Du sollst nicht lieben! - Jürgen Fleischmann - E-Book

Du sollst nicht lieben! E-Book

Jürgen Fleischmann

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Beschreibung

Was du verdrängt hast verschwindet nicht - es wartet! ... "Du sollst nicht lieben!" ist ein tiefgründiger, feinfühliger Roman über die Auswirkungen der Kindheit auf das Erwachsenenleben. Dabei bietet das Buch einen seltenen Einblick in die Innenwelt eines Mannes, mit all seinen Ängsten, Widersprüchen und seiner Suche nach Liebe und Identität. Der Weg des Protagonisten zeigt, was es heißt, sich verletzlich zu machen - als Mensch, als Vater, als Mann, als Lehrer und Therapeut - und dabei nicht zu zerbrechen, sondern zu wachsen. ... Jan Schneider, ein engagierter Lehrer, liebender Familienvater und angesehener Bürger seiner Stadt, wird durch eine Intrige aus seinem geregelten Leben gerissen. Die Anschuldigungen gegen ihn sind ungeheuerlich und drohen, sein gesamtes Dasein zu zerstören. Während er sich mit den Dämonen seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss, stößt er immer wieder auf das zentrale Thema des Romans: die Angst vor Liebe. ... Aufgewachsen unter der strengen Moralvorstellung seiner Tanten, ringt er mit tief verwurzelten Schamgefühlen und einem Identitätskonflikt, den er kaum in Worte fassen kann ... Und sein Weg ist steinig: manipulative Machenschaften und Fotos, die ihn schwer belasten, bringen sein Leben ins Wanken. Wird Jan seine Vergangenheit überwinden und endlich seinen Platz im Leben finden? ... Wenn Sie Werke von Irvin D. Yalom oder Pascal Mercier schätzen, wird Sie dieser Roman fesseln. - - - Der Arzt und Psychotherapeut Jürgen Fleischmann nimmt die Leser mit auf eine spannende Reise, von Jans Kindheit in den 60er Jahren bis in die Gegenwart des Jahres 2010 und in die unbewussten Tiefen seiner Persönlichkeit. Der Roman ist ein literarische anspruchsvolles, dennoch leicht zu lesendes und existenziell berührendes Psychogramm nicht nur seiner Hauptfigur. Er lädt seine Leser dazu ein, sich auf ebenso schonungsvolle wie heilende Weise mit den eigenen Lebensfragen auseinanderzusetzen. Aber Achtung! Wer sich auf die Lektüre einlässt, könnte danach die Welt und sich selbst anders sehen als zuvor!

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Seitenzahl: 509

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Autor

Dr. Jürgen Fleischmann ist seit 1981 mit seiner Frau, Inge, verheiratet, hat mit ihr vier Kinder und zwei Enkel. Er wurde 1955 in Bonn geboren und wuchs ganz in der Nähe, in Sinzig, auf.

Seine Eltern waren dort als Ärzte tätig, der Vater als "Praktischer Arzt" die Mutter als Kinderärztin. Er studierte Humanmedizin und wurde Kinder- und Jugendarzt. Zusätzlich machte er eine Ausbildung in Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Von 1987 bis 2019 praktizierte er in einer eigenen Praxis mit kinder- und jugendpsychiatrischem, Schwerpunkt. Seit 2019 ist er leitender Arzt des Johanniter MVZ Rheinland.

Er war stellvertretender Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz und zeitweilig beratend für die Landesregierung tätig.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit gehörte er zu den Gründern eines Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten und war Mitbegründer des "Expertenrats ADHS" dessen Co-Vorsitzender er ist.

Er leitet Workshops und hält Vorträge auf ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen, bei Selbsthilfegruppen und an Schulen. Zusammen mit dem Expertenrat und der Firma Medice gibt er einen Podcast heraus ("ADHS - Kein Grund zur Panik").

Schon immer geht es ihm darum, den gesellschaftlichen Umgang mit Kindern zu verbessern. Viel zu häufig werden Kinder und Jugendliche heutzutage von "Sachbearbeitern" in Behörden, Schulen und Arztpraxen unempathisch als Sache und Aktenvorgang und nicht als Menschen behandelt. Mit seinen Vorträgen und Veröffentlichungen will er dazu beitragen, dass sich das ändert.

Für die Kinder, auch und besonders die “inneren“ Kinder!

Liebt und beschützt sie, nehmt sie ernst und lasst sie endlich frei!

Für meine Familie

Und für Dieter P., der so lange darauf warten musste

Inhalt

I – Entdeckungen und Krisen

1

2

3

4

5

6

7

II – Erkenntnisse

8

9

10

III – Entwicklungen

11

12

13

Nachwort

„Manches, was man als Kind erlebt hat, erhält seinen Sinn erst nach vielen Jahren. Und vieles, was uns später geschieht, bliebe ohne die Erinnerung an die Kindheit unverständlich.“

Erich Kästner

„Es ist besser für das, was man ist, gehasst, als für das, was man nicht ist, geliebt zu werden“

André Gide

I

Entdeckungen und Krisen

1

Ich hasse Kinder!

Die tun bloß immer so freundlich und dann plärren sie rum und schreien und heulen. Bis sie das kriegen, was sie wollen. Eigentlich werden sie für nervendes Verhalten belohnt. Zumindest die anderen Kinder. Selbst Mama kümmert sich mehr um die als um mich. Und deshalb kann ich sie nicht leiden. (Die Kinder). Gut, ich bin zwar auch noch eins, aber immerhin bin ich schon acht und in der dritten Klasse.

„Jan? Jan?! Wo steckst du denn? Wir wollen zu Abend essen!“

Jan seufzte. Seine Tante Luise war vor einigen Wochen alleinstehend verstorben und bei der Auflösung ihres Haushalts hatte er diese kleine Holzkiste entdeckt. Der Inhalt hatte ihn schockiert. Tante Luise hatte ohne sein Wissen ganz private Unterlagen von ihm gesammelt.

Unter anderem herausgerissene Blätter aus einem Tagebuch, und den ersten Liebesbrief, den er im Alter von zehn Jahren von Klara erhalten hatte, sogar noch mit dem kleinen Talisman, den sie beigelegt und den er überall gesucht hatte.

Jan hatte die Kiste in seinem Schreibtisch deponiert, und aus einer Laune heraus eben begonnen, den ersten Tagebucheintrag zu lesen.

Er legte die mit krakeliger Kinderschrift beschriebenen Blätter zurück. Christa hatte gerufen. Er wollte sie nicht warten lassen. Wenn er die Kinder ins Bett gebracht hätte, würde er sich nochmal mit Tante Luises „Schatz“ beschäftigen.

Meine Mutter und ich leben zusammen mit meiner Schwester in einer kleinen Stadt am Rand der Eifel. Nicht alle Leute sagen, daß das hier die Eifel ist, weil das klingt ziemlich rückständig und die Eifel beginnt immer erst im nächsten Ort, vom Rhein weg, die Berge rauf. Beides ist aber richtig. Also „Eifel“ und „rückständig“. Mama möchte das nicht hören. „Jan“ sagt sie zu mir „wir leben im ländlichen Raum, können aber jederzeit von den Vorteilen der Stadt profitieren.“ Mit Stadt meint sie Bonn. Na ja. Köln ist eine Stadt! Da wohnt mein Ohm. Da würde ich auch gerne wohnen. Ohm ist das Wort für Onkel auf Platt.

In Köln kann man tagelang gehen und ist immer noch in Köln. Obwohl die Stadt einem zunächst einen Riesenschreck einjagt, wenn man mit dem Zug ankommt. Denn dann fährt man ganz lange durch ein Trümmerfeld. In Köln wurden zwar überall schon viele neue Häuser gebaut, aber die Bahnstrecke entlang stehen noch schwarze Ruinen oder es sind gar keine Häuser da und man sieht nur Bombenkrater. Der Ohm sagt, der Feind hatte ganz Köln plattgebombt. In nur einer Nacht hatten die Tommis über 1000 Bomben geschmissen, nur den Dom haben sie stehen gelassen. „Das war schon eine Kunst“ sagt er. Und sein Haus am Bebelplatz in Deutz war auch stehen geblieben, wie einige andere Häuser in Deutz auch. Wahrscheinlich wusste der böse Feind, daß es sich op dä Schäl Sick, das heißt auf der schlechten Seite, nicht so gelohnt hat was kaputt zu machen. Weil da in der Römerzeit nur Barbaren gelebt haben, ist das nämlich auch heute noch die schlechtere Rheinseite. Aber der Ohm sagt, das ist heute mehr ein Witz. Ich denke auch, daß irgendwann mal jemand von links nach rechts über den Rhein ist oder umgekehrt und die jetzt doch alle miteinander verwandt sind, so ähnlich wie in der Eifel. Ich habe Schäl Sick so aufgeschrieben, wie die Kölner und auch die Leute bei uns das sagen. Nur mit Mama, Oma und den Tanten rede ich so, wie ich hier schreibe, weil Platt primitiv ist. Nur wenige Erwachsene die ich kenne reden Hochdeutsch. Die Eltern von Peter, der ist mein bester Freund, sprechen zum Beispiel kein Platt. Aber die hatte man auch von irgendwo anders hierher getrieben. Peters Vater ist ein Sozi, sagt Tante Luise. Und Sozis kann sie nicht leiden. Aber er ist der Chef vom Bauhof und wirklich nett. Den würde ich sofort als Vater nehmen.

