Drei Frauen am See - Dora Heldt - E-Book
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Drei Frauen am See E-Book

Dora Heldt

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Beschreibung

»Dora Heldt beweist erneut, warum sie Deutschlands Bestsellerqueen der Unterhaltungsliteratur ist!« Alex Dengler auf ›denglers-buchkritik.de‹ Sie sind enge Freundinnen von Kindesbeinen an: Marie, Alexandra, Friederike und Jule. Egal, wohin ihre Lebenswege sie verschlagen hatten − einmal im Jahr trafen sie sich im wunderschönen »Haus am See«. Als Marie, die Seele der vier, mit Anfang fünfzig stirbt, trifft die Nachricht alle wie ein Schock. Denn seit ihrem Streit zehn Jahre zuvor hatten sie kaum noch Kontakt miteinander. Dann die Überraschung: eine Einladung der drei Freundinnen zum Notar. Die Vorstellung, sich wiederzusehen, erfüllt jede von ihnen mit Unbehagen. Entziehen können sie sich jedoch nicht. Was ist es, wovor sie sich fürchten? Und was ist es, das sie dazu bringt, trotzdem anzureisen?

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Dora Heldt

Drei Frauen am See

Roman

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

 

 

Für die Menschen, die in meinem Leben an Kreuzungen standen, an denen ich mich entscheiden musste

Damals

Das Haus am See

Friederike setzte einen Punkt hinter den letzten Satz und legte die beschriebenen Seiten umgedreht auf die Holzplanken. Die anderen drei saßen noch im Kreis, die Köpfe über die Schreibblöcke gebeugt. Marie hielt die Augen geschlossen, ein leichtes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Jules Stift flog über das Papier, sie las lautlos vor, was sie gerade schrieb. Alexandras Hand glitt ruhig und gleichmäßig über die Zeilen, sie reihte Satz an Satz, das schöne Gesicht ganz entspannt, bis auf die kleine Falte über der Nase, die immer auftauchte, wenn sie sich stark konzentrierte.

Die letzten Sonnenstrahlen tauchten den Bootssteg in warmes Licht, eine Entenfamilie schwamm lautlos vorbei, der See glitzerte in der Abendsonne. Friederike streckte langsam ihre langen Beine aus und rutschte ans Ende des Stegs, um die nackten Füße in das kühle Wasser zu tauchen. Marie sah hoch. »Du bist fertig?«

Friederike nickte.

»Ich auch.« Jule legte ihre Blätter mit den leeren Seiten nach oben auf Friederikes und lächelte. »Alex, wie lange brauchst du noch?«

»Bin gleich so weit.« Alexandra hielt kurz inne, nur noch ein Satz, dann der Punkt. Sie überflog alles, nickte zufrieden und legte ihre Blätter auf die der anderen. Alle Augen waren jetzt auf Marie gerichtet, auch sie kam zum Ende, auch ihre Blätter landeten auf dem Stapel.

»Wo ist der Umschlag?«, fragte Marie. Friederike hielt ihn hoch, schob alle Blätter exakt zusammen und steckte sie in den Umschlag. Sie verschloss ihn, nahm ihren Stift und schrieb das Datum in großen Zahlen darauf.

»So. Das ist das heutige Datum. Und öffnen werden wir ihn erst wieder am gleichen Tag in dreißig Jahren. Keinen Tag vorher.« Ein seltsames Gefühl. Und wenn sie in die Gesichter der anderen schaute, war klar, dass nicht nur sie das so empfand. Friederike reichte Marie den Umschlag. »Es war deine Idee, du passt gut darauf auf. Und du wirst ihn dann auch öffnen.«

Maries Hand zitterte ein wenig, als sie den Umschlag an sich nahm. Dann sagte sie mit einem unsicheren Lächeln: »Wisst ihr was: Ich freue mich schon jetzt darauf.«

Es war kurz still, man hörte das Zwitschern der Vögel plötzlich überdeutlich, dann sagte Jule ernst: »Ihr wisst schon, dass wir dann alle über fünfzig sind? Soll man sich darauf wirklich freuen?«

»Ja.« Marie sah sie an. »Darauf sollten wir uns freuen. Und auf all die Jahre davor.« Sie presste den Umschlag an die Brust. »Wir haben uns. Wir werden das alles zusammen erleben. Was kann uns schon passieren?«

MünchenMitte März

Alexandra

Alexandra legte den Stift zur Seite und schob ein Blatt Papier über das Foto, es war zu spät. Die Volontärin hatte ihre Albernheit gesehen. Und ihre Gedanken standen ihr auf der Stirn: Warum malte eine erfolgreiche Verlegerin die Schneidezähne ihres wichtigsten Autors schwarz? Weil, gab Alexandra ihr in Gedanken zur Antwort, das dann so schön von seinem arroganten Ausdruck ablenkte.

Natürlich würde sie das nie auf einem Originalfoto machen. Das war erstens zu teuer und zweitens wäre sie dann tot. Höchstpersönlich vom wichtigsten Autor erwürgt, das wäre doch ein standesgemäßer Abgang. Sie könnte sofort zum Mythos werden.

»Alexandra, was machen wir denn jetzt?« Die nachdrückliche Stimme von Ulrike holte sie in die Sitzung zurück, noch war sie kein Mythos, stattdessen saß sie hier mit sieben Frauen in der wöchentlichen Programmrunde und musste eigentlich dringend an ihren Schreibtisch.

»Sebastian weigert sich, den Umschlag auch nur anzusehen.« Ulrike hob ungeduldig die Hände. »Er besteht darauf, dass seine Patentochter einen Entwurf macht.«

»Seine Patentochter?« Alexandra hob die Augenbrauen. »Die arbeitet bei einem Tierarzt.«

»Die andere.« Ulrike blieb tatsächlich ernst. »Studiert Graphikdesign. Im zweiten Semester.«

»Wenigstens nicht die vom Tierarzt.« Alexandra tippte sich an die Stirn. »Aber was soll das? Ist er jetzt völlig übergeschnappt? Der Umschlag für das Buch ist fertig, und aus.« Ihr Blick fiel auf die Volontärin, wie hieß die noch? Ulrike hatte sie ihr vorhin vorgestellt, Alexandra hatte den Namen sofort wieder vergessen. Sie sah sie entschuldigend an. »Frau …, es tut mir leid, ich habe Ihren Namen vergessen, ich war vorhin so in Eile. Würden Sie ihn mir noch mal sagen?«

»Magnus«, antwortete die junge Frau und wurde ein bisschen rot. »Sophia Magnus. Und ich bin sehr froh, dass ich hier volontieren kann.« Sie senkte sofort den Blick und setzte noch nach: »Bei Ihnen.«

»Sophia Magnus«, wiederholte Alexandra langsam und nickte. »Ja, Frau Magnus, dann herzlich willkommen. Kennen Sie Sebastian Dietrich?«

»Ja, natürlich«, Sophia Magnus hob den Kopf. »Ich habe alles von ihm gelesen, ich finde ihn großartig.«

»Und dieser Umschlag?« Alexandra hielt eine Kopie des Schutzumschlages hoch. »Wie gefällt der Ihnen?«

»Sehr gut. Der ist toll. Man weiß sofort, um was es geht.«

»Sie finden den also gelungen? Er gefällt Ihnen?«

»Ja«, sie nickte heftig. »Unbedingt.«

»Sehr gut, vielen Dank.« Alexandra machte sich eine Notiz. »Sie sind schließlich die Zielgruppe. Ulrike, ich treffe mich ja nachher mit Sebastian und kläre das mit ihm. Was haben wir noch auf dem Zettel?«

»Die Ausstattung der Geschenkbücher, die Ladenpreise für die finnische Krimireihe und die Veranstaltung in Köln.«

»Dazu braucht ihr mich ja nicht unbedingt, wir hatten das schon soweit besprochen. Wir sehen uns morgen, ich muss los.«

Sie schob ihre Unterlagen zusammen, sprang auf und winkte lächelnd noch einmal kurz auf dem Weg zur Tür. Dann war sie weg.

Sophia Magnus sah ihr beeindruckt nach und merkte dann, dass Ulrike sie beobachtete. »Oh, Entschuldigung, ich hatte sie mir nur ganz anders vorgestellt.«

Die Frauen am Tisch warfen sich belustigte Blicke zu, bis die älteste von ihnen sagte: »Und wie?«

Sophia war es sichtlich unangenehm, dass sie plötzlich im Mittelpunkt stand. Sie verstand selbst nicht, warum sie so aufgeregt gewesen war, Alexandra Weise persönlich zu treffen. Aber sie musste sich jetzt zusammenreißen, wenn sie nicht wie ein blödes Groupie dastehen wollte. Sie räusperte sich. »Na ja, ich habe meine Abschlussarbeit über Frauen im Verlagswesen geschrieben. Und dafür hatte ich mir unter anderem Frau Weise ausgesucht. Ich habe so ziemlich alles über sie gelesen, was ich finden konnte, aber ich habe sie mir nicht so … schön vorgestellt. Und so nett.«

»Interessant.« Eine der Lektorinnen lächelte sie an. »Weiß Alex das? Also, dass Sie eine Arbeit über sie geschrieben haben?«

»Wahrscheinlich nicht«, Sophia schüttelte den Kopf. »Bitte entschuldigen Sie, ich will die Runde hier gar nicht sprengen, aber ich bin einfach total beeindruckt von ihr.«

»Das kann ich verstehen.« Ulrike nickte und warf einen Blick in die Runde. »Sie ist ja auch besonders. Ich schlage vor, dass wir jetzt trotzdem weitermachen. Falls Sie Fragen haben, Frau Magnus, einfach stellen, ja? Und wir reden jetzt mal über die Ausstattung der Geschenkbücher. Karla, hast du die Muster dabei?«

 

Zwei Stockwerke höher warf Alexandra ihre Arbeitsmappe auf den Schreibtisch und ließ sich auf den Stuhl fallen. Sie streckte mit einem leisen Stöhnen ihre Beine aus und streifte die Schuhe ab. Ein eindeutiger Fehlkauf, der Absatz war viel zu hoch, die Sohle zu dünn, das Leder zu hart, auf einer Ferse hatte sich schon eine eindrucksvolle Blase gebildet. Alexandra zog eine Schublade auf und suchte nach Blasenpflaster, irgendwo hatte sie einen Vorrat, es war nicht das erste Paar Schuhe, das trotz des Preises nicht richtig passte. Vorsichtig verarztete sie sich. Schöne Füße waren etwas anderes, egal, die sah heute ohnehin niemand.

