DSA 121: Isenborn 2 - Erz - Bernard Craw - E-Book

DSA 121: Isenborn 2 - Erz E-Book

Bernard Craw

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Beschreibung

Glutodem, Tanngrund, Flusswalde: Ein Weiler nach dem anderen fällt unter den Angriffen von Azzgradas Goblinhorden. Für die Überlebenden gibt es nur eine Zuflucht: Isenborn. Doch bald wird auch die Burg belagert. Der Winter hält die Schwarze Sichel in eisernem Griff. Die Vorräte in der Burg werden knapp. Der Magier Cyron, der einen Pakt mit einem Dämon geschlossen hat, leitet die blutdürstigen Rotpelze an. Immer tiefer gerät er in den Pakt hinein, um die Goblins unter Kontrolle zu halten. Die Forderung seiner Herren ist klar: Isenborn muss fallen.

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Seitenzahl: 384

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Biografie

Bernard Crawwurde 1972 in Bramsche geboren. Er ist katholisch, ledig und arbeitet hauptberuflich als Projektleiter in einem internationalen Konzern. Nach einigen Jahren in Münster und Sindelfingen wohnt er seit 2000 in seiner Wahlheimat Köln.

Craw schreibt vor allem fantastische Literatur. Mit dem RollenspielDas Schwarze Augekam er 1985 in Kontakt, und die geselligen Abende vorDokumenten der StärkeundPlänen des Schicksalsavancierten rasch zur dominierenden Freizeitbeschäftigung. Vor demIsenborn-Zyklusveröffentlichte er die DSA-RomaneTodesstilleundIm Schatten der Dornrose.

Wer sich über Craws literarische Aktivitäten informieren

möchte, kann dies auf www.bernardcraw.net tun.

Titel

Bernard Craw

Erz

Isenborn-Zyklus Band 2

Ein Roman in der Welt von Das Schwarze Auge©

Originalausgabe

Impressum

Ulisses Spiele Band 11057PDF

Titelbild: Alan Lathwell Aventurienkarte: Ralph Hlawatsch Karte vonBurg Isenborn: Sabine Weiss Lektorat: Werner Fuchs Buchgestaltung: Ralf Berszuck E-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Copyright ©2012 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems. DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DEREsind eingetragene Marken. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

Titel und Inhalte dieses Werkes sind urheberrechtlich geschützt.

Hörige

Tsas Lehren sind wertvoll. Man sollte vieles ausprobieren im Leben, neue Pfade erkunden.

Doch wenn Eisen auf Stahl schlägt, ist die Zeit gekommen, sich von Tsa abzuwenden. Dann herrscht Rondra, die Leuin. Dann muss jede Ritterin frei von Zögerlichkeit zeigen, auf welcher Seite sie steht.

Leonida von Rauchwehr, Ritterin

***

Tanngrund, Junkergut Isenborn, Reichsmark Osterfelde, Tobrien.

15. Tag im Hesindemond, 1021 BF.

Mucki lief oft weg, obwohl sein Vorderlauf nicht gut verheilt war. Er kam immer zurück, wenn er hungrig wurde. Zu dieser Jahreszeit konnte er hier draußen unter dem Schnee nichts zu fressen finden. Simiale hätte also nur eine oder zwei Stunden warten müssen, spätestens zu Mittag wäre er wieder beim Haus gewesen. Aber ihre Eltern hatten ihr eingeschärft, dass sie für den Rotpüschel verantwortlich war. Simiale glaubte nicht, dass Mucki in eine der Felsspalten fiele, von denen es in der Nähe des Dorfes einige gab, dafür war er zu ängstlich. Die Greifvögel waren aber eine Gefahr. Im Winter hatten auch sie Hunger, und Muckis rotes Fell war im Schnee leicht auszumachen.

Der Schnee hatte andererseits den Vorteil, dass Simiale Muckis Spuren gut erkennen konnte. Er hatte sich unter dem Zaun hindurchgegraben und war dann nach Osten gehoppelt, wo die Sonne jetzt schon über die niedrigen Berge lugte. Eigentlich sollte Simiale nicht allein in den Wald gehen, aber wenn sie sich beeilte, würde Mutter nicht einmal merken, dass sie weg war. Außerdem hatte Marwin ihr verraten, dass es gar keinen Werwolf im Wald gab, wie die Erwachsenen sagten. Das sei nur eine Geschichte, um den Kindern Angst zu machen, meinte Marwin. Simiale hatte mit ihm gestritten und am Ende sogar geweint, weil sie nicht glauben wollte, dass die Erwachsenen sie anlogen. Das war so gemein!

Marwin hatte sie daran erinnert, dass Onkel Brenn behauptete, der Werwolf habe silbernes Fell und die gleiche Schulterhöhe wie ein erwachsener Mensch, während er in Tante Welhildes Geschichten wie ein Mann aussah, der am ganzen Körper behaart war und dem nur bei Vollmond lange Reißzähne wuchsen. Beides konnte nicht stimmen, wenigstens einer von beiden musste also lügen. Vielleicht hatte Marwin auch recht und beide logen, und es gab gar keinen Werwolf im Wald.

Jedenfalls stimmten alle Geschichten darin überein, dass Werwölfe nur nachts durch ihr Revier streiften und nach schmackhaften Menschenkindern suchten. Zudem war Vollmond schon lange vorbei, bald wäre wieder Neumond.

Simiale beschloss also, heute nicht an den Werwolf im Wald zu glauben, sodass sie Mucki folgen konnte, ohne sich in Gefahr zu begeben. Wenn sie den Rotpüschel erst gefunden hätte, würde sie mit ihm auf den Armen schnurstracks wieder nach Hause laufen. Dazu bräuchte sie nur ihren eigenen Spuren zu folgen.

An den Abdrücken im Schnee sah Simiale genau, dass Mucki die rechte Vorderpfote noch immer wehtat. Er legte selten sein volles Gewicht darauf. Meist gab es zwei lange, tiefe Löcher für seine kräftigen Hinterfüße und ein deutlich eingedrücktes für die linke Vorderpfote, während das für die rechte manchmal fehlte und sonst nicht ganz bis zum Boden reichte. An einer Stelle hatte Mucki im Schnee gescharrt. Vielleicht war er schon hungrig. Simiale war froh, eine Rübe eingesteckt zu haben, sodass sie diesem Problem sofort würde abhelfen können, wenn sie ihn fände. Hier war er jedenfalls leer ausgegangen, an dieser Stelle gab es kein Gras unter dem Schnee, nur schwarzen Schiefer.

In unmittelbarer Nähe von Tanngrund standen viele niedrige, dünne Bäume, aber keine hohen. Simiales Vater hatte sie vor ein paar Wochen mitgenommen, als die Holzarbeiter Bäume zum Fällen markiert hatten. Ritterin Ronada vom Wolkenstein hatte sie begleitet, die Verwalterin von Tanngrund. Sie bestimmte, welche Bäume gefällt werden durften. Manche waren den Druiden heilig, die man nicht erzürnen wollte. Andere waren wichtig für die Verteidigung von Tanngrund, auch wenn Simiale nicht verstand, wieso. Dann gab es noch solche, die mit ihren Wurzeln die Erde festhielten, sodass sie im Frühjahr nicht vom Schmelzwasser weggespült wurde. Und bei einigen hatte Vater erklärt, dass man sie noch wachsen lassen wollte, bis sie größer und schöner wurden. Das dauerte aber lange. Simiale würde sie fällen, wenn Vater und Mutter alt wären. Simiale lächelte bei dem Gedanken, dass sie einmal stark genug sein würde, um eine große Axt zu schwingen. Derzeit konnte sie sie gerade einmal hochheben, wenn sie die Luft anhielt und sich anstrengte. Aber sie war ja auch erst sechseinhalb. Vater hatte ihr versprochen, dass sie noch viel stärker werden würde. Vielleicht würde sie einmal so stark wie Mama. Die war die Schmiedin von Tanngrund und konnte ihren schweren Hammer mit einer Hand schwingen.

