede Kleinigkeit zu erinnern, denn alles könnte später einmal wichtig werden.«

Das war Hauptmann Sullivan, der dort sprach. Audra ließ sich wieder zu Boden sinken, schloss die Augen und hörte einfach nur zu – der Hexe wie auch dem Hauptmann.

Faye schien sich zu sammeln, denn es dauerte einige Zeit, bis sie anfing, den Traum in allen Einzelheiten wiederzugeben.

»Ihr sagt immer: er. Wie kommt Ihr darauf, dass es sich um einen männlichen Drachen handelt?«, unterbrach sie Sully, nicht unhöflich, aber ganz der Soldat, der Informationen sammelte.

»Ich …« Audra öffnete rechtzeitig die Augen, um zu sehen, wie Faye die Stirn runzelte. »Ich erkenne gleichzeitig auch immer einen Mann – wie einen Menschen. Als würden sich Drache und Mensch ergänzen oder ineinander verschmelzen.«

Ein Gedanke schoss Audra durch den Kopf und sie sprach ihn aus, noch ehe sie darüber nachdenken konnte. »Fyldraki.«

Sully zuckte zusammen. Er verstand also, wovon sie sprach.

»Fyldraki?«, fragte die Hexe, deren Augen aufmerksam zwischen ihnen hin und her huschten.

Sullys Stimme war ein wenig tiefer und rauer als sonst, als er antwortete. »Fyldraki sind eine sehr alte Rasse. Vielleicht kennt Ihr sie unter dem Namen Drachenwandler.«

Faye blinzelte. »Drachenwandler«, murmelte sie. »Heißt das, Ihr glaubt mir, dass es sich nicht um einen Albtraum handelt?«

Audra lachte kurz und bissig auf. »Nein. Diese Fyldraki sind eine Legende, längst ausgestorben. Niemand hat im letzten halben Jahrtausend einen gesehen.«

Die Hexe räusperte sich. »Was bedeutet das – Drachenwandler zu sein? Kann er wirklich seine Gestalt wechseln und wie ein Mensch aussehen? Denn falls ja, heißt das vielleicht nur, dass sich die Fyldraki an die Zeit angepasst haben und so tun, als wären sie Menschen. Vielleicht sind sie der Kämpfe und Kriege müde. Vielleicht sind sie nur noch wenige … und vielleicht werden sie falsch eingeschätzt. Wie Hexen.« Leise fügte sie hinzu. »Und Hexenmeister.«

Audra schüttelte nur stumm den Kopf. Dieses Mädchen hatte wirklich keine Ahnung. Vielleicht sollte sie ihr die Augen öffnen?

»Schätzchen«, sagte sie. »Mach nicht den Fehler zu glauben, dass in Hexenmeistern etwas Gutes stecken könnte. Ich würde mein Lieblingspferd darauf verwetten, vorausgesetzt, es wäre nicht im Sumpf gestorben, dass du immer das nette, kleine Mädchen warst, als das du hier erscheinst. Soll ich dir was sagen? Ich war kaum in der Lage zu laufen, da bemerkte ich, dass ich anders war als die anderen Kinder. Wenn mich jemand stieß oder schubste, dann wallte eine schwarze Wut in mir hoch, so mächtig, dass ich kaum zu atmen vermochte. Eines Tages bin ich auf den Sohn einer Dienerin losgegangen und habe ihn so blutig geschlagen, dass er ohnmächtig wurde. In mir tobte nur der Hass, der mich blind machte, der mir Kraft verlieh, dass ich ein Kind verletzen konnte, das doppelt so alt war wie ich. Ich war gerade erst fünf. Ich war ein Monster, und ich wusste es.« Sie spie der Hexe die letzten Worte entgegen.

Faye legte den Kopf schief und musterte sie mit einer Intensität, die Audra auf der Haut brannte. Der alte, hässliche Zorn in ihr erhob sein Schlangenhaupt, doch Audra hatte gelernt, ihn zu beherrschen. Mit einer mentalen Anstrengung drängte sie die schwarze Schlange in ihrem Inneren in einen imaginären Käfig und verschloss ihn mit einem schweren Schloss. Tief atmete sie durch; es kostete sie immer viel Kraft, gegen die Schwärze in sich vorzugehen.