Es klopfte an der Tür, die im selben Moment geöffnet wurde. »Ach, du bist ja schon wieder da! Möchtest du einen … Oh, was hast du denn gemacht?«

»Blase«, antwortete Alexandra knapp, während sie konzentriert den Strumpf über das Pflaster rollte. »Und ich verstehe nicht, warum du eigentlich an die Tür klopfst, wenn du doch sowieso sofort reinkommst.«

»Ich dachte, du wärst noch in der Sitzung.« Melanie war seit sieben Jahren Alexandras Sekretärin, oder wie sie es selbst nannte, ihre Assistentin. Und hatte den Hang, jede Kritik persönlich zu nehmen. Alexandra schob den behandelten Fuß langsam wieder in den Schuh, bevor sie sich zur Tür drehte. »Dann verstehe ich nicht, warum du überhaupt angeklopft hast.«

Melanie atmete tief durch und presste ihre Lippen kurz zusammen. Das tat sie immer, wenn sie beleidigt war. »Automatisch. Ich klopfe automatisch an. Und du sollst Magdalena anrufen. Die steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Kaffee?«

»Kaffee wäre wunderbar, Melanie«, mit ihrem strahlenden Lächeln sah Alexandra sie an. »Wenn es keine Mühe macht. Und ich rufe Magdalena an. Sofort.«

Melanie knallte die Tür zu, und Alexandra fragte sich zum hundertsten Mal, warum sie diese kleine grauhaarige Giftspritze nicht einfach erwürgte. Die Antwort war immer dieselbe: Melanie war die perfekte Sekretärin, fehlerlos, zuverlässig, loyal und erfahren. Aber auf ihre Art eine Diva. Und sie gehörte zu den wenigen Menschen, die Alexandra zur Weißglut bringen konnten. Was Melanie nie merkte. Alexandra wurde nur nach innen wütend. Sie hasste unbeherrschte Szenen. Und laute Auseinandersetzungen.

Seufzend drehte sie ihren Schreibtischstuhl zurück und griff zum Telefon. Erst Sebastian Dietrich. Und jetzt auch noch Magdalena Mohr am Rande des Nervenzusammenbruchs. Was war das denn für ein Tag?

 

»Danke, dann haben wir alles.« Ulrike schloss die Sitzung, warf Sophia Magnus noch einen Blick zu und sagte: »Können Sie bitte nach der Mittagspause zu mir kommen, dann gehen wir Ihre Aufgabenbereiche noch mal in Ruhe durch, okay?«

»Natürlich«, Sophia lächelte sie an und bückte sich, um ihre überdimensionale Handtasche hochzuheben. Sie verharrte einen Moment, dann kam sie wieder hoch, strich sich die Haare aus dem Gesicht und begann, in ihrer Tasche zu kramen. »In einer halben Stunde?«

»Eine Stunde«, entgegnete Ulrike, die schon auf dem Weg zur Tür war. »Bis später.« Gefolgt von den anderen Kolleginnen verließ sie den Raum. Als auch die letzte draußen war, ließ Sophia die Tasche los und eilte zu Alexandras Platz. Unter dem Tisch lag das verunstaltete Foto von Sebastian Dietrich, es musste Alexandra Weise aus den Unterlagen gerutscht sein. Sophia ging in die Knie und nahm es hoch. Sie musste grinsen, als sie das alberne Zahnlückenlächeln sah. Als sie so was das letzte Mal gekritzelt hatte, was sie zwölf gewesen. Es war schon erstaunlich, dass eine Frau wie Alexandra Weise Sinn für solchen Unsinn hatte. In ihrem Alter. Und in ihrer Position.

Langsam verließ Sophia den Sitzungsraum und blieb unschlüssig draußen stehen. Eine Stunde Mittagspause. Sie hatte gar keinen Hunger. Und hatte auch keine Lust, das Verlagsgebäude zu verlassen. Zumal sie so gut wie nie in dieser Gegend Münchens war und weder ein Café in der Nähe noch irgendwelche Geschäfte kannte. Sie schlenderte, immer noch unentschlossen, durch das Foyer, als plötzlich die Fahrstuhltür aufging und Alexandra Weise auf sie zukam. Sophia blieb stehen und sah ihr entgegen.

»Frau Magnus«, Alexandra verlangsamte ihre Schritte. »Suchen Sie etwas?«

»Nein, ich habe jetzt Mittagspause und überlegt, was ich damit anfange. Und ich wollte Ihnen …«

Das Handy in Alexandras Tasche unterbrach Sophia. Alexandra zog das Telefon raus und hielt es sich ans Ohr. »Katja, ich bin gerade auf dem Sprung, warte mal kurz …«

Sie nahm das Handy vom Ohr. »Wenn Sie noch Fragen haben, gehen Sie einfach zu Ulrike. Ich bin jetzt weg, bis morgen. So, Katja, ich bin wieder da.«

Mit einem Lächeln und wieder auf das Telefonat konzentriert ging sie zum Ausgang und verschwand. Sophia sah ihr hinterher. Alexandra Weise, erfolgreiche Verlegerin. Nicht nur schön, sondern auch klug, charmant und wahnsinnig erfolgreich. Sophia hatte im Zuge ihrer Abschlussarbeit alle Informationen über sie nahezu eingeatmet. Alexandra war Anfang fünfzig, seit über zwanzig Jahren in diesem Verlag, verantwortlich für eine ganze Reihe großer Erfolge, befreundet mit den wichtigsten Autoren und Journalisten des Landes, Herausgeberin zahlreicher Bücher und Verfasserin von Beiträgen in Literaturzeitschriften, regelmäßiger Gast in Talkshows und Büchersendungen und umtriebig wie keine Zweite. Doch trotz aller Recherche hatte Sophia so gut wie nichts über ihr Privatleben gefunden. Anscheinend gab es das nicht. Na ja, bei diesem Pensum blieb wohl auch keine Zeit dafür. Sophia dachte sehnsüchtig an Johannes, ihre eigene, noch ganz frische Liebe. Es wäre unvorstellbar, wenn sie ihn für die Karriere opfern müsste. Um jeden Preis wollte sie ein solches Leben wie Alexandra Weise nicht.

 

Die Ampel sprang um auf Rot, Alexandra verlangsamte dankbar ihre Schritte und blieb stehen. Trotz Blasenpflaster bereute sie diesen Schuhkauf immer noch zutiefst. Und dazu Katjas anklagende Stimme im Ohr. »Außerdem kann ich dich kaum verstehen. Wo bist du überhaupt?«

»Ich stehe gerade an einer vierspurigen Straße und warte darauf, dass die Ampel grün wird.« Alexandra entdeckte eine Uhr, die an einem Schmuckgeschäft hing. »In fünf Minuten habe ich einen Termin zum Mittagessen. Und München ist eine laute Stadt, das ist nicht so wie bei euch.« Sie biss sich auf die Lippe. »Können wir nicht heute Abend telefonieren? Ich kann von hier aus sowieso nichts machen.«

»Ja, und genau das ist das Problem.« Ihre Schwester hatte mittlerweile am Telefon dieselbe Stimme wie ihre Tante Ilse, die sie beide als Kind nicht leiden konnten. Immer etwas zu leise und mit einer leichten Hysterie unterlegt. Es war anstrengend. Und Katja war auch noch nicht fertig. »Du kannst nie was machen. Deshalb muss ich mich immer um alles kümmern. Aber das kann ich auch nicht mehr, ich habe schließlich noch ein anderes Leben, in dem ich gebraucht werde. Und Matthias …«

Die Ampel sprang um. »Katja, ich bin jetzt gleich vor dem Restaurant, ich rufe dich heute Abend an. Ich verstehe auch nur die Hälfte bei diesem Lärm. Bis später, mach’s gut.«

Sie drückte das Gespräch weg und schob das Handy in die Tasche. Bevor sie noch einen Gedanken fassen konnte, sah sie auf der gegenüberliegenden Seite Sebastian Dietrich stehen. Er hatte sie schon entdeckt und blickte ihr mit seinem blasierten Gesichtsausdruck entgegen. Alexandra hob das Kinn, beschleunigte ihre Schritte und knipste ihr Lächeln an. Heute musste sie eine ganze Reihe Verrückter niederlächeln. Aber das würde sie schaffen. Manche Dinge im Leben bekam sie immer hin.

