Du bist meine einzige Liebe: 4 bewegende Romane - Sandy Palmer - E-Book

Du bist meine einzige Liebe: 4 bewegende Romane E-Book

Sandy Palmer

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane (399) Das Glück von dir geliebt zu werden (Sandy Palmer) Chirurg im Zwiespalt der Gefühle (Sandy Palmer) Betreten verboten (Eva Joachimsen) Ich will aus Liebe heiraten (Eva Joachimsen) Chefarzt Dr. Ritter - er hat seine Klinik zu einem Krankenhaus gemacht, das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Doch jetzt sehnt der engagierte Arzt sich nach mehr Ruhe und einem würdigen Nachfolger... Dr. Thorsten Schäfer, in den Augen seines Chefs ist er der ideale Nachfolger, der einzige, der die Ritter-Klinik im Sinne des Gründers weiterführen kann. Thorsten bekommt eine einmalige Chance, aber der Preis ist hoch: Er soll Anja Ritter heiraten, die Tochter seines Chefs. Sein Herz jedoch gehört der bezaubernden Stefanie...

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Seitenzahl: 428

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Sandy Palmer, Eva Joachimsen

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Inhaltsverzeichnis

Du bist meine einzige Liebe: 4 bewegende Romane

​Copyright

Das Glück, von dir geliebt zu werden

Chirurg im Zwiespalt der Gefühle

Betreten verboten

Ich will aus Liebe heiraten

Du bist meine einzige Liebe: 4 bewegende Romane

Sandy Palmer, Eva Joachimsen

Dieser Band enthält folgende Romane

Das Glück von dir geliebt zu werden (Sandy Palmer)

Chirurg im Zwiespalt der Gefühle (Sandy Palmer)

Betreten verboten (Eva Joachimsen)

Ich will aus Liebe heiraten (Eva Joachimsen)

Chefarzt Dr. Ritter - er hat seine Klinik zu einem Krankenhaus gemacht, das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Doch jetzt sehnt der engagierte Arzt sich nach mehr Ruhe und einem würdigen Nachfolger...

Dr. Thorsten Schäfer, in den Augen seines Chefs ist er der ideale Nachfolger, der einzige, der die Ritter-Klinik im Sinne des Gründers weiterführen kann. Thorsten bekommt eine einmalige Chance, aber der Preis ist hoch: Er soll Anja Ritter heiraten, die Tochter seines Chefs. Sein Herz jedoch gehört der bezaubernden Stefanie...

​Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Das Glück, von dir geliebt zu werden

Arztroman von Sandy Palmer

Der Umfang dieses Buchs entspricht 83 Taschenbuchseiten.

Chefarzt Dr. Ritter - er hat seine Klinik zu einem Krankenhaus gemacht, das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Doch jetzt sehnt der engagierte Arzt sich nach mehr Ruhe und einem würdigen Nachfolger...

Dr. Thorsten Schäfer, in den Augen seines Chefs ist er der ideale Nachfolger, der einzige, der die Ritter-Klinik im Sinne des Gründers weiterführen kann. Thorsten bekommt eine einmalige Chance, aber der Preis ist hoch: Er soll Anja Ritter heiraten, die Tochter seines Chefs. Sein Herz jedoch gehört der bezaubernden Stefanie...

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Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1

Schrill drang der Schrei der Gebärenden aus dem Kreißsaal.

Chefarzt Dr. Ritter blieb mit seinem kleinen Gefolge stehen, sagte kopfschüttelnd: »Nun hört euch das an. Sie benimmt sich, als wollte man ihr die Kehle durchschneiden. Dabei ist es ein ganz normaler Fall.«

»Ihre Schmerzschwelle scheint außerordentlich niedrig zu liegen, Vater.«

Anja Ritter sagte es mit leiser Stimme und ruhigem Blick. Ihre Hände waren in die Taschen des blütenweißen Visitenmantels versenkt. Sie hatte die Patientin vor einer Stunde zum letzten Mal untersucht und dabei die Feststellung gemacht, dass Christa Moldinger überaus schmerzempfindlich war.

»Kinderkriegen ist halt immer mit Schmerzen verbunden«, grollte Christian Ritter. »Man kann die Schmerzen zwar weitgehend ausschalten, erträglich machen, aber ein Spaziergang ist es eben doch nicht, ein Kind auf die Welt zu bringen.«

Christa Moldinger lag auf dem Entbindungsbett und stöhnte laut.

Der Chefarzt trat neben sie und leitete ab sofort die Entbindung. Sie war einfach, ohne jede Komplikation.

Der Klinikchef verabscheute die supermodernen Geburtspraktiken, obschon er sein Haus ganz und gar darauf eingestellt hatte, wohl wissend, dass er das Zepter nicht mehr lange schwingen würde, dass seine Zeit gekommen war, die Zeit des Abtretens, des Überwechselns in den Ruhestand.

O ja, er hatte vorgesorgt in jeder Beziehung. Seine einzige Tochter Anja war genau in die Fußstapfen des Vaters getreten, hatte nicht nur die gynäkologische Facharztausbildung erfolgreich absolviert, sondern entwickelte obendrein Fähigkeiten, wie er sie nie bei ihr erhofft und vermutet hatte. Sie war nicht nur eine begabte erfolgreiche Ärztin, ihre Qualitäten lagen zumindest genauso auf kaufmännisch organisatorischem Gebiet.

Er hatte keine Bedenken, ihr die Leitung der Klinik anzuvertrauen, aber er wünschte dennoch, dass sie dabei einen Mann zur Seite hätte. Einen tüchtigen, einsatzfreudigen, fachkundigen, aufgeschlossenen Kollegen, der es sich zur Ehre gereichen ließ, Schwiegersohn des alten Ritter zu werden. Thorsten Schäfer, sein Oberarzt, schien der ideale Kandidat zu sein.

»Wenn ihr hier fertig seid, kommt doch bitte auf einen Sprung in mein Büro, ja?«

»Gern, Vater.«

»Gewiss, Herr Chefarzt.«

Dr. Schäfer versorgte die erschöpfte, nun aber bereits glücklich lächelnde Mutter.

Anja kümmerte sich um das Neugeborene. »Ein prächtiges kleines Kerlchen, Frau Moldinger. Haben Sie sich schon einen Namen für Ihren Sohn ausgedacht?«

»Andreas...«, hauchte die Wöchnerin selig. »Er soll Andreas heißen, unser Stammhalter.«

Zwanzig Minuten später betraten Anja Ritter und Thorsten Schäfer gemeinsam das Chefarztbüro im Erdgeschoss der Klinik. Vor ein paar Monaten erst war es umgebaut, renoviert und mit neuen Möbeln ausgestattet worden. Jetzt gab es eine Verbindungstür zum Vorzimmer, in dem eine bereits in Pension gegangene Schwester residierte. Nicht gerade zur Zufriedenheit des alten Herrn und auch nicht mit den notwendigen Kenntnissen. Aber wenigstens war das Telefon besetzt und auch für ein paar einfache Briefe reichte es zur Not auch.

»Am ersten November wird sich hier einiges ändern«, verkündete Ritter. »Seht euch das nur an...« Er schob seiner Tochter ein dünnes Aktenstück zu. »Endlich habe ich die ideale Sekretärin gefunden. Ich hab sie herbestellt und möchte, dass ihr sie euch anschaut.«

»Wir?«, murmelte Dr. Schäfer erstaunt. »Verzeihung, Herr Chefarzt, aber...«

»Geschenkt! Ersparen Sie sich die Frage. Ich weiß genau, was Ihnen daran so seltsam erscheint: Was Sie damit zu tun haben. Das wollten Sie doch gerade fragen, ja? Was Sie das angeht? Nun, eine ganze Menge, mein Lieber.«

Sein Blick huschte von Thorsten zu Anja, blieb am Gesicht der Tochter hängen und das bewirkte, dass Anja langsam errötete.

»Bitte, Vater...« Sie murmelte es so leise, dass man es kaum hörte. Eigentlich war es nur die Bewegung ihrer Lippen, aber es reichte aus, um Ritter zu einer ungeduldigen Handbewegung zu veranlassen.

»Nein, nein, ich will es hinter mich bringen Dr. Schäfer!«

»Herr Chefarzt!«

»Wären Sie gegebenenfalls in der Lage, in mir auch etwas anderes zu sehen als nur Ihren Chef?«

Thorsten wurde verlegen. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was Sie meinen.«

»Dann will ich es Ihnen erklären. Manche Leute brauchen halt eine Holzhammernarkose. Sie arbeiten gern mit meiner Tochter zusammen, wie?«

»O ja, natürlich.«

»Und als Mensch, wie gefällt sie Ihnen als Mensch?«

Thorsten befeuchtete kurz seine Lippen.

