Dreckiger Orient - Ruth Broucq - E-Book

Dreckiger Orient E-Book

Ruth Broucq

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Beschreibung

Unter der heißen orientalischen Sonne brennt sich die Liebe in das Herz der erfolgreichen Geschäftsfrau Ruth: Bei einem Einkaufsbummel über den Bazar in Hurghada lernt sie den attraktiven Verkäufer Ramsi kennen – von diesem Moment an verändert sich ihr Leben. Nach einer bereits gescheiterten Ehe mit einem ägyptischen Mann ist sie sich nun sicher, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben. Nach nur zwei Wochen zieht das Paar zusammen in eine kleine Wohnung und heiratet. Ruth beschließt, für immer in Ägypten zu bleiben. Doch bereits beim Hochzeitsessen wird ihr Glück getrübt. Ramsi erteilt ihr eine Lektion in Verhaltensregeln für verheiratete, sittsame Frauen im Orient … und aus zarten Küssen wird harte Realität. Die Vorzeichen häufen sich, dass Ruth blindlings in eine Falle gestolpert ist und geradewegs auf eine Katastrophe zusteuert. Es wird Zeit, die rosarote Brille abzusetzen …

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Für Fragen und Anregungen:
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1. Auflage 2017
© 2017 by riva (powered by 100 FANS),
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Luisa Dickhoff
Umschlagabbildung: Ridofranz/iStockphoto
Satz und E-Book: Daniel Förster, BelgernDruck: Books on Demand GmbH, NorderstedtPrinted in Germany
ISBN Print 978-3-95705-015-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95708-022-6
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95708-023-3
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.100FANS.de

Inhalt

Einleitung
Anweisung
Nur aus Liebe
Verschämt
Ablehnung
Frisches Glück
Vereinnahmt
Hochzeit auf Orientalisch
Trennungsschmerz
Überraschung
Hilfsbereitschaft
Gutgläubigkeit
Heimlichkeiten
Gesittete Kleidung
Umgewöhnung
Großzügigkeit
Auswandern
Einschmeicheln
Anpassung
Unfähigkeit
Familiensache
List und Tücke
Schweres Brot
Brüchig
Schwierigkeiten
Stress
Reisefieber
Beschwerde
Verzögerungen
Neue Freunde
Einschränkungen
Umbruch
Seltsame Geschichten
Okkultismus
Trautes Heim
Unfreiwillige Rückkehr

Einleitung

Obwohl ich bereits eine schlechte Erfahrung hinter mir hatte, konnte ich mich der Faszination des Orients nicht entziehen, wollte ich immer noch nach Hurghada umsiedeln. Auch weil ich mich wieder in einen dunkelhäutigen Araber verliebt hatte. Ich hatte zum zweiten Mal einen Ägypter geheiratet, obwohl ich den Basarverkäufer erst wenige Wochen kannte. Bereits beim Hochzeitsessen erteilte er mir dann die erste Lektion in den Verhaltensregeln für eine verheiratete Frau im Orient, was ich sehr demütigend fand. Trotzdem sah ich den Mann und meine Ehe lange durch die rosarote Brille. Nur ganz allmählich musste ich feststellen, dass ich blindlings in eine noch schlimmere Falle gestolpert war als zuvor und dass ich auf eine Katastrophe zusteuerte.

Anweisung

Ungläubig starrte ich ihn an. Ich konnte kaum glauben, was ich soeben aus seinem Munde gehört hatte, aber sein ernstes Gesicht bestätigte es.

Der Mann, den ich gerade erst geheiratet hatte, hatte mir allen Ernstes einen Schleier verpasst, einen unsichtbaren Schleier.

In dem fast leeren Restaurant, in dem wir eigentlich unser Hochzeitsessen genießen wollten, saß ich ihm verschwitzt, aber glücklich gegenüber, doch was er sagte, machte mich fassungslos.

Zugegeben, die ganze Hochzeit war schon ungewöhnlich abgelaufen, aber etwas Ähnliches hatte ich schon einmal erlebt, sodass mich die kühle Zeremonie nicht nachhaltig verwundert hatte. Ich war sowieso erleichtert gewesen, dass mein frisch angetrauter Ehemann die Hochzeit nicht hatte platzen lassen, was angesichts meines Alters hätte passieren können. Auch dass er nachher kein Wort über den gewaltigen Unterschied verloren hatte, erleichterte meine Sorge. Er nahm den Altersunterschied nicht so wichtig wie ich. Aber warum hätte er auch einen Rückzieher machen sollen? Für ihn hatte unsere Beziehung bis dato nur Vorteile gehabt und konnte auch kaum nachteilig werden.

Vielleicht wollte ich es mir nur selbst nicht eingestehen, dass die komische »Hurghada-Hochzeit« eben doch nur eine Alibifunktion hatte und dass ich mir das Ganze einfach schöndachte. Schließlich war dieses »Heiratspapier« nur ein notarieller Ehevertrag, der von beiden Seiten jederzeit aufgelöst werden konnte.

Auch dass sich die komplette Trauungsgesellschaft nach der Unterzeichnung der Urkunde mit einem kurzen Händedruck begnügt und danach zerstreut hatte, ließ ich noch gelten. Denn unser Mittagessen zu zweit hatte mein Mann mir als Romantik-Lunch angepriesen. Darüber war ich sehr glücklich gewesen.

Umso entsetzter war ich, als er mir nun erklärte: »Jetzt bist du also meine Frau. Ich hoffe, du weißt, was das bedeutet? In unserem Land muss die Ehefrau den Namen ihres Mannes immer in Ehren halten, das heißt immer darauf achten, dass niemand schlecht über die Familie reden kann. Deshalb darfst du nicht mit fremden Männern auf der Straße sprechen, nicht in Geschäfte gehen, in denen nur Männer arbeiten, und natürlich nicht zu Männern alleine in die Wohnung gehen oder Männer in unsere Wohnung lassen, wenn ich nicht zu Hause bin. Dann musst du ab heute deine Kleidung sorgfältiger wählen, keine schulterfreien Kleider, kurzen Röcke oder kurzen Hosen tragen. Du musst dich anziehen, wie es sich für eine verheiratete Frau gehört, sittsam und bedeckt. Dass du ein Kopftuch trägst, verlange ich nicht von dir, das kann ich wohl nicht erwarten. Hm, schade. Ach ja, und natürlich möchte ich nicht mehr, dass du mit dem Amir in seinem Auto mitfährst. Hast du das alles verstanden?«

Ich war wie vom Blitz getroffen.

Von Romantik war schon in dem ungemütlichen Lokal, auf den harten Holzstühlen, an dem staubigen Tisch, nichts zu spüren gewesen, denn dazu fehlte nicht nur die brennende Kerze, sondern auch die schöne Musik. Hier gab es nichts dergleichen. Nur Dreck auf Tischen und Stühlen und Sand auf dem Boden. Aber das Speisenangebot war recht akzeptabel, das wusste ich. Für die Einheimischen ein bevorzugtes First-Class-Lokal. Das sah ich anders, aber ich war ja zu Zugeständnissen bereit.

»Ja!«, erwiderte ich noch geistig völlig bewegungslos, obwohl ich eigentlich sagen wollte: Nein! Was? Wie bitte? Hab ich mich verhört? Ich bin doch kein kleines Kind, das nicht weiß, was es tut. Da gibt es aber ein paar Dinge, die kannst du nicht ernst meinen, dachte ich nur. Und nach einer langen Weile fragte ich endlich: »Meinst du das ernst?«

Erstaunt sah er mich an und fragte: »Warum sollte ich das nicht ernst meinen? Das sind normale Verhaltensregeln für eine anständige, verheiratete Frau.«

»Ach ja?«, wunderte ich mich, aber ich widersprach nicht.

Dabei dachte ich ketzerisch: Welch ein Unfug! Natürlich gehe ich nicht zu Männern in deren Wohnung oder lasse irgendwelche Kerle in unsere Wohnung, wenn ich alleine bin. Und warum sollte ich denn Interesse daran haben, fremde Männer auf der Straße anzusprechen? Habe ich doch nie gemacht und hier in einem fremden Land schon mal gar nicht! Bin ich eine läufige Hündin oder verrückt? Was soll das? Aber wenn ich etwas einkaufen muss, und da ist nur ein männlicher Verkäufer im Geschäft, wieso sollte ich da nicht reingehen? Nein, das leuchtet mir nicht ein. Wie soll das gehen? Soll ich dann auf den Einkauf verzichten oder so lange suchen, bis ich einen Laden gefunden habe, in dem auch Frauen verkaufen? Das kann doch nur ein Witz sein!

Aber natürlich mochte ich die gute Stimmung des schönen Tages nicht zerstören, deshalb ging ich nicht weiter auf das Thema ein und schwieg.

