DSA 119: Isenborn 1 - Stein - Bernard Craw - E-Book

DSA 119: Isenborn 1 - Stein E-Book

Bernard Craw

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Beschreibung

Dämonische Horden haben die Truppen Tobriens überrannt. Auch die Isenborns, Reichsjunker mit einem Gut tief in den Bergen der Schwarzen Sichel, müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin dem Kaiserhaus die Treue halten oder das Knie vor dem dunklen Herzog beugen, denn marodierende Goblinbanden bedrohen ihre Ländereien. Soll Olorande vom Isenhorn ihrer Tochter Fiana, einer jungen Ritterin voller Ideale und Schwärmerei für die Sache Herzog Bernfrieds, Gehör schenken? Order ist es weiser, den Argumenten des Schwarzen Ritters Rorban zu folgen, der Unterwerfung fordert? Die Entscheidung wird ihr abgenommen, als ihr Hofmagus Cyron den Versuchungen dunklen Wissens erliegt ...

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Seitenzahl: 430

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Biografie

Bernard Crawwurde 1972 in Bramsche geboren. Er ist katholisch, ledig und arbeitet hauptberuflich als Projektleiter in einem internationalen Konzern. Nach einigen Jahren in Münster und Sindelfingen wohnt er seit 2000 in seiner Wahlheimat Köln.

Craw schreibt vor allem fantastische Literatur. Mit dem RollenspielDas Schwarze Augekam er 1985 in Kontakt, und die geselligen Abende vorDokumenten der StärkeundPlänen des Schicksalsavancierten rasch zur dominierenden Freizeitbeschäftigung. Vor demIsenborn-Zyklusveröffentlichte er die DSA-RomaneTodesstilleundIm Schatten der Dornrose.

Wer sich über Craws literarische Aktivitäten informieren

möchte, kann dies auf www.bernardcraw.net tun.

TitelBernard Craw

Stein

Isenborn-Zyklus Band 1

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses Spiele Band 11056PDF

Titelbild: Alan LathwellAventurienkarte: Ralph Hlawatsch Umgebungskarte: Florian Stitz Lektorat: Werner Fuchs Buchgestaltung: Ralf Berszuck E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DEREsind eingetragene Marken. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Todeshauch und Ehrenschild

Man hat mich gefragt: »Ist es wirklich angemessen, dass wir nun, wo der Feind so große Teile unserer Heimat besetzt hält, wo so viele unserer Landsleute unsägliches Leid erdulden müssen, das Turnier der Drachensteine abhalten?«

Und ich sage euch: »Heute haben wir mehr Grund dazu als jemals zuvor!«

Bernfried von Ehrenstein j. H., Herzog von Tobrien

***

Ebelried, Reichsmark Drachenstein, Tobrien.

25. Tag im Traviamond, 1021 BF.

Nicht denken!, ermahnte sich Fiana. Die Fanfaren, die bunten Banner, die Rufe des Herolds, die blitzenden Rüstungen – diese Dinge und die Ehre, die sie versprachen, hatten sie hierher gelockt, aber jetzt musste sie all das vergessen. Paradox, aber wahr: Nur, wenn sie die Gedanken davon lösen konnte, bestand die Möglichkeit, dass sie den Preis der Siegerin erränge. Das jedenfalls hatte der Schwertvater ihr beigebracht, und sie hatte keinen Grund, an seiner Lehre zu zweifeln.Die Aufmerksamkeit auf den Gegner ziehen, hatte er das genannt.Lass deine Gedanken nicht entkommen, sonst verlierst du auch dein Ziel.

Eigentlich hätte ihr das nicht schwerfallen sollen. Durch die Schlitze des heruntergeklappten Visiers war ihr Sichtfeld ohnehin stark eingeschränkt, sodass die meisten Ablenkungen ausgesperrt waren. Aber es waren immer noch zu viele. Neben der Bahn sah sie die Tribüne mit den bunten Bannern und den prächtig gekleideten Noblen, die vor Spannung die Luft anhielten. Nicht nur aus Tobrien, auch aus Weiden, aus dem Bornland, sogar aus Almada waren sie angereist, um bei diesem trutzigen Schauspiel zugegen zu sein.

Schluss jetzt!Die halbe Strecke hatten die galoppierenden Rosse bereits zurückgelegt, und noch immer war Fianas Aufmerksamkeit nicht ganz bei ihrem Gegner. Die Angst vor der Niederlage trieb ihr den Schweiß aus den Poren.

Unter ihr bebte Glendolon, ihr brauner Hengst. Kein Pferd, das speziell für das Tjosten ausgebildet worden wäre, aber ein treues Tier, das ihr anlässlich ihrer Schwertleite zum Geschenk gemacht worden war. »Noch schneller!«, zischte sie, obwohl ihr Puls bereits raste. Sie stellte sich in den Steigbügeln auf und lehnte ihr Gewicht nach vorn. Die Lanze verrutschte und wäre wohl ganz abgeglitten, hätte ihr Schild nicht eine Einkerbung gehabt, die eben dies verhinderte. Sie presste die Zähne aufeinander und drückte den Schaft fester gegen ihren gepanzerten Brustkorb.Ruhig weiteratmen, ermahnte sie sich.Der Atem muss fließen.

Ihr Gegner trug eine mattgraue Rüstung, die das Licht schluckte wie eine Regenwolke. Seine Lanze schien ruhiger zu liegen als die ihre, sein Pferd drückte sich im Galopp dicht an den Boden. Sie musste tiefer zielen.

›Zielen‹. Das war gar nicht so leicht. Die Pferde hoben und senkten sich im Rhythmus der donnernden Hufe, der Boden war uneben, weil er von den vorherigen Durchgängen zerstampft war, die Erschütterungen ließen die Lanze zittern. Ein halber Spann auf oder nieder am hinteren Ende, wo Fiana sie fest gepackt hielt, machte einen Schritt an der bronzen glänzenden Spitze aus.

Dann war der Moment gekommen. Es war tatsächlich so, wie ihr Schwertvater gesagt hatte: Der Augenblick zog sich endlos, hinein in die Ewigkeit. Selten hatte sich Fiana so wach und so lebendig gefühlt. Sie nahm alle Einzelheiten wahr: den Sand, der von den Hufen aufgewirbelt wurde, das Schnauben ihres Pferdes, den schmalen, dunklen Sehschlitz im Helm ihres Gegners, das Holz ihrer Waffe. Eine gelöste Heiterkeit durchströmte sie. Nichts war mehr wichtig. Nichts außer diesem einen Moment. Sie war glücklich, weil sie jetzt in diesen Steigbügeln stand, das treue Ross unter sich, vor sich einen Ritter, mit dem sie sich ehrenhaft messen durfte.

Den Aufprall spürte sie zuerst am rechten Arm, als ihre eigene Lanze den Schild des Gegners traf, sofort darauf im gesamten Oberkörper, als auch dieser sein Ziel fand. Der Schaft brach mit einem Krachen, als wollte die ganze Welt zersplittern. Sie sah die graue Rüstung nach hinten kippen und spürte, wie sie in den Sattel zurückgestoßen wurde.

Sie ließ Glendolon auslaufen, froh darüber, dass sie ihr Gleichgewicht rasch wiedergefunden hatte. Mit einer Spur Bedauern betrachtete sie den Lanzenschaft, der nach zwei Schritt in einem ausgefransten Bruch auslief, und warf ihn fort.Eine weniger, und ich habe nur drei.

Die Menge machte ihrer aufgestauten Spannung Luft. Auf der Tribüne wurde applaudiert, gegenüber, auf der anderen Seite der Bahn, wo sich das Volk drängte, wurde lautstark gerufen. Hitzig besprach man das Gesehene.Seltsam, dachte Fiana,wenn man zuschaut, erscheint einem eine Tjoste einfach und klar, doch wenn man selbst in der Rüstung steckt, dann weiß man kaum, was passiert ist.

Probeweise tat sie einige tiefe Atemzüge. Keine Schmerzen, nur ein leicht taubes Gefühl in der linken Seite.