»Sei gegrüßt, meine Liebe.« Allein dieser Ton! Sebastian beugte sich zu ihr, um sie mit seinen viel zu feuchten Wangenküssen zu beglücken, und ließ seine Hand gleich mal auf ihrem Rücken liegen. »Habe ich etwas verpasst?«

»Was meinst du?«

»Dein Telefonat auf der anderen Straßenseite. Es wirkte sehr privat.« Er hob spöttisch die Augenbrauen. »Ist mir da was entgangen?«

Sie sah ihn an. »Es war privat. Meine Schwester. Gehen wir?« Sie deutete auf den Restauranteingang. »Sonst ist unser Tisch weg. Der Laden ist sehr angesagt.«

Er nickte knapp. »Meine Liebe. Ich kenne diesen Italiener. Es war schließlich mein Vorschlag.«

 

Das italienische Restaurant galt als Geheimtipp. Dabei war das Essen auch nicht besser oder schlechter als bei anderen Italienern, aber die hatten eben nicht das Glück gehabt, zufällig einen Journalisten bekocht zu haben, der ganz schnell einen Restaurant-Tipp schreiben musste. Er hatte die »unaufgeregte Speisekarte« gelobt, was für ein Geschwurbel. Und deswegen wollten die hippen Münchener jetzt alle hierher. Unaufgeregte Speisekarte, na ja, irgendwie auch ganz lustig. Worüber sollte sich eine Speisekarte auch aufregen?

Alexandra hatte gewartet, bis sie mit dem Essen fertig waren. Bis dahin hatte ausschließlich Sebastian erzählt: von seinem letzten Interview in einem großen Hochglanz-Magazin, von einem Verriss in einer Tageszeitung, von einem Telefonat mit seiner spanischen Übersetzerin – und dabei hatte er sich immer wieder umgesehen, in der Hoffnung, von irgendeinem Gast erkannt zu werden. Alexandra hatte ihre Antipasti gegessen, einen plötzlich aufkommenden Gedanken an Katja verdrängt und schließlich gleichzeitig mit Sebastian ihr Besteck auf den fast leeren Teller gelegt.

»Wir müssen über dein Cover sprechen.« Sie legte die Serviette zusammen und ließ ihre Hand darauf liegen. »Was ist das für ein Unsinn mit deiner Patentochter? Wir hatten einen exzellenten Grafiker beauftragt, falls du dich erinnerst. Der Umschlag ist fertig, und er ist grandios geworden.«

»Was heißt Unsinn?« Sebastian schüttelte empört den Kopf. »Josi ist sehr talentiert. Du musst auch mal jungen Leuten eine Chance geben. Sie kann es doch versuchen, und wenn es dir nicht gefällt, macht sie sofort einen neuen Entwurf. Sieh mal, sie kennt mich einfach sehr gut, liest gerade das Manuskript und findet es toll, sie wird etwas Einzigartiges machen, du wirst schon sehen. Sie …«, er brach ab, als er ihren Blick sah.

»Sebastian.« Sie beugte sich nach vorn, ihre Augen wirkten in diesem Licht sehr grün. Sie hatte dieses perfekte Gesicht, die großen Augen, die geschwungenen Wangenknochen, diesen schönen Mund. Und dazu dieser unnachgiebige Blick.

Er lehnte sich zurück. »Ja?«

»Ich bin die Letzte, die junge Talente verhindern will. Das solltest du, gerade du übrigens, wissen. Aber dieses Buch, dein neues Buch, soll sechsstellig verkauft werden. Wir machen hier kein betreutes Arbeiten. Deadline für die Vorschauen ist der nächste Mittwoch. Das Cover steht, und es ist perfekt. Es muss zum Buch, zum Verlagsprofil und zur Zielgruppe passen. Das alles ist gewährleistet. Wir arbeiten mit Profis, auch bei den Covern. Und jetzt stoßen wir auf dein phantastisches Buch an.«

Sie legte eine Hand auf seine. »Kannst du uns bitte einmal vertrauen?«

»Versteh mich nicht falsch, aber was wisst ihr schon von der Zielgruppe?«

»Marktforschung, mein Lieber. Und wir haben genügend Mitarbeiter im Verlag, die auch in diese Zielgruppe gehören. Unsere neue Volontärin zum Beispiel: Sie frisst deine Bücher. Sie fand das Cover von Anfang an super. Bildhübsches Mädchen übrigens, hat ihr Studium mit Bestnoten abgeschlossen.«

»Wirklich?« Sebastian griff nach seinem Glas. »Was hat sie denn über die Bücher gesagt?«

Alexandra musste sich beherrschen, nicht mit den Augen zu rollen. Er war ein so eitler Gockel geworden, nicht allen Autoren tat der Erfolg gut.

Vor sechs Jahren hatte sie zufällig eine Reportage von ihm gelesen. Er war Redakteur bei einem eher unbekannten Monatsmagazin und ein brillanter Erzähler. Das hatte sie sofort gespürt. Nach zwei Telefonaten und einem Abendessen hatte sie ihn überredet, seinen ersten Roman zu schreiben. Die Geschichte hatte sie ihm vorgegeben, die Stichworte geliefert, ihm bei der Recherche geholfen und alles zum Schluss in die richtige Ordnung gebracht. Sebastian hatte sich mit ihrer Begleitung in einen wahren Rausch geschrieben, das Ergebnis war tatsächlich mitreißend. Das Buch stand schon kurz nach Erscheinen auf allen Bestsellerlisten, bekam hymnische Kritiken, Sebastian Dietrich war der neue Shootingstar. Dem ersten Roman waren drei weitere Bücher gefolgt, zwei Liebesgeschichten und ein feiner psychologischer Kriminalroman, jedes war erfolgreich. Alexandra hatte ein Gespür für Themen, über die Sebastian schreiben konnte, sie musste ihm nur die Stichworte liefern, dann legte er los. Nur fing er jetzt langsam an, sich zu verändern. Er dachte schon an Erfolg, Kritiken und Literaturpreise, bevor er den ersten Satz des neuen Manuskripts auch nur gedacht hatte. Und er wurde zunehmend egozentrisch. Das belastete nicht nur die Zusammenarbeit mit dem Verlag, sondern auch Alexandras Geduld. Aber er war der Autor, sie war seine Verlegerin, sie wollte keine schlechte Stimmung. Nur musste er langsam mal begreifen, dass er nicht der Einzige war, mit dem sie arbeitete. Auch wenn er im Moment den größten Erfolg hatte.

»So. Und jetzt sieh ihn dir einfach mal an, dann wird sich jede weitere Diskussion ohnehin in Luft auflösen.« Sie nahm ihre Tasche von der Stuhllehne und zog eine Mappe heraus.

Sebastian war zu neugierig, um wegzusehen, Alexandra schob ihm einen Andruck zu und beobachtete ihren Starautor, der erst verhalten, dann erfreut das Motiv betrachtete. »Ach ja …«, er nickte, wobei ein kleines Lächeln auftauchte. »Die Schrift ist ja sehr schön.«

Zufrieden lehnte Alexandra sich zurück. Die Schrift. Natürlich. Sein Name und der Titel des Romans. Das beeindruckte ihn. Das Bildmotiv war ihm völlig egal. Sie hatte es gewusst. Es war alles so vorhersehbar.

»Also dann«, sagte sie und nickte. »Dann machen wir es so. Oder?«

Noch etwas zögernd nickte er, dann winkte sie dem Kellner. »Fein. Espresso?«

»Lieber noch einen Weißwein«, antwortete er und zeichnete, fast schon verliebt, immer noch seinen Namen auf dem Umschlag nach.

 

Als sie an der Bushaltestelle stand, zog sie ihr Handy aus der Tasche, um auf das Display zu sehen und den Ton wieder einzuschalten. Eine einzige SMS war eingetroffen, sofort öffnete sie die Nachricht: »Hat es geklappt? Melde dich doch noch mal. U.«

Alexandra atmete aus, bevor sie die Nummer ihrer Stellvertreterin drückte. »Hallo, Ulrike, alles okay.«

Am anderen Ende hörte sie einen Seufzer der Erleichterung. »Wunderbar, Alex, ich hatte zwar keinen Zweifel an deiner Überredungskunst, aber Karla ist natürlich supernervös. Dann gebe ich den Umschlag jetzt gleich frei. Kommst du eigentlich noch mal ins Büro?«

»Nein.« Alexandra sah auf die Uhr. »Es ist jetzt kurz nach halb fünf. Du kennst doch Sebastian, der hört nicht auf zu reden. Und das hippe Restaurant hat leider durchgehend auf, ich hatte gehofft, dass die uns nach dem Essen bitten zu gehen, aber das war nichts. Ich musste literweise Wasser und Espresso trinken, während unser Erfolgsautor sich gepflegt betrunken hat. Mir reicht es für heute. Ich fahre jetzt nach Hause und telefoniere mit Magdalena Mohr. Und dann muss ich noch ein paar Manuskripte durchsehen, zum Beispiel das von diesem Richard Clausen, ich glaube, der Junge ist richtig gut. Und dafür habe ich im Büro keine Ruhe. Wir sehen uns morgen.«

»Okay. Dann wünsche ich dir einen schönen Abend. Erhol dich gut.«

»Danke.« Alexandra lächelte. »Bis morgen.«

 

Nur drei Busstationen, dann war sie zu Hause. Und weil sie so früh in ihrem Viertel war, konnte sie tatsächlich noch einkaufen. Sie hatte lange nicht mehr gekocht, die letzten Wochen waren so hektisch gewesen, dass sie selten vor zwanzig Uhr zu Hause gewesen war. An den normalen Bürotagen. Außerdem hatte sie mindestens zwei Veranstaltungen oder Abendessen in der Woche gehabt, dann kam sie erst mitten in der Nacht in ihre Wohnung. Sie mochte dieses Leben, sonst würde sie das gar nicht alles schaffen. Sie liebte die Diskussionen über Bücher, die Kämpfe, die sie mit Autoren und Agenten ausfechten musste, auch weil sie die meisten gewann. Sie ging gern zu Lesungen oder Veranstaltungen, bei denen die Leser saßen, die Eintritt bezahlt hatten, um den Autor oder die Autorin zu sehen und zuzuhören bei dem, was in der Zusammenarbeit mit dem Verlag entstanden war. Das machte sie stolz, daher holte sie ihre scheinbar unendliche Energie. Das war ihr Leben.