Mama kommt zwar von hier, hat aber in Freiburg studiert. Sie ist Frollein und kennt Konrad Adenauer. Ich hab gesehen, wie er ihr zugewinkt hat, als wir gestern bei ihrer Freundin Elli in Bonn waren und er im Cabrio mit vielen Leibwächtern und dem amerikanischen Präsidenten Kennedy vorbeigefahren ist.

„Frollein“ soll ich nicht sagen, obwohl alle Kinder sie so rufen: „Frollein“ Schneider! Mama ist nämlich Lehrerin und hat wenig Zeit. Sie muß ständig arbeiten, weil sie uns alle ernähren muß. Morgens ist sie in der Volksschule und nachmittags gibt sie Nachhilfe. Sie hat mir erklärt, daß vor noch nicht so langer Zeit die Volksschullehrerinnen nicht heiraten durften, weil sie ja für ihre Schulkinder da sein sollten. Deshalb wurden alle „Frollein“ genannt, so nennt man Frauen ohne Mann und Kinder. Ich hab Oma mal gefragt, ob sie auch ein „Frollein“ ist, die hat ja auch keinen Mann und keine Kinder. „Aber ich hatte mal einen Mann,“ hat Oma da gesagt, „der ist bloß schon gestorben, deswegen hat sich das mit dem Frollein erledigt“. Das war eigentlich auch eine dumme Frage, denn Kinder hat Oma ja auch, nämlich meine Mama und die Tanten, die sind bloß jetzt schon erwachsen.

Ich wollte dann noch wissen, wenn ein Frollein eine Frau ohne Mann und ohne Kind ist, wie man dann eine Frau nennt, die ohne Mann ein Kind hat. „Maria“ hat Oma da gesagt und gelacht. Den Witz habe ich nicht verstanden. Wenn sie die aus der Bibel gemeint hat, die hatte doch den Josef!

Na ja, das hätte jetzt auch keinen Unterschied gemacht, wenn Mama keinen Mann hätte haben dürfen. Wir leben ja sowieso ohne Mann im Haus. Natürlich abgesehen von mir.

Mama arbeitet so viel, daß sie jemand eingestellt hat, der uns den Haushalt macht. Es ist ihre Schwester Sibylle, sie kann gut kochen. Sie ist auch meine Tante, und sie hat ihren Verlobten im Krieg verloren. Als ich noch klein war, hab ich sie mal gefragt, wie man so blöd sein kann, einen Verlobten zu verlieren, ob sie ihn überhaupt nicht gesucht hat? Da hat sie geheult und gesagt, ich soll verschwinden. Später hat Mama mir erklärt, daß man mit „verloren“ das selbe meint, wie mit „gefallen“, was auch nichts mit hinfallen zu tun hat sondern einfach mit „im Krieg sterben.“ Hätte man doch direkt so sagen können, dann hätte ich mich nicht schämen müssen.

Immerhin hatte ich jetzt eine Erklärung für die blöden Fragen, wo denn mein Vater ist. „Der ist einfach abgehauen“ wollte ich nicht sagen, deshalb habe ich ab da immer gesagt „der ist gefallen“ und die Leute haben dann nicht weiter gefragt. Bis Mama mich vor einem Jahr mal hat rechnen lassen. Sie hat gesagt, daß der Krieg 1945 zu Ende gegangen ist und wir jetzt 1962 hätten. Wie alt ich denn sein müßte, wenn mein Vater im Krieg gefallen wäre? Sie hatte Recht. Ich hab mich dann mit mir geeinigt und antworte seitdem auf Fragen nach meinem Vater „wir haben ihn verloren“.

Die Sprache der Erwachsenen ist schon eigenartig. Gestern haben Mama und Tante Sibylle über Renate geredet, die wäre ein „gefallenes Mädchen“. Das kann auch nicht sein. Der Krieg hat 1945 geendet und ich habe sie letzte Woche noch ziemlich lebendig gesehen.

Geschrieben am 24. Juni 1963

Kurz vor dem Zubettgehen hatte Jan den Tagebucheintrag weiter gelesen. Er wusste nicht, ob er sich über den Fund eher freuen oder ängstigen sollte. Die Erinnerungen an seine Kindheit waren schon seit längerem verblasst. Was würde die Lektüre wohl in ihm wecken?

Dass er eine Zeitbombe in sich trug, deren Countdown er gerade gestartet hatte, konnte er nicht wissen.

Jan Schneider war gerne Lehrer. Nicht, dass das sein Traumberuf gewesen wäre. Er hätte sich auch vorstellen können, Arzt oder Schriftsteller zu werden. Aber zum Medizinstudium war sein Abitur zu schlecht gewesen, und der Beruf des Schriftstellers war ihm zu unsicher. Lehrer war etwas Solides, und er war gerne mit Kindern zusammen. Mit seinen vierundfünfzig Jahren blickte er jetzt, im Jahr 2010, auf ein erfülltes Leben zurück, das, so hätten es Außenstehende vermutet, kaum noch Wünsche offenließ. Christa, die er nach zahlreichen, meist kürzeren Beziehungen vor sieben Jahren, im Sommer 2003, kennengelernt hatte, war vierzehn Jahre jünger und unterrichtete am selben Gymnasium. Er brachte sie zum Lachen, und sie hatte ihm gesagt, obwohl er an Jahren älter sei, sei er innerlich viel jünger, als die meisten seiner Kollegen. Ihr gefiel seine unbekümmerte Neugierde, mit der er auf die Menschen zuging und seine Bereitschaft, alle zunächst einmal so zu akzeptieren, wie sie waren. In seiner Nähe müsste eigentlich jede und jeder glücklich werden.

Er hätte nie gedacht, dass er einmal eine Frau fände, mit der er es länger aushielte. Spätestens, wenn die Partnerinnen auf sein Leben Einfluss nehmen wollten und das dann regelmäßig auch mit emotionalem Druck versuchten, waren die Beziehungen gescheitert. Er hatte sich schon mit seiner Unfähigkeit, längere Beziehungen zu führen, abgefunden, da hatte er Christa kennengelernt. Weil sie sich auf Anhieb gut verstanden hatten und auch sie Kinder liebte, hatten sie ein Jahr später geheiratet. Kurz darauf war sie schwanger geworden. Inzwischen war das dritte Kind, Marie, eher ungeplant auf die Welt gekommen, und Christa hatte sich danach sterilisieren lassen.

Um seine Kinder kümmerte er sich liebevoll. Wenn er sich mittags auf dem Sofa ausruhte, lagen die beiden größeren immer bei ihm, um zu kuscheln.

Jan sah jünger aus, als man es bei einem Mann seines Alters erwartet hätte. Und so fühlte er sich auch. Das lag nicht zuletzt daran, dass er immer auf seinen Körper und seine Gesundheit geachtet hatte. Das Rauchen hatte er bereits vor zwanzig Jahren aufgegeben. Er war so oft wie möglich auf dem Tennisplatz und traf sich mit seinen engsten Freunden dort an jedem Mittwochnachmittag, zumeist gefolgt von einem Saunabesuch mit anschließendem Ausklang in der Stammkneipe. Mit seinem noch vollen dunklen Haar, dem Dreitagebart, einem trainierten Körper und seinem schelmischen Lächeln war er für Frauen wie Männer ein attraktiver Anblick.

Was ihn in letzter Zeit verwunderte, war allerdings, dass er immer häufiger nicht nur niedergeschlagen, sondern auch erschöpft und ruhebedürftig war. Depressive Phasen hatte er häufiger gehabt, er hatte sie als „das gehört eben zum Leben“ abgehakt. Aber, dass er sich zusätzlich vollkommen antriebs- und energielos empfand, kannte er noch nicht.

Als Lehrer, er unterrichtete Deutsch und Biologie, war er beliebt. Einige Mädchen himmelten ihn regelrecht an, was ihm durchaus gefiel, und die meisten Jungen fanden ihn sympathisch. Es war ihm stets wichtiger gewesen, die Kinder als Individuen zu betrachten und ihre besonderen Fähigkeiten zu finden, als zu beurteilen, wie gut sie im Schulbetrieb funktionierten. Das rechneten ihm seine Schüler hoch an, und nicht zuletzt deshalb war er auch zum Vertrauenslehrer gewählt worden.

Seit Jahren war er Mitglied im Stadtrat für die „Freien Wähler“, da er sich für die Belange seines Wohnortes einsetzen wollte, ohne sich um die „große“ Politik kümmern zu müssen. Bei den Kommunalwahlen erhielt er regelmäßig die meisten Stimmen. Seit die Kinder auf der Welt waren, hatte er sich allerdings nicht mehr in die häufig tagenden Ausschüsse wählen lassen.

Im Tennisclub und mehreren anderen Vereinen war er im Vorstand. Christa hatte ihm nachdrücklich untersagt, weiterhin zu irgendwelchen Mitgliederversammlungen zu gehen, weil er dann immer in ein Amt gewählt worden war. Er hörte auf das, was sie sagte, denn sie war es, die ihn ständig an seine Termine erinnern musste und daran, dass er rechtzeitig das Haus verließ und auch alles dabei hatte, was er benötigte.

Vor kurzem hatte sie einmal nicht aufgepasst. Da war er in Hausschuhen zur Beerdigung eines Ratskollegen gefahren. Zwar hatte Christa noch versucht, ihm die Schuhe nachzubringen, aber die Trauergemeinde war bereits mit einem Bus unterwegs in die Geburtsstadt des Verstorbenen. Zum Glück waren die Hausschuhe aus schwarzem Leder, sodass es niemand, noch nicht einmal Jan, aufgefallen war.