Sie erreichte das Ende der Bahn und wendete. Auf halber Strecke begegnete ihr der gegnerische Ritter, auch er hatte sich also im Sattel halten können. Immerhin hatte sein Schild mit dem weißen Adler vor geteiltem Feld eine gehörige Delle abbekommen, wie Fiana mit zufriedenem Lächeln feststellte. Das war die abgebrochene Lanzenspitze wert, die von den eifrigen Pagen bereits geborgen wurde. Sie schob das Visier hoch. Das konnte der andere Ritter nicht. Er trug eine Turnierrüstung, deren Helm nur einen schmalen Sichtschlitz offen ließ und an dem man nur eine winzige Luke auf Kinnhöhe aufklappen konnte, die seitlich ein wenig Luft hereinließ. Sein Panzer war im Ganzen weniger beweglich als Fianas und hatte eine angeschmiedete Gabel, die einen Teil des Gewichtes seiner Lanze tragen konnte. Für ein kriegerisches Gefecht, das Überblick erforderte und in dem man auch ein Schwert schwingen musste, war eine solche Rüstung nicht geeignet, aber in einer Tjoste, wo man dem Gegner offen entgegenpreschte, brachte sie einen Vorteil. Zudem konnte der Ritter mit seiner Helmzier Eindruck schinden, einem weiß strahlenden Adler, der seine Schwingen weit zur Seite reckte. Das Wappen der Familie von der Klamm. Den Rufnamen des Ritters hatte Fiana vergessen, sie konnte sich so etwas nur schwer merken. Sie wäre eine lausige Heroldin gewesen.

Zum rondrianischen Gruß schlug sich Fiana die gepanzerte Faust vor die Brust. Ihr Gegner tat es ihr gleich. Stolz erfüllte sie ob dieser Anerkennung. Immerhin war es ihr erstes Turnier.

Sie erreichte ihre Seite der Bahn, wo der Mietknappe sie bereits erwartete. Ein junger Bursche namens Ottgam, Novize eines Rondra-Tempels in einer Stadt irgendwo westlich der Schwarzen Sichel und sehr eifrig. Er hatte bereits die nächste Lanze aus dem Ständer geholt und hielt sie ihr entgegen. Die Farben der Isenborns, Blau, Schwarz und Silber, ringelten sich an ihr entlang, das Silber natürlich durch weiße Farbe repräsentiert. Die Spitze wurde von einem stilisierten Eiskristall aus Bronze gekrönt. Sie war breit und stumpf gefertigt, wie bei Turnierwaffen üblich, schließlich wollte man den Gegner aus dem Sattel stoßen, nicht durchbohren.

»Das war sehr gut, Herrin!«, rief Ottgam herauf und tätschelte beiläufig Glendolons schweißnassen Hals. »Er hat gewankt! Beim nächsten Durchgang muss er fallen! Er weiß es, das sieht man ihm an!«

»Wollen wir es hoffen!«, entgegnete Fiana, klappte ihr Visier herunter und nahm die Waffe in ihre gepanzerte Faust. Sie lenkte das Ross zur Startlinie und stellte das Ende der Lanze auf dem Spann ihres rechten Fußes ab, während sie auf die Fanfare wartete.Kraft sparen.

Sie gönnte sich einen Blick auf das prächtig hergerichtete Turnierfeld. Ganz Ebelried atmete den Stolz der Ritterschaft. Vor der Fürstenloge hing das blaue Banner mit dem weißen, doppelköpfigen Wolf Tobriens. Herzog Bernfried sprach angeregt mit einem seiner Edlen, Asquirion von Perainefurten, wenn sie recht sah. Ihr Herzschlag, wegen der Aufregung des Kampfes ohnehin schon beschleunigt, ging noch ein wenig schneller. Der Herzog sah so gut aus! Die blutigen Monde des Feldzugs des niederhöllischen Magiers Borbarad hatten von ihm nicht nur die Hauptstadt seines Lehens gefordert, sondern auch das Leben seines Vaters, seines Bruders und zuletzt seiner Frau. Ein Pfeil aus verfluchtem Eis war ihr durch das Herz gedrungen, erzählte man sich. Das Leid hatte sich in Bernfrieds Gesicht gegraben und dabei eine Entschlossenheit in seine Züge gemeißelt, die niemandem einen Zweifel daran lassen konnte, dass dieser Mann sein Tobrien von der Dämonenbrut säubern oder bei dem Versuch sterben würde. Das machte ihn zum Schwarm aller jungen Edelfrauen. Fiana war keine Ausnahme. Sie spürte die Hitze in ihr Gesicht steigen, als sie sich bei Gedanken ertappte, die ihrer Position nicht angemessen waren und auch den nötigen Respekt vor der Trauer des Herzogs vermissen ließen. Sie war froh, als die Posaune zum nächsten Durchgang aufforderte, und fasste den Schild fester.

Wieder preschten die Kontrahenten aufeinander los. In einer Tjoste gab es, anders als bei einem Schwertkampf, keine Gelegenheit zur Parade. Allein vom Geschick des Gegners hing es ab, ob eine Lanze ihr Ziel fand. Die Deckung mit dem Schild konnte die Wucht ein wenig ablenken, aber ein Ausweichen war unmöglich. Es galt, sich der Gewalt eines Angriffs zu stellen, hinter dem nicht nur die Kraft des gegnerischen Ritters, sondern auch die Wucht eines wie wahnsinnig herangaloppierenden Rosses stand. Fiana fühlte Vorfreude darauf, wiederum ihren Mut und ihre Kraft zu beweisen, wie es wohl nur von einem echten Kampf auf Leben und Tod übertroffen werden konnte. Ihr Gewicht verlagerte sich nach vorne, als sie sich hoch in die Steigbügel stellte. Die Sonne blitzte auf der Bronzespitze, mit der sie auf die graue Rüstung zielte, die so ungeheuer rasch näher kam. Doch es gelang ihr nicht so gut wie im ersten Durchgang, sich auf das Treffen zu konzentrieren. Ihre eigene Waffe lenkte sie ab:Ich habe nur noch zwei Lanzen, dachte sie.Was geschieht, wenn diese auch noch bricht?

Sie zögerte einen Wimpernschlag zu lange. Ihr Stoß saß zu weit rechts, er touchierte den zerbeulten Adlerschild kaum. Sie selbst wurde umso heftiger getroffen. Die gegnerische Lanze donnerte auf die eiserne Brust ihrer Rüstung. Anscheinend war von der Klamm selbst überrascht von diesem Erfolg, sodass er im entscheidenden Augenblick nicht genug Kraft hinter seine Waffe brachte. Dennoch fühlte sich Fiana, als habe man sie mit einem Katapult gegen eine Festungsmauer geschleudert. Für einen schrecklichen Moment verharrte sie an Ort und Stelle, während Glendolon unter ihr weiter galoppierte. Ihre Schenkel verloren beinahe den Kontakt zum Sattel.

Dann brach die gegnerische Lanze, und sie fiel zurück. Sicher gab sie keinen sehr rühmlichen Anblick ab, als sie hin und her rutschen musste, um wieder sicheren Halt zu gewinnen.

Ihr Brustkorb schmerzte. Trotzdem zwang sie sich, tief einzuatmen. Sie stieß gegen das Eisen ihrer Rüstung, die eine deutliche Delle davongetragen haben musste. Sie hustete. Erst an der Wende hörte sie den Jubel der Menge. Zu ihrer Verwunderung sah sie beinahe ebenso viele Menschen, die zu ihr blickten und sie anspornten, wie solche, deren Aufmerksamkeit von der Klamm galt. Augenscheinlich konnte Mut selbst dann beeindrucken, wenn er nicht von Erfolg gekrönt war. Wobei sie stolz feststellte, dass sie ihre Lanze noch in der Faust hielt. Übermütig gab sie Glendolon die Sporen und ließ ihn zu ihrem Knappen zurückgaloppieren. Auf der Mitte der Bahn lag eine blaue Straußenfeder im Sand, die nur von ihrem Helm stammen konnte und sich wohl bei dem Treffer gelöst hatte. Demnach war sie jetzt nur noch schwarz und weiß geschmückt.Alles oder nichts, dachte sie grimmig.Der nächste Durchgang wird entscheiden.

Bernfried war noch immer in ein angeregtes Gespräch eingebunden. Inzwischen war ein halbes Dutzend Edle um ihn versammelt, in der Loge wurde es eng. Einer der Männer trug eine verstaubte Rüstung. Ein Bote vielleicht? Sicher ging man nicht so zu einem Turnier. Hatte es weitere Vorfälle gegeben? Ebelried war zu einer Frontstadt geworden, und die Borbaradianer hatten offensichtlich Wind von dem Turnier bekommen. Den Vormittag über war es immer wieder zu Ärgernissen gekommen. Das Führungsseil einer Tizam-Fähre war gekappt worden, die Schafherde eines Bauern lag in ihrem Blut. Der Feind missgönnte den Rittern das Drachenstein-Turnier, dieses Zeichen ihres Stolzes. Während des Bogenschieß-Wettbewerbs hatte gar einer der Schützen den Verstand verloren und drei Zuschauer verletzt, bevor man ihn hatte überwältigen können. Vielleicht hatte das am Wein gelegen, aber daran glaubte kaum jemand.