»Ich schätze Ihre Tochter außerordentlich, Herr Chefarzt.«

»Gut, sehr gut. Hochachtung voreinander ist eine der wichtigsten Voraussetzungen überhaupt. Alles andere kommt später von allein.«

»Alles andere?«

Ritter machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Die sogenannte Liebe beispielsweise, von der soviel geredet wird. Alles Unsinn, man kommt ohne sie viel besser zurecht. Mit Respekt, Achtung, Freundschaft. Na, ihr werdet schon die passende Lebensform finden, da bin ich ziemlich sicher. Was meine Tochter braucht, ist ein Mensch, mit dem sie reden, auf den sie sich verlassen kann. Der weiß, was sie zu bieten hat...«

»Vater, bitte!«

»Natürlich hast du eine Menge zu bieten!«, sprach Ritter ungeniert weiter. »Die Klinik, beispielsweise. Ist das nichts? Die Zusammenarbeit. Eine höchst lukrative Zusammenarbeit, lieber Schäfer, das darf ich Ihnen versichern. Sie werden es nicht bereuen, niemals werden Sie es bereuen. Natürlich müssen wir einen passenden Status finden. Es geht nicht an, dass Sie meiner Tochter unterstellt werden, nein, das nicht. Gleichberechtigt sollt ihr nebeneinander arbeiten, euch gegenseitig helfen, einer dem anderen. Und machen Sie kein so erschrockenes Gesicht. Ich müsste sonst denken, dass Ihnen mein Plan nicht gefällt. Lassen Sie sich ruhig Zeit zum Verdauen. Man wird schließlich nicht alle Tage Prinzgemahl. Ja und wie gesagt, wenn sich die neue Sekretärin vorstellt, werden wir sie uns gemeinsam anschauen und dann entscheiden, ob sie für uns in Frage kommt. Ein bisschen will ich schließlich noch am Ball bleiben und nicht gleich aufs Altenteil abgeschoben werden. Aber das Mädchen soll von vornherein wissen, wer hier die maßgeblichen Leute sind, wem sie verantwortlich ist. Mir nämlich, meiner Tochter und Ihnen, lieber Schäfer.«

Thorsten hätte später nicht mehr zu sagen gewusst, wie er aus dem Chefarztbüro herausgekommen war. Hinter seiner hohen klugen Stirn wirbelten die Gedanken.

Es war Anjas Stimme, die ihn auf den Boden der Tatsachen zurückbrachte.

»Vermutlich sollten wir uns von nun an, wenn es nach dem Willen meines Vaters ginge, als eine Art Brautpaar betrachten«, lächelte sie ironisch. »Ich wusste zwar, dass er so etwas plante, aber ich hatte keine Ahnung, dass er bereits heute damit herausrücken würde. Mir ist das alles ziemlich peinlich Herr Schäfer. Takt und Fingerspitzengefühl gehörten noch nie zu den Stärken meines Vaters. Fühlen Sie sich überfahren? Sie müssen wissen, dass in Vaters Augen alles und jedes seinen festen Platz, seinen sicheren Wert hat. Auch ich, seine einzige Tochter, die spätere Erbin der Klinik, stelle nur einen Aktivposten in seiner Bilanz dar. Tochter mit Klinik braucht passenden Partner. So ungefähr mögen seine Überlegungen abgelaufen sein. Er nimmt es Ihnen bestimmt nicht übel, wenn Sie nein sagen.«

»Und Sie, Anja?«, fragte Thorsten.

Dr. med. Anja Ritter wurde leicht verlegen. Es stand ihr gut, verschönte die interessanten Züge.

»Ich mag Sie und ich schätze Sie. Sie sind anders als die anderen. Ernster, zuverlässiger, vielleicht sogar besessen von Ihrem Beruf. Genau wie ich. Stillstand gibt es bei mir nicht. Es muss weitergehen, immer weiter. Wenn Sie genauso denken...«

»Ja?«

»Dann kann eigentlich nicht viel schief gehen«, sagte Anja Ritter kameradschaftlich. »Wollen wir nicht wenigstens den Gedanken gemeinsam ventilieren? Vaters Vergleich mit dem Kronprinzen

gefällt mir allerdings überhaupt nicht. Für mich gibt es nur gleichberechtigte Partner, auch oder erst recht in der Ehe. Wenn Sie glauben, sich darauf einstellen zu können, dürfen Sie Anja und du zu mir sagen. Na?«

Thorsten war nicht sicher, ob er das alles auch wirklich erlebte. Die Stimme der Frau, in der er niemals etwas anderes gesehen hatte als die Tochter des Chefarztes und eine begabte, tüchtige, sympathische Kollegin, rauschte an seinem Ohr vorbei. Sekunden später erst wurde er sich bewusst, dass Anja ihm eine Frage gestellt hatte. Eine knappe, burschikose Frage.

Thorsten rettete sich in ein Grinsen. »Und ob, Anja.«

»Na fein«, nickte sie und wandte sich bereits zum Gehen. «Dann also auf gute Freundschaft Thorsten und vielleicht auch mehr.«

2

In dieser Nacht schlief Thorsten Schäfer nur wenig, fragte sich immer wieder, ob es auch wirklich stimmt. Er sollte in naher Zukunft die Tochter seines Chefs heiraten, die Kollegin Dr. Anja Ritter, zur Zeit Oberärztin der Frauenklinik Dr. Ritter und damit seine Vorgesetzte.

Er mochte sie sehr, empfand sogar Hochachtung für sie, respektierte ihr Können, ihre beruflichen Erfahrungen, die Fähigkeit, das Personal mehr oder weniger durch einen Wink ihres kleinen Fingers zu dirigieren.

Aber nie wäre ihm der Gedanke gekommen, in ihr eine Frau zu sehen, ein Mädchen, mit dem man lachen, flirten, albern könnte. Sie war ein paar Jahre älter als er, aber das machte nichts aus, wirklich nicht. Je länger er über sie nachdachte, um so geringer erschienen ihm die Probleme.

Thorsten gähnte herzhaft und warf sich auf die andere Seite. Drei Uhr morgens, höchste Zeit, dass er endlich einschlief. Um sieben erwartete ihn ein anstrengender Operationstag.

Gewaltsam zwang er sich zur Ruhe, versuchte alle Gedanken abzuschalten. Früher hatte das immer ganz prächtig funktioniert und auch diesmal gelang es wenigstens für kurze Zeit. Dann rasselte das Telefon neben seinem Ohr und als er sich meldete, ließ ihn die Nachtschwester wissen: »Hier ist gerade eine Patientin gekommen, die über heftige Leibschmerzen klagt, Herr Doktor. Sie wohnt in der Nachbarschaft, deshalb will sie nicht erst bis zum Städtischen Krankenhaus fahren. Sie sagt, dass sie vermutlich schwanger sei und seit heute morgen Blutungen habe.«

»Ich komme!«, sagte der Arzt nur. Er ließ den Hörer einfach fallen, schlüpfte in seine bereitliegenden Kleidungsstücke und rannte aus dem sachlich modern eingerichteten Assistentenzimmer im obersten Klinikgeschoss.

Die neue Patientin war bereits entkleidet und lag auf dem Untersuchungstisch. Sie war auffallend blass und wirkte sehr schwach.

»Ich bin Dr. Schäfer. Was führt Sie zu uns, Frau...?«

»Rohm, Daniela Rohm. Ich hab schreckliche Schmerzen, Herr Doktor. Es fing schon am frühen Abend an, aber da glaubte ich noch, dass es von allein besser werden würde. Richtig schwindlig war mir, ich wurde immer schwächer. Mein Mann ging um sieben zur Nachtschicht, ich war allein zu Haus und legte mich ins Bett, immer in der Hoffnung, dass ich vielleicht schlafen könnte und gesund wieder aufwachen würde. Aber es ging nicht.«

Thorsten umspannte ihr Handgelenk mit drei Fingern und prüfte den Puls. Was er herausfand, das gefiel ihm absolut nicht. Offenbar stand sie kurz vor einem Kreislaufkollaps.

»Na, dann wollen wir mal nachsehen, was da los ist.«

Schwester Anita half ihm, reichte ihm die benötigten Instrumente. Er fand den Muttermund leicht violett gefärbt, was durchaus für eine Schwangerschaft sprach. Der Halskanal war geschlossen, eine schwache Blutung sickerte aus der Gebärmutter. Bei einer Fehlgeburt würde die Blutung stärker nach außen erfolgen, es musste sich hier also um eine innere Blutung handeln, durch die Frau Rohm bereits an den Rand des Kreislaufzusammenbruchs gekommen war. Die Bauchdecke war hart und verspannt, der linke Eileiter deutlich aufgetrieben. Das alles war höchst unerfreulich und erforderte schnelles Handeln.

Dr. Schäfer richtete sich auf.

»Tja, Frau Rohm, es tut mir leid, aber wir müssen operieren, und zwar sofort.«

»Nein!«

»Doch«, beharrte er und streifte sich den Plastikhandschuh ab. »Es wäre besser gewesen, wenn Sie sich schon gestern Abend aufgerafft hätten, etwas zu unternehmen, aber für derartige Erkenntnisse ist es jetzt zu spät.«

»Warum, Herr Doktor? Was ist denn mit mir?«

Ihre Augen waren ganz dunkel vor Angst und Sorge.