Aber trotzdem war es auch mal schön, einen Abend nur mit sich selbst zu haben, etwas zu kochen, einen Rotwein zu öffnen, Musik zu hören und einfach mal nicht zu reden.

Der Besitzer des kleinen Feinkostladens, nur ein paar Meter neben ihrer Haustür, stand mit einer Zigarette vor seiner Ladentür. Als er Alexandra entdeckte, sah er ihr breit grinsend entgegen. »Die Sonne geht auf.« Er steckte die Kippe in einen mit Sand gefüllten Topf und ging auf sie zu. »Ich hatte schon Angst, du wärst weggezogen.«

»Wenn ich nicht so viel arbeiten würde, könnte ich mir deine Preise nicht leisten«, antwortete Alexandra und beugte sich runter, um ihm die Wange hinzuhalten. Franco war mindestens einen Kopf kleiner als sie. Mit diesen Schuhen sogar zwei.

»Aber man sieht dir den Stress gar nicht an, Bellissima, schön wie immer.«

»Du musst dich nicht anstrengen, mein Lieber, ich wollte sowieso bei dir einkaufen. Was soll ich denn kochen?«

Er warf ihr einen feurigen Blick zu. »Kochen? Für wie viele Leute? Oder was Romantisches zu zweit?«

»Was Romantisches für mich.« Alexandra lächelte und ging an ihm vorbei in den Laden. »Wenn es zu viel ist, esse ich morgen Reste. Lass mal sehen …«

Sie ging mit einem kleinen Huhn, jeder Menge Gemüse, einer sehr teuren Flasche Rotwein und einem Strauß gelber Rosen nach Hause. Und jeder Menge Komplimente vom kleinen Mann hinter der Kasse.

Ihre Wohnung war groß, hell und lag auf zwei Ebenen. Die untere Ebene bestand aus einem einzigen Raum: Wohnzimmer, offene Küche und Essbereich. Ihre Möbel hatten sich im Laufe ihres Lebens angesammelt, neben der hochmodernen Küche stand ein großer Esstisch mit verschiedenen Stühlen, jeder Stuhl hatte schon mehrere Wohnungen gesehen. Die beiden Sofas standen sich gegenüber, sie hatte sie erst vor zwei Jahren gekauft, zwei Designerstücke aus braunem Leder, dazwischen ein antiker Couchtisch, ein Erbstück von ihrer Großmutter. Der Fernseher war schon ein paar Jahre alt, sie benutzte ihn zu selten, als dass sich ein moderner lohnte. An jeder Wand vollgestopfte Bücherregale, davor Bücherstapel, darin Bilder, Muscheln, Steine, kleine Kunstobjekte, Geschenke, Reisemitbringsel, Kitsch und Kunst – aber jedes Teil barg eine Geschichte.

Alexandra nahm eine Vase aus dem hohen Küchenschrank, ließ Wasser ein und schnitt die Rosen an. Der Strauß kam auf den Esstisch, bevor sie endlich aus den quälenden Schuhen schlüpfte und das Hühnchen aus der Tasche befreite. Mit routinierten Handgriffen füllte sie es mit Rosinen und Gewürzen, bestrich es mit Butter, schob es in den Ofen und stellte die Uhr ein. Den Rest schafft das Huhn allein, dachte sie. Sie hatte jetzt fast zwei Stunden Zeit für sich.

Langsam stieg sie die Treppe nach oben. Neben ihrem großen Schlafzimmer lag das Bad, daneben ein kleines Gästezimmer, das im Laufe der Jahre immer mehr zum Büro geworden war. Sie hatte selten Übernachtungsgäste, sie war aus dem Alter raus, in dem sie mit ihren Freundinnen nächtelang im Schlafanzug über das Leben philosophierte. Mittlerweile buchte sie für ihren Besuch gern ein Hotelzimmer, dann zog sich jeder abends zurück – und sie hatte kostbare Zeit für sich.

Alexandra schob die große Terrassentür im Schlafzimmer auf und trat in Strümpfen auf die Dachterrasse. Für März war das Wetter gar nicht so schlecht, auch wenn der Sommer noch lange nicht in Sicht war. Aber in den Kübeln blühten schon die Krokusse und Narzissen, zärtlich strich sie über eine der gelben Blüten, dann drehte sie sich um und ging zurück. Sie brauchte eine Dusche und ein großes Glas Rotwein, bevor sie Magdalena zum zweiten Mal anrief.

Auf dem Weg ins Bad zog sie sich schon aus, ließ die Klamotten achtlos auf den Boden fallen, drückte auf die Fernbedienung der Anlage, aus deren Boxen sofort gut gelaunte Popmusik drang. Dann stellte sie die Dusche an. Sie sang laut mit, während sie das Shampoo in die Haare massierte, und legte den Kopf in den Nacken, um das Wasser auf ihrem Körper zu spüren. Alexandra lächelte, als sie die Haare trockenrubbelte. Sie wischte sich die Reste des Make-ups aus dem Gesicht, cremte sich mit ihrer sündhaft teuren Bodylotion ein, danach das Gesicht mit einer anderen Creme. Anschließend betrachtete sie sich nackt und zufrieden in dem großen Spiegel.

Ja, sie hatte Glück. Und gute Gene. Sie hatte seit dreißig Jahren dieselbe Konfektionsgröße, selbst die Wechseljahre hatten daran nichts geändert. Andere Frauen bekamen plötzlich Bauch und runde Hüften, Alexandra hatte nur noch ein bisschen mehr Busen bekommen, was ihr aber ganz gut gefiel. Ansonsten musste sie eher aufpassen, dass sie in stressigen Zeiten kein Gewicht verlor, Probleme mit zu viel Pfunden hatte sie nie gehabt.

Sie trat näher an den Spiegel und musterte kritisch ihren Haaransatz. Der war fällig. Ihre goldbraune Haarfarbe lag seit Jahren in den Händen ihrer Friseurin. Mit der musste sie ganz dringend einen Termin machen. Gleich morgen.

Mit nackten Füßen, in einer alten Jeans und einem zu großen grauen Pulli, die noch feuchten Haare zu einem Zopf gebunden ging sie wieder runter, musterte das Huhn, öffnete endlich den teuren Rotwein, schnupperte am Glas und setzte sich damit auf eines der Sofas. Erleichtert ließ sie den Kopf an die Lehne sinken und schloss die Augen. Herrlich. Das war einer dieser Momente, in denen sie froh darüber war, alleine zu leben. Niemand wollte wissen, was sie denn tagsüber so alles gemacht hatte, niemand machte Essensvorschläge, niemand quälte sie mit seinem avancierten Musikgeschmack oder stellte den Fernseher an oder erzählte ihr Dinge, die sie gerade gar nicht hören wollte. Stattdessen duftete es jetzt wunderbar nach gutem Essen, sie genoss den Wein, die Stille, ihre Wohnung, das Gefühl, frisch geduscht zu sein. Schön war das.

Nach ein paar Minuten fiel Alexandra ein, dass sie ihr Handy laden und Magdalena anrufen musste. Beim Aufladen kontrollierte sie den SMS- und Maileingang. Nichts. Leere. Sie steckte das Ladekabel in die Steckdose, griff zum anderen Telefon und wählte Magdalenas Nummer. Sie hatte sie im Kopf.

»Mohr.«

»Hallo, Magdalena, hier ist Alexandra. Passt es jetzt?«

Statt einer Antwort kam nur ein tiefer Schluchzer aus dem Hörer, Alexandra nahm einen großen Schluck Wein und setzte sich in den Schneidersitz. Jetzt musste sie sich noch mal konzentrieren.

»Magdalena. Was ist denn los? Kannst du darüber reden?«

»Ich weiß nicht … ja … Ach, es ist alles so furchtbar.«

Alexandra hielt das Telefon weg vom Ohr, bis Magdalena sich zu Ende geschnäuzt hatte. Sie wartete noch einen Moment, dann fragte sie geduldig: »Dennis?«

Ein lautes Schluchzen war die Antwort, Alexandra erhob sich langsam, um einen Blick auf das Huhn zu werfen. Es sah gut aus. Sehr gut sogar. Und roch noch besser.

