Drei irische Frauen - Mary Ryan - E-Book

Drei irische Frauen E-Book

Mary Ryan

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Beschreibung

Im Irland der 80er Jahre mussten diese Frauen um ihr Glück bitter kämpfen … An einem lauen Maiabend stehen drei junge Frauen vor einer sehr unterschiedlichen Zukunft: Patricia ist verliebt und willigt schließlich ein, die Nacht mit ihrem Freund Paddy im schönen Tal von Glendalough zu verbringen. Joan, die für ihren Abschluss lernt, träumt von einer Karriere als Anwältin. Und in einem nahe gelegenen Dubliner Vorort halten ihre Träume auch die vierzehnjährige Sarah wach. Alle drei sind voller Hoffnung: auf Liebe, Karriere, Erfolg und ein Gefühl von Zugehörigkeit. Doch das Leben hat andere Pläne für sie. Zwanzig Jahre später ist es nur ihr Mut und Zusammenhalt, der ihnen noch Zuversicht gibt. Denn für jede von ihnen steht das Überleben auf dem Spiel ... Die bewegende Geschichte dreier irischer Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt wurden und gemeinsam das Schweigen brachen.  »Ein kraftvoller Roman, der aus der Wut geboren wurde.« – Publishers Weekly Ein ebenso eindrucksvoller wie aufrüttelnder Tatsachenroman der irischen Bestsellerautorin – für LeserInnen von Hera Lind und Judith Lennox.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

An einem lauen Maiabend stehen drei junge Frauen vor einer sehr unterschiedlichen Zukunft: Patricia ist verliebt und willigt schließlich ein, die Nacht mit ihrem Freund Paddy im schönen Tal von Glendalough zu verbringen. Joan, die für ihren Abschluss lernt, träumt von einer Karriere als Anwältin. Und in einem nahe gelegenen Dubliner Vorort halten ihre Träume auch die vierzehnjährige Sarah wach. Alle drei sind voller Hoffnung: auf Liebe, Karriere, Erfolg und ein Gefühl von Zugehörigkeit. Doch das Leben hat andere Pläne für sie. Zwanzig Jahre später ist es nur ihr Mut und Zusammenhalt, der ihnen noch Zuversicht gibt. Denn für jede von ihnen steht das Überleben auf dem Spiel ...

Über die Autorin:

Die irische Autorin Mary Ryan begann ihre berufliche Laufbahn als Lehrerin in England, bevor sie nach Dublin zurückkehrte, um Jura zu studieren. Sie arbeitete in einer Anwaltskanzlei, bevor sie den Entschluss fasste, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Ihr erster Roman »Ein sanftes Flüstern im Wind« erreichte ein breites Publikum und verkaufte sich über 300.000 Mal. Seitdem widmet sie sich mit Begeisterung dem Schreiben neuer Geschichten.

Mary Ryan veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Irland-Romane »Ein sanftes Flüstern im Wind«, »Irisches Glück«, »Träume in der Ferne«, »Irischer Wind«, »Das Geheimnis von Glenallen«, »Ein irischer Sommer«, »Das Schloss an der irischen Küste«, »Zwei irische Herzen« sowie ihren Tatsachenroman »Drei irische Frauen« und ihren Italien-Roman »Wiedersehen in Florenz«.

***

eBook-Neuausgabe August 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1994 unter dem Originaltitel »Shadows from the Fire« bei Headline, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Drei Frauen« bei Schneekluth.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1994 by Mary Ryan

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1997 für die deutsche Ausgabe by Schneekluth. Ein Verlagsimprint der Weltbild Verlag GmbH Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © nastasya_parshina /Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-69076-015-7

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Mary Ryan

Drei irische Frauen

Roman nach wahren Begebenheiten

Aus dem Englischen von Sonja Schuhmacher

dotbooks.

Widmung

Dank

Motto

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Anmerkung der Autorin

Lesetipps

Widmung

In Liebe für meinen »Plato«

Dank

Herzlichen Dank all jenen, die mit ihren Anregungen und ihrer Unterstützung so viel zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben:

Paulyn Marrinan Quinn, die mir wichtige, für den ganzen Roman zentrale Denkanstöße gegeben hat; Bernadette Moran für ihre Informationen über die Strahlentherapie; Clodagh Corcoran, deren Flugblatt Pornography the New Terrorism mir als Grundlage für meine Auseinandersetzung mit Gewaltvideos gedient hat; meiner Familie und meinen Schwestern für ihre Geduld; meiner ehemaligen Lektorin Caroline Oakley für ihre hilfreichen Kommentare und meiner neuen Lektorin Cate Paterson für ihre Begeisterung und Ermutigung.

Motto

Die goldnen Lichter, die am blauen Weltrad gehn,

Haben sich viel gedreht und werden viel sich drehn.

Und wir, im ew’gen Kreislauf der Erscheinungen,

Kommen auf kurze Zeit, um wieder zu vergehn.

Aus: Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers

»Rubaijat-i-Omapi-Khajjam«

Prolog

Mai 1969

Die jungen Wanderer machten oben auf dem Hügel halt. Ein Otter, der ihnen den Graben entlang gefolgt war, verschwand verstohlen im Gebüsch. Patricia sah gerade noch den Schwanz, lachte und drehte sich zu Paddy um. »Jetzt ist er fort, der neugierige Kerl!«

Er umfasste sie mit beiden Armen, und sie lehnte sich an ihn; die Aussicht, den ganzen Abend, die ganze Nacht mit ihm allein zu verbringen, machte sie nervös. Doch beide ließen sie diese Tatsache unerwähnt, benahmen sich vielmehr, als unternähmen sie nur einen Tagesausflug. Im Magen hatte Pat aber ein flaues, freischwebendes Gefühl, als wäre sie mit dem Auto zu schnell über einen Buckel gefahren.

Es war ein schöner Sommerabend. Hinter ihnen lag die warme Teerstraße, die über Laragh nach Annamoe und Roundwood und weiter nach Dublin führte. Zur Rechten ging es hinauf zur Wicklow Gap. Vor ihnen lag Glendalough. Hier, in diesem geschützten Tal der zwei Seen zwischen den Bergen hatten die Mönche vor über tausend Jahren ihre Kapellen und Einsiedeleien errichtet. Hier, oberhalb der Klosterruinen, wollten Patricia und Paddy ihr Zelt aufschlagen.

Mit dem Bus waren sie nach Laragh hinausgefahren, und von dort war es nur noch ein Fußmarsch von etwa einer Meile bis zum Tal der zwei Seen.

Als Kinder waren sie oft mit der Familie in Glendalough gewesen, mit Eltern und Großeltern; sommerliche Sonntagsausflüge mit Tee und Gebäck, Geschwisterstreit und Übelkeit bei der Heimfahrt im Auto über die kurvenreiche Militärstraße nach Rathfarnam. Aber jetzt waren sie frei. Sie trugen Jeans und hatten Rucksäcke, in denen Schlafsack, Zelt und Verpflegung untergebracht waren.

Von ihrem Standort aus sahen sie das Tal unter sich und dahinter den Berg mit dem jähen Steilhang.

»Ist das nicht schön?«, meinte Paddy mit ausladender Geste. »Kein Wunder, dass man Wicklow den Garten Irlands nennt.«

»Als ich ein Kind war«, meinte Patricia, »ist mir das nie aufgefallen. Aber jetzt finde ich es atemberaubend.«

Sie kamen zum Royal Hotel, wo sie abbogen und die Stufen zum Klosterfriedhof hinaufstapften. Auf dem Friedhof sahen sie sich den Rundturm aus dem elften Jahrhundert an, der den Mönchen einst Zuflucht vor Plünderern geboten hatte, die Ruinen der ersten Kirchen und das uralte keltische Hochkreuz. Paddy schlang die Arme um den Längsbalken aus gemeißeltem Kalkstein.