Wenn er Bilanz über sein Leben zog, fiel diese gut aus. Er hätte eigentlich glücklich und zufrieden sein müssen. Wenn Glück an der Zahl der Neider ausgemacht werden könnte, müsste er sogar sehr glücklich sein.

Über die dunklen Wolken, die sich seit einiger Zeit über ihm zusammenbrauten und die ihn zusehends beunruhigten, sprach er mit niemandem.

25. Juni 1963

Unsere Stadt heißt Sinzig und liegt an der Mündung von der Ahr in den Rhein. Wir hatten früher mal eine Stadtmauer, jetzt stehen davon nur noch ein paar Reste rum. Und Sinzig war ziemlich berühmt. Unsere Lehrerin hat erzählt, daß vor einigen hundert Jahren die halbe Eifel bis zum Nürburgring dazu gehörte. Den hat es damals natürlich noch nicht gegeben. Weil Sinzig genau zwischen Frankfurt und Aachen liegt, das sind Städte die Kaiser Barbarossa immer mal gerne besucht hat, hatte Barbarossa dann auf halbem Weg übernachtet. Und das war also bei uns. Heute sind die Leute stolz darauf und nennen die Stadt Barbarossastadt. Damals waren sie nicht gerade begeistert, wenn der Kaiser mit seiner Armee kam und alle Vorräte weggefressen hat.

Der berühmteste Sinziger ist auch der gruseligste. Das ist der heilige Vogt. Wir sagen allerdings immer Leddermännche zu ihm. Er ist eine Mumie die aussieht wie ein Skelett, das mit Leder überzogen ist. Er ist in der Kirche ausgestellt, man kann ihn angucken, aber er ist eingeschlossen. Nicht weil man Angst hat, daß er abhaut, sondern weil die Jugendlichen den früher immer mal geklaut und dann bei irgend jemand vor die Tür gestellt hatten. Kann gut sein, daß der Vogt den Kaiser Barbarossa noch persönlich gekannt hat. Die Kirche ist das schönste Gebäude der Stadt. Die anderen Häuser sind entweder kaputt oder haben die Farbe die meine Anziehsachen haben, wenn ich einen Nachmittag im Matsch gespielt habe. Oder da wo sie mal waren ist jetzt ein tiefes Loch im Boden. Wegen der Eisenbahnbrücke über die Ahr hatte der Feind viele Bomben auf Sinzig abgeworfen und jede Menge Häuser getroffen, nur nicht die Brücke.

Meine Schwester Sabine, sie ist noch klein, und ich leben zusammen mit Mama und unseren Tanten in einem Haus in dem mein Papa mal seine Arztpraxis hatte. Die Tanten, neben Tante Sibylle gibt es auch noch die Tante Luise, die kann aber nicht arbeiten, die ist krank, aber die kann gut über andere Leute reden, also die Tanten passen auf uns auf, kochen und waschen unsere Sachen und fahren auch mit uns nach Köln. Neulich haben wir in Köln auf der Hohestraße, wo es schon wieder gute Läden gibt und Tante Sibylle sich einen Übbergangs-Mantel kaufen wollte, eine Bettlerin gesehen. Die hat mir leid getan und ich wollte ihr was von meinem Geld geben, aber Tante Luise hat gesagt, „tu das nurja nicht!“ Sie meinte die Frau wäre durch das Betteln Millionärin geworden und würde abends von einem Schofför mit einem Mercedes abgeholt. In was für einer Welt leben wir nur, wenn man sich noch nicht mal mehr auf die Bettler verlassen kann? Allerdings weiß ich nicht, ob es mir Spaß machen würde, mich auf den kalten Fußboden zu setzen und zu frieren, wenn ich doch eigentlich Millionär bin. Da würde ich doch lieber in der Badewanne sitzen, Karl May Bücher lesen und mir von einem Diener Limo bringen lassen.

Die Erwachsenen sind eigenartig. Ob Mama Millionärin ist weiß ich nicht. Wir können uns allerdings einiges leisten. Mama arbeitet sehr viel, sagt Tante Sibylle, da hat sie das Geld auch verdient. Weil Mama so viel arbeitet und so viel Geld verdient, können die Tanten, meine Schwester und ich manchmal in den Urlaub fahren. Leider ohne Mama, die muß ja das Geld verdienen. Wir fahren meistens nach Italien oder Österreich. Die wollen uns als Touristen. Die haben nämlich an unserer Seite im Krieg gekämpft. Die anderen mögen uns nicht so. Das kann ich mir auch vorstellen, weil ich jemand, der mein Haus kaputt macht und meine Leute killt auch nicht mögen würde. Letzten Sommer waren wir in Tirol auf dem Bauernhof der Familie Vogler. Frau Vogler hat den ganzen Tag gearbeitet, wie Mama. Sie hatte außerdem sieben Kinder um die sie sich kümmern musste. Vor lauter Arbeit hatte sie gar nicht gemerkt, daß sie eigentlich sterbenskrank war. Inzwischen ist sie gestorben. Ich hab mir überlegt, daß sie wahrscheinlich während der Arbeit gestorben ist und es sie völlig überrascht hat, als sie plötzlich tot war. Hoffentlich passiert das nicht mit Mama!

Bereits am nächsten Nachmittag hatte er sich die „Schatzkiste“ der Tante wieder vorgenommen. Die ausgerissenen Tagebuchseiten waren nicht deren einziger Inhalt. Neben dem Brief von Klara gab es noch weitere Liebesbriefe, zwei beidseitig bemalte und kreuz und quer beschriebene Karten von Manu, die er weggeschmissen hatte und deren Anblick ihm nun einen Stich ins Herz versetzte, sowie einen Zeitungsausschnitt mit einem Foto von ihm „Der jüngste Lebensretter! Jan Schneider machte bereits mit neun Jahren den DLRG-Jugendschwimmschein“. Dazu Fotos: sein erster Schultag, sein damals bester Freund Peter, der später, nach der Scheidung seiner Eltern, mit seinem Vater nach Trier gezogen war, und er. Ein weiteres Foto zeigte ein Mädchen, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte, das ihn auf der Kirmes vor dem Autoscooter anlächelte. Und noch einige andere, zum Teil auf der Rückseite beschriftet: „Jan hilft Sabine beim Klettern in Hintertux“, „Pastor Jan hält einen Vortrag“ (Die Tanten hatten ihn als Vorschulkind gerne in einen ihrer Bademäntel gesteckt, dazu eine Brille aufgesetzt und dann musste er, mit einem großen Buch in der Hand, ihren Freundinnen ein albernes Gedicht aufsagen). „Jan, der Schwarm der Mädchen“ (er war vielleicht 15, mit einer Zigarette im Mund und richtig lässig rübergekommen - heute würde man es als „cool“ bezeichnen. Er hatte immer gedacht, er hätte das Foto verloren). Darüber hinaus fanden sich unter anderem von ihm gemalte Kinderbilder aus allen Altersstufen, Briefe, die er nach Hause geschickt hatte, Zeugnisse und Beurteilungsbögen und weitere Zeitungsausschnitte, sogar aus jüngerer Zeit.

Jan war bei der Durchsicht der Sammlung erneut wütend geworden. Er war fassungslos. Wie hatte sie nur das alles sammeln können? Sie hatte ihn bestohlen und wohl ständig beobachtet. Als er die Kiste bemerkt hatte, hatte er zunächst gezögert, sie zu öffnen. Er hatte sie angesehen und war dabei in einen kurzen Tagtraum gefallen, in dem er sich bei Pandora wähnte, die von Zeus ein Gefäß bekommen hatte, das nie geöffnet werden durfte, weil es ansonsten alle Übel der Welt freilassen würde. Als ihm der Vergleich, den ihm sein Unterbewusstsein präsentiert hatte, klar wurde, musste er grinsen. Tante Luise als Pandora!

Er vergaß den Gedanken sogleich, weil seine Neugier doch stärker war. Das passierte ihm häufiger, hatte aber glücklicherweise zumeist nicht die dramatischen Folgen, die sich der Göttervater für die Menschheit ausgedacht hatte.

Als er dann die „Büchse der Luise“, wie er sie später nennen würde, zum ersten Mal geöffnet und ihren Inhalt mehr oberflächlich erkundet hatte, hatte er sich entblößt und benutzt gefühlt und wollte sie sofort verbrennen. Dann hatte er sie aber trotzdem mitgenommen, da er hier immerhin einen Zugang zu seiner Kindheit in der Hand hielt. Verbrennen könnte er sie immer noch.

Vielleicht waren die drei Kinder in fünf Jahren zu viel gewesen. Nach der Geburt der jüngsten Tochter hatte Christa sich verändert. Aus der sportlichen und lebenslustigen jungen Frau, in die er sich verliebt hatte, war eine übergewichtige, oft depressive Mutter geworden, genau von der Art, wie er sie auch bei Elternsprechtagen nicht ausstehen konnte, ständig ihre Last und ihr Leid vor sich hertragend. So wie diesen Müttern, die nichts als Beschwerden über ihre Kinder vortrugen und denen er regelmäßig erklärte, dass sie sich auch einmal in die Situation der Kinder versetzen sollten, dass Eltern für ihre Kinder da sein sollten und nicht umgekehrt, und dass Kinder das Recht hätten, sich auch wie Kinder zu benehmen, warf er es auch Christa immer wieder vor. Er kam sich gemein und ungerecht vor, wenn er derartige Gedanken zuließ und sogar aussprach und dennoch schlichen sie sich immer wieder ein.