Worum es sich bei der Nachricht auch handeln mochte – Fiana hatte das nicht zu kümmern. Seine Gnaden Asquirion hatte bei der Eröffnung des Turniers klargemacht, dass Mut und Ehre Tobriens und der freien Reiche sich niemals beugen würden. Mochten auch sabbernde Unholde das Wasser der Tobimora saufen –wollten sie das Turnier unterbinden, mussten sie schon herkommen, und dann würde man herausfinden, wer die Sonne noch einmal aufgehen sähe! Wozu wäre Freiheit nütze gewesen, wenn man sie nicht genutzt hätte? Es wäre ein Sieg für Borbarad gewesen, hätte er erreicht, dass das freie Tobrien sich verkröche. Es war ihre Pflicht als Ritterin, dies zu verhindern!

Grimmig lenkte sie Glendolon an die Schranke und wartete auf die Posaune. Als sie kam, stießsie mit den Sporen so heftig zu, dass das Pferd einen weiten Sprung nach vorn machte.

Diesmal gelang ihr die Konzentration besser als je zuvor. Sie bemerkte kaum, wie sich ihre Knie durchdrückten, sodass sie sich in die Steigbügel stellte. Die Geräusche der an ihrem Helm vorbeiströmenden Luft und der stampfenden Hufe schienen ihr fern, als wären ihre Ohren dick umwickelt. Es war seltsam einfach, die Lanze ruhig zu halten, beinahe, als handelte es sich um einen Teil ihres Körpers, eine weitere Gliedmaße, die sie bis in die Spitze hinein willentlich kontrollieren konnte.

Auch von der Klamm hatte einen guten Durchgang. Sein Ross spuckte Flocken, war unglaublich schnell und galoppierte beinahe ohne Schwankung. Der gepanzerte Körper strahlte Ruhe und Kraft aus. Der weiße Adler auf seinem Helm strahlte. Was für ein prachtvoller Anblick!

Der Stolz füllte Fianas Brust, bis sie gegen die Delle in ihrer Rüstung stieß. Konnte es etwas Besseres geben, als sich in einem Kampf um die Ehre zu messen? Sie sehnte den Moment des Zusammenstoßes herbei, lehnte sich noch weiter vor, riskierte, vornüberzukippen, und liebte das Gefühl der Gefahr. »Komm her!«, hörte sie sich schreien. »Zeig mir, wie hart du bist!« Sie liebte ihren Gegner dafür, dass er ihr dieses Kräftemessen ermöglichte. Das Leben war schön!

Fiana traf gut.

Von der Klamm traf besser.

Als hätten sie und ihre Rüstung kein Gewicht, wurde sie aus dem Sattel geschleudert, gleich einem Brotkrumen, den man vom Tisch schnippte. Für einen Augenblick lag sie schwerelos in der Luft, sah zum blauen Himmel auf. Ein Blinzeln später krachte sie auf den Rücken. Mit dem Aufprall kam auch der Schmerz. So musste sich ein Weizenkorn fühlen, das zwischen den Mühlsteinen zermalmt wurde. Sie blinzelte zweimal, bevor der Herzschlag wieder einsetzte, dröhnend wie ein Gong. Noch etwas länger dauerte es, die Lunge davon zu überzeugen, dass Luftholen eine wirklich gute Idee war.

Stöhnend, aber stolz drehte sie sich auf die Seite und drückte sich hoch. »Was für ein göttlicher Spaß«, murmelte sie, als sie in einen schwankenden Stand fand.

Die Menge hatte ebenfalls die Luft angehalten, anders war die Stille nicht zu erklären. Als Fiana die Faust zum rondrianischen Gruß gegen ihr neu erwachtes Herz schlug, sprang sie der Jubel an wie ein Rammbock, der ein Tor aufsprengte.

Fiana wandte sich um, suchte den Sieger. Von der Klamm saß aufrecht auf seinem Ross, das er vor die Ehrenloge gelenkt hatte. Er grüßte sie, und sie war froh, dass ihr Visier heruntergeklappt war, denn sie spürte die Tränen in ihren Augen. Ihr Körper weinte, denn einige Knochen fühlten sich noch immer an, als vibrierten sie im Fleisch, aber ihr Geist war so von Stolz erfüllt, dass für andere Empfindungen kein Platz war. Sogar der Herzog und seine Edlen hatten sich erhoben und applaudierten. Fiana verbeugte sich, um von der Klamm die Ehre zu erweisen.

Bevor der Jubel abflaute, verließ sie die Bahn. Ottgam führte Glendolon am Zügel. »Wenn Ihr mir eine Meinung gestattet: Das war ein guter Kampf, Herrin.«

Ihr Helm klapperte, als sie nickte. »Heute wurde Ehre aus dem Stahl geschlagen.«

Ottgam richtete sich kerzengerade auf. Auch er war stolz, an diesem Ort dabeigewesen zu sein. Seiner Göttin, der entschlossenen Rondra, gingen Mut und Ehre über alles. Wo immer mit edler Gesinnung gefochten wurde, war sie zugegen. Manche behaupteten sogar, dass sie sich an Tagen wie diesem körperlich manifestierte, um, verhüllt mit einem dicken Mantel, der ihre göttliche Pracht vor niederen Augen verbarg, in der Menge zu stehen. Falls das zutraf, konnte sie jedenfalls nicht auf der Tribüne sitzen, denn der Adel dort trug seine prachtvollsten Gewänder zur Schau. Niemand auf diesen Rängen hatte Interesse an Unscheinbarkeit. Auch für die Schneider und Juweliere war dies ein Tag des Stolzes.

Während Ottgam Glendolon anband und ihm einen Eimer Wasser hinstellte, ging Fiana schnurstracks in das Zelt, das man ihr für den Wettkampf zugewiesen hatte. Ein wenig schämte sie sich dafür, aber schon waren die ersten Sorgen in ihren Geist gekrochen. Man hörte von Rittern, die, berauscht vom Kampf, aufrecht vom Feld schritten, um kurz darauf einer unbemerkten Verletzung zu erliegen. Sie spürte Ermattung in den Gliedern und Schmerz in ihrer Brust. Nur ein paar Prellungen, oder war sie innerlich verwundet? Saugte sich das Wams unter dem Harnisch vielleicht gerade mit ihrem Blut voll? Ungeduldig wartete sie darauf, dass der Knappe kam, um ihre Rüstung zu lösen.

Ottgam plapperte nicht. Sie selbst war als Knappin mehrfach zurechtgewiesen worden, weil sie nach einem aufregenden Erlebnis den Mund nicht hatte halten können. Für Ottgam dagegen schien es sich hier um einen heiligen Akt zu handeln, den man nicht mit unnützem Geschwätz entweihen sollte. Sie war ihm dankbar dafür.

Die Delle in der Brustplatte war noch größer, als sie sich angefühlt hatte. Fiana pfiff anerkennend.

Ihr Wams war nass, aber nicht von Blut, sondern von Schweiß. Sie befreite sich von den Panzerhandschuhen und betastete ihre Rippen. Das Brustbein und die rechte Schulter reagierten am stärksten, aber es war erträglich. »Ich wäre für einen weiteren Gang bereit«, murmelte sie.

»Zweifellos, Herrin«, antwortete Ottgam, obwohl sie mehr zu sich selbst gesprochen hatte.

Sie presste die Lippen zusammen und nickte. »Das steht nun von der Klamm zu.«

»Ich glaube nicht, dass er den Endkampf erreichen wird. Schon fünf Kämpen haben ihre Gegner im ersten Gang aus dem Sattel gestoßen. Ihr habt ihm drei abgerungen.«

Sie zuckte mit den Schultern und wurde mit einem Stechen in der rechten Seite dafür bestraft. »Schade. Ich hätte es ihm gegönnt.«

»Der Turniermarschall müsste ihn nominieren, um die fehlenden Punkte auszugleichen.«

»Das könnte geschehen. Man schien angetan von unserer Tjoste.«

»O ja!«, rief Ottgam mit Begeisterung in der Stimme.