»Wenn man ihn so umarmen kann, dass sich die Fingerspitzen berühren, wird man eine glückliche Ehe führen! Sagt die Legende.« Lachend versuchte sie es, aber auch ihr gelang es nicht. »Dafür braucht man Arme wie ein Neandertaler!«

Sie ließen die Grabsteine hinter sich, überquerten die Brücke und gelangten dann auf den Waldweg. Der Pfad führte am Ufer des unteren Sees entlang durch Eichen, Birken, Hasel- und Sanddornsträucher. Es war sechs Uhr; kaum jemand war jetzt noch unterwegs. Patricia hatte ihrer Mutter erzählt, sie ginge mit ihrer Freundin Bernadette zum Zelten.

»Morgen bin ich wieder da.«

»Wo wollt ihr hin?«

»Glendalough.«

»Ist das denn nicht gefährlich?«

»Natürlich ist es nicht gefährlich ...«

»Mir gefällt es nicht, dass du zelten willst. Was ist, wenn ihr auf irgendwelche unangenehmen Typen stoßt? Damals in England, während des Krieges ...«

Ihre Mutter war Engländerin und hatte allzu vieles noch lebhaft in Erinnerung. Pat seufzte laut auf. »Ach, Mama, der Krieg ist vorbei ... Das hier ist Irland, und wir haben Mai 1969.«

Ihre Mutter zögerte; sie wollte sich nicht auf einen Streit einlassen. Patricia wusste, dass ihre Mutter sie für eigensinnig hielt; oft genug hatte sie mit angehört, wie ihre Mutter sich bei Pats Vater darüber beklagte: »Das Mädchen ist so eigensinnig! Sie lässt sich einfach nichts sagen!« Aber diesmal erhob ihre Mutter keine weiteren Einwände. »Zieh dich warm an. Nachts kann es ziemlich kalt werden«, war alles, was sie sagte.

»Keine Sorge. Der Wetterbericht ist gut.« Pat warf einen hastigen Seitenblick auf ihre Mutter dort in der Küche. Neben der Tür hing ein Spiegel, der früher ein Pub verschönert hatte, ein alter Spiegel, auf dem in großen Lettern PADDY stand. Ihrem Vater zufolge, der eine Schwäche für Jameson Twelve und obskure schottische Whiskys hatte, brannte PADDY wie Feuer, aber er meinte den Whisky und nicht den jungen Mann, der oft vorbeikam und Patricia abholte. Seit sie mit Paddy zusammen war, fand sie den Spiegel amüsant, wirklich passend, und es gefiel ihr, dass ihr Gesicht sie durch die Buchstaben seines Namens hindurch anschaute. Als sie sich jetzt umdrehte, um zu sehen, wie ihre Mutter reagierte, warf sie rasch einen Blick in den Spiegel. Sie sah ein Mädchen mit dichtem, lockigem braunem Haar, lebhaften Zügen und leuchtenden blauen Augen. Ich bin schön, dachte sie überrascht. Na ja, schön, wenn halt diese blöden Sommersprossen nicht wären! Normalerweise verweilte sie gern ein bisschen vor dem Spiegel, wenn sie zufällig daran vorbeikam, aber jetzt wollte sie sichergehen, dass ihre Mutter nichts merkte. Verstohlen musterte sie sie und war beruhigt. Patricia erkannte an der Haltung von Mrs. O’Hehir, die sich ganz ihrer weißen Soße widmete, dass diese nicht den mindesten Verdacht hegte, ihre Tochter wolle allein mit einem jungen Mann zum Zelten fahren. Graue Haarsträhnen hatten sich aus ihrem Knoten gelöst. Ihr Gesicht im Profil, die Art, wie sie sich über den Topf beugte, erschienen Patricia plötzlich als das Inbild von Unschuld und Vertrauen. In letzter Zeit fühlte sich Patricia weltklug; allmählich kam ihr der Verdacht, dass Eltern sehr wenig wussten. Bei diesem Gedanken empfand sie eine solche Liebe zu ihrer Mutter, dass sie sie am liebsten geküsst hätte. Stattdessen deckte sie den Tisch, hörte die Nachrichten und wartete gespannt auf den Wetterbericht.

Das Wetter war mild, wie vorhergesagt, ein Sommerabend mit rosa Wölkchen am Himmel. Ein großer Junge angelte am Ufer; er warf seine Leine hoch hinaus aufs Wasser. Die Rolle ächzte, die Leine schwirrte und da, wo die künstliche Fliege landete, entstanden kreisförmige Wellen – und nicht nur da, denn Millionen von Eintagsfliegen waren unterwegs. Die Mücken sammelten sich zu tanzenden Nebelschwaden am Rande des Sees. Weiter draußen sah man Schilfrohr, Binsen und ein paar scheue Teichhühner. Das durchdringende Gackern der Blässhühner und das Krächzen der Saatkrähen war zu hören. Rundherum stimmten die Vögel in einem wahren Freudentaumel ihr Abendlied an. Paddy hielt Patricias Hand.

»Die Geräusche des Wassers werden wir noch die ganze Nacht über hören«, sagte er und drückte ihre Hand. Diesen warmen, festen Druck spürte sie so gerne.

»Wo wollen wir unser Zelt aufschlagen?«

»Im Wald am oberen See. Da war ich schon mal.« »Allein?«

Er sah sie an, lächelte, senkte dann den Kopf. »Bist du eifersüchtig? Nein ... mit Tom Curran.«

Sie kannte Tom, mit dem er sich an der Universität angefreundet hatte.

»War es schön?«

»Ja. Ganz toll. Wir haben auf einer Lichtung bei den Haselsträuchern gezeltet. Wir konnten die Sterne sehen.«

Der Weg war steinig, er wand sich bergauf und bergab und mündete schließlich auf einer einsamen Wiese mit einer verfallenen Kapelle, bei der ein paar Schafe grasten. Dahinter lag der obere See, eine dunkelblaue Wasserfläche mit sandigem Ufer, die fast mit dem dunklen Berg verschmolz. In der Ferne schäumte weiß der Wasserfall, der sich über die Klippe ergoss.

Sie standen am Ufer, warfen Kiesel ins Wasser und beobachteten die kreisförmigen Wellen, die entstanden, sich ausdehnten und erstarken.

»Wie das Leben«, sagte Paddy.

»Meinst du die Wellen?«

»Natürlich. Ein kleiner Stein schlägt aufs Wasser und erzeugt Wirbel auf dem See. Wie das Leben! Wir sind die Steinchen.«

»Soll das tiefsinnig sein?«

Er lachte und sah sie an. »Selbstverständlich ist das tiefsinnig!«

An einer Seite des Sees stieg der Fels jäh an, ein baumbestandener Überhang erhob sich steil über dem Wasser. Paddy deutete darauf. »Das ist Kevin’s Bed.«

Sie blickte auf, hielt Ausschau nach der Klause des Heiligen Kevin, des Eremiten, der sich zum Fasten und Beten dorthin zurückgezogen hatte. Die Frau, die ihn liebte, war ihm gefolgt. Er aber war ein heiliger Mann und stieß sie hinab in den See, wo sie den Tod fand.

