DSA 123: Isenborn 4 - Stahl - Bernard Craw - E-Book

DSA 123: Isenborn 4 - Stahl E-Book

Bernard Craw

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Beschreibung

Während Olorande und Härmhardt nach einem Leben voller Kämpfe dem Gott des Vergessens huldigen, steht eine neue Generation bereit, die Geschicke ihres Hauses zu lenken. Im Feuer der Wildermark und auf dem Amboss des Dämonenkaiserreichs haben die vergangenen Jahre Falk und Fiana geschmiedet. Ihr Waffenstahl lässt beiderseits der Schwarzen Sichel die Feinde zittern. Jetzt sind die Erben Isenborns entschlossen, ihre Heimat zu befreien. Sie wollen die Besatzer eine Lektion lehren: Ob Kriegsfürst, Herzog, Paktierer, Schamanin oder Magier - nur ein Lebensmüder fordert den Zorn der Isenborns heraus!

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Seitenzahl: 514

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Biografie

Bernard Crawwurde 1972 in Bramsche geboren. Er ist katholisch, ledig und arbeitet hauptberuflich als Projektleiter in einem internationalen Konzern. Nach einigen Jahren in Münster und Sindelfingen wohnt er seit 2000 in seiner Wahlheimat Köln.

Craw schreibt vor allem fantastische Literatur. Mit dem RollenspielDas Schwarze Augekam er 1985 in Kontakt, und die geselligen Abende vorDokumenten der StärkeundPlänen des Schicksalsavancierten rasch zur dominierenden Freizeitbeschäftigung. Vor demIsenborn-Zyklusveröffentlichte er die DSA-RomaneTodesstilleundIm Schatten der Dornrose.

Wer sich über Craws literarische Aktivitäten informieren

möchte, kann dies auf www.bernardcraw.net tun.

Titel

Bernard Craw

Stahl

Isenborn-Zyklus Band 4

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses Spiele Band 11059PDF

Titelbild: Alan LathwellAventurienkarte: Ralph Hlawatsch Umgebungskarte: Florian Stitz

Lektorat: Werner Fuchs Buchgestaltung: Ralf Berszuck E-Book-Gestaltung: Michael MingersCopyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DEREsind eingetragene Marken. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Bearbeitung, Verarbeitung, Verbreitung und Vervielfältigung des Werkes in jedweder Form, insbesondere die Vervielfältigung auf photomechanischem, elektronischem oder ähnlichem Weg, sind nur mit schriftlicher Genehmigung der Ulisses Spiele GmbH, Waldems, gestattet.

Händel

Es ist ja schön und gut, dass ihr ihnen predigt. Mag sein, dass es nützlich ist, wenn sie glauben, sie seien erwählt und bräuchten nur ein paar Riten zu vollziehen, um unsterblich zu werden und durch dienstbare Dämonen aller Mühen verlustig zu gehen.

Aber, bei den Niederhöllen, jetzt nehmt ihnen endlich das Gold ab!

Xeraan, Gründer der Borbaradkirche

***

Wehrheim, Wildermark.

8. Tag im Phexmond, 1029 BF.

Xaira versuchte, ihre Erinnerungen an Wehrheim mit dem in Übereinstimmung zu bringen, was sie in der Abenddämmerung vor sich sah. Das ›stählerne Herz des Reiches‹, wie man den Grafensitz früher genannt hatte, war mit zwölftausend Einwohnern die größte Stadt in der Nähe Königswebers gewesen, an der Kreuzung der Reichsstraßen Eins und Zwei sowie dem Fluss Dergel gelegen. Bevor Galottas fliegende Festung hier die Kaiserlichen zermalmt hatte, war es der bedeutendste Ort für die Ausbildung von Kriegern im Mittelreich, damit wohl auch in ganz Aventurien gewesen. Heute schätzte man die Einwohner der Stadt auf gut ein halbes Tausend Menschen, die noch einen Körper aus Fleisch und Blut ihr Eigen nannten. Viele der grauen und weißen Steinhäuser waren jetzt Ruinen, kaum eines gänzlich ohne Schäden. Die inzwischen hier herrschenden Söldnerbanden zeigten wenig Interesse am Wiederaufbau. Als rege sich ein Trotz an dieser Stätte rondrianischen Stolzes, ließ Wehrheim dennoch seine militärische Vergangenheit erkennen. Die Mehrzahl seiner Straßen folgte der schnurgraden, rechtwinkligen Anordnung eines Heerlagers.

Leider sah dadurch auch eine Straße wie die andere aus. Xaira war auf dem zentralen Marktplatz angelangt und betrachtete die umstehenden Häuser. Nach einigem Zögern erkannte sie den in der Mitte geborstenen Praios-Tempel. Sie erinnerte sich nun auch, dass die Geweihtenschaft des Gottes von Sonne und Gesetz ihren Sitz im Norden des Platzes gewählt hatte, um die Mittagssonne direkt die Fassade anstrahlen zu lassen. Inzwischen war die Bezeichnung ›Ruine‹ für den einst prachtvollen Bau beinahe schon geprahlt. Es tat Xaira weh, die Erdspalte zu betrachten, die mitten durch die staubbedeckten Trümmer lief.

Dort war also Norden. Zweifelnd sah sie zu den Wolken auf, die über den rasch dunkler werdenden Himmel zogen. Da waren keine Sterne, an denen sie sich hätte orientieren können. In den Gassen verlöre sie schnell die Orientierung, falls das Schema der rechtwinkligen Straßen sie im Stich ließe. Leider kannte sie sich im Nordosten Wehrheims nicht aus.

Als die ersten Seufzer durch die Abendluft zitterten, sprang sie über einen Bodenspalt und kletterte über einen Schutthügel in eine Gasse. Ein Schild mit einem blauen Ochsen darauf quietschte an seiner Eisenstange. Offenbar hatte es hier einmal ein Gasthaus gegeben, zu glücklicheren Zeiten sicherlich eine einträgliche Lage. Jetzt starrten die Fenster wie die Augenhöhlen eines Totenschädels.

Mit einem Mal kamen Xaira die knirschenden Bruchstücke unter ihren Stiefeln vor wie Knochensplitter. Der Tod war ihr vertraut, auch der gewaltsame. Sie hatte ein Dutzend Schlachten geschlagen und dabei Menschen unter Schwerthieben und den Sicheln von Kampfwagen sterben sehen. Sie selbst hatte getötet und war mehrfach in Todesgefahr gewesen. Einige Feinde hätten ihren Herren gern den Kopf der Baroness von Bregelsaum zu Königsweber überbracht, das beherzte Einschreiten ihrer Leibgarde war mehr als einmal nötig gewesen, um ihr Leben zu erhalten. Aber der Tod, der sich auf die Ruinen Wehrheims gesenkt hatte, war anderer Natur, weniger greifbar und zugleich deutlich präsenter. Er war in den zertrümmerten Häusern, trieb mit dem Staub im Wind, klaffte in den bodenlos erscheinenden Erdspalten. Er war sogar in den Saufliedern der Lebensfreude heuchelnden Söldner, von denen Fetzen bis hierher hallten. »... glänzt mein Schwert rot wie der Morgen ...«, sang gerade eine kräftige Stimme. »... kann ich mir das Gold besorgen ...«

Xaira empfand den rauen Text beinahe als tröstlich. Wenn er nicht zu hören war, säuselte der Wind um die leblosen Steine. Sie vermeinte, darin ein Klagen und Stöhnen zu hören. In Wehrheim konnte man solche Wahrnehmungen nicht auf überreizte Sinne schieben. Und sie würden nicht das Unangenehmste bleiben, was ihr in den nächsten Stunden begegnen würde, dessen war sie sich gewiss.

Sie war noch nicht weit gekommen, als ein Jüngling mit einer orange leuchtenden Laterne aus dem Eingang eines nur mäßig verfallenen Hauses trat, vor dem sogar einige zarte Blumen aus dem aufgebrochenen Pflaster sprossen. Er hatte seinen Augen mit dünnem, schwarzem Strich zu mehr Ausdruck verholfen, wahrscheinlich auch einige tulamidische Tropfen hineingetan, um ihr Leuchten aufzuhellen. Die bronzene Haut seines Gesichts dagegen hatte er abgedunkelt, um die Wangenknochen deutlicher hervortreten zu lassen. Seine Kleidung war recht dünn für die Temperaturen im Phex. Letzte Woche hatte es noch geschneit. Man sah ihm an, dass er fröstelte, was aber der Wirkung seiner wohlgeformten Schultern keinen Abbruch tat. Die samtige Stimme harmonierte mit seiner Erscheinung: »Auf dieser Richtung liegt kein Segen, Frau Ritterin.«

Immerhin hielt er sie nicht für eine Söldnerin. Ihre Vollrüstung war dafür wohl zu gut, ein Gedanke, der ihr schlechtes Gewissen nährte. Immerhin war der Wunsch nach einer neuen Rüstung ein Grund für ihr Hiersein. Die Vorstellung eines Brustpanzers mit eingelegtem isenborner Wappen und an die Schultern geschmiedeten Sicheln, die an die Streitwagen der Bregelsaums erinnerten, lockte einfach unwiderstehlich. An dieser Geisterstadt war dagegen nichts Anziehendes. »Das habe ich mir selbst zuzuschreiben«, seufzte sie.

Der Jüngling legte den Kopf schräg. »Quälen Euch Sorgen, edle Herrin?« Seine Bewegungen bewiesen eine gesunde Kraft, obwohl etwas Zaghaftes in der Art lag, wie er sich ihr näherte. »Ich kann Euch den Kummer vergessen lassen.«

Obwohl sie wusste, dass der Lustknabe eine Entlohnung für seine Dienste erwarten würde, fühlte sie sich geschmeichelt. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Mein Gemahl erfüllt jeden Wunsch, den ich in dieser Beziehung verspüre.« Der Gedanke an Falks starken Körper löste eine wohlige Wärme in ihrem Bauch aus. Sie vermisste den Anblick der kleinen Kerben, die das heiße Drachenblut in sein Kinn gefurcht hatte.