»Eure Aura wechselte eben in schneller Folge von Violett zu Grau zu Schwarz und wieder zurück zu Violett. Was immer Ihr getan habt, Ihr habt das Monster, wie Ihr es nennt, zurückgedrängt. Ihr wolltet ihm nicht die Oberhand geben – würden böse Leute, würden Monster sich so verhalten?«

»Spar dir deine Nettigkeiten!«, blaffte Audra. »Hast du nicht zugehört? Mit fünf habe ich jemanden schwer verletzt!«

Die Hexe lächelte mit einer Trauer, die in Audra ein Gefühl von Schuld aufkommen ließ. Was, verdammt noch mal, stimmte mit ihr nicht?

»War denn niemand zu diesem Zeitpunkt bei Euch, edle Lady Audra?«, fragte sie.

Audra zuckte mit den Schultern. »Mein Vater«, sagte sie.

»Euer Vater«, wiederholte Faye langsam, als spräche sie zu einem Kind. »Euer Vater, der zweifellos ein sehr geschätztes Mitglied Eures Hochadels ist.« Sie wartete nicht, dass es ihr Sully oder sie bestätigten, sondern fuhr genauso bedächtig fort. »Man möchte sich fragen, welche Art von Mann dabeisteht und zusieht, wie ein kleines Kind außer Rand und Band auf ein anderes losgeht und es schlimm zurichtet. Sagt mir, Lady Audra: Wer ist wohl das Monster? Jemand, der zu jung oder zu unbedarft ist, um zu wissen, dass er etwas Falsches tut, oder jemand, der keinen Finger rührt, um zu verhindern, dass die eigene Tochter einem anderen Kind wehtut?«

In Audra breitete sich ein wohlbekannter Schmerz aus – noch wurde sie nicht gewürgt, aber es war ein Vorbote.

Sullivan schürte das Feuer ein wenig höher, obwohl sich die Nacht bereits dem Ende neigte. »Es gibt jetzt also noch mehr als nur die Aufgabe, unseren Kronprinzen zu finden und nach Hause zu bringen«, sagte er grübelnd.

Faye schüttelte den Kopf. »Er weiß nicht, dass Lady Audra der Hexenmeister ist, freiwillig wird er also nicht zurückgehen. Er blieb bei mir, weil er erst einen Weg finden wollte herauszufinden, wie man schwarze Magie erkennt. Ich habe ihn darauf gebracht, nach Antochtnar zu gehen und sich in der Bibliothek der Gelehrten umzusehen.«

Ein nur selten zu sehendes Lächeln erschien auf Sullys ernstem Gesicht. Audra schob auch die Erinnerung an dieses Lächeln in die Ecke mit all dem Schönen, das sie aufzubewahren beschlossen hatte.

»Er denkt mit, der Junge«, bestätigte der Hauptmann und stand auf. »Es kann nicht mehr unsere oberste Priorität sein, ihn nach Hause zu bringen. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass Danian keinen Zugriff mehr auf das Verlies hat. Im Moment mag er ohnehin nicht in der Lage sein, es zu öffnen, weil ihm Tyrics Schlüssel fehlt, aber vielleicht findet er jemanden, der ihn ersetzen kann, schwarzmagisch hin oder her. Nein.« Er starrte einen Moment zu Boden, bevor er sich abrupt neben Audra niederkniete und ihre Fesseln mit seinem Messer durchtrennte.

»Was tust du?«, fragte Audra, verblüfft über seinen plötzlichen Gesinnungswandel.