Während das Mädchen Muckis Spur folgte, die noch immer grob nach Osten führte, dachte es bei sich, dass es zwar heute nicht an den Werwolf glauben wollte, aber trotzdem ganz normale Wölfe durch den Wald streiften. Simiale hörte ihnen gern zu, wenn sie nachts den Mond anheulten, was sie natürlich vor allem dann taten, wenn er schön voll und rund am Himmel stand. Dieser Wolfsgesang trug sie zu besonders schönen Träumen, in denen die Klänge Mucki und sie zu den Wolken hinaufschweben ließen, wo sie von einem dieser federweichen Gebilde zum nächsten hüpften und an den Sternen klingelten.

Im echten Leben fraßen Wölfe aber gern Rotpüschel. Simiale lief schneller, als sie sich vorstellte, dass Mucki von einer Meute gehetzt wurde, bis sie ihn umstellten und ihm wehtaten. Falls das wirklich geschähe, würde sie ihn aus der Gewalt der Wölfe befreien müssen. Sie las einen Schieferstein auf, der so groß war, dass sie ihn gerade noch greifen konnte, ohne dass er aus der Hand rutschte. Leider konnte sie ihn nicht fest umfassen, weil ihre Finger in Wollfäustlingen staken. So ein harter Stein konnte schmerzhaft sein, wie Simiale aus eigener, leidvoller Erfahrung mit wundgeschürften Knien wusste. Sie dachte auch an die Waffenübungen, die Ritterin Ronada vor allem im Rondramond mit den Dörflern abhielt. Die Erwachsenen konnten sicher gut gegen Wölfe kämpfen, und ein Spieß war eine bessere Waffe als ein Stein. Aber sie hatte keinen Spieß, und die Äste, die hier auf dem Boden lagen, waren zu krumm und außerdem zu sehr vom Schnee aufgeweicht. Wenn sie stärker gewesen wäre, hätte sie einen, der besser geeignet war, von einem Baum abbrechen können, aber so blieb ihr nur der Stein.

Sie hörte Axtschläge. Die Waldarbeiter waren wohl in der Nähe. Sie waren bei Sonnenaufgang losgezogen. Jetzt war die beste Zeit, um Holz zu schlagen. Die weiße Sorte, aus der man so schöne Möbel zimmern konnte, war besonders gut, wenn Schnee lag. Außerdem brauchte man die Kälte, um die Stämme heil nach unten zu schaffen. Tanngrund war das am höchsten in den Bergen gelegene Dorf. ›Wir haben hier die beste Luft von ganz Isenborn, und dem Herrn Praios sind wir auch am nächsten‹, hatte Mama ihr lächelnd erklärt. Dabei hatte sie eigentlich den Herrn Ingerimm viel lieber als den Herrn Praios, aber natürlich war es schön, der Sonne so nah zu sein. Simiale freute sich schon auf den nächsten Sommer, wenn die Strahlen wieder auf der Nase kitzeln würden.

Jetzt war aber erst einmal Winter, und da schlug man das Holz, weil man die Stämme auf dem Schnee und dem Eis hinunterbringen konnte. Dabei hatte Simiale letztes Jahr mitgemacht. In Glutodem gab es natürlich keinen Schnee, da war der Boden ja immer warm. Dort konnte man die Stämme aber auf Karren verladen, die sie bis nach Flusswalde brachten, und dann warf man sie einfach in den Ferrom, band sie zusammen und flößte sie flussabwärts. Das hatte Simiale aber noch nicht erlebt, Vater und sie waren wieder umgekehrt. Das war Simiale ganz recht gewesen, das Essen auf der Reise hatte viel schlechter geschmeckt als das zu Hause. Vater hatte ihr erklärt, dass alles viel schneller gegangen wäre, wenn die Bäche hier oben groß genug gewesen wären, um die Stämme in ihnen zu flößen. Aber das ging nicht. Die breiten Gebirgsbäche hatten zu viele Stromschnellen, die hätten die Stämme splittern lassen. Deswegen ging es nur mit Schnee und Eis. Also musste man am Anfang und am Ende des Winters arbeiten. Mitten im Winter, im Firun, wurde es zu kalt. Schon jetzt trug Simiale zwei dicke Pullover und einen Umhang aus schwerer Wolle.

Simiale hoffte, dass Mucki nicht zu den Waldarbeitern rannte. Ihr Vater würde bestimmt mit ihr schimpfen, wenn er herausfände, dass sie allein durch den Wald lief. Was sollte sie tun, wenn Muckis Spur auf eine Lichtung führte, auf der die Dörfler mit dem Entasten der Stämme beschäftigt wären? Sie könnte sich natürlich hinter einem Busch verstecken, obwohl die Sträucher, ihrer Blätter beraubt, kaum als Deckung taugten. Bei den Kindern des Dorfes waren deswegen, wenn es um das Versteckspiel ging, im Winter andere Winkel beliebt als im Sommer. Trotzdem traute sich Simiale zu, sich gut genug verbergen zu können, damit die Erwachsenen sie nicht erspähten. Erwachsene konnten schlechter suchen als Kinder. Die Frage war aber, ob ihr das etwas nützte. Schließlich wollte sie Mucki zurückholen. Wenn er also bei den Waldarbeitern wäre, müsste sie wohl auch dorthin. Sie mochte gar nicht darüber nachdenken, was geschähe, wenn die Holzfäller Hunger hätten und ihr Mittagsmahl mit einem Rotpüschel aufbessern wollten. Eigentlich war das auch eine unberechtigte Sorge, denn Simiales Vater kannte Mucki natürlich und würde niemals zulassen, dass ihrem langohrigen Spielgefährten etwas Schlimmes geschähe.

Muckis Fährte kreuzte eine andere Spur. Simiale sah sofort, dass diese Abdrücke älter waren als Muckis, denn in ihnen lag schon wieder etwas Schnee. Sie stammten nicht von Tieren, aber nach den Stiefeln der Waldarbeiter sahen sie auch nicht aus. Simiale hockte sich hin, um sie genauer zu betrachten. Hier waren eine Menge Leute gegangen, von Nordwesten nach Südosten. Die Umrisse waren größer als die, die Simiales Füße hinterließen, aber ungewöhnlich klein für Erwachsene.

Jedenfalls wären sie das gewesen, wenn sie von Menschen verursacht worden wären, doch an einem dornigen Zweig entdeckte Simiale eine Haarsträhne. Nein, nicht Haar. Schmutzverkrustetes Fell. Sie zauste es auseinander und hielt es in die Sonne. Es war etwas dunkler als Muckis Winterpelz, schimmerte rotbraun.