Die vollen Lippen des Jünglings lächelten. »Aber Euer Gemahl ist nicht hier.«

»Dennoch bleiben wir vor Travia verbunden.« Es klang weniger scharf, als sie beabsichtigt hatte. Wie hätte man auch einem solch schönen Gesicht grollen können?

Er erkannte, dass ihr Widerstand nicht so hart war wie das Eisen ihrer Rüstung. Sein Lächeln wurde breiter, entblößte jetzt auch die makellosen Zähne. Hatte Tsa ihn bei der Geburt damit gesegnet, oder waren sie das Ergebnis der Künste von Heilern und Zauberern?

»Wenn Ihr weitergeht, werdet Ihr nur Kälte und Dunkelheit finden, edle Ritterin. Bleibt bei mir. Ich habe genug Wärme für zwei in einer Nacht wie dieser.«

»Noch ist es nicht Nacht.«

»Sie wird bald hier sein, und mit ihr werden die ruhelosen Seelen der Toten kommen. Sie sind neidisch auf das Leben, missgönnen es uns. Sie hoffen, ihre Qual zu lindern, indem sie uns ins Unglück reißen, zu sich, in die Kälte.«

Prüfend sah sie ihn an. Obwohl er vermutlich glaubte, was er sagte, wirkte er nicht ängstlich. »Du hast dich daran gewöhnt, in einer Stadt der Geister zu leben, oder?«

Unentschlossen wackelte er mit dem Kopf. »Wehrheim ist mein Zuhause. Mit den Toten habe ich nichts zu schaffen. Ich liebe das Leben.«

»Das glaube ich.«

Er fasste ihren Oberarm, eine Berührung, deren Sanftheit sie nicht spürte. Die metallene Panzerung schützte vor Zärtlichkeiten ebenso wie vor Verwundungen. In diesem Moment war das ein Umstand, der Bedauern und Befriedigung zugleich auslöste.Ich bin eine verheiratete Frau, ermahnte sie sich.

»Ich suche die Niederlassung des Handelshauses Stoerrebrandt«, sagte Xaira.

»Und wo soll sich die befinden?«

»Ich hoffte, du könntest mir da weiterhelfen.«

Er grinste schief. »Ich und das Gold, das ist wie Öl und Wasser: Wir kommen nie wirklich zusammen. Bei Eurer Suche kann ich Euch nicht mehr helfen als mit der Versicherung, dass jenseits von hier nichts Gutes zu finden ist. Jedenfalls nicht bei Nacht. Warum wartet Ihr nicht bei mir, bis sich Praios’ Schild morgen früh wieder in den Himmel hebt?«

»Weil der, den ich treffen will, in den hellen Strahlen nicht zu finden ist.«

Ein Runzeln zuckte über seine Stirn. »Ihr sucht einen Geist?«

Seine Verunsicherung gab ihr Sicherheit zurück. Er begriff nun, dass sie sich gezielt in jenen Bereich der Stadt begab, in dem die Ruhelosen spukten. In seinem Blick konnte sie wie in einem Spiegel den Mut erkennen, den er in ihr vermutete. Das tat ihr so gut, dass sie lachte. »Ja, so ist es. Er wurde mir als Geschäftspartner empfohlen.«

Unwillkürlich machte der Jüngling einen Schritt rückwärts. Er netzte die Lippen. »Es steht mir wohl nicht an, Euch zu bitten, Euch zu besinnen.«

Hinter Xaira rumpelte Geröll zu Boden. »Aber mir steht es an, dich zur Besinnung zu rufen, Heynar!«, röhrte eine dunkle Stimme. Sie gehörte einem Mann, dem man ansah, dass er das gute Leben schätzte. Sein mit einer Goldborte verziertes, rotes Gewand fiel in weiten Falten, konnte jedoch nicht die Leibesfülle verbergen, als er schnaufend die Schutthalde herunterstieg. Seine Laterne quietschte.

»Bosster!«, rief der Jüngling.

»Aha, an meinen Namen erinnerst du dich also noch! Anscheinend aber nicht an die Schulden, die du in meinem Haus abzuarbeiten hast? Lass jetzt den Unsinn und komm mit, Vinascha hat schon dreimal nach dir gefragt. Sie ist rollig genug, um einen hohen Preis zu zahlen.«

Xaira verschränkte die Arme, wobei die Elemente ihrer Rüstung metallisch scharrten. »Heynar heißt du?«, fragte sie den Jüngling.

Der nickte hastig. »So ist es, Ritterin. Und ich will mit diesem Mann nichts mehr zu schaffen haben.«

Bosster lachte, ein Geräusch, als schlüge jemand mit einem Holzhammer gegen ein Fass. »Niemand sieht seinen Gläubiger gern, aber du wirst mich schon noch ein paar Jährchen ertragen müssen. Ich habe deinen elenden Eltern ein hübsches Sümmchen in ihre verkrüppelten Hände gezählt.«

»Du hast ihn gekauft?«, fragte Xaira scharf.

Bosster schien sie erst jetzt bewusst wahrzunehmen. Skeptisch musterte er sie von oben bis unten. »Wer fragt?«

»Xaira vom Isenborn!«

Bedächtig schüttelte er den Kopf. »Nie gehört. Oder ... Moment, gab es da nicht diesen Drachenschlächter?«

»Es gibt ihn noch. Falk vom Isenborn, meinen Gemahl. Und wenn du aus dieser Gegend stammst, wirst du auch meine Familie kennen. Es nähme mich schwer Wunder, wenn du von den Bregelsaums aus Königsweber noch nichts gehört hättest.«

Einen Moment lang starrte er sie an. Dann verschwamm die Zornesfalte in seinem teigigen Gesicht, das einen geschäftstüchtigen Ausdruck annahm. »Hört, wir sind doch alle vernünftige Menschen, und dies ist nicht Eure Sache.«

»Ich werde keine Sklaverei dulden!«, donnerte Xaira.

Bosster strich sich über das fettglänzende Haar. »Das ist so ein hartes Wort. Sagen wir: Der Junge schuldet mir etwas. Wenn Euch allerdings an ihm gelegen ist, könnte ich seine Stammkundin sicher noch eine Nacht vertrösten. Ihr müsstet mir lediglich den Betrag ersetzen, der mir dadurch entginge und schon könntet ...«

»Nichts dergleichen werde ich tun!«

Seine Miene verfinsterte sich. »Wie ich bereits sagte: Dies ist nicht Eure Angelegenheit!«

Sie zog die Schwerter aus den Scheiden, die sie auf dem Rücken trug. Mit einem Schild fühlte sie sich immer plump. Vor allem, wenn sie zu Fuß unterwegs war, bevorzugte sie den Kampf mit zwei Klingen. »Ich mache es zu meiner Angelegenheit!«

Auch Bosster war nicht unbewaffnet. Wahrscheinlich war das niemand hier in Wehrheim. Niemand, der noch lebte. Jetzt griff er nach dem Breitschwert, das an seiner Seite hing, zog es jedoch nur halb. Der Anblick der gerüsteten und kampfbereiten Ritterin ließ ihn zögern. »Wenn ich meine Leute rufe, sind sie binnen Kurzem hier«, drohte er.

»Tu es, wenn du ihrer überdrüssig geworden bist«, versetzte Xaira.

Ihr Gegenüber bot einen beinahe mitleiderregenden Anblick, die Rechte am halb gezogenen Schwert, die Linke mit der Laterne vorgestreckt in dem Bemühen, ihr Licht möge etwas enthüllen, das ihm die Lage aussichtsreicher erscheinen ließe. Xaira grinste.

Der erschrockene Schrei des Jünglings ließ sie herumwirbeln. Keinen Augenblick zu früh. Die jahrelange Übung übernahm die Kontrolle, als sie das Schwert in ihrer Rechten zwischen sich und den Angreifer brachte, den sie nur schemenhaft erkannte. Der fette Fuchs hatte sie hereingelegt! Die Helligkeit seiner Laterne hatte ihre Augen geblendet!

Zum Glück änderte dies jedoch nichts an der Stärke ihrer Fäuste, die die Klingen in ehernem Block hielten und so den Streitkolben abprallen ließen, der auf ihren Kopf gezielt hatte. Sie nahm sich nicht die Zeit, das Visier ihres Helms zu schließen. Stattdessen führte sie einen waagerechten Streich mit ihrem rechten Schwert. Sie fühlte weichen Widerstand. Das war kein eiserner Harnisch, sondern ein Körper, in den sie schnitt. Vielleicht war Stoff zwischen der Klinge und dem Fleisch, aber sicher noch nicht einmal ein Lederpanzer.

Ein gellender Schmerzensschrei bestätigte ihre Einschätzung. Er ging in ein Röcheln über, als der Gegner wegsackte.

Xaira sicherte mit beiden Schwertern und bewegte sich mit schnellen Schritten so, dass eine Hauswand ihren Rücken deckte. Blinzelnd erkannte sie, dass sich der Angreifer auf dem Boden wälzte. Bei Bosster gewann nun die Wut die Oberhand über die Besonnenheit. Mit einem unartikulierten Schrei riss er sein Schwert gänzlich aus der Scheide, ließ die Laterne achtlos fallen und sprang auf sie zu. Er war kein angemessener Gegner für Xaira. Seine Bewegungen waren zwar ungestüm, aber nicht kraftvoll. Vielleicht hatte er sich früher einmal in Kneipenschlägereien durchgesetzt. Das Fechten jedenfalls war seine Sache nicht. Er handhabte das Schwert wie einen Knüppel. Beinahe vermutete Xaira eine Finte in seiner unbeholfenen Attacke, der sie mit einer schnellen Drehung auswich, worauf seine Klinge gegen die Steinwand klirrte. Funken sprühten aus dem Stahl, als sie eines ihrer Schwerter gegen seines schlug und es ihm so aus der Hand prellte. Noch bevor er begriff, was geschah, setzte sie ihm die Schneide an den von einem Doppelkinn verunzierten Hals.

»Haltet ein!«, rief Bosster in einer lächerlich hohen Tonlage.

