Du darfst leben - Rebekka Gohla - E-Book

Du darfst leben E-Book

Rebekka Gohla

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Beschreibung

Ein ermutigender Ratgeber für Menschen mit Essstörungen und diejenigen, die sie begleiten, von Rebekka Gohla und Ilka Tran Anh mit berührenden und persönlichen Geschichten. Immer mehr, vor allem junge Menschen erkranken an Essstörungen. Rebekka Gohla und Ilka Tran Anh sind zwei von ihnen. Sie kennen das Leid, das oft Jahre andauert, die Scham und die große Einsamkeit, die die Krankheit mit sich bringt. Mit ihrem einfühlsamen Ratgeber wollen sie Betroffenen Mut machen. Sie zeigen, dass sie keine Einzelkämpfer bleiben müssen und wie konkrete Schritte aus der Essstörung aussehen können. Wo Unterstützung zu finden ist. Und dass auch nach vielen Jahren noch Hoffnung da ist. In persönlichen Geschichten erzählen sie und andere Betroffene ehrlich von ihrem Weg und was ihnen geholfen hat. Wie das mit Gott in der Essstörung ist. Und wie seine Wahrheit entlastet und zu einem neuen Leben befreit. Ihre Schwerpunktthemen sind: Glaube, Leben, Beziehungen, Körper und Identität.

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Seitenzahl: 318

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Was andere an diesem Buch begeistert

Ich bin superbegeistert von diesem Buch. Es ist brutal wichtig! Denn: Über Essstörungen wird nicht viel gesprochen. Schon gar nicht von Betroffenen. Ilka und Rebekka öffnen mit ihrem Buch ein Fenster. Sie überwinden die Scham und bringen frische Luft ins Gespräch. Sie geben keine billigen Tipps, sondern berichten ehrlich, ungeschönt und authentisch von ihrer eigenen holprigen Reise. Dabei lassen sie auch andere zu Wort kommen und zeigen immer wieder auf die Freiheit, die Jesus für uns bereithält.

Ich empfehle dieses Buch Betroffenen und all jenen, die Betroffene liebevoll begleiten. Das Buch wird für viele die Tür in die Freiheit sein. Davon bin ich überzeugt!

John Nimmo, Leiter des Central Richtsberg, einer Stadtteilgemeinde in Marburg, und von Yovel Network, einem Leiternetzwerk

Rebekka und Ilka öffnen hier mutig ein Thema, das oft viel zu lange versteckt wird. Die Geschichten in ihrem Buch berühren und erschüttern. Es gehört Mut dazu, seine eigenen Kämpfe offenzulegen, Licht dranzulassen und sie dann auch noch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Doch ich glaube, dass es ein Schritt ist, der vielen anderen Heilung bringen wird, weil sie sehen werden: Ich bin nicht allein! Es gibt Hoffnung und es gibt Wege!

Ich zolle Rebekka, Ilka und den anderen Stimmen, die hier zu Wort kommen, meinen größten Respekt und bete für weitreichende Verbreitung dieses Buches – dass es Menschen an jedem Ort in die Hände bekommen: Betroffene, ihre Familien, Seelsorger, Ärzte und Therapeuten. Heilung ist ein langer Weg und es braucht Mitstreiter. Ich will einer sein und dieses Buch befähigt mich dazu. Danke für dieses wertvolle Werk!

Nina Strehl, Predigerin u. a. bei „Kirche im Pott“, Produktdesignerin und Instagrammerin: @ninastrehl

Ich muss zugeben, dass mir nicht bewusst war, wie weitreichend und weit um sich greifend diese Krankheit ist. Umso wichtiger ist es für Betroffene, Scham zu überwinden und Licht in ihr Versteckspiel zu bringen. Dass es möglich ist, aus dem Kreislauf auszubrechen und heil zu werden, davon erzählen die vielen Geschichten in diesem Buch.

Weil ich die Autorinnen kenne, weiß ich, wie viel Überwindung, Ängste und Outing in diesem Buchschreibeprozess stecken, das jetzt für alle Welt sichtbar ist. Ich bin stolz und froh, dass das innere Drängen, dass es solch ein von christlichen Werten geprägtes Buch zu diesem Thema geben muss, gewonnen hat gegenüber den Sorgen: „Was könnten andere denken, wenn sie meine Geschichte hören …“

Egal aus welchen Gründen du dieses Buch nun in den Händen hältst: Du tust dir etwas Gutes, es zu lesen. Da ist Hoffnung. Die strahlt durch.

Jenni Terlitzki, Teil von ELI Worship, Sprecherin und Instagrammerin: @jenniterlitzki

Rebekka Gohla | Ilka Tran Anh (Hrsg.)

Hoffnung & Ermutigungen für den Weg aus der Essstörung

Die Bibelstellen sind, wo nicht anders angegeben, der Übersetzung Hoffnung für alle® entnommen, Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis.

Ferner wurden verwendet und sind wie folgt gekennzeichnet:

NGÜ – Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung – Neues Testament und Psalmen. Copyright © 2011 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

SLT – Bibeltext der Schlachter. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten.

© 2023 Brunnen Verlag GmbH Gießen

www.brunnen-verlag.de

Lektorat: Konstanze von der Pahlen

Umschlaggestaltung: Daniela Sprenger

Umschlagbild: © Polina Kovaleva/pexels.com

Satz: Brunnen Verlag GmbH

ISBN Buch 978-3-7655-2157-7

ISBN E-Book 978-3-7655-7685-0

INHALT

Vorwort: Unser Herz hinter diesem Buch

Legen wir los: Eine Einführung ins Thema

Beziehungen

Schritte ins Licht: Rebekkas Geschichte

Lass Licht rein

Beziehungskiller Essstörung und der Gott der zweiten Chancen: Stephanies Geschichte