Das Leben mit Christa war anstrengend geworden. Auch den beiden älteren Kindern Emma und Patrick gegenüber verhielt sie sich oft mürrisch und abweisend und brauste schnell auf, sodass Jan trotz seiner beruflichen Belastung derjenige war, der immer ein offenes Ohr für die Kinder hatte und sie emotional stabilisierte.

„Willst du deiner Frau eigentlich beweisen, dass du die bessere Mutter bist?“ hatte sein Freund Horst kürzlich gefragt.

„Was soll ich denn machen, wenn ich das Leid der Kinder spüre und sehe, dass die Mutter es eher vermehrt als reduziert?“ hatte Jan ihm geantwortet.

Leider tat sich auch im Bett nicht mehr viel. Und das lag wohl in erster Linie an ihm, dachte Jan. Er spürte, dass irgendetwas fehlte. Ihn übermannte eine Sehnsucht, deren Ursache wohl so tief in ihm vergraben war, dass er sie nicht fassen konnte. Sie war wohl auch verantwortlich dafür, dass sich bei ihm keine sexuelle Lust mehr einstellte, wenn er neben dieser Frau, die er einmal über alles geliebt hatte, lag. Moment, dachte er, eigentlich liebe ich sie immer noch, ich begehre sie nur nicht mehr. Ich möchte ja mit ihr zusammenleben. Zerstöre ich also, das, was ich liebe? Gibt es eine destruktive Liebe? Ich möchte, dass es wieder so wird wie früher. Aber warum klappt das nicht?

1. Juli 1963

Als Drittklässler ist man ziemlich alt. Es ist schon komisch, wenn man die i-Dötzchen beobachtet und sich vorstellt, daß man auch mal so klein war. Gestern haben der große Rainer und ich drei erwischt, wie sie an der Mauer vom Pißgässchen einen Wettbewerb im Hochpinkeln gemacht haben. Das war drollig. Wir haben ihnen dann gezeigt, wie hoch ein Drittklässler kommt. Da hatten sie Respekt.

Der kleine Rainer, das ist der Freund vom großen Rainer, er ist aber viel kleiner, hat uns dann gefragt, ob wir ihnen helfen könnten. Sie hätten grade darüber gestritten, ob es den Nikolaus und den Hans Muff gibt. Er meinte das wären nur Leute aus der Nachbarschaft. Ob die echt wären oder nicht, auf die beiden könnte er verzichten meinte der große Rainer, er bekäm nämlich sowieso keine Geschenke sondern immer nur Kloppe von dem Hans Muff-Idioten. Das war starker Tobak! Aber der große Rainer hat das tatsächlich so erlebt. Letztes Mal war er sogar, nachdem der Hans Muff ihm mit dem Stock auf den Hintern gehauen hat, in den Sack gesteckt worden und obwohl er geschrien hat, haben seine Eltern ihn nicht gerettet. Draußen vor der Tür hat dann der Nikolaus zum Hans Muff gesagt „weil bald Weihnachten ist sollten wir Rainer noch eine Chance geben. Der wird ab jetzt sicher ein ganz lieber Junge sein“. Dann haben sie ihn aus dem Sack gelassen und er ist nach Hause gerannt. Seine ersten Gedanken, hat er später erzählt, waren allerdings nicht ganz so lieb. Er hat sich gefragt, ob man in die Hölle kommt, wenn man den Muff killt. Manni meint, wenn an der Nikolaus Geschichte vielleicht doch was dran ist und der Nachbar nur einer von vielen Vertretern vom richtigen Nikolaus ist, der kann ja schließlich auch nicht überall gleichzeitig sein, und wenn dann zufällig mal der richtige Nikolaus sagt, „Jupp, dieses Jahr komm ich selbst mal vorbei, du hast frei“, dann hätte der Rainer ein Problem, weil er seinen Kumpel Muff grade beleidigt und ihm den Tod gewünscht hat. „Egal“, hat der große Rainer gesagt, „wenn ich groß bin, verkloppe ich den Muff, der is ne dumme Sau!“ Beim Christkind waren wir uns allerdings nicht ganz so sicher. Das könnte es schon geben. Zumindest, wenn es das wirklich gäbe, wollten wir uns nicht durch Unglauben um die Geschenke bringen. Auch der dicke Pastor glaubt an das Christkind. Er hat gesagt, das würde sehen, ob wir lieb, artig und „gottesfürchtig“ wären. Und das dann auch dem lieben Gott erzählen. Warum man den lieben Gott fürchten soll hat er allerdings nicht gesagt. Vielleicht fürchtet er ihn ja, denn er ist selbst manchmal richtig böse. Im Religionsunterricht hat er immer einen Stock dabei. Und wenn ein Junge den Unterricht stört - es sind immer nur Jungen, nie Mädchen, obwohl die auch stören - dann muß der Junge nach vorne kommen, sich die Hose runter ziehen und sich bücken und dann gibt es Hiebe auf den nackten Po. Der Pastor guckt dabei richtig komisch und sagt so abgehackt „ich... werde... euch ..lehren... anständige.. Kinder ..zu ..sein!“ Das Schlagen scheint ihn anzustrengen, er bekommt dabei immer einen roten Kopf. Niemand erzählt das zu Hause, seit der große Rainer sich über den Herrn Pastor beschwert hat und dann von seinem Vater auch noch eine Tracht Prügel bekommen hat, weil er sich in der Schule benehmen soll!

Das waren also die Blätter aus dem Tagebuch. Er erinnerte sich, dass er eines Tages, als er etwas hineinschreiben wollte, bemerkt hatte, dass die ersten Seiten herausgerissen waren. Er hatte das Tagebuch danach immer in seinem Schulranzen gehabt. Was wohl damit geschehen war? Tante Luise hatte es sicher nicht gefunden, sonst hätte sie es in die Kiste gesteckt. Jetzt war Jans Interesse tatsächlich geweckt und er beschloss, bald einmal danach zu suchen.

2

Christa war seit der Geburt der ersten Tochter in Elternzeit gewesen. Manchmal kam sie noch zur Schule, um Freundinnen aus dem Kollegium zu treffen. Sie hatte Englisch und Geografie studiert und hielt sich durch die Lektüre englischer Bücher fit. Gemeinsam mit Jan schaute sie auch gerne englischsprachige Filme in der Originalversion. Vor der Ehe und den Kindern war sie viel gereist, das hatte sie mit Jan gemeinsam. Sie hatte beide Fächer nicht zuletzt aus ihrer Freude an der Erkundung der Welt gewählt.

Ihre Eltern, auch der Vater war Lehrer, die Mutter Hausfrau, waren inzwischen im Rentenalter und wohnten nur wenige Kilometer entfernt in einem eigenen Haus mit großem Garten. Sie waren „junge Alte“ und stets bereit, die Enkelkinder zu verwahren, wenn Christa und Jan einmal Zeit für sich brauchten.

Auch Christa spielte gerne Tennis und hatte ihren Freundinnenkreis, mit dem sie sich regelmäßig traf.

Heute war ein Tag, den sie sich freigenommen hatte. Die Kinder hatte sie zu ihren Eltern gebracht, und sie kam ins Lehrerzimmer, um eine Kollegin zum Tennis abzuholen.

„Na du hast ja nach deinem letzten Kind ganz gut zugelegt! Dabei warst du mal so sexy!“ Jörg Hauer war siebenunddreißig, sah aber jünger aus. Er unterrichtete Sport und hielt sich für besonders attraktiv und unwiderstehlich.

„Ach Jörg, immer noch nicht aus der Pubertät raus?“

Christa ließ sich nicht anmerken, dass er sie an einem wunden Punkt getroffen hatte. Nach den beiden älteren Kindern hatte sie schnell abgenommen und ihre sportliche Figur bald wieder erreicht. Jetzt blieb sie auf ihren Pfunden sitzen. Das ärgerte sie und sie bemerkte auch, dass sich ihre Stimmung immer mehr trübte und depressive Stimmungsschwankungen sich mit aggressiven Momenten abwechselten. Das war ihr neu. Unmittelbar nach Maries Geburt hatte sie zwar eine Phase gehabt, in der sie sich, statt sich zu freuen, wie bei den anderen beiden Kindern, eher trüben Gedanken hingab und gedrückter Stimmung war, mit der Zeit hatte sich das aber gegeben. Sie hatte sich vorgenommen, mit einer Diät und regelmäßigem Sport an ihrer Figur zu arbeiten und hoffte, dass sich dadurch nicht nur ihre Stimmung verbessern würde, sondern auch ihre Attraktivität für Jan.

Sie entdeckte ihn im Lehrerzimmer und ging hinüber, um die Pläne für den Tag zu besprechen. Jan hatte noch eine Stunde Unterricht, wollte dann nach Hause und würde sich am Nachmittag mit seinen Freunden ebenfalls zum Tennisplatz begeben.

Die letzte Stunde war eine Deutschstunde in seiner Sieben.

Er ließ die Schüler ein Diktat schreiben und hatte, wie schon oft zuvor, das Gefühl, dass er auf diese Weise die Rechtschreibfähigkeiten vieler Schülerinnen und Schüler gar nicht richtig abbilden konnte.

Zu Hause angekommen, holte Jan seine Sporttasche und legte frische Tenniskleidung hinein. Dann fuhr er zum Club. Er freute sich auf das wöchentliche Treffen mit seinen Freunden.