Fiana löste ihr Haar, sodass die blonden Wellen über ihre Schultern fielen.

Ein Ritter zog den Vorhang vor dem Eingang zurück. »Ich gratuliere Euch zu Eurem Ritt! Ihr habt einen feinen Stoß!« Hinter ihm lugte sein Knappe herein.

»Ich danke Euch.«Fiana fühlte, wie sie über das ganze Gesicht strahlte.Gibt es etwas Besseres auf der Welt, als eine Ritterin zu sein, die von Ihresgleichen geehrt wird?

»Darf ich fragen, wie lange Ihr das Zelt noch benötigt? Ich würde mich gern vorbereiten.«

»Natürlich. Nur noch einen Moment.«

Er nickte und zog den Vorhang wieder vor.

»Hilf mir mit den Stiefeln«, wies sie Ottgam an. Als auch die Beine von der Panzerung befreit waren, schlüpfte sie in ihr ledernes Schuhwerk, prüfte, ob sie auch nichts vergessen hatten, schnallte das Schwertgehänge um und ging hinaus. Neben dem Eingang war ihr Wappenschild schon gegen den ihres Nachfolgers ausgetauscht worden, eine rote Lilie auf silbernem Grund. »Donmarken, nicht wahr?«, fragte sie.

»Gelmar von Donmarken, ganz recht. Immer zu Euren Diensten.«

»Fiana vom Isenborn.«

»Ich weiß. Diesen Namen werde ich so schnell nicht vergessen.« Er küsste ihre Hand, eine Geste, die Fiana nicht gewohnt war, und verschwand im Zelt.

»Bring den Brustpanzer zu einem Schmied, er soll ihn richten«, wies sie Ottgam an und sah auf den Vorhang, der noch ein wenig hin und her schwankte. »Wenn du dann Glendolon in den Stall gebracht hast, kannst du den Rest des Tages nach eigenem Gutdünken verwenden.«

»Danke, Herrin.«

Sie schlug ihm die Hand auf die Schulter, eine Geste, die sie sehr geschätzt hatte, als sie selbst Knappin gewesen war.Vor drei Monden also noch, dachte sie. Sie drückte aus, dass man die Kraft des Gegenübers ernst nahm. »Du hast mir heute gut gedient.«

»Zu viel der Ehre, Herrin.« Seine Augen leuchteten.

Fiana suchte von der Klamm, um ihm noch einmal mit Handschlag zu gratulieren, erfuhr jedoch, dass er sich zurückgezogen hatte, um seine Konzentration für die nächste Tjoste zu sammeln. Da sie ihn nicht stören wollte, stellte sie sich neben die Tribüne, um einige weitere Durchgänge zu beobachten. Die Atmosphäre an der Bahn war herrlich, aber ihr Platz bot keine gute Sicht, sie konnte den Ort des Zusammentreffens kaum in den Blick bekommen. Außerdem wurde es ihr eng in der Masse.

Sie verließ den Turnierplatz und ging in das Dorf, das dieser Tage aus allen Nähten platzte. Die Grafenfeste Ebeldûrn erhob sich hinter den Häusern, zwischen denen sich verwinkelte Gassen zogen. Fianas Herberge lag am anderen Ende des Ortes. Sie hatte sich für eine preiswerte, doch saubere Unterkunft entschieden. Ihre Eltern waren aufgrund der heimatlichen Eisenmine reich und hätten ihr sicher auch eine großzügigere Reisebörse zugestanden, aber sie war zu stolz gewesen, darum zu bitten. Ein wenig hatte sie auf das Preisgeld gehofft, mit dem die Bestplatzierten belohnt wurden, aber für eine Anfängerin war das verwegen gewesen. Not litte sie auch so nicht. Was war schon einzuwenden gegen ein Lager aus einem Kartoffelsack, der mit duftendem Stroh gut gefüllt war?

Auf dem Marktplatz stand ein Bauer am Pranger. Körbe mit faulem Obst waren vor ihm aufgestellt. »Wollt Ihr einen Wurf wagen, Frau Ritterin?«, rief der Büttel. Vor dem Bauern stand ein Schild aus verwachsenem Holz, auf das jemand mit Kohle geschrieben hatte: ›Ich habe Spionen Unterschlupf gewährt!‹

Fiana wog eine angeschimmelte Rübe in ihrer Hand. Sicher, das einfache Volk besaß kaum etwas als seine Angst. Bauern fürchteten sich vor der Sonne, die den Boden ausdörrte, und dem Regen, der die Krume fort wusch. Gerade in diesen harten Zeiten waren Sorgen manchmal das Einzige, was sie im Munde führten. Aber ihr Vater hatte Fiana gelehrt, dass Weichherzigkeit nichts war, was einer Frau von Stand gebührte. Sie war geboren, um das Volk zu leiten, ihm Beispiel zu geben und auch zu züchtigen, wo es Not tat. Wer verlotterte, wurde schwach. Wer schwach war, wurde den finsteren Horden zur Beute. Wer in die Klauen der Dämonen geriet, der litt unvorstellbare Qualen, viel schlimmer, als einen Tag am Pranger zu stehen und den Spott zu ertragen. Dennoch wurde es nur ein schwacher Wurf, als Fiana die Rübe schleuderte, und im Stillen war sie froh, dass sie am Holz abprallte, statt das Gesicht zu treffen.

Sind dies des Herzogs Sorgen?, fragte sie sich.Schwarze Späher in der Umgebung und feige Bauern, die sich nicht trauen, die Unterkunft in ihren Scheunen zu verwehren, wenn Blut von schartigen Klingen tropft?

Je näher sie ihrer Herberge kam, umso mehr spürte sie ihre Knochen. Ihr strapazierter Körper lag im Widerstreit mit ihrem Geist, der vom Anblick der bunt geschmückten Stadt angeregt wurde. Wo immer ein Ritter Quartier genommen hatte, hing ein Banner aus dem Fenster eines Hauses. Auch das Gefolge trug heute den besten Staat. Da viele keinen Platz mehr auf dem Turnierfeld gefunden hatten, waren die Straßen voll. An allen Ecken wurde getrommelt und gesungen, buntes Herbstlaub wehte über das Pflaster. Mancher Zecher hatte sich nicht zurückhalten können und lag nun im Schatten einer Treppe. Trotz ihrer Erschöpfung fühlte sich Fiana über alle Maßen lebendig.

Als sie sich der Stiefel entledigte, beschloss sie, zum Bader nebenan zu gehen und sich einen heißen Zuber zu gönnen. Zur Feier des Tages ließ sie Duftöl dazugeben. Nach dem Trockenreiben war sie so schläfrig, dass sie es gerade noch zu ihrem Lager schaffte. Gähnend registrierte sie, dass Ottgam sich mit der Rüstung beeilt hatte. Sie war schon wieder an ihrem Holzgestell befestigt. Die Nachmittagssonne glänzte auf den Abdrücken der Hammerschläge, mit denen der Schmied sie ausgebeult hatte.

Mit dem letzten Gedanken vor dem Einschlafen entschied sie, dass es ihr gefiel, wenn ein galanter Ritter ihr die Hand küsste.

***

Ebelried, Reichsmark Drachenstein, Tobrien.

Nacht vom 25. auf den 26. Tag im Traviamond, 1021 BF.

Fiana schrak hoch.Ich habe die Finalkämpfe verpasst, war ihr erster wacher Gedanke. Hinter dem offenen Fenster leuchtete die letzte Helligkeit des Abendhimmels wie ein spöttischer Gruß an die Schlafmütze, von der Straße drangen die Geräusche von Feiernden herein. Bedauernd rieb sie sich die Augen. Die rechte Schulter knackte protestierend.»Schluss mit der Faulheit!«, beschloss sie und stieß die Füße in die Stiefel. Das Schwert hatte sie offenbar gar nicht erst abgegürtet.

Im Schankraum der Herberge herrschte eine ausgelassene Stimmung, hier fühlte sich Fiana mit ihrer leichten Melancholie fehl am Platze. Sie trat hinaus auf die Straße, deren Lehm von den Besucherscharen gründlich zertreten war. Ein Jongleur warb erfolglos um Aufmerksamkeit für die Kunststücke, die er mit einigenÄpfeln vollführte. Die Menschen waren in kleinen Gruppen unterwegs. Lehrjungen, die sich an den Bannern überall in Ebelried nicht sattsehen konnten, Schwertschüler aus dem Reich, bärtige Bornländer, die dies hier im Vergleich zu ihrer mit dichten Wäldern bestandenen Heimat als besonders zivilisiertes Land empfinden mochten, Pferdehändler, die aus irgendeinem Grund versuchten, ein Gespann in die Stadt zu bringen und sich mit ihrem Bittruf »Eine Gasse!« bereits heiser geschrien hatten.