»Warum wohl sollte ich den schonen, der mich hinterrücks niedermachen lassen wollte?«

Seine Augenlider flatterten, als er den rechten Ärmel seines Gewandes bis zur Schulter hoch schob. Auf dem Oberarm prangte die Tätowierung eines Löwenkopfs.

Xaira stöhnte.

»Ich bin ein Wehrheimer Waldlöwe«, quäkte Bosster überflüssigerweise. Dieser Söldnerverband unterstand dem ehemaligen Marschall Leomar vom Berg und musste als Herrscher von Wehrheim angesehen werden, solange man sich auf den von Menschen bewohnten Teil bezog. Die Waldlöwen erhoben Wegzölle und sorgten für ein Minimum an Ordnung in der Gegend. Man musste ihnen lassen, dass es schlimmere Banner gab und sie den größten Exzessen Einhalt geboten. Außerdem hatten sie eine beeindruckende Stärke, auf die in der Zukunft vielleicht auch die Isenborns gerne zurückgreifen würden. Bosster war zwar sicher kein Mann des Schwerts, aber Xaira wusste, dass die Waldlöwen auch einige der Handwerker und Geschäftsleute Wehrheims in ihre Reihen aufgenommen und damit unter ihren Schutz gestellt hatten. Sie betrachteten die Stadt als ihre Heimat und wollten mit der Bürgerschaft – wenn dies denn der richtige Ausdruck war – auf gutem Fuß stehen, solange sich die Einwohner nach ihren Regeln richteten.

Widerstrebend löste Xaira die Klinge von seinem Hals. »Wir sind uns einig, dass dieser Jüngling gehen kann, wohin es ihn beliebt?«

Bosster schluckte. Sein Kopf zuckte zu Heynar. »Nun stell dich doch nicht so an, Junge.« Es klang beinahe sanft. »Bei mir hast du es doch immer gut gehabt.«

Der Lustknabe ließ die Schultern hängen. »Du würdest mich ohnehin überall aufstöbern, nicht wahr?«

Bosster grinste, antwortete aber nicht.

Der verwundete Angreifer machte stöhnend auf sich aufmerksam.

Er presste die Hände an die Seite, versuchte, sich auf dem Boden in eine erträgliche Lage zu wälzen. Xaira hatte nicht den Eindruck, besonders tief getroffen zu haben, aber das konnte täuschen.

Sie sah wieder Heynar an. »Willst du mit ihm gehen?«

Er kaute auf seiner Unterlippe, schien den Blick nur schwer von dem Verwundeten lösen zu können. »Ihr werdet nicht immer hier sein, um mich zu beschützen, Herrin.«

Innerlich seufzte Xaira. Sie konnte nicht das Elend der ganzen Welt auf ihre Schultern laden. »Nein«, sagte sie und steckte eines der Schwerter weg.

»Na also«, sagte Bosster so frohgemut, dass von der kürzlich durchgestandenen Angst nichts mehr zu hören war. Er klatschte in die fetten Hände. »Das hätten wir doch einfacher haben können.«

»Na, na, na«, tadelte Xaira, als er Anstalten machte, sich nach seinem Schwert zu bücken.

Beschwichtigend breitete er die Arme aus und trat von der Waffe zurück. »Wie geht es jetzt weiter, Ritterin?«

»Da ihr nun wohl alle gemeinsam unterwegs sein werdet, könnt ihr doch sicher auf eine eurer Laternen verzichten, oder?«

Bosster zuckte mit den Schultern. »Nehmt meine. Sie ist von guter Qualität.«

Das schien zu stimmen. Obwohl er sie achtlos hatte fallen lassen, als er sein Schwert gezogen hatte, brannte sie noch. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, hob sie sie auf.

»Du solltest deinem Schergen die Wunde auswaschen«, riet sie, als sie, das Schwert auf ihn gerichtet, an ihm vorbeiging.

»Das werde ich«, versprach Bosster und fügte spöttisch hinzu: »Euch dann noch viel Glück bei den Unglücklichen!«

Gemeinsam mit Heynar stützte er seinen Mann. Vor der Schutthalde drehte er sich noch einmal um. »Schade um Eure Rüstung. Aber falls Ihr wider Erwarten wohlbehalten zurückkommen solltet, fragt nach demRoten Moghul. Dort werdet Ihr tags wie nachts ein weiches Bett finden.« Vielsagend sah er Heynar an. »Für ein Silberstück mehr auch ein angewärmtes.«

Ein grausiges Heulen scholl durch die mittlerweile dunkle Gasse und brachte ihn zum Schweigen. Hastig wandten sich die drei um und kletterten das Geröll hinauf.

Xaira entschied, das Schwert in der Hand zu behalten, als sie sich in die entgegengesetzte Richtung bewegte. Die Seufzer, die in der Luft trieben, konnte nun kein vernünftiger Mensch mehr auf den Wind zurückführen, der nur ermattet durch die Gassen wehte, als hätten die Laute der Klage auch ihm die Kraft geraubt. Bald mischten sich andere Geräusche darunter, Gemurmel, Fetzen von im Streit geschrienen Beleidigungen, Ausrufe der Angst. Am schlimmsten war das Kichern aus Kinderkehlen, das abrupt in verzweifeltes Kreischen kippte, dann verstummte, um kurz darauf wieder zu einem Kichern zu werden, ein wahnsinniger Kreis.

Xaira wusste, dass sie beobachtet wurde. Niemand lebte in den verfallenen Häusern, die sie passierte, aber das bedeutete keineswegs, dass sie unbewohnt gewesen wären, vor allem nicht bei Nacht. Sie dachte daran, was Heynar ihr gesagt hatte: ›Sie hoffen, ihre Qual zu lindern, indem sie uns ins Unglück reißen, zu sich, in die Kälte.‹ Es war nicht die einzige Warnung dieser Art gewesen.

Unbemerkt bliebe Xaira keinesfalls. Zwar hatte sie zunächst geplant, ohne Laterne zu kommen, um weniger auffällig durch die Nacht gehen zu können, aber das war ein halbherziger Entschluss gewesen. Hätte sie verborgen bleiben wollen, dann hätte sie auch auf die Rüstung verzichten müssen, die bei jedem Schritt metallisch klapperte. Da war es sogar besser, ganz offen mit einer Lampe in der Hand unterwegs zu sein, das mochte Übelwollenden den Eindruck vermitteln, es mit einer starken und selbstbewussten Gegnerin zu tun zu haben. Xairas Mut stieg, als sie sich vorstellte, wie entschlossen sie auf Beobachter wirken musste: Eine voll gerüstete Ritterin, ein Schwert in der Faust, ein weiteres griffbereit auf dem Rücken, die festen Schrittes durch die Trümmer ging, unbeeindruckt vom Klagen und Keifen der Toten. Indem sie sich in die Betrachter hineinversetzte, gelang es ihr, sich selbst auf diese Weise zu sehen, ein gutes Stück weit so zu werden, wie dieses Bild es erscheinen ließ. Die Furcht vor dem Ungreifbaren wich der Entschlossenheit.

Sie fand den Teich, den man ihr beschrieben hatte. Magisch schimmerte er in der Dunkelheit, als wäre sein Grund mit blau leuchtenden Steinen ausgelegt. Wellen kräuselten seine Oberfläche, die nichts mit dem Wind zu tun hatten. Etwas Unsichtbares schwamm durch das Wasser, oder genauer: mehrere Unsichtbare. ImFauchenden Tigerstritt man sich, ob dies die Geister von Ertrunkenen waren, die in dem Teich Zuflucht vor der in Wehrheim tobenden Feuersbrunst gesucht hatten, oder von Mutigen, die mit seinem Wasser die Flammen hatten löschen wollen. Einig war man sich darin, dass es keine gute Idee war, die Schwimmer zu beobachten. Sie neigten dazu, die Betrachter nachdrücklich zu einem Bad einzuladen, das niemals endete. Dennoch fiel es Xaira schwer, den Blick von den knochenweißen Blüten zu lösen, die lockend auf den Wellen schaukelten. Es war das Quietschen ihrer Rüstung, ausgelöst durch ihren herabsinkenden Arm, das sie erinnerte, warum sie hier war und dass dieser Teich nicht Ziel ihrer Wanderschaft war, sondern nur Orientierungspunkt. Mit einem Ruck wandte sie sich ab und setzte ihren Weg fort.

Zwei Gassen weiter fand sie das Gebäude, das sie suchte. Es war in der Tat unübersehbar, jedenfalls bei Nacht. Soweit sie erkennen konnte, musste es sich tagsüber um eine Ruine handeln wie jede andere. Die eingefallenen Mauern wurden jedoch von einer schimmernden, halb durchsichtigen Fassade verdeckt, die ein intaktes Haus vorgaukelte, an dem sogar ein Schild schwang, das von einem anderen Wind bewegt wurde als von dem, den Xaira um ihr Gesicht streichen spürte. Auf dieses Schild schien der Schöpfer der Illusion besondere Mühe zu verwenden, denn das darauf abgebildete Symbol, ein Schwertfisch, der vor einigen Stapeln Goldmünzen sprang, leuchtete beinahe so hell wie Xairas Laterne, wenn es auch keinen Lichtkegel warf, der seine Umgebung von der Dunkelheit erlöst hätte. Am oberen Rand des Schilds glitzerte silbern der NameStoerrebrandt. Xaira grinste. Wahrscheinlich wäre ihr Schwiegervater erfreut, wenn er erführe, dass sie sich bei einer Niederlassung des bedeutendsten Handelshauses seiner bornländischen Heimat das Gold lieh, das sie benötigten. Dafür musste sie allerdings zunächst den Herrn des Kontors überzeugen.

Vor dem Eingang lungerten zwei abgerissene Gestalten, deren Lumpen nicht zerfetzt waren, wie man es erwartet hätte, wenn sie während eines Brandes oder der Kämpfe um die Stadt zu Schaden gekommen wären. Sie sahen aus, als wären sie ein Jahr lang Tag und Nacht getragen worden. Davor waren sie sicherlich recht ansehnlich gewesen, eine samtene Tunika bei dem einen, ein fein gewebtes Hemd bei dem anderen. Kleidung für Leute, deren anstrengendste Tätigkeit darin bestand, eine Schreibfeder über geschabtes Pergament zu schieben.