Er antwortete ihr nicht, wandte sich stattdessen an die Hexe. »Faye, ich habe eine Bitte, die mir nicht leichtfällt und die Euch in Gefahr bringen könnte.«

»Ich bin eine Hexe und werde von des Fürsten und des Kanzlers Männern gejagt«, erwiderte Faye ruhig. »Ich wüsste nicht, warum ich Euch eine Bitte abschlagen sollte, weil sie gefährlich sein mag. Was kann ich tun? Ich möchte Tyric helfen, aber ich will auch verhindern, dass Danian den Drachenwandler zu unaussprechlichen Taten zwingt.«

»Ihr könnt helfen«, erwiderte Sully bestimmt. »Ich möchte, dass Ihr noch einmal versucht, das Tal freizuräumen, damit Ihr schneller auf die andere Seite kommt und nach … wie heißt die Stadt? Antochtnar?« Auf Fayes Nicken fuhr er fort. »Falls es Euch nicht gelingt, werde ich Euch Niamh geben und Ihr müsst, so schnell sie Euch zu tragen vermag, nach Antochtnar reiten und Tyric suchen.«

Das Mädchen schien verblüfft. »Und was soll ich tun, wenn ich Tyric gefunden habe?«

»Wenn es Euch nichts ausmacht, bleibt bei ihm. Versucht, alles über schwarze Magie und Hexenmeister herauszufinden, wie Ihr es ohnehin vorhattet, denn Ihr habt es geschafft, Zweifel zu wecken. Zweifel an dem, was man immer über Hexenmeister sagt. Schlagt in den Büchern nach, wie man es schafft, einen Hexenmeister so zu bannen, dass er nichts über das sagen kann, was ihn zum Hexenmeister macht. Was ist es, ein Zauber, ein Fluch, ein Bann? Findet alles darüber heraus. Doch wichtiger noch als das ist es, in Erfahrung zu bringen, wo sich dieses geheimnisvolle Verlies finden lässt. Wir müssen in der Lage sein, es aufzusuchen.«

Die Hexe schwieg und war anscheinend so verblüfft, wie sich Audra fühlte. Schließlich nickte sie. »Ein guter Gedanke. Wenn Ihr mir die Frage erlaubt, Hauptmann Sullivan: Was gedenkt Ihr zu tun, wenn Ihr Euch nicht mehr auf die Suche nach Eurem Kronprinzen machen wollt?«

Etwas wie Belustigung huschte über Sullys markante Züge. »Das, was wir Sidhe am besten können, Faye Erdkind. Hat es Euch Tyric nicht gesagt?«

Das helle Lachen der Hexe enthielt Erleichterung und Zuneigung. »Stehlen?«

»In der Tat.« Er drehte sich zu Audra herum. »Helft mir, an die anderen beiden Schlüssel zu kommen, und ich entbinde Euch von Eurem Wort und lasse Euch frei. Niemand, von Tyric abgesehen, wird erfahren, was Ihr getan habt, Ihr könnt gehen, wohin Ihr wollt, solange Ihr nie wieder ins Reich der Lichten Sidhe zurückkehrt.«

Ein heftiger Schmerz fuhr durch ihre Brust und schnürte ihr den Atem ab, doch es war anders als das, was die Schwärze in ihrem Inneren ihr immer antat, um sie davon abzuhalten, sich zu verraten. Auf gewisse Art war es schlimmer als das. Audra biss die Zähne zusammen, schob ihr Kinn vor und setzte ihren hochmütigsten Gesichtsausdruck auf.

»Nichts einfacher als das«, sagte sie mit einer Gleichmütigkeit, die so falsch war wie ihr verräterisches Herz, das einfach nicht aufhören wollte, heftig gegen ihre Rippen zu hämmern.

Sullivan

Das war mit Sicherheit die dümmste Idee, die er je in seinem Leben gefasst hatte, und er konnte nicht einmal genau bestimmen, was ihn dazu trieb. Natürlich war es wichtig, dass kein Menschenfürst in der Lage war, eine tödliche Waffe zu entfesseln, die Hunderte oder Tausende Menschen, Sidhe oder andere Wesen zu töten vermochte. Doch was hatte ihn geritten, dabei auf Audra zu vertrauen? Die Vernunft gebot … ja, was eigentlich? Er konnte sie wohl schlecht irgendwo in Gewahrsam setzen, anketten und fortreiten in der Hoffnung, alles zu überleben und irgendwann zurückzukehren, um sie dann ins Reich der Sidhe zu bringen. Dorthin, wo sie ohnehin nur zum Tode verurteilt worden wäre. Nein, so verrückt sein Plan sein mochte, es war das Beste, Audra beim Wort zu nehmen und sie wenigstens ihre Fähigkeiten und Kräfte zum Wohle aller einsetzen zu lassen.