Christas Laune war am Abend nicht die beste. Sie haderte mit ihren Leistungen beim Tennis und warf Jan, der ihr vorschlug, doch ein paar Trainerstunden zu nehmen, um wieder auf ihr „Vor-Schwangerschafts-Niveau“ zu kommen, vor, dass er, wie immer, überhaupt nichts mitbekäme. Sie sei frustriert und er wolle jemand Fremden dafür bezahlen, dass es ihr besser gehe.

Jan schüttelte nur den Kopf, holte sich eine Flasche Bier und vertiefte sich in ein Buch.

Am darauffolgenden Dienstag war bereits die nächste Deutschstunde in der Sieben. Er hatte die Diktate noch nicht alle korrigiert. Lästige und langweilige Aufgaben schob er gerne mal vor sich her. Er würde sich wieder einmal mit einem Whisky belohnen müssen, wenn er es schaffen wollte, die Arbeiten zeitnah zurückzugeben. Da er die Rückgabe der Diktate und deren Besprechung eigentlich für diese Stunde geplant hatte, musste er improvisieren.

„Heute möchte ich, dass ihr kreativ seid! Es kommt mir diesmal überhaupt nicht auf die Rechtschreibung an. Ich möchte, dass ihr ein Gedicht schreibt. Aber nicht irgendein Gedicht, sondern ein Gedicht über jemand aus der Klasse. Hierzu bitte ich jeden von euch, seinen Namen auf einen Zettel zu schreiben und diesen dann einmal zu falten. Wir nehmen Zettel von meinem Notizblock. Ich lasse ihn jetzt herumgehen. Ich komme dann gleich mit dem Papierkorb und ihr werft die gefalteten Zettel da rein. Danach nimmt sich jeder einen heraus und schreibt über die Person, deren Name auf dem Zettel steht, ein mindestens aus vier Zeilen bestehendes Gedicht, in dem ihr beschreibt, was dieser Mensch für besondere, positive Eigenschaften hat. Vielleicht könnt ihr die- oder denjenigen eigentlich nicht leiden. Dann wird es etwas schwerer. Aber letztlich hat jeder Mensch auch gute Seiten und Eigenschaften, auch wenn er sie manchmal sogar vor sich selbst versteckt. Ich bin sicher, es wird euch etwas auffallen, über das ihr schreiben könnt. Ich werde alle Gedichte ohne Nennung der Verfasserin oder des Verfassers ausdrucken und ans schwarze Brett hängen, so dass jeder das Gedicht über sich lesen kann. Danach werden wir uns darüber unterhalten.“

Als alle Zettel eingesammelt und wieder verteilt waren, war Jan froh, dass sich niemand selbst gezogen hatte. Nach anfänglichem Gemurre und Gestöhne: „Nein, doch nicht die!“ –

„Da fällt mir ja gar nichts ein!“, wurde die Klasse schließlich ruhiger und alle waren in ihre Aufgabe vertieft.

Die baldige Klassenfahrt kam ihm gelegen. So konnte er den zunehmenden Missstimmungen zu Hause, zumindest für kurze Zeit, entfliehen. Was war nur mit Christa seit der Geburt von Marie passiert? Er konnte es sich nicht erklären. Sie war oft schlecht gelaunt und fordernd und warf ihm dann vor, dass er sie nach den Schwangerschaften, die ja auch er gewollt hätte, nicht mehr so attraktiv wie früher finde. Wenn sie so war, ihre depressive Verstimmung vor sich hertragend und gleichzeitig unterschwellig aggressiv, verging Jan tatsächlich jedwede Lust, mit ihr ins Bett zu gehen. Das verschlimmerte ihre Stimmung allerdings nur noch mehr.

Er würde mit seiner siebten Klasse nach Berlin fahren. Martina Krämer, eine junge Kollegin, die die Klasse in Englisch unterrichtete, war als zweite Lehrkraft mit dabei. Sie war hübsch und intelligent und ihre freundliche, zugewandte Art gefiel nicht nur den Schülern. Allerdings war sie gut zwanzig Jahre jünger als Jan. Als er das dachte, meldete sich sofort sein schlechtes Gewissen. Sie ist eine nette Kollegin. Auch wenn sie gerade alleinstehend ist, gäbe es nur Komplikationen, wenn ich etwas mit ihr anfinge. Er schob den Gedanken schuldbewusst beiseite.

Einige Tage vor der Fahrt gab es ein Problem. Als in der Klasse das Programm besprochen wurde, fing einer der Schüler, Max, an zu weinen. Jan bat ihn nach der Stunde zu sich und fragte nach dem Grund seiner Traurigkeit. Max antwortete, seine Mutter habe nicht genug Geld für die Fahrt. Er müsse also zu Hause bleiben. Max lebte alleine mit seiner Mutter und zwei Geschwistern. Jan war aufgefallen, dass er gegen Ende eines Monats oft ohne Pausenbrot in die Schule kam.

In diesem Moment tat ihm der Junge sehr leid. Max hatte wieder Tränen in den Augen. Jan spürte die Traurigkeit, als wäre es seine eigene und nahm ihn tröstend in den Arm. Der Junge ließ das nicht nur geschehen, er legte seinen Kopf an Jans Brust und sagte: „Ich wäre so gerne mitgefahren.“

„Keine Sorge, Max. Du wirst an der Klassenfahrt teilnehmen können. Ich werde mich darum kümmern.“

„Echt jetzt? Oh Mann, vielen Dank, das wäre prima!“

Jan spürte in diesem Moment die Freude und das Glück des Kindes und wusste, dass keine Umarmung mehr nötig war. Max trat einen Schritt zurück und strahlte ihn an.

„Ich muss das gleich Mama erzählen! Meine Mutter hatte noch versucht, irgendwo Geld zu sparen, damit ich teilnehmen kann. Sie hat mir aber gestern gesagt, dass das Geld einfach nicht reicht. Da war sie auch ganz traurig drüber.“

Einige Tage später konnte Jan mitteilen, dass ein anonymer Spender die Kosten für Max übernommen habe. Das hatte Diskussionen in der Klasse ausgelöst. Wer könnte das sein? Einige vermuteten, das Geld könnte von Pascals Vater kommen. Pascal Renners Vater war sicher der Reichste in der Stadt. Aber der Junge meinte, der sei es garantiert nicht gewesen. Der würde sein Geld eher verbrennen als es jemand zu schenken.

Jan freute sich, Max, der in der Klasse beliebt war, jetzt glücklich zu sehen. Mehr noch, auch er war glücklich, als er den Jungen beobachtete, der strahlend mit zwei Freunden darüber sprach, was man sich in Berlin unbedingt anschauen sollte. Jan war zum wiederholten Mal zufrieden, mit Christa vereinbart zu haben, dass jeder von beiden auch ein eigenes Konto hatte, auf das monatlich 200 Euro überwiesen wurden, mit denen man machen konnte, was man wollte.

Der nächste Morgen begann mit einer Freistunde. Jan nahm sich die Gedichte seiner Schüler vor.

Die Lehrer haben nen Mathema-Tick!

Kultus ist Stuss und Schluss!

Doch Rieke hat wahre Schönheit im Blick

sie zeichnet und malt mit großem Geschick

ihre Bilder sind ein Genuss!

Er war beeindruckt. Das hätte er Pascal nicht zugetraut. Mit ihm hatte er immer etwas gefremdelt. Er war ein hübscher, schwarzhaariger Junge und gerade am Anfang der Pubertät. Er war sich weder seines guten Aussehens noch seiner geistigen Fähigkeiten wirklich bewusst und definierte sich im Wesentlichen über den Status seiner Eltern. Pascal war für Jan immer in der Kategorie „Guter Schüler, aber Angeber, interessiert sich nicht für andere!“ gelaufen. Er musste seine Meinung offensichtlich, zumindest teilweise, revidieren.

Und Pascal hatte mit den wenigen Zeilen etwas angesprochen, über das Jan sich schon länger den Kopf zerbrach: Ist es wirklich sinnvoll, aus dem bunten Strauß der Unterrichtsfächer die herauszusuchen, in denen die Schüler Schwächen haben? Wenn Lebenszeit und -energie dafür aufgewendet werden, statt schlecht, mittelmäßig zu werden? Wäre es nicht viel sinnvoller, die Talente der Kinder zu suchen und zu fördern? Was könnte jemand erreichen, der seine ganze Energie in den Bereich steckt, in dem er talentiert ist? Wäre das für den weiteren Lebensweg, sowohl für die einzelnen Menschen als auch für die ganze Gesellschaft, nicht viel sinnvoller? Exzellenz statt Mittelmäßigkeit! Das müsste doch das Ziel schulischer Ausbildung sein!

Jan bemerkte, dass seine Gedanken wieder einmal ihre eigenen Wege gegangen waren und griff nach dem nächsten Blatt.

Das nächste Gedicht war passenderweise das über Pascal.

Was ein Scheiß! habe ich gedacht,

denn ich habe Pascal gezogen,

der gerne über die Anderen lacht

doch, und das ist jetz nich gelogen

habe ich neulich mitbekommen

das er den Max hat mitgenommen

und er hat nicht damit gepralt

er hat dem Max das Eis bezahlt!

Schön, aber noch ausbaufähig, dachte Jan. Der Sinn hinter der Aktion war allerdings auch nicht, die Klasse zu Dichterwettbewerben anzumelden, sondern den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, dass sie auch positive Seiten haben, die ihnen selbst oft gar nicht bewusst sind, die aber die anderen sehen und respektieren. Und offensichtlich hatte er Pascal tatsächlich vollkommen falsch eingeschätzt!