Xairas Blick blieb nur kurz auf ihnen haften, denn deutlich mehr Aufmerksamkeit forderten die vier Hunde, deren stachelbewehrte Halsbänder an lächerlich dünnen Ketten festgemacht waren. Die Mäuler dieser kräftigen, schwarzen Tiere waren so groß, dass ein Kopf zwischen die aufgerissenen Kiefer gepasst hätte. Ihre Hinterläufe waren kürzer als die vorderen, was den Eindruck vermittelte, sie seien stets sprungbereit. Der zwischen ihren gelb schimmernden Zähnen hervortropfende Geifer löste sich auf, bevor er den Boden erreichte. Hätte Xaira nun noch Zweifel an der niederhöllischen Natur der Bestien gehabt, wären diese durch das plötzliche Aufleuchten der Augen weggewischt worden.Als führe ein Windstoß in heiße Kohlen, um grell rote Flammen herauslodern zu lassen.

Die beiden Zerlumpten zeigten erstaunlicherweise keine Angst vor den Bestien. Sie grinsten dümmlich und strichen den Tieren durch das Fell, als handele es sich um zu groß geratene Schoßhunde. Schaudernd erkannte Xaira, dass ihre Hände dabei ein Stück weit in die Körper einsanken und durch die schwarzen Haare glitten, ohne sie zu bewegen.

Sie durfte nicht zu lange überlegen, das nährte nur die Furcht. Entschlossen trat sie vor. »Ich begehre, Meister Igror zu sprechen«, sagte sie fest.

Erst dachte sie, die beiden hätten sie nicht gehört, doch dann wandte ihr doch einer von ihnen sein dümmliches Gesicht zu. »Aber warum denn das?«, fragte er.

»Geschäfte«, versetzte sie.

Er maß sie vom Helm bis zu den Eisenstiefeln. Sie sah wahrlich nicht aus wie eine Kauffrau, erst recht nicht mit dem Schwert in der gepanzerten Faust. Er dachte wohl ähnlich, wie sein Kichern verriet. Dennoch erklärte er mit kieksender Stimme: »Geschäfte sind immer willkommen« und deutete mit einer einladenden Armbewegung, die einem Zeremonienmeister Ehre gemacht hätte, zwischen den Hunden auf den Torbogen.

Nur nicht zögern, dachte Xaira. Das Klappern ihrer Rüstung gab ihr Halt, als sie zwischen den Hunden hindurchschritt, denen nun wieder die volle Aufmerksamkeit der beiden Menschen galt. Xaira vermutete, dass es sich um Lebende handelte, die den Verstand verloren hatten und das Anwesen ihres Herrn auch bei Tag bewachten, wenn die geisterhaften Hunde den mächtigen Strahlen von Praios’ Sonne weichen mussten. Jetzt allerdings war Nacht, und gegen solcherlei Gegner war ihr Schwert sicher weniger wert als eine Geste, die bezeugte, dass sie sich nicht fürchtete. Sie steckte die Klinge weg.

Auch im Innern war das Kontor eine Mischung aus steinerner Ruine und ätherischen Illusionen, die prächtige Vorhänge ebenso vorgaukelten wie bemalte Wände, die stolze Handelsschiffe vor dem Hafen Havenas oder einer Bucht zeigten, die an einer der Sommerinseln liegen mochte, auf der gegenüberliegenden Seite einen lachenden Handelsherrn in besticktem Mantel mit einer protzigen Goldkette vor der tonnenförmigen Brust. Einzig eine dunkle Ecke passte nicht zu dem Prunk. Dort gab es keine Illusionen, der im Schatten liegende Schrein war aus echtem Stein gemauert und würde den Sonnenaufgang überdauern. Das zerbrochene Rad des Totengottes Boron darin war nur zu erahnen.

In der durchscheinenden Gestalt vor einer geöffneten Truhe vermutete Xaira den Hausherren. Er hatte wohl nicht mit so frühem Besuch gerechnet und war noch mit dem Ankleiden beschäftigt.

Aus der Truhe schwebte eine vorn offene Robe. Statt mit den Armen hineinzugleiten, ließ der Geist sie durch seine ätherische Gestalt wandern, die dem Stoff nicht mehr Widerstand bot als Mondlicht. Das zunächst schlaff wie von einem Bügel hängende Kleidungsstück bauschte sich auf, als führe ein Windstoß hinein, was sich einige Male wiederholte, bis es den leuchtenden Körper verdeckte. Zum Abschluss schoben sich die Knöpfe durch die vorgesehenen Löcher, ohne dass eine Hand sie berührt hätte.

Igror wandte sich um, wobei sich die Illusion als nicht perfekt erwies, da die Robe seine Bewegung nicht in der erforderlichen Schnelligkeit nachvollzog und daher erst mit kurzer Verzögerung wieder so saß, wie es bei einem lebenden Träger der Fall gewesen wäre. Dennoch schmunzelte der Kaufmann selbstzufrieden. Seine Haut war bläulich, die Augen schimmerten gelb, wo sie weiß hätten sein sollen und der volle Bart suggerierte ein Alter, das der Sterbende vermutlich noch nicht erreicht hatte. »Igror Jollotoff«, stellte er sich vor, »stets zu Diensten.« Die joviale Stimme war das Lebendigste an ihm.

»Xaira vom Isenborn«, erwiderte sie mit einem Nicken.

»Wollt Ihr Euch setzen?« Quer durch den Raum schlitterte ein Sessel heran, um einladend vor dem Schreibtisch zu verharren, hinter dem sich der Kaufmann niederließ. Er stützte die Ellbogen auf, was eine weitere Unschärfe seiner Bemühungen um eine lebendige Erscheinung enthüllte, da sie durch Stoff und Holz sanken, während die Ärmel, leichte Falten werfend, von der Tischplatte aufgehalten wurden.

Xaira überlegte kurz, ob es angemessen war, sich mit einer Vollrüstung in einem Polstersessel niederzulassen, aber schließlich hatte der Hausherr ihr den Platz angeboten, und sie wollte nicht unhöflich sein. Also stellte sie ihre Laterne ab und setzte sich vorsichtig.

Igror schloss die Augen, die sich hinter den Lidern schnell bewegten. Als er sie kurz darauf wieder öffnete, fragte er: »Welche Art von Geschäften führt Euch zu mir?«

Stand er etwa in mentalem Kontakt zu seinen halb irrsinnigen Dienern und wusste nun um die wenigen Worte, die sie mit den traurigen Gestalten gewechselt hatte? Oder war einfach offensichtlich, dass jeder, der sich hierher wagte, ein geschäftliches Anliegen haben musste?

»Man hat mir gesagt, du verleihst Gold.«

Der Geist runzelte die Stirn. Die Anrede schien ihm nicht zu behagen.

Soweit kommt es noch, dass ich einen Münzenzähler ihrze, dachte Xaira. Der Mann mochte reich sein. Von Adel war er nicht. Wenn Xaira mit ihrer Heirat auch auf den Titel einer Baronin verzichtet hatte, der ihr bei einem Ableben ihrer beiden Brüder hätte zufallen können, so würde sie doch eines Tages mit ihrem Gemahl Härmhardt beerben, den Freiherrn und Reichsjunker vom Isenborn.

Igrors Ärger verflog rasch. Er war Geschäftsmann, da konnte er sich nicht leisten, Fragen der Etikette oder verletzten Stolz zu hoch zu bewerten. »Man hat Euch korrekt unterrichtet. Um welche Summe geht es? Wofür braucht Ihr das Gold?«

Hitze stieg in Xairas Gesicht. Die Gespräche mit dem Schmied in Gallys fielen ihr ein, wo sie an den Zeichnungen ihrer neuen Rüstung gefeilt hatten. Vor allem die Sicheln an den Schultern waren eine gewagte Sache. Sie sollten einschüchternd wirken, im Nahkampf von Nutzen sein, aber wären sie zu ausladend gewesen, hätte sie sich nicht mehr durch eine Menge bewegen können, ohne versehentlich jemanden zu verletzen. Sie hatten eine Variante erwogen, die sich abnehmen ließ, wie bei jenen Ausführungen, die man an den Radnaben von Streitwagen befestigte. Der Schmied hatte sie jedoch überzeugt, dass eine solche Art der Fertigung der Zuverlässigkeit im Einsatz schade. Nach den Sicheln hatten sie sich dem Brustpanzer zugewandt. Xaira legte Wert darauf, als Frau erkannt zu werden, die Rundungen sollten zwar nicht lüstern hervorgehoben, aber doch sichtbar gearbeitet sein. Die Idee, das isenborner Wappen mit Berg und Schneekristall einzuprägen, war ihr gleich zu Beginn gekommen. Sie würde häufig mit zwei Schwertern, also ohne Schild unterwegs sein und wollte dennoch erkannt werden. Das Bergmotiv mit Silber auszugießen war ein Rat des Schmieds gewesen, dem sie gern gefolgt war.

Als sie Falk von der Rüstung erzählt hatte, war es zum ersten Streit ihrer Ehe gekommen. Isenborns Schatulle war leer, da hatte auch der Besitz, den Xairas Mutter quasi als Mitgift eingebracht hatte, nur allzu kurz geholfen. Die Wildermark ächzte unter den Raubzügen immer weiterer Kriegsherren. Neu-Isenborn zu schützen, manchmal auch befreundeten Fürsten zur Hilfe zu kommen, war eine kostspielige Angelegenheit. Woher sollte das Gold für eine neue Rüstung kommen?

Xaira zwinkerte. Besser, sie konzentrierte sich auf das Gespräch mit dem Kaufmann, dessen blau schimmerndes Gesicht ihr voller Aufmerksamkeit zugewandt war.