Der Kampf, den wir kämpfen: Was du von außen nicht siehst

Mitgefühl ausdrücken, in Kontakt bleiben: Ein betroffener Vater berichtet

Menschen mit Essstörungen begleiten

Körper

Bodyshaming – Wenn dein Körper zur Zielscheibe wird

Was du lieber nicht sagen solltest

Mit Sport gegen den eigenen Körper: Annas Geschichte

Körperwahrnehmung – Zurück zum Kontakt mit dir selbst

Alkohol und Bulimie – eine toxische Überlebensstrategie: Ninas Geschichte

Was du für dich tun kannst … nach einem Brech-Rückfall

Was du für dich tun kannst … in der Magersucht

Glaube

Mein Weg aus der Essstörung: Sarahs Geschichte

Mit Gott durch die Essstörung

Ohne Gefühle geht es nicht – Warum Gefühlsregulation ein Schlüssel ist

Wen der Sohn befreit, ist wirklich frei: Julias Geschichte

Identität

Du bist mehr als deine Essstörung: Katrins Geschichte

Mit Gottes Wahrheit Freiheit in unser Denken bringen

So tun, als ob …

„Hallo, neues Ich, wer bist du?“: Leas Geschichte

11 kleine Entscheidungen für jeden Tag

An dem Warum kommst du nicht vorbei – oder: Ein Blick hinter die Kulissen

Leben

„Möchten Sie leben?“: Mirjanas Geschichte

Du darfst leben

Loslassen, was dich hält

Du darfst wieder träumen

Den Lauf laufen, ohne aufzugeben

Eine Perspektive der Hoffnung: Ilkas Geschichte

How to Therapie – Wie du professionelle Hilfe bekommen kannst

Was, wenn

Was wir noch sagen wollen

Zum Schluss

Danke

Ressourcen

VORWORT

Unser Herz hinter diesem Buch

Vor einigen Jahren fragte mich (Ilka) jemand, was ich damals, als ich noch so tief in der Essstörung steckte, besonders vermisst habe. Ich antwortete: „Was mir damals gefehlt hat, auf meinem Weg aber sehr geholfen hätte, waren Menschen, die mit Jesus unterwegs sind und ihre Kämpfe mit der Essstörung teilen. Menschen, die mir zeigen, dass ich in alldem nicht allein bin, und die mich ermutigen, an Gott dranzubleiben.“

Das ist einer von vielen Gründen, weshalb wir dieses Buch geschrieben haben. Wir haben beide erlebt, wie tief und umfassend die Essstörung das eigene Leben rauben und zerstören kann. Wir haben aber auch erlebt, wie wertvoll es ist, diesen Weg aus der Essstörung nicht allein zu gehen. Egal wie unsere jeweiligen Kämpfe aussehen: Wir alle brauchen Menschen, die uns ermutigen. Menschen, die die Hoffnung hochhalten, wenn wir keine haben, und mit denen wir ehrlich sein können.

Und gerade, weil Essstörungen häufig noch so ein großes Tabuthema sind, wollen wir in diesem Buch auch Schweigen brechen, Dinge offen und ehrlich ansprechen und Betroffene darin bestärken, sich Hilfe zu suchen – weil niemand diesen Kampf durch die Essstörung allein kämpfen kann.

Außerdem wollen wir Menschen erreichen, die Betroffene kennen oder sogar begleiten, sich aber noch tiefere Einblicke in das Thema wünschen. Ob Familie, Freunde, Lehrer, Kollegen oder Menschen in Gemeinden: Dieses Buch soll euch helfen, sensibler für die Thematik zu werden und Betroffene noch besser zu unterstützen.

Warum das so wichtig ist? Weil Statistiken zeigen, dass in Deutschland jährlich Tausende neue Fälle von Essstörungen diagnostiziert werden. Im Alter zwischen elf und siebzehn Jahren zeigen ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen ein gestörtes Essverhalten, wobei Mädchen fast doppelt so häufig betroffen sind wie Jungen. Immer noch sterben viel zu viele Menschen an den Folgen einer Essstörung – allein in den USA alle 52 Minuten einer. In Deutschland und Europa ist die Zahl der Menschen, deren Leben durch eine Essstörung verkürzt wird, weltweit sogar mit am höchsten. Während der Corona-Pandemie wurde in Praxen und Kliniken außerdem eine starke Zunahme von Essstörungen beobachtet. Tatsächlich sind viel mehr Menschen davon betroffen, als uns bewusst ist oder wir auch nur annehmen würden. Und vermutlich kennt jeder von uns jemanden, der an einer Essstörung erkrankt ist, ohne dass er oder sie es vielleicht ahnt.

In diesem Buch teilen wir, Ilka und Rebekka, unsere ganz persönlichen Geschichten und Erfahrungen mit dem Thema Essstörungen. Für den Weg durch die Erkrankung und hin zur Genesung bieten die folgenden Kapitel zahlreiche Ermutigungen und Impulse, wichtige Empfehlungen und Hinweise, heilsame Wahrheiten Gottes und weitere Ressourcen. Sie sollen dir helfen, gute Entscheidungen zu treffen und gut für dich selbst zu sorgen, um gesund zu werden. Die Kapitel haben die Themenschwerpunkte Beziehungen, Körper, Glaube, Identität und Leben. Schau einfach, welche Themen für dich gerade am relevantesten sind, und starte mit dem, was dir guttut und was du für deine Situation als hilfreich empfindest.

Neben uns Herausgeberinnen kommen auf den folgenden Seiten auch andere Menschen zu Wort, die mutig ihre ganz eigene Geschichte mit einer Essstörung erzählen. Wir sind superdankbar für jeden Einzelnen, der sein Wissen und seine Erfahrungen in diesem Buch teilt und damit zeigt, wie vielfältig und unterschiedlich Essstörungen sein können. Jede Geschichte ist einzigartig und auch jeder Verlauf ist anders, weshalb wir in diesem Buch eine große Bandbreite davon aufzeigen.

Wir wissen nicht, wie dein persönlicher Weg aussieht, welchen Schmerz du schon erlebt hast oder was du gerade brauchst. Was wir uns aber zutiefst wünschen, ist, dass dieses Buch dazu beiträgt, dass du nicht länger das Gefühl hast, mit alldem allein zu sein. Und dass du ermutigt wirst, dich selbst auf den Weg zu machen – vielleicht zum ersten Mal, vielleicht aber auch erneut, um Schritte in Richtung Heilung zu gehen. Essstörungen zerstören so viel Leben – dabei bist du dazu geschaffen, um zu leben! Und wir sind davon überzeugt, dass Freiheit möglich ist – auch für dich.