Es sind eben so viele unterschiedliche Kinder, die man an einem Gymnasium unterrichtet. Er rechnete nach, dass es bei ihm in fünf Klassen rund hundertdreißig waren, denen er gerecht werden wollte. Er nahm sich vor, seinen Schülern vorurteilsfreier gegenüberzutreten, auch wenn er wusste, dass ihm das in vielen Fällen dennoch nicht gelingen würde.

Aishe ist anders

Aishe ist schön

Aishe die kann was

das kann jeder sehn!

Aishe gibt an

was sie alles kann!

Aishe ist zu beneiden.

Ich konnte Aishe nicht leiden.

Dann kam der Tag

als Mauzi starb.

Mein Kater war alles für mich

doch die Welt ließ mich im Stich!

Plötzlich war Aishe da

und es war wunderbar

sie hielt mich tröstend im Arm

wie hatt‘ ich mich in ihr vertan!

Wow! Jan war aufgefallen, dass sich Kerstin neuerdings häufiger mit Aishe unterhielt. Sie hatte früher eher Abstand zu dem türkischstämmigen Mädchen gehalten, das nicht nur wegen seines Kopftuchs, sondern auch deshalb eine Außenseiterrolle einnahm, weil es die beste Schülerin der Klasse war.

Noch ein Gedicht gefiel ihm, wegen der Prägnanz der Aussage. Es war von Max:

Was auch immer

„Karim“

bedeuten mag.

Für mich heißt es:

„guter Freund“!

Jan schrieb die Gedichte (ohne die Rechtschreibfehler) ab, druckte sie ohne Angabe der Verfasserin oder des Verfassers aus und hing sie ans Schwarze Brett in der Klasse. In der darauffolgenden Stunde ergab sich eine lebhafte Diskussion. Wie er sich erhofft hatte, waren alle überrascht, welch positives Bild die Mitschüler von ihnen hatten.

Die Klassenfahrt ging mit der Bahn ohne Umstieg von Bonn bis Berlin. Das war dem Status der ehemaligen Hauptstadt geschuldet und der Tatsache, dass immer noch viele Bundesbeamte in Bonner Außenstellen von Berliner Ministerien arbeiteten.

Sie waren in einer Jugendherberge in der Nähe des Zoos untergebracht. Die Lage war günstig. Nach dem obligatorischen Kulturprogramm konnten die Schüler von hier aus gut Ku‘damm und Tauentzienstraße zum Shoppen erreichen. Auch der Tiergarten war nur wenige hundert Meter entfernt. Man hatte für den Nachmittag des letzten Tages einen Spaziergang zum Biergarten beim „Café am neuen See“ geplant.

Damit die Dreizehnjährigen sich außerhalb des organisierten Programms auch einmal unbeaufsichtigt bewegen konnten, hatte man sie in Dreier- und Vierergruppen eingeteilt und ihnen eingeschärft, dass diese Gruppen unter allen Umständen zusammenbleiben mussten. In jeder Gruppe war zumindest ein Schüler mit einem Handy oder Smartphone. Die mobilen Telefone gab es noch nicht sehr lange, und sie waren sehr teuer. Nur acht Schüler hatten eins dabei. Sollte es Probleme irgendwelcher Art geben, hatten sie die Telefonnummern der Lehrer bekommen.

Das Programm war vielfältig, die Stadtrundfahrt mit Besichtigung der Reichstagskuppel und des Brandenburger Tors und der Bootsausflug auf der Spree hatten allen gefallen, Jans Idee, neben dem von Künstlern gestalteten Teil der Berliner Mauer an der „East Side Gallery“, dem „DDR-Museum“ und dem „Checkpoint Charlie“ auch die Besichtigung der „Berliner Unterwelten“ vorzunehmen, war anfangs etwas skeptisch aufgenommen worden. Schließlich waren aber doch alle von diesem „Geschichtsunterricht zum Anfassen“ beeindruckt. Jan war überrascht, dass selbst der Besuch der Gemäldegalerie von den meisten interessiert aufgenommen worden war. Das hatte zum größten Teil auch daran gelegen, dass ein Kunsthistoriker die Gruppe durch das Museum führte, der es verstand, den Schülern sein Fachwissen und seine Begeisterung für die Kunstwerke zu vermitteln. Ein Bild hatte Jan besonders fasziniert. Es war der „Amor“ von Caravaggio. Bereits als er den Raum betrat, war er von der Darstellung gefangen. Es war eigenartig, wohin er sich auch bewegte, die Augen des nackten Amors schienen ihn zu verfolgen. Und der Gesichtsausdruck des Jungen mit dem spöttischen Lächeln sagte ihm: „Ich habe dich durchschaut! Du kannst hingehen, wo du willst, du entkommst mir nicht!“

Wenig verwundert hörte er kurz darauf die Erklärung, dass der Originaltitel des Bildes, „Amor vincit omnia“, beziehungsweise „Amor als Sieger“ lautete. Der Titel war einem Text von Vergil entnommen: „Amor besiegt alles; so wollen denn auch wir uns Amor fügen.“

Der gut fünfzehnminütigen Erklärung zu diesem und dem benachbarten Bild von Baglione folgten sogar viele Siebtklässler.

„Da es damals noch keine Social Media gab, musste man sich auf andere Art und Weise streiten“, begann der Museumsführer seinen Vortrag. Und er berichtete davon, wie die Künstler im 17. Jahrhundert lebten und dass es häufiger Auseinandersetzungen insbesondere zwischen diesen beiden gegeben hatte. Bagliones Bild war als Reaktion auf das Bild des Kollegen entstanden. Er hatte Caravaggios Amor gemalt, mit einem Dämon auf dem Boden liegend, dem Betrachter das Gesäß, vor das er Pfeile hielt, zuwendend und vom Erzengel Michael besiegt. Damit kritisierte er den Konkurrenten gleich auf mehreren Ebenen. Eine davon bezog sich auf die Homosexualität Caravaggios und dessen kolportierten Hang zu hübschen Knaben.

„So wollen denn auch wir uns Amor fügen …“, warum war es Jan bei diesem Satz so heiß geworden? Und warum dachte er jetzt, das spöttische Lächeln des jungen Amors galt ihm? Das durfte nicht sein!

Schnell versuchte er, auf andere Gedanken zu kommen.

Wie kann man nur so überirdisch malen? Jan war sich sicher, dass er das Bild so schnell nicht vergessen würde.

Die Fahrt zu den Babelsberger Filmstudios, mit Zwischenstopp am Olympiastadion, war natürlich das absolute Highlight. Die Schüler benahmen sich nicht daneben, die Stimmung war gut und Jan und Martina verbrachten einige Zeit miteinander, wobei Jan stets daran dachte, nicht seinem ständig vorhandenen Wunsch nachzugeben, mit ihr zu flirten. Vielleicht war Martina gerade deshalb so gerne mit ihm zusammen.

Der Biergartenausflug am letzten Nachmittag war bei strahlendem Sonnenschein ein gelungener Abschluss. Es gab Limo und Cola, wer wollte, konnte sich einen Biergarten-Snack oder Kuchen dazu bestellen, die Lehrer tranken Kaffee. Es war halb sechs und die Schüler hatten bis zum Abendessen frei.

Jan wollte für Christa und die beiden größeren Kinder Souvenirs einkaufen, einige Schüler schlossen sich ihm an. Martina war von einer Gruppe Mädchen gefragt worden, ob sie mit ihnen käme, und so machten sich alle nach und nach auf den Weg.

Zuletzt waren nur noch Pascal, Max, Kerstin und Aishe an ihrem Biertisch. Als auch sie, gegen sechs, aufbrechen wollten, sagte Pascal: „Oh, das riecht hier aber gut!“

Am Nachbartisch saßen vier ältere Jugendliche, vielleicht waren sie auch schon gerade erwachsen, und rauchten etwas, das Pascals Interesse geweckt hatte.

„Woher kennst du Kleiner denn den Geruch?“, fragte einer der vier.

„Ich hab schon öfter mal gekifft. Gebt ihr mir was ab?“

„Wenn wir dir hier im Biergarten was zu rauchen geben, dann haben wir gleich die Polizei am Hals! Du bist ja selbst für Tabak noch viel zu jung!“

„Komm, Pascal, wir wollen gehen!“ Kerstin wirkte besorgt.

„Ja, Pascal, Mutti will dich jetzt nach Hause bringen! Aber wenn du willst, können wir zwei noch einen Spaziergang im Tiergarten machen. Da sieht uns keiner!“ Der Jugendliche, der das gesagt hatte, grinste Pascal frech an.

„Ihr könnt ja schon mal vorgehen, wir treffen uns dann spätestens eine Viertelstunde vor dem Abendessen in der Jugendherberge!“

„Willst du das wirklich machen? Und du weißt, wie so ein Zeug auf dich wirkt?“ Auch Max sah nicht gerade erfreut über das Vorhaben seines Kumpels aus.

„Ja, ich hab das schon öfter gemacht. Das macht einfach Spaß. Ich fühl mich dann immer saugut!“

„Wir sollten uns eigentlich nicht trennen“, wandte Aishe ein.

„Nun sei mal keine Spielverderberin! Ich komm‘ ja gleich nach. Und bitte, verratet mich nicht! Ihr müsst mir das versprechen!“

Pascal war offensichtlich nicht umzustimmen. Also machten sich die anderen drei schweren Herzens, mit dem Versprechen, ihn nicht zu verpetzen, auf den Rückweg.