Das klären wir alles später, nahm ich mir in Gedanken vor. Schließlich bin ich nicht mehr im Kindergarten.

Meine Mimik muss wohl etwas missmutig ausgesehen haben, denn mein Mann schwenkte plötzlich um.

Er verlegte sich auf die sanfte Tour, streichelte meine Hand und schmeichelte: »Schatz, du verstehst mich schon? Ich meine natürlich für den Fall, wenn du in eine solche Situation kommst. Aber ich denke, dann wirst du schon das Richtige tun. Ich vertraue dir. Denn ich weiß, dass du meinen Namen nicht beschmutzen willst, nicht wahr? Du bist doch eine kluge Frau. Aber lass uns jetzt essen, sonst wird es kalt.«

»Hm, ja, ist es schon fast. Guten Appetit«, murmelte ich.

Als ich ihm zusah, wie er mit beiden Händen das Fleisch griff und gierig hineinbiss, sodass ihm der fettige Saft an den Händen und am Kinn runterlief, war mein Appetit trotz des leckeren Duftes auf ein Minimum zusammengeschrumpft.

Das musste ich ihm noch beibringen, mit Besteck zu essen! Denn mit den bloßen Händen war zwar in Ägypten nicht ungewöhnlich, aber in meinen Augen sehr unappetitlich.

Andre Länder, andre Sitten. Aber schöne Sitten waren anders, und nicht jeder Orientale frönte dieser widerlichen Sitte. Manche aßen auch ganz normal mit Besteck. Mein frisch angetrauter Ehemann leider nicht. Er machte es sich lieber einfach und wählte die animalische Methode. Welch ein Kulturunterschied. Den konnte ich niemals verkraften.

Wir aßen ja nicht zum ersten Mal gemeinsam, und ich verstand nicht, dass er zwar sah, wie gesittet ich mit Messer und Gabel aß, und gleichzeitig trotzdem mit den Fingern in seinem Teller stocherte. Konnte er sich denn nicht denken, dass ich das als unappetitlich empfand?

Nein, ich war ja zu vielen Dingen bereit, akzeptierte so manches, zum Beispiel seine lächerlichen Vorschriften bezüglich meines Verhaltens als orientalische Ehefrau, auch wenn ich diese komischen Regeln mit Sicherheit zumindest lockern würde. Aber essen wie ein Schwein? Nein, das würde ich niemals akzeptieren.

Auch wenn ich aus einer einfachen Arbeiterfamilie kam, ich hätte als Kind mächtig Ärger bekommen, wenn ich im Essen gematscht und die Finger abgeleckt hätte. Hier war das die Regel. Eine eklige Angewohnheit. Außerdem, wenn er von mir Rücksichtnahme verlangte, konnte ich ebenfalls Rücksicht auf mein Empfinden erwarten, das musste dringend geklärt werden.

Im Untergrund ahnte ich, dass ich mich noch an vieles gewöhnen, aber auch so manches ändern musste.

Wie gewöhnlich rülpste mein Mann nach dem Essen. Auch so ein Zeichen, dass es ihm geschmeckt hatte. Zu Hause empfand ich das schon als Zumutung, aber im Restaurant? Und in aller Öffentlichkeit war das für mich am Rande des Erträglichen. Niemand nahm davon Notiz. Gott sei Dank furzte er nicht auch noch! So weit ging das Zeichen des Wohlfühlens bei ihm doch nicht. Das wäre auch über meine Erträglichkeitsgrenze hinausgegangen.

Aber nein, ich wollte mir mein neues Leben und die neue Liebe nicht zerstören lassen! Weder durch irgendwelche Vorschriften noch durch meinen Ehemann und auch nicht durch die staubige Umgebung. Denn dass sich bei Wind am Meer der Sand als Staub überall niederlegt, war eine logische Folge, das musste man in Kauf nehmen, wenn man hier leben wollte. Ja, und das wollte ich mit jeder Faser meines Herzens.

Schon so lange hatte ich mir gewünscht, mein Leben im warmen Süden zu verbringen. Dieses wechselhafte Wetter in Deutschland, die Nässe und Kälte, speziell in meiner Heimat, im regnerischen Bergischen Land, hatte schon immer meinen Kreislauf und meine Laune belastet. Zwar hatte ich eigentlich an Frankreich, Italien oder Spanien gedacht, aber Hauptsache, Sonne und Meer, egal wo.

Nun war ich halt in Ägypten gelandet. Dieses Land war etwas heißer als Europa und auch kulturell ganz anders, aber das würde ich mir doch zurechtbiegen können, davon war ich überzeugt.

Schon seit fast zwei Jahren hatte ich versucht, hier Fuß zu fassen, war aber auf wenig Gegenliebe gestoßen, sondern von den Menschen sehr enttäuscht worden.

Deshalb würde ich mich jetzt nicht verunsichern lassen.

Nur aus Liebe

Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick.

Erst zwei Wochen war es her, dass ich Ramses gesehen hatte. In einem Souvenirshop war er mir begegnet, als ich dabei war, eine Galabea zu kaufen.

Ausgerechnet in der Augusthitze verbrachten meine Mitarbeiterin Marina und ich unseren Jahresurlaub in Hurghada. Weil unsere Kleider vor Hitze am Körper klebten, wollten wir den Einheimischen gleich ein langes, weites Leinenhemd tragen. Auch meine Tochter Rabea, die seit kurzem hier lebte, war dabei.

Natürlich wurde diese Landestracht in vielen Variationen angeboten, uni, bunt oder mit lustigen Motiven bestickt. Die Auswahl war gewaltig in diesem kleinen Lädchen.

Zu dritt standen wir in einem Berg von durchsichtigen, knisternden Papiertüten, packten aus und probierten über unseren leichten Sommerkleidchen. Die Hitze staute sich in der kleinen freistehenden Bude, in der man kaum noch Luft bekam.

Schließlich verbrauchten vier Personen den wenigen Sauerstoff, der durch die mehr als 50 Grad im Inneren des winzigen Raumes sowieso schon recht spärlich war.

Meine Tochter war die Erste, die aufgab und nach draußen flüchtete, ohne etwas gekauft zu haben.

Marina, meine portugiesische Mitarbeiterin, wühlte und probierte unverdrossen weiter. Sie war unersättlich, wie in allem, was sie tat.

Aber auch mich hatte das Einkaufsfieber gepackt, denn ob der riesigen Auswahl war es zu schwierig, sich für ein Stück zu entscheiden.

Gerade hatte ich wieder eine farbenfrohe, leuchtend grüne Galabea übergeworfen, als jemand sagte: »Schön! Die Farbe ist perfekt!«

Ich wandte den Kopf, sah ihn an und traute meinen Augen nicht. Sein Anblick traf mich wie ein Blitz. Ein unglaublich schöner Mann, europäisch gekleidet mit grauer Stoffhose und schneeweißem seidenem Hemd, welches seine dunkelbraune Hautfarbe fast schwarz wirken ließ. Nur ganz kurz sah er mir in die Augen, dann wandte er mir den Rücken zu. Sprach mit dem Verkäufer und beschäftigte sich mit dessen Handy.

Schade. Das wäre ein Mann für meiner Mutter jüngste Tochter. Aber leider hat er kein Interesse, dachte ich enttäuscht und zwang mich, die Blickrichtung zu wechseln, um nicht unangenehm aufzufallen.

Marina war meinem Blick gefolgt, als sie mich angrinste, sagte ich bedauernd: »Hm, lecker. Schade.«

Marina lachte amüsiert laut auf, doch der Fremde drehte sich nicht einmal um. Denn der Schöne verließ eilig die Enge des Ladens und verschwand.

Vergiss es, Ruthchen, bei so einem Schönling hast du null Chancen. Schade, über den hättest du alles andere vergessen können, schoss es mir durch den Kopf.

Marina hatte sich für eine rot-weiße und ich mich für die grüne Galabea entschieden, der Preis war auch in Ordnung, und wir beschlossen, uns einen Gag zu erlauben und in der Landestracht gekleidet zurück zum Mamas zu gehen, um Mahmut zu überraschen. Kichernd verließen wir den Laden.

Ein paar Schritte von dem Ausgang entfernt stand der Schöne.

Es ist wirklich zu schade, dachte ich und wollte an ihm vorbeigehen, als er mich ansprach.

»Du hast eine gute Wahl getroffen, die Galabea sieht aus wie für dich gemacht«, sagte er in französisch gefärbtem Deutsch und kam auf mich zu.

Das Lächeln in seinem Gesicht machte ihn noch schöner. In der Dunkelheit der Nacht leuchteten seine herrlich weißen Zähne, und in seinen tiefbraunen Augen fesselte mich das Feuer der Leidenschaft.