Ilka und Rebekka

LEGEN WIR LOS

Eine Einführung ins Thema

Eine Essstörung ist keine psychische Erkrankung, die bei A anfängt und dann einen „typischen“ Verlauf nimmt. Zwei Personen mit der Gleichen Essstörung, z. B. einer Bulimie, werden trotz identischer Diagnose verschiedene Ursachen, Verläufe und auch Abweichungen in ihrer jeweiligen Symptomatik nennen können. Um die Breite und Unterschiedlichkeit der Herausforderungen zu verdeutlichen, mit denen Betroffene kämpfen, erzählen in diesem Buch deshalb außer uns Herausgeberinnen noch andere Menschen von ihren Erfahrungen.

Bevor wir tiefer in die verschiedenen Themen dieses Buches einsteigen, wollen wir einen kurzen Überblick über das Thema Essstörungen geben. Wenn dich einzelne Erkrankungsformen und Diagnosen noch mehr interessieren, findest du online viele Informationen und Fachliteratur dazu.

Eine Essstörung ist eine schwerwiegende und ernst zu nehmende Erkrankung. In den letzten Jahren wurde immer mehr zu den Hintergründen und Formen von Essstörungen geforscht, sodass man in den Diagnosehandbüchern mittlerweile verschiedenste Ausprägungen von Essstörungen findet.

Zu wissen, was genau sich hinter welchem Störungsbild verbirgt, kann oft schon ein erster Schritt sein, um sich als Betroffener einzugestehen oder überhaupt erst zu merken, dass man Hilfe braucht. Aber auch für Außenstehende kann das Wissen über die verschiedenen Diagnosen helfen, sensibilisiert zu werden, aufmerksam zu bleiben und betroffenen Personen liebevolle Unterstützung anbieten zu können.

Dennoch ist es uns wichtig zu sagen, dass du dir nicht erst Hilfe suchen darfst, wenn du alle Kriterien einer Störungsform erfüllst. Auch wenn du dich in keiner der beschriebenen Diagnosen zu 100 Prozent wiederfindest, aber merkst, dass du mit dem Thema Essen auf irgendeine Weise kämpfst, ermutigen wir dich, dir Unterstützung zu suchen. Es gibt kein „krank genug“, um die Hilfe zu bekommen, die du brauchst.

Bei all den Diagnosen gibt es immer auch ein Dazwischen, Darunter und Halbzutreffend. Nicht ohne Grund werden deshalb mittlerweile auch atypische Essstörungen diagnostiziert.

Welche Essstörungen gibt es?

Der Bereich der Essstörungen wird fortlaufend erforscht. So werden im klinisch-therapeutischen Bereich Diagnosen und Symptome angepasst. Ärzte und Therapeuten nutzen die internationale Klassifikation von Krankheiten (ICD) als Grundlage, um Diagnosen zu erstellen. Die Ziffern dieser Diagnoseschlüssel, egal ob Erkältung, Beinbruch oder psychische Erkrankung, kennen die meisten von uns wahrscheinlich aus den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die wir vom Arzt erhalten, wenn wir krank sind. Dort geht aus der jeweiligen Ziffer die Diagnose bzw. der Grund der Krankschreibung hervor.

Mittlerweile gibt es eine elfte Revision dieser Klassifizierung, die im Januar 2022 in Kraft getreten ist. Diese Revision an Krankheitsdiagnosen enthält auch einige Neuerungen im Bereich der Essstörungen. So wurden beispielsweise Gewichtskriterien angepasst, Formen verändert, und die Binge-Eating-Störung wurde als feste Diagnose aufgenommen. Wir sehen die Neuerungen der ICD-11 sehr positiv, weil sie zeigen, dass Kriterien immer auch von der festgelegten Norm abweichen können und individuell verlaufen, wobei der Leidensdruck oder eine vorhandene Erkrankung nicht gering geachtet werden.

Im Folgenden geben wir dir einen kurzen Überblick über verschiedene Essstörungsformen. Wir können dabei nicht auf alle Essstörungen eingehen, und auch zu den Risikofaktoren oder Behandlungsmöglichkeiten gäbe es eine Menge mehr zu sagen. Wir sind superdankbar, dass es viele Fachleute gibt, die dazu bereits Studien oder Fachliteratur veröffentlicht haben und dies alles sorgfältig und viel ausführlicher beschrieben haben, als wir das hier können.

Deshalb beschreiben wir in diesem Buch nur die am häufigsten auftretenden Essstörungen. Die folgende Aufzählung soll kurz erklären, was man unter der jeweiligen Essstörung versteht, ersetzt aber keine Diagnose durch einen Arzt. Außerdem ist uns wichtig zu sagen, dass Übergänge zwischen den einzelnen Essstörungsformen fließend sind und viele Betroffene von einer Form in die nächste rutschen oder mehr als nur eine Essstörung erleben.

Anorexia Nervosa

Anorexia Nervosa ist im Sprachgebrauch als Anorexie oder Magersucht bekannt. Ein wichtiges Merkmal ist ein absichtlich selbst herbeigeführter Gewichtsverlust. Die Betroffenen haben große Angst davor, an Gewicht zuzunehmen, und sehen sich selbst auch dann noch als zu dick, wenn sie bereits deutliches oder sogar lebensbedrohliches Untergewicht erreicht haben.

Zu den Symptomen zählen außerdem übertrieben viel Sport und ein hoher Druck, sich selbst zu kontrollieren. So stellen sich Betroffene oft mehrmals am Tag auf die Waage. Wenn sie das Gefühl haben, zu viel gegessen zu haben, können selbst herbeigeführtes Erbrechen oder das Einnehmen von Abführmitteln eine weitere Form sein, um nicht an Gewicht zuzunehmen.