»Wir begehren weitere Truppen für einen Feldzug.«

»Käufliche Schwerter? Oder hebt Ihr eigene Waffenknechte aus?«

Xaira fragte sich, was das für einen Unterschied machte, antwortete aber: »Einige Söldnerbanner.«

»Welche?«

»Wir haben bereits die Roten Basilisken. Im Söldnermarkt von Gallys hängt unser Gesuch für ein oder zwei weitere Banner Fußkämpfer aus. Dazu noch die Mauerbrecher hier aus Wehrheim.«

Das Gespenst lüpfte eine Braue. »Die sind nicht gerade für Kupfer zu haben.«

»Darum frage ich auch nach Gold.«

Die Luft über dem Tisch flimmerte, bis ein bronzen leuchtender, halb durchscheinender Rechenschieber sichtbar wurde. Der Kaufmann bewegte die Kugeln mittels Gedankenkraft auf den Stangen hin und her, während er mit heller Stimme ausführte: »Zwei Banner Fußkämpfer, zusammen achthundert Dukaten den Mond. Die Mauerbrecher, zwar bei Weitem nicht in Bannerstärke, aber teuer wegen ihrer Wurfmaschinen. Es kommt darauf an, wie gut Ihr verhandelt. Sagen wir dreihundert Dukaten. Euer bestehendes Banner, noch einmal vierhundert.«

»Fünfhundert«, korrigierte Xaira.

»Fünfhundert.« Ein paar weitere Kugeln wechselten die Seite. »Was ist mit Verpflegung?«

»Ausreichend vorhanden.«

Die durchsichtigen Schultern zuckten und stießen dabei durch den Stoff des Gewandes, um danach ebenso widerstandslos zurück zu sinken. »Was ist mit Pionieren oder Sappeuren? Vielleicht müsst Ihr Kundschafter und Spione entlohnen? Ich empfehle auch ein extra Säckel, um günstige Gelegenheiten zu nutzen. Vielleicht kommt ein Kampfmagier des Wegs, der seine Dienste feilbietet. Solche Optionen können eine Menge Ärger ersparen.«

Der Kaufmann entwickelte eine erstaunliche Findigkeit, immer weitere Eventualitäten aufzuzählen, bis Xaira irgendwann die Geduld verlor und signalisierte, nun alles bedacht zu haben. In der großzügigen Kalkulation gab es zweifellos auch genug Gold für ihre Rüstung.

»Und wie lange wollt Ihr diese Streitmacht aufrecht erhalten?«

»Zwei Monde, höchstens.«

Die Kugeln flogen hin und her. »Ihr benötigt viertausendfünfhundert Dukaten.« Die Miene des Kaufmanns drückte Sorge aus. »Besser fünftausend, um für Unvorhergesehenes gewappnet zu sein.«

»Man sagte mir, Ihr vermöchtet eine solche Summe aufzubringen.«

Igror runzelte die Stirn. »Das ist hier nicht die Frage. Vielmehr gilt es zu beantworten, warum ich Euch einen solchen Schatz leihen sollte.«

»Wegen der Zinsen natürlich.«

»Auch die kann ich nur erwarten, wenn Ihr Erfolg habt. Tote zahlen keine Kredite zurück.«

Nein, dachte Xaira,sie gewähren nur welche. Und dann treiben sie ihr Gold von den Lebenden wieder ein, mit einem gehörigen Aufschlag.»Ohne Wagnis ist kein Gewinn zu machen, sagt man.«

»Das ist wohl wahr, aber es gilt, das Ausmaß des Wagnisses abzuschätzen. Wer hat sich Euren Zorn in dem Maße zugezogen, dass Ihr das Schwert gegen ihn richtet?«

»Er heißt Brodan Hornfels. Ein Kriegsfürst, der sich in Grassing auf der Bockelburg festgesetzt hat. Er macht die Gegend um Gallys unsicher.«

»Und Gallys kann ihn nicht vertreiben? Dann scheint er ja nicht ganz unbedarft zu sein. Ein fähiger Gegner also. Das muss ich berücksichtigen.« Die Kugeln klackten.

»Er ist im Heerwesen unerfahren. Eine wilde Bande gewissenloser Söldner schart sich um ihn.«

»Warum folgen sie ihm, wenn er unerfahren ist?«

»Er ist ein Prälat der Borbaradkirche. Einer von Xeraans Speichelleckern, der Tobrien verlassen hat, als es ihm dort zu unsicher wurde. Zuvor hat er der Bevölkerung dort unsägliches Leid zugefügt, sie bis auf das Blut ausgepresst.«

Igror winkte ab, schien aber nicht gänzlich unbeeindruckt von Xairas Ausführungen. Er vergaß gänzlich, sich um die Robe zu kümmern, der blaue Arm schwebte nackt durch die Luft, während das Gewand unbewegt verharrte. »Mit den Dingen der Götter habe ich nichts zu schaffen.«

Xaira sah demonstrativ zu dem kleinen Boron-Schrein, den sie bei ihrem Eintreten bemerkt hatte. Igror folgte ihrem Blick.

Er räusperte sich. »Wie dem auch sei. Ihr mögt ehrenhafte Ziele verfolgen, aber diese Schwertzüge gegen die Paktierer sind meine Sache nicht. Ich berechne dafür weder Bonus noch Malus.«

»Aber die Unerfahrenheit in Fragen der Heerführung musst du berücksichtigen!«, verlangte Xaira, die allmählich Gefallen an der Feilscherei fand.

Widerstrebend ließ Igror eine Kugel zurückwandern.

»Was dich sicher noch mehr interessiert: Ich sagte bereits, er ist ein Borbarad-Geweihter. Die lieben nichts mehr als das Gold. Er hat seinen Sprengel ausgepresst, davon darf man ausgehen. Das Letzte, wovon sich ein Borbarad-Geweihter trennt, sind seine Reichtümer. Sie sind mit Sicherheit auf der Bockelburg. Und dazu noch das, was er sich auf der Reichsstraße zusammengeräubert hat.«

Verträumt sah Igror sie an.

»Wie klingt das: Ich gebe Euch fünftausend Dukaten, und in zwei Monden bringt Ihr mir fünftausendeinhundert zurück.«

»Sagen wir: Du gibst mir viertausend und ich lege in zwei Monden fünfzig dazu.« Xaira glaubte, dass der Kaufmann zu viel veranschlagt hatte. Zudem würde sie die fehlende Summe durch Plünderrechte für die Söldner aufwiegen können.

Der Rechenschieber verblasste. »Bedenkt, welche ungeplanten Ausgaben auf Euch zukommen mögen.«

Xaira erhob sich und schlenderte nachdenklich zu dem Boron-Schrein hinüber. Er wirkte gut gepflegt.

»Wegen meiner!«, seufzte Igror hinter ihr. »Viertausendundfünfzig in zwei Monden, jeder Mond Verzug weitere fünfzig, späteste Rückzahlung in einem halben Jahr. Ich präge Euch ein Siegel ein, das Euch in Wehrheim schützt und außerhalb von Wehrheim an Eure Schulden erinnert.«

»Und das du bei Rückzahlung entfernst.« Diesen Passus hatten ihr die Söldner bereits erläutert. Igror konnte Wehrheim nicht verlassen, aber seine Albträume vermochte er weit zu schicken. Immerhin bestätigte jeder, dass er sein Siegel vereinbarungsgemäß entfernte, wenn er sein Gold zurückerhielt.

»So sei es.« Igror schwebte zu ihr herüber. Zwar gelang es ihm nicht, einen menschlichen Gang nachzuahmen, vielleicht versuchte er es auch gar nicht, aber die Robe hatte er wieder im Griff, als er die Hände vor dem Bauch faltete. »Für Transportkapazität habt Ihr gesorgt?«

Sie nickte.

»Dann bringt Eure Karren zum Südtor. Kurz vor Sonnenaufgang wird das Gold dort sein.«

***

Heerlager nahe Auweiler, Baronie Grassing, Wildermark.

1. Tag im Ingerimmmond, 1029 BF.

Der Wind wehte lau an diesem milden Frühsommertag. Das isenborner Feldlager befand sich auf einer weiten Anhöhe, die zu allen Seiten sanft abfiel. Von hier hatte man einen guten Blick über die grünen Weiden. Ihre friedliche Ruhe stand im Gegensatz zu der Geschäftigkeit, mit der die Soldaten die Zelte abbrachen, um Stangen und Planen auf den Trosswagen zu verstauen. Drei Söldnerbanner, acht Ritter mit ihren Lanzen, ein Banner Landwehr, dazu vier Streitwagen und die vier Karren mit den zerlegten Wurfgeschützen der Mauerbrecher. Die Streitmacht konnte sich sehen lassen.

Härmhardt schien jedoch das erhebende Gefühl nicht zu teilen, das Xaira durchströmte. Überhaupt erreichte ihn wenig von dem, was um ihn herum geschah. Ihr Schwiegervater brütete oft vor sich hin, saß stumm in der Dunkelheit oder an einsamen Plätzen. Sie hatte gehofft, es handele sich nur um die Schwermut, die der Winter vielen Schultern aufbürdete, aber sie war nicht mit dem Schnee geschmolzen. Ebensowenig, wie seine Frau Olorande zurückgekehrt war. Bei den wenigen Gelegenheiten, an denen er von ihr sprach, grollte er ihr und befahl immer aufs Neue, ihm nichts von ihr zu berichten. So nachdrücklich, dass Xaira offensichtlich schien, dass er nichts sehnlicher wünschte, als wieder mit ihr vereint zu sein.

Ihre Schwiegermutter sah das anders. Einmal nur hatte Xaira sie in ihrem neuen Heim besucht, einem Haus in einem Dorf am Rande des Reichsforsts. Dorthin sandte Falk alle zwei Monde einen Boten mit Gold, um ihre Bedürfnisse zu finanzieren. Olorande nahm es, aber sie schwieg. Ihr Hass war wie ein Gletscher, gefroren und unbeweglich. Kaum ein Wort hatte sie mit Xaira gewechselt, es bedurfte keiner langen Rede, um deutlich zu machen, dass sie niemandem aus ihrem ›alten Leben‹, wie sie es nannte, begegnen wollte. Sie suchte nach den Elfen, die in den Tiefen des Waldes lebten. Nach Siamar Graufeders Volk. Was auch immer sie dort zu finden hoffte.