Er fasste sanft meine Hand und hielt sie mit beiden Händen fest, blickte mir tief in die Augen und fragte mit samtweicher, melodischer Stimme: »Kennst du den Sonnenaufgang in Ägypten?«

Ich stand wie angewurzelt, konnte meinen Blick nicht von seinen Augen lösen und antwortete unsicher: »Nein. Das habe ich noch nicht gesehen.«

Sein sanftes Lächeln vertiefte sich und seine leisen Worte waren wie ein Streicheln: »Der schönste Sonnenaufgang hier ist nichts gegen das Strahlen deiner Augen.«

Ein Kribbeln lief meinen Rücken hinunter, ich starrte ihn an, unfähig zu antworten. Konnte nicht glauben, was mir geschah. Hand in Hand stand ich mit dem schönen Fremden, sah ihm schweigend in die Augen, und es war mir ganz egal, wer oder was um mich herum war. Ich sah nur ihn, niemanden sonst. Die Welt schien nur aus zwei Menschen zu bestehen, ihm und mir.

»Mama, was ist denn nun? Wir gehen jetzt. Gehst du mit oder nicht?«, erklang Rabeas energische Stimme kaum einen Meter neben mir. Dann ging sie weiter.

Ich hatte das Gefühl, aus einer tiefen Hypnose zu erwachen, drehte mich mühsam zu ihr und bat mit belegter Stimme: »Gleich, Maus. Nur zwei Minuten. Ich komme gleich nach.«

Noch immer hielt er meine Hand, die ich ihm nur ungern entzog, dabei sagte ich: »Ich muss leider gehen, aber ich komme wieder. Morgen. Morgen um die gleiche Zeit. Hier. Wenn du willst.«

»Ja, schade, dass du gehen musst. Also morgen Abend um die gleiche Zeit«, erklang der Zweifel aus seiner enttäuschten Antwort.

»Nein, wirklich. Ich komme wirklich. Aber jetzt muss ich gehen. Nicht böse sein«, versprach ich.

Er lächelte traurig und versicherte: »Nein. Wie kann ich der Sonne böse sein, wenn sie untergeht?«

Zögernd ging ich ein paar Schritte, drehte mich aber noch einmal um und fragte: »Wie heißt du eigentlich?«

»Ramsi, und du?«, erwiderte er.

»Ruth! Ich heiße Ruth. Und ich komme ganz sicher morgen. Nicht vergessen! Um die gleiche Zeit. Bye-bye«, dann lief ich schnell hinter den langsam schlendernden Mädels her.

Als ich mich noch einmal umdrehte, war er verschwunden.

»Mensch, Mama, seit wann sprichst du denn mit den Basarverkäufern? Du bist doch sonst so abweisend zu denen. Ist ja ganz was Neues. Kenne ich gar nicht von dir«, tadelte mich Rabea erstaunt.

Marina lachte: »Oh, là, là. Ruth ist verliebt!«

Sie konnte mich verstehen, denn Marina hatte sich auch erst Tage zuvor unsterblich in einen Ägypter verliebt.

Nur meine Tochter konnte unsere Freude nicht teilen. Was ich zu dem Zeitpunkt noch ganz unverständlich fand, denn Rabea war schon Wochen zuvor nach Hurghada umgesiedelt, ebenfalls aus Liebe.

»Der gefällt dir? Versteh ich nicht. Ich fand ihn nicht berauschend«, nörgelte Rabea.

An dem Abend hatte ich Mühe einzuschlafen, zu sehr wünschte ich mir ein Leben mit diesem Mann, ich träumte mit offenen Augen davon.

Den ganzen nächsten Tag verbrachte ich in nervöser Vorfreude. Marina und ich schwärmten um die Wette, wie zwei Teenies bei ihrer ersten Verliebtheit. Sie erzählte von ihrem »Sheri« und mein einziges Thema hieß »Ramsi«.

Rabea fand unsere Tagträumereien nervig.

»Mensch, Mama, du nervst langsam. Du kennst den Typ doch noch gar nicht. Warte doch mal ab und sei nicht so voreilig. Woher weißt du denn, ob der nicht auch wieder so ein Arsch wie dein Sady ist? Tu mir nur den Gefallen und sei diesmal ein bisschen vorsichtiger«, mahnte sie besorgt.

»Ach Maus, was soll das? Der Mann hat mir eben auf den ersten Blick gefallen. Nur wegen einer schlechten Erfahrung muss ich doch nicht mit Scheuklappen durch die Gegend laufen«, maulte ich eingeschnappt.

»Einer ist gut. Hattest du bis jetzt mal eine gute Erfahrung mit einem deiner Männer? Soweit ich mich erinnere, waren das alles Arschlöcher. Nun guck nicht so beleidigt, ich meine es doch nur gut mit dir. Ich will nur nicht, dass du schon wieder ’ne Enttäuschung erlebst. Ich meine ja nur, sieh ihn dir erst mal genau an, bevor du eine neue Beziehung eingehst«, warnte sie mich liebevoll.

»Ja, ja, ist schon klar. Aber vielleicht kommt er nachher ja gar nicht?«, zweifelte ich.

»Nee, Ruth, der kommt bestimmt!«, meinte Marina im Brustton der Überzeugung. Ich hoffte, dass sie recht hatte.

Einerseits wollte ich mir selbst Mut machen, andrerseits auch die nicht unberechtigte Sorge meiner Tochter nicht in den Wind schlagen, deshalb schlug ich vor: »Okay, Bea, wenn er heute noch das gleiche Interesse zeigt, bringe ich ihn morgen Abend mit zu deiner Party, wenn es dir recht ist. Bei der Gelegenheit kannst du ihm auf den Zahn fühlen. So eine Feier ist immer eine gute Gelegenheit, jemand zu beschnuppern. Was meinst du?«

Sie stimmte sofort zu: »Ja, eine gute Idee! Mahmut kann ihn dann mal unter die Lupe nehmen, denn der ist gar nicht begeistert davon, dass du dich mit einem Basarmann verabredet hast. Er sagt, dass die Basarleute den Ruf haben, Abzocker zu sein, deshalb sollst du aufpassen.«

»Dummes Gerede!«, winkte ich ärgerlich ab. »Hier redet jeder schlecht über jeden! Das behauptet man über Kellner und Masseure auch, sie würden nur die Touristen abzocken. Dein Freund ist Kellner und Sady ist Masseur. So einen Schwachsinn glaube ich nicht. Über Sady wollen wir jetzt bitte nicht mehr reden, bei dem musste ich das leider feststellen. Aber bei Mahmut trifft das ja nun wirklich nicht zu. Oder hat er dich abgezockt? Nein! Ich denke, dass die Leute sich gegenseitig miesmachen, weil sie einander nichts gönnen«, wollte ich mich nicht beeinflussen lassen.

Verschämt

Am frühen Abend holte Marina uns ab und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zu Mahmuts Arbeitsplatz.

Während die beiden Mädels wie üblich zu Mamas Pub gingen, bog ich an der Ecke beim Hospital ab, Richtung Downtown.

Nur ein paar hundert Meter hatte ich bis zu dem kleinen Souvenirshop zu gehen, aber das Herz schlug mir bis zum Hals, jäh näher ich kam. Aus reiner Verlegenheit wechselte ich auf die andere Straßenseite, sodass ich nicht direkt vor dem Laden ankam. Ich wollte erst aus der Entfernung die Lage peilen, sehen, ob Ramsi vor dem Shop auf mich wartete.

Zu meiner Enttäuschung sah ich nur den Besitzer und noch einen Mann vor dem Laden sitzen. Ramsi hatte mich versetzt. Unschlüssig ging ich langsam weiter, wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte.

Rübergehen und nach ihm fragen? Nein, die Blöße wollte ich mir nicht geben. Was also sollte ich machen? Umkehren, zurück zum Mamas. Was sonst? Immer noch auf der anderen Straßenseite trat ich tief enttäuscht den Rückweg an.

Nach ein paar Schritten hörte ich jemand rufen: »Hallo, hallo, just a moment, please.«

Der Ladenbesitzer kam auf mich zugerannt. Atemlos fragte er: »You come because Ramsi? Please, stay, he will come soon.«

Gott, wie peinlich! Ich schüttelte den Kopf, wollte weitergehen.

Doch er hielt mich auf: »Don’t believe that he forget you. Maybe he is busy and come later. Wait here. Please.«

Bevor ich ablehnend antworten konnte, schlug er mir vor: »Wait, I will call him. You have a mobile phone?«

Ich nickte verwundert.

»Okay, so give me your mobile phone. If I call him from a German number, then he will believe me, you are here«, erklärte er, was er mit meinem Handy wollte. Stumm reichte ich ihm das Gewünschte. Er wählte eine Nummer, sprach kurz auf Arabisch und reichte mir strahlend mein Telefon.