»Du hast einer völlig Fremden Niamh gegeben«, bemerkte sie beiläufig, als wüsste er nicht selbst, was er getan, wozu er sich entschlossen hatte. Ohne sie einer Antwort zu würdigen, starrte er der Stute und ihrer neuen Reiterin hinterher. Faye war nicht in der Lage gewesen aufzuheben, was sie gestern angerichtet hatte. Die Felsen waren zusammengestürzt, versperrten den kurzen Weg nach Antochtnar, und dabei würde es wahrscheinlich für den Rest aller Zeiten bleiben. Es war nicht so, dass sich die Hexe nicht angestrengt hatte, im Gegenteil. Sie hatte sich so sehr auf die Kraft in ihrem Inneren konzentriert, dass sie nach einiger Zeit rot angelaufen und schließlich ohnmächtig geworden war. Sullivan hatte sie gerade noch auffangen können, bevor sie mit dem Gesicht voran in das kleine Feuer gestürzt wäre. Deshalb war er fast schon gezwungen gewesen, ihr Niamh zu geben – Faye würde wenigstens Tyric schützen können, zumal der Junge offensichtlich durch sie zu dem Mann geworden war, den er immer vor sich gesehen hatte. Sie waren gut für einander, das spürte er mit einer Gewissheit, die ihn selbst verblüffte, und er vertraute tatsächlich auf eine Hexe, die er erst seit gestern kannte.

»Und jetzt hast du was vor? Die Welt zu retten?«

Sullivan löschte sorgfältig das Feuer und warf sich die Satteltaschen über die linke Schulter. »Nicht ich«, sagte er schließlich langsam. »Wir. Wir beide werden die Welt retten oder wenigstens versuchen, Fürst Danian in den Kessel zu spucken.«

»Bei den Geistern, bist du vulgär, Hauptmann.«

»Ich bin nur ein Bastard aus den Sümpfen, was erwartet Ihr, edle Lady?« Er stand auf und marschierte zügig los. »Kommt Ihr? Oder habt Ihr noch etwas Besseres vor? Ich nehme an, Euer Interesse an unserem Prinzen hat sich erledigt.«

Sie holte ihn mühelos ein und hielt dann mit seinen langen Beinen Schritt. »Es war von Anfang an nur wenig Interesse meinerseits für das Prinzchen vorhanden«, behauptete sie.

Das mochte sogar stimmen. Seit er in der Nacht aus ihrem Munde davon gehört hatte, wie es sich anfühlte, immerwährend gegen die Schwärze in ihrem Inneren zu kämpfen, verließ ihn ein Gedanke nicht: dass ihr Vater, Lord Aodhan vom Cadien-Clan, eiskalt zugesehen hatte, wie sie beinahe ein anderes Kind getötet hatte. Welcher Mann tat so etwas? Was fühlte so jemand? Bestenfalls wollte er seine Tochter zu einer gefühllosen Killerin ausbilden, um ihr größere Chancen bei der Hatz einzuräumen. Schlimmstenfalls … schlimmstenfalls steckte noch mehr dahinter, was die Sache nur erschreckender machte. Sullivan hatte nicht das Gefühl, dass Audra aus irgendeinem belanglosen oder gar persönlichen Grund daran gedacht hatte, Tyric anzugreifen.

»Wir verlassen die Schlucht«, erklärte er kurz angebunden. »Wir stehlen Pferde. Wir stehlen Karten. Wir stehlen Proviant. Wir reiten nach Kopays, beobachten den Kanzler, beobachten den Fürsten, stehlen die Schlüssel. Wir reiten nach Antochtnar, wo wir entweder auf Tyric und Faye treffen oder eine Nachricht von Faye vorfinden werden, wo sich das Verlies des Drachenwandlers befindet. Wir suchen es auf, lassen uns sein Wort geben, dass er weder Menschen, Sidhe, Zwerge oder andere Völker angreift, und schicken ihn seiner Wege.« Sullivan erhöhte sein Tempo, in der Hoffnung, dass sie zu sehr außer Atem wäre, um ihn weiter zu belästigen. Doch sie war eine Jägerin und sie hatte eine ähnliche Ausbildung durchlaufen wie er.