»Goblins«, flüsterte Simiale. Ihr wurde mulmig zumute. Zwar verstieß sie schon gegen Mutters Verbot, indem sie allein durch den Wald lief, aber im Gegensatz zu dem Werwolf waren die Goblins etwas, an dessen Existenz man nicht zweifeln konnte. Simiale hatte oft welche gesehen, wenn sie in kleinen Gruppen nach Tanngrund gekommen waren, um zu tauschen. Sie fand sie unheimlich mit ihren äffischen Gesichtern und den dreifach geschlitzten Ohrläppchen. Die meisten von ihnen trugen Kleidung, die ihnen nicht richtig passte, sie kreischten und spuckten, ohne dass man verstand, warum sie das taten. Viele konnten auch nicht richtig sprechen. Wenn sie sich miteinander unterhielten, klang es so, als hätte jemand etwas im Hals und versuche, es herauszuhusten. Vor allem waren sie immer bewaffnet. Ihre Klingen waren schartig und rostig. Manche hatten auch nur Holzspieße. Jedenfalls bestritt noch nicht einmal Marwin, dass man sich von ihnen fernhalten musste, wenn man ein Kind war. Das galt natürlich umso mehr, wenn man ein Kind war, das allein durch den Wald wanderte.

Nachdenklich kaute Simiale auf ihrer Unterlippe. Wenn sie das mit den Goblins erführe, würde Mutter sehr böse werden. Für den Ausflug in den Wald wäre Simiale nur ausgeschimpft worden, aber für die Goblin-Sache würde Mutter ihr wenigstens einen Tag verbieten, mit den anderen Kindern zu spielen. Dabei wollten sie heute Nachmittag Schneefiguren bauen! Marwin behauptete, er könne einen Wolf machen. Simiale glaubte das nicht, aber sie wollte dabei sein, wenn er es versuchte.

Andererseits war da immer noch Mucki. Simiale spürte die Rübe unter ihrem Pullover und rief sich ins Gedächtnis, dass ihr Rotpüschel bestimmt schon sehr hungrig wäre. Außerdem war die Gefahr für ihn noch gestiegen, wenn es Goblins in der Gegend gab. Goblins waren eigentlich immer hungrig, vor allem im Winter. Sie aßen gern Rotpüschel, wenn sie welche kriegen konnten, und Mucki war so zutraulich, dass er selten Reißaus nahm.

Simiale erinnerte sich an etwas anderes, was Mutter einmal gesagt hatte: ›Freunde müssen immer zusammenhalten.‹ Das gab den Ausschlag. Mucki und sie waren Freunde. Nicht so, wie die Kinder des Dorfes untereinander Freunde waren, ein Rotpüschel war ja kein Mensch und konnte nicht reden, aber sie spielten oft zusammen. Wenn Mucki ihr Freund war, musste sie ihm helfen. Das würde auch ihre Mutter bestimmt einsehen.

Froh, ihr Dilemma gelöst zu haben, setzte Simiale den Weg fort. Wenn sie den Goblins wirklich begegnete, konnte sie laut schreien, dann kämen ihr die Waldarbeiter zur Hilfe. Oder sollte sie doch lieber erst versuchen, allein mit den Rotpelzen klarzukommen? Schließlich wollte sie auch nicht von ihrem Vater erwischt werden, am besten wäre es nach wie vor, wenn sie unbemerkt mit Mucki nach Hause zurückkehren könnte.

Zum Glück blieb die Spur deutlich. Mucki hatte sich unter einem Busch hindurchgezwängt. So etwas machte er gern. Wenn er ins Haus durfte, kroch er dort auch immer in die engen Winkel. Simiale war klein genug, um ihm zu folgen. Es erwies sich sogar als Glücksfall, dass er diesen Weg eingeschlagen hatte, denn das Gebüsch wurde immer enger, sodass Mucki schließlich selbst nicht weitergekommen war. Der Rotpüschel hockte zwischen den engen Zweigen und zitterte mit der Nase.

»Da bist du ja!«, rief Simiale. »Komm her!«

Mucki schien tatsächlich erschöpft. Sein Fell war voller Schnee und die Ohren lagen schlaff auf dem Rücken.

Allerdings hatte nicht nur er ihre Aufforderung vernommen. »Wer da?«, fragte eine kräftige Stimme.

Sofort erstarrte Simiale. Mucki dagegen störte sich nicht an dem Ruf. Er hoppelte in ihre ausgestreckten Arme. Sie merkte, dass nicht nur seine Nase zitterte. Er war ganz kalt.

»Was hast du gehört?« Die Stimme einer Frau.

Immerhin waren das sicher keine Goblins. Aber Vater hatte ihr auch erklärt, dass es böse Menschen gab, die schlimme Dinge mit Kindern machten. Was das für Sachen waren, hatte er zwar nicht gesagt, aber Simiale glaubte, dass es noch übler war, als wenn Mama ihr verböte, mit den anderen Kindern im Dorf zu spielen. Zu den Holzarbeitern gehörten diese Stimmen bestimmt nicht, die hätte Simiale erkannt. Also waren es Fremde.

»Hier hat jemand gerufen«, antwortete der Mann.

»Bist du sicher? Könnte es nicht der Wind gewesen sein? Oder ein Tier im Gebüsch?«

»Nein, Herrin. Ich bin mir sicher: Da hat jemand gerufen.«

Simiale hielt den Atem an, als Stiefel in ihr Sichtfeld stapften. Sie wagte nicht aufzuschauen, hörte nur, wie ein Schwert mit metallischem Schleifen aus der Scheide gezogen wurde. Der Mann stand nicht auf der Seite, an der sie unter das Gebüsch gekrochen war, sonst hätte er sofort ihre Spuren gesehen.

»Nochmals: Wer da? Wer immer du bist, erkläre dich!«

Ein Pferd schnaubte. In Tanngrund gab es auch ein paar Pferde, sie wurden gebraucht, um die Baumstämme zu ziehen.

Das Gebüsch war hier wirklich sehr dicht. Anscheinend konnte der Mann sie nicht sehen. Die Stiefel entfernten sich wieder.

Dafür war ein metallisches Klappern zu hören. »Also gut, wir durchsuchen das Unterholz!« Eiserne Stiefel traten in Simiales Blickfeld.

Das Mächen war so erstaunt, dass es jetzt doch aufsah. Eiserne Stiefel hatte sie bislang nur an den isenborner Rittern gesehen. Das waren edle Menschen, die kühne Taten vollbrachten und die Hörigen beschützten.

Tatsächlich stand da eine Ritterin. Simiale wusste sogar, welche es war. Sie erkannte sie am Schild: oben blau, unten weiß und in dem Weiß ein schwarzer Stern. Das war Leonida von Rauchwehr.

Die Ritterin setzte dazu an, mit ihrem Schwert auszuholen. Dann erkannte sie, dass nur ein Mädchen unter dem Gebüsch hockte, und ließ die Waffe sinken. »Na, wen haben wir denn da?«, fragte sie freundlich. »Warum verkriechst du dich unter dem Busch?«

»Ich wollte Mucki holen«, erklärte Simiale und drehte sich so, dass die Ritterin den Rotpüschel erkennen konnte, den sie an der Brust barg.

Leonida lächelte. »Dann komm einmal heraus.«

Simiale gehorchte, was gar nicht so einfach war, weil der Umhang beim Rückwärtskriechen an den Zweigen hängen blieb und sich über ihren Kopf schob, wogegen sie wenig tun konnte, da sie Mucki nicht loslassen wollte. Er wirkte zwar ganz ruhig, aber das konnte täuschen. Vielleicht hatte er Angst vor den fremden Menschen und liefe weg, wenn sie ihn nicht festhielte.