Härmhardts Ernst stand ihm in diesem Moment gut zu Gesicht. Angetan mit seinem Kettenhemd, dessen Ringe keine einheitliche Farbe mehr hatten, weil einige Stellen ausgetauscht und erneuert worden waren, thronte er leicht gebeugt auf einem zehn Schritt langen, ovalen Felsen von tiefgrauer Schattierung. Zu beiden Seiten waren Feldstandarten mit dem isenborner Wappen eingerammt, deren blauer und weißer Stoff träge im Wind schaukelte.

Vor ihm kniete die Delegation aus Auweiler, einem Dorf mit etwa zehn Dutzend Einwohnern. Vier Gesandte hatten sie geschickt, drei davon mittleren Alters, einer ein Greis, den der Weg sichtlich Kraft gekostet hatte. Gut möglich, dass er das Knien weniger anstrengend fand als das Stehen auf seinen zittrigen Beinen. »Wir bitten Euch, erlöst uns von dieser Plage, Herr!«, fasste er mit dünner Stimme das Anliegen der Seinen zusammen.

Dieses Bild hätte man zu einem Wandteppich weben können. Trotz des gebeugten Rückens strahlten Härmhardts tonnenförmige Brust und seine schwellenden Muskeln eine kaum zu bändigende Kraft aus. Seine Körpergröße und die Position auf dem Felsen ließen vergessen, dass sein Stirnreif nur aus Eisen war. Er wirkte erhabener, als Xairas Eltern es früher gewesen waren, obwohl er lediglich ein Reichsjunker war, kein Baron. Die demütige Haltung der Gesandten tat das Ihrige hinzu.

Auch Härmhardts brütendes Schweigen mochte zur Würde der Situation beitragen. Allerdings konnte man nicht ewig schweigen, wenn man im Leben vorwärts kommen wollte. Härmhardt machte dennoch keine Anstalten, die Stimme zu erheben. Man durfte sogar daran zweifeln, dass er dem Bericht überhaupt gefolgt war, dass er begriffen hatte, dass Auweiler von Truppenteilen ihres Feindes Brodan besetzt und der Travia-Tempel in Gefahr waren.

Dabei sprachen die Gesichter der Dörfler eine deutliche Sprache. Sie hätten in eine Wirtshausschlägerei geraten sein können, in Wirklichkeit jedoch zeigten Brodans Soldaten wenig Zurückhaltung, wenn es darum ging, die Habseligkeiten dieser Leute in ihren Besitz zu bringen. Eine Frau, der Kleidung nach eine Bäuerin, bat mit erstickter Stimme: »Sie drohen, die Gänse zu rupfen, die der Herrin Travia gehören, wenn wir nicht bis zum Morgengrauen Schwerter und Harnische der Weibel doppelt mit Silber aufwiegen.«

Falk und Xaira standen neben Härmhardt. Sie war froh, dass auch Falk eine Rüstung trug. Sie konnte die Reichweite der Sicheln, die sich aus ihren Schulterpanzern bogen, noch nicht gut einschätzen. Ihr Pferd hatte sie bereits einmal geschnitten, als sie in den Sattel hatte steigen wollen. Der überraschte Braune hatte ausgetreten und sie in den Schlamm geworfen. Bei Falks Umarmungen hätte es ebenfalls zu Verletzungen kommen können, wäre ihr Gemahl nicht durch eine eiserne Haut geschützt gewesen. Zu allem Überfluss hatte der Schmied sie noch mit gebogenen Klingen überrascht, die an den Innenseiten der Oberarme angebracht waren und aus ihren Führungsrillen hervorkamen, wenn sie die Ellbogen beugte. Trotz der Schwierigkeiten, vor die sie die dunkelgrau schimmernde Rüstung stellte, war Xaira sehr zufrieden mit der Arbeit. Der Anblick war noch imposanter, als sie ihn sich ausgemalt hatte. Trotz seiner Bedenken wegen der Kosten war auch Falk sehr angetan, das konnte sie an seinen bewundernden Blicken sehen. Es war beinahe schon schade, dass die bevorstehenden Kämpfe Schrammen in das Eisen schlagen würden, aber andererseits handelte es sich dabei um Ehrenzeichen, die man mit Stolz trug. Jedenfalls waren die Gelenke viel besser gearbeitet als bei ihrer vorigen Rüstung. Geschmeidig glitten die Teile ineinander.

An Falk zog naturgemäß der Kampfschild die Blicke auf sich. Er war aus den Schuppen des Drachen gefertigt, den er auf dem Sichelstieg erschlagen hatte. Eigentlich hätte man ihn nicht mit den isenborner Farben bemalen müssen, die Geschichte dieses Kampfes war mittlerweile wohl in jedem Wirtshaus in Weiden und Darpatien gesungen worden. Kaum jemand hätte ihn nicht an diesem Schild erkannt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Hochstapler versuchen würden, ihn zu imitieren und so von Falks untadeligem Ruf zu schmarotzen.

Da sein Vater noch immer schweigend brütete, ergriff Falk das Wort. Er hatte inzwischen Übung darin, solche Situationen kamen häufig vor. Wenn Härmhardt der Reichsjunker war, dann war Falk mittlerweile so etwas wie der Regent.

»Wie viele Soldaten halten euer Dorf besetzt?«

Die vier sahen sich an, suchten Bestätigung im Blick ihrer Gefährten. »Etwa einhundert, Herr«, antwortete die Frau, die zuletzt gesprochen und vom drohenden Schicksal der heiligen Gänse berichtet hatte.

»Also zwei Banner?«

Sie nickte, aber es wirkte unsicher. Wahrscheinlich kannte sie die Feinheiten militärischer Organisation nur vom Hörensagen.

Falk sah zu seinem Vater hinüber, der aber nur stumm in die Ferne stierte.

Er bat die Abgesandten zu einer sandigen Stelle. »Zeichnet mir auf, wie euer Dorf aussieht.« Die von Ritterin Leonida angeworbenen Goblinspäher hatten die Gegend in der Nacht gründlich erkundet, sich aber nicht zwischen die Häuser gewagt.

Als die Dörfler begannen, unterbrach er sie. »Nein, nicht so, wie man es sieht, wenn man sich nähert. Stellt euch vor, ihr wäret ein Bussard, der darüber fliegt. Zeichnet es von oben. Eine Karte.«

Offensichtlich arbeiteten die Leute wenig mit Karten, sie hatten Mühe, die ihnen gestellte Aufgabe zu erfüllen. Durch Falks geduldige Nachfragen entstand schließlich ein brauchbares Bild von Auweiler. Der Travia-Tempel beherrschte das Dorf, wie eine Burg stand er auf einem Hügel. Allerdings war er nicht als Wehranlage befestigt. Die Häuser der Göttin des Herdfeuers glichen oftmals großen Gasthöfen, so war es auch hier.

Überhaupt war Auweiler kein Dorf, das mit Blick auf Verteidigungsfähigkeit angelegt worden wäre. Am Rand franste die Besiedlung in einzelne Gehöfte aus, eine halbherzige Palisadenkonstruktion war vor dem letzten Winter begonnen, inzwischen aber von Brodans Leuten zerstört worden. Die hielten sich wohl bevorzugt in den beiden Dorfschenken auf, deren Weinkeller mittlerweile geleert sein mussten.

»Wir werden in einer Stunde aufbrechen«, verkündete Falk. »Zwei von euch kehren zurück nach Auweiler, die beiden anderen brauche ich mit ihrer Ortskenntnis bei mir. Wir werden mit dem Feind verhandeln, aber wahrscheinlich wird er nicht kapitulieren. Bringt unauffällig die kampffähigen Leute eures Dorfs zum Tempel.«

»Wir danken Euch, Herr.«

»Möge Travias Segen auf euch liegen.«

Auf dem Weg zu ihren Rittern nahm Falk einen getrockneten Apfel von einem Versorgungswagen und biss beherzt hinein.

»Dein Vater macht mir Sorgen«, sagte Xaira leise genug, damit niemand außer ihm sie verstehen konnte.

Seine Rüstung klapperte, als er mit den Schultern zuckte. »Ich weiß mir keinen Rat, wie man seinen Trübsinn zerstreuen könnte. Vielleicht sollte man das auch nicht versuchen. Gut möglich, dass sein Herz die Trauer braucht, um zu heilen.«

Xaira nickte. »Ich habe ihn kämpfen sehen. Wenn es zur Schlacht kommt, wird er seine Gedanken in die Gegenwart befehlen müssen. Ein Gefecht verzeiht keine Träumereien.«

Falk warf den abgenagten Apfel in ein Gebüsch. »Diese Medizin werden wir ihm bald verabreichen können. Noch bevor die Sonne untergeht, wenn mein Gespür nicht trügt.«

***

Auweiler, Baronie Grassing, Wildermark.

1. Tag im Ingerimmmond, 1029 BF.

Brodans Schergen dachten nicht im Traum daran, sich zu ergeben. Zum Kampf auf offenem Feld wollten sie sich ebenso wenig stellen, sie fühlten sich zwischen den unbescholtenen Bürgern Auweilers sicher. Eine Illusion, die die Isenborner ihnen zu nehmen gedachten. In der Wildermark lernte man schnell, dass man mit Schurken kurzen Prozess machen musste. Ein Feuer, das man nicht bei erster Gelegenheit austrat, konnte zu einem großen Brand anschwellen. Auch die Unschuldigen litten weniger, wenn man energisch zur Sache ging.