»Es handelt sich um eine Bauchhöhlenschwangerschaft, genauer gesagt, um eine Eileiterschwangerschaft. Die Ursache für so etwas ist fast immer ein verlangsamter Eitransport. Wie Sie sicher wissen, wird das herangereifte Ei im Eileiter befruchtet und dann normalerweise zur Einnistung in die Gebärmutter transportiert. Wenn nun die Eileiter beispielsweise aufgrund einer früheren Entzündung unwegsam ist, kann es passieren, dass der Transport aufgehalten wird und das Ei nistet sich außerhalb der Gebärmutter, nämlich im Eileiter, ein. Dieses überaus zarte Gebilde hält der heranwachsenden Frucht nicht lange stand, bestenfalls ein paar Wochen, dann zerreißt es schließlich. Es können dabei lebensgefährliche innere Blutungen auftreten, die eine solche Eileiterschwangerschaft zu einem hochaktuellen Ereignis machen. Wie eben jetzt bei Ihnen. Aber seien Sie unbesorgt. Sie sind ja noch rechtzeitig gekommen. Der Rest liegt jetzt bei uns. Verständigen Sie bitte den Chef und die OP -Mannschaft, Schwester Anita.«

»Jawohl, Herr Doktor.«

Daniela Rohm begann zu weinen. »Das wird mir mein Mann nie verzeihen...«

»Aber ich bitte Sie! Dafür können Sie nichts, es ist eine Laune der Natur. Wo kann ich Ihren Mann jetzt erreichen?«

»Gar nicht, er ist Taxifahrer und immer unterwegs.«

»Mit einem Funktaxi?«

»Ja, schon...«

»Wissen Sie die Nummer?«

»Nein, die wechselt sehr oft.«

»Macht nichts«, lächelte der junge Arzt. »Wirklich wichtig sind jetzt nur Sie.«

»Herr Doktor!« Sie tastete mit ihren feuchtkalten Fingern nach seiner Hand. »Werde ich danach auch noch Kinder haben können?«

Thorsten Schäfer zögerte einen Moment. »Das lässt sich jetzt und hier nicht mit Sicherheit sagen. Erst muss ich wissen, was da drinnen los ist, verstehen Sie?«

Daniela Rohm hielt den Atem an. »Nein«, sagte sie. »Nein, ich will es nicht verstehen. Und ich will auch nicht, dass Sie mich operieren.«

»Aber so hören Sie doch, Frau Rohm! Die Zeit ist gegen uns! Wenn nicht sehr schnell etwas geschieht, dann bricht Ihr Kreislauf zusammen. Sie haben bereits sehr viel Blut verloren, das nun ersetzt werden muss. Aber damit allein ist es auch nicht getan. Wir müssen die Quelle der Blutung finden, je eher, um so besser.«

»Nein!«, schrie die Frau. »Nein, ich lass mich nicht operieren! Schwester! Schwester! Er soll mich nicht anfassen, ich will es nicht!«

Und dann, ganz plötzlich, war Anja da und ergriff die Initiative. Als sie merkte, was los war, ließ sie sich mit der Taxizentrale verbinden. Zu Thorsten sagte sie: »Du kannst ruhig schon mal anfangen. Ich erledige inzwischen das andere.«

Er starrte sie an. »Das kann zu Schwierigkeiten führen.«

»Natürlich«, nickte Anja lächelnd. »Aber daran sind wir doch hinreichend gewöhnt, nicht? Vater schläft übrigens, ich wollte ihn nicht wecken. Das hier schaffen wir beide doch auch allein. Krüger ist schon im OP und hält sich für die Narkose bereit. Haben Sie Blutkonserven bestellt, Schwester Anita?«

»Ja, aber... Frau Doktor, die Frau will nicht, sie weigert sich beharrlich. Wir können doch unmöglich ohne Einwilligung der Patientin...«

»Das lassen Sie nur meine Sorge sein«, sagte Anja kühl und beherrscht. Im nächsten Moment sprach sie in den Hörer. »Mein Name ist Dr. Ritter, ich bin Ärztin und brauche dringend Ihre Hilfe, Fräulein. Bei Ihnen fährt ein gewisser Albert Rohm in der Nachtschicht. Ist das richtig?«

»Ja, das stimmt.«

»Können Sie ihn über Funk erreichen?«

»Selbstverständlich.«

»Tun Sie das bitte und dirigieren Sie ihn hierher. Die Adresse ist Parkallee 40, Ritter-Klinik. Es müsste allerdings sehr schnell gehen. Fühlen Sie sich dieser Aufgabe gewachsen oder soll ich von hier aus die Polizei einschalten?«

»Na, hören Sie! Das ist doch ein Kinderspiel!«

»Hoffentlich!«, sagte Anja trocken. »Ich werde in etwa zehn Minuten noch einmal anrufen. Sicher haben Sie den Mann in der Zwischenzeit erreicht. Ende.«

Mit der Uhr in der Hand blieb sie sitzen. Alles andere würde Thorsten auch allein erledigen können. Was jetzt vonnöten war, lag nicht unbedingt nur auf medizinischem Gebiet. Das andere war mindestens genauso wichtig. Sie musste mit dem Mann der Patientin sprechen, ihn zur Vernunft bringen, ihm das Einverständnis zu der Operation abringen.

Genau zehn Minuten nach dem ersten Anruf setzte sie sich erneut mit der Funktaxizentrale in Verbindung und erfuhr: »Herr Rohm ist auf dem Wege zu Ihnen...«

3

Dr. Krüger leitete die Narkose ein. Die Patientin schlief bereits. Dafür hatte eine intravenöse Injektion gesorgt. Nun schob er den Trachealkatheter durch den Kehlkopf, durch welchen ihr Sauerstoff und Narkosegas zugeführt werden konnte.

»Fertig, Kollege, von mir aus kann’s losgehen.«

Dr. Schäfer seufzte verhalten. »Von mir aus auch, aber wir müssen noch warten.«

»Worauf?«, fragte Krüger erstaunt.

Thorsten gab ihm keine Antwort. Was hätte er auch sagen, was erklären sollen? Dass die Patientin die Zustimmung zur Operation verweigert hatte?

Tröpfelnd verrannen die Minuten. »Mehr Zeit dürfen wir aber nicht mehr verschwenden«, murrte Krüger. »Der Blutdruck sackt immer weiter ab.«

»Hängen Sie eine neue Konserve an.« Die Nervosität im Operationssaal wurde stärker, unerträglicher. Endlich kam Anja, Dr. med. Anja Ritter, die Tochter des Chefs.

»Alles in Ordnung«, sagte sie ruhig. »Habt ihr noch nicht angefangen? Ich stehe auch gleich zur Verfügung.«

Thorsten atmete erleichtert auf, nahm aus der Hand der Operationsschwester das Skalpell entgegen, verständigte sich mit einem letzten Blick darüber, dass bei Krüger alles in Ordnung war.

»Besser wird's ohnehin nicht«, knurrte der Anästhesist.

Dr. Schäfer setzte einen bogenförmigen Schnitt im Bereich der rasierten Schamhaare und spaltete das Unterhautgewebe bis zur derben Faszie der Bauchmuskulatur.

Er ließ ein paar spritzende Gefäße unterbinden und hoffte inständig, dass er die Quelle der lebensgefährlichen Blutung möglichst schnell finden würde.

Als er das schimmernde Bauchfell spaltete, quollen ihm große Mengen Blut entgegen. »Absaugen!«

Anja hatte ihren Platz am OP-Tisch eingenommen und war bereits in Aktion getreten. Ruhig und sicher bediente sie das Sauggerät.

»Na, bitte!« Thorsten deutete in die Tiefe des Leibes hinein. »Der linke Eileiter ist geplatzt. Kein Wunder, dass sie uns fast unter den Händen verblutet wäre.« Er setzte einige Klemmen, um das noch immer heraus sickernde Blut zu stoppen. »Wie sieht’s da oben aus, Kollege Krüger?«

»Heiter bis wolkig, Tendenz fallend«, nuschelte der Narkotiseur. »Ich tue, was ich kann, aber viel ist es nicht.«

»Nur nicht nervös werden«, raunte Anja ihm zu, während er den Eileiter abtrug. Schneiden, nähen, unterbinden, schneiden. Fertig.

»Fertig!« Erleichtert richtete er sich auf, straffte die erlahmte Rückenmuskulatur, verlegte sein Körpergewicht von einem Fuß auf den anderen, beugte sich dann erneut über das Operationsfeld, um eventuelle weitere Defekte zu ermitteln. Der angrenzende Eierstock war in Ordnung und auch rechtsseitig konnte er keine krankhaften Veränderungen entdecken. Somit bestand immerhin noch eine fünfzigprozentige Aussicht auf Kindersegen und Frau Rohm hatte sich ganz überflüssigerweise aufgeregt.

Der schichtweise Verschluss der Bauchdecken nahm sehr viel mehr Zeit in Anspruch als ihre Eröffnung.

Als die Patientin hinausgefahren worden war, blickte Thorsten zur Uhr über der Eingangstür. Halb sechs. In einer Stunde würde das normale Operationspensum dieses Tages beginnen. Er aber fühlte sich bereits jetzt müde und zerschlagen.

Anja trat neben ihn, lächelte und sagte: »Leg dich jetzt erst mal ein paar Stunden aufs Ohr. Ich werde dich bei Vater entschuldigen und ihm alles erklären.« Sie. schien es merkwürdig eilig zu haben, ihn loszuwerden, und wich nicht von seiner Seite, solange er sich noch im Operationstrakt der Klinik befand.

Thorsten war zu müde, um ernstlich darüber nachzudenken. Und viel zu froh, dass letztlich alles noch mal gutgegangen war.