»Wie hieß denn die Frau?«, fragte Patricia. »Die, die er ertränkt hat?«

Paddy zuckte mit den Achseln und verscheuchte die Mücken. »Verschwinden wir hier, bevor wir bei lebendigem Leib aufgefressen werden.«

Im Gehen sah Patricia ihn an, sah sein Gesicht, seine tief liegenden Augen, die Selbstsicherheit, mit der er sich bewegte. Er legte seinen Arm um ihre Schulter, blieb so überraschend stehen, dass er sie beinah aus dem Gleichgewicht gebracht hätte, und küsste sie auf den Mund. Pat spürte einen elektrischen Impuls bis hinunter in die Zehen. Seine Lippen waren warm, sein Kinn ein klein wenig stoppelig. Er roch nach Leben und Gewissheit. Er roch nach Zukunft und Liebe, nach Aufregung und Hoffnung.

»Du machst mich ganz schwindlig«, flüsterte er nach einer Weile, »Du schöner Vogel, heute Nacht werde ich mit dir schlafen.«

Die flapsige Bemerkung ließ sie zusammenzucken.

»Ich bin kein Vogel.«

Er sah sie spöttisch an. »Was ist denn so schlimm daran, ein Vogel zu sein?«

»Nichts«, erwiderte sie gereizt, »solange man Federn hat!«

Er lachte. »Ich ziehe dich doch nur auf, Dummerchen. Ich schaffe es immer, dich auf die Palme zu bringen.«

Sie stiegen über den Abhang in den Wald hinauf. Er ging vor ihr her, und sie beobachtete, wie er sich bewegte, männlich, selbstbewusst, von einem Zauber wie von einem unsichtbaren goldenen Mantel umhüllt.

»Ich glaube, das da drüben ist ein guter Platz für uns zum Übernachten!«, sagte er und deutete auf eine trockene Lichtung zwischen den Bäumen. Er setzte den Rucksack ab, ließ sich auf ein paar knorrigen Wurzeln nieder und begann das Zelt auszupacken.

Patricia stand nur da und starrte ihn an; plötzlich ergriff eine überwältigende Schüchternheit von ihr Besitz. »Für uns zum Übernachten!« Ihr Magen verkrampfte sich und die Stimmen aller ihrer Mentoren hallten in ihrem Kopf wider, all die Warnungen vor Sex, vor der Todsünde.

Die Nacht war wunderbar. Pat hatte noch nie einen solch violetten Himmel gesehen, wie er sich jetzt über ihr ausbreitete, sternenübersät. Von unten hörten sie das immerwährende Lied des Sturzbachs. Die beiden Seen lagen wie silberne Laken im Mondlicht. Eine Waldschnepfe schwirrte durch die Dunkelheit. Sie hatten das Zelt aufgebaut und saßen vor dem Campingkocher, auf dem sie ihr Abendbrot warm machten: Baked Beans mit Würstchen, Tee und Brot. Im Wald ringsherum hörte man es rascheln: aufgeschrecktes Wild, Augen, die plötzlich im Licht rostrot aufleuchteten, dann verschwanden. Sie hatten eine Sturmlaterne dabei, in einem endlosen Tanz umschwirrt von weißen Nachtfaltern; hie und da zuckten Flämmchen auf, wenn die Falter von der Hitze angesogen wurden und verbrannten. Jenseits des Lichtkreises der Lampen warteten die Schatten. Eine Weile lauschten beide dem Rauschen des Wassers.

»Wie Musik, nicht wahr?«, sagte Patricia leise. Sie hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt, die Locken noch voller Zweiglein von der Knutscherei vor dem Essen. »Wie im ›Lied der Lotosesser‹«, fügte sie hinzu und zitierte flüsternd:

»Weicher fallen diese süßen Klänge

als Rosenblätter, die der Wind verweht ...«

Sie beugte sich vor und trank Bier aus seiner Flasche; als sie fertig war, stellte er die Flasche weg, rückte näher an sie heran, tastete unter ihrem Pullover nach dem Verschluss von ihrem BH, zog ihr den Pullover hoch, bis ihre hellen Brüste entblößt waren, berührte sie ehrfürchtig, küsste sie, saugte daran.

»Wunderschön«, stöhnte er. »Lieber Himmel, Pat. Ich habe solches Verlangen nach dir, dass ich gleich sterbe. Lass mich dich lieben ...« Er zog an ihren Jeans, öffnete den Reißverschluss.

Jäh wurde Patricia aus ihrer Stimmung gerissen. Verlegen zog sie sich den Pullover herunter und griff nach seiner Hand.

»Nicht jetzt.«

Seufzend rollte er sich auf den Rücken. Patricia kam sich vor wie eine prüde Zicke, wie eine, die einen Mann erst reizt, dann aber einen Rückzieher macht. Aber eigentlich wünschte sie sich nur verzweifelt, dass es richtig war und er wirklich wusste, was es für sie beide bedeutete. Vielleicht hätte sie nicht mitkommen sollen. So wie jetzt war es auch auf dem Ausflug nach Dollymount gewesen, als sie sich von ihm losgerissen hatte und den Strand hinuntergelaufen war.

Wenn ich doch nur nicht solche Angst hätte, dachte sie. Wenn ich doch nur nicht solche Angst hätte. Wenn er doch nur nicht fragen würde. Wenn er mich einfach küssen würde, bis ich dahinschmelze, mich überall küssen, ganz zärtlich und so langsam, dass ich nicht versuchen müsste, mit ihm Schritt zu halten. Wenn er mich so küssen würde, wie könnte ich da noch widerstehen?

»Ist schon gut«, flüsterte er schließlich. Er hielt sie zärtlich im Arm, seine Stimme, sonst so pragmatisch, klang jetzt sehr weich. »Wir warten. Wir haben noch ein Leben lang Zeit.« Er zog etwas heraus, das wie eine Zigarette aussah, aber als er es anzündete, sah sie, dass es ein Joint war. Er machte ein paar Züge und bot ihn ihr dann an. Sie nahm ihn vorsichtig; es war untypisch für Paddy, dass er irgendwelche Krücken brauchte.

»Ich hab’ nicht gewusst, dass du so ein Zeug rauchst.«

»Tu ich auch nicht. Ich hab’s bisher nur einmal versucht. Es unterdrückt die Geilheit. Und ich bin ziemlich geil!« Er seufzte. »Tom hat mir den Joint gegeben und ich habe ihn mitgebracht, damit ich Ruhe gebe. Da verschwinden alle Sorgen!«

Nach einer Weile bat er sie: »Sag es noch einmal auf, das Lied der Lotosesser.«

Patricia tat ihm den Gefallen und zitierte langsam die erste Strophe. Danach wurden beide ganz still.

Schweigend rauchten sie den Joint zu Ende. Nach einiger Zeit kam der Frieden über sie, das Gefühl, in der Nacht und im Lied des Wassers, im leisen Rascheln ringsherum und ineinander aufzugehen. Patricia fühlte sich, als flöge sie empor in den violetten Raum, in die wispernde Nacht. Sie hörte seine Worte: »Ich liebe dich, Patricia, ich liebe dich und ich liebe deinen Namen und ich liebe die Patrizierin in dir und dein kleines Herz, das wie wild pocht«, und sie hörte ihre Antwort: »Ich liebe dich, Paddy Johnson.«

Irgendwann fügte er schelmisch, nur mühsam das Lachen unterdrückend, hinzu: »Ich glaube, wir beide sind aus demselben alten Mooreichenklotz geschnitzt!«

Pat lachte in die Dunkelheit hinein. »Das meinst aber auch nur du!«

Später krochen sie in ihre Schlafsäcke, schliefen nebeneinander, Händchen haltend, und am Morgen küssten sie sich verschlafen.