Eine Weile wanderte sie ziellos umher. Vor einer Backstube lag ein Mann in Rüstung und Wappenrock auf dem Boden. Fiana runzelte die Stirn. Ein Ritter sollte gelernt haben, seine Gegner einzuschätzen. Das galt auch dann, wenn der Gegner ›Alkohol‹ hieß. Es war unehrenhaft, sich vom Rausch die Würde stehlen zu lassen. Und nicht gut für den Ritterstand, wenn das einfache Volk einen hohen Herrn so in der Gosse liegen sah. Sie beschloss, ihren Standesgenossen zu seinem Zimmer oder seinem Zelt zu bringen.

In seinen Wappenrock waren Silberfäden eingewebt, die im Schein der Laternen glänzten. Sie hockte sich neben ihn und rüttelte an seiner Schulter. Stöhnend drehte er ihr das Gesicht zu.

»Herr von Donmarken!«, rief sie überrascht. Waren diese aufgeplatzten Lippen dieselben, die vor ein paar Stunden ihre Hand geküsst hatten? So musste es wohl sein, denn die ruhigen, braunen Augen erkannte sie wieder, obwohl das mit roten Pusteln übersäte Gesicht ansonsten wenig Ähnlichkeit mit ihrer Erinnerung hatte. »Was ist Euch geschehen?«

»Plötzlich so schwach ...«, keuchte er.

Fiana besah sich die Passanten. »Du!«, rief sie und zeigte auf einen Knecht, der einen nüchternen Eindruck machte. »Komm her!«

»Ja, Herrin.«

»Fass mit an! Wir bringen den Herrn Ritter zum Lazarett!« Am Turnierplatz stand ein Zelt, in dem die Heilkundigen Wunden versorgten, die während der Wettkämpfe geschlagen wurden. Fiana hoffte, dass es noch besetzt war.

Der Knecht schlug das Zeichen der gütigen Herrin Peraine. Einen Wimpernschlag lang maß er seinen Blick mit dem Fianas, bevor er ihm auswich. »Ich hoffe nur, dass ich vor Ansteckung bewahrt bleiben möge, Herrin.«

Sie nickte grimmig. Hoffentlich war ihr nicht anzusehen, dass ihr dieser Gedanke gar nicht gekommen war. Jetzt allerdings erschien er gar nicht so abwegig. »Wir werden um einen Segen bitten, der uns davor schützen wird«, sagte sie mit mehr Überzeugung in der Stimme, als sie in sich spürte.

Sie und der Knecht legten sich jeweils einen Arm um die Schultern.Wir müssen aussehen wie zwei Ochsen unter einem Joch.

Der Weg war nicht weit. »Merkwürdiges Wetter, Herrin«, sagte der Knecht. »Dieser Nebel, solche Schwaden habe ich noch niemals gesehen.«

Sie sah in die Richtung, die er mit seinem Nicken bedeutete. In der Tat ein merkwürdiger Fetzen, der da in der Luft lag. Das orangefarbene Licht der Laternen wurde violett schimmernd davon zurückgeworfen. Nur widerstrebend schien die Schwade sich von dem beständigen Wind vorwärts schieben zu lassen. Je länger Fiana sie beobachtete, desto mehr hatte sie den Eindruck, dass ein gequältes Gesicht darin gefangen sei. Sie blinzelte und sah weg. In Borbarads Land wurde auch die Natur geknechtet, die Druiden sagten, dass man sich dort auf nichts verlassen könne, aber hier war schließlich das Freie Tobrien. Wo blieb der Mut, wenn man sich von ein wenig Nebel ins Bockshorn jagen ließ?

»Noch einer!«, wurden sie vom Feldscher begrüßt. Er sah besorgt aus.

»Ihr habt schon mehr wie ihn?«, fragte Fiana.

Der Heiler hatte die Arme aufgekrempelt. Sein grünes Gewand wies dunkle Flecken auf, das Haar war mit einem Tuch zurückgebunden. Nahe dem Eingang lag ein Ritter mit frisch durchblutetem Verband um den Beinstumpf. Der Heiler deutete auf vier Patienten, die sich auf der anderen Seite versammelt hatten. »Inzwischen habe ich wenigstens zwei Dutzend gesehen.«

»Gift im Essen?«, fragte Fiana.

»Wer weiß? Aber die Betroffenen scheinen wenig miteinander gemein zu haben. Es wäre ein großer Zufall, wenn sie an der gleichen Tafel gesessen hätten.«

»Ein Fluch?«Fianas Nackenhärchen stellten sich bei dieser Befürchtung auf.

»Die Bannstrahler wollten die ersten Fälle direkt verbrennen. Sie neigen zu forschen Antworten.« Er grinste. »Am besten lasst Ihr ihn erst einmal hier. Was immer das für ein Zeug sein mag, bislang hat es die Leute träge gemacht, aber nicht umgebracht.«

Zweifelnd nickte Fiana.

»Kann ich jetzt gehen, Herrin?«, fragte der Knecht zaudernd.

»Willst du keinen Segen mehr gegen die Ansteckung?«

Verlegen nickte der Mann und wartete die Geste des Heilers ab.

»Ihr kümmert Euch doch gut um Ritter von Donmarken?«

»Das ist sein Name?« Er geleitete seinen neuen Patienten zu einer Liege. »Sicher. Er bekommt den gleichen Sud wie die anderen. Denen hat er gut getan. Die erste Anwallung scheint besonders heftig zu sein, aber sie erholen sich schnell.«

»Kann ich noch etwas tun?« Unweigerlich wurde ihr Blick zu der Amputation gezogen. Der Verband unter dem Knie eines Schlafenden war noch frisch. Das war ihr Albtraum. Die rechte Hand ihrer Mutter war vor Eslamsbrück geblieben. Magus Cyron hatte versucht, sie zu ersetzen, aber anscheinend hatte sie mit dem Glied auch einen Teil ihrer Seele verloren.

»Nein. Danke, dass Ihr ihn gebracht habt. Der Rest ist meine Aufgabe und die meiner Gehilfen.«

Einen Moment noch stand sie unschlüssig herum, dann nickte sie den Patienten zu und verließ das Zelt. Erst draußen fiel ihr auf, wie widerlich dick der süßliche Geruch der Krankheit gewesen war. Vielleicht waren es auch nur die Salben und Tinkturen, die so rochen.

Sie ging zur Turnierbahn, die nun verlassen im Sternenschein lag. Wie ein schwarzes Loch gähnte der Schatten der Tribüne. Fiana tastete einige der Hufabdrücke im Sand nach. Es waren unzählbar viele. Die Erinnerung an den Stolz des Tages vermischte sich mit dem Bedauern darüber, dass sie den Finalkampf nicht gesehen hatte. Nachdenklich schritt sie an der Mittelbande entlang. Hier hatte Glendolon sie heute getragen. Nicht ein einziges Mal hatte das treue Tier gescheut oder einen Befehl verweigert. Sie lächelte bei dem Gedanken an die Zusammenstöße mit von der Klamm.Der erste war der beste, urteilte sie. Auf eine absonderliche Art war es herrlich, die Wucht der gegnerischen Lanze mit voller Kraft an der Brustplatte anzunehmen. Sich einer solchen Gewalt auszusetzen und in ihr zu bestehen – war es nicht diese Stärke, die es ausmachte, eine Ritterin zu sein?

Eine merkwürdige Spur zog sich durch den Sand. Mitten im zerstampften Boden wirkte sie wie ein zwei Spann breiter Bach. So musste ein Vogel eine zerfurchte Hügellandschaft sehen, durch die sich ein Fluss schlängelte. Lächelnd schüttelte Fiana den Kopf.

Ein Kinderspiel?

Das mochte wohl angehen. Ihr wollte nicht einleuchten, welchem Zweck es dienen sollte, eine solche Spur in den Sand zu fegen. Sie folgte ihr die Windungen entlang, zwanzig Schritt weit, dann verlor sie sich im Gras. Es war nicht nur glatt gefegter Sand, auch einige ungleichmäßig geformte, trübe Glasperlen fanden sich darin. Was für ein merkwürdiger Zeitvertreib, dem die Mädchen und Jungen hier nachgegangen waren. Vielleicht war das Kind eines Glasers darunter gewesen?