4

Tückisch starrte der Taxifahrer Albert Rohm die Ärztin an. »Wer hat Ihnen erlaubt, meine Frau zu operieren?«

»Die Umstände, Herr Rohm. Als sie zu uns kam, war sie bereits so ausgeblutet, dass der Kreislauf jeden Moment zusammenzubrechen drohte.«

»Na und ist er zusammengebrochen?«

»Dann hätten wir nichts mehr für Ihre Frau tun können«, erwiderte Anja kühl. »Nur eine sofortige Operation war die Rettung. Und der Erfolg gibt uns Recht. Ihre Frau hatte eine Eileiterschwangerschaft. Sie wissen, was das bedeutet?«

»Nein. Weiß ich nicht!«, murmelte er und Anja Ritter erklärte ihm die biologischen Zusammenhänge in einfachen leichtverständlichen Worten.

»Sie war schwanger...«, murmelte Rohm erschüttert. »Nach sechseinhalb Ehejahren endlich schwanger. Und ich dachte schon, sie könnte überhaupt nicht... Ich meine dass wir vielleicht niemals Kinder haben würden. Aber nun hat sie doch bewiesen, dass es geht, nicht? Jetzt kann man doch aufs neue hoffen...«

Anja zog die Brauen hoch.

»Sie haben also, wenn ich das gerade richtig verstand, an der Gebährfähigkeit Ihrer Frau gezweifelt, wie?«

»Na ja...«, murmelte Rohm. »Wenn man so lange versucht und sich immer noch nichts tut... An mir liegt es jedenfalls nicht, das hat der Doktor schon vor zwei Jahren festgestellt. Aber die Daniela war ja immer schon ein bisschen schwächlich.«

»Unsinn! Ihre Frau ist völlig in Ordnung. Solche Eileiterschwangerschaften kommen häufiger vor als Sie denken. Lassen Sie ihr jetzt ein paar Monate Zeit, um sich von der Operation zu erholen, und dann...«

Rohm stand auf. »Paar Monate? Das soll wohl ein Witz sein?«

»Mir ist nicht nach Witzen zumute, Herr Rohm. Wir haben soeben eine recht umfangreiche Unterleibsoperation durchgeführt. So etwas nimmt ziemlich mit. Nicht nur die Patientin, auch die Ärzte, das dürfen Sie mir glauben.«

»Paar Monate!«, schrie Rohm los. »Das hätte mir gerade noch gefehlt! Wegen so ‘ner Kleinigkeit kann man doch nicht, wer weiß, wie lange, Schonzeit beanspruchen! Wenn meine Mutter das hört, kriegt sie glatt ‘nen Lachkrampf. Die hat sieben Kinder geboren und war hinterher gleich wieder auf dem Posten.«

»Eine Frau ist nicht wie die andere, daran sollten Sie sich gewöhnen. Pflichtgemäß mache ich Sie darauf aufmerksam, dass wir den linken Eileiter bei Ihrer Frau entfernen mussten. Das bedeutet, dass ihre Chancen, Kinder zu gebären, theoretisch auf fünfzig Prozent zurückgegangen sind.«

Rohm schnappte nach Luft.

»Und das sagen Sie mir erst jetzt?«, wütete er. »Warum hat man mich nicht früher verständigt? Da hab ich doch auch noch ein Wörtchen mitzureden oder?«

»Es handelte sich um eine Notoperation. Sie waren nicht schnell genug zu erreichen. Ich musste ziemliche Klimmzüge unternehmen, um endlich Kontakt mit Ihnen zu bekommen.«

»Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, an meiner Frau herum zu schnippeln!«, brüllte Rohm. »Ich werde Sie dafür zur Rechenschaft ziehen, Sie und diese ganz verflixte Klinik!«

»Tun Sie das«, nickte Anja gelassen und wandte sich ab. »Aber vergessen Sie darüber nicht, sich wenigstens hin und wieder mal nach dem Befinden Ihrer Frau zu erkundigen.«

Das alles und einiges mehr erfuhr Dr. Thorsten Schäfer, als er sich gegen neun wieder im Vorbereitungsraum einfand. Zwei Stunden Schlaf, eine Wechseldusche und ein gutes Frühstück

hatten ausgereicht, um seine Lebensgeister wieder zu wecken. Jetzt fühlte er sich fit genug, um den Aufgaben dieses Vormittags gerecht zu werden.

Ritter kam heraus, klopfte ihm leutselig die Schulter.

»Sie brauchen sich nicht zu waschen, mein Lieber. Ich hab den Plan ein bisschen abgeändert, die nicht gar so wichtigen Dinge auf morgen verschoben. Übrigens brauche ich Sie für eine andere Sache...«

»Ja bitte, Herr Chefarzt?«

»Kommen Sie mal mit!«, schmunzelte Ritter. »Meine Tochter macht gerade noch eine Abrasio, aber das dürfte sie auch ohne uns schaffen.«

Thorsten hatte keine Ahnung, was das bedeutete. Er ging neben dem alten Herrn her, kam sich ein wenig töricht vor, sah aber keine Möglichkeit, sich ihm zu widersetzen.

Ritter steuerte das Chefarztbüro an, ließ Thorsten den Vortritt, öffnete leise die Verbindungstür zum Sekretariat, deutete mit der Kinnspitze auf eine zierliche Mädchengestalt, die hinter dem Schreibtisch saß und auf einen Stenogrammblock starrte.

Thorsten hörte auf zu atmen, war unfähig, auch nur den kleinen Finger zu rühren. Er kannte dieses Mädchen nicht, hatte es nie zuvor gesehen, aber er wusste, ahnte, spürte, dass es eine schicksalhafte Begegnung war, die sich hier gerade vollzog.

Sie hatte ein sehr zartes Profil, langes schwarzes, in der Mitte gescheiteltes Haar, das locker bis auf die Schultern fiel. Die makellos gerade Nase nahm die schöne klare Linienführung auf, die vom Haaransatz bis zum Hals reichte. Ihre Haut war hell und transparent, der Mund voll und rot, auch ohne Lippenstift. Weit standen die veilchenblauen Augen auseinander. Sie sah und hörte offensichtlich nichts, war völlig in ihr Stenogramm vertieft.

»Wer ist das?«, fragte Thorsten.

»Meine neue Sekretärin!«, schmunzelte Christian Ritter. »Das heißt, noch ist sie's nicht. Aber wir werden den Vertrag bestimmt noch heute unterzeichnen.«

Ritters neue Sekretärin! In Thorstens Ohren dröhnte das Blut. Er war drauf und dran, den alten Herrn zu beschwören, er möge das Mädchen nicht einstellen, auf gar keinen Fall. Aber es gab keine Erklärung für eine solche Forderung. Er begriff sie und sich ja selber nicht.

»Nein«, murmelte er.

»Doch!«, nickte Ritter gönnerhaft. »Wenn sie ebenso gescheit ist wie hübsch, können wir uns doch nur dazu gratulieren, wie?«

»Ich... weiß nicht recht. Sie ist noch sehr jung.«

»Hat aber glänzende Zeugnisse.«

»Wie heißt sie denn?«

»Abels. Stefanie Abels. Passt zu ihr der Name, nicht?« Der Klinikchef lächelte. »Und jetzt werde ich Sie mal mit der jungen Dame bekannt machen.«

Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als seinem Chef zu folgen und selbst, wenn er einen plausiblen Grund gefunden hätte, um sich vor dieser Begegnung zu drücken, so würde das nichts nützen, gar nichts. Er empfand das Schicksalhafte dieser Gegenüberstellung wie einen unausweichlichen Zwang und vielleicht war es das in der Tat.

»Nun, meine Liebe«, lärmte Ritter jovial. »Wie sind Sie denn zurechtgekommen?«

»Ganz gut, glaube ich, Herr Chefarzt.« Sie reichte ihm das sauber getippte Gutachten, ohne Thorsten auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Er fand sie noch schöner, noch liebreizender als vorhin aus der sicheren Fünf-Meter-Entfernung. Ihr Teint war zart und von makelloser Reinheit. Nicht die Spur eines Make up ließ sich entdecken.

»Ausgezeichnet!«, lobte Ritter. »Wirklich, ganz ausgezeichnet

haben Sie das gemacht. Sehen Sie mal, Schäfer! Schauen Sie sich das an. Fabelhaft, wie? Erstklassig! Ich bin außerordentlich zufrieden mit Ihnen, liebes Fräulein. Ach so, ja, dies ist übrigens Dr. Schäfer, mein...«

»Assistent«, fiel Thorsten ihm hastig ins Wort.

Ritter nickte ohne aufzusehen, ergötzte sich förmlich an den sauber getippten Reihen.

»Mein Assistent, ja, das auch. Sehr tüchtig, dieser Schäfer, sehr gewissenhaft. Er wird einmal...«

»... ein ganz brauchbarer Gynäkologe werden...«, sagte Thorsten schnell.

Ritter war nicht bei der Sache, glücklicherweise. Er nickte, lächelte, las noch einmal den trockenen, ordentlich getippten Text des Gutachtens, gab ihn schließlich zurück. »Sie sind engagiert. Können Sie am ersten November anfangen?«

»Gewiss, Herr Chefarzt.«

Eine sanfte Röte überflutete ihr apartes Gesicht. Die Veilchenaugen spiegelten unverhohlene Freude wider. Bis zu diesem Moment hatte Thorsten noch verzweifelt gehofft, dass etwas dazwischenkommen würde, irgend etwas. Aber es kam nichts dazwischen.

»Wenn Sie es wünschen, könnte ich auch schon früher kommen.«

»Am fünfzehnten?«, fragte Ritter begeistert.