Klappernd hockte sich Leonida vor sie. Ihr Begleiter, ein deutlich leichter gerüsteter Mann, hielt die beiden Pferde am Zügel.

»Kommst du aus Tanngrund?«

Simiale nickte.

»Waren die Goblins schon hier?«

Simiale überlegte. Eigentlich hatte sie nur die Spuren gesehen, aber da sie Fußabdrücke hinterlassen hatten, mussten sie ja hier gewesen sein. Deswegen nickte sie noch einmal.

Leonida warf ihrem Begleiter einen besorgten Blick zu. »Hat es Kämpfe in Tanngrund gegeben?«

Von Kämpfen wusste Simiale nichts. Sie schüttelte den Kopf.

Leonida leckte sich über die Lippen. »Wir sind auf dem Weg zu eurem Dorf, weißt du? Wir haben die Geräusche gehört und glauben, dass sie von den Holzfällern kommen, die hier arbeiten.«

»Ja, das ist mein Vater mit seinen Freunden.«

Jetzt lächelte Leonida wieder. »Du hast aber wirklich einen niedlichen Rotpüschel.« Sie kam mit ihrer gepanzerten Hand näher. »Darf ich ihn streicheln?«

Simiale fand, dass die eisenüberzogenen Finger ziemlich hart aussahen, nicht so, als wolle man sich davon streicheln lassen, aber sie nickte, weil eine Ritterin gefragt hatte. Leonida streichelte Mucki auch gar nicht richtig, sie stupste ihn nur ein bisschen an. Es gefiel ihm trotzdem nicht.

»Was meinst du, wollen wir zu deinem Vater gehen?«

»Ich darf eigentlich nicht alleine in den Wald laufen, aber ich habe es trotzdem gemacht, weil ich doch Mucki suchen musste.«

Die Ritterin stand auf. »Schon gut. Dein Vater wird bestimmt nicht böse sein. Wir gehen jetzt zu ihm und dann schnell nach Tanngrund. Wir haben nicht viel Zeit.«

Simiale überlegte, warum die Ritterin es wohl eilig hatte. Auch der Mann sah jetzt ganz nett aus. Er versuchte nicht, Mucki zu streicheln. Bestimmt war er ein Waffenknecht, für einen Knappen war er zu alt, obwohl auch er ein Pferd hatte. Unter dem Wappenrock trug er einen dunklen Lederpanzer, auf den Plättchen aus Eisen genäht waren. Von so etwas hielt Mama nichts. Sie hatte mehrmals die Vollrüstung von Ritter Bermar aus Glutodem weiter gemacht. Das war gar nicht einfach, hatte sie erklärt, denn die Gelenke mussten beweglich bleiben. Simiale hatte ihre Augen bei dieser Arbeit leuchten sehen. Mama liebte Eisen.

Jetzt hätte es wohl keinen Sinn mehr gehabt, schnell nach Hause zu laufen. Leonida würde Vater bestimmt erzählen, dass sie Simiale allein im Wald getroffen hatte. Also fügte sie sich, als die Ritterin ihr ein aufmunterndes »Komm!« zurief. Außerdem war Simiale gespannt, was die beiden hierherführte. Sie sahen müde aus, und auch die Pferde wirkten erschöpft. Der Weg nach Tanngrund war steil und anstrengend.

Sie ließen sich von den Geräuschen der Äxte leiten und trafen bald auf die Arbeiter. Zu fünft waren diese damit beschäftigt, die Stämme von den Ästen zu befreien und sie anschließend aufzustapeln. Als sie die Ritterin sahen, nahmen sie ihre Hüte ab, grüßten und senkten die Köpfe.

»Wie viele Goblins sind hier in der Gegend, ihr guten Leute?«, fragte Leonida.

»Wir haben seit Wochen nur Spuren gesehen, von Angesicht zu Angesicht sind wir schon lange keinem Rotpelz mehr begegnet.« Um Bestätigung heischend blickte Vater die anderen Arbeiter an.

Leonida beugte sich zu ihr herunter. »Hast du auch nur Spuren gefunden?«

»Aber wenn Spuren da sind, dann müssen doch auch Goblins da sein!«, verteidigte sich Simiale. Sie schämte sich, weil ihre Stimme kiekste und die Erwachsenen darüber lachten.

Leonida richtete sich wieder auf. »Es gibt Ärger. Eine Menge. Es ist ernst. Der Freiherr schickt mich, um euch nach Burg Isenborn zu holen.«

Die Erwachsenen sahen erschrocken aus.

»Wir haben unser Holz noch nicht zu Tal gebracht«, wandte Vater ein.

»Glutodem besteht nun aus rauchenden Trümmern«, versetzte Leonida. Sanfter fuhr sie fort: »Die meisten Bewohner konnten wir retten. Aber es ist wirklich gefährlich. Die Goblins sind nicht allein, ich erkläre es euch später. Jetzt müssen wir nach Tanngrund und den Leuten sagen, dass sie alles zusammenpacken müssen, was sie nicht entbehren können.«

Mit bedauernden Blicken auf die schönen Stämme machten sie sich auf den Weg. Leonida und ihr Waffenknecht führten ihre Pferde am Zügel, obwohl das Gelände hier gar nicht mehr zu steil zum Reiten war.

Mucki kratzte an Simiales Schulter. Ihr fiel ein, dass sie ihm noch gar nicht die Rübe gegeben hatte. Das holte sie sofort nach. Schließlich war sie für ihn verantwortlich, da musste sie sich auch um ihn kümmern.

Als sie in Tanngrund ankamen, war Mucki eingeschlafen. Wenn er träumte, machte er immer leise, quietschende Geräusche. Simiale fand das lustig.

Mama sah allerdings bestürzt aus. »Wo bist du denn gewesen?«, war das Erste, was sie sagte. Dann sah sie Vater und die Ritterin, beugte das Haupt und murmelte: »Herrin.«

»Schon gut«, sagte Leonida. »Du bist wohl die Mutter. Deiner Tochter ist ja nichts passiert, und dem Rotpüschel auch nicht. Aber, wie ich deinem Gemahl schon sagte: Wir haben ein großes Problem. Ruft die Leute zusammen. Wir müssen das Dorf verlassen.«

Während die anderen Erwachsenen auseinanderliefen, brachte Mama Simiale ins Haus. Sie musste andere Sachen anziehen, bevor sie Mucki trocken rubbeln durfte. Das gefiel dem Rotpüschel gar nicht, aber zum Ausgleich durfte er im Haus bleiben. Er wurde in den kleinen Raum gesperrt, in dem Mama die halbfertigen Stücke aufbewahrte.

Dann erklang auch schon die Glocke von Ronadas Haus. Sie gingen nach draußen, wo sich bereits alle um den Brunnen versammelt hatten.

Die beiden Ritterinnen standen in dem Förderkorb, der sie von Ronadas Haus herunterbrachte. Ein solches Heim gab es nur einmal in Tanngrund. Es stand nicht auf dem Boden, sondern klebte wie ein Schwalbennest in zehn Schritt Höhe an einer Felswand. Simiale wollte es gern einmal von innen sehen.

Weil es keinen Keller hatte, gingen kleine Stollen in den Fels hinein, wo die Ritterin ihre Vorräte lagern konnte, behauptete Marwin. Mama meinte, das Haus sei so merkwürdig gebaut, damit man es nicht so leicht angreifen könne. Für eine Ritterin sei das besonders wichtig.