In Dublin träumte in jener Mainacht ein Mädchen namens Sarah von der Schule. Im Traum wurde sie von Schwester Martha ausgescholten. Die Schwester hatte schmale Hexenaugen wie die Königin im Märchen vom Schneewittchen und lange gebogene Fingernägel. »Du hast keine Zukunft, Sarah Dempsey«, sagte sie. »Keine Zukunft in dieser Schule oder sonst irgendwo ...«

»Es tut mir leid, Schwester. Ich wollte nicht schon wieder meine Hausaufgaben vergessen ...«

Starr vor Schreck wachte Sarah auf, mit wild pochendem Herzen. Und dann fiel ihr ein, dass sie die Hausaufgaben für morgen alle erledigt hatte und Schwester Martha gar keine Hexe war, zumindest nicht so eine wie die verrückte Königin. Ein alter Drachen war sie, aber so böse auch wieder nicht, dass sie derart interessant gewesen wäre. Trotzdem war ihr übel vor Entsetzen, ein Entsetzen, das in keinem Verhältnis stand zu dem Traum und schwer auf ihr lastete. Draußen vor dem Fenster stand ein Apfelbaum, dessen Laub leise an den Scheiben kratzte. Der Baum warf Schattenbilder auf den Vorhang, die sich plötzlich im Nachtwind bewegten.

Ich bin vierzehn, zu alt für so etwas. Sie dachte an ihre Eltern im Nebenzimmer und an früher, als sie sich bei ihnen verkriechen konnte, wenn sie einen Alptraum gehabt hatte. Dann seufzte ihre Mutter und rückte ein Stück; und Sarah lauschte eine Weile den tröstlichen Atemgeräuschen ihrer Eltern, dem leichten Schnarchen ihres Vaters, bis sie wieder einschlafen konnte. Warum muss ich nur erwachsen werden und alle Geborgenheit hinter mir lassen, dachte sie unwillkürlich, bis ihr wieder einfiel, dass sie erwachsen werden wollte, weil sie dann frei wäre.

Nicht weit entfernt in einem anderen Dubliner Vorort saß eine junge Frau bis spät in die Nacht über ihren Büchern. Am besten konnte sie nachts arbeiten, wenn völlige Stille herrschte, abgesehen vom Nachbarshund; den hätte sie am liebsten erwürgt, wenn er so heulte, winselte und kläffte.

In ein paar Wochen würde sie ihr Abitur machen. Die Zukunft lag klar und deutlich vor ihr. Sie wollte Anwältin werden; sie wollte alle Zusammenhänge begreifen; sie wollte nie wieder die Machtlosigkeit der Kindheit spüren müssen. Bald würde sie zu studieren anfangen; dann würde es ihr freistehen, sich mit David zu verabreden, dem Kunststudenten, den sie in der Nationalbibliothek kennen gelernt hatte, der sie malen wollte, der sie auf einen Kaffee einlud und sich stundenlang mit ihr unterhielt. Der schlanke David mit den dunklen Augen, der so zart aussah wie ein viktorianischer Dichter. Er hatte zwei Mal angerufen, und ihre Mutter hatte gesagt, sie sei nicht zu Hause. »Für Jungs hast du immer noch genug Zeit, wenn du mit der Schule fertig bist.« Was ihre Mutter nicht wusste, war, dass sie sich trotzdem jeden Tag nach der Schule vor der Kunstakademie mit ihm traf.

»Wer ist dieser David?«, hatte ihre Mutter schließlich gefragt.

»Ein Kunststudent.«

»So einer also. Kein Geld und nackte Flittchen malen ...«

»Ja, wahrscheinlich tut er das«, erwiderte Joan lachend. »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.«

Manchmal, wenn sie müde vom Lernen war und Angst hatte, sie könnte den vielen Stoff nicht bewältigen, sprach ihr Vater ihr Mut zu. »Es ist die Sache wert, wart nur ab. Anstrengung überwindet jedes Hindernis!«

Manchmal gingen ihr diese Worte unaufhörlich durch den Kopf. »Labor omnia vincit.«

Zweihundert Kilometer von Dublin entfernt, in einer Kleinstadt in den Midlands, lag Jim O’Toole wach im Bett. Er war sechzehn und würde bald von daheim fortgehen, um auf Baustellen in London und Manchester zu arbeiten. Jetzt aber lag er da und hörte, wie seine Eltern stritten, und dann die Laute, die er so sehr fürchtete – das dumpfe Klatschen, wenn sein Vater zuschlug, das Wimmern seiner Mutter und die wütende, anklagende Stimme seines betrunkenen Vaters: »Blöde Schlampe, blöde Sau ...«

Jim zog sich die Decke über den Kopf. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich auszuziehen. In England konnte man viel Geld verdienen, ein tolles Leben führen. Jede Menge Bier und Mädchen; dann war endlich er erwachsen und konnte tun, was ihm gefiel. Dann wäre er frei, befreit von seinem prügelnden Vater und seiner jammernden Mutter. Sie tat ihm Leid; irgendwie liebte er sie, aber er verachtete sie auch. Seinen Vater hasste er, doch Verachtung empfand er nicht für ihn. Ihn konnte er nicht verachten, weil er Macht hatte, weil er etwas Absolutes verkörperte; Jim verstand den Zorn seines Vaters, das Bedürfnis, auf die Machtlosen einzuprügeln.

Kapitel 1

Jura ist ein seltsames Geschäft ... Diese Hartnäckigkeit, mit der versucht wird, das, worum es im Leben geht, auf ein Regelwerk zu reduzieren! Ich weiß, dass es notwendig ist, aber ich würde mir gern fundierte Kenntnisse aneignen, damit Gerry auf seine Kosten kommt.

Aus: Die Pferdeohren, 1972

November 1989

Als Joan erwachte, war es draußen noch dunkel. Sie hörte den Regen, der mit kalter Wut gegen das Fenster prasselte, nachließ, dann erneut zum Angriff überging. Sie entschärfte den Wecker und lauschte noch eine Weile Davids gleichmäßigem Atem. Sie genoss dieses wohlige Gefühl in vollen Zügen: neben ihm aufwachen, seine Wärme spüren. Er atmete so ruhig, dass sie angestrengt lauschen musste, so wie früher, in ihrer ersten Zeit in Ranelagh, wenn sie nachts aufwachte und in der Stille plötzlich vor Angst erstarrte, er sei gestorben. Das war noch vor seiner Krankheit, noch bevor sie Paul bekamen. Die Nacht war immer die Zeit der Liebe, der Verletzlichkeit. Und der Tag war die Zeit des Kampfes.

Bei dem Gedanken an den arbeitsreichen Tag, der vor ihr lag, graute ihr vor dem Aufstehen; doch gleichzeitig wusste sie, dass sie die Kraft finden würde, mit allem fertig zu werden, wenn erst der Tag anbrach und sie aktiv wurde. Ich hasse den Morgen, dachte sie, vor allem im Winter, da nimmt einem der Morgen alle Kraft.

Sie kuschelte sich noch tiefer unter das Federbett und tastete mit den Fußsohlen nach Davids Beinen. Er drehte sich um, legte den Arm um sie.

»Wie geht’s dir, Liebling?«, flüsterte sie.

»Könnte nicht besser sein.«

»Ich dachte, du schläfst.«

»Vor ein paar Minuten bin ich aufgewacht.« Schweigend und warm lagen sie beieinander und gönnten sich noch einen Augenblick Ruhe. Schließlich machte sie das Nachttischlämpchen an, stand zitternd auf und öffnete auf dem Weg zum Bad Pauls Tür, um auch ihn zu wecken.

»Komm schon, aufstehen, aufstehen ...« Sie wartete seine verschlafene, abwehrende Antwort ab: »Oh, nein! Es kann doch noch nicht Morgen sein!«

Die Tür zu Davids Atelier stand offen und sie nahm den sauberen Duft nach Farbe, Terpentin- und Leinöl wahr. Sie schloss die Tür, damit die Wärme nicht entwich. Er würde den Großteil des Tages dort verbringen, in seiner Leidenschaft aufgehen, das Universum der Phantasie und Wahrnehmung erforschen, und vom Rest der Welt nichts mehr mitbekommen.