»Er hat gesagt … er hat … er ist zu einem Freund … und wie soll ich denn jetzt … ich kann nicht …«

So wie es sich durchs Telefon anhörte, hatte Magdalena sich komplett verflüssigt. Klang alles mal wieder hochdramatisch. Alexandra griff zu ihrem Weinglas. »Erzähl mal in aller Ruhe«, sagte sie mit ihrer sanftesten Stimme. »Von Anfang an.«

Dieses Gespräch fand so oder ähnlich im Schnitt alle halbe Jahre statt. Magdalena schrieb Liebesromane, einen nach dem anderen, sie war Mitte vierzig, Tochter einer Französin und eines Bayern und hatte mittlerweile zehn Romane veröffentlicht, alle mit großem Erfolg. Von ihren Leserinnen wurde sie geliebt, weil sie so »authentisch« war, ein absoluter Modebegriff, fast so schön wie die »unaufgeregte Speisekarte«, fand Alexandra. Wie anders als »authentisch« sollte sie denn auch sein? Magdalena schrieb ja immer nur ihre eigenen Liebesgeschichten, ihre eigenen Sehnsüchte, ihre eigenen Krisen. Es ging immer um Frauen in Magdalenas Alter, sie hatten immer schwierige Mütter, waren immer auf der Suche nach der großen Liebe, es gab immer einen Todesfall und eine Hochzeit, und zum Schluss putzte die Leserin sich die Nase und seufzte glücklich. Wenn man Magdalena erlebte, war man allerdings verblüfft, dass diese durchgeknallte Person die Erfinderin solcher Liebesgeschichten war. Aber sie war es. Und sie schrieb am besten, wenn sie verzweifelt war. Und das war sie oft. Der Grund hieß Dennis und war ihr On-off-Freund. Alexandra hatte es nie verstanden. Dennis war ein etwas schlicht gestrickter, eher durchschnittlich aussehender, meist ungehobelter Mann, der seit zwölf Jahren das Objekt von Magdalenas Begierde war. Was sie in ihm sah, war schwer zu begreifen. Er war fünf Jahre jünger als Magdalena, jobbte als Taxifahrer, Türsteher oder Pizzafahrer, und wenn sein Geld nicht reichte oder er eine Zeitlang nicht mehr arbeiten wollte, zog er wieder bei Magdalena ein. Dann war sie glücklich, schrieb wenig, weil sie es vorzog, neben ihm aufs Sofa gekuschelt Serien zu schauen. Nach wenigen Wochen reichte ihm dann wieder die Zweisamkeit, es gab Krach, er zog zu einem Freund, Magdalena bekam Weinkrämpfe, ging erst zu ihrer Therapeutin und verkündete dann eine Schreibblockade. Dann blieb sie einige Tage heulend im Bett, bis sie Alexandra anrief. Die hatte anfangs noch nach Lösungen gesucht, Abgabetermine verschoben oder war hingefahren zum heulenden Elend, das machte sie heute schon gar nicht mehr. Es war nicht nötig. Irgendwann setzte Magdalena sich wieder an den Computer, um ihren geballten Frust in die Tasten zu hauen. Das waren die Zeiten, in denen sie ihre besten Kapitel schrieb.

Und genauso wäre es auch dieses Mal. Alexandra kannte das ja alles schon so gut.

»Er hat … gesagt, ich lasse ihm … gar keine Luft.« Magdalena zog hörbar die Nase hoch. »Als wenn das stimmen würde. Er … er kann doch machen, was er will. Das ist mir doch egal. Aber, Alexandra … ich kann jetzt nicht schreiben. Ich bin nicht in der Lage, mich in eine Frau hineinzuversetzen, die auf ihren Liebsten wartet. Alles erinnert mich an … Dennis, ich sehe immer sein Gesicht, ich halte das nicht aus.«

Alexandra wartete, bis das Schluchzen leiser wurde. Dann sagte sie sanft: »Magdalena. Das geht doch jetzt schon seit Jahren so. Und du hast es ihm immer wieder gezeigt. Dass du es auch alleine schaffst. Und das machst du jetzt auch. Schreib dir deinen Kummer von der Seele. Schreib ein Kapitel, in dem eine Frau im Bus sitzt, und plötzlich sieht sie den Mann, den sie immer geliebt hat, mit einer anderen. Beschreibe diese Gefühle, dieses Leid, beschreibe …«

»Er hat aber keine andere.« Magdalena schrie es fast. »Wie kommst du darauf? Wieso …«

»Magdalena, ich habe ja nicht gesagt, dass du die Frau im Bus bist. Fühl dich in sie ein. Es ist doch egal, woher der Kummer, die Verzweiflung kommt, aber du spürst jetzt so ein Gefühl. Schreib es auf, lass deine Leserinnen mit dir leiden, das wollen sie. Deine Hauptfigur ist purer Schmerz und Verzweiflung. Sie liebt, sie hasst, sie sehnt sich, bespiel die ganze Tastatur. Du kannst das. Gerade in diesem Moment. Du musst nur anfangen.«

Das Schluchzen am anderen Ende wurde leiser, bis die Tränen versiegten. Alexandra stand langsam auf und ging zur Küchenzeile, wo die Rotweinflasche stand, und schenkte sich ein zweites Glas ein. Langsam stieg er ihr zu Kopf, sie müsste mal was essen. Die Backofenuhr zeigte noch eine halbe Stunde, sie würde schon mal anfangen, das Gemüse vorzubereiten. Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt, begann sie, die Karotten zu putzen.

»Wie soll denn die andere Frau heißen?« Magdalenas Stimme war zwar noch ganz zittrig von den Tränen, doch langsam schaltete sich ihr Hirn wieder dazu. »Meine Heldin heißt Lisa. Das wäre dann die, die im Bus sitzt. Wie findest du den Namen Lena? Nein, das wäre zweimal L. Oder Marie? Wie findest du Marie?«

Alexandra rutschte mit dem Messer ab und schnitt sich in den Finger. Sie ließ die Karotte fallen und riss ein Stück Küchentuch ab, das sie um die blutende Stelle wickelte. »Marie?«, fragte sie nach, dann machte sie eine kleine Pause. »Kannst du machen. Oder Nina. Ist auch schön. Und jeder kennt eine Nina.«

In diesem Moment fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihre Schwester zurückzurufen. Warum dieser Gedanke jetzt kam, wusste sie nicht. Und zu spät war es inzwischen sowieso.

»Ja, Nina, das ist gut.« Alexandra konnte Magdalena direkt vor sich sehen, wie sie bereits in die Geschichte tauchte. »Ein guter Name für eine Affäre. Danke, Alexandra, ich melde mich morgen noch mal, okay? Ich wünsche dir einen schönen Abend.«

Sie hatte aufgelegt. Verblüfft legte Alexandra den Hörer weg und wickelte das Küchentuch von ihrem verletzten Finger. Es blutete kaum noch, sie hielt den Finger unter den Wasserhahn und trocknete ihn anschließend ab. Nur ein ganz kleiner Schnitt. Aber sichtbar. Sie nahm das Messer und legte es gleich wieder zur Seite. Das Huhn war in zwanzig Minuten fertig. Sie hatte keine Lust mehr, Gemüse zu putzen, Brot als Beilage ging doch auch. Nachdenklich biss sie von der Karotte ab, nahm ihr Weinglas und schlenderte zu ihrem Handy. Sie nahm es in die Hand, gab die PIN ein, sah nach, ob SMS eingegangen waren. Keine. Nicht eine einzige. Ruhig legte sie das Handy wieder hin, ging zurück zum Backofen und stellte ihn aus. Dann zog sie eine Schublade auf und schob ein paar Servietten zur Seite. Ganz hinten fand sie eine Schachtel Zigaretten. Über dem Stuhl neben der Terrassentür hing ein großer Pashmina-Schal. Sie warf ihn sich um, griff nach den Streichhölzern und schob die Glastür auf. Neben der Tür stand eine leere Wasserkiste. Sie kauerte sich darauf, zündete die Zigarette an, hob das Weinglas und sah in den Himmel. Magdalena und ihre Scheißliebesgeschichte. Sie hatte doch keine Ahnung. Sie konnte einfach nicht allein sein, das war alles. Mit Liebe hatte das überhaupt nichts zu tun. Allein schon der empörte Aufschrei: »Er hat aber keine andere!« Als wenn das so absurd wäre. Die Tränen brannten plötzlich in ihrem Hals, mit aller Kraft schluckte Alexandra sie runter. Sie wollte heute Abend nicht heulen. Nicht wegen dieser Scheißliebesgeschichte. Im Gegensatz zu Magdalena war sie nicht hysterisch. Sie behielt ihre Würde. Um jeden Preis. Wie zur Bestärkung meldete ihr Handy in diesem Moment eine eingetroffene SMS. Und sofort sprang Alexandra auf, um die PIN einzugeben. Irgendwann, schwor sie sich, irgendwann würde sie ihn mit einer Antwort warten lassen.

Weißenburg in Norddeutschland Derselbe Tag

Jule

»Also, Frau Hartmann-Adler, dann sehen wir uns nächsten Mittwoch«, Jule gab ihrer Patientin die Hand und schob ihr den Terminzettel über den Tresen. »Und versuchen Sie sich die Zeit zu nehmen, die Übungen wenigstens einmal am Tag zu machen.«

»Ich bemühe mich.« Frau Hartmann-Adler sah sie resigniert an und steckte den Zettel in ihre Handtasche. »Bis Mittwoch. Tschüss.«

»Ja, Tschüss.« Jule sah ihr stirnrunzelnd nach, als Tina aus dem zweiten Behandlungsraum kam und sich neben ihre Chefin stellte. »Ist was? Du guckst so kritisch.«

»Echt«, Jule schüttelte den Kopf. »Sie quält sich durch die Physiotherapiestunden und anschließend hängt sie sich ihre Zwanzig-Kilo-Tasche über die lädierte Schulter. Und wundert sich, dass alles verspannt ist. Die macht mich echt wahnsinnig.«

»Hast du ihr nicht gesagt, dass sie einen Rucksack benutzen soll? Um die Schulter zu entlasten?«

»Natürlich, was denkst du denn? Gleich in der ersten Stunde. Aber sie findet Rucksäcke unsexy. Und kann sich ein schlechtes Styling nicht leisten, ihr Mann sei schließlich Sparkassenchef.«

»Das hat sie nicht gesagt!« Tina riss die Augen auf. »Das mit dem Sparkassenchef.«