Jetzt machten die Hörigen Platz, damit die beiden sich vor den Brunnen stellen konnten, wo alle verstünden, was sie zu sagen hatten. Leonida sah zwar müde, aber trotzdem viel imposanter aus, weil sie ihre Rüstung trug und Ronada nur wollene Kleidung. Ihr Wappen glich dem von Leonida, nur zeigte es einen Ring statt des Sterns.

»Hört, hört!«, rief Ronada. Es war so still, dass es unheimlich laut schien, als Marwin nieste. Das war ihm sichtlich peinlich, er wurde knallrot. Simiale kicherte, bis Mama sie anstieß.

»Ritterin Leonida bringt schlimme Kunde! Der Krieg hat Isenborn erreicht. Die Goblins und die Schergen des Dunklen Herzogs haben sich zusammengetan. Selbstverständlich steht Isenborn treu wie Stahl zum Thron des Kaisers. Der Feind ist aber stärker, als wir annahmen. Glutodem ist gefallen. Die Freiherren werden uns schützen, doch dazu müssen wir nach Burg Isenborn kommen.« Sie machte eine Pause und ließ den Blick über die Versammelten gleiten. »Ich denke, ihr wisst alle, was das bedeutet. Packt zusammen, was ihr könnt. Wir brechen morgen früh auf.«

»Wann kehren wir zurück, Herrin?«, fragte Mama.

Ronada presste die Kiefer aufeinander. Sie hatte ein rundes Gesicht, aber wenn sie das tat, traten Kanten hervor. »Ich weiß es nicht, Ingriminia. Aber ich weiß, was jetzt jeder denkt: ›Wenn wir das Dorf verlassen, werden die Goblins es plündern.‹ Ja, das werden sie. Deswegen nehmt mit, was ihr könnt, und versteckt den Rest. Ihr könnt auch gern Dinge in meinem Haus einlagern. Allerdings weiß niemand, ob es verschont bleiben wird.« Sie grinste. »Ach ja, und natürlich ist es schlau, heute so viel zu essen, wie eben reingeht.«

Zaghaft lachten einige.

»Vor allem aber holt mir die Leute, die im Wald sind. Ein Haus kann man wieder aufbauen, aber euch kann man nicht wieder lebendig machen.«

»Zumindest hoffen wir nicht, dass dies geschieht«, ergänzte Leonida finster. Simiale verstand nicht, was sie damit meinte.

Als Ronada sie entließ, hatten es alle eilig. Auch Vater und Mutter rannten durch das Haus, riefen aufgeregt und packten viele Sachen in Beutel und Taschen, um sie dann wieder auszuschütten und neu zu sortieren.

»Wie nehmen wir denn Mucki mit?«, fragte Simiale. »Sein Käfig ist doch kaputt.«

»Mucki muss hierbleiben, mein Schatz«, sagte Mama.

Sofort flossen die Tränen aus Simiales Augen. »Aber Mucki ist doch mein Freund! Ich kann auf ihn aufpassen! Ich habe ihn heute auch wiedergefunden! Eigentlich wollte er gar nicht wegrennen, er hat sich nur verlaufen. Er findet doch auch gar nichts zu fressen unter dem Schnee! Und die Goblins sind so hungrig im Winter, dass sie ihn bestimmt aufessen wollen.«

Ihr Herz klopfte so schnell, wie Mucki rennen konnte. Hilflos sah sie ihre Eltern an.

Vater legte einen Arm um Mamas Schultern. »Ingriminia Schleifbeil«, sagte er sanft, »das können wir unserer Tochter nicht antun.«

»Aber wie soll denn das gehen?«, fragte Mama matt.

»Wir haben doch bis Sonnenaufgang Zeit. Ich werde den Käfig heute Nacht reparieren. Wir können ihn bestimmt an Moosbergers Karren hängen. Er ist ja nicht schwer.«

Simiale konnte ihre Eltern kaum erkennen. Durch die Tränen verschwamm alles. Sie konnte Mucki doch nicht alleinlassen! Er lebte schon länger als ein Jahr bei den Menschen. Er konnte nicht mehr für sich allein sorgen, so wie die wilden Rotpüschel.

»Schon gut«, sagte Mama, hockte sich hin und nahm sie in den Arm. »Wir nehmen Mucki mit.« Sie küsste sie auf die Stirn.

Simiale half dabei, die besten Verstecke zu finden. Sie packten Besteck in einen Beutel und vergruben ihn im Keller, danach rückte Vater ein Fass über die Stelle. Im Gartenbeet hackte er den gefrorenen Boden auf und versenkte die Truhe mit den Hufeisen darin.

Später fand Simiale Mama am Schmiedeofen. »Weinst du?«, fragte sie.

Mama weinte oft, aber sie lachte auch oft. Jetzt wischte sie sich die Tränen weg. Sie hielt den gusseisernen Behälter hoch, der so ähnlich aussah wie eine Laterne, nur, dass er geschlossen war. »Ich muss einige Kohlen aus dem Feuer mitnehmen«, erklärte sie. »Die werden uns auf dem Weg warm halten. Außerdem würde es dem Herrn Ingerimm nicht gefallen, wenn wir seine Gabe zurückweisen würden. Es ist schon schlimm genug, dass die Esse verlöschen wird. Aber ein bisschen von der Glut nehmen wir mit.«

»Dann hat Mucki es auch schön warm«, erkannte Simiale.

Jetzt lächelte Mama wieder, obwohl ihre Wangen noch nass waren. Sie strich ihr über den Kopf, drückte sie dann an sich. »Ja, Simiale. Wir bleiben alle zusammen. Das ist das Wichtigste.«

***

Nahe Tanngrund, Junkergut Isenborn,

Reichsmark Osterfelde, Tobrien.

16. Tag im Hesindemond, 1021 BF.

»Beiß die Zähne zusammen, Peskan«, forderte Fiana.

Den Hörigen aus ihrer Lanze hatte es übler erwischt, als dieser wahrscheinlich selbst wahrnahm. Der Schmerz kam oft erst, wenn die Hitze des Kampfes wich. Das abgebrochene Stück des Goblinspießes ragte aus seinem linken Oberschenkel. Früher oder später würden sie es herausziehen müssen, dann käme das Blut in einem breiteren Strom. Jetzt sickerte es beständig. Ob sie das Holz bis Tanngrund stecken lassen sollten?

Diese Frage stellte sich nur, wenn sie es überhaupt bis Tanngrund schafften. Im Moment sah es nicht danach aus. Sie lagen hier zwischen den Felsen, der Schneefall wurde immer dichter, und die Goblins versuchten noch nicht einmal, sich zu verbergen, während sie die Leichen zweier weiterer Angehöriger ihrer Lanze fledderten.Rondra, vergib mir, aber jetzt wünschte ich, ich hätte einen Haufen Bogenschützen hier.Geübte Fernkämpfer hätten die Rotpelze vertreiben können.

Peskan war tapfer, konnte aber ein Wimmern nicht unterdrücken. Fiana musste noch mehr von ihm verlangen.

»Nimm besser den hier«, sagte sie und drückte ihm den Griff ihres Dolchs in die Hand. Mit seiner Verwundung konnte er nicht stehen, er saß an einen Fels gelehnt. Da war seine Axt kaum einsetzbar.»Wenn einer von den Kerlen hier durch kommt, verpasse ihm einen kräftigen Stoß. Kein falsches Mitleid.«

»Bestimmt nicht«, grinste Peskan verbissen.