Als Joan aus der Dusche kam, war David schon in der Küche und machte Frühstück. Der Geruch nach Toast strich durchs Haus. Sie zog sich rasch an – grauer Wollrock, perlgraue Bluse –, trug ein wenig Make-up auf und ging zu ihm hinunter. Er stand im Morgenmantel am Herd, kochte Eier, stellte den Toast auf den Tisch, rührte den Porridge für Paul.

In dem gemütlichen Raum war es dank der Hitze vom Kohleherd, der die Nacht hindurch brannte, richtig warm.

Vom Fenster der weißgestrichenen Küche aus blickte man auf einen kleinen Garten hinaus. Früher war er größer gewesen, aber dann hatten sie angebaut und aus der Küche einen Wohnraum gemacht, in dem es genügend Platz gab für den alten hölzernen Geschirrschrank. Sie hatte ihn bei einer Auktion erstanden, dann abgebeizt und mit Wachs behandelt. Auch ein alter Schaukelstuhl stand hier, in den sich Joan gern sinken ließ, wenn sie nach Hause kam.

David stellte ein Frühstücksei vor sie auf den Tisch. »Schön gekocht, schön serviert«, witzelte er mit affektierter Stimme und brachte sie damit zum Lachen. Es war ein alter Witz noch aus jener Zeit, als ihr ein schlanker, junger David in überschwänglicher Lebensfreude kulinarische Ratschläge aus Zeitschriften vorlas.

Damals hatten sie sich immerzu geliebt, als könnten sie gar nicht genug voneinander bekommen, als besäße jeder von ihnen etwas, das der andere unbedingt zum Leben brauchte.

»Du bist Luft und Erde und Wasser für mich«, hatte er gesagt.

Und Joan, überwältigt von seinen Beteuerungen, hatte sie anfangs angezweifelt. Später wusste sie, dass er es ernst meinte – und, was noch schlimmer war: Sie empfand genau wie er. Sie war hörig, süchtig, wurde in den Strudel seiner Wahrnehmungen hineingezogen und verglich ungläubig ihr früheres Leben, das ruhig und gleichmäßig dahingeflossen war, mit der Unruhe und der Aufregung, die er ihr brachte. Fünf Jahre hatten sie in der kleinen Wohnung in Ranelagh zusammengelebt; dann wurde sie mit Paul schwanger und sie heirateten.

Ihre Mutter war ganz niedergedrückt vor lauter Enttäuschung, wenn sie an all die netten Männer mit guten Anstellungen dachte, die ihre Joan hätte haben können; ihr Vater fand sich dagegen schnell damit ab.

»Aus was für einer Familie kommt er denn?«, hatte die Mutter wissen wollen.

»Seine Mutter ist tot. Sein Vater hat die Familie verlassen, als David drei war, er erinnert sich nicht an ihn. Er hatte einen Bruder, der ein Jahr jünger war, aber der ist bei einem Unfall gestorben.«

»Was für einem Unfall?«

»Ich weiß nicht. Er will nicht darüber reden.«

Es hatte Jahre gedauert, bis sie ihm die Geschichte entlockt hatte. Jetzt war so vieles anders: Die körperliche Kraft hatte er eingebüßt, aber sein inneres Feuer brannte weiter.

»Leg dich lieber wieder hin«, sagte sie leise, als sie seine Blässe bemerkte. Sie wusste, dass er es nicht mochte, wenn sie ständig auf seine Krankheit anspielte.

»Mir geht’s gut. Ich könnte Bäume ausreißen. Welche Vergnügungen hält der Tag heute für dich bereit?«

»Mal sehen.« Sie dachte nach. »Ein Termin um halb neun, High Court um elf – es geht um ein Testament.«

»Eine interessante Sache?«

»Irgendwie schon. Ziemlich menschlich jedenfalls! Ein armer Idiot ist gestorben und hat ein nicht ganz eindeutiges Testament hinterlassen. Und jetzt machen drei alte Weiber mit demselben Vornamen Ansprüche geltend!«

»Wirst du dich auch mit solchen Sachen beschäftigen, wenn du zu Wharton gehst?«

»Eher nicht«, erwiderte Joan und dachte an das Angebot, das sie von einer der großen Kanzleien bekommen hatte. »Die sind spezialisierter. Da werde ich es vor allem mit Grundstücksübertragungen zu tun haben.«

»Hast du im Büro schon Bescheid gesagt, dass du kündigst?«

»Nein. Heute sage ich es ihnen.«

»Gut. Vielleicht gibt das dem Sklaventreiber Galligan ja endlich mal zu denken! Jetzt muss er sich jemand anderen suchen, der die ganze Drecksarbeit macht.«

Joan schnaubte verächtlich. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Ich lege mich gern ins Zeug.«

Paul kam herein. Er war vierzehn und hatte immer noch ein kindliches Gesicht, obwohl er jetzt sehr schnell wuchs. Vom Vater hatte er die Hände, von der Mutter die graublauen Augen geerbt. Er hatte seine Schuluniform an, schlief noch halb und bewegte sich langsam.

»Guten Morgen«, sagte sein Vater.

»Was soll daran gut sein?« Der Junge unterdrückte ein Grinsen und sah nacheinander seine Eltern an, um zu prüfen, ob sie Sinn für seinen Humor hatten. Joan und David tauschten einen Blick.

»Ein neuer Tag, und du lebst noch«, bemerkte Joan. Sie startete einen Überraschungsangriff und kitzelte ihn am Bauch.

Unwillkürlich lachte Paul laut auf und machte einen Satz nach hinten.

»Was wünscht ihr euch zum Abendessen?«, fragte David, als er Paul sein Frühstück servierte.

»Mach dir keine Gedanken ums Essen«, murmelte Joan. »Ich hole uns auf dem Heimweg ein gegrilltes Hähnchen. Warum ruhst du dich nicht ein wenig aus?«

»Ich hab’ die Nase voll davon, mich immerzu auszuruhen«, bemerkte er gereizt, fügte dann aber hinzu: »Tut mir leid. Ich habe noch so viel zu tun. Ich möchte die Mohnblumen fertig malen. Die Galerie schickt heute jemanden vorbei – einen Franzosen – einen Kunsthändler, der für eine Pariser Galerie nach neuen Talenten sucht.«

Joan starrte David begeistert an. Er sah unbeteiligt in seine Tasse, als wäre die Angelegenheit kaum der Rede wert.

»Ein Kunsthändler? Aus Paris? Warum hast du mir das nicht erzählt?«

»Was macht das schon für einen Unterschied? Wahrscheinlich gibt er nur ein paar nichtssagend höfliche Bemerkungen von sich!«

»Nein«, gab Joan nachdenklich zurück. »Das glaube ich nicht. Du weißt, dass deine Arbeiten gut sind; und was du in letzter Zeit gemacht hast, lässt einen nicht mehr los. Ich glaube, er wird interessiert sein.«

David lächelte bedächtig, was die Angespanntheit von seinem Gesicht zauberte. Er beugte sich über den Tisch und nahm Joans Hand. Seine Hände waren schön, die Finger lang und sensibel. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen und ein hageres Gesicht; in Haaren und Bart zeigten sich graue Strähnen. Doch sein Lächeln milderte alles und brachte Lebendigkeit in sein Gesicht. Joan lächelte liebevoll zurück und fragte sich zum wiederholten Male, wie sie es nur geschafft hatte, sich einen so schönen Mann zu angeln. Er musterte sie eine Weile; plötzlich kam ein melancholischer Ausdruck in seine Augen und seine Lippen wurden schmal.