»Hallo? Ruth? Bitte entschuldige meine Verspätung. Ich komme sofort. Gib mir nur fünf Minuten. Bitte warte, ja? Lauf nicht weg, bitte«, klang seine melodisch weiche Stimme in mein Ohr.

»Okay, ich warte«, stimmte ich zu und wunderte mich, dass meine Stimme so fremd klang.

Kaum hatte ich mich auf dem angebotenen Stuhl vor dem Laden niedergelassen, als er eilig über die Straße kam.

Sein Anblick ließ mich erstrahlen. Er sah noch besser aus, als ich es in Erinnerung hatte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Als er sich neben mich setzte, fragte er, was ich zu trinken wünsche. Ich war viel zu aufgeregt, um an solch lapidare Dinge denken zu können. Auf Grund seiner Aufzählung entschied ich mich für Tee, nur um irgendetwas zu sagen. Vor lauter Verlegenheit wusste ich nicht, was ich mit dem Schönling reden sollte. Die Sorge nahm er mir ab.

Er erzählte mir seinen kompletten Lebenslauf, hielt dabei meine Hand und schien die Welt um uns herum vergessen zu haben. So erfuhr ich, dass er erst neunundzwanzig und in Luxor beheimatet war. Aber schon seit acht Jahren in Hurghada lebte. Er hatte seine Familie verlassen, weil der Vater ihn gegen seinen Willen mit der Tochter eines Freundes verheiratet hatte. Weder er noch die junge Frau hatten heiraten wollen, weil sie wie Geschwister aufgewachsen waren, beide sich einen anderen Partner gewünscht hatten, sich aber gegen den Willen der Väter nicht hatten wehren können. So war er kurz nach der Trauung nach Hurghada geflüchtet. Erst ein Jahr danach hatte seine Frau die Scheidung verlangt. Das war einfach gewesen, weil die Ehe nie vollzogen worden war. Sie hatte einen anderen Mann geheiratet, mit dem sei sie noch heute glücklich.

»Und ich bin auch froh, dass ich diese Zwangsehe, die nie eine richtige Ehe geworden wäre, hinter mir habe. Nur mein Vater ist mir bis heute noch böse deswegen. Deshalb habe ich kein gutes Verhältnis zu ihm, und ich gehe auch nur ganz selten meine Eltern besuchen«, schloss er seinen Bericht.

Ich hatte ihm total verzückt gelauscht, seine leise, melodische Stimme faszinierte mich. Er gab mir das Gefühl der Vertrautheit und dennoch war ich unsicher. Wusste nicht, was ich hätte antworten können, wollte das zarte Band, das sich zwischen uns spann, nicht trennen. Und ich hatte Angst vor Fragen nach mir und meiner Vergangenheit. Was sollte ich ihm erzählen, wenn er nach meinem Leben, dem Grund meines Aufenthaltes fragte?

Meine Sorge war unbegründet. Als ahnte er meine inneren Befürchtungen, fragte er nichts, was mich hätte in Verlegenheit bringen können. Nach fast einer Stunde erklärte ich ihm, dass ich nun gehen müsse, weil man mich im Mamas erwarte.

»Jetzt schon?«, fragte er ganz enttäuscht. »Und wann sehen wir uns wieder? Oder möchtest du mich nicht wiedersehen?«

Ich nickte heftig: »Doch, sicher. Ich würde dich gerne morgen zu einer Party mitnehmen. Meine Tochter feiert ihre Wohnungseinweihung gleichzeitig mit dem Einjahrestag ihrer Beziehung. Und ich würde mich freuen, wenn du mit mir dort hingehst. Du bist herzlich eingeladen. Willst du?«, hoffte ich auf seine Zustimmung.

Liebevoll sah er mich an und erwiderte nachdenklich: »Eigentlich gehe ich nicht gerne auf Feste von fremden Leuten. Können wir nicht woanders hingehen?«

Ein wenig enttäuscht erklärte ich: »Morgen nicht, leider. Sei nicht böse, aber ich kann dieser Party nicht fernbleiben. Das würde meine Tochter nicht verstehen. Und alleine gehe ich auch nicht so gerne dahin, weil sicher alle Gäste in Begleitung kommen werden. Komm doch mit, bitte. Du kennst doch meine Tochter, die hast du doch gestern in dem Shop gesehen. Und die anderen Gäste sind alle sehr nett. Alles Freunde und Kollegen von Rabeas Freund. Alle Mamas-Kellner. Bitte sag ja«, bat ich inbrünstig.

Er lächelte. »Also gut, ich kann dir nichts abschlagen. Aber nur eine halbe Stunde, der Höflichkeit halber. Und dann gehen wir beide. Das musst du mir versprechen, dann gehe ich mit dir«, verlangte er. »Und unter einer Bedingung. Ich möchte dich erst morgen zum Mittagessen einladen. Bevor ich mit dir zu fremden Leuten gehe, möchte ich dich etwas besser kennenlernen. Okay? Kannst du morgen Mittag um zwölf hierherkommen? Dann hole ich dich ab und wir gehen von hier aus gemeinsam zum Essen. Ist dir das recht?«, sah er mich bittend an.

Strahlend vor Freude stimmte ich zu: »Ja, gerne, das geht. Das machen wir so. Aber jetzt muss ich gehen. Ich kann die Mädels nicht noch länger warten lassen. Meine Tochter macht sich sonst Sorgen um mich. Nicht böse sein, ja?«

Er zeigte Verständnis, stand auf, sagte: »Okay. Ich werde dich begleiten.«

»Gute Idee. Du kannst ja auf einen Drink mit mir ins Mamas kommen«, war ich ganz begeistert, allen Leuten meine neue Eroberung präsentieren zu können.

Er schüttelte den Kopf, widersprach sanft, aber bestimmt: »Nein, sei nicht böse, aber ich mag das Mamas nicht. Ich bringe dich nur ein Stück. Wir sehen uns dann morgen.« Und nahm mich bei der Hand.

»In welchem Hotel wohnst du eigentlich?«, fragte er unterwegs.

»Ich wohne nicht im Hotel. Ich habe hier eine kleine Wohnung«, klärte ich ihn auf.

Erstaunt stoppte er und fragte: »Du hast eine Wohnung? Ach, das ist aber schön. Hast du auch Fernsehen?«

»Natürlich. Die Wohnung ist klein, aber komplett«, antwortete ich verwundert.

»Wenn ich das vorher gewusst hätte, dann hätte ich ja den Film bei dir sehen können. Du hast mich nämlich mitten aus einem spannenden Film weggeholt. Da kommt mir doch eine bessere Idee! Musst du denn jetzt unbedingt ins Mamas? Sollen wir nicht lieber zu dir gehen, fernsehen?«, schlug er vor

Ich war nur ganz kurz in Versuchung, doch die Vernunft war stärker. Nein, so schnell wollte ich nicht zur Sache kommen. Von wegen fernsehen? Nein, so leicht bin ich nun doch nicht zu haben, mein Lieber. So schön ich dich auch finde. Wenn du keine Zeit hast zu warten, hast du Pech gehabt, dachte ich und schüttelte den Kopf. »Nein, heute noch nicht.«

»In Ordnung«, sagte er nur und lächelte hintergründig.

An der leichten Straßenbiegung sahen wir ein Stück entfernt eine Polizeikontrolle stehen.

»Oh, eine Kontrolle. Vielleicht gehst du jetzt besser zurück, bevor du Schwierigkeiten bekommst«, sagte ich erschrocken und blieb stehen.

Er lachte laut auf, fragte amüsiert: »Warum sollte ich Schwierigkeiten bekommen?«

»Na, meinetwegen«, verstand ich seine Reaktion nicht.

Er lachte immer noch, als er meinte: »Weil ich mit dir spazieren gehe? Wer hat dir denn diesen Unfug erzählt? Ich kann gehen, wohin und mit wem ich will. Ich bin ein freier Mensch in einem freien Land. Mach dir keine Sorgen, wir brauchen keine Angst zu haben.«

Tatsächlich hatte der andere mir mal erklärt, dass ein Ägypter Schwierigkeiten bekäme, wenn die Polizei einen Einheimischen Hand in Hand mit einer Europäerin erwischen würde. Das werde in Ägypten sogar mit Inhaftierung bestraft. Nun stellte es sich als Lüge heraus.

Ramsi sah mich lächelnd an, küsste meine Hand und verabschiedete sich: »Aber gut, wenn es dich beruhigt, ins Mamas will ich sowieso nicht. Dann bis morgen Mittag, nicht vergessen, zwölf Uhr. Diesmal bin ich vor dir da. Schlaf gut und träum was Schönes.«

Dann ging er den Weg zurück.