»Nein.« Jule lachte und setzte sich auf den Stuhl hinter der Rezeption. »Das hat sie nur gedacht. Aber darauf könnte ich wetten. So, wer kommt denn als Nächstes?«

Bevor sie im Terminkalender nachsehen konnte, klingelte das Telefon. »Physio-Team am Markt, mein Name ist Jule Petersen, was kann ich für Sie …?«

»Mama, sag mal, kann ich morgen Abend den Bus leihen? Wir fahren auf ein Konzert nach Lübeck, und Monas Auto ist verreckt. In meine kleine Kiste kriege ich nur vier Leute, wir sind aber zu fünft.«

»Hallo, mein Schatz. Geht das auch mit einer höflichen Einleitung?«

»Ja, doch, also noch mal: Hallo, Mama, hier ist deine Tochter Pia, hättest du die unendliche Güte, mir morgen Abend deinen wunderbaren und vor allen Dingen sehr geräumigen VW-Bus zu leihen, weil wir zu fünft auf ein Konzert nach Lübeck fahren wollen und in meine Dreckskiste nur vier dünne Leute passen?«

Jule dachte einen Moment nach. »Morgen? Und wann willst du den Bus abholen? Ich muss morgen Vormittag in die Stadt, ich habe um elf Uhr einen Arzttermin. Und wollte danach noch einkaufen. Vor zwei bin ich nicht zu Hause.«

»Das ist blöd. Ich habe bis halb drei Uni. Wenn ich zuerst noch zu dir fahre und dann die anderen abhole, wird das zu spät. Wir wollten vorher noch essen gehen. Dann komme ich heute Abend vorbei und wir tauschen die Autos. Das ist am einfachsten.«

»Pia, ich habe doch noch gar nicht ja gesagt. Dann muss ich mit deiner, wie sagtest du so richtig, Dreckskiste in die Stadt?«

»Ich sauge die Karre noch aus. Das schaffst du schon. Bis heute Abend. Gegen sieben? Dann komme ich zum Essen. Danke, Mama, bis später.«

»Warte mal, ich …« Pia hatte schon aufgelegt, Jule ließ den Hörer kopfschüttelnd sinken. Jetzt musste sie auch noch irgendetwas zum Abendessen einkaufen, sie hatte nur noch Reste im Kühlschrank. Sie fuhr mit dem Finger über die eingetragenen Termine im Kalender. Der letzte Patient kam um 17.30 Uhr, das könnte sie schaffen. Auch wenn die Lebensmittelmärkte hier in diesem Vorort nicht so lange offen hatten wie die Supermärkte bei ihrer Tochter in Hamburg. Es würde gerade noch so klappen.

»Möchtest du einen Cappuccino?« Tina kam mit einer dampfenden Tasse aus der kleinen Teeküche, Jule sah sie erfreut an. »Gern. Du kannst Gedanken lesen.«

Tina reichte ihr die Tasse und beugte sich über den Tresen. »Und? Was wollte Pia? Warmes Essen und Geld?«

»Nein.« Jule ließ den Löffel durch den Milchschaum kreisen. »Warmes Essen und den Bus. Von Geld war noch keine Rede.«

Tina grinste. »Du lässt dich von ihr so dermaßen um den Finger wickeln. Warum machst du das?«

»Weil sie mein Kind ist?« Jule sah Tina an. »Und weil sie einen Kopf größer ist als ich? Außerdem sehe ich sie im Moment kaum, ich finde es ganz schön, wenn sie mal vorbeikommt. Das mit dem Kopf größer war ein Witz. Nicht, dass du dir Gedanken machst.«

»Sie ist sogar mehr als einen Kopf größer als du«, korrigierte Tina. »Und niemand käme auf die Idee, dass sie deine Tochter ist. Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich. Pia sieht aus wie ein spanisches Fotomodell und du wie eine kleine Schwedin. Schwarze lange Haare und braune Augen gegen blonde Locken, blaue Augen und Sommersprossen. Es gibt überhaupt keine Ähnlichkeit.«

»Tja«, achselzuckend trank Jule ihren Cappuccino aus und stand mit der Tasse in der Hand auf. »Ich war bei der Geburt dabei, sie fand zu Hause statt, weil es so schnell ging, also kann das Kind noch nicht mal im Krankenhaus verwechselt worden sein. Kleine blonde Frauen kriegen durchaus auch mal große dunkle Kinder.« Sie durchquerte den Raum und ging in die Teeküche, an der Tür drehte sie sich noch mal um. »Pia sieht aus wie die Schwester von Philipp. Von mir hat sie den guten Charakter.«

Die Tür ging auf, und die nächste Patientin kam herein. Jule trat einen Schritt zurück und lächelte ihr entgegen. »Hallo, Frau Becker, Sie können gleich durchgehen, der zweite Raum links ist unser. Ich komme sofort.« Sie stellte die Tasse und den Teller in die Geschirrspüle und kam wieder zur Rezeption. »Danke für den Cappuccino, ich gehe dann mal massieren.«

Tina sah ihr nach. Jule wirkte immer noch wie ein Mädchen: zierlich, durchtrainiert, die wilden blonden Locken zu einem lässigen Knoten gebunden. Normalerweise trug sie kaum Make-up, so dass einem sofort die Sommersprossen auffielen. Sie hatte tatsächlich schwedische Gene. Ihre schwedische Großmutter hatte einen Hamburger Hafenarbeiter geheiratet. Ihre Enkel, Jule und ihr Bruder Lars, sahen beide skandinavisch aus. Und anscheinend wurden Schweden nicht älter. Neidlos dachte Tina, dass sie viel darum geben würde, mit Mitte fünfzig noch so auszusehen wie ihre Chefin. Das würde ihr vermutlich nicht gelingen. Umso ärgerlicher war es, dass Jule nichts daraus machte.

Noch immer in Gedanken hörte sie das Telefon klingeln, nach dem dritten Läuten nahm sie endlich ab. »Physio-Team am Markt, Sie sprechen mit Tina Witt, was kann ich für Sie tun?«

 

Der Supermarkt war kurz vor Ladenschluss knallvoll. Jule stöhnte leise, als sie die ersten Gesichter erkannte. Einige waren Patienten von ihr, die meisten von ihnen Rentner. Sie hatten den ganzen Tag Zeit, warum mussten sie bitte jetzt einkaufen gehen? Weil sie so lange Mittagsschlaf machten? Jule schob den Einkaufswagen durch den Gang und kam keine zehn Meter weit. Am Kühlregal vor der Butter stand Gesine Müller und winkte ihr sofort zu. »Hallo, Jule, na, auch einkaufen kurz vor Schluss?«

Das fehlte ihr auch noch. Smalltalk mit Gesine Müller. Und schon ging es los: »Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Wie geht es der Familie?«

»Danke«, Jule lächelte nur so viel, wie ihre anerzogene Höflichkeit es befahl. Sie kannte Gesine seit der Grundschule und hatte sie von Anfang an nicht leiden können. Gesine, die Angeberin. Früher hatte sie mit ihrem Vater geprotzt, der Geschäftsführer einer großen Reederei in Hamburg gewesen war. Und als sie zu alt war, mit ihrem Vater zu punkten, hatte sie sich den besten Typen der Schule gekrallt und mit dem angegeben. Ihren Christian. Jule hatte nie verstanden, warum gerade Gesine ihn bekommen hatte. Inzwischen hatte Christian Geheimratsecken, aber Gesine war immer noch dieselbe Angeberin. Tolle Ehe, toller Sohn, tolles Haus. Jule durchfuhr der Wunsch, ihr kurz mit dem Einkaufswagen über die Lackballerinas zu fahren. Stattdessen lächelte sie weiter und antwortete höflich: »Alles gut. Ich bin im Moment etwas eilig, Pia kommt gleich zum Essen, und ich habe nichts im Kühlschrank.«

»Wie geht es denn Pia? Ist sie noch in Hamburg? Ich glaube, ich habe sie vor einem Jahr das letzte Mal gesehen, die Zeit rennt aber auch.«

Jule verlagerte ihr Gewicht aufs andere Bein und heftete den Blick auf das Kühlregal hinter Gesine. »Ja. Und es geht ihr gut. Danke. Du, ich müsste jetzt mal …«

»Sie ist ja auch eine Hübsche. Hat sie eigentlich einen Freund?« Es gab kein Entrinnen. »Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich fand es ganz komisch, als unser Patrick ausgezogen ist. Da muss man sich doch als Mutter auch erst mal dran gewöhnen. Nach Jahrzehnten Mittagkochen, Aufräumen, Fahrdiensten und Waschen hatte ich auf einmal jede Menge Zeit. Am Anfang wusste ich gar nicht, was ich damit anfangen soll. Aber dann hat Christian mir einen Schnupperkurs in der Yogawerkstatt geschenkt. Und da gehe ich jetzt zweimal die Woche hin, das macht Spaß. Hast du nicht auch Lust?«

Jule bemühte sich, das Bild der pummeligen Gesine im neonfarbenen Yogaanzug aus dem Kopf zu bekommen. »Ich spiele zweimal die Woche Tennis, das reicht mir.«

»Ah ja«, Gesines Lippen wurden zu einem schmalen Strich. »Hat Pia einen Freund?«

»Keine Ahnung«, Jule hob die Schultern. »Vor zwei Wochen gab es jedenfalls niemanden.«

Gesine sah sie erstaunt an. »Wie? Du weißt das nicht? Also, Patrick hat eine Freundin. Eine ganz nette. Das ist was Ernstes.« Sie lächelte und nahm die Hand vom Einkaufswagen, um sich durch die Haare zu streichen. Jule schob ihn sofort aus ihrer Reichweite.