»Tut mir leid, dass ich dich angefahren habe.« Er wandte den Blick ab, wirkte mit einem Mal mutlos und erschöpft. »Du hast ein unausstehliches altes Ekel von einem Mann, der nicht den Anstand besitzt, endlich zu sterben.«

Joan blickte auf ihr Frühstücksei. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Am liebsten hätte sie ihnen freien Lauf gelassen, aber sie starrte weiter auf ihr Ei und unterdrückte den Impuls.

»Du hast Mama traurig gemacht«, sagte Paul anklagend.

David stand auf, trat hinter Joans Stuhl und fing an, ihre Schultern zu massieren. »Schsch ... du hast einen dummen Mann, der blöde Witze macht.«

Joan wandte sich um, nahm Davids Hand und barg ihr Gesicht darin. Paul wurde verlegen. Sie stand auf.

»Komm schon, junger Mann«, sagte sie zu Paul. »Nicht dass du noch zu spät zur Schule kommst.« Paul holte seine Schultasche und seine Jacke. Sie küsste David. »Bis heute Abend. Ich ruf dich in der Mittagspause an. Viel Glück mit dem Franzosen.«

»Tschüss, Dad.«

»Tschüss, Paul.«

Joan ließ den Motor an, fuhr die morgens noch menschenleere Straße der kleinen Wohnsiedlung hinunter, bog bei Kinsellas Laden ab, dessen Fensterläden noch geschlossen waren, und nahm dann die Abkürzung durch die schmale Allee am Fluss. Von dort gelangte sie auf die Hauptstraße. Noch war es dunkel, eine graue, wolkenverhangene Morgendämmerung stahl sich über die Stadt. Es nieselte, und die Straßen glänzten nass; die Ampeln leuchteten trostlos im Regen; der Berufsverkehr war noch nicht in vollem Gange. Joan machte die Heizung an, und ließ das Gebläse auf Hochtouren laufen.

»Dad sieht miserabel aus«, sagte Paul.

»Er war in der Nacht auf, es ist nur die Müdigkeit.«

Nach kurzem Schweigen fragte der Junge mit leiser, verkrampfter Stimme: »Was fehlt ihm denn, Mama?«

Sie sah ihren Sohn an; hinter seiner verbissenen Miene verbarg er Gefühle, die er um keinen Preis offenbaren wollte. Stürzte er sich deshalb mit solchem Feuereifer auf das Lernen? Er war der Klassenbeste, lebte nur für die Schule. Manchmal schlug sie vor, er solle doch mit einem Freund ins Kino gehen. »Ach nein, Mama. Ich muss noch was für Biologie machen ...« Seine Lehrer waren begeistert, aber manche merkten, dass er damit etwas zu kompensieren trachtete, das sich seiner Kontrolle entzog.

Sie ließ Paul am Schultor aussteigen. Wieder dachte sie an David. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass nur ihr Wille ihn am Leben erhielt und diese mysteriöse Krankheit in die Schranken wies; sie konzentrierte sich auf ihn, hüllte ihn in ein Kraftfeld positiver Energie. »Offensichtlich ein Spasmus der Darmmuskulatur«, hatte ihr der Arzt erklärt. »Aber die Blutwerte sind gut, er hat weder ab- noch zugenommen. Wir haben eine Unmenge Tests gemacht!« Das sollte heißen, es sei nichts Ernstes. Aber der Doktor wusste nichts von den kochend heißen Bädern, die David in aller Frühe nahm, um die Schmerzen zu lindern.

»O Gott, in diesem Land leben so viele Paare, die sich hassen. Aber wir nicht. Mach, dass er gesund wird. Lass uns in Frieden weiterleben. Gib uns diesen Frieden.«

David fühlte sich schon seit einiger Zeit schlecht. Er klagte über Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, Erbrechen, führte es aber auf Überarbeitung zurück und wollte erst gar nicht zum Arzt gehen.

Der Arzt, den er dann schließlich doch aufsuchte, hatte ihn beruhigt, ihn ins Krankenhaus eingewiesen, um verschiedene Untersuchungen durchzuführen. Dann hatte man ihn nach Hause geschickt. Der einzige Befund war ein Dickdarmkrampf gewesen.

Ihre Gedanken wanderten weiter, zum Büro, zu der Arbeit, die heute auf sie wartete. Um elf hatte sie einen Termin beim Nachlassgericht, und am Nachmittag drei Auflassungen – es ging dabei um Hypotheken, eine unkomplizierte, aber anstrengende und langweilige Sache. Ihr Chef, Gerry Galligan, wälzte immer mehr von seinem eigenen Aufgabenbereich – Grundstücksübertragungen – auf Joan ab und konzentrierte sich auf die wirklich großen Fälle wie den Tunnymore-Vertrag, mit dem sich gerade beschäftigte; ein Zwei- Millionen-Pfund-Objekt. Larry Ryder, der andere Teilhaber, erledigte den Großteil der Prozesse, bis auf die Verhandlungen vor dem Kreisgericht, die er Joan aufbürdete – und nicht nur die, sondern auch alle anderen strittigen Nachlasssachen und sonstigen absonderlichen Fälle. Außer Joan wurden noch zwei Anwältinnen beschäftigt, zwei junge Frauen, die den Großteil der unkomplizierten Grundstücksübertragungen am Grundbuchamt sowie Mietsachen und Verkehrsdelikte erledigten.

Gerry war mit Patricia verheiratet. Joan kannte sie flüchtig von der Universität her. Patricia, die Kunststudentin mit den kastanienbraunen Haaren, zwei Jahre älter als Joan, war mit Paddy Johnson, einem Maschinenbaustudenten, mehr oder weniger verlobt gewesen. Er war ein großer Herzensbrecher, ein hoch gewachsener, gutaussehender Typ, der vorzüglich mit Worten umgehen konnte und eine selbstsichere Ausstrahlung besaß. Pat war in den verschiedensten Universitätsclubs Mitglied gewesen, sehr intelligent, dazu noch lebhaft und schön. Aber dann war die Verlobung dieses Traumpaars in die Brüche gegangen; der verwegene Paddy hatte sich aus dem Staub gemacht und eine andere geheiratet. Patricia, die daraufhin prompt durchs Examen gefallen war, hatte Gerry Galligan geheiratet, sich von heut auf morgen fürs Hausfrauendasein entschieden und zwei Kinder in die Welt gesetzt. Ab und zu kam sie noch in die Kanzlei, immer schick angezogen und ein wenig spröde; irgendwie hatte sie sich verändert, und das war nicht nur eine Frage des Alters. Es hatte den Anschein, als ginge sie ganz und gar in der Rolle der Mrs. Gerry Galligan auf und hätte zu spät entdeckt, dass diese Rolle kein Ende nahm, dass es keinen Strafaufschub, keine Begnadigung wegen guter Führung gab, dass diese Rolle, die sich aus ihren inneren Kraftquellen nährte, im Grunde nichts mit ihr zu tun hatte. Das überraschte Joan nicht. Sie konnte sich kaum etwas Kräftezehrenderes vorstellen als mit Gerry verheiratet zu sein» Für Larry galt das übrigens genauso»

Larry war fünfunddreißig, drei Jahre jünger als Joan» Mittelgroß, dunkle Haare, dunkelblaue Augen, dünn, gerade Nase, eine extravagante Erscheinung. Auf Zehenspitzen kam er in ihr Büro, mit seinen Akten unterm Arm, »Joan, Schatz, hier sind ein paar Akten vom Kreisgericht: Bei dem einen Fall geht es um die Lizenz für einen Pfandleiher, das andere ist ein kleiner Vertragsbruch» Kein Problem für dich. Tu einfach dein Bestes, so wie immer.« Sie quittierte das stets mit einem Lächeln, obwohl sie innerlich fluchte.