Grimmig nickte sie ihm zu.

Die drei Pferde brachten ihrer Lanze keinen Vorteil, der Boden war zu uneben für einen berittenen Kampf. Die Tiere standen in der Mitte ihrer Stellung, dort waren sie vor den Goblins einigermaßen sicher. Der Hügel, dessen Kuppe sie hielten, war eine Anhäufung von schwarzem Schiefer, auf dem es nur da und dort ausreichend Erdreich gab, um verloren wirkenden Bäumen Halt zu geben. Doch sie wollte sich nicht beschweren, immerhin war er leicht zu verteidigen.

»Wie viele sind es?«, fragte sie Jorlak, ihren goblinischen Diener.

»Schweeeer zu zählennnn«, klagte er.

Immerhin hatte die Dämmerung inzwischen den Kampf gegen die Helligkeit des Tages verloren gegeben, das konnte den Isenbornern nur recht sein. Die Rotpelze fühlten sich nachts wohler. Sie bewegten sich mit unheimlichem Geschick durch die Dunkelheit. Deswegen hatten sie die Wache auch so mühelos überwältigt. Jetzt schalt sich Fiana dafür, nicht zwei Leute eingeteilt zu haben. Letztlich hatte Glendolons Wiehern sie geweckt.

»Schlagt sofort Alarm, wenn sie angreifen«, befahl sie. »Tebira, hilf mir mit der Rüstung!«

Natürlich hatte sie nicht in ihrem eisernen Panzer geschlafen. Seine drei Dutzend Teile waren auch kein Kettenhemd, das man schnell überstreifen konnte. Deswegen hatte sie sich ohne diesen Schutz bis hierher durchgekämpft. Jetzt wollte sie den Vorteil der Eisenhaut nutzen.

Sie entwirrten die Komponenten aus dem Bündel, in das sie sie hastig zusammengerafft hatten. Da Fiana ihr wattiertes Untergewand bereits trug und Tebira sich mit den Schnallen und Ösen auskannte, kamen sie zügig voran.

»Hast du Schweinereiter gesehen?«

»Ich glaube schon, junge Herrin. Aber ich bin nicht sicher. Es war so dunkel.«

Fiana runzelte die Stirn. Goblins ritten nie auf Pferden, aber ihre Elitekämpfer benutzten Wildschweine. In diesem rauen Gelände hätten auch diese Schwierigkeiten, kämen aber noch immer besser zurecht als Pferde. Außerdem waren sie aggressiver, vor allem die Keiler mit ihren gebogenen Hauern.

»Sie haben aber nicht in den Kampf eingegriffen, oder?«

»Nein, junge Herrin.«

»Das ist merkwürdig.« In der Tat gab es keine Erklärung, warum die Goblins ihre beste Waffe hätten zurückhalten sollen. Außer, dass sie eben Goblins waren und deswegen nicht besonders schlau. Aber wahrscheinlicher war, dass sie keine Wildschweine dabei hatten. Das wäre Fiana auch lieber. Sie hatten auch so schon genug Probleme. Sie schätzte die Zahl ihrer Gegner auf wenigstens zwei Dutzend. Da die Isenborner zwei Kämpfer verloren hatten und einer verwundet war, konnten sie nur noch sieben Bewaffnete aufbieten, und dabei war Jorlak mitgezählt. Sie hatte die Rotpelze unterschätzt, obwohl sie doch gesehen hatte, wie sehr sie den Truppen um ihren Vater zugesetzt hatten. Sie war Härmhardt begegnet, auf dem Rückzug oder besser der Flucht aus Glutodem. Vater hatte ihr auch berichtet, dass Boten auf dem Weg zu den anderen vier Weilern waren. Sie hatte es für eine gute Idee gehalten, Leonida mit ihrer Lanze in Tanngrund zu unterstützen. Hoffentlich kam sie nicht zu spät.

Zur Komplettierung der Rüstung streifte sie den Schild über den linken Arm. Dann zog sie das Schwert.

»Was tun sie?«, fragte sie.

»Überlegennnn, ob sie angreifennnn sollennnnn«, meinte Jorlak.

»Ruf ihnen zu, dass sie alle sterben werden, wenn sie hier hoch kommen.«

Jorlak fiel in das kehlige Idiom seines Volkes und übermittelte ihre Botschaft.

»Was antworten sie?«

»Sie verstehennnn nicht, warummmm ein Suulak hier bei derrrr Eisenfrrrrau ist.«

Das war in der Tat für niemanden leicht zu begreifen. Jorlak trug einen isenborner Wappenrock, damit niemand Gefahr lief, ihn versehentlich zu erschlagen.

Fiana überlegte, ob sie etwas hatten, was sie den Goblins im Austausch für freien Abzug hätten geben können. Das wäre zwar keine ehrenhafte Tat, die in Liedern besungen würde, aber manchmal musste man pragmatisch sein. Hier gab es wenig zu gewinnen, dafür aber das Leben ihrer Hörigen zu verlieren. Natürlich musste sie darauf bestehen, die Leichen der Gefallenen überlassen zu bekommen, um ihnen ein anständiges Begräbnis ermöglichen zu können. Ihr wurde übel bei der Erinnerung an den Bericht, den Vater ihr von seinem Verfahren mit den Toten aus Glutodem gegeben hatte. Es waren harte Zeiten, aber noch musste Fiana nicht zum Äußersten greifen.

Die Goblins machten allen diplomatischen Überlegungen ein Ende, als einer ihrer Trupps kreischend die Nordseite des Hügels herauf rannte. Ausgerechnet dort, wo der verwundete Peskan an seinem Fels lehnte!

Eigentlich hätte sie die weitere Deckung der anderen Richtungen befehlen sollen, aber sie war froh um jede Klinge an ihrer Seite. Wenn sie die Pferde verlören, müssten sie eben damit leben.

»Isenborn!«, schrie sie und stieß das Schwert hoch in die Luft.

»Isenborn!«, fielen ihre Getreuen ein.

Goblins waren das Gegenteil von Söldnern: völlig undisziplinierte Truppen. Ein Rotpelz konnte innerhalb von einer Stunde zehnmal seine Meinung ändern. Daher musste man nur einmal ihre Moral brechen, um sie in die Flucht zu schlagen.

Das war aber nicht einfach, wenn sie, wie jetzt, einer Flutwelle gleich über den schwarzen Schiefer und den weißen Schnee brandeten. Fiana stellte sich vor Peskan. Das heruntergeklappte Visier nahm ihr zwar einen Großteil des Sichtfeldes, vervollkommnete aber den Schutz, der sie beinahe unverwundbar machte.

Den ersten Goblin ließ sie an ihrem Schild abprallen, dem zweiten zog sie das Schwert senkrecht von unten nach oben durch Unterleib und Bauch, bis der Stahl unter dem Brustkorb hängen blieb. Der Schnitt war zwar lang, aber nicht tief genug, um den Gegner zu töten, der nun kreischend zurücktaumelte. Sie wollte nachsetzen, vergaß dabei aber den unebenen Boden. Sie geriet ins Straucheln, als ihr Fuß ins Leere trat und kämpfte für einen Moment mit ihrem Gleichgewicht statt mit dem Feind. Sofort sprang einer der Getreuen neben sie, um die Goblins von ihr fernzuhalten.