Selbstverständlich lachte sie ihn aus. Oder … nein. Das klang nicht spöttisch. Zum ersten Mal hörte er sie voller Amüsement lachen.

»So einfach, Sully? Mehr müssen wir nicht tun?« Da war er, der Spott. Aber es tat nicht weh, ähnelte mehr dem Necken, das er von seinen Schwestern kannte, wenn sie ihn vor lauter Übermut piesackten. Ein heftiges Heimweh erfasste ihn, und er drängte es aus seinen Gedanken.

»Ja«, bestätigte er deshalb. »So einfach. Wenn es allerdings der edlen Lady unterwegs zu langweilig ist, können wir gern noch andere Heldentaten vollbringen, vielleicht ein paar Hexenmeister zur Strecke bringen oder … oh, ich vergaß: Da ist ja schon ein Hexenmeister bei mir.«

Wut flammte in ihren leuchtend grünen Augen auf. »Ach, weißt du was, Sully? Halt die Klappe! Halt sie am besten, bis wir deinen ganzen irrsinnigen Plan erledigt haben und du mir einen Tritt auf die Straße nach Nirgendwo gibst!«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, wir wären schon im Nirgendwo.«

»Du bist so lustig, Hauptmann. Wahrscheinlich bist du mich bald los, weil ich vor lauter Lachen tot umfallen werde.«

Oh, sie war bissig. Sullivan unterdrückte ein Grinsen und marschierte stur weiter geradeaus.

Sie näherten sich dem Ausgang der Schlucht, und Sullivan schob sich die Kapuze seines Reiseumhangs über. Früher oder später würde es bestimmt passieren, dass sie jemand als Sidhe erkannte, doch später wäre ihm lieber. Er hatte keine Lust, sich mit Menschen zu bekämpfen, wenn jede Verzögerung eine Gefahr darstellen konnte. Befriedigt nahm er zur Kenntnis, dass sich auch Audra wieder das Tuch um den Kopf geschlungen hatte, um ihre spitzen Ohren zu verbergen, auch wenn nur völlige Hohlköpfe sie als sittsame Bäuerin ansehen würden. Audra war eben einfach … Audra. Gerade kniete sie am Boden und untersuchte ihn sorgfältig. Sullivan selbst war ein passabler Spurensucher, aber auch nicht mehr, von daher wartete er ihre Erkenntnisse ab.

»Ich sehe deutlich Niamhs Hufe«, sagte sie stirnrunzelnd.

Er zog eine Augenbraue hoch. So? Es hätte ihn gewundert, wenn sie Niamhs Spuren nicht gefunden hätten.

»Deine Stute war nicht das einzige Pferd, das den Weg über die Berge eingeschlagen hat«, erklärte sie und deutete auf den Pfad, der sich deutlich in der Ferne abzeichnete und dann auf halber Höhe der Felsen nicht mehr zu erkennen war. Die Pferde der beiden Männer des Kanzlers waren seiner Meinung nach nicht mehr in der Lage gewesen, überhaupt aufzustehen, geschweige denn, dass sie die von Faye entfesselte Macht überlebt haben könnten. Blieb also nur …

»Sile«, grollte er im selben Moment, in dem auch Audra den Namen der einzigen Kandidatin hervorstieß, die es außer ihr so weit in das Reich der Menschen geschafft hatte.

»Ich nehme an, sie hat ihr Pferd genauso unbeschadet vorgefunden wie du Niamh«, bestätigte Audra. »Wir sollten deinen Plan noch einmal überdenken, Sully.«

Er kratzte sich an der Wange, genau dort, wo sich seine Narbe abzeichnete, die seinem Gesicht jegliche Chance nahm, zu dem eines gut aussehenden Sidhes zu gehören. »Sile ist gefährlich«, überlegte er halblaut. »Wir müssen uns Sorgen machen – aber …« Er verstummte und ballte eine Faust.

»Aber wir können nicht das Schicksal einer Menschenhexe und eines Sidheprinzen über das so vieler Völker und Leben stellen.«

Wer, bei allen Sumpfgeistern, war diese Frau und was hatte sie mit der edlen Lady Audra angestellt? Sullivan konnte sie nur anstarren und nicken. Dieses plötzliche, vernünftige Gebaren der ehemaligen Kandidatin irritierte ihn.