»Ja, das ginge.«

Am fünfzehnten! Thorsten biss die Zähne so fest zusammen, dass sie protestierend knirschten. Wann war denn nur dieser verdammte Fünfzehnte?

»Das wäre morgen in einer Woche«, lächelte das Mädchen.

»Wunderbar! Ich werde den ganzen Schreibkram für Sie aufheben.«

»Bitte sehr, Herr Chefarzt.«

»Und Dr. Schäfer auch.«

»Ich brauche keine Sekretärin«, sagte Thorsten steif.

»Das wird sich sehr bald ändern, wenn Sie erst mal mein...«

Genau im richtigen Moment klingelte das Telefon. Thorsten stürzte sich auf den Apparat. »Hallo Schäfer hier. Was gibt's?«

Anjas raue, leidenschaftslose Stimme versetzte ihn zurück in das, was er war und sein wollte.

»Komm bitte sofort herauf, Thorsten, hier gibt's Komplikationen.«

Er richtete sich zu seiner vollen Höhe auf und nickte gemessen. Mitten in die Veilchenaugen Stefanie Abels hinein sagte er so förmlich wie es nur möglich war: »Ja, sofort. Ich bin in zwei Minuten oben.«

5

Stefanie ging wie auf Wolken. Endlich hatte sie das erreicht, was sie sich erträumt hatte!

»Chefarztsekretärin Stefanie Abels«, sagte das Mädchen halblaut zu sich selbst und drückte auf den Klingelknopf neben der Haustür.

Ihre Wohnung lag ganz oben, gleich unterm Dach. Es gab keinen Fahrstuhl, nur eine schmale ausgetretene Treppe, die sie jetzt hinaufstürmte.

Oben, neben der geöffneten Tür, stand ihre Freundin Ingeborg, mit der sie die Wohnung teilte.

«Na?«

»Geklappt!«, strahlte Stefanie. »Am 15. Oktober fange ich an. Ist das nicht wunderbar?«

»Gratuliere. Das müsste eigentlich gefeiert werden.«

»Und ob wir das feiern werden! Den Erfolg verdanke ich schließlich dir, Ingeborg.«

»Blödsinn.«

»Gar nicht. Wenn du mir nicht den Tipp gegeben hättest, mir durch kurzfristige Aushilfsjobs genügend praktische Erfahrung anzueignen, würde ich jetzt vermutlich in einem vollklimatisierten Großraumbüro sitzen und nichts anderes sein als eine von vielen.«

»Und was bist du wirklich?«

»Chefarztsekretärin!«, lachte Stefanie vergnügt. »Wie hört sich das an?«

»Ganz gut. Bist du zufrieden?«

»Ich bin glücklich. Der alte Ritter ist wirklich sehr nett. Er hat mir ein saftiges medizinisches Gutachten zur Probe diktiert, bei dem mir himmelangst wurde. Aber es hat geklappt, dank des Wörterbuches, das du mir in die Tasche praktiziert hattest. Wenn ich dich nicht hätte, Ingeborg! Was wäre dann wohl aus mir geworden?«

»Stell dich nicht so an! Du hättest es auch ohne mich geschafft. Viel konnte ich ohnehin nicht für dich tun. Du bist halt ein Glückspilz.«

»Ja, das ist mir beim Abitur so richtig bewusst geworden«, sagte Stefanie trocken.

»Schätzchen, du bist durchs Abitur gerasselt, weil du damals gerade unglücklich verliebt warst und an nichts anderes denken konntest, als eben an ihn, den Herrlichsten von allen, der sich einen feuchten Kehricht darum gekümmert hat und nicht einmal merkte, wie sehr du ihn anhimmelst.«

Stefanie ließ sich die gute Laune nicht verderben. »Erstens bin ich nicht durchgerasselt, sondern habe mir lediglich ein paar schlechte Noten eingehandelt und zweitens war ich gar nicht richtig verliebt, sondern höchstens verblendet. Mein Büro in der Ritter-Klinik ist übrigens eine Wucht. Die ganze Atmosphäre gefällt mir, ich kann es kaum erwarten, dort anzufangen. Wenn es bloß schon soweit wäre!«

»Ich werde dafür sorgen, dass dir die Zeit nicht lang wird«, lächelte Ingeborg Köhler. »Du kannst mir bei der Übersetzung des Märchenbuches helfen. Soweit reichen deine Englischkenntnisse allemal.«

»Einverstanden! Aber nur unter der Bedingung, dass du dich heute Abend von mir zum Essen ausführen lässt.«

Ingeborg schüttelte missbilligend den Kopf.

»Kaum ist der Vertrag unter Dach und Fach, schon willst du leichtsinnig werden.«

Aber sie kam dann doch gern mit!

6

Der 15. Oktober zog als strahlend heller Herbsttag herauf. Bunte Astern, leuchtende Dahlien und die letzten Rosen dieses Jahres wetteiferten miteinander in der Entfaltung ihrer ganzen Pracht.

Für all das hatte die junge Chefarztsekretärin Stefanie Abels keinen Blick. Sie war viel zu froh, dass der große Tag endlich gekommen war und sie hoffte nichts sehnlicher, als dass es ihr gelingen möge, den heiß erstrebten Posten zur Zufriedenheit ihres Chefs auszufüllen.

Ihr Herz pochte ein wenig schneller, als sie die Türklinke zum Sekretariat hinunterdrückte und alles, was sich überhaupt befürchten ließ, stürzte jetzt auf sie ein. Vielleicht hatte Dr. Ritter seinen Entschluss, sie zu engagieren, längst bereut und eine andere Entscheidung getroffen, die er ihr nun gleich verkünden würde. Möglicherweise brauchte er gar keine Sekretärin und hatte sich dieses Vorhaben von irgendwem ausreden lassen. Stefanie zog wirklich alles in Betracht, nicht aber das, was sie nun tatsächlich erwartete.

Dr. Ritter kam ihr mit ausgestreckten Armen entgegen.

»Willkommen, Fräulein Abels. Herzlich willkommen. Sie ahnen ja gar nicht, wie froh ich bin, dass Sie es sich nicht in letzter Minute noch anders überlegt haben!«

»Und ich erst, Herr Chefarzt!«

Auf ihrem Schreibtisch standen Blumen, ein Strauß leuchtend bunter Herbstblüten.

»Dafür hat meine Tochter gesorgt«, sagte Christian Ritter strahlend. »Ich hoffe, Sie werden gut mit ihr auskommen. Mitunter ist sie ein wenig schroff, aber sie meint es niemals böse. Ich bin sehr stolz auf ihre ärztlichen Fähigkeiten, obschon ich anfangs gar nicht damit einverstanden war, dass sie Medizin studieren wollte.«

»Warum nicht?«, fragte Stefanie interessiert. »Ich hatte haargenau dasselbe vor, nur leider fehlten mir die nötigen Voraussetzungen. Mögen Sie keine emanzipierten Frauen, Herr Chefarzt?«

»Wer so hübsch ist wie Sie, hat es doch gar nicht nötig, mit den Männern in Wettbewerb zu treten. Bei meiner Anja war das anders. Auf sie passte der Ausspruch: Wer bis zum zehnten Semester noch keinen Doktor bekommen hat, muss ihn selber machen. Nun, Anja hat es geschafft mit Auszeichnung sogar. Sie ist wirklich eine erstklassige Gynäkologin, sicher in der Diagnose, ein Vorbild für alle. Falls Sie auf irgendeinem Gebiet nicht klarkommen sollten mit ihr, lassen Sie es mich getrost wissen. Ich habe es noch immer geschafft, ihr den Kopf zurechtzusetzen.«

»Frau Dr. Ritter wird keine Veranlassung haben, sich über mich zu beklagen«, sagte Stefanie und sie spürte selbst, dass es merkwürdig steif und verkrampft klang. Sie kannte Ritters Tochter

zwar nur flüchtig, aber sie hatte schon beim ersten und einzigen Zusammentreffen gespürt, dass ihr von der Ärztin nicht ausschließlich Sympathie entgegengebracht wurde. Das war seltsam und ein bisschen irritierend.

Aber vielleicht lag es daran, dass auch sie lieber mit hundert Männern als mit einer einzigen Frau zusammenarbeitete.

»Wenn es Ihnen Recht ist, fangen wir gleich mit dem Diktat an. Auf meinem Tisch liegt einiges, was schon längst erledigt sein sollte, aber ich hatte Sie ja gewarnt.« Ritter zwinkerte vergnügt. »Wir können dann jeden einzelnen Vorgang in Ruhe durchsprechen und ich werde Ihnen sagen, wo Sie die dazugehörenden Unterlagen und alle sonstigen Utensilien finden. Block und Bleistifte liegen in der Schublade.

Stefanie zog diese auf und lächelte. »Vom Diktiergerät halten Sie nichts?«

Ritter wehrte mit beiden Händen ab.

»Ich hasse diesen technischen Kram. Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, in ein Mikrofon zu sprechen und nichts anderes zu hören als nur meine eigene Stimme. Was ich am dringendsten brauche, ist zwischenmenschlicher Kontakt, jemand, der mich auf meine Fehler hinweist und mir sagt, wie ich es besser machen kann. Das mag albern und hoffnungslos verkalkt klingen, aber ich bin nun mal so. Hoffentlich stört Sie das nicht?«

»Im Gegenteil«, lächelte Stefanie.