Ein heller Schein erregte Fianas Aufmerksamkeit. Einige Ritter hatten auf einem Hügel ein Lagerfeuer entfacht. Beim Näherkommen hörte sie die Verse eines bornländischen Liedes, das man in diesen Tagen häufig sang. Die schwermütige Dichtung der Menschen aus dem Land zwischen Walsach und Born traf die Stimmung, die derzeit in Tobrien vorherrschte, wenn die Texte auch oft abgeschliffen wurden, weil nur wenige den Dialekt mit seinen rollenden Konsonanten gut genug beherrschten, um ihn singen zu können. Sie lächelte bei dem Gedanken an ihren Vater. Wenn er bornländische Weisheiten rezitierte, schien seine Sprache nur aus ›sch‹ und ›rrrrr‹ zu bestehen. Er stammte aus dem Bornland, die Minne hatte ihn nach Tobrien gelockt.

Bei dem Stück am Feuer trug ein Ritter die Strophen vor, während die anderen den Kehrvers schmetterten. Es ging um einen Räuber, der Knaben entführte, um sie zur Arbeit in einer abgelegenen Wassermühle zu zwingen.

Man winkte ihr zu, als sie den Fuß des Hügels erreichte: »Erweist uns die Ehre Eurer Gesellschaft, Ritterin!«

Dieser Einladung folgte sie gern. Es war ungewohnt für sie, von Rittern als Ihresgleichen gesehen zu werden. Vor wenigen Monden noch hätte sie am Rand gesessen, bei den Knappen, die auch in dieser Runde nicht fehlten. Sie ging zwischen zwei Mädchen hindurch, die an ihren Holzschwertern schnitzten. Knappinnen wurden an echten Waffen ausgebildet, doch wenn sie sich im Wettkampf maßen, geschah das nicht mit Stahl.

»Vom Isenborn, nicht wahr?«, fragte man sie.

Fiana spürte die Röte in ihrem Gesicht, als sie sich setzte, denn sie erkannte das Wappen des Sprechers nicht. Grüner Zweig auf goldenem Grund. Er hatte zwar den Großteil seines Panzers abgelegt, trug aber noch eiserne Schienen an Unterarmen und Beinen. »So ist es«, antwortete sie und setzte sich.

»Dann müsst Ihr mir beistehen, Ritterin. Es gilt, die Ehre der Schwarzen Sichel hochzuhalten, doch meine krächzende Stimme lässt mich bei diesem Sangeswettstreit kläglich im Stich.«

»O je, ich fürchte, unsere Stellung ist nicht zu halten.«

»Auch in der Niederlage kann Ehre liegen, wenn man tapfer ficht«, grinste er.

Das hatte sie heute am eigenen Leib erfahren. Also stimmte sie ›Der Bär im Tannicht‹ an. Ein Barde hätte wohl Ohrenschmerzen bekommen, aber es erfüllte den Zweck. Während der acht Strophen versuchte sie, sich an das Wappen des Mannes zu erinnern, dessen Heimat offensichtlich in dem gleichen Gebirge zu finden war, in dem auch das Junkergut ihrer Eltern lag, aber es gelang ihr nicht. Ganz sicher keine Baronie der Reichsmark Osterfelde, deren Wappen kannte sie gut. Vielleicht also der Westen der Mark Drachenstein oder die weidener Grafschaft Sichelwacht. Ansonsten kam noch die darpatische Grafschaft Ochsenwasser infrage, die den südlichen Teil umfasste.

Sie sangen noch zwei Lieder.

»Was starrt Ihr mich an?«, raunzte ein Ritter mit schmalem Gesicht.

»Es ist Eure Haartracht«, beeilte sich Fiana zu erklären. »Sie scheint mir ungewöhnlich, und ich frage mich, woher Ihr wohl stammen mögt.«

Er lachte freudlos. »Ich wurde kaum einen Steinwurf von hier geboren.« Mit entschlossenem Griff zog er die merkwürdig gebundenen Locken zurück. »Solche Zier trägt man nicht zur Schau.« Nicht nur das Ohr war abgetrennt, auch der Schädel war auf der linken Seite eingedrückt. Es war erstaunlich, dass der Mann den Kiefer ohne Probleme bewegen konnte. »Mein Andenken an die Vallusischen Weiden.«

Vor etwa drei Monden hatte eine gewaltige Schlacht das Wasser der Misa rot gefärbt. »Auch mir ist dieses Gefecht wohlbekannt, Herr Ritter«, entgegnete Fiana eine Spur zu schroff. »Mein Schwertvater blieb dort auf dem Feld der Ehre.«Und ich durfte ihn nicht verteidigen. Er hat wohl seinen Tod geahnt und mir deswegen befohlen, die Schlacht zu meiden.

»Wie war sein Name?«, fragte der Mann nun etwas sanfter.

»Der Herr Boron lehrt, den Toten das Schweigen zu gewähren.«

»Doch gebührt es, ihre Taten zu ehren.«

»Die Ehrenhaftigkeit der Isenborns ist über jeden Zweifel erhaben«, mischte sich der Ritter ein, der sich als Schwarzsichler zu erkennen gegeben hatte. »Ich sah den silbernen Berg ihres Wappens auf den Zinnen, als Ysilia fiel.«

Das war im Tsa des letzten Jahres gewesen. Die dunkelste Stunde der tobrischen Verteidiger. »So kennt Ihr meinen Bruder oder meinen Vater? Härmhardt vom Isenborn?«

»Ich schätze mich dieser Ehre glücklich«, entgegnete er. »Genter vom Arfels mein Name.«

Fiana neigte das Haupt. »Es muss ein schrecklicher Kampf gewesen sein.«

»O ja. Diese Hummerier ... Mit ihren Scheren trennen sie einem leicht den Kopf von den Schultern ...«

Sie nickte. »Davon hat mein Vater mir berichtet.« Solche Kreaturen hatten ihren Bruder getötet.

Inzwischen war der Kampf um Tobrien zu einem unruhigen Stillstand gekommen. Borbarads Heerführer schienen fürs Erste zufrieden. Späher berichteten von Wehrtürmen, die sie zwischen Schwarzer Sichel und Tobrischer See errichteten.

»Ihr hättet die Geflügelten sehen sollen«, sinnierte der Ritter mit der Kopfverletzung. »Auf den Vallusischen Weiden, meine ich. Schwingen von Adlern, Drachen und Schwänen trugen sie an ihren Rüstungen.«Die schweren Elitereiter der Bornländer waren Legende. »Als sie durch die Reihen der Feinde brachen, war mir, als ob die Göttin selbst beschlossen hätte, den Dämonenpaktierern das Rückgrat zu zerschmettern.«

Sie sahen ins Feuer und genossen es, gemeinsam zu schweigen. Hier waren sie, Ritter aus allen freien Ländern, im Lehnseid an Herren aller Reiche Aventuriens gebunden, an einem Feuer zu Füßen der Burg Ebeldûrn, nur wenige Meilen von den Schergen der Finsternis entfernt.

»Bis hierher und nicht weiter«, sagte einer von ihnen. »Jetzt weichen wir keinen Schritt mehr zurück.«

Fiana hielt den Atem an, wartete darauf, dass jemand einstimmen und einen baldigen Gegenangriff postulieren würde, mit dem man die faule Brut aus der besetzten Heimat vertriebe. Niemand wagte es. Eitle Illusionen hatte Borbarad ihnen aus dem Leib geprügelt.

Allen hier außer mir, dachte Fiana.Ich habe mich noch nicht im Kampf bewährt.Ihr Schwertvater hatte sie immer beschützen wollen. Sie wusste nicht, ob sie das bedauern sollte. Ihr Bruder Lyrkan war vor dem Ende seiner Knappenzeit gefallen, ihre Mutter hatte eine Hand verloren. Nur ihr Vater hatte die Kämpfe unbeschadet überstanden.

Fiana nahm einen Wasserschlauch entgegen, trank und reichte ihn weiter. Sie sah in die Flammen, lauschte auf das Knacken des Holzes.

Der Ruf war zunächst nur undeutlich zu verstehen, wurde jedoch von vielen Stimmen aufgenommen und drang schließlich auch zu ihrem Lagerfeuer durch: »Untote!«

Sie sprangen auf. Ein Blick in die Augen der anderen genügte. Sie rannten gemeinsam los. Schnell waren sie von unruhigen Kämpfern umgeben.