Für die ICD-11 wurde vorgeschlagen, dass eine Magersucht nicht mehr nur abhängig vom BMI oder einem absoluten Gewichtskriterium diagnostiziert werden kann, sondern dass ein sehr schneller und ausgeprägter Gewichtsverlust (z. B. mehr als 20 % des gesamten Körpergewichtes innerhalb von sechs Monaten) diesen ersetzt, solange die anderen Kriterien für die Magersucht erfüllt sind (Claudino et al., 2019).

Bulimia nervosa

Die Bulimie wird häufig auch Ess-Brech-Sucht genannt. Dabei kommt es immer wieder zu Heißhunger, der zu Essanfällen und anschließendem Erbrechen führt. Es muss aber nicht immer zu Erbrechen kommen; auch andere restriktive Verhaltensweisen wie der Gebrauch von Abführmitteln, anschließendes Hungern oder übermäßig viel Sport, um das aufgenommene Essen zu kompensieren, können Formen einer Bulimie sein.

Atypische Formen von Anorexie und Bulimie

Bei der atypischen Anorexie bzw. atypischen Bulimie handelt es sich um eine Störung, die einige Kriterien der Anorexie und Bulimie erfüllt, diese Diagnose aber anhand des gesamten klinischen Bildes nicht rechtfertigt. So kann das Körpergewicht bei der atypischen Anorexie beispielsweise trotz hohem Gewichtsverlust im oder über dem Normbereich liegen. Auch bei der atypischen Bulimie sind alle Kriterien der Bulimie erfüllt, nur dass die Frequenz und Dauer der Essanfälle bzw. regulierenden Maßnahmen wie Erbrechen geringer sind.

Binge-Eating-Störung

Von Binge Eating, auch Esssucht genannt, spricht man, wenn Betroffene mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg Essanfälle haben. Während der Essanfälle wird innerhalb kürzester Zeit unkontrolliert viel Essen aufgenommen. Im Unterschied zur Bulimie werden dabei anschließend keine kompensatorischen Maßnahmen wie Erbrechen oder Sport ergriffen. Betroffene leiden besonders unter Ekel- und Schamgefühlen. Häufig geht (manchmal auch erst im Verlauf der Erkrankung) krankhaftes Übergewicht mit der Esssucht einher, was aber kein Muss ist.

Emotionales Essen

Vielleicht hast du den Begriff „emotionales Essen“ schon einmal gehört oder kennst das von dir selbst. Von „emotionalem Essen“ spricht man dann, wenn die Reaktion auf heftige Gefühle wie Angst, Wut oder Stress das Essen ist. Emotionales Essen an sich ist keine eigene diagnostizierte Essstörung, kann aber ein Merkmal einer Essstörung sein.

Außerdem wird oft ein Zusammenhang zwischen Essstörungen und anderen psychischen Erkrankungen wie Zwangsstörungen, Angststörungen oder Depressionen festgestellt. Europäische Studien zeigen, dass mehr als 70 Prozent der Patienten mit einer Binge-Eating-Störung mindestens noch an einer weiteren psychischen Erkrankung leiden (Keski-Rahkonen & Mustelin, 2016). Und auch bei anderen Essstörungen hat man eine auffällig hohe Verbindung zu anderen psychischen Erkrankungen festgestellt. Das zeigen auch einige der Geschichten von Betroffenen in diesem Buch.

Wenn du mehr darüber wissen möchtest, welche Auswirkungen Essstörungen mit sich bringen können oder wie du möglicherweise erkennen kannst, dass jemand betroffen ist, findest du im Internet auf zahlreichen Webseiten weitere Informationen, zum Beispiel auf der Seite der Bundeszentrale für Aufklärung und Gesundheit (BzGA). Am Ende dieses Buches gibt es außerdem einen Verweis auf Ressourcen (Bücher, Podcasts, Webseiten und mehr), die wir zusammengestellt haben.

Grundsätzlich gilt: Essstörungen erkennt man nicht am Gewicht. Nicht nur sehr schlanke Menschen können magersüchtig oder bulimisch sein und nicht nur Menschen mit stark erhöhtem Gewicht leiden unter Esssucht. Damit eine Erkrankung rechtzeitig erkannt und behandelt werden kann und damit Betroffene sich ernst genommen fühlen, braucht es eine Sensibilisierung für genau diese „Zwischentöne“.

Es sind auch nicht nur Frauen, die an Essstörungen erkranken. Mindestens 10 Prozent der Betroffenen in Deutschland sind Männer, wobei die Dunkelziffer weitaus höher geschätzt wird.

Was uns außerdem wichtig ist

Die Ursachen von Essstörungen sind so unterschiedlich wie der jeweilige Krankheitsverlauf. So können sowohl biologische Faktoren wie Genetik und hormonelle Veränderungen eine Ursache sein als auch persönliche, familiäre oder gesellschaftliche Faktoren wie bestehende Schönheitsideale und der Einfluss der Medien. Auch Traumata spielen häufig eine Rolle.

Eines aber ist für alle kennzeichnend: Das Leben der Betroffenen wird stark von den Themen Essen, Körpergewicht und der eigenen Figur bestimmt. Dies wirkt sich auf den Alltag aus, auf ihre Gefühle, auf Beziehungen zu Familie, Partner und Freunden, auf berufliche oder private Entscheidungen und hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit.

Leider denken wir in unserer Gesellschaft häufig in Schubladen. Allein in unserem Sprachgebrauch zeigt sich, wie unser Denken geprägt ist. Eine Aussage wie: „Du bist doch nicht so dünn, du kannst doch gar nicht magersüchtig sein!“, ist eine Folge dieses Schubladendenkens. Nicht selten ist bei uns die Rede davon, sich das Essen erst „verdienen“ zu müssen, nach einem anstrengenden Tag darf man sich dann „belohnen“, oder wir haben „gesündigt“, wenn wir Süßes gegessen haben. All diese Ausdrücke zeigen eine deutliche, oft negative Bewertung von Essen in unserer Gesellschaft.

Adipositas ist übrigens keine Essstörungsdiagnose, sondern lediglich die Beschreibung eines körperlichen Zustandes, nämlich die übermäßige Ansammlung von Fett im Körper. Woher dieses kommt und wie es behandelt werden muss, ist bei jedem höchst individuell. Auch hier sollte man mit Schubladendenken vorsichtig sein, denn Übergewicht ist oft nicht das Hauptproblem, sondern ein Symptom für eine andere Ursache.