„Willst du auch ein Radler?“, der Jugendliche, der Pascal zum Spaziergang eingeladen hatte, stand auf, um Nachschub zu holen. „Ich lad‘ dich ein! Ich heiße übrigens Joe.“

„Gerne“, sagte Pascal. Die Typen sind echt nett, dachte er.

Nach einer guten halben Stunde nahm Joe zwei Joints aus einem Rucksack.

„Ist der auch gut?“ Pascal sah zu Joe, der gerade an einem der Joints roch.

„Du wirst überrascht sein, wie gut der knallt!“ Der das sagte, grinste dabei breit.

„Ich kann schon was vertragen“, meinte Pascal daraufhin und wunderte sich, warum sein Spruch auf allgemeine Heiterkeit stieß.

Joe holte noch zwei Dosen Cola aus dem Rucksack und forderte den Jungen auf, ihm zu folgen.

Die anderen schienen schon genug gekifft zu haben, sie riefen ihnen alberne Sprüche nach: „Treibt‘s aber nicht zu wild!“ - „Lass ihn ganz!“

Nach rund hundert Metern setzten sie sich hinter eine Hecke.

„Und du hast wirklich schon mal was geraucht?“

„Ja, schon öfter, mit ein paar älteren Freunden.“

„Ja, dann hoffe ich mal, dass du gleich auch genügend Spaß hast.“ Er zündete den Joint an, zog daran und reichte ihn Pascal, der tatsächlich wusste, wie er damit umgehen musste.

Joe stand auf.

„Ich muss mal pinkeln.“

Er ging hinter die nächste Hecke und rief nach einer Weile: „Ich hab Durst, willst du auch ne Cola?“

Der Junge hörte, wie die Dosen geöffnet wurden. Was er nicht mitbekam, war, dass Joe aus einer kleinen Flasche etwas in eine der Dosen kippte. Dann kam er zurück und reichte sie Pascal.

„Kiffen macht durstig“, sagte er, ließ sich den Joint geben und nahm einen kräftigen Schluck von seiner Cola.

Auch der Junge trank jetzt.

„Du hast recht“, bestätigte er grinsend, „Rauchen macht echt Durst. Und Hunger! Wie gut, dass es gleich Abendessen gibt! Das Zeug ist wirklich gut.“

Nach einer Weile hörten sie Stimmen, die näherkamen.

„Wir sollten etwas weitergehen, da hinten sind die Büsche dichter, da stolpert keiner versehentlich über uns. Ich hab noch eine zweite Tüte dabei.“

Pascal kicherte.

„Mir kribbelt‘s am ganzen Körper“, lachte er, „Ich glaub, du musst mich mal am Rücken kratzen!“

Joe schob seine Hand unter das T-Shirt des Jungen und erfüllte dessen Wunsch.

„Oh, schön!“, rief Pascal, „und jetzt am Bauch!… Das gefällt mir, geht das auch tiefer?“

„Na klar“, sagte der Jugendliche und griff in die Jeans des Jungen, um ihn im gewünschten Bereich zu streicheln.

„Das ist geil“, befand der und Joe sagte: „Wir sollten uns jetzt echt einen ruhigeren Platz suchen, wenn wir etwas Spaß haben wollen.“

Als sie aufgestanden waren und zurück zum Weg gingen, bemerkte Pascal, dass ihm schwindlig wurde.

Joe stützte ihn. „Besser nicht so viel saufen!“, rief einer aus der Gruppe, die sie eben gehört hatten. Die anderen beachteten die beiden nicht weiter, als sie an ihnen vorbeigingen. Nach einigen Metern bog Joe erneut vom Weg ab, und sie nahmen einen Pfad durch dichter stehende Büsche.

Um 19:30 traf man sich in einer Pizzeria zum Abendessen. „Wer fehlt, soll sich melden!“, rief Jan scherzhaft.

„Pascal fehlt!“ Kerstin schüttelte unwillig den Kopf, während sie mit den beiden anderen an ihrem Tisch, Max und Aishe, flüsterte. Jan ging zu ihnen.

„Was ist denn los? Wo ist Pascal?“

„Wir müssen es ihm sagen!“ Kerstin schaute die anderen verunsichert an. „Pascal wollte uns spätestens um Viertel nach sieben treffen.“

„Aber wir haben ihm versprochen, nichts zu sagen.“

Max sah besorgt aus.

Jan wurde langsam ungeduldig. „Max, wenn Pascal etwas passiert ist, werdet ihr euch ewig Vorwürfe machen! Warum habt ihr euch überhaupt getrennt und wo wart ihr zuletzt zusammen?“

„Na gut.“

Max sah jetzt sogar ein bisschen erleichtert aus.

„Wir sind noch im Biergarten geblieben. Da haben wir ein paar Leute aus Berlin kennengelernt. Die waren sicher schon siebzehn oder achtzehn. Sie haben uns erzählt, was man in Berlin noch alles Cooles machen kann. Als wir gehen wollten, hat Pascal gesagt, er will noch was bleiben und mit einem der älteren Jungen einen Spaziergang machen. Wir sollten schon mal losgehen, er käme bald nach. Und dann haben wir uns für spätestens Viertel nach sieben in der Jugendherberge verabredet.“

„Wir haben ihn schon ein paarmal angerufen, aber er geht nicht ans Handy“, Aishe wirkt besorgt.

„Was wollte er denn von dem Älteren?“

Max schaute gequält. „Wir mussten ihm versprechen, das niemandem zu sagen.“

„Max, um Gottes willen, Pascal ist verschwunden, ich muss erfahren, was er vorhatte!“

Max schaute die anderen beiden fragend an.

„Okay“, Kerstin ergriff das Wort. „Die haben gekifft und Pascal hat gesagt, das wäre cool, das hätte er auch schon mal gemacht und er würde es gerne noch mal machen. Da hat einer von den Berlinern gesagt, wenn Pascal Lust hätte, könnten sie in den Tiergarten gehen und einen durchziehen.“

Jan wurde blass. „Ich brauche vier Dreiergruppen!“

Schnell zeigte er auf die Schülerinnen und Schüler, die er mitnehmen wollte.

„Kommt, wir müssen Pascal suchen. Und versucht weiterhin, ihn anzurufen!“

Pascals Handy klingelte. Er saß neben Joe, an einen Baum gelehnt. Er müsste eigentlich drangehen, fühlte sich dazu aber irgendwie viel zu müde. „Ich muss jetzt gehen“, wollte er sagen, aber er brachte die Worte kaum noch heraus. Joe sagte: „Ist schon gut!“, nahm ihm das Handy aus der Hand, drückte auf eine Taste, um das Klingeln abzustellen, und legte es weg.

Unterwegs öffnete Jan die Karten-App auf seinem Smartphone. Er war schon immer sehr technikaffin gewesen und hatte sich Ende letzten Jahres das neue iPhone 3 gegönnt. Die Navigations-App zeigte auch die Wege im Tiergarten an. Er wies auf die Bereiche, in denen die einzelnen Gruppen suchen sollten. Er selbst ging alleine.

Die beiden hatten sich hoffentlich nicht zu weit vom Biergarten entfernt. Jan schaute sich um, ob er einen Bereich fand, der nicht so gut einsehbar war. Zwischen Landwehrkanal und „Neuem See“ gab es Büsche und Gestrüpp. Dort wollte er suchen.

Joe hatte sich Zeit gelassen. Da Pascal dem Ganzen nicht unbedingt abgeneigt schien, sich zumindest nicht wehrte, wollte er die Situation genießen. Er begann nun, dem Jungen das T-Shirt auszuziehen. Er legte einen Arm um dessen Schultern und streichelte ihm über den Bauch. Das fühlt sich schön an, dachte Pascal. Doch als der Ältere danach die Knöpfe der Jeans öffnete und seine Hand ihren Weg in die Unterhose des Jungen fand, war der sich seiner Gefühle plötzlich nicht mehr ganz so sicher. Denn das, was gerade mit ihm geschah, war gleichzeitig angenehm und eklig. Kurz darauf gewann der Ekel. Joes Hand war an einer Stelle, die der Dreizehnjährige noch nicht mit sexuellem Spaß verband. Urplötzlich kippte seine Stimmung. Aus aufgeregter Neugier wurde Angst. Er wollte weg. Aber zum Fliehen war es jetzt zu spät. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Pascal merkte, dass ihm nun auch die Unterhose ausgezogen wurde. Er konnte nichts dagegen tun. Die Geräusche der Umgebung wurden leiser und seine Müdigkeit stärker. Das Einzige, was er jetzt noch fühlte, war Panik.

Jan hörte Lachen hinter einem Gestrüpp und ging schneller. Pascal könnte sich auf was gefasst machen. Als er hinter den Busch schaute, saßen da zwei Jungen und zwei Mädchen. Sie rauchten. Den Geruch kannte er.