Am liebsten wäre ich den Rest des Weges gehüpft, so glücklich war ich. Aber ich zwang mich zur Besonnenheit. Wie hätte das ausgesehen?

Ablehnung

Früh wurde ich vor Aufregung wach. Was sollte ich bis zum Mittag machen? Ich ließ mir viel Zeit mit der Morgentoilette, verzichtete auf das Frühstück, denn mein Magen war wie zugeschnürt. Die Zeit schlich langsam dahin. Um kurz nach elf Uhr duschte ich erneut, denn gegen die pralle Sonne konnte der Deckenventilator nichts ausrichten. Auch auf dem Balkon stand die Hitze.

Als ich Punkt zwölf auf der Basarstraße anlangte, fand ich im ersten Moment den kleinen Laden nicht. Bei Tageslicht sah alles ganz anders aus.

Plötzlich hörte ich seine Stimme: »Ruth, hallo. Ruth. Wo willst du denn hin?«

Ich war schon einige Schritte an dem Geschäft vorbeigelaufen. Als Ramsi auf mich zukam, war ich wieder überrascht, was für ein gutaussehender Mann er war. Bei Tageslicht fand ich ihn noch schöner als bei Nacht.

»Komm«, sagte er nur und marschierte los.

Diesmal nahm er mich nicht bei der Hand, und ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Er hatte einen schnellen Schritt drauf, sodass ich mich nach kurzer Zeit fragte, ob er ein Wettrennen mit mir veranstaltete. Er steuerte durch den Basar der Altstadt, in dem die Geschäfte eng aneinandergereiht waren, die Straßen immer schmaler wurden. An vielen neugierigen Augen vorbei lief ich hinter ihm her, wie ein Hund seinem Herrn folgt. Ich fand das sehr unangenehm, noch dazu, da ich es immer schon gehasst hatte, wenn der Mann ein paar Schritte vor der Frau herlief.

Endlich blieb er vor einem Geschäftseingang stehen, wandte sich zu mir um. »Komm!«, sagte er fast befehlend, dennoch unendlich weich.

Erstaunt sah ich mich in dem geräumigen L-förmigen Souvenirshop um. Was wollte er hier? Das war doch kein Restaurant. Wollte er hier mit mir essen? Außer einem kleinen Tisch und zwei unbequemen Hockern im hinteren Teil des Ladens gab es keine Möglichkeit.

Die dunkle, unangenehme Erinnerung an den Angriff des ekelhaften Ladenbesitzers im Hotel Palm Beach verursachte mir ein unangenehmes Gefühl des Misstrauens.

»Setz dich doch bitte. Ich wollte dir erst meinen Arbeitsplatz zeigen und ein bisschen mit dir reden. Was möchtest du trinken, wieder Tee oder was Kaltes?«, fragte er mit liebevollem Lächeln.

»Eine frische Zitrone bitte«, bat ich und fühlte mich schon ein wenig besser, denn die Klimaanlage funktionierte gut.

Wieder nahm er mir jede Verlegenheit, erzählte von seiner Arbeit und machte mir Komplimente über mein Aussehen.

Als ein Boy die Getränke brachte, sah dieser mich erstaunt an und freute sich: »Hi, nice to see you. Welcome back to Egypt. You remember on me? I work in Palm Beach.«

Ich nickte, wusste nicht, ob mir die Begegnung angenehm oder unangenehm war, dennoch erwiderte ich freundlich: »Yes, of course. How are you? Now you work here?«

Nach ein paar freundlichen Worten verschwand der Junge, und ich hatte den Eindruck, als ob Ramsi den kleinen Zwischenfall absichtlich ignorierte. Er fragte nicht danach.

Stattdessen zog er den zweiten Hocker näher zu mir ran, setzte sich mir gegenüber und nahm meine Hand. Dann küsste er mich zum ersten Mal ganz zart.

Die Welt um mich versank.

Nach endloser Zeit mit vielen kleinen Küssen und zärtlichen Worten fragte er: »Bist du jetzt böse, dass ich ganz vergessen habe, dass wir doch eigentlich essen wollten? Sollen wir jetzt endlich essen gehen? Oder soll ich uns etwas bringen lassen?«

Ich schüttelte den Kopf und erwiderte ehrlich: »Nichts dergleichen. Entschuldige, aber ich habe keinen Hunger. Lass uns das auf ein anderes Mal verschieben. Ich muss meiner Tochter noch bei den Vorbereitungen für heute Abend helfen, deshalb ist es besser, wenn ich jetzt ­gehe.«

Er nickte, küsste mich noch einmal und flüsterte: »Entschuldige bitte, aber bei so süßen Küssen habe ich auch keinen Hunger gefühlt. Komm, ich bringe dich, wohin du willst.«

»Okay, dann kann ich dir zeigen, wo wir uns heute Abend treffen können. Wann wirst du kommen?«, fragte ich.

»Leider geht es nicht vor ein Uhr. Ist dir das recht?«

Ich nickte erfreut.

Dann begleitete er mich hinaus, winkte ein Taxi heran, hielt mir die Tür zum Fond auf und nahm neben dem Fahrer Platz.

Ich erklärte ihm, wohin: »Ich muss zum Casablanca!«

Das bekannte Lokal Casablanca lag in der Nähe meiner Wohnung. Als der Fahrer dort halten wollte, bat ich ihn, noch ein wenig weiter zu fahren. Zu Rabeas Wohnung musste ich noch gut hundert Meter weiter. In der Höhe des Hotels Valentine war ich weit genug, und das sollte auch unser späterer Treffpunkt sein, deshalb sagte ich zu dem Taxifahrer: »Aywa, henna.«

Beide Männer lachten überrascht.

Ramsi freute sich: »Oh, du sprichst Arabisch?«

»Nur ein paar Worte, mehr nicht. Also dann bis heute Abend. Ich freue mich«, sagte ich zum Abschied.

Ohne mich umzusehen, lief ich schnell bergauf.

Rabea hatte eine für hier typische möblierte Vierzimmerwohnung in einem neuen Vierfamilienhaus in der dritten Reihe am Hang, gemietet und mit ihrem Freund liebevoll komplettiert. Zwar war es hierzulande üblich, dass man die Wohnungen voll einrichtete, aber nur mit den nötigsten Dingen. Es fehlten die gemütlichen Details, wie Gardinen, Steh- oder Tischlampen, Blumenvasen und Pflanzen und Teppiche. Diese vielen Kleinigkeiten hatten meine Tochter und ihr Mahmut von gemeinsamem Geld gekauft und somit eine anheimelnde Atmosphäre geschaffen.

Während ich meiner Tochter beim Saubermachen, den Einkäufen und Vorbereitungen für das Fest half, erzählte ich ununterbrochen von Ramsi. Erst als ich ihre genervte Miene sah, schloss ich meinen Bericht mit der Frage: »Was hat Mahmut denn dazu gesagt, dass ich den Ramsi heute mitbringe?«

»Nichts, ich hab es ihm noch nicht erzählt. Ist ja auch nicht so wichtig, das sieht er ja dann«, erwiderte sie gelassen.

»Aber was ist denn, wenn ihm das nicht recht ist?«, fragte ich besorgt.

»Quatsch, Mama! Du kennst doch die Gastfreundlichkeit der Ägypter. Warum soll das bei meinem Freund anders sein?«, zerstreute sie meine Bedenken.

Kichernd fragte ich: »Kommt der Sady eigentlich auch?«

Sie stutzte, grinste ebenfalls: »Ja, ich denke schon. Hihi, das wird ja lustig. Der wird aber blöd gucken, wenn du mit ’nem anderen hier bist. Ich freu mich jetzt schon auf sein dummes Gesicht. Geschieht dem Arsch recht. Das wird ja ’ne nette Blamage für Sady. Alle Leute kennen euch, und du malst ihm ’nen Arsch auf die Backe und hast ’nen Neuen im Schlepp. Hihihi«, lachte sie schadenfroh.

Auch ich konnte es mir nicht verkneifen, über den bevorstehenden Gag zu lachen. Wir waren guter Dinge, sodass uns die Arbeit leicht von der Hand ging.

Am frühen Abend ging ich zum Umziehen nach Hause.

Kurz vor Mitternacht trafen die ersten Gäste ein. Marina erschien stolz mit ihrem Sheri, und die Mamas-Leute kamen nach und nach, wie sie Feierabend hatten. Oft lief ich hinaus auf den Balkon, um zur Straße hinunterzusehen.

Als Mahmut kam, wies ich Rabea an: »Sag deinem Mann aber jetzt, dass der Ramsi gleich kommt. Sonst guckt der gleich vielleicht komisch.«

»Okay, wenn du meinst«, meinte sie leichthin und ging ins Schlafzimmer, wo Mahmut gerade seine Kleidung wechselte.