Sie arbeitete nicht gern an den Fällen fürs Kreisgericht, ihr erschien es immer wie viel Lärm um nichts» Das Auftreten vor Gericht war nicht Teil ihrer Rechtsanwaltsausbildung gewesen; doch seitdem auch die Solicitors das Recht hatten, vor Gericht zu plädieren, vertraten sie ihre Fälle vor dem Kreisgericht meist selbst» Das war für den Klienten billiger, für den Solicitor aber meist reine Zeitverschwendung.

Joan musste sich also über die Vorschriften zur Lizenzvergabe an Pfandleiher kundig machen, den elenden Fall von Vertragsbruch zu Hause durcharbeiten, damit sie die Bagatelle auch selbstsicher vertreten konnte, und einen ganzen Nachmittag im Gericht verbringen, während dessen sie sich beim Richter anbiedern und ihr Messer für das Kreuzverhör wetzen würde. Aber heute hatte sie eine Überraschung für Gerry und Larry parat. Eine der größten Kanzleien der Stadt – Wharton, Kelly, Phelan & Co. – hatte ihr eine Stelle angeboten, und sie war fest entschlossen zuzusagen.

Sie stellte den Wagen auf dem Parkplatz hinterm Haus ab, schloss die Hintertür auf, trat in die Eingangshalle und begrüßte Breda, die Empfangsdame, mit einem Lächeln. Breda sagte gerade mit der Nasalstimme, die den Klienten vorbehalten war: »Tut mir leid, Mr. Galligan ist noch nicht im Hause. Wenn er kommt, wird er Sie sofort zurückrufen.«

Joan ging nach oben, warf im Vorbeigehen einen Blick in Gerrys Büro, wo Larry gerade die Post öffnete. Er verteilte die Briefe auf mehrere Stapel: ihren, seinen und Gerrys sowie zwei Stapel für Mary und Sheila, die beiden anderen Juristinnen. Draußen hatte es endlich zu nieseln aufgehört, die Sonne kämpfte sich durch den Nebel und fiel schräg durchs Fenster auf die Goldbuchstaben der Encyclopaedia of Forms and Precedents, deren Bände mehrere Regalreihen füllten, und den glänzenden Ledereinband von Halesbury’s Laws. Das alte Stehpult in der Ecke leuchtete auf, als wollte es sagen: »Hier bin ich, seht mich an. Seht her, wie viel Tinte auf mir verschüttet wurde. Seht nur auf die Spuren wahrer juristischer Schwerstarbeit!« Gerry hatte das alte Pult auf den Sperrmüll schaffen wollen, aber Joan hatte ihn davon überzeugt, dass es seinem Büro etwas Authentisches gab, und so durfte es bleiben.

Larry drückte Joan einen Stapel Briefe in die Hand. »Sieht aus, als wäre das heute Morgen dein Anteil, Joan.«

Gerrys Sekretärin kam ins Vorzimmer, als Joan hinausging. »Guten Morgen, Mrs. de Barra«, sagte sie. Gerry bestand in der Kanzlei auf steifen Umgangsformen, zumindest seitens der Sekretärinnen.

»Morgen, Prue.«

Joan nahm die Briefe mit in ihr Büro eine Treppe höher. Rita, ihre Sekretärin, saß im Vorzimmer und räumte eine Schreibtischschublade auf, in der sie eine riesige Packung Papiertaschentücher aufbewahrte. Sie schniefte, und ihre Nasenspitze war rot.

»Guten Morgen, Mrs. de Barra.«

»Morgen, Rita. Wie geht’s heute mit Ihrer Erkältung?« »Viel besser, danke.«

»Machen Sie mir bitte als erstes den Entwurf für den Pachtvertrag fertig, den ich Ihnen gestern gegeben habe? Ich brauche ihn so bald wie möglich, damit ich ihn durchsehen kann, bevor ich zum Gericht gehe.«

»Okay.«

Joan mochte Rita sehr. Sie war zierlich, eine hervorragende Sekretärin, flink, intelligent und gewissenhaft. Joan betrat ihr Büro und schloss die Tür hinter sich. Das Zimmer war von der Morgensonne durchflutet. Sie ging zum Fenster, ließ die Jalousie halb herunter, warf einen Blick auf den träge dahinfließenden Verkehr, die regennassen Straßen, den Fluss. Die Akte für ihren ersten Termin lag auf dem Schreibtisch. Joan setzte sich und machte sich an die Arbeit.

Zu Hause ging David gerade in sein Atelier. Es war eigentlich als Schlafzimmer für ihn und Joan gedacht gewesen. Aber stattdessen schliefen sie im hinteren Zimmer und Paul im Abstellraum. Von den Dimensionen her war es nicht gerade ideal für ein Atelier, aber durch sein großes Nordfenster fiel ein sanftes Licht herein. Mehrere Bilder in unterschiedlichen Stadien der Fertigstellung lehnten an den Wänden, hauptsächlich Ölgemälde; es waren aber auch Pastellzeichnungen, Mischtechnikbilder und ein paar Aquarelle darunter. Auf dem Tisch und den Regalen dahinter standen Becher, Marmeladegläser und Farbdosen, aus denen Pinsel ragten – ein Wald von Pinseln; dazwischen lagen farbverschmierte Lappen, Skizzenblöcke und ausrangierte, mit Farbklecksen übersäte Paletten.

In der Mitte des Raums stand eine Staffelei mit einem unvollendeten Gemälde: Eine Wiese mit Sommerblumen und Gräsern, Mohnblumen und Margeriten, darüber ein leuchtend blauer Himmel. Auf dem Bild war kein Leben, keine Vögel oder Insekten zu sehen, auch kein Mensch außer einer Gestalt in Schwarz in der rechten oberen Ecke. Diese Gestalt, ein Mann, stand am Rande der Wiese. Er trug eine Art Umhang und einen weichen schwarzen Hut. Sein Gesicht lag im Schatten.

David zuckte zusammen, als er das Bild betrachtete. Jedes Mal spürte er die Anziehungskraft des Fremden in Schwarz, der ihn aus der Ecke des Gemäldes heraus anstarrte – ihn sah. Während er, David, der von seiner Schöpfung faszinierte Künstler, ihm kein Gesicht geben konnte. Das Bild vermittelte den Eindruck, dass die Wiese mit den Gräsern und Wildblumen, die Sommerwelt, den Atem anhielt; die dunkle Erscheinung am Rande nahm ihr die Freude, weil sie eine Dimension verkörperte, die so mächtig und unentrinnbar war, dass jede Freude und jeder Sommer zum Trugbild wurden – so als könnte dieser dunkle Mann die ganze Wiese mit ihrer Helligkeit schlucken, ohne selbst seine Farbe zu ändern, als könnte er seine Dunkelheit auf alles übertragen. Die Gestalt zog die Blicke auf sich und gab der Vorstellungskraft Rätsel auf

Joan hatte David einmal gefragt, warum er ein Gemälde nicht einfach änderte, wenn es ihm nicht gefiel, wie es sich entwickelte,

»Solange ich finde, dass es von der Technik her gelungen ist, spielt es keine Rolle, ob es mir gefällt oder nicht, Es führt ein Eigenleben, ich bin nur sein Diener.«

Sie sann darüber nach, »Mein Gott, klingt das ominös, Gilt das auch für Porträts?«

»Gewiss doch, Ich sehe mir ein Gesicht an, und das Gesicht sagt mir, wer es ist!«

»Was siehst du denn in meinem Gesicht?« Sie reckte das Kinn und grinste,

»Eitelkeit.« Sie versetzte ihm einen Knuff, lachte und verkündete, sie würde sich nie von ihm malen lassen,