»Lebende Leichen!«, antwortete man ihnen. »Sie sind in das Lager eingedrungen, haben einige Zelte umstellt und halten Geiseln!«

Fiana hätte sich ohrfeigen können. Die Seltsamkeiten dieses Abends, die merkwürdige Krankheit, die leuchtende Nebelschwade, die sinnlose Spur auf der Turnierbahn waren nur Vorboten eines borbaradianischen Angriffs gewesen. Wie hatte ihre Wachsamkeit so nachlassen können, dass sie solche Zeichenübersah?

Der Anblick der Zombies ließ Fiana zögern. Am besten erhalten war eine Wasserleiche - der Kleidung nach zu urteilen eine Bäuerin aus der Gegend -, aufgedunsen, mit schimmernder Haut, deren Farbe im Fackelschein nicht eindeutig auszumachen war, irgendwo zwischen Grün und Blau. Obwohl Fiana sich in den Kreis der aufgeregten Streiter einreihte, der die Untoten in fünf Schritt Abstand einkesselte, konnte sie erkennen, wie blicklos die Augen der Bäuerin waren. Tot, ohne Glanz.

Für ihre vier Begleiter galt das ohnehin, denn deren Augäpfel waren längst Würmerfraß geworden. Bei einem der Skelette mussten widernatürliche Kräfte am Werk sein, schon allein um die Knochen zusammenzuhalten. Fleisch und Sehnen waren nur noch faulige Reste.

»Kommt näher, und sie sterben!«, kreischte ein Mann, der sich nun im Eingang des Zeltes zeigte und ein halbwüchsiges Mädchen an der Kehle hielt, dem er einen schartigen Dolch gegen die Wange drückte.

Fiana zog ihre Klinge blank. Hatte sie sich nicht eben noch gewünscht, sich in einem echten Kampf bewähren zu dürfen? Es sah so aus, als ginge ihr Wunsch noch vor dem nächsten Sonnenaufgang in Erfüllung.

»Was willst du?«, fragte sie. Erst nachdem sie die Worte gerufen hatte, kam ihr in den Sinn, dass sie vermutlich die jüngste der anwesenden Ritter war und es ihr kaum anstand, die Verhandlungen zu führen.

»Freien Abzug! Ich nehme meine Gefangenen mit, und ihr lasst uns gehen!«

Ringsum erhob sich zorniges Gelächter.

Am liebsten hätte Fiana dem kahlköpfigen Mann das Schwert direkt in die Brust gerammt. Zweifellos war er der Kopf dieses Kommandos, die Untoten waren nur stumpfsinnige Gehilfen, arme Seelen, die in den Dienst der Finsteren gezwungen waren. Aber wenn sie jetzt auf ihn losgegangen wäre, hätte er dem Mädchen den Garaus gemacht.

»Die Geiseln wirst du zurücklassen müssen.« Sie wunderte sich über die Festigkeit in ihrer Stimme. »Ich biete dir einen ehrenhaften Zweikampf, bei dem du den freien Abzug für dich und deine Kreaturen erringen magst.« Es tat ihr leid, ihm die gequälten Seelen zu überlassen, aber ihre vordringliche Sorge hatte den Lebenden zu gelten.

Der Mann lachte. Er schien keine Zähne im Mund zu haben, das erklärte seine spuckende Aussprache. »Auf so eine blödsinnige Idee kann nur eine Ritterin kommen! Geh zurück zu deinen Minnesängern! Wenn ihr mir nicht sofort gebt, was ich begehre, wird das erste der Blagen sterben!«

Das Zischen war kaum zu hören, als ein Pfeil in seine Brust schlug. Blöde starrte er auf den zitternden Schaft, taumelte zurück. Das Mädchen ergriff die Gelegenheit beim Schopfe. Es biss in seine Hand und riss sich los.

»Angriff!«, schrie Fiana und stieß die Schwertfaust vor.

Mit Gebrüll warf man sich auf den Feind. Fiana teilte sich mit zwei weiteren Kämpfern eine wankende Leiche, deren Lumpen zu einem Fischer passten und die eine abgebrochene Sense zu ihrer Verteidigung schwang. Es war unritterlich, mit mehreren auf einen Gegner loszugehen, aber dies war kein rondrianischer Kampf. Der Seele in dem Zombie würde ein Dienst erwiesen, könnte sie sich endlich von dem verrottenden Körper lösen. Wenigstens vermutete Fiana das, sie verstand wenig von diesen Dingen.

Sie blockte einen Schlag der Sense ab. Ein Mitstreiter zog sein Zweihandschwert waagerecht durch, ein Streich, den man in der Fechtschule ›Orkenspalter‹nannte und der den Untoten über der Hüfte zertrennte. Ein Schwall dunklen Blutes quoll heraus. Das unheilige Unleben wollte dennoch nicht aus ihm weichen. Schneller, als man ihm hätte zutrauen sollen, schlug er die Hände in das Erdreich und riss sich nach vorn. Knapp oberhalb des Knies grub er die Zähne in Fianas Oberschenkel. Sie schrie auf und hämmerte ihm den Schwertknauf gegen den Schädel. Nicht gerade eine ausgefeilte Taktik, aber angesichts des grauenhaften Anblicks musste sie gegen den Ekel kämpfen, um nicht gleich davonzurennen.

Eine Lanze stieß mit einem schmatzenden Geräusch durch den Brustkorb der Leiche und riss sie zu Boden, wo eine Axt den Hals durchtrennte. Noch ein kurzes Zittern, dann lag der Untote still.

»Friede mit ihm«, flüsterte Fiana.

»Das ist nichts«, stellte Genter vom Arfels fest, der neben ihr kniete und den Biss begutachtete. »Seine Zähne sind kaum durch den Stoff gedrungen.«

Sie brauchte einen Augenblick, um Sinn in die Worte zu bringen. Dann nickte sie stumm.

Arfels sah sich mit schnellen Blicken um. »Hier scheinen wir gesiegt zu haben, aber ich bezweifle, dass das der letzte Angriff dieser Nacht war. Besser, wir rüsten uns.«

Fiana war schwindelig.Jetzt nur nicht umkippen. Das hier ist das, wofür du Ritterin geworden bist. Mit dem Schwert das Gute zu schützen.Noch immer schweigend nickte sie erneut.

»Da haben wir die Leichenschänder wohl zu sehr geärgert!«, rief jemand. Mit Erstaunen erkannte Fiana, dass sie es selbst war und sogar ihr Schwert in die Höhe reckte. Alle sahen sie an. »Was meint Ihr, wackere Ritter, wollen wir ihnen zeigen, wo ihr Platz ist?«

»Sollen sie nur kommen!«, scholl es zurück. »Wir werden sie in Stücke hauen!«

»Zu den Waffen!«, brüllte sie. Ihrem eigenen Befehl gehorchend, machte sie sich auf den Weg zu ihrer Herberge.

Niemand wusste, ob es zu weiteren Angriffen der Unholde käme. Auch war es kein reguläres Heer, das sich in Ebelried versammelt hatte. Es gab keine klare Befehlskette. Zwar hätte kaum einer der Ritter eine Order des Herzogs oder des kaiserlichen Marschalls verweigert, aber diese konnten nicht überall sein, und die Struktur von Regimentern und Schwadronen, entlang derer sonst Befehle weitergegeben wurden, war nicht existent. Läufer riefen die Soldaten zu ihren Bannern, Ritter sammelten ihre Lanzen. Diese Gruppen versuchten herauszufinden, wie eine gemeinsame Strategie aussehen konnte, oder entschieden selbst, wo sie sich am besten positionierten, Berittene am Ortsrand, wo freies Feld ihnen Sturmangriffe erlauben würde, Pikeniere in den Gassen oder an stabil wirkenden Häusern, die ihre Flanken schützten. An manchen Stellen herrschte solch ein Gedränge, dass sichdie Rotten gegenseitig behinderten, bis kein Durchkommen mehr war. Andere Straßen lagen verlassen, als sei Fiana der einzige Mensch in der Stadt.

In einem dunklen Winkel stützte sie sich gegen eine Wand. Sie presste die flache Hand vor den Bauch.Nur nicht übergeben, dachte sie,das ist meiner nicht würdig.Doch die Erinnerung an die wankenden Leichname stand ihr deutlich vor Augen. Die vorquellenden Augen der ertrunkenen Bäuerin, der bizarre Anblick des in der Mitte zerteilten Untoten, wie er die Zähne in ihren Oberschenkel geschlagen hatte ...