Als sie zurückkam, sah ich ihr die Missstimmung gleich an.

»Was ist, Maus? Hat er gemeckert? Ist Mahmut damit nicht einverstanden?«, traf ich den Nagel direkt auf den Kopf.

»Ach, so ein Blödsinn«, berichtete sie ärgerlich. »Er meint nur, dass er das dem Sady hätte sagen müssen. Weil der sonst glaubt, dass Mahmut ihn ins Messer laufen lassen will. Und wenn schon, hab ich gesagt, ist doch scheißegal. Für Sadys Verhalten dir gegenüber kann ihm ein kleiner Denkzettel nicht schaden. Bei dir war der doch auch nicht rücksichtsvoll. Aber Mahmut sagt, es ginge ihn nichts an, was du mit Sady hast. Er will als Sadys Freund nicht als hinterhältig dastehen. So ein Quatsch.«

»Soll ich lieber gehen, Maus? Das macht mir nichts aus, glaub mir. Ich kann auch mit Ramsi nach Hause gehen«, war ich nun doch ein wenig angenickelt, dass meinem zukünftigen Schwiegersohn sein angeblicher Freund wichtiger war als ich.

»Kommt gar nicht in Frage, Mama. Wegen dem blöden Sady geht meine Mutter nicht. Eher soll der wieder abhauen. Mir egal. Du bist wichtiger als Mahmuts Freundschaft mit Sady!«, lehnte Rabea energisch ab.

Um ein Uhr ging ich hinunter zur Straße. Vor dem Haus traf ich auf einige ankommende Gäste, die mir verwundert hinterherschauten.

Ramsi erschien pünktlich. Ich war selig. Er begrüßte mich sogar mit einem zarten Kuss. In der Hand hielt er ein kleines Päckchen. Ein Präsent für die Gastgeber.

Als wir den schon gut gefüllten Raum betraten, verstummten alle Gespräche. Alle Anwesenden starrten Ramsi an.

Er begrüßte zuerst meine Tochter, bei der Ramsi sich höflich für die Einladung bedankte und ihr das Geschenk überreichte. Und dann machte ich ihn mit Mahmut bekannt. Mein Schwiegersohn sagte nur kurz die Tageszeit, dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu.

So viel zu der landesüblichen Gastfreundlichkeit.

Ramsi übersah diese ablehnende Geste, widmete seine ganze Aufmerksamkeit meiner Person. Alle angebotenen Speisen und sogar die rumgereichten Joints lehnte er ab, beschränkte sich auf eine Cola. Er fühlte sich wohl deplatziert, hatte mit seiner Vermutung, dass er nicht willkommen war, recht gehabt.

Alle anderen männlichen Gäste waren Personal von Mamas Pub, Mahmuts Kollegen, die unter sich bleiben wollten.

Auch Marinas neuer Freund, Sheri, wurde mit deutlicher Distanz behandelt. Man sah unsere Begleiter als Außenseiter. Fremde Hirsche im Revier.

Wir blieben nur die Höflichkeitsstunde, in der Ramsi durchweg meine Hand hielt, während wir auf dem Balkon saßen. Wir hatten mit uns selbst genug, störten uns nicht an den anderen. Waren beide froh, als wir endlich gehen konnten.

Frisches Glück

Die paar hundert Meter bis zu meiner Behausung gingen wir Hand in Hand. Eine seltsame Mischung aus Spannung und Vertrautheit bestand zwischen uns, ließ mich die Übereinstimmung unserer Gedanken und Wünsche erahnen.

Ramsi war entzückt von meiner kleinen Wohnung.

Er lobte die anheimelnde Atmosphäre, die ich mit einigen mitgebrachten Dekostücken geschaffen hatte. Dabei gefiel ihm besonders die sanfte rote Beleuchtung meiner Herzchen-Lampe.

Wider Erwarten war er ein sehr geduldiger Mann, der die Romantik des Augenblickes erkannte und vervollständigen konnte. Wir tranken Sekt, rauchten und tanzten, redeten und schmusten bei leiser Schmusemusik.

Er ließ sich Zeit, bevor seine Zärtlichkeiten zielgerichteter wurden. Über meinen Einwand, ein Kondom benutzen zu wollen, war er leicht erstaunt, fügte sich aber sofort meinem Wunsch. Es wurde eine lange, leidenschaftliche, zärtliche Nacht, und ich war angenehm überrascht, wie viel Übereinstimmung zwei eben noch fremde Menschen verbinden konnte. Es machte mich glücklich, dass er meine Vorliebe teilte, zu der nächtlichen Zeit auf dem Balkon zu sitzen und die frische Luft sowie die Geräusche der Nacht zu genießen.

Mit dem ersten Morgengebet des Muezzins verabschiedete er sich.

Als ich alleine im Bett lag, dachte ich über die erste Enttäuschung nach, die er mir damit bereitet hatte. Warum war er gegangen? Vielleicht wartete doch jemand auf ihn? Hatte er mich angeschwindelt? War immer noch verheiratet und musste deshalb nach Hause? Hatte er doch nur ein Abenteuer für eine Nacht gesucht? Denn er war gegangen, ohne mich um ein Wiedersehen zu bitten. Gab es in diesem Land oder diesen Urlaubsgebieten keinen ehrlichen Mann mehr? Waren denn alle nur auf Sex und Geld aus?

Spät am Nachmittag wurde ich wach. Ich war nass geschwitzt. Der Gesang des Muezzins sagte mir, dass es gegen drei Uhr sein musste.

Bei der Erinnerung an die vergangene Nacht fühlte ich mich glücklich und unglücklich gleichzeitig. Aber beim Anblick des Sonnenlichts erwachte die Hoffnung. Vielleicht hatte er mir ja eine Nachricht gesandt? Mein Handy zeigte keine Mitteilung an. Unter der Dusche überlegte ich, wie ich mich verhalten sollte. Konnte ich ihm eine SMS schicken? Aber sähe das nicht so aus, als liefe ich ihm hinterher?

Rabeas Erscheinen half mir weiter. »Maus, gut, dass du kommst. Ich bin so durcheinander, ich brauche mal deinen Rat. Der Ramsi ist gegangen, ohne etwas von einem Wiedersehen zu sagen. Meinst du, ich soll ihm ’ne SMS schicken oder ihn anrufen?«, überfiel ich sie aufgeregt.

Sie sah mich verwundert an und fragte schnodderig: »Wie? Habt ihr nicht gepoppt?«

»Mensch, musst du denn so direkt sein? Klar hatten wir Sex. Aber als er ging, hat er nichts gesagt«, erklärte ich ärgerlich.

»Was bist du denn so empfindlich? War doch nicht böse gemeint. Wann ist er denn abgehauen?«, wollte sie wissen.

»Ach, die Uhrzeit weiß ich nicht mehr. In der Frühe irgendwann«, erwiderte ich missgestimmt.

Sie grinste, verstand sofort: »Ach so, jetzt weiß ich, wo die Glocken hängen. Du bist sauer, weil er nicht geblieben ist. Ist ja komisch, das finde ich auch. Ich denke, es wartet niemand auf ihn? Und jetzt vermutest du, dass er dich belogen hat. Tja, Mama, kann sein, kann andere Gründe haben. Aber eines steht fest, wenn du jetzt den ersten Schritt machst, sieht es blöd aus. Auch wenn es dir schwerfällt, warte. Er wird sich sicher melden«, riet sie mir.

Ich nickte zustimmend. »Und wenn nicht?«, fragte ich besorgt.

»Dann hast du Pech gehabt. Hast du wieder mal ’ne Niete gezogen. Dann wollte er nur mal mit dir in die Kiste. Bis morgen würde ich an deiner Stelle auf jeden Fall warten«, riet sie achselzuckend. Was sollte ich darauf noch sagen?

Nachdem ich angezogen war, gingen wir gemeinsam zu ihr, um das Chaos vom Vorabend zu beseitigen.

Vergeblich wartete ich auf Nachricht von Ramsi.

Später nahmen wir im Mamas unser Abendessen ein, was wir uns redlich verdient hatten. Denn die umfangreiche Säuberungsaktion hatte einige Stunden in Anspruch genommen, sodass es schon spät am Abend war. Trotz des schmackhaften Mahls war meine Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt.

Keine Nachricht von Ramsi.

Kurz nach elf hatte ich keine Lust mehr zu bleiben. Ich ertrug die vielen fröhlich lachenden Menschen in dem Lokal nicht mehr, konnte meine tiefe Enttäuschung nicht länger überspielen, wollte lieber alleine sein.

Auf dem Spaziergang nach Hause drehte ich mich nach jedem Taxi um, sah in jeden vorüberfahrenden Bus, in der Hoffnung, den Mann meiner Sehnsucht zu erspähen. Vergebens.