Wir wünschen uns, dass Mediziner und Therapeuten bei der Behandlung von Essstörungen noch ganzheitlicher ansetzen und zusammenwirken, damit nicht nur oberflächlich Symptome behandelt, sondern die Wurzeln von Essstörungen erkannt werden. Nur so kann Betroffenen langfristig geholfen werden. Es geht nicht allein darum, symptomfrei zu werden, sondern zu genesen.

In diesem Buch wirst du immer wieder zwei Begriffe lesen, wenn es um den Weg durch oder aus der Essstörung geht: Heilung und Genesung. Für die einen ist Genesung ein Wort, das eher den Prozess des Gesundwerdens beschreibt, während Heilung oder geheilt zu sein für sie etwas Abgeschlossenes darstellt. Wir verwenden die Begriffe synonym.

Wir sind davon überzeugt, dass Heilung von Essstörungen möglich ist und existiert. Gleichzeitig erleben wir aber auch – durch unsere eigene Geschichte und die anderer Betroffener –, dass mancher Weg mehrere Jahrzehnte andauert und es oft ein schrittweiser Prozess ist, während andere nach vermeintlich kurzer Zeit gesund oder geheilt werden. Beides ist wichtig: dass Menschen von ihrer Heilung erzählen und zeigen: Ein Leben ohne Essstörung existiert! Ihre Geschichten sollen als Ermutigung dienen. Genauso wichtig ist es, „von unterwegs“ zu berichten, um Tipps und Erfahrungen auf dem Weg in die Freiheit miteinander zu teilen.

Wir wünschen dir von Herzen, dass dir die Texte dieses Buchs zum Segen werden, dir helfen, dich weiterbringen und inspirieren.

SCHRITTE INS LICHT

Rebekkas Geschichte

Ich kann mich noch sehr gut an das erste Mal erinnern, als ich absichtlich Essen erbrach. Ich saß beim Abendbrot am Esstisch meiner Großeltern, sah vor mir auf den Teller und stellte fest, dass ich mehr als ein Brötchen gegessen hatte. Ich bekam Panik. Das war zu viel, und wenn das alles in mir drinblieb, würde ich nie abnehmen.

Fieberhaft überlegte ich, wie ich das rückgängig machen könnte. Ich weiß nicht mehr, woher der Gedanke kam, aber plötzlich dachte ich: Wenn es reingeht, muss es ja auch irgendwie wieder rauskönnen. Ich stand auf, ging ins Bad und hoffte, dass ich diese eine Mahlzeit, dieses eine Essen oder zumindest dieses zweite Brötchen irgendwie ungeschehen machen könnte. Danach setzte ich mich wieder an den Tisch, beteiligte mich am Gespräch, als sei nichts geschehen, und versuchte, die Schmerzen in meinem Hals und meinem Magen zu ignorieren. Dieses eine Mal hatte ich die vermeintliche Katastrophe verhindern können.

Damals verstand ich nicht im Geringsten, was in diesem Moment mit mir passierte, und ich ahnte auch nicht, welche fatalen Folgen dieses „erste Mal“ in meinem Leben haben würde. Ich war dreizehn Jahre alt, und was an diesem Tag begann, war ein verzweifelter Kampf gegen mich selbst, gegen meinen Körper und gegen mein Leben, das von Mobbing, emotionalem Missbrauch und traumatischen Erfahrungen geprägt war.

Was ich erlebte, war zum Kotzen – im wahrsten Sinne des Wortes. Und so wurde das Erbrechen mein Werkzeug, das mir half, Umstände zu überleben, die ich nicht ändern konnte. Es half mir, inneren Druck, das Gefühl von Kontrollverlust, Ohnmacht und Schmerz zu kompensieren.

Das Internet war damals noch „neu“ und es gab online nur einen Bruchteil der Informationen, die wir dort heute zu Themen wie Essstörungen finden können. Und doch entdeckte ich Foren, in denen junge Mädchen und Frauen Tipps austauschten: Tipps zum Kaloriensparen oder in welcher Reihenfolge welche Lebensmittel am besten gegessen werden sollten, damit man sie leichter wieder erbrechen kann. Alles Tipps und Tricks für ein Leben in noch größerer Heimlichkeit, Lügen und Dunkelheit. Ich wurde Profi darin, dieses Doppelleben zu führen.

Das ging so weit, dass in meinem Kopf irgendwann nicht mehr viel Platz war für das alltägliche Leben. Meine Gedanken kreisten darum, wo und wie ich die nächste Mahlzeit am besten erbrechen könnte. Wenn ich woanders eingeladen war oder mit Freunden Zeit verbrachte, überlegte ich immer auch, wie die örtliche Situation war, wo es eine Toilette in der Nähe gab und wie unauffällig ich das Essen im Notfall wieder loswerden könnte.

Nach außen führte ich ein normales Teenager-Leben mit Jugendkirche, Schule und Freunden. Keiner wusste, dass ich Treffen absagte oder verschob, wenn ich Zeit brauchte, um nach dem Essen im Bad zu verschwinden und meine Spuren zu verwischen. Während wir ganze Abende lang gemeinsam geistliche Themen diskutierten, uns über unsere Hobbys unterhielten oder gemeinsam beteten, schaffte ich es nicht, mich darauf zu konzentrieren. Stattdessen ging ich in Gedanken immer wieder durch, was ich am Tag schon gegessen hatte, wie viele Kalorien das in etwa waren, wie oft ich gekotzt hatte und ob das für den Tag reichen würde.

Schön war es nicht, frei fühlte ich mich überhaupt nicht, aber ich hatte das Gefühl, nicht mehr rauszukommen. Ich wusste, dass Essen zu erbrechen keine gute Idee war. Ich wusste, dass es mir nicht guttat; denn obwohl ich versuchte, es zu ignorieren und weiter zu funktionieren, merkte ich, dass die Krankheit erste Spuren hinterließ.