Auf dem Schreibtisch begann das Telefon zu läuten. Ritter deutete mit einer liebenswürdigen Geste auf den Apparat.

»Für Sie, Frau Abels.«

Stefanie begriff, dass er ihre Gewandtheit im Umgang mit Telefonpartnern prüfen wollte und lächelte in sich hinein.

»Chefarztsekretariat Abels!«, meldete sie sich.

Sekunden später überstürzten sich die Ereignisse. Eine aufgeregte Frauenstimme haspelte. »Geben Sie mir den Chef, schnell!«

Stefanie zögerte nur einen Herzschlag lang, machte sich klar, dass dies eine Klinik mit vielen Einzelschicksalen war, nicht aber ein Industriebetrieb oder ein sonstiges kaufmännisches Unternehmen, wo man getrost voraussetzen durfte, dass alles im vorgezeichneten Rahmen lief.

»Ein dringender Fall für Sie, Herr Chefarzt.«

Ritter nahm den Hörer aus ihrer Hand entgegen. »Wer spricht?«

»Schwester Dora. Frau Rohm hat hohes Fieber und stöhnt vor Schmerzen, man kann sie nicht mal mehr anfassen.«

»Frau Rohm?«

»Die Eileiterschwangerschaft. Kam vor einer Woche als Notfall, wurde von Dr. Schäfer operiert.«

»Gut, ich komme.«

Er verlor keine Zeit, drehte sich erst an der Tür zu Stefanie tun.

»Suchen Sie Schäfer und schicken Sie ihn auf Station. Sagen Sie ihm, was Sie darüber wissen. Mehr ist nicht nötig.«

Stefanie nickte nur. Ihr Alltag als Chefarztsekretärin der Ritter Klinik hatte begonnen...

7

Thorsten war gerade im Neugeborenenzimmer und überzeugte sich vom Wohlbefinden der Säuglinge. Allen ging es gut, sie schliefen, satt und zufrieden, in ihren Bettchen. Ein einziges kleines Mädchen nur, das gestern zur Welt gekommen war, machte ihm Sorgen. Es röchelte beim Atmen, was möglicherweise die ersten Anzeichen für eine beginnende Lungenentzündung sein konnte.

»Schwester Thea?«

»Herr Doktor?«

»Legen Sie die kleine Schilling bitte in ein Intensivbettchen und beobachten Sie genau die Weiterentwicklung. Die Atmung gefällt mir nicht, es könnte sein, dass etwas Fruchtwasser in die Lungen geraten ist. Falls sich der Zustand des Kindes nicht in den nächsten Stunden normalisiert, werden wir uns etwas einfallen lassen müssen.«

»Jawohl, Herr Doktor.« Zunächst jedoch musste Schwester Thea mal das Telefon bedienen. »Wie? Was? Wer ist dort?«, hörte Thorsten sie fragen. »Abels? Frau Abels? Ach so! Sie sind...«

Er stürzte zu dem an der Wand installierten Apparat, riss ihr den Hörer aus der Hand.

»Schäfer hier, guten Tag und herzlich willkommen. Schon gut einge... Wie bitte? Bei Frau Rohm? Der Chef ist bereits dort? Ja, natürlich, ich gehe sofort.«

Er verließ das Neugeborenenzimmer, fuhr mit dem Lift nach unten, wurde sich des Widerstreits seiner Gefühle bewusst. Heute war der 15. Oktober, der Tag, an dem er mit Stefanie Abels zum ersten Mal unter einem Dach arbeiten würde. Eigentlich sollte das überhaupt keine Bedeutung für ihn haben, verflixt noch mal, aber es hatte Bedeutung und ob! Offenbar war dies aber auch der Tag der Komplikationen. Erst das kleine Schilling-Mädchen, nun auch noch Frau Rohm.

Ritter saß auf der Bettkante, hatte die Decke zurückgeschlagen, tastete mit behutsamen, kundigen Händen den Leib der Frau ab. Sie stöhnte qualvoll, sah spitz und gelb und sehr krank aus. Thorsten erschrak bis ins Mark. Seine Kehle wurde rau und trocken. Was war hier passiert?

»Seit wann ist sie so?«, fragte er Schwester Dora.

»Es muss in der Nacht begonnen haben, gestern war alles noch in Ordnung.«

Thorstens Blicke wanderten vom schmerzerfüllten Gesicht der Patientin zum Chefarzt. Ritter schüttelte ganz sacht den Kopf, gerade so, als wollte er ein paar Wassertropfen, die dort nicht hingehörten, loswerden. Auch er war ziemlich ratlos, Thorsten sah es ihm an. Nicht nur wegen der zu stellenden Diagnose, in erster Linie beschäftigte ihn wohl die Frage, warum das so hatte kommen können.

»Peritonitis, Herr Chefarzt?«

»Ich fürchte, ja. Verstehen Sie das?“

»Nein«, sagte Schäfer fest und empfand ein steigendes Unbehagen dabei. Von allen Patientinnen ausgerechnet diese. Eine Frau, die als Notfall gekommen war, deren Leben damals am seidenen Faden gehangen hatte. Deren Ehemann auch so schon ein Mordstheater angezettelt hatte. Peritonitis.

Bauchfellentzündung. Lebensgefahr.

Ritter verordnete hohe Dosen von Antibiotika gegen die gefährliche Entzündung und herzstärkende Mittel, die gleichzeitig den Kreislauf stabilisieren sollten.

Ein Blick in seine wachen Augen verriet Thorsten, dass er mindestens genauso beunruhigt war wie er selbst.

Draußen auf dem Korridor zuckte er unmutig mit den Schultern. »Wenn ich bloß wüsste, wo das plötzlich herkommt. Haben Sie die Fieberkurve gesehen? Bis gestern noch völlig normal und nun so etwas. Na, wir werden natürlich alles menschenmögliche tun. Haben Sie eigentlich schon unsere neue Mitarbeiterin begrüßt?«

Thorsten blieb stehen. Ein Sonnenstrahl erhellte sein Gemüt, verscheuchte die eben noch düsteren Wolken.

»Frau Abels? Nein, dazu war noch keine Gelegenheit.«

»Dann sollten Sie es jetzt nachholen«, sagte Ritter freundlich, hakte sich bei ihm ein, lotste ihn zum Fahrstuhl.

Auch das noch! Nein, er war jetzt ganz und gar nicht in der Stimmung, geheimste Gefühle vorsichtig zu offenbaren, erst recht nicht in Gegenwart des Chefs, der ja schließlich auch noch Anjas Vater war.

Aber er musste mitgehen und all das tun, was Ritter von ihm erwartete.

Doch kaum hatte er ein paar höfliche Begrüßungsfloskeln ausgesprochen, als ein Telefongespräch kam.

»Frau von Treibel verlangt nach Ihnen, Herr Chefarzt«, meldete die Pfortenschwester.

Thorsten mochte die Treibel nicht. Niemand in diesem Hause mochte sie. Jetzt aber, hätte er sie umarmen mögen.

Zwar sagte auch Ritter: »Die Treibel? Ach, du lieber Himmel!« Dann aber sprang er schnell herunter von seinem bequemen Sitz, versenkte beide Hände in die weißen Kitteltaschen. »Na ja, da kann man halt nichts machen. Heben Sie mir eine Tasse Kaffee auf, ich werde sie nötig haben, wenn das hinter mir liegt.«

Stefanie lächelte. »Gern, Herr Chefarzt, natürlich.« Aufmerksam öffnete sie die Tür für ihn, kehrte sodann an ihren Schreibtisch zurück, traf Anstalten, sofort wieder weiterzuarbeiten. Beiläufig fragte sie: »Wer ist das eigentlich, diese Frau von Treibel?«

»Eine hysterische Millionärin, die uns regelmäßig heimsucht, nicht vorhandene Zipperlein kurieren lässt und die gesamte Klinikdisziplin durcheinanderbringt. Glücklicherweise ein Einzelfall. Hätten wir mehrere von der Sorte, wäre es gar nicht zu ertragen.« Er kramte in seinen Taschen nach der Zigarettenschachtel. »Ist das erlaubt?«

»Von mir aus schon, wie Herr Chefarzt dazu steht, weiß ich leider nicht.«

»Sind Sie Nichtraucherin?«

»Interessiert Sie das?«

»Mich interessiert alles, was Sie anbelangt. Ob Sie wohl eine Tasse Kaffee für mich hätten?«, fragte er dann ablenkend.

»Bedienen Sie sich, Herr Doktor. ..«

»Danke.« Er seufzte verhalten. »Dieser Morgen hat es in sich. Eigentlich seltsam, dass sich die aufregendsten Dinge immer dann ereignen, wenn man am wenigsten daran denkt. Sie müssen nicht glauben, dass ich das nur so daher plappere, um Ihnen die Zeit zu stehlen.« Befriedigt sah er, dass sie errötete. Er fuhr schnell fort. »Ich bin nämlich wirklich in großer Sorge. Eine Patientin, die ich unlängst operierte, weist plötzlich deutliche Symptome einer Peritonitis auf. Wissen Sie, was das ist eine Peritonitis?«

»Ja«, sagte Stefanie. »Ich weiß es.«

Schade, dachte Thorsten und nahm einen Schluck Kaffee. »Wir können uns diese Wendung zum Bösen einfach nicht erklären. Der Heilungsprozess verlief bisher normal, sie fühlte sich gut. Übrigens kam die Frau an jenem Tage zu uns, als Sie sich hier vorstellten, daran erinnere ich mich genau. Es war ein Notfall, sie stand kurz vor einem Kreislaufkollaps, hatte permanente Blutungen und ließ uns keine Zeit für irgendwelche Finessen. Der linke Eileiter war perforiert und musste schnellstens abgetragen werden. Das war keine große Sache und ganz und gar nichts, was derartige Komplikationen vermuten ließ.