»Könnt Ihr irgendwo Stiefelabdrücke entdecken?«, erkundigte er sich. Sie hatten keine Leichen in der Schlucht gefunden, was nicht unbedingt heißen musste, dass die Männer des Kanzlers überlebt hatten, aber bevor er vom Gegenteil überzeugt wurde, ging er einfach davon aus.

»Die sind nicht zu übersehen«, versetzte Audra, packte seinen Ärmel und zog ihn einige Schritte nach vorn. Wieder wurde ihm bewusst, warum er nicht an ihr gezweifelt hatte, als sie ihn zu der Stelle im Wald führte, um ihm ihre »Beweise« für das Einsetzen schwarzer Magie zu präsentieren. Sie war wirklich gut, nicht so perfekt, wie es Deidre gewesen war, aber nahe dran. Er hätte die Spuren der Männer vielleicht auch gefunden, aber nicht auf den ersten Blick. Und auch nicht auf den zweiten oder dritten, musste er neidlos anerkennen.

»Könnt Ihr ihnen folgen?«

»Sollten wir das denn? Ich dachte, wir nehmen uns den Kanzler … ah!« Sie nickte. »Du glaubst, sie führen uns direkt hin?«

Er zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Aber ich an ihrer Stelle würde mir neue Anweisungen holen. Schließlich kamen sie als Erste wieder aus der Schlucht, und sie konnten nicht wissen, ob jemand anderes überlebt hatte. Wenn sie meine Leute wären, hätte ich mit ihnen einen Treffpunkt ausgemacht; auf jeden Fall würde ich auf irgendeine Art mit ihnen in Kontakt stehen.«

»Wie denn? Kannst du Gedanken lesen?«

Sullivan deutete nach oben, in den strahlend blauen Himmel, der nur von wenigen, zarten weißen Wölkchen durchbrochen wurde. Ein Goldadler ließ sich vom Aufwind tragen, nur gelegentlich mit den Flügeln schlagend. »Wäre ich der Kanzler und verfügte über unermessliche Möglichkeiten, hätte ich ihnen einen Botenvogel mitgegeben.«

»Ein Botenvogel?«

»Meistens handelt es sich um Wanderfalken oder andere sehr schnelle Vögel. Sie sind unglaublich wertvoll, weil ihre Seele an zwei Talismane gebunden wird, sodass sie in der Lage sind, immer zu demjenigen zu fliegen, der einen der Talismane besitzt.«

Audra legte den Kopf in den Nacken. »Mein Vater hat einen Falken. Ich dachte, es wäre ein normaler Jagdvogel.«

»Lord Aodhan«, knurrte Sullivan. »Euer Vater wird mir stetig unsympathischer, edle Lady.«

Sie hielt die Augen auf den Boden gerichtet, während sie einer Spur folgte, die nur sie sehen konnte. »Das ist die erste Gemeinsamkeit, die ich zu meinem Vater finde«, murmelte sie.

Er ärgerte sich, dass er sich nie mehr um die Familien der Kandidatinnen gekümmert hatte, als er es für notwendig gehalten hatte, um die Jägerinnen selbst einschätzen zu können. Natürlich kannte er Aodhan und auch die meisten anderen des Hochadels persönlich; es blieb nicht aus, wenn man dem Sohn des Königs auf Schritt und Tritt wie ein Schatten folgte. Doch er hätte auch ein Auge auf ihre nächsten Verwandten haben müssen, oder? Er schüttelte den Kopf. Das wäre eine unmögliche Aufgabe gewesen, zusätzlich zu all den Beobachtungen, die er über die Kandidatinnen nebst der Ausbildung des Kronprinzen angestellt hatte. Sullivan suchte mit seinen Blicken den Horizont nach allen Seiten ab, doch das Land war flach und leer, eine Hochebene, die nur durch wie verstreut daliegende kleine Wäldchen ein wenig aufgelockert wurde. Audra führte sie in die ungefähre Richtung, aus der sie gekommen waren, und er hoffte, die beiden Männer kannten sich aus, nicht dass sie in nächster Zeit damit beschäftigt waren, hilflos umherzuirren.