Immer wieder nahm ich mir vor, dass das hier das letzte Mal gewesen war. Ab morgen würde ich damit aufhören. Ich musste mich nur mehr anstrengen. Aber der Druck in mir wuchs – genauso wie der Druck von außen: durch Menschen, die meinen Körper kommentierten, abwerteten und mich drängten abzunehmen. Das war zu viel für mich. Und so ging der Kampf weiter.

Leute in meinem engsten Umfeld, in der Schule und auch Fremde auf der Straße zeigten mir in diesen Jahren mit emotionaler und körperlicher Gewalt deutlich, dass Menschen mit Mehrgewicht in ihren Augen keinen Wert haben. Mitfahrer in der Straßenbahn kommentierten meinen Körper, der Typ auf der anderen Straßenseite rief: „Deutsche Panzer rollen wieder“, als er mich sah, und jemand in meiner Schule erklärte mir, dass zwei Entwicklungsländer genügend zu essen hätten, wenn ich eine Woche Diät machen würde. In meinem nahen Umfeld erklärten mir Menschen, dass sie dafür beten würden, dass ich niemals so aussehen würde wie das Mädchen im Bus: „Die sah noch viel schlimmer aus als du.“

In mir wuchs die Gewissheit, dass ich, so wie ich war, kein Recht hatte zu leben, und schon gar nicht, geliebt zu werden. Denn wenn die Menschen um mich herum – und das waren so viele – so über mich dachten und so mit mir umgingen, dann musste ich mich irren. Dann war etwas mit mir falsch. Diese Überzeugung brannte sich tief in meine Seele und meine Gedanken ein.

Zweieinhalb Jahre ging das so weiter. Ich kam nicht mehr raus, war gefangen in einem Kreislauf von Hass gegen mich selbst, Ekel, Ohnmacht, Schmerz und Verzweiflung und wusste nicht, wie ich diesen Kampf beenden könnte. Ich wusste nur, dass das nicht mein Leben lang so weitergehen konnte.

Eines Tages saß ich vor dem Computer und sah durch mein Mailpostfach, als eine E-Mail von einem meiner Jugendleiter ankam. Er wusste von der Bulimie (woher auch immer) und schrieb: „Rebekka, alleine kannst du es nicht schaffen. Du bist zwar die, die entscheiden kann. Aber du brauchst Leute, mit denen du immer sprechen kannst. Wenn du anrufen möchtest, ruf an. Wenn wir uns sehen, sprich mich an. Schreibe mir … Ich will dir ans Herz legen, dass es das Wichtigste für dich ist, dass du darüber sprichst.“

Ich saß vor dem Bildschirm, hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, dass er von meiner Essstörung erfahren hatte, aber ich wusste: Das hier könnte mein Ausweg sein. Plötzlich war eine Tür aufgegangen. Das war meine Chance!

Heute weiß ich, wie unfassbar besonders diese Geschichte ist. Weil so viele Menschen so lange nach einem Ausweg aus der Essstörung suchen und sich Hilfe wünschen, aber nicht wissen, wie sie einen Anfang machen können. Ich bekam diesen Anfang geschenkt.

Der Jugendleiter und ich fingen an zu reden – und anfangs hasste ich es. Ich weiß nicht, wie oft er das Wort „Bulimie“ sagte, aber er tat es, und ich fand es furchtbar. Ich konnte nicht fassen, dass das jemand wirklich laut aussprach. Ich unterhielt mich außerdem mit meiner Mentorin, sie informierte sich über das Thema Essstörungen und wie sie helfen konnte, tauschte sich mit dem Jugendleiter aus und holte andere Leiter aus meiner Jugendkirche mit ins Boot. Plötzlich hatte ich ein Netzwerk.

Es dauerte lange, bis ich Worte dafür fand, was mit mir passierte, bis ich aussprechen konnte, was ich fühlte – weil ich das oft erst einmal selbst herausfinden musste. Wenn man den Kontakt zu sich verliert, Gefühle wegsperrt, weil sie zu schwer zu tragen sind, oder nie gelernt hat, seine Bedürfnisse zu erkennen und zu regulieren, dann ist es nicht so leicht, sie wiederzufinden. Außerdem war es unfassbar schwer, laut auszusprechen, wie mein Leben hinter meiner mühsam aufrechterhaltenen Fassade wirklich aussah.

In seiner ersten E-Mail schrieb der Jugendleiter über eine Stelle in Epheser 5, in der es darum geht, dass dort, wo wir Dinge ans Licht bringen, diese Sachen selbst Licht werden können. Diese Bibelstelle ist seitdem ein Schlüssel in meinem Leben. Ich habe erlebt, wie viel Kraft es hat, wenn wir Dinge nicht mehr mit uns selbst auszumachen versuchen. Wenn wir sie aus der Dunkelheit ins Licht holen, ist das schmerzhaft und auch nicht immer leicht, aber darin steckt so viel Hoffnung und die Chance auf Heilung. Also übte ich zu reden und tat erste Schritte.

Es war Sommer, als ich bei meiner Mentorin in der WG übernachtete. Ich lag schon im Bett, als mir siedend heiß einfiel, dass ich an diesem Tag noch nicht gekotzt hatte. Mein Herz begann zu rasen. Wie hatte mir das passieren können? Und was hieß das für mich? Hatte ich jetzt endgültig die Kontrolle verloren? Andererseits hatte es mir auch nicht gefehlt. Ich hatte es einfach vergessen! War das nicht verrückt? Das war doch genau das, was ich mir so lange schon gewünscht hatte.

Gleichzeitig hatte ich panische Angst vor den Folgen. Was würde passieren, wenn ich nicht mehr erbrechen würde? Würde ich zunehmen? Würden Menschen mir mit noch mehr Hass und Ablehnung begegnen? Konnte ich den Druck aushalten, ohne zu kotzen?

Ich schlug meine Bettdecke zurück, stand auf, ging zum Zimmer meiner Mentorin und klopfte an ihre Tür. Nachdem sie mich hereingebeten hatte, setzte ich mich auf ihr Bett, schwieg ein paar Sekunden und holte dann Luft: „Ich kann nicht ins Bett gehen, ich habe mich heute nicht übergeben!“ Das war alles, was ich sagen konnte. Ich wusste, wie verrückt das klang, aber gleichzeitig spiegelte dieser Satz so sehr meinen inneren Kampf wider. Ich wollte gesund werden und fühlte mich gleichzeitig schuldig, als hätte ich versagt.