»Warum regen Sie sich dann so darüber auf?«

»Weil diese Frau auch einen Mann hat, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Sie hat offenbar Angst vor ihm, begründete Angst. Die Rohms sind kinderlos und die Schuld daran gibt er ihr. Nach der Operation sind die Chancen für Frau Rohm nicht gerade gestiegen, das macht die Angelegenheit nur noch schwieriger. Sie wollte unter gar keinen Umständen operiert werden, aber der Eingriff war nötig, um sie überhaupt am Leben zu halten, verstehen Sie?«

»Natürlich verstehe ich das«, erwiderte Stefanie ruhig. »Jeder halbwegs vernünftige Mensch muss es einsehen. Es wird Ihnen bestimmt gelingen, den Mann davon zu überzeugen, Herr Doktor.«

»Thorsten«, sagte Schäfer leise und hielt ihren Blick fest. »Ich heiße Thorsten mit Vornamen, Stefanie. Werden Sie sich das merken können?« Eigentlich hätte er sich wie ein Schurke fühlen müssen, aber nicht mal dazu war er imstande. Er sah nur ihre herrlichen Veilchenaugen, das mädchenhafte weiche Kinn, die Grübchen in den Wangen und den schönen Haaransatz. Die oder keine, durchzuckte es ihn und die Strafe dafür wurde ihm unverzüglich zuteil.

Die Tür ging auf, jemand sagte burschikos. »Oh, Entschuldigung!«

Er kannte diese Stimme und begriff gleichzeitig, dass Stefanie völlig ahnungslos war, was seine Beziehungen zu Anja Ritter anbelangte.

Steif, abweisend grollte er: »Hier gibt es nichts zu entschuldigen, im Gegenteil. Du kommst wie gerufen.«

»Tut mir leid, bin in großer Eile. Chef nicht da? Nein. Dann eben nicht.«

Bevor er es recht begriff, hatte sie die Tür wieder geschlossen, und zwar von außen. Darüber hätte er glücklich oder zumindest froh sein sollen, aber er war weder das eine noch das andere.

8

Zwei Tage später sagte Anja beim Frühstück in der gemütlichen Wohnküche zu ihrem Vater: »Zwischen Schäfer und diesem Mädchen spinnt sich etwas an.«

Christian Ritter runzelte die Brauen. »Wen meinst du?«

»Deine neue Sekretärin, wen denn sonst?«

»Mein liebes Kind... Du siehst Gespenster!«, regte er sich auf.

»Nichts liegt mir ferner als das, im übrigen kann ich ihn verstehen, sie sieht wirklich reizend aus.«

»Ich muss doch sehr bitten, Anja!«

»Was denn, findest du sie etwa nicht hübsch? Ich möchte dir nur wünschen, dass sie wenigstens halb soviel Grips wie Kurven hat. Oder hast du ihr etwa nur aufgrund ihrer Schönheit den Zuschlag gegeben?«

Ritter schnappte nach Luft. »Frau Abels entspricht auf allen Gebieten absolut meinen Vorstellungen von einer Sekretärin, wie sie bei uns gebraucht wird. Sie ist medizinisch bewandert, beherrscht die Terminologie ebenso wie das allgemeine kaufmännische Wissen, weiß vorzüglich mit dem Computer umzugehen, ist pünktlich, fleißig, gewissenhaft, einsatzfreudig...«

»Verschluck dich nicht«, mahnte Anja gemütlich. »Hat das irgend jemand bestritten? Ich finde sie auch sehr nett...«

»Eben sagtest du ...«, schrie Ritter los.

»Eben sagte ich, dass sich zwischen ihr und Thorsten etwas anbahnt und dabei bleibe ich auch.«

Ritter lief krebsrot an. »So. Dabei bleibst du. Es bahnt sich also etwas an. Zwischen meiner Sekretärin und dem Mann, den du heiraten willst.«

»Du«, sagte Anja ungerührt.

»Ich? ich? Was ich?«

»Du willst, dass ich ihn heirate.«

»Das ist eine beschlossene Sache oder etwa nicht?«

»Es war eine halbwegs beschlossene Sache, Vater, aber inzwischen hat sich einiges verändert.«

»Nein!«, protestierte er lautstark.

»Doch. Thorsten hat sich verliebt.«

»Das glaubst du doch selber nicht!«

»Das brauche ich nicht zu glauben. Man kann es sehen. Sogar ein Blinder wäre dazu imstande: Er ist seit ein paar Tagen vollständig verändert, aber es mag gut sein, dass er es gar nicht weiß. Auf alle Fälle hat's ihn erwischt. Hoffentlich ist er sich darüber klar... und weiß entsprechend zu handeln.«

»Ich zweifle an deinem Verstand, Anja!«

»Bitte, tu das nicht«, lächelte sie ironisch. »Er funktioniert nach wie vor ganz prächtig. Ich bin sehr froh, dass es jetzt passiert und nicht irgendwann, dann nämlich wäre es entscheidend problematischer.

Wild flackerte Ritters Blick. »Das darf nicht sein! Alle meine Pläne...«

»Man kann eben nichts erzwingen«, gab die junge Ärztin zurück und niemand ahnte, wie schwer es ihr fiel, ruhig zu bleiben. »Weißt du, Vater, Gefühle sind nicht käuflich, ob man sie nun Liebe, Zuneigung oder wie auch immer nennt. Sie entwickeln sich entweder ganz von allein oder überhaupt nicht. Wohl den Menschen, die sich nicht davon überrollen lassen, denen das erspart bleibt. Ich will Schäfer nicht, Vater. Ich will überhaupt keinen! Lass mich so, wie ich bin. Bitte!«

Ihre flackernden feucht schimmernden Augen standen völlig im Gegensatz zu ihren Worten und der alte Mann begriff, wie tief sie sich getroffen fühlte, wie gekränkt, beleidigt, gedemütigt sie war.

Ritters Zeigefinger fuhr schnell mal zwischen Hals und Hemdkragen, denn dieser schien ihm gefährlich eng geworden zu sein. Er streichelte ihren Arm und den Rücken, tätschelte ihre Hand. Sie war ja schließlich sein einziges Kind, seine zärtlich geliebte Tochter, auch wenn sie es ablehnte, diese Vaterliebe zur Kenntnis zu nehmen. Er würde es nicht zulassen, dass irgend jemand sie kränkte, ob er nun Thorsten Schäfer hieß oder sonst wie.

Anja riss sich los. »Höchste Zeit, dass wir gehen. Kommst du gleich mit oder hast du andere Pläne!« Das war wieder die kühle, immer ein wenig raue leidenschaftslose Stimme der Ärztin Dr. Anja Ritter.

»Geh nur schon«, nickte er müde »und bereite alles für die Visite vor. In spätestens zwanzig Minuten komme ich nach.«

Daniela Rohm lag jetzt in einem winzigen Einzelzimmer neben der Stationsküche. Außer dem Bett und einem schmalen Nachttisch stand nur noch ein Stuhl darin. Auf diesem saß Dr. Thorsten Schäfer und wandte keinen Blick von der Schwerkranken, deren Zustand sich nicht verändert hatte. Hart und gespannt war der Leib, schwach und flatternd die Herzschläge.

Die Fieberkurve zeigte intermittierende Zacken, sicheres Zeichen für eine allgemeine Blutvergiftung. Zum ungezählten Male vergegenwärtigte er sich den Operationsverlauf. Der linke Eileiter war zerrissen gewesen, die dadurch entstandene Blutung viel zu lange ungestoppt. Wenn sie früher gekommen wäre, gleich beim Auftreten der Beschwerden, läge sie jetzt nicht hier in dieser trostlosen Verfassung dem Tode näher als dem Leben.

Aber Daniela Rohm durfte nicht sterben; die Folgen wären unübersehbar. Sie wäre mit Sicherheit zwar längst tot, wenn man sie nicht noch in letzter Stunde operiert hätte. Aber ganz bestimmt würde der Ehemann versuchen, die Schuld an der Peritonitis den Ärzten der Ritter-Klinik in die Schuhe zu schieben und damit in erster Linie ihm.

Dr. Schäfer hatte Anweisung gegeben, den Taxifahrer Albert Rohm von der rapiden Verschlechterung im Befinden seiner Frau zu verständigen, aber der Mann war bisher noch nicht aufgetaucht. Vermutlich grollte er ihr noch immer. Vielleicht gehörte er auch zu jenen Menschen, die aus Prinzip die Schuld für irgendwas bei anderen suchten.

Leise ging die Tür auf. Die Stationsschwester sagte: »Frau Abels hat eine dringende Nachricht für Sie, Herr Doktor. Kann ich sie reinlassen?«

Stefanie! Er nickte stumm, fuhr sich mit den gespreizten Händen durch das Haar.