Zu Hause warf ich mir die Galabea über und setzte mich auf den Balkon und gab mich meiner hilflosen Enttäuschung hin.

Kaum zehn Minuten waren vergangen, als ich ihn erblickte. In seiner zügigen Gangart kam er auf das Haus zu, sah zu mir hoch und winkte mir zu. Ich rannte zur Haustür, öffnete ihm und lachte ihm selig entgegen.

Er schloss die Tür hinter sich, nahm mich in die Arme und fragte leise: »Hast du gedacht, ich wäre nicht mehr wiedergekommen? Dachtest du, ich wollte nur eine schöne Nacht?«

Ich fühlte mich ertappt, bestätigte beschämt: »Ich dachte, du hättest mich schon vergessen.«

Zart küsste er mich und fragte: »Wie kann man die Sonne vergessen, wenn man weiß, wie wunderschön sie scheint? Dein Anblick ist für mich wie die Sonne, deren Strahlen Licht und Wärme geben. Wie soll ich ohne die Sonne leben, wenn ich sie zu finden weiß?«

Ich wusste keine Antwort, denn seinen romantischen Vergleichen hatte ich nichts hinzuzufügen, aber auch nichts entgegenzusetzen. Die waren ungewohnt für mich und machten mich verlegen.

Ramsi schaffte es erneut, dem Abend einen romantischen Rahmen zu geben. Ob wir uns liebten, tanzten oder auf dem Balkon saßen und redeten, er wusste bei mir das Gefühl hervorzurufen, die einzig interessante Frau auf der Welt zu sein.

Aber er hatte eine ebenso ausgeprägte lustige Seite. Des Öfteren brachte er mich mit seinen Erzählungen zum Lachen. Er erzählte die unglaublichsten Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend, dass ich mich vor Lachen krümmte. Er entpuppte sich als ein Mann, bei dem keine Langeweile aufkam, selbst dann nicht, wenn wir gemeinsam schwiegen.

Auch sein Einfühlungsvermögen erstaunte mich sehr, denn er fragte mich plötzlich liebevoll: »Was für ein Problem bedrückt dich die ganze Zeit? Willst du es mir nicht sagen? Weißt du, ich liebe keine Missstimmungen oder innere Zweifel. Wenn dich etwas quält, du etwas fragen oder sagen willst, mach es sofort. Verschiebe nichts auf später, das ist nicht gut für die Seele. Lass uns die Vereinbarung treffen, dass wir uns nie mit Heimlichkeiten oder Schweigen quälen, sondern immer alles sofort klären. Ja? Also, heraus damit.«

Ich sah ihn betroffen an, nahm allen Mut zusammen und fragte: »Warum bist du gestern Nacht nicht hiergeblieben? Wartet zu Hause jemand auf dich?«

Er lachte, aber es war kein beschämendes Lachen, als er erklärte: »Ach, das ist es. Nein, mein Liebes, niemand wartet auf mich. Ich bin gegangen, weil ich dich nicht in Verlegenheit bringen wollte, wenn man mich morgens hier rausgehen sieht. Nur deinetwegen. Glaube mir, ich wäre viel lieber bei dir geblieben.«

»Aber das brauchst du nicht!«, staunte ich über seine Rücksichtnahme. »Hier brauche ich niemanden zu fragen. Außerdem sieht man dich in diesem Haus eher in der Nacht gehen als am Tage. Die ganzen Mamas-Leute wohnen hier, die sind in der Nacht wach und schlafen bis mittags.«

»Und der Hausbesitzer? Wohnt der nicht hier?«, wollte er wissen.

Ich nickte, erklärte beruhigend: »Aber der Amir ist in Ordnung. Der macht mir keine Probleme. Deshalb brauchst du nicht zu gehen. Weißt du, ich mag es nicht, wenn du dich nach dem Sex anziehst und gehst. Ich weiß nicht, warum, aber ich hasse das.«

Ramsi schmunzelte, streichelte meine Wange und sagte verständnisvoll: »Ich verstehe schon, warum. Und du hast recht. Wenn du möchtest, schlafe ich gerne bei dir. Ich möchte gerne neben dir wach ­werden.«

Wieder fehlte mir die Antwort.

Als er mittags ging, sagte er wieder nichts, aber ich fragte auch nicht, denn ich hatte das sichere Gefühl, dass er am Abend zurückkommen würde. Meine Ahnung trog mich nicht.

Vereinnahmt

Zwei Tage später war ich damit beschäftigt, meine Wäsche auf dem Balkon aufzuhängen, als ich zufällig meinen Verflossenen gegenüber aus dem Supermarkt kommen sah. Auch Sady hatte mich gesehen, und ich zog mich sofort aus seinem Blickfeld zurück. Obwohl ich mit solchen Begegnungen rechnen musste, schließlich wohnten wir Wand an Wand im gleichen Haus, war es mir unangenehm.

Eine Stunde später wollte ich noch einige Dinge einkaufen und ging zu dem Supermarkt hinüber.

Ich stand an der kleinen Kasse, um zu bezahlen, als hinter mir Sadys Stimme erklang: »Allo, how are you?«

Ich ignorierte ihn, blieb stur stehen, drehte mich nicht einmal um, nahm das Wechselgeld in Empfang, packte meinen Einkauf und ging stumm an dem Verdutzten vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Es war mir ein innerer Vorbeimarsch, meinen verflossenen Liebhaber abblitzen zu lassen, denn dieser Mann hatte mich genug Leid und Geld gekostet. Er hatte mir Liebe vorgeheuchelt, mit erfundenen Problemen mein Mitleid hervorgerufen, lediglich um sich auf diese Weise finanzielle Vorteile zu verschaffen. Dank meiner Gutgläubigkeit und meiner sozialen Einstellung war es ihm sogar gelungen, von mir das Startkapital für seine Selbstständigkeit zu erschwindeln.

Als ich dann nicht mehr bereit war, seine finanziellen Forderungen zu befriedigen, hatte er mich verstoßen. Das war in diesem Land die größte Demütigung für eine Frau, von ihrem Mann verstoßen zu werden. Sady wollte auf diese Art seine Forderung erpressen. Aber bei mir hatte er damit die gegenteilige Wirkung erreicht. Ich hatte eingesehen, dass dieser Mann meine Gefühle nicht erwiderte und dass er nur auf Abzocke aus war, und mich von ihm distanziert.

Mit dem Vorzeigen meines neuen Liebhabers auf Rabeas Party und meiner ablehnenden Haltung vor den Augen des Ladenbesitzers hatte ich mich für Sadys mieses Verhalten gründlich revanchiert.

Obwohl sein Anblick mir immer noch unter die Haut ging, fühlte ich mich endlich rehabilitiert.

Kurz darauf kam Rabea hereingeschneit, und ich erzählte ihr von dem Vorfall. »Meinst du, der Sady hat allen Ernstes eine Antwort erwartet? Das kann der doch nicht ernsthaft glauben?«, empörte ich mich.

Sie schmunzelte, berichtete: »Doch, das hat er wirklich geglaubt. Das habe ich dir nämlich noch gar nicht erzählt, Mama. Am Tag nach unserer Party hat Sady sich bei Mahmut erkundigt, was für ein Typ das ist, mit dem du jetzt zusammen bist, und wie der aussieht. Hihi, das hat dem Sady wohl doch gestunken, dass du mit einem anderen bei uns warst und dass die ganzen Mamas-Leute den gesehen haben. Dann hat Sady zu Mahmut gesagt, was du denn ausgerechnet mit ’nem Basarmann willst. Der wollte dich doch bestimmt nur ausnehmen. Und wenn er wollte, könnte er dich jederzeit zu sich zurückholen. Dann war das vorhin sicher der erste Versuch.«

»Und bestimmt auch der letzte. Nach dieser Abfuhr weiß Sady jetzt sicher, dass er keine Chance mehr hat«, wies ich Sadys Behauptung weit von mir.

Sie nickte zustimmend: »Genau das hab ich auch zu Mahmut gesagt. Nie im Leben guckt meine Mama den Sady auch nur mit dem Arsch noch einmal an.«

»Das stimmt! Zudem finde ich das sehr unverschämt von Sady, sich so negativ über meinen Ramsi zu äußern. Gerade der Sady hat es nötig! Der soll mal erst vor seiner Haustür kehren, bevor der über andere urteilt. So ein Unfug! Basarmann, was soll das denn heißen? Wenn die Masseure einen besseren Ruf haben, heiße ich ab heute Gustav. Es stimmt wirklich, hier fällt jeder über jeden her. Schrecklich. Die sollen sich doch alle mal erst an die eigene Nase fassen!«

Als ob er etwas geahnt hätte, brachte Ramsi abends genau das Thema zur Sprache.