Meine Mentorin ermutigte mich zu sehen, was für ein großer Fortschritt das war, dass ich an diesem Tag mein Essen nicht erbrochen hatte. So viele Jahre war das nicht möglich gewesen. Und jetzt war da dieser eine Tag. Sie freute sich darüber, und das half mir, eine andere Sichtweise zu bekommen: Ich hatte nicht versagt. Ich hatte etwas geschafft, für das ich schon lange gekämpft hatte!

Das bedeutete nicht, dass der Brechdruck danach verschwand. Aber als ich nach einer Weile schlafen ging, war ich trotzdem ermutigt davon, was an diesem Tag geschehen (oder eben nicht geschehen) war und dass ich es ohne Erbrechen ins Bett geschafft hatte. Am nächsten Morgen wachte ich auf und dachte: Wenn ein Tag „ohne“ möglich war, dann könnten es auch zwei am Stück werden – verrückt, ich weiß.

Einige Monate später – ich schaffte es mittlerweile immer häufiger, mich nicht zu übergeben, auch wenn das noch hart war – kam mir plötzlich der Gedanke: Moment mal, ich verstehe, dass ich nicht erbrechen soll. Tut mir nicht gut und ich muss da auf Dauer raus. Aber wenn ich den Druck vermeiden will und verhindern will, dass ich erbreche, dann höre ich doch einfach auf zu essen. Das wäre, wie zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: keine Rückfälle mehr und gleichzeitig keine Zunahme.

Und so versuchte ich, die Zeiten zwischen den einzelnen Mahlzeiten so lange wie möglich hinauszuzögern, und war stolz auf die wachsende Stundenzahl bis zur nächsten Mahlzeit. Oh, bin ich dankbar, dass ich schnell merkte, wie schmal der Grat zur Magersucht war! Ich kannte Mädels, die superschnell und tief abgerutscht waren und lange um ihr Leben kämpften. Also verwarf ich diese Idee und kämpfte darum, wieder regelmäßig Mahlzeiten zu mir zu nehmen, ohne sie hinterher gleich von mir zu geben.

Schließlich entschied ich, eine ambulante Therapie zu machen; darauf folgte eine stationäre Therapie und ich schaffte immer längere Phasen, in denen ich symptomfrei war. Wenn der Brechdruck zu hoch war, rief ich jemanden von meinen Freunden an, um diese Situation nicht allein durchstehen zu müssen. Mit der Zeit hatte ich weitere Ressourcen gesammelt, um dem Druck standhalten zu können. Geheilt hätte ich das nicht genannt, weil ich mehrmals im Jahr kurze Phasen hatte, in denen es schwerer wurde und ich ins Straucheln kam, weil mich die Gedanken und Lügen mehr beschäftigten. Aber ich kam klar.

Zwölf Jahre später, Anfang 2019, saß ich zu Hause in meiner Wohnung in meinem Sessel, sah aus dem Fenster in den Abendhimmel und hing meinen Gedanken nach. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde Jesus zu mir sagen: „Ich mach mal das Licht an, Rebekka, und du sagst mir, was du siehst.“ Dann machte er tatsächlich in meinem Kopf das Licht an und mir wurde mit einem Mal bewusst, dass ich seit ein paar Wochen Rückfälle hatte. Keine Ahnung, wie ich mir das hatte schönreden können. Aber ich hatte es tatsächlich nicht gemerkt.

Im ersten Augenblick dachte ich: „Kein Problem. Solange es keiner weiß, existiert es nicht!“ (Netter Versuch, ich weiß.) Dann kam ein neuer Gedanke: „Moment mal! Das hattest du doch alles schon durch – das Erbrechen, das Verheimlichen, immer weiter abzurutschen – und das ging gar nicht gut!“ Ich wusste: Wenn ich nicht noch einmal so tief reinstürzen wollte, musste ich das ans Licht bringen, und zwar schnell.

Ich brauchte ein paar Tage und versuchte, in meinem Kopf diesen Satz zu formulieren, um ihn überhaupt laut aussprechen zu können. Ich dachte: Wenn ich meiner Freundin nach zwölf Jahren sage, dass ich wieder angefangen habe, Essen zu erbrechen, wird sie denken, sie sei im falschen Film gelandet. Das hat doch keine von uns mehr kommen sehen – ich offenbar ja sowieso nicht.

Und so überwand ich mich. Ließ Menschen rein und erzählte, was los war. Alter Schwede, das war hart! Ich hatte Angst, nach so einer langen Zeit eine unglaubliche Enttäuschung für sie zu sein, und das Gefühl, auf ganzer Linie versagt zu haben. Aber keiner von ihnen verurteilte mich. Sie waren da, hörten mir zu, fühlten mit, litten mit und beteten für mich.

Ich wünschte, ich könnte an dieser Stelle erzählen, wie ich heil geworden bin. Wie die Geschichte zu Ende ging und dass all das heute Vergangenheit ist. Aber so ist es nicht. Ich hätte damals nicht gedacht, dass es so viele Jahre später immer noch ein Thema in meinem Leben sein würde. Es ist anders. Ganz anders als in meiner Jugend. Und trotzdem kämpfe ich noch immer.

Heute frage ich mich, wie mein Körper das damals so lange geschafft hat. Und bin dankbar, dass ich nicht noch mehr Langzeitfolgen habe, mit denen ich kämpfe. Und dennoch ist an dieser Krankheit nichts schönzureden. Das, was da passiert in meinen Gedanken oder wenn ich dem Druck nicht standhalten kann – daran ist nichts Schönes. Das ist hässlich. Richtig hässlich. Und die seelischen Folgen, vor allem aber die körperlichen, die das auch Tage später noch hat, sind ebenfalls schwer auszuhalten.