Dann stand sie auch schon in dem winzigen Raum. Eine überaus erfreuliche Erscheinung, diesmal in Hellblau. »Ich habe Herrn Rohm jetzt endlich erreicht, Dr. Schäfer. Er hat sich aus Hamburg gemeldet und versprach, so schnell wie nur möglich vorbeizukommen. Ehrlich gesagt sehr freundlich war er nicht.«

»Das war auch nicht zu erwarten.« Die Schwester stand neben der Tür und traf keine Anstalten, den Rückzug anzutreten. Er hätte so gern ein paar Worte unter vier Augen mit Stefanie gesprochen, aber die Umstände waren dagegen. »Immerhin... Ich danke Ihnen.«

Sie nickte ernst, schlüpfte schnell wieder hinaus, die Schwester ging ihr nach. Er blieb allein mit der Patientin.

Es wurde Mittag. Man brachte ihm sein Essen. Lustlos, aber wohl wissend, dass er sich bei Kräften halten musste, schlang er ein paar Bissen hinunter. Ins Kasino zugehen, sich wenigstens für eine halbe Stunde ablösen zu lassen, hatte er abgelehnt.

Gegen drei winkte die Schwester ihn hinaus. Steif gesessen erhob er sich, dunkle Ringe der Erschöpfung unter den Augen. »Was ist denn?«

»Herr Rohm.«

Auch das noch! Obwohl er seit Ewigkeiten darauf gehofft, gewartet hatte, kam ihm jetzt die Gegenüberstellung mit dem Ehemann der Patientin wie eine nicht zu bewältigende Kraftprobe vor.

Auch Rohm sah nicht gut aus. Sein Hemd war zerknittert, der oberste Knopf fehlte. Ein zwei Tage alter Stoppelbart machte ihn nicht gerade sympathischer. »Na, habt ihr sie endlich umgebracht?«, knurrte er. »Muss doch ein Bombengefühl sein, jemanden so zu verhunzen! Gratuliere, Doktor! Saubere Arbeit, die Sie da geleistet haben!«

»Schnauze!«, stieß Thorsten hervor. Das entsprach zwar durchaus nicht dem hier üblichen Umgangston, aber es wirkte.

»Wie? Was?«

»Ich sagte Schnauze! Hören Sie schwer? Sie können’s auch lauter haben. Ihre Frau ist nicht gut dran, Herr Rohm, gar nicht gut dran ist sie. Das müsste nicht sein. Das wäre auch mit Sicherheit nicht passiert, wenn sie rechtzeitig gekommen wären und nicht erst, als der verflixte Eileiter schon geplatzt war.«

»Was geht das mich an!«, fauchte Rohm.

»Das geht ausschließlich Sie etwas an!«, gab Thorsten im gleichen rüden Ton zurück. »Wenn die Frau nicht so elende Angst vor Ihnen gehabt hätte, dann wäre sie rechtzeitig zum Arzt gegangen und hätte nicht gewartet, bis sie schon fast verblutet war. Aus diesem Leichtsinn, aus dieser haarsträubenden Angst vor Ihnen«, sagte er so scharf, wie er es unter den gegebenen Umständen fertig brachte, »hat sich eine böse Geschichte entwickelt, eine schlimme Blutvergiftung, die jetzt den ganzen Körper überschwemmt. Wir haben sie bis an die Grenze des möglichen mit Antibiotika vollgepumpt, wir stützen Kreislauf und Herztätigkeit so gut wir können. Beten Sie, dass es hilft, dass Ihre Frau genügend Widerstandskraft aufbringt, um damit fertig zu werden. Mehr als beten ist nämlich nicht drin, falls Sie begreifen, was ich damit sagen will.«

Rohm wurde abwechselnd rot und blass. Seine Hände fummelten an der Schirmmütze herum. Er trat von einem Fuß auf den anderen und sah plötzlich gar nicht mehr wie ein Rächender aus.

»Ja, aber Doktor... Sie kann doch nicht einfach... Ich meine, das geht doch nicht! Wir wollten uns nämlich selbständig machen, ein eigenes Taxi und so. Dafür brauche ich sie doch! Sie

müssen etwas tun, Doktor. Sie müssen!«

Thorsten bedachte ihn mit zerschmetterndem Blick. »Ach nee! Muss ich. Und Sie? Was müssen Sie? Können Sie noch was anderes als nur schreien, toben, lamentieren? Wollen Sie Ihre Frau nicht wenigstens sehen? Kommen Sie nur, kommen Sie! Es gibt Schocks, die sehr heilsam sein können.«

Energisch schob er ihn ins Krankenzimmer, sah sein Erschrecken, das Entsetzen, welches in Rohms Augen trat. »Dani...«, flüsterte er tonlos, »aber Dani...«

Thorsten hielt den Atem an und zählte bis fünf. Er konzentrierte alle Gedanken auf einen einzigen flehentlichen Wunsch. Dass jetzt ein Wunder geschehen möge, ein klitzekleines, ganz und gar unbedeutendes Wunder.

»Hör doch mal, Dani...«

Und das Wunder geschah. Die Frau, eben noch tief versunken in ihren schmerzvollen Fieberträumen, schlug die Augen auf. Die rechte Hand zitterte über die Bettdecke. Zwischen den rissigen, trockenen Lippen erschien die Zungenspitze.

Das alles dauerte nur Bruchteile von Sekunden, denn es war wirklich nur ein ganz winziges Wunder. Aber eben doch ein Wunder und es reichte aus, um Albert Rohm aufstöhnen zu lasen. Wie ein Klotz fiel er neben dem Bett auf die Knie, fasste nach der Hand seiner Frau, bedeckte sie mit Küssen.

»Durchhalten, Dani, durchhalten...«, stammelte er. »Der Doktor sagt, du wirst es schaffen. Daran musst du glauben, Dani, hörst du!«

Thorstens Herz schlug hart und dröhnend ganz hoch oben im Hals. Er konnte kaum atmen und erst recht nicht sprechen. Aber seine Augen waren klar und konnten sehen, was sich da vollzog.

Daniela Rohm lächelte. Wahrhaftig, sie lächelte aus ihren Fieberphantasien heraus und hob mühsam die Hand, die ihr Mann eben noch geküsst hatte. »Schaffen...«, murmelte sie mit diesen spröden, blutleeren Lippen. »Ja, schaffen...« Dann fiel ihr Kopf zur Seite, die müden Lider senkten sich.

»Doktor! Was ist los? Was hat das zu bedeuten?«, schrie Rohm gequält.

»Nichts. Sie schläft«, sagte Thorsten Schäfer und seine Stimme kippte fast über vor Erleichterung.

9

Ingeborg Köhler schaute verwundert von ihrer Arbeit auf, als die Türglocke zu ganz ungewohnter Zeit schrillte.

Sie ging durch die winzige Diele zur Tür, drehte den Schlüssel herum.

»Ja bitte, Sie wünschen?« Erst auf den zweiten Blick konnte sie den überraschenden Besucher identifizieren. »Herr Dr. Ritter?«, fragte sie ungläubig. Es war vier Uhr nachmittags. Stefanie müsste also in der Klinik sein. »Wollen Sie zu Frau Abels?«

»Nein, zu Ihnen«, japste der alte Herr. »Wenn ich freilich geahnt hätte, dass Sie in einem Wolkenkratzer ohne Fahrstuhl wohnen, hätte ich mir das wohl noch einmal gründlich überlegt.«

»Der Wolkenkratzer hat ganze fünf Etagen«, lachte Ingeborg. »Diese hier, die oberste, ist gerade deshalb so preiswert, weil es keinen Aufzug gibt. Wir sind nicht gerade böse darüber, Stefanie und ich. Dachwohnungen haben überdies den Vorteil, besonders gemütlich zu sein. Möchten Sie sich nicht davon überzeugen?« Sie trat einen Schritt zurück, gab ihm den Weg frei.

»Sie wundern sich vermutlich über mein plötzliches Auftauchen.«

»Allerdings«, gab sie freimütig zu. »Bitte, legen Sie doch ab.«

Ritter pellte sich aus seinem Mantel und wurde sichtlich ruhiger.

»Darf ich Sie hier hereinbitten?« Ingeborg öffnete die Tür zu Stefanies Zimmer. Es war mit hübschen hellen Möbeln ausgestattet. Teppich und Gardinen waren farblich aufeinander abgestimmt. Überall standen frische Blumen und rundeten den Eindruck von Heiterkeit und Lebensfreude ab.

»Bei mir drüben sieht es ziemlich wüst aus. Ich arbeite mit Vorliebe in künstlerischer Unordnung und hasse nichts so sehr wie das tägliche Aufräumen. In dieser Beziehung sind wir sehr verschieden, meine Freundin und ich. Sie würde niemals aus dem Haus gehen, ohne vorher für makellose Sauberkeit gesorgt zu haben. Darf ich Ihnen vielleicht eine kleine Erfrischung anbieten? Kaffee, Tee oder lieber etwas Stärkeres?«

Ritter seufzte dankbar. »Ich könnte schon einen kräftigen Schluck vertragen.«

Ingeborg ging in die kleine Küche hinaus, mixte mit kundigen Händen etwas zusammen, stellte die gefüllten Gläser auf ein Tablett. Das für Ritter bestimmte war von kräftiger dunkler Farbe. Ihr eigener Drink fiel wesentlich heller und schwächer aus. Irgendwo tief in ihrem Innern läutete es Alarm, aber noch wusste sie nichts damit anzufangen.

»Zum Wohl, Dr. Ritter.«