Er fragte mich rundheraus: »Seit wann ist deine Beziehung mit dem Sady eigentlich zu Ende?«

Auf meinen erstaunten Blick erklärte er: »Du kannst dir vielleicht denken, dass man mich darüber informiert hat. Du musst wissen, Hurghada ist ein kleines Städtchen, und wenn man wie ich lange hier lebt, kennt man jeden und man erfährt fast alles, ganz schnell. Die Leute, die hier leben, reden gerne und viel.«

Nachdem ich mir darüber klar war, dass nur der kleine Boy, der mich vom Palm-Beach-Hotel kannte, meinem Ramsi sein Wissen vermittelt haben konnte, antwortete ich wahrheitsgemäß: »Vor drei Monaten haben wir uns getrennt.«

»Wart ihr lange zusammen?«, wollte er wissen.

»Fünfzehn Monate«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.

»Und wer hat Schluss gemacht?«, ließ er nicht locker.

»Ich!«, sagte ich knapp.

»Gut!«, schloss er das unerquickliche Thema ab.

Noch in derselben Nacht fragte er mich, ob ich mit ihm zusammenbleiben wolle. »Weißt du, Darling, ich möchte nicht, dass du irgendetwas über mich von anderen Leuten erfährst, deshalb möchte ich dir selbst etwas sagen. Ich war in all den Jahren auch nicht ohne Affären. Meist kurze, aber auch eine längere. Aber das ist vorbei. Ich glaube, ich habe gefunden, wonach ich immer gesucht habe. Deshalb glaube mir eines, du bist die letzte Station in meinem Leben. Wenn du auch das Gefühl hast, bei mir am Ziel deines Weges angekommen zu sein, dann lass uns alles Vergangene vergessen. Das Gestern ist nicht mehr wichtig, nur unsere Zukunft zählt. Wenn du der gleichen Meinung bist, dann möchte ich gerne zu dir ziehen. Hier in dem schönen kleinen Apartment mit dir zusammenleben. Willst du?«

Ich bejahte seinen Vorschlag überglücklich.

»Und noch eines musst du wissen, nie soll Geld in unserer Beziehung eine Rolle spielen. Ich werde meinen Teil der Miete bezahlen, denn ich möchte nicht, dass du jemals das Gefühl hast, dass ich finanzielle Interessen habe. Und was für Fragen du auch hast, ich werde immer ehrlich zu dir sein. Ob du hier bist oder in Deutschland, ich werde dich immer respektieren. Es wird keine andere Frau für mich geben, und du musst mir versprechen, dass es für dich auch keinen anderen Mann geben wird. Auch nicht, wenn du in Deutschland bist und wir längere Zeit getrennt sein müssen. Verstehst du das?«

Kann ich es wirklich glauben? Habe ich endlich den Mann gefunden, der mir das geben kann, wovon ich immer geträumt hatte? Ist denn niemand da, der mich kneifen kann? Wach ich oder träum ich?, dachte ich voller Glückseligkeit.

Schon am nächsten Tag rannte ich zu Amir, trug ihm mein Anliegen vor, dass ich mit meinem neuen Lebensgefährten zusammenwohnen wollte. Holte mir seine Erlaubnis ein. Er hatte nur einen Einwand, nicht ohne den Contract.

Ja, natürlich, das hätte ich wissen müssen. In Ägypten war es ja gar nicht anders möglich. Ohne diesen Vertrag war es zu riskant zusammenzuleben.

Auch mit Sady hatte ich damals den sogenannten Hurghada-Contract geschlossen. Und damit hatte er mich ebenfalls belogen und betrogen, weil er mir dafür viel mehr Geld aus der Tasche gelockt hatte, als es in Wirklichkeit gekostet hatte.

Die Unwissenheit und mangelnde Kenntnis der Landessitten und der Sprache waren auf jeden Fall nachteilig. Im Nachhinein durfte ich gar nicht darüber nachdenken, wie blauäugig ich alles geglaubt hatte, was er mir erzählt hatte. Dass es tatsächlich nur zehn Prozent dessen kostete, was er mir damals abgenommen hatte, wusste ich jetzt von meiner Tochter, die ja nun auch das Dokument hatte.

Also musste ich wieder heiraten. Musste? Gerne doch! Aber wie sollte ich es meinem Liebsten sagen? Peinlich. Aber wieso denn? Er müsste das doch selbst wissen.

Am Abend wunderte ich mich erneut, glaubte fast an übersinnliche Fähigkeiten oder Gedankenübertragung. Ohne dass ich das Thema berührt hatte, fragte er: »Du weißt sicher, dass wir heiraten müssen, wenn wir zusammenleben wollen?«

Als ich stumm nickte, fuhr er fort: »Willst du mich denn heiraten? Oder hast du es dir anders überlegt?«

Ich schüttelte heftig den Kopf, konnte vor Aufregung keinen Ton sagen.

»Hattest du mit Sady auch einen Contract?«, fragte er, und mir wurde heiß vor Sorge, es könnte ihn stören. Wieder bestätigte ich mit stummer Gestik.

»Hast du das Papier noch?«, hakte er nach.

Und obwohl kein falscher Unterton in seiner Stimme lag, wurde meine Angst stärker, dies sei ein Hindernis.

»Ja«, hauchte ich verschämt.

»Hast du den Vertrag hier?«, fragte er weich.

Ich nickte wieder nur, griff nervös in meine Handtasche und brachte das unsinnige Dokument zum Vorschein.

»Warum hast du das aufbewahrt? Brauchst du es denn noch?«, klang nicht der leiseste Vorwurf aus seiner Frage.

Heftig verneinte ich stumm, zerriss das Papier, und viele kleine Fetzen verteilten sich auf dem Bett.

Er lächelte zufrieden, nahm mich in die Arme und liebte mich. »Jetzt bist du geschieden und der Weg ist für uns frei«, flüsterte er mir zärtlich ins Ohr, während wir die zerrissenen Überbleibsel meines Irrtums unter uns begruben.

Ein paar glückliche Tage in himmlischer Eintracht und Übereinstimmung lebten wir zusammen, ohne dass wir das Thema noch einmal berührt hatten.

Eines Abends sagte Ramsi unvermittelt: »Nun sind wir schon eine Woche zusammen, ich wohne hier und könnte eigentlich glücklich sein, aber ich bin auch ein wenig traurig.«

»Warum?«, fragte ich ganz erschrocken.

»Weil du mich doch nicht ernsthaft willst«, antwortete er ernst.

»Aber nein, Ramsi, wieso denn?«, fragte ich verwirrt nach dem Grund.

»Darling, ich habe dich gefragt, ob du mich heiraten willst. Aber jetzt wohne ich schon hier und du hast nicht mehr davon gesprochen. Also meinst du es nicht ernst!«, kam sein leichter Vorwurf.

Ich lachte erleichtert auf, erklärte: »Oh mein Gott, und ich dachte, du hättest es dir anders überlegt. Darling, natürlich will ich. Aber mein Problem ist, wie soll ich es sagen? Na ja, du weißt doch gar nicht, wie alt ich bin, und deshalb ...«

Er legte lächelnd die Hand auf meinen Mund, unterbrach mich sanft: »Psst, was soll das? Meinst du, ich bin dumm? Du erzählst mir von deinem Leben, deinen erwachsenen Kindern, und ich kann mir das nicht selbst ausrechnen? Darling, in unserem Denken gibt es kein Alter. Für uns ist nicht das Alter wichtig, sondern der Mensch. Vergiss dein Alter, es interessiert mich nicht. Also, du willst auch? Dann heiraten wir morgen?«

Ich nickte stumm vor Glück.

In dieser Nacht sprachen wir lange über unsere gemeinsame Zukunft. Dabei hatte ich den Eindruck, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass ich so bald als möglich für immer bei ihm bleiben würde. Dass er hoffte, mich nicht nur von Zeit zu Zeit bei sich zu haben, sondern dass ich meinen Wohnsitz in Deutschland aufgeben und ständig mit ihm zusammen sein würde. Er wollte eine wirkliche Ehe führen, keine Urlaubsliebe.

Nichts war falsch oder unehrlich an ihm.

Endlich hatte ich den Mann meiner Träume gefunden.

Hochzeit auf Orientalisch

Die »Hochzeit« fand zwei Tage später, am 17. August, statt. Mittags um ein Uhr sollte ich zu seiner Arbeit kommen, von dort wollten wir zum Notar gehen.

Ich war total nervös, hatte Angst wie ein Teenager. Machte Rabea noch mit fertig. Zehnmal wechselte ich die Garderobe, zupfte verzweifelt an meinen Haaren herum und war mit meinem Aussehen sehr unzufrieden.