Die Wunde war wirklich kaum zu sehen. Immerhin etwas.

Sie schlug die Faust gegen die raue Wand. Der Schmerz drängte den Schwindel in den Hintergrund. Sie atmete tief ein, wodurch sich die Prellung ihrer Schulter wieder meldete. Wie anders war doch der ehrenhafte Wettstreit in der Tjoste, wenn man ihn mit dem Gemetzel an den sabbernden Untoten verglich! Wenn ein Ritter in diesem Krieg fiel, mochte es sein, dass ein schändlicher Nekromant ihn in der nächsten Nacht erhob und der edle Spross eines Adelshauses gezwungen wurde, als wankender Leichnam gegen die eigene Flagge zu ziehen. Ein schrecklicher Gedanke.

Mit grimmiger Entschlossenheit setzte Fiana ihren Weg fort, nur um in ein Loch zu stürzen. Nein! Das war kein Loch! Überrascht schrie sie auf. Das Straßenpflaster hatte an dieser Stelle die Konsistenz von Wasser. Erst als sie bis zur Brust eingesunken war, fanden ihre Füße wieder festen Grund. Sie hielt den Atem an, aber nun schien sie sicher zu stehen. Instinktiv hatte sie die Arme gehoben, sodass sie nicht in die merkwürdige Substanz eingesunken waren.

»Jetzt nur nicht überschnappen«, murmelte sie. Wahrscheinlich war die Straße wegen dieses seltsamen Hindernisses geräumt worden. Im fahlen Nachtlicht sah es aus, als wüchse Fiana direkt aus dem Pflaster. Sachte drehte sie den Oberkörper.Wie Wasser. Nur gab es keine Wellen an der Oberfläche. Es fühlte sich auch nicht nass an. Es prickelte auf der Haut, schien also auch durch ihre Kleidung zu dringen. Die Verletzung an ihrem Bein brannte. Welche dämonische Kraft verschaffte sich da durch die Wunde Zutritt zu ihrem Körper?

Sie machte einen tastenden Schritt vorwärts, dann noch einen. Nach dem dritten stieß ihre Fußspitze gegen ein festes Hindernis.Erdreich. Als hätte jemand ein drei Schritt breites Stück der Straße herausgestochen und durch diese Merkwürdigkeit ersetzt. Eine saubere Schnittkante. Wenn das so war ...

Vorsichtig legte sie die Hände auf das Pflaster vor sich. Sie fühlte kalte, feuchte Steine, dazwischen festen Lehm. Sie stießsich ab, drückte sich hoch und zog sich auf den festen Boden. Schnell stand sie auf und tastete sich ab. Ihre Kleidung war trocken, nichts deutete auf ihr Erlebnis hin außer dem Prickeln in ihrer Wunde.

Misstrauisch zog sie ihr Schwert und steckte es in den verfluchten Bereich. Ohne spürbaren Widerstand tauchte es ein. »Paktiererwerk«, zischte sie angewidert.

Ottgam erwartete sie bereits vor der Herberge. Glendolon war gesattelt und aufgezäumt, er selbst hatte seinen mit Nieten verstärkten Lederharnisch angelegt. Er war ein guter Knappe. »Zeit für meine Rüstung.«

»Jawohl, Herrin!« Er klang nicht ängstlich, sondern erwartungsfroh. Seine Jugend drängte ihn zum Abenteuer.

In ihrem Zimmer angekommen, streifte sie rasch die Kleidung ab. Vor ihrem Knappen kannte sie keine Scham. Das wattierte Unterzeug zog sie sich selbst an, während er die Beinschienen holte. Nach dem Oberschenkelschutz folgte die Panzerung für die Arme. Brust- und Rückenplatte wurden fest verzurrt. Seinem Knappen musste man vertrauen, denn selbst konnte ein Ritter die Schnallen und Schrauben nur schwer erreichen, von deren Festigkeit sein Leben abhing. Bei Ottgam hatte Fiana keine Bedenken, obwohl sie ihn gerade einmal eine Woche kannte. Sie spürte eine Verwandtschaft mit ihm. Sie hatten sich beide dem ehrenhaften Kampf verschrieben.

Als nächstes folgte der Schutz für die Gelenke. Diese Elemente überdeckten Ellbogen, Knie und Schultern, wo die großen Panzerstücke Lücken ließen. Ottgam zog ihre Halskrause fest. Sie achtete darauf, dass ihr dennoch genug Raum zum Atmen blieb. Die gespornten Eisenstiefel waren die letzten Rüstteile, mit denen der Knappe half. Panzerhandschuhe und Topfhelm zog sie allein an. Vierunddreißig Stein harten Stahles schützten nun ihren Körper, aber wenn sie aufrecht stand, spürte sie das Gewicht kaum. Die Rüstung stützte sich dann beinahe selbst. Ein trügerischer Effekt. Es gab wohl keinen Ritter, der es sich nehmen ließ, seinem Knappen bei dessen ersten standesgemäßen Gehversuchen einen Stoß zu versetzen und ihm damit vorzuführen, was geschah, wenn die Last aus der Standfläche herauspendelte. Auf der Kriegerakademie von Baliho stellte man die Zöglinge angeblich zu diesem Anlass in einer Reihe auf, dann brauchte man nur dem ersten einen kräftigen Schubs zu geben.

Solche Kindereien waren nun nicht gefragt. Untote streiften durch Ebelried.

»Mein Schwert, Knappe!«, verlangte sie und wusste, dass Ottgam aus dieser Anrede seinen Stolz zöge. Das Gehänge war in die Rüstung integriert, sodass er nur die Scheide einklinken musste.

»Meinen Schild!«

Trotz der Beanspruchung des Turniertages war das isenborner Wappen deutlich zu erkennen: silberner Berg auf blauem Feld, davor ein schwarzer Schneekristall. Die Farben waren vorgestern frisch aufgetragen worden.

»Was meinst du –wollen wir ein paar Paktierer verprügeln?«

»Ja, Herrin!« Ottgam platzte beinahe vor Stolz. Dunkel hoben sich die eisernen Nieten aus seinem Lederpanzer. Er setzte seinen Tobrischen Hut auf, einen runden Helm mit umlaufender Krempe. Nicht gerade ein edles Kleidungsstück, aber den Kopf vermochte es wirkungsvoll abzuschirmen. Auch die Stiefel machten einen ordentlichen Eindruck, nur die Oberschenkel waren durch die Stoffhose ungenügend geschützt.

»Achte auf deine Beine«, riet sie.

»Das werde ich, Herrin.« Er griff seinen kleinen Rundschild und schloss die Faust um das Heft des Kurzschwertes, das er merkwürdigerweise rechts trug, obwohl er Rechtshänder war. Nun ja, er war ein Rondraschüler, er würde wissen, was er tat.

Zwar war er nur ein Mietknappe, aber ein Blick in seine Augen überzeugte Fiana, dass es eine Beleidigung für ihn gewesen wäre, hätte sie ihn darauf hingewiesen, dass die zehn Silbertaler am Tag ihn nicht dazu verpflichteten, ihr in die Schlacht zu folgen. Seine Treue galt dem gleichen Ziel wie die ihre.

Es war ein gutes Gefühl, als sie fest und schwer im Sattel saß. Nur ihre Beinwunde juckte, offenbar hatte die merkwürdige Nicht-Flüssigkeit dort Einlass gefunden. Unter dem Panzer konnte sie sich nicht kratzen, also würde sie die nächsten Stunden mit dieser Unannehmlichkeit leben müssen. »Zum Zeughaus!«, bestimmte sie. Niemand verwehrte einer Ritterin ihr Schwert, aber die schwereren Waffen waren zu Beginn des Turniers dort eingelagert worden, schon allein, damit man sie nicht stahl, während sie unbewacht in Herbergszimmern und Zelten zurückgelassen wurden.

Sie war nicht die Einzige, die den Gedanken gehabt hatte, ihr Arsenal zu verstärken. Die Büttel hatten ihre liebe Not, Kriegslanzen, Äxte, Morgensterne und Rabenschnäbel den Kämpfern zuzuordnen, mit deren Farben sie gekennzeichnet waren. Eine wütende Spannung lag in der Luft, während Fiana wartete.

»Am ü