„Habt ihr zwei Jungen gesehen, einen Dreizehnjährigen und einen ungefähr Achtzehnjährigen? Ich muss die dringend finden!“

„Vor ‘ner halben Stunde haben wir die getroffen. Der Jüngere war ziemlich besoffen. Das war so ungefähr zweihundert Meter von hier. Die gingen in die Büsche. Wollten wohl auch was rauchen.“

Das Mädchen, das mit ihm gesprochen hatte, zeigte einen Weg entlang. Jan bedankte sich und lief los. Nach rund 150 Metern verließ er den Weg und wandte sich einem Bereich mit dichter stehenden Bäumen und Büschen zu. Plötzlich hörte er den Klingelton eines Handys. Noch wenige Meter, und er erreichte den Ort, von dem die Geräusche stammten. Der Schock traf ihn unerwartet und er stoppte abrupt, so als wäre er vor eine unsichtbare Wand gelaufen. Er sah Pascal. Der Junge lag nackt und nahezu regungslos auf dem Boden, seine Kleidungsstücke achtlos neben sich verstreut, und was sich wenige Zentimeter vor seinem Mund befand, war kein Joint. Über ihn hatte sich gerade ein Mann von vielleicht zwanzig Jahren gekniet. Jan sah neben sich auf dem Boden einen abgebrochenen Ast liegen. Er ergriff den Knüppel, holte aus und schlug mit voller Wucht zu. Der Mann hatte ihn im letzten Moment bemerkt und sich weggedreht, sodass er nur am Rücken getroffen wurde. Jan holte erneut aus.

„Du dreckiges Schwein!“, schrie er. Und ehe er nochmals zuschlagen konnte, rollte sich der andere zur Seite, sprang auf, zog sich stolpernd die Hose hoch und lief davon. Jan ließ den Ast fallen und bückte sich zu Pascal. Der wimmerte nur. Er setzte sich neben den Jungen, nahm ihn in den Arm und flüsterte tröstend: „Jetzt ist alles gut, ich habe ihn verjagt! Alles wird gut.“

Pascal sah ihn aus trüben Augen an, er wollte etwas sagen, konnte es aber nicht und produzierte nur ein unverständliches Lallen. Dabei klammerte er sich an Jan, der ihn jetzt, schützend seine Arme um ihn gelegt, auf seinem Schoß hielt. Jan schloss die Augen, die sich langsam mit Tränen füllten.

„Gib mir deinen Schrecken“, flüsterte er, „dann ist es für dich leichter zu ertragen.“

Und er hielt den Jungen, der sich immer noch an ihn klammerte, weiterhin fest. Jan wollte, dass Pascal sich jetzt sicher und geborgen fühlte.

„Alles wird wieder gut! Ich bin bei dir. Ich beschütze dich.“, sagte er immer wieder und streichelte ihm behutsam über den Kopf. Pascal beruhigte sich langsam.

Bette Middlers tröstende Stimme ertönte in Jans Kopf

„When the night has been too lonely / And the road has been too long / And you think that love is only / For the lucky and the strong / Just remember in the winter / Far beneath the bitter snows / Lies the seed that with the sun‘s love / In the spring becomes the rose.“

So fand ihn, ungefähr zehn Minuten später, eine der suchenden Schülergruppen. Vor einem Baum sitzend, den nackten Pascal im Arm.

„Herr Schneider, um Gottes willen, was ist passiert?“

„Ruft bitte einen Krankenwagen und die Polizei!“

Jan hielt Pascal noch immer im Arm, als die Sanitäter eintrafen, um ihn ins Krankenhaus zu bringen.

Dass ab jetzt nichts mehr so sein sollte wie zuvor, war ihm noch nicht bewusst.

Genauso wenig war ihm klar, dass er gerade tief in seinem Inneren etwas geweckt hatte, das die Macht besaß, ihn zu zerstören.

Jan und Martina sprachen noch am selben Abend mit der Klasse über den Vorfall. Es hatte schnell die Runde gemacht, dass der Junge kiffen wollte und stattdessen Opfer eines Vergewaltigers geworden war. Die Sanitäter hatten vermutet, dass wohl K.-o.-Tropfen mit im Spiel gewesen seien. Die Lehrer wiesen nochmals darauf hin, wie wichtig ihre Anweisung war, in der Kleingruppe zusammenzubleiben.

Ein anderes Thema diskutierten die Kinder nur untereinander.

„Und der Schneider hat den nackten Pascal wirklich auf dem Schoß gehabt?“

3

Jan war froh, dass bereits für den nächsten Tag die Heimreise anstand. Pascals Eltern waren noch am Abend, direkt nachdem er sie informiert hatte, nach Berlin geflogen und hatten sich im Adlon einquartiert. Er traf sie am frühen Morgen im Krankenhaus und sie berichteten ihm, dass dem Jungen tatsächlich K.-o.-Tropfen verabreicht worden seien. Er sei körperlich unversehrt. Jan sei wohl gerade noch rechtzeitig eingetroffen. Dass die Eltern ihm gegenüber dennoch nicht gerade freundlich gesinnt waren, konnte er verstehen.

Jan sehnte sich nach Zuhause. Zum Glück war die Rückfahrt bereits am späten Vormittag.

Die Freude, wieder nach Hause zu kommen, währte allerdings nur kurz.

„Jetzt warst du fünf Tage auf Klassenfahrt, kommst zurück und hältst dich wieder von mir fern!“

Christa lag neben ihm im Bett und hörte sich an wie ein Klageweib. Sie hatte ihm kaum zugehört, als er vom Vorfall mit Pascal berichten wollte. Stattdessen erzählte sie, wie schwer es für sie gewesen war, sich alleine um Haushalt und Kinder zu kümmern. Jan hatte wieder eine Melodie im Kopf. Normalerweise musste er länger nach dem Text suchen, diesmal fiel er ihm schnell ein. Es war „Lang schon schief“, wenig bekannt, aber einer der schönsten Songs der Kölner Gruppe „Brings“:

„Ich hann Angst vür dem, wat uns jeden Daach usenander driev ...“. Sie singen auf Kölsch, das Jan gerne hört und vor allem auch gerne mitsingt, von einem Paar, das sich auseinander gelebt hat, mit Zeilen, die die Entfremdung beschreiben.

„Ich kann die Sterne sehn, von mir bis zu dir ist es genauso weit wie bis zu denen hin“ oder „Ich habe Angst vor der Kälte in der Nacht, wenn du neben mir liegst. Es läuft schon lange schief.“

Jan rückte etwas von Christa ab. Er hatte sich das ganz anders vorgestellt mit der Familie. Er war sich lange unsicher gewesen, ob eine Familie für ihn überhaupt infrage käme. Als er sich dann im Überschwang der Gefühle für eine Ehe mit Christa und für Kinder entschieden hatte, hatte er sich mit keinem Gedanken vorstellen können, dass aus der glücklichen Beziehung Unglück entstehen könnte.

Erich Kästners „Kleines Solo“ kam ihm in den Sinn: „Einsam bist du sehr alleine - doch am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit“. Mit einem schlechten Gewissen schlief er ein.

In der Nacht hatte er einen Traum, der ihn noch länger beschäftigen sollte.

Er war wieder in der Berliner Gemäldegalerie und betrachtete Caravaggios Bild. Plötzlich bekam der Amor Pascals Gesichtszüge und nun lächelte Pascal ihn an:

„Ich habe dich durchschaut! Du entkommst mir nicht!“

Die Szene wechselte und er fand sich im Tierpark wieder. Er saß an einen Baum gelehnt und hielt den nackten Amor im Arm. Der sah ihm spöttisch in die Augen, und er geriet in einen Strudel, der ihn in eine dunkle Tiefe zog. Er konnte sich nicht wehren und auch nicht halten, als er in den Abgrund stürzte und fiel und fiel und dabei die lachende Stimme des kindlichen Gottes hörte: „Ich hab`s dir doch gesagt!“

Dann wachte er auf. Sein Herz raste und er war so aufgewühlt, dass er längere Zeit nicht wieder einschlafen konnte. Wenn er damals gewusst hätte, dass es auch prophetische Träume gibt, hätte er nie wieder schlafen wollen.

Am Nachmittag warteten seine Freunde bereits zum Doppel auf dem Tennisplatz. Lena ging ihm nicht aus dem Kopf. Hatte sie heute Mittag mit ihm geflirtet? Sie war mit dem Unterricht oft überfordert, aber bereit, sich anzustrengen. Erst fünfzehn Jahre alt, hatte sie doch schon einen älteren Freund gehabt. Mit ihren langen blonden Haaren und ihrem hübschen Gesicht war sie eine wirkliche Schönheit. Missmutig schob er die Gedanken beiseite. Ich bin ja wohl bescheuert, mir einzubilden, sie könnte etwas von mir wollen. Sie wollte bestimmt nur, dass ich ihr eine bessere Note gebe … . Aber wenn sie nicht meine Schülerin wäre … . Was für ein Unsinn! Jetzt spinnst du wirklich! Hast du dich eigentlich noch unter Kontrolle? Geh zum Tennis!

Danach saßen sie am Abend, wie immer, beim Italiener zusammen.

„Was schaust du so eingeschüchtert?“, fragte ihn Horst, der als Rechtsanwalt in einer eigenen Kanzlei tätig war. Jan zuckte leicht zusammen.

„Oh, ich habe gerade drüber nachgedacht, dass ich morgen in Biologie in der Acht mit Sexualkunde beginne und noch immer nicht weiß, wie ich das anfangen soll.“

„Fang doch einfach mit den biologischen Grundlagen an“, schlug Hans vor. Hans war sein ältester Freund, er hatte ihn unmittelbar nach dem Abitur im Tennisclub kennengelernt. Und Hans Kramer war sein Hausarzt.

„Soweit ich weiß, soll Sexualkunde ohnehin fachübergreifend unterrichtet werden. Fragen der geschlechtlichen Orientierung, der Sexualpraktiken und so weiter können doch von deinen Kollegen in Sozialkunde, Ethik oder Deutsch übernommen werden.“