So nahmen die Isenborner Aufstellung, unbehelligt von Brodans Kämpfern, zu weit entfernt für Bogenschützen. Xaira, deren Kontingent hauptsächlich aus den Roten Basilisken bestand, war zusätzlich durch einen Mischwald gedeckt, der beinahe bis an das Dorf reichte. Hauptfrau Blutlinde hätte sich ohnehin kaum davon abbringen lassen, ihre Einheit sofort in den Kampf zu stürzen. Da Mut, um nicht zu sagen Verwegenheit, ihren Neigungen deutlich besser entsprach als Geduld, hatte man ihre Rolle entsprechend gestaltet. Während Falk an der Ostseite gemächlich, aber auffällig die anderen Banner aufmarschieren ließ und Härmhardt mit den Rittern das Feld im Norden besetzte, beeilten sich Xaira und die Basilisken, unter der Führung der Goblinspäher möglichst nahe an das Dorf zu kommen, bevor die Kriegshörner erschallen würden.

Blutlinde gab nur wenige Befehle. Die Hauptfrau führte ihr Banner durch ihr Vorbild. Falk kannte sie schon lange. Oder besser gesagt, er hatte sie als Kind im alten Isenborn kennengelernt, dann einige Jahre aus den Augen verloren und nach dem Jahr des Feuers wiedergefunden, kurz vor der Vermählung mit Xaira. Sie hatte wohl schon immer einer Verehrung des Blutigen Schnitters Kor gefrönt, die dessen Geweihte als ›abstrus‹ bezeichnet hätten. Kern ihrer Philosophie war, sich in jeden Kampf zu stürzen, und ihre Untergebenen eiferten ihr darin nach. Man musste allerdings genau hinsehen, um die Narben zu erkennen, die sich über ihre Haut zogen. Blutlindes spitze Ohren verrieten ihre zum Teil elfische Abstammung. Wahrscheinlich sorgte diese für eine gute Wundheilung. Wenn man jedoch einmal die hellen Linien ausmachte, jene Andenken an Schnitte und Risse in ihrer Haut, dann musste man erschrecken, denn sie wickelten ein Netz über ihren Körper, das kaum eine Stelle frei ließ. Falk behauptete, dass es Kämpfer gab, von denen die Götter einfach nicht wollten, dass sie starben. Blutlinde war sein Paradebeispiel dafür. Die Menschen, die ihr folgten, nur selten. Kaum jemand überlebte länger als ein halbes Jahr in ihrer Einheit. Es starb sich schnell in Blutlindes Gefolge. Der zweifelhafte Ruhm der Roten Basilisken sorgte jedoch dafür, dass sich in Gallys, Wehrheim und anderen bei Söldnern beliebten Orten immer genug Rekruten fanden, um die gelichteten Reihen aufzufüllen.

Xaira hoffte, dass das Schicksal heute nicht auf Gutfriede wartete, eine Weibelin der Roten Basilisken, mit der sie sich angefreundet hatte, soweit der Standesunterschied dies erlaubte. Sie und Falk kannten sich noch länger als Blutlinde und Falk, denn Gutfriede war die Köchin in Isenborn gewesen, bevor sie sich in den Wirren der neuen Zeit entschlossen hatte, mit dem Schwert in der Faust ihr Glück zu suchen. Xaira kannte nur wenige interessantere Themen als die Jugendjahre ihres Gemahls, daher hörte sie Gutfriede gern zu.

Für unbeschwerte Schwätzchen war nun nicht der rechte Moment. Voraus lichtete sich der Wald bereits. Die Goblins hockten sich nieder, verständigten sich leise zischend und wollten offensichtlich nicht weiter. Sie gehörten den wilden Stämmen der Schwarzen Sichel an und verfügten über alle Instinkte, die das Leben in den Urwäldern an den Hängen des Gebirges erforderte. Wenn man sie sah, taten einem ihre gezähmten Vettern leid, die in den Städten der Menschen niederste Dienste verrichteten.

Blutlinde war so weit entfernt, dass das Gehölz sie vor Xaira verbarg. Die Handzeichen, die zwischen den Söldnern hin und her flogen und auch von Gutfriede aufgenommen wurden, brachten den Vormarsch zum Halt. Die Kämpfer nahmen ihre Angriffslinie ein. Jeder suchte einen Platz, der zum Dorf hin Sichtschutz bot, zugleich aber einen Sturmlauf dorthin ermöglichte. Xaira kauerte sich hinter einen wuchernden Farn, dessen grüne Wedel sie problemlos würde niederrennen können. Neben ihr positionierten sich drei Waffenknechte aus ihrer Lanze, ihre persönliche Leibwache. Damit begann das Warten.

Zwei Goblins machten sich auf den Weg zurück. Sie würden den Wald verlassen und einen weiten Bogen zu Härmhardt laufen, um ihn ins Bild zu setzen. Wenn alles wie vorgesehen einträte, erreichten sie ihn allerdings nicht vor Beginn der Kämpfe. Falk würde noch eine Weile warten, er konnte schließlich nicht wissen, wie gut die Basilisken vorangekommen waren. Dann befähle er seinen Bannern den ersten Angriff. Dieser würde nicht entschlossen vorgetragen, diente er doch lediglich dazu, die Kräfte des Feindes an der Ostseite Auweilers zu binden. Der Wuchtschlag würde von Blutlindes Wahnsinnigen geführt, auf der dann hoffentlich nur mäßig bewachten Westseite.

Xaira bemerkte, wie sich Atem und Herzschlag beruhigten. Vollständig entspannen konnte sie so kurz vor einem Kampf nie, aber die Anstrengung des Laufes durch den Wald, bei dem sie das Gewicht ihrer neuen Vollrüstung bewegt hatte, wich von ihr. Auch die von den Goblins geführte Strecke war nicht frei von Unterholz gewesen.

Sie überlegte, was sie täte, wenn sie sich zukünftig in einer ähnlichen Lage befände wie ihre Gegner jetzt.Posten im Wald aufstellen, dachte sie.Die könnten Alarm schlagen, wenn sich auf diesem Weg ein Verband näherte.

Vielleicht hatte der Feind das sogar getan und sie hatten die Beobachter nur nicht bemerkt, die sich bereits zu den Ihrigen zurückgezogen haben mochten. Falls das der Fall wäre, stünde ihnen ein stählerner Empfang bevor.

Eine tiefe Stille senkte sich über den Wald. Ihr Vormarsch hatte die Vögel verscheucht, sodass ihr Gesang nur in einiger Entfernung zu vernehmen war. Sonnenstrahlen stachen durch die Baumkronen und bildeten helle Flecken auf dem Boden. Eine Handvoll gelber Schmetterlinge tanzte durch die Luft. Einer davon ließ sich auf dem Blatt einer Streitaxt nieder, wo er träge seine Flügel auf- und zuklappte. Ein merkwürdiger Anblick, unpassend zu der Schneide, die so hell glitzerte, als zertrenne sie den Sonnenstrahl, der auf sie fiel. Ihren Waffen widmeten die meisten Söldner mehr Aufmerksamkeit als ihrer Geliebten und bessere Pflege als ihrem Körper.

Der Anblick des Schmetterlings nahm Xaira dermaßen gefangen, dass sie die Kampfgeräusche erst wahrnahm, als sich die Soldaten in ihrer Nähe bereits zum Sturmlauf bereit machten. Ihr Herzschlag beschleunigte sich mit erschreckender Plötzlichkeit. Sie wusste, dass Falk in vorderster Linie marschierte, wie es seinem Stand gebührte. Sie vertraute seinen ritterlichen Fähigkeiten. Dennoch blieb diese Position gefährlich, zumal ihn jeder Bogenschütze leicht an seinem Schild erkannte.

Als Schwiegertochter des isenborner Befehlshabers stand es ihr zu, das Zeichen zum Angriff zu geben, also stand sie auf, zog eines ihrer Schwerter, reckte es in die Höhe und schlug es dann in Richtung des Dorfes. Die Weibel gaben den Befehl weiter. Es sah aus, als erwache der Wald zum Leben. Überall erhoben sich die Bewaffneten und drangen vor, hieben Buschwerk nieder, wo es im Weg stand und brachen sich Bahn. Xaira klappte ihr Visier herunter. Bei ihrem neuen Helm war der Kinnschutz darin integriert. Ihre Sicht beschränkte sich nun auf den Ausschnitt, den ihr die beiden keilförmigen Augenschlitze gewährten.

Der Acker bot kaum weniger Widerstand als das Unterholz. Mit jedem Schritt sank man in seinen weichen Boden ein, was Xaira wegen ihrer schweren Rüstung besonders traf. Grimmig betrachtete sie ihren Schatten. Die Sicheln bogen sich so deutlich herauf, dass ein Beobachter sie für eine Dämonin hätte halten können, der Hörner aus den Schultern wuchsen. Sie nahm sich vor, ihren Gegnern nicht weniger Furcht einzuflößen als ein niederhöllisches Wesen. Zwar standen sie im Sold eines Kirchenherren, der den Umgang mit den zerstörerischen Kräften von jenseits des Sternenwalls als Kern seiner Religion lehrte, aber das hieß nicht, dass seine weltlichen Schergen in gleicher Weise abgebrüht waren. Die meisten Menschen, die auf dem Weg des ehrlichen Stahls wandelten, hegten eine tiefe Abneigung gegen die schwer fassbaren Kräfte der Magie.

Xaira drängte diese Gedanken zurück, als ein Pfeil gegen ihre Frontpanzerung schlug. Er drang nicht durch, erinnerte sie aber daran, dass es meist unnütze Gedanken waren, die zu den letzten einer Kämpferin wurden. »Bregel...«, setzte sie ihren Schlachtruf an, bevor sie sich besann, dass »Isenborn!« dem Wappen entsprach, das auf der Front ihrer Rüstung prangte. Sie hatte den Acker zur Hälfte überquert. Die Roten Basilisken rannten wie mordlüsterne Keiler. Jeder von ihnen wollte das erste Blut auf der Klinge haben. Zwei machte sie aus, denen der Wagemut mit Pfeilen aus der Brust geschossen wurde.