Ein ungewöhnlich gutes Schwert schmetterte gegen ihren Oberschenkel. Wäre sie noch immer ohne Rüstung gewesen, hätte dieser Streich sie verkrüppelt, so jedoch dröhnte er zwar laut, hinterließ aber nur eine Schramme in der Metallschiene.

Fiana führte einen waagerechten Auswärtsstreich in die Richtung, aus der der Angriff gekommen war. Er war nicht besonders kraftvoll und vermochte die Rüstung ihres Gegners nicht zu durchdringen.

Nun, da sie ihre Standsicherheit zurückgewonnen hatte, wandte sie sich dem Angreifer mit voller Aufmerksamkeit zu. Er war ein ungewöhnlich muskulöser Goblin. Nicht nur bei seinem Schwert, auch bei dem Helm schien es sich um ein frisches Beutestück zu handeln. Er war etwas zu groß, schützte die Wangen jedoch gut durch ausladende Seitenbleche. Das Außergewöhnlichste war der Harnisch. Fiana hatte aufgrund des Gefühls, das der Aufprall ihres Schwerts verursacht hatte, mit einem Lederpanzer gerechnet. Falls das hier einer war, hatte er eine merkwürdige Farbe. Es war ein so helles Grau, dass es beinahe weiß war. Es sah auch nicht nach Bemalung aus.

Die Neugierde ließ sie einen geraden Stich ansetzen. Die nächste Überraschung war, dass der Goblin sich auf das Fechten verstand. Natürlich war seine Parade nicht so elegant, wie sie in der Fechtschule gelehrt wurde, aber normalerweise wichen Goblins aus oder liefen einfach in der Hoffnung in einen Streich hinein, ihre Rüstungen würden sie schützen. Dieser blockte ihren Stoß mit seinem Schwert.

Seinerseits führte er einen senkrechten Hieb, den man mit viel gutem Willen als Helmspalter hätte durchgehen lassen können. Fiana wehrte ihn mit erhobenem Schild ab.

Sie erkannte, dass sie diesen Gegner ernster nehmen musste als die anderen. Während sie seine Attacken mit dem Schild auf Distanz hielt, nahm sie die rechte Schulter zurück und holte weit aus.

Die linke Hand ihres Gegners war leer, er verfügte weder über einen Dolch noch über einen Schild. Da sein Schwert durch Fianas Abwehr an seiner rechten Seite gehalten wurde, hatte er keine Möglichkeit, Fianas langen Hieb zu parieren. Halbherzig sprang er zurück, aber das reichte nicht. »Isenborn!«, schrie Fiana triumphierend, als ihre Klinge seinen Arm knapp über dem Ellbogen durchtrennte.

Der Rumpfpanzerüberraschte sie jedoch schon wieder. Er hielt dem Hieb stand. Sie hatte wohl zu viel des Schwungs an Fleisch und Knochen des Arms verbraucht. Dennoch hätte sie damit gerechnet, noch genug Kraft zu haben, um einen Lederpanzer zu brechen.

Das Ergebnis war auch so kampfentscheidend. Das Blut sprudelte in einem unaufhaltsamen Strom aus dem Stumpf. Der Gegner zog sich zurück, um in Ruhe zu sterben.

Das konnte Fiana nur recht sein. Sie ließ sich nicht zu einer Verfolgung hinreißen und wandte sich stattdessen den anderen Goblins zu. Keiner von ihnen trug einen hellen Harnisch. Auch ihre Bewaffnung entsprach dem, was Fiana von Goblins gewohnt war: Keulen, Spieße, schartige Klingen. Fiana fuhr mitten in eine Dreiergruppe. Ihre Rüstung dröhnte von den Schlägen, die sie an verschiedenen Stellen trafen. Der gefährlichste war ein Keulenhieb, der ihren Helm zur Seite zwang. Es kam manchmal vor, dass solche Treffer zu einem Genickbruch führten. Davon blieb Fiana verschont. Sie bedankte sich mit einem entschlossenen Streich, der tief in den Brustkasten ihres Gegners hackte.

Fürs Erste gaben sich die Rotpelze geschlagen. Sie zogen sich zurück. Zwei Schwerverwundete fielen den isenborner Klingen zum Opfer, sie wären ohnehin verblutet. Fiana hielt nach dem Goblin mit der grauweißen Rüstung Ausschau, konnte aber nur seine Blutspur entdecken, die sich im Unterholz verlor. Sie war kräftig genug, um Fiana Gewissheit zu geben, dass er den Tag nicht überleben würde.

»Haben wir neue Verwundete?«, fragte sie und klappte das Visier hoch.

»Ja, junge Herrin«, meldete Tebira.

Es handelte sich um einige oberflächliche Schnitte. Nur Peskan hatte es leider endgültig erwischt. Ein kräftiger Keulenschlag hatte den Helm verbeult und den Schädel darunter gebrochen. Das war wenigstens ein schneller Tod gewesen.

»Drei Wachen«, befahl Fiana. »Die anderen kümmern sich um ihre Wunden.«

Befriedigt stellte sie fest, dass ihre Leute bei Jorlak keinen Unterschied machten. Auch seine Verletzungen wurden sofort und gründlich verbunden.

Fiana überlegte, ob sie die Leichen ihrer beiden Kameraden bergen konnten, die gut sichtbar am Fuß des Hügels lagen. Sie boten einen jämmerlichen Anblick, auch wenn der fallende Schnee sie allmählich zudeckte. Die Goblins hatten sich bei der Leichenfledderei gestritten und waren nicht zartfühlend vorgegangen. Die beiden trugen auf den geschundenen Körpern nur noch Fetzen, die so sehr zerrissen waren, dass selbst die Rotpelze ihnen keinen Wert mehr beimaßen. Es wäre gut für die Moral der Truppe gewesen, diesen verstörenden Anblick zu beseitigen und die toten Kameraden in ihre Stellung zu holen, wo man Decken über sie gebreitet hätte, um ihnen ihre Würde zurückzugeben. Aber sie wagte nicht, den Befehl zu erteilen. Die Goblins würden sich kaum eine Gelegenheit entgehen lassen, die Isenborner anzufallen, wenn diese ihre Deckung verließen.

»Wir müssen uns nach Tanngrund durchschlagen«, murmelte Fiana mehr zu sich selbst als zu jemand anderem.

Vielleicht könnten sie die beiden Leichen dabei auflesen und auf eines der Pferde packen. Oder belasteten sie die Tiere dadurch zu sehr? Einige steile Wegstücke lagen noch vor ihnen. Wenn sie die Toten dann abladen und am Wegesrand zurücklassen müssten, könnte das der Moral noch abträglicher sein, als wenn sie die Leichen gleich zurückließen.

Wütend trat sie gegen einen Stein. Letztlich waren das nur Ausflüchte. Sie waren keine Goblins. Sie konnten ihre Gefallenen nicht der Witterung und den Aasfressern überlassen, ohne ihren eigenen Stolz zu verlieren. Und Stolz würden sie in den kommenden Wochen brauchen, nötiger als vieles andere. Also mussten sie sie mitnehmen.

Sie fühlte sich erleichtert, als sie sich zu dieser Entscheidung durchgerungen hatte. Im gleichen Moment meldeten sich Zweifel.Wie viele weitere Tote ist es wert, ihnen ein anständiges Begräbnis zu verschaffen?