»Hat Euer Vater nach dem Tod Eurer Mutter wieder den Bund mit einer edlen Lady geschlossen?«, fragte er und betete, dass er keine alten Wunden aufriss.

Audra schüttelte den Kopf. »Er liegt bei immer wechselnden Frauen, die sich alle einbilden, etwas Besonderes für ihn zu sein. Arme, dumme Ladys.« Ihr spöttisches Grinsen war zurück. »Wobei man ihm zugutehalten muss, dass er jeder Einzelnen von ihnen das Gefühl vermittelt, die Eine zu sein. Bei den Bergfeen, selbst Frauen, die es besser wissen sollten, fallen darauf herein.«

»Zum Beispiel?«

»Die erste Dame der Königin, Lady Siobhan. Zumindest ist sie seine derzeitige Favoritin. Wenn ich es recht überlege, hält er sich bei ihr bereits ganz schön lange, also ist es vielleicht wirklich etwas Ernstes.« Oder vielleicht, dachte Sullivan unbehaglich, ist es eine gute Gelegenheit, während verschiedenen Bettgeflüsters alle Stärken und Schwächen der hohen Lady kennenzulernen.

»Hat er Eure Ausbildung persönlich überwacht?«

Sie sah ihn über ihre Schulter gewandt an. »Verdammt, Hauptmann! Ist dir das Wasser an der Quelle vorhin nicht bekommen? Ich habe dich noch nie so viel reden hören! Warum interessierst du dich plötzlich so vehement für meinen Vater? Aodhan ist ein typischer Politiker, er ist hinterhältig, gerissen und vorausschauend, so wie alle. Wonach suchst du?«

»Bitte beantwortet meine Frage.«

Sie warf die Hände in die Luft. »Ja, verdammt noch mal. Ständig. Dauernd beharrte er, dabei sein zu können, er beschwerte sich, wenn er der Meinung war, ich werde nicht hart genug trainiert, er konsultierte irgendwelche weisen Frauen und bekannte Heiler und zwang mich ein ums andere Mal, irgendwelche scheußlich schmeckenden Tränke in mich zu schütten. Das ist überhaupt eine meiner ersten Erinnerungen, die ich besitze, dass ich – in einem Alter, in dem andere noch an der Brust ihrer Mutter liegen – von meinem Vater gehalten werde und er mir einen Krug mit einer widerlich zähflüssigen und übel riechenden Flüssigkeit an die Lippen presst.«

In Sullivan wuchs der Wunsch, dem Mann eine Abreibung zu verpassen.

»Bleibt stehen!«, befahl er plötzlich, als in der Ferne Häuser auftauchten. Durch diesen Ort waren sie bei ihrer Verfolgung von Deidre und Sile nicht gekommen, und aus dieser Distanz vermochte er nicht zu sagen, wie sicher es war, einfach dort hineinzumarschieren.

»Ach, sei kein Hasenfuß, Hauptmann. Wir müssen jetzt einfach das Risiko eingehen, sonst erfahren wir nicht, wohin sich die Männer des Fürsten gewandt haben. Wie du siehst, werden wir nicht nur deshalb bald keine Spuren mehr von ihnen finden, weil sie bald unter all den Stiefeln und Schuhen der Dörfler verschwunden sein werden, sondern auch, weil dort drüben eine Rinderherde in Richtung Dorf getrieben wird.«

Sie hatte recht. Etwa eine Meile von dem Ort entfernt, an dem sie sich befanden, erhob sich eine gewaltige Staubwolke von dem trockenen Boden, der ganz offensichtlich nichts von dem heftigen Regen abbekommen hatte, der sie in der Schlucht fast hatte ertränken wollen.

»Denk dir schon mal eine nette, kleine Geschichte aus, Sully«, sagte sie plötzlich, fing an zu taumeln und krallte sich an seinem Umhang fest. »Und sei überzeugend.« Sie zwinkerte ihm zu, verdrehte die Augen und ließ sich rückwärts fallen. Er war so überrascht, dass er sie gerade so im letzten Moment auffangen und hochheben konnte.