Dennoch war ihre Taktik aufgegangen. Die Gegenwehr war nur leicht, als sie die ersten halbherzig befestigten Stellungen überrannten. Xaira empfand den Anblick der locker übereinander geworfenen Tische, Truhen, Ackergeräte und Stühle beinahe als beleidigend. Mit was für einem Gegner hatten Brodans Leute gerechnet, dass sie ihn mit solchen Mitteln aufhalten zu können geglaubt hatten? Die Basilisken wurden kaum langsamer, als sie darüber hinwegsetzten. Vereinzelt hielten einige Feinde die Stellung. Es mochte angehen, dass einige besonders Mutige darunter waren. Die meisten waren wohl einfach nur zu dämlich, um mitzubekommen, dass sich ihre Kameraden fluchtartig zurückzogen. Xaira wandte den Blick ab, als dieser einen gefallenen Gegner fand. Der Tod verewigte einen überraschten Ausdruck auf dem Gesicht des Knaben, der kaum fünfzehn Sommer gesehen haben konnte. Welcher verschlungene Pfad mochte ihn in die Reihen ihrer Feinde gebracht haben? Das Jahr des Feuers hatte viele entwurzelt, die nun jedes noch so trügerische Versprechen glaubten, um nicht zu verhungern. Der Junge hatte noch nicht einmal einen Schild besessen, ein Wolltuch war dick um seinen linken Unterarm gewickelt, vielleicht hatte er gehofft, damit einen Streich abwehren zu können. Hoffnungslos, wenn man einem Roten Basilisken gegenüberstand, der Blut als Schmuck für seine Klinge verstand.

Xaira rief sich zur Ordnung. Solche melancholische Überlegungen waren etwas für Sieger. Für Überlebende. Das war die gleiche Kategorie.

Sie trat zu Gutfriedes Haufen. Mit einer Schnelligkeit, die jedem im Heerwesen Erfahrenen Respekt abnötigen musste, sammelten sich die Söldner in Gruppen zu zehn Kämpfern, um weiter vorzudringen. Der Plan war, dem Feind den eigenen Rhythmus aufzuzwingen – ein kampfentscheidender Faktor. Wenn es dem Gegner nicht gelänge, zum Stehen zu kommen und die eigenen Reihen zu ordnen, würde er seine Kräfte nicht massieren und somit keinen nennenswerten Widerstand leisten können.

Darüber hinaus war die rasche Verfolgung eine Kampfweise, die dem Naturell der Roten Basilisken entsprach. Xaira sah die Blutlust in den Augen der Söldner flackern. Die ersten hatten ihren Stahl gerötet, in den anderen kochte der Neid. »Held oder tot!«, rief Gutfriede. Die sanftmütige Frau, die Xaira in ihr kennengelernt hatte, war verschwunden. An ihrer Stelle stand eine ungewöhnlich alte, nichtsdestoweniger wild entschlossene Söldnerin. Die roten Striemen in ihrem Gesicht hatte sie frisch aufgemalt, die Finger ihrer Rechten waren blutig. Wohl kaum ihr eigener Lebenssaft.

Nicht denken, ermahnte sich Xaira und betrachtete ihren gehörnten Schatten. »Worauf warten wir?«, hörte sie sich selbst knurren.

»Schwertzeit!«, brüllte ein Söldner, dessen Namen sie nicht kannte. Seine Kameraden fielen ein.

Sie gelangten zu einer Taverne, einem zweistöckigen Steinhaus, über dessen Eingang ein bemaltes Holzbrett mit dem Bild einer grünen Ziege darauf träge im Wind schwankte, eine Bewegung, deren Langsamkeit Xaira an das Auf- und Zuklappen der Schmetterlingsflügel im Wald erinnerte. Merkwürdig, als ob auf so engem Raum verschiedene Welten existierten, denn in den Straßen tobte der Kampf gleich einer Wildsau, die sich blindwütig ihren Weg durch das Unterholz bahnte und dabei alles zertrat, was ihr in den Weg kam.

Einige feindliche Söldner hatten die Taverne zu ihrem Stützpunkt erkoren. Aus den Fenstern des Obergeschosses, das in friedlicheren Zeiten als Herberge dienen mochte, flogen Pfeile und Armbrustbolzen. Unten dagegen waren alle Öffnungen verbarrikadiert.

»Nicht leicht einzunehmen«, kommentierte Xaira.

»Nein, Herrin«, bestätigte Gutfriede. Wieder schien sich ihre Wesensart geändert zu haben. Erst die sanftmütige Frau, dann die vom Blutrausch gepackte Söldnerin, jetzt die kühl planende Weibelin. »Dennoch wäre diese Stellung nicht mein Fall. Sie können sie eine Weile halten, aber wenn wir es darauf anlegten, könnten wir sie von den Ihrigen isolieren und belagern, bis ihnen die Pfeile ausgingen.«

Xaira zögerte, bevor sie ihre nächste Überlegung aussprach. »Wir könnten ihnen das Dach über den Köpfen anzünden.«

Skeptisch kniff Gutfriede die Augen zusammen. »Es ist ein Steinhaus. Das brennt nicht so leicht. Wir würden unsere Geschwindigkeit aufgeben.«

Es wäre ohnehin bedauerlich gewesen, ein Haus abzubrennen, das unschuldigen Dörflern gehörte. »Ich will sie aber auch nicht in unserem Rücken lassen.«

»Thorolf! Erzga!«, rief Gutfriede. »Wurfanker! Algunde, Querwig: Putzt die Fenster frei!«

Während zwei Söldner Seile lösten, die mit Knoten in Schrittabstand vorbereitet und an dreifingrige Stahlhaken gebunden waren, zogen zwei andere die Pfeile aus ihren Köchern und steckten sie vor sich in den Sand. Als Thorolf und Erzga ihre Bereitschaft signalisierten, schickten die beiden Bogenschützen abwechselnd und in schneller Folge den gefiederten Tod zu den Fenstern hinauf. Einige Geschosse zerbrachen an der Steinwand, andere flogen ins Dunkel der Öffnungen, ohne dass Xaira hätte erkennen können, ob sie ihr Ziel fanden. Das war auch nicht der eigentliche Sinn des Beschusses, denn der lag darin, die Kameraden zu decken, die so schnell wie möglich zu dem Haus rannten. Dort angekommen ließen sie die Wurfanker wirbeln und schleuderten sie in die Fenster. Thorolf gelang das beim ersten Mal, Erzga brauchte einen weiteren Versuch.

»Na los!«, schrie Gutfriede. »Dort oben wartet frisches Blut! Oder wollt ihr euch schon schlafen legen?«

Die Söldner hasteten zu den Seilen. Schilde und andere sperrige Ausrüstung hatten sie bereits abgelegt, sodass sie jetzt behände hinaufklettern konnten, einige mit den Klingen zwischen den Zähnen. Xaira sah sofort, dass die Roten Basilisken dieses Manöver gründlich eingeübt hatten. Es gab keine Fragen dazu, in welcher Reihenfolge man an die Seile ging. Jeder Handgriff saß.

Der gefährlichste Moment kam, als die ersten beinahe die Fensteröffnungen erreicht hatten. Jetzt mussten die Fernkämpfer den Beschuss einstellen.

Der Feind nutzte die Gelegenheit. Ein Sauspieß tauchte aus der Dunkelheit auf und rammte mit voller Wucht durch die Brust eines Basilisken. Dieser erwies seinen Kameraden noch im Sterben einen Dienst, indem er sich an der Waffe festkrallte und sie fallend mit sich in die Tiefe riss. Die Söldner fluchten und schrien. An einem Seil hängend ließ sich jedoch noch schlechter kämpfen, als wenn man auf einer Belagerungsleiter stand, und das war schon eine Position, die Sturmgeld einbrachte. Endgültig scheiterte der Angriff, als es einem kühnen Verteidiger gelang, sich weit aus dem Fenster zu lehnen und eines der Seile mit seinem Säbel zu zerhacken. Xaira hörte, wie sich einer der Basilisken beim Sturz die Knochen brach.

»Rückzug!«, rief sie. Sie musste den Befehl wiederholen, bis die Basilisken am zweiten Seil von ihrem Vorhaben abließen. Sie waren wie Jagdhunde, kaum fähig, eine Beute ziehen zu lassen, in die sie sich einmal verbissen hatten. Heftig atmend kehrten sie in die Deckung zurück.

»Wie viele Pfeile haben wir noch?«, war Gutfriedes erste Frage.

Die beiden Schützen schüttelten stumm die Köpfe.

»Gehen wir durch die Tür«, schlug Xaira vor und zeigte auf einen beschädigten Ochsenkarren, der in einer zur Straße hin offenen Werkstatt stand. »Die Deichsel sollte einen passablen Rammbock abgeben.«

Gutfriede netzte die Lippen. »Dann aber schnell! Ihr habt die junge Herrin gehört! Ans Werk!«

Wieder war Xaira von der Effizienz der Söldnereinheit beeindruckt. Während einer sich um den Kameraden mit dem Knochenbruch kümmerte, sicherten die anderen in verschiedene Richtungen und zwei lösten die Bolzen, die die Deichsel am Wagen hielten. »Hartes Holz«, meldeten sie. »Das wird gehen.«

»Worauf warten wir?«, fragte Gutfriede und griff selbst das Ende des Rammbocks. Auch Xairas Leibwache hielt sich nicht länger zurück. Wer keinen Platz an der Deichsel fand, griff seine Waffen und gliederte sich hinter der Ramme in den Sturmtrupp ein.

»Fenster oder Tür?«, fragte Xaira.

»Wenn, dann richtig! Wir nehmen die Tür!«

Xaira war die Anführerin, aber angesichts der eingespielten Truppe kam sie sich überflüssig vor. Niemand brauchte einen Befehl, um seine Position zu finden. Hätte sie nicht gewusst, dass ein Söldner dieses Haufens bereits gefallen war, hätte sie es nicht bemerkt. In der Kampfaufstellung gab es keine Lücke, die darauf hingewiesen hätte. Die Basilisken rechneten mit Verlusten während eines Gefechts und stellten sich darauf ein. Andere Einheiten wären von der Trauer um den verlorenen Kameraden gelähmt worden, bei ihnen aber wurde allenfalls die Wut weiter angestachelt.