»Das ist schön«, antwortete sie und griff hinter Gesines Rücken zu einem Paket Butter. »Du kannst Christian bitte daran erinnern, dass er sein Rezept für die Massagen noch einreichen muss. Das hat er bisher nicht getan. Also, bis bald mal.« Sie warf die Butter in den Wagen und rangierte elegant an Gesine vorbei.

Die nickte und entgegnete schmallippig: »Und du grüß Pia.«

»Gerne«, Jule lächelte übertrieben und beeilte sich, aus der Gefahrenzone zu gelangen. Was für eine blöde Ziege, dachte sie, während sie den Wagen durch die Gänge schob. Sie schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Überlegung, was sie für ihr Kind kochen wollte.

 

Jules Haus lag gut zwanzig Kilometer von der Praxis entfernt. Als sie damals zur Besichtigung hingefahren waren, hatte Jule sich schon in den Weg dorthin verliebt. Die erste Besichtigung war im Mai gewesen und Jule begeistert von dem strahlenden Gelb der Felder, dem zarten Grün der Kastanien und dem blauen Wasser im Kanal. Bereits während der Fahrt hatte sie gedacht, dass nur eine totale Bruchbude sie von dem Vorhaben, hier in der Nähe ein Ferienhaus zu kaufen, abbringen könnte. Es war ganz und gar keine Bruchbude, vor der die Maklerin sie empfing, sondern ein kleines, weißes, reetgedecktes Haus, das inmitten eines nicht einsehbaren großen Gartens lag. Darin blühten jede Menge Rosen, alte Obstbäume, ein Meer von Gänseblümchen. Jule dachte sofort an Bullerbü und war auf der Stelle schockverliebt. Vom Garten ging man durch eine windschiefe Pforte auf einem schmalen Weg direkt zum Kanal. Jule sah sich heute noch am Ufer stehen, und sie konnte jederzeit den unbändigen Wunsch von damals heraufbeschwören, dieses kleine Haus zu besitzen und in lauen Sommernächten mit einem Glas Wein in der Hand und den nackten Füßen im Wasser in den Sternenhimmel zu sehen.

Sie parkte den Bus neben dem Schuppen und stellte den Motor aus. Hätte man ihr damals gesagt, dass sie nicht nur in lauen Sommernächten am Kanal sitzen würde, sondern seit mittlerweile fast zwanzig Jahren hier lebte, hätte sie es nicht geglaubt. Außerdem wäre das romantische Gefühl von damals wohl relativ schnell verflogen: Bullerbü war im Sommer ein Traum, in kalten Herbst- und Winternächten aber verlor es seinen Zauber. Dennoch: Jule liebte dieses Haus, auch wenn Pia das überhaupt nicht verstehen konnte.

»Davon abgesehen, dass es am Ende der Welt liegt, Mama, dass man für jedes Brötchen, für jedes Bier ins Auto steigen muss, ganz abgesehen davon zieht es hier aus allen Ecken, die Heizung gibt bald ihren Geist auf, und wenn du hier ermordet wirst, dauert es Jahre, bis dich jemand findet. Warum verkloppst du diese Hütte nicht und nimmst dir eine schicke Wohnung in der Nähe der Praxis. Allein schon die Fahrerei …«

Pia hatte es immer gehasst, keine einzige Freundin mit dem Fahrrad besuchen zu können. Immer musste ihre Mutter sie hinbringen. Es gab zwar einen Bus, der ab und zu fuhr, aber die Betonung lag tatsächlich auf »ab und zu«. Für spontane nachmittägliche Verabredungen lebten sie zu weit ab vom Schuss. Und während Pia in ihren Teenagerjahren das Haus, ihre Mutter und die Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs verfluchte, blieb Jule gelassen und machte den Fahrdienst. Sie wollte hier nicht weg, schon gar nicht wegen einer rebellierenden Tochter, die sowieso irgendwann ausziehen würde. Also hielt sie durch, bewahrte ihren Gleichmut und kutschierte ihr Kind durch die Gegend. Sobald Pia alt genug geworden war, den Führerschein zu machen, meldete Jule sie in der Fahrschule an. Das Auto bezahlte Philipp, er hatte Geld genug und ein grenzenlos schlechtes Vatergewissen, schließlich hatte er die Familie verlassen. Mit seinen Spendierhosen glaubte er vielleicht, sich ein wenig Absolution erkaufen zu können. Vor dem Kind hatten Philipp und sie das nie diskutiert.

Jule schloss die Tür auf und stellte die braunen Papiertüten an der Küchentür ab. Bevor sie die Jacke auszog, drückte sie auf den Knopf des Anrufbeantworters.

»Hey, Schwesterherz, hier ist Lars. Sei doch so gut und ruf mich mal zurück. Es geht um die Hochzeit deiner Nichte. Laura und ihr Zukünftiger haben jetzt alles so weit organisiert, vielleicht können wir mal darüber sprechen. Ansonsten ist hier alles noch entspannt, bis später.«

Piep.

»Hallo, Jule, Kerstin hier, du, wir treffen uns am Samstag um halb elf am Vereinsheim. Du spielst das erste Einzel und danach Doppel mit Eva, wie besprochen. Und wenn du noch einen Kuchen backen könntest, wäre das super. Irgendwas Trockenes, muss keine Torte sein, also, bis Samstag, Tschüss.«

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Jule bückte sich nach den Tüten, trug sie in die Küche und hievte sie auf die Arbeitsplatte. Sie würde Pizza machen und mit dem Belag warten, bis Pia da war. Sie war nicht nur ahnungslos, was Pias Beziehungsstatus anging, sie hatte auch keine Ahnung, wovon sie sich gerade ernährte. Beim letzten Mal hatte sie nur Eiweiß gegessen. Das Mal davor nur Getreide. Weihnachten war sie vegan gewesen, Ostern hatte sie sich Lamm gewünscht. Jule war gespannt.

Sie streifte sich die Schuhe von den Füßen und ging auf Strümpfen zur Terrassentür, um sie zu öffnen. Das hatte sie sich schon als Kind gewünscht, eine große Küche, durch die man in den Garten gehen konnte. Und die hatte sie jetzt. Vor zwei Jahren hatte sie den Umbau endlich in Angriff genommen, gleich nachdem Pia ausgezogen war. Die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer war eingerissen worden, jetzt bestand die ganze untere Etage aus einem einzigen Raum, was Jule jeden Tag begeisterte. Es war genauso geworden, wie sie es sich immer vorgestellt hatte. Ob es das Bild von Bullerbü war oder ihre schwedischen Gene, blieb dahingestellt, das Ergebnis passte. Eine große Wohnküche, in deren Zentrum ein überdimensionaler Esstisch für jede Menge Gäste stand. Rechts eine hochmoderne Küchenzeile, Regale voll buntem Geschirr, hübsche Tassen am Haken, ein alter Küchenschrank, helle Flickenteppiche auf dem honiggelben Holzboden, links ein altes Sofa, Ohrensessel mit gelben und blauen Kissen, der Fernseher, ein blauweißer Kachelofen, an den Wänden zahllose gerahmte Fotos – das Haus war durchsetzt von Erinnerungen. Pia fand dieses Zimmer viel zu voll und viel zu bunt, Jule solle doch endlich mal anfangen, Klarheit in ihr Leben zu bringen, sie selbst würde durchdrehen, wenn sie zwischen diesem ganzen Zeug leben müsste. Jule hatte gelächelt und gesagt, dass sie dann ja Glück habe, nicht mehr hier zu wohnen, sie selbst liebe es genau so, wie es war.

Jule blieb noch einen Moment in der geöffneten Terrassentür stehen und sah in ihren Garten. Noch ein paar Wochen, und alles würde hier wieder blühen. Sie freute sich auf den Sommer und Bullerbü. Zufrieden trat sie zurück in die Küche und begann, ihre Einkäufe auszupacken. Ihr Leben war gar nicht so schlecht.

 

Natürlich kam Pia wieder zu spät. Jahrelang hatte Jule sich über ihre trödelige Tochter aufgeregt, die es nie hinbekam, rechtzeitig und ohne Hektik eine Verabredung einzuhalten. Irgendwann hatte Jule es aufgegeben und Pia zu wichtigen Terminen eine Stunde vorher bestellt. Das hatte eine Zeitlang ganz gut geklappt, bis Pia es gemerkt hatte. Jetzt musste sie sich eine andere Strategie überlegen oder – wie immer – warten. So wie heute.

Jule wischte abschließend über die Arbeitsplatte und musterte das Blech mit dem Hefeteig, auf dem sie bislang nur die Tomatensauce verstrichen hatte. Es war mittlerweile zwanzig vor acht, als das Telefon klingelte.

»Mama? Ich bin’s, du, ich verspäte mich ein bisschen, die ganze Stadt ist ein einziger Stau gewesen, ich kam kaum raus. Nur dass du Bescheid weißt.«

»Du bist jetzt schon vierzig Minuten zu spät, Pia.« Jule warf den Wischlappen in die Spüle. »Fahr doch einfach mal rechtzeitig los, das geht mir echt auf die Nerven. Ich habe mich auch beeilt.«

»Entspann dich, ich bin in einer Viertelstunde da.«

»Entspannen! Also wirklich. Ich habe übrigens Pizza gemacht, jetzt sag bitte nicht, dass du die nicht isst.«

»Doch, doch. Aber nicht so viel Käse. Und keine Zwiebeln und kein Paprika, keine Peperoni und keine Oliven. Ach, und Thunfisch nur, wenn er tierfreundlich gefangen ist.«

Jule verdrehte die Augen. »Salami? Pilze? Schinken?«

»Ja, egal, meinetwegen. Ich muss aufhören, meine Freisprechanlage ist kaputt und da vorn steht die Polizei, bis gleich.«

»Was denn jetzt?« Jules Frage lief ins Leere, Pia hatte sie schon weggedrückt.