»Junge Herrin!«, rief Tebira. »Auf dieser Seite ist wieder Bewegung.«

In Erwartung eines neuerlichen Angriffs zog Fiana ihr Schwert. Der Schneefall hatte nachgelassen. Deutlich konnte sie die schwankenden Äste sehen, aber die Rotpelze kamen nicht zum Vorschein. Recht schnell erstarben auch die Bewegungen. Waren sie abgezogen? Oder war es nur eine List? Einerseits hatten sie keinen Grund, den Kampf abzubrechen, überstieg ihre Zahl doch zweifellos noch immer die der Verteidiger. Andererseits mochten sie eingesehen haben, dass es hier auch für sie nichts zu gewinnen gab, was zusätzliche Verluste rechtfertigte. Goblins waren normalerweise auf Essbares aus, manchmal auch auf Eisenwaren. Zu Ersterem mochten die drei Pferde taugen, zu Letzterem die Rüstungen und Waffen, aber die hätten sie sich teuer erkaufen müssen. Möglicherweise war der Goblin mit dem merkwürdigen Harnisch auch ihr Häuptling gewesen. Oft setzten sich die stärksten Exemplare durch, und er war außerordentlich kräftig gewesen.

Dass die Erklärung eine ganz andere war, wurde offenbar, als wieder Bewegung in die Sträucher kam, diesmal in dem Bereich des Bergurwalds, den man hier zuweilen euphemistisch als ›Weg‹ titulierte. Eine Bezeichnung, die er nur zwischen den Räumarbeiten im Frühling und dem ersten Herbststurm verdiente, jetzt hatte die Wildnis den Pfad weitgehend zurückgewonnen.

Dennoch blieb er die beste Route nach und von Tanngrund. Daher benutzten ihn auch die Dörfler auf dem Weg hinunter in die Sicherheit der Burg. Die Ritterin an ihrer Spitze erkannte Fiana sofort an dem schwarzen Ring in ihrem Wappen. »Ich grüße Euch, Ronada vom Wolkenstein!«

Die Vasallin, die nun überrascht das Ross zum Stehen brachte, das sie am Zügel führte, war nur wenige Jahre älter als Fiana. Als Kinder hatten sie manchmal zusammen gespielt, weil Fiana die Erstgeborene war und Lyrkan ihr erst nach fünf Jahren Gesellschaft geleistet hatte. Sie erinnerte sich gut an die glücklichen Tage in Tanngrund, wenn sie die Eichhörnchen im Wald beobachtet hatten.

»Fiana!«, rief Ronada, um sich sogleich zu korrigieren: »Junge Herrin!«

Der Zug schloss allmählich auf. Die Dörfler sahen nicht gerade glücklich aus, immerhin hatten sie ihre Heimat aufgegeben und mussten damit rechnen, dass ihre Häuser bald in Flammen aufgingen, aber wenigstens sah sie auch keine Verletzten, also waren sie wohl rechtzeitig aufgebrochen.

»Wo ist Ritterin Leonida?«, fragte sie, als sie den Hügel hinabstieg.

»Am Ende des Zugs. Sie gibt acht, dass wir niemanden verlieren.«

»Ich verstehe.«

»Was ist Euch geschehen?«

»Eine Bande Goblins.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Wenn sie die Sache herunterspielte, würde sie die Hörigen nicht so sehr beunruhigen.

Als Leonida aufgeschlossen hatte, nahm sie die beiden Ritterinnen zur Seite. »Wir haben drei Tote«, erklärte sie. »Kriegen wir die noch auf den Karren unter?«

»Eine der Achsen gefällt mir nicht«, antwortete Ronada. »Ich fürchte, der vorderste Wagen ist sowieso schon zu schwer beladen. Sie könnte brechen. Wir sollten also ohnehin umpacken. Vielleicht findet sich dabei noch etwas, das wir entbehren oder auf dem Rücken tragen können.«

»Wenn wir eine vorgezogene Mittagsrast machen, können die Leute einige Vorräte verzehren«, schlug Leonida vor. »Das sollte auch Platz schaffen.«

»Eine gute Idee!«, stimmte Fiana zu. »Ronada, kümmert Euch darum. Leonida, darf ich Euch bitten, mich zu begleiten?«

Sie gingen zu der Blutspur, die der Goblin mit dem abgetrennten Arm hinterlassen hatte. Hier lag noch ein halbes Dutzend seiner erschlagenen Kameraden. »Die sollten wir nachher verbrennen oder begraben«, sagte Fiana. »Aber erst einmal lasst uns dieser Fährte folgen.«

Sie drangen bis ins Unterholz vor. Wie erhofft fanden sie tatsächlich den verbluteten Gegner. Die Rotpelze scherten sich nicht um ihre Toten. In ihren Dörfern fütterten sie angeblich die Schweine mit den Leichen. Fiana wurde schlecht bei der Vorstellung, Fleisch von einem Tier zu verspeisen, das vorher einen Freund von ihr gefressen hatte. Aber darum ging es ihr jetzt nicht.

»Habt Ihr so etwas schon einmal gesehen?« Wie erhofft, wenn auch nicht erwartet, hatten die Goblins zwar das gute Schwert, nicht aber den grauweißen Leibpanzer mitgenommen. Das war untypisch für sie, sie mussten wohl in Eile gewesen sein, denn sonst ließen sie nichts zurück, was irgendwie brauchbar für sie war.

Leonida hockte sich neben den Toten. Sie drückte auf den Panzer, der sich leicht eindellen ließ. »Was ist das?«

»Das frage ich mich auch. Ein besonderes Leder vielleicht?«

Leonida schüttelte den Kopf. »Fühlt selbst. Dafür ist es zu geschmeidig.«

Fiana zog ihren Panzerhandschuh aus und tastete über die Oberfläche. »Wie Stoff. Eine Art dicker Seide.«

»Merkwürdig.«

Fiana brachte ihr Gesicht nah an die Rüstung. »Es besteht aus einem Gewebe!«, erkannte sie. »Sehr, sehr dünne Fäden.«

Leonida zupfte einen heraus. »Wie ein Haar. Noch feiner sogar.«

»Warum haben sie diesen Panzer wohl nicht mitgenommen?«

»Er scheint angewachsen zu sein. Seht, an einigen Stellen dringt der rote Pelz durch.«

»Das wird ja immer seltsamer.«

Fiana zog ihren Dolch und setzte ihn mit der Spitze an. Obwohl sie viel Kraft, am Ende sogar ihr ganzes Gewicht hineinlegte, konnte sie den Harnisch zwar eindrücken, aber nicht durchstoßen. Als sie in ihren Bemühungen nachließ, kehrte die Rüstung sofort in ihre alte Form zurück.

Sie sah Leonida verständnislos an. »Ein unzerstörbares Panzerhemd«, meinte sie.

Unwohl zuckte Leonida mit den Schultern. »Aber es wahrt die Form nicht. Der Kampfhammer Eures Hohen Vaters hätte die Brust dieses Kerls zertrümmert, ob mit oder ohne Rüstung.«

»Doch gegen Klingen ist es hervorragend.«

»Gab es noch mehr, die einen solchen Panzer trugen?«

»Ich habe nur den einen gesehen.«

»Ich schlage vor, dass wir den Goblin samt seiner Rüstung mitnehmen. Vielleicht finden wir in der Burg heraus, was es mit diesem merkwürdigen Panzer auf sich hat.«

***

Burg Isenborn, Reichsmark Osterfelde, Tobrien.

26. Tag im Hesindemond, 1021 BF.