»Ich male dich auf jeden Fall!«, sagte er und lächelte sein bitteres Lächeln, Er hatte sie gemalt, Es hing im Wohnzimmer, das Bild eines nachdenklichen Mädchens mit grauen Augen und einem entschlossenen Mund,

»Sie sieht ja nicht gerade wie ein eitles Huhn aus!«, bemerkte Joan, als sie das fertige Werk sah,

»Ist sie auch nicht, Sie zeigt Stärke, Das ist ihre wichtigste Eigenschaft.«

»Pfui Teufel. Sie hätte viel lieber etwas, auf das sie sich was einbilden kann.«

Er lachte. »Aber das hat sie doch! Und sie wird überdauern, diese junge Frau, Sie ist eine Überlebenskünstlerin.« Er nahm sie in den Arm. »Und sie gehört mir, mir ganz allein!«

In Saal fünf unter dem Kuppeldach der Four Courts saß Joan auf der Bank, die den Solicitors vorbehalten war, und beobachtete Nuala O’Byrne, die vor ihr stand und zum Richter sprach. Nualas Rosshaarperücke mit dem kurzen Zopf saß genau auf dem Haaransatz und das schwarze Gewand verlieh ihr ein würdevolles Aussehen, das im Widerspruch zu ihrer Jugend stand. Sie las aus der eidesstattlichen Versicherung der Antragsteller vor, der Testamentsvollstrecker von Dennis Joseph McCarthy, der als Junggeselle verstorben war. Die Erklärung umfasste sechzehn Abschnitte, die alle darauf hinausliefen zu beweisen, dass Brigid Murphy aus St Teresa’s, Ballsbridge, in der Grafschaft Kerry, als Erbin einer Hinterlassenschaft von vierzigtausend Pfund vorgesehen war. Offensichtlich hatte der Verstorbene nicht die Absicht gehabt, die beiden anderen putativen Nutznießerinnen zu begünstigen. Brigid, die in St Teresa’s lebte, war eine Kusine des Verstorbenen und hatte immer engen Kontakt zu ihm gehalten. Die beiden anderen Brigids waren ihm hingegen kaum bekannt gewesen, obwohl sie in derselben Stadt gewohnt hatten.

Nuala leierte ihren Antrag herunter. Als sie fertig war, stellte der Richter eine Frage und entschied dann, dem Antrag stattzugeben.

»Und die Kosten, Euer Ehren?«

Die Kosten sollten aus dem Erbe bestritten werden. Dinny Joe, der zu geizig gewesen war, sich sein Testament von einem Anwalt aufsetzen zu lassen, würde sich im Grabe umdrehen.

Als Joan in die Kanzlei zurückkehrte, richtete Breda ihr aus, Mr. Galligan wolle sie sprechen. Joan ging in Gerrys Büro hinauf. Sie klopfte und trat ein. Er stand am Bücherschrank und schlug einen Gesetzestext in den Acts of the Oireachtas von 1978 nach. Er bedeutete ihr, sich zu setzen.

Joan fragte sich, warum er sie hergebeten hatte. Sie kannte ihn seit dem Studium. In den ersten Jahren hatte sie damit gerechnet, dass er sie auffordern würde, als Teilhaberin in die Kanzlei einzutreten, aber er hatte stattdessen Larry hereingeholt. »Wir brauchen einen Prozessexperten«, meinte er.

Ihre Enttäuschung hatte sie hinuntergeschluckt; sie hatte andere Sorgen: einen gesundheitlich angegriffenen Mann, einen halbwüchsigen Sohn. Jetzt beobachtete sie Gerry: dünn und angespannt wirkte er, seine Halbglatze, sein dunkler Nadelstreifenanzug, seine konzentrierte Miene« Sie versuchte, die Überschrift des Gesetzes zu entziffern, in dem er gerade las; es war das »Landlord and Tenant (No. 2) Act, 1978«

»Ich habe einen neuen Mietrechtsfall«« Er schwieg« Erwartet er, dass ich ihn übernehme?, fragte sich Joan. Wollte er mich deshalb sprechen?

Sie sagte nichts« Gerry klappte den Band zu, schloss den Bücherschrank und kehrte an seinen Schreibtisch zurück« Stirnrunzelnd sah er sie über die Mahagoniplatte hinweg an; mit seiner Brille und den Haaren, die am Rande seiner Halbglatze ein wenig abstanden, hatte er Ähnlichkeit mit einer Eule.

»Du erinnerst dich an Frank Larkin?«

»Natürlich.«

»Er und seine Familie sind schon seit Jahren Klienten unserer Kanzlei.«

»Ich weiß.«

»Du warst die Letzte, die mit ihm zu tun hatte.«

»Das stimmt. Es ging um sein Testament.«

»Lies den Brief.«

Joan las den Brief, den Gerry ihr hinhielt. Er stammte von einer Anwaltskanzlei in Ballybegg, County Carlow, und besagte, man handle im Auftrag von Frank Larkin und bitte um die Übersendung von Urkunden über Rechtsansprüche.

»Was hast du mit ihm angestellt, Joan? Du hast es geschafft, dass wir ihn verlieren.«

Joan starrte ihn an. Manchmal fand sie Gerry so launisch und unberechenbar, dass sie sich fragte, warum sie sich überhaupt mit ihm abgab. »Ich habe nichts dergleichen getan. Das letzte Mal, als ich ihn sah, stand noch alles zum Besten.«

»Warum wechselt er dann die Kanzlei? Du musst irgendetwas Dummes gesagt oder getan haben.« Gerry strömte Ärger, unverhohlene Aggressivität und herablassende Selbstsicherheit aus. Ihm war es zuwider, einen guten Klienten zu verlieren, einen reichen Klienten. Sein Gebaren war anklagend, kalt, bedrohlich. Joan zitterte innerlich; sie war aufgebracht, aber auch verunsichert.

»Gar nichts habe ich getan. Warum rufst du ihn nicht einfach an und fragst ihn selbst? Frag ihn doch, wozu die Leute in Ballybegg seine Dokumente brauchen. Sag einfach, es sei eine Sicherheitsmaßnahme.«

»Vielleicht mache ich das auch«, entgegnete Gerry kalt. »Aber ich finde, so etwas darf nicht passieren.« Sein Tonfall deutete an, dass das Gespräch beendet sei. Und seine vorwurfsvolle Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie in Ungnade gefallen war, dass sie sich etwas hatte zuschulden kommen lassen. Joan blieb sitzen.

»Ich wollte es dir und Larry eigentlich erst später mitteilen, Gerry, aber ich kann es ebenso gut gleich erledigen. Ich kündige. Mir wurde eine Stelle bei Wharton angeboten und ich habe beschlossen, sie anzunehmen.«

Auf Gerrys Gesicht spiegelte sich Unglauben. Sein Mund stand offen; er drehte seinen Füller zwischen den Fingern hin und her. Das Telefon läutete. Er nahm ab. »Ja?«, fragte er herrisch. »In Ordnung. Durchstellen.«

Joan hörte eine weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. »Ich bin in einer Besprechung.« Er sprach jede Silbe überdeutlich aus. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nicht in der Kanzlei anrufen. Darüber sprechen wir heute Abend.«

Er legte den Hörer auf und lachte verächtlich. »Pat glaubt, ich habe sonst nichts zu tun, als Probleme der Kindererziehung mit ihr durchzukauen.« Er hielt inne. Sein Ton veränderte sich. »Das meinst du doch nicht ernst, Joan?«

»Doch.«

»Warum?«

»Mehr Geld. Eine Abwechslung. Ich arbeite schon sehr lange hier. Es ist Zeit zu gehen.«