 

Regungslos beobachtete Jule kurz darauf ihre Tochter, wie sie hochkonzentriert und äußerst effektiv sämtliche Champignons von ihrem Pizzastück pickte und ordentlich auf den Tellerrand legte. Dabei redete sie ununterbrochen. »Hanna war sich aber sicher, dass der Außenspiegel in Ordnung war, als sie ins Parkhaus gefahren ist, sie hätte noch an der Schranke beim Ticketziehen reingeguckt, da war noch alles okay, und erst als sie vom Shoppen zurück war, hat sie gesehen, dass der auf halb acht hing. Das muss der Arsch auf dem Parkplatz neben ihr gewesen sein, das ist doch Fahrerflucht, echt, eine Sauerei, aber Hannas Mutter macht jetzt einen riesen Stress.« Sie schob ein champignonfreies Stück Pizza in den Mund und sah Jule kauend an. »Ist was?«

»Ist was mit den Pilzen?«

Pia folgte ihrem Blick und schob angewidert mit der Gabel die aussortierten Champignons noch weiter zur Seite. »Ich finde sie fies. Willst du die?«

»Fiese Pilze?« Jule schüttelte den Kopf und griff zu ihrem Wasserglas. »Herzlichen Dank. Ich habe dich aber vorhin gefragt, was auf die Pizza drauf soll. Und ich habe auch Pilze genannt. Und du hast gesagt, egal, meinetwegen. Ich hasse dieses Rumstochern im Essen. Das hättest du doch vorhin auch schon sagen können. Dann hätte ich mir die morgen gemacht und müsste sie heute nicht wegschmeißen.«

Pia ließ ihr Besteck sinken. »Ach, Mama, du bist so unentspannt. Was ist denn los? Es sind doch nur Pilze.«

»Es sind …«, Jule schloss sofort den Mund und schluckte alle weiteren Argumente runter. Das war genau die Art von Gespräch, die sie selbst als Jugendliche mit ihrer Mutter geführt und immer gehasst hatte. Damals hatte sie sich geschworen, niemals, wirklich niemals und unter gar keinen Umständen später mit ihrem eigenen Kind diese Diskussionen zu haben. Und jetzt, Jahre später, kamen die Sätze und Gedanken fast von selbst. Und leider schaffte sie es nicht immer, die Worte runterzuschlucken, bevor sie sich Bahn brachen. Wahrscheinlich schaffte das niemand, es sei denn, man war eine Heilige, die ihr Kind durchgehend großartig fand. Oder das Kind war ein heiliges, das durchgehend großartig war. In ihrem Fall traf keines von beiden zu.

Pia sah sie immer noch fragend an. »Es sind was?«

»Nichts.« Entschlossen legte Jule ihr Besteck auf den Teller und lehnte sich zurück. »Gar nichts. Willst du noch Nachtisch? Ich habe Eis in der Truhe.«

»Nein danke. Lieber einen Kaffee.«

»Jetzt noch? Kannst du danach schlafen?« Als sie Pias Gesichtsausdruck sah, winkte sie sofort ab. »Schon gut. Milchkaffee oder Espresso?«

»Milchkaffee.«

War klar, dachte Jule, während sie die Teller auf die Spüle stellte. Ein Arbeitsgang mehr. Aber Mutti machte den ja.

Sie blieb an die Küchenzeile gelehnt stehen und wartete darauf, dass es in der Espressokanne anfing zu blubbern. Pia saß gelassen am Esstisch, das Smartphone in der Hand, und wickelte eine Haarsträhne um den Finger. Plötzlich schüttelte sie den Kopf und hielt Jule das Gerät hin. »Hast du schon das Foto von Laura gesehen? Das ist echt unterirdisch.«

Jule trat näher und nahm das Handy in die Hand. Auf dem Display ein Bild ihrer Nichte Laura. In zartrosa Spitzennachthemd, die blonden Locken unter einem Blumenkranz, die Augen geschlossen, die Lippen zu einem Kussmund geformt. Darunter der Satz: »Die Hochzeitsglocken läuten …«

»Wie grauenhaft.« Jule schüttelte den Kopf. »Was ist das denn?«

Achselzuckend nahm Pia ihr das Smartphone wieder aus der Hand und starrte darauf. »Ihr neues Profilbild bei Facebook. Was meinst du, wie viele Likes sie dafür bekommt!«

»Das Bild könnte aus den Siebzigerjahren stammen, so sieht doch heute niemand mehr aus.« Jule war immer noch fassungslos. »Sie macht sich doch lächerlich.«

Der Espresso brodelte, aus der Kanne strömte der Dampf, mit wenigen Schritten war Jule wieder am Herd und stellte die Platte aus. »Ach so, du wolltest ja Milchkaffee.«

Pia gab keine Antwort, also füllte Jule die Milch in das Aufschäumgerät und drückte auf den Knopf, bevor sie sich wieder umdrehte. »Übernachtest du nach der Hochzeit auch im Hotel, oder fährst du nachts wieder zurück?«

Pia atmete tief aus, legte das Telefon auf den Tisch und sah ihre Mutter genervt an. »Ich habe überhaupt keinen Bock, da hinzugehen. Das wird eine solche Spießernummer, ich kriege schon Pickel, wenn ich mir das vorstelle. Ich überlege mir schon seit Tagen eine gute Ausrede.«

Die Milch war heiß, Jule füllte die Tasse und kam damit zurück an den Tisch. »Bitte«, sagte sie beim Abstellen und setzte sich Pia gegenüber. »Du kannst aufhören zu überlegen, du kommst mit. Laura ist deine Cousine, ich habe uns schon angemeldet, es ist ein Familienfest, da musst du durch. Tut mir leid, aber das Leben ist manchmal ungerecht.« Sie betrachtete ihre schöne Tochter, die selbst mit gekrauster Stirn umwerfend aussah. »Da musst du nicht so ein Gesicht machen. Es hilft nichts. Hey, es ist nur eine Hochzeitsfeier.«

»Ich weiß.« Pias Gesichtszüge entspannten sich, sie lächelte leicht, stützte das Kinn auf die Faust und richtete die großen braunen Augen auf ihre Mutter. »Aber ich sag es dir, es wird grauenhaft. Ich habe mich Montag mit der Brautschwester getroffen. Katharina hat mir die Details der Hochzeit erzählt, ich habe den totalen Lachkrampf bekommen. Kennst du schon den Ablauf?«

»Nein.« Jule schüttelte den Kopf. »Aber da fällt mir ein, dass Lars auf den Anrufbeantworter gesprochen hat, wahrscheinlich wollte er mir das erzählen. Der aufgeregte Brautvater.«

»Der ist nicht aufgeregt. Genauso wenig wie Katharina oder Tante Anja. Die Einzige, die durchgeknallt ist, ist unsere süße Laura. Die hatte nämlich einen Hochzeitsplaner. Weil ihre komische Schwiegermutter das so toll findet. Und deshalb gibt es jetzt eine Hochzeit wie bei Königs. Mit allem Drum und Dran: Kutsche, Kirche, Blumenkinder, weiße Tauben, lange Roben, Smoking, Sektempfang und Fünf-Gänge-Menü.«

»Das ist nicht dein Ernst?« Jule wusste zwar, dass das Ganze an der Ostsee stattfinden sollte, aber die Details waren ihr bislang schnuppe gewesen. »Ich dachte, das wird eine ganz normale Familienfeier.«

Pia grinste breit. »Katharina hat sich mit Laura schon in die Haare bekommen, weil Laura Brautjungfern in Pastell haben wollte. Das ist doch Hollywood, oder? Katharina hat abgelehnt, Fabians Schwester auch, zwei sind zu wenig, sagt der Hochzeitsplaner, deshalb sind die Jungfern gestrichen. Ich habe mich weggeschmissen vor Lachen.«

»Brautjungfern?« Jule war fassungslos. »Echt?«

»Ja«, Pia konnte nicht mehr ernst bleiben. »Ganz großes Kino. Es gibt ja auch eine Kleiderordnung. Herren in Smoking, Damen in Lang. Ich habe überhaupt kein langes Kleid. Und auch keine Lust, Geld dafür auszugeben.«

Jule beschloss, ihren Bruder anzurufen, sobald Pia weg war. Smoking und weiße Tauben, großer Gott.

»Papa kommt übrigens doch«, sagte Pia in Jules Gedanken hinein. »Er hat schon zugesagt.«

»Wann?«

»Keine Ahnung«, Pia hob die Schultern. »Er hat mir nur gesagt, dass er kommt. Und wollte wissen, was er als Hochzeitsgeschenk kaufen soll.« Sie warf ihrer Mutter einen vielsagenden Blick zu. »Ob Steffi mitkommt, weiß ich nicht. Ich glaube, die haben gerade wieder eine Krise.«

»Geld.« Jule überging die anderen Informationen. »Laura wünscht sich Geld. Für ihren Urlaub in Kanada. Wenigstens das weiß ich.«

»Das kann ich ihm ja sagen.« Pia trank den Kaffee aus und stellte die Tasse ab. »Dann kann ich auch gleich fragen, ob Steffi kommt. Vielleicht gibt es doch einen Lichtblick. Hast du irgendwas gehört?«