Aber ich habe in diesem ganzen inneren Heilungsprozess in den letzten Monaten und Jahren viel gelernt: über die Wurzeln des Ganzen, über Traumata, deren Folgen und über den Zusammenhang von einer PTBS (posttraumatischen Belastungsstörung) und Essstörungen. Darüber, wie das Erbrechen mein Überlebenswerkzeug wurde und dass ich ihm – so merkwürdig es vielleicht klingen mag – dankbar sein kann, weil es über einen gewissen Zeitraum in meinem Leben einen wertvollen Dienst getan hat. Es hat mich Umstände überleben lassen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Betroffenen, die Essen erbrechen, habe ich dabei keine Essanfälle. Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, was für ein heftiger und aufreibender Kreislauf das zwischen dem schnellen und vielen Überessen und dem darauffolgenden Erbrechen ist. Statt einzelne Essanfälle zu haben, die dann im Erbrechen enden, fühlt sich jede Mahlzeit „gefährlich“ für mich an – zumindest phasenweise.

Wenn der Druck sich bei jedem Trigger meldet, dann kann sich die Situation von jetzt auf gleich ändern und dann ist es auch egal, wie viel oder wie wenig ich gegessen habe. Das Erbrechen bzw. der Brechdruck sind nicht an eine Kalorienzahl oder die Menge des Essens gebunden, sondern vielmehr mit Konflikten, Stress, starken Emotionen und einem dysregulierten Nervensystem verknüpft.

Dabei zeigt sich, was häufig hinter einer Essstörung (oder auch anderen Süchten) steckt. Das Erbrechen ist nur ein Symptom, das auf ein Problem dahinter hinweist. Und das zu erkennen, Wurzeln zu verstehen und neue Wege zu lernen, um Emotionen und Stress zu regulieren oder mit Druck umzugehen, braucht Zeit. Viel Zeit. Und obwohl ich manchmal denke, dass ich nach all den Jahren Profi in diesem Themenfeld sein müsste, gibt es immer noch Momente, in denen ich glaube, rein gar nichts verstanden zu haben. Dann kann ich all das nicht selbstwirksam miteinander verknüpfen und habe das Gefühl, ein Brett vor dem Kopf zu haben, das mich blind macht.

Manchmal muss ich lachen, wie absurd schwer es noch immer ist, mit den Menschen in meinem engsten Umfeld zu sprechen. Aber gerade das zeigt mir immer wieder neu, wie mächtig Scham ist. Wie perfide ihr Spiel ist, wie schnell sie sich einschleicht und dann versucht, Wurzeln zu schlagen.

Das, was mich nach einem Rückfall* isolieren will, ist nicht der Rückfall selbst. Wenn er passiert, ist das blöd, aber er ist nicht das, was mich kleinmacht. Was mich isolieren will, sind die Gedanken und Lügen, die damit einhergehen. Die mir weismachen wollen, dass ich längst geheilt wäre, wenn ich wirklich wollte. Denn Gott ist doch ein Gott der Heilung, oder? Und wenn meine Freunde für mich beten und das auch immer wieder tun, sich aber nichts verändert, dann muss es an mir liegen, oder? Dann habe ich vielleicht noch nicht verstanden, worum es wirklich geht. Oder ich habe mich nicht genügend angestrengt. Vielleicht muss ich es auch nur mehr wollen?!

Ich kann diese Gedankenkreisläufe ewig weiterspinnen. Ich bin Profi darin, mich mit Argumenten innerlich selbst kaputtzudiskutieren. Nur bringt mich das nicht weiter, sondern macht mich am Ende vor allem kleiner, und ich verliere Kraft, weil ich an der falschen Stelle kämpfe: nämlich gegen mich selbst.

Ich habe verstanden, dass ich verloren habe, sobald ich diesen Gedanken Raum gebe. Also mache ich das, was ich seit so vielen Jahren übe: Ich bringe Sachen ans Licht. Ich schreibe jemandem in meinem Umfeld eine Nachricht. Ich spreche Dinge aus, und das möglichst schnell, damit sie nicht noch mehr Raum gewinnen. Spaß geht anders, wirklich, aber es ist so wichtig. Nicht nur, weil es dann Macht verliert. Sondern weil ich dadurch so vieles schon gelernt habe, was ich alleine nicht erkannt hätte.

Es ist doch so: Essstörungen betreffen nicht Menschen, die weniger intelligent und nur nicht in der Lage sind zu verstehen, dass Hungern, Kotzen oder Essen nicht helfen. Wir sind nicht einfach nur zu dumm, richtig zu essen, oder müssten uns mal mehr anstrengen. Diese Krankheit geht so viel tiefer und betrifft das Leben auf so vielen Ebenen – und am Ende geht es auch gar nicht ums Essen oder um den Körper. Das ist nur das oberflächliche Spielfeld, auf dem die Schlacht um unseren Wert und unser Herz ausgetragen wird. Vielleicht ist die Essstörung aber auch der Alarm, der losgeht, um zu zeigen, dass es an der Zeit ist, hinzuschauen und sich um das zu kümmern, was dahintersteckt.

In den Gesprächen mit meinen Freunden wird mein falsches Denken geradegerückt. Ihr Mitfühlen oder Mitleiden, ihre Wut und ihr Verständnis helfen mir, das Gleiche für mich selbst oder an der richtigen Stelle gegenüber jemanden oder etwas zu fühlen. Es ist wie ein inneres „Es ist okay“, eine Erlaubnis, Mitgefühl und Gnade auch für mich zu empfinden. Ihre Liebe, Gnade und Geduld für mich spiegeln die Gnade wider, mit der Gott mir begegnet.

Würden sie Dinge nicht spiegeln oder aussprechen, hätte ich an manchen Stellen wahrscheinlich heute noch nicht verstanden, dass ich mich selbst anklage oder verdamme. Statt eines „Wie konnte das schon wieder passieren?“ oder eines „Ich dachte, du wärst inzwischen weiter“ (das sind tatsächlich die Sätze, die nur in meinem Kopf ablaufen) sagen sie „Es tut mir leid“ oder „Was brauchst du?“ oder „Ich bete für dich“. Und das ist so viel heilsamer als die Sätze, die in meinem Inneren oft so schnell noch automatisch abgefeuert werden.