Du wolltest deine Sterne - Diane Middlebrook - E-Book

Du wolltest deine Sterne E-Book

Diane Middlebrook

4,8

Beschreibung

Sylvia Plath und Ted Hughes verliebten sich 1956 und heirateten schon nach wenigen Monaten. Dass sie beide dichteten, war wesentlich für die Anziehung zwischen ihnen. Beide waren ehrgeizig, getrieben zu ihrer Kunst - und von Herzen gewillt, sich gegenseitig zu fördern und zu fordern. Sechs Jahre lang. Bis Hughes mit einer anderen Frau ein Kind zeugte, und Plath, zermürbt von dem Balanceakt zwischen Muttersein und Schreiben, in Depressionen versank und sich schließlich im Februar 1963 mit 30 Jahren das Leben nahm. Diane Middlebrook führt die Geschichte des Künstlerpaares weit über Sylvia Plaths Tod hinaus fort. Die letzten Kapitel widmet sie Ted Hughes, den die Bedeutung dieser großen Liebe und seiner Rolle als Sylvias Ehemann bis zu seinem Tod 1998 nicht losließ. Der Autorin gelingt das Kunststück, die Beziehung der beiden ohne Fragen nach Schuld und ohne ­voyeuristische Details darzustellen. Klug und voller Umsicht arbeitet sie die Faszination wie die Nöte heraus, die ein Paar erlebt, wenn es sich im Geist so nahe ist und gleichzeitig Kunst, Alltag und Familien­leben zu bewältigen hat.

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Band 16 der

Diane Middlebrook

Du wolltest deine Sterne

Sylvia Plath und Ted Hughes

Biografie

Aus dem Englischen von Barbara von BechtolsheimMit einem Vorwort von Carl Djerassi

Deutsche Erstausgabe 2013

© 2013 Verlag Silke Weniger, Gräfelfing /Hamburgherausgegeben von Karen Nölle

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Her Husband: Ted Hughes and Sylvia Plath – A Marriage, erschienen 2003 bei Viking Penguin, a member of Penguin Group (USA) Inc.© 2012 The Estate of Diane Middlebrook, Carl Djerassi

Übersetzung Barbara von BechtolsheimLektorat Karen Nölle, Sophia JungmannGestaltung und Satz Kathleen Bernsdorf, Berlin

ISBN 978-3-942374-59-0

www.editionfuenf.de

INHALT

Vorwort

Anmerkung der Herausgeberin

Einleitung

1

Kennenlernen (1956)

2

Liebesleben (1956)

3

Seine Familie (1956)

4

Tauziehen (1956 – 1963)

5

Glück und Erfolg (1957 – 1963)

6

Ablösung (1962 bis …)

7

Trennung (1962 – 1963)

8

Nachlasspflege (1963 – 1998)

9

Selbstheilung (1967 – 1998)

10

Die magischen Toten (1984 – 1998)

CODA

Unverhüllt (1998 bis …)

Anmerkungen

Bibliografie

VORWORT

Warum sollte es mein Wunsch sein, der deutschen Ausgabe dieses Buches ein Vorwort voranzustellen?

Diane Middlebrooks Biografie des Künstlerpaares Sylvia Plath und Ted Hughes, 2003 in den USA unter dem Titel Her Husband erschienen, ist seinerzeit in den USA und der englischsprachigen Welt breit rezipiert und hoch gelobt worden. Es wurde bereits in viele andere Sprachen übersetzt – unter anderem ins Italienische und Griechische, ins Niederländische und Koreanische –, und in Frankreich 2006 mit dem Prix Du Meilleur Livre Étranger als bestes übersetztes Sachbuch ausgezeichnet. Her Husband ist wirklich eine herausragende Biografie, ganz einmalig in der Art, wie die Autorin darin die besondere Anziehung zwischen zwei Dichterpersönlichkeiten herausarbeitet, die Faszination, die es bedeutet, einen Seelenverwandten zu finden, und welche Nöte ein Paar erlebt, wenn es sich im Geist so nahe ist, dass es im gegenseitigen Umgang immer auch um das Ureigene und Heikelste geht: das dichterische Werk.

Als Ehemann der verstorbenen Autorin möchte ich meine übergroße Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass diese Biografie nun endlich auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Denn ich bin überzeugt, dass die Deutschen sich nicht weniger für dieses Buch interessieren als die Koreaner oder Griechen! In meinen Augen ist es höchste Zeit, dass das Werk meiner Frau hierzulande ein Publikum finden kann, auch wenn sie es leider nicht mehr selbst erlebt.

Als in Wien geborener Chemiker, habe ich – wesentlich unter dem Einfluss meiner Frau, die ich nicht Diane sondern la ultima nannte und mit der ich in dritter Ehe verheiratet war –, in der Mitte des Lebens begonnen mich der Literatur zu widmen. Dass Her Husband in meiner Muttersprache erscheint, habe ich mit Ungeduld erwartet. Aber es ist nicht nur meinetwegen plausibel, auch Sylvia Plath selbst bemerkte einmal, sie hätte eine Zeit lang in einem deutschsprachigen Land leben wollen, um ihre »Mutter- und Vatersprache« zu erlernen. Dieser Wunsch hat sich für sie nicht verwirklicht, aber nun erfüllt er sich gleichsam dadurch, dass diese Biografie in der Sprache erscheint, derer sie so gern mächtig gewesen wäre.

Meine amerikanische Ehefrau hat sich um solche Dinge wie Übersetzungen nicht gekümmert. Selbst Verkaufszahlen und begeisterte Kritiken waren für sie nebensächlich. Sie ging, sobald sie ein Buch fertiggeschrieben hatte, immer gleich vollkommen in dem nächsten Projekt auf – und kaum war Her Husband vollendet, tauchte sie in ihre biografische Arbeit über Ovid ein.

2007 hielt sie zwei Monate vor ihrem Tod vor einem faszinierten und bewegten Publikum im Center for Gender Studies an der Universität Cambridge einen Vortrag, in dessen Mittelpunkt Her Husband stand. Mich, der sie auf ihrer Reise begleitete, bat sie bei diesem Anlass, gemeinsam mit ihr einen lyrischen Dialog vorzutragen, den sie aus Texten von Sylvia Plath und Ted Hughes komponiert hatte. Und so standen wir zusammen vor dem Publikum, sie las die Worte von Plath und ich, dem sie das Buch als »my husband« gewidmet hatte, die Worte von Hughes. Mir war klar, dass ihr Tod nah bevorstand, und ich musste mit den Tränen kämpfen, während ich meine Zeilen sprach. Einige Wochen später verstarb meine Frau, ehe sie ihr ehrgeizigstes biografisches Vorhaben, die Lebensgeschichte von Ovid, vollenden konnte.

Dianes wunderbar geschriebenes letztes und unvollendetes Buch Der junge Ovid konnte ich 2012 einem deutschen Lesepublikum zugänglich zu machen, und ich bin überaus glücklich, dass mir dies nun auch mit ihrem letzten vollendeten Buch, mit Du wolltest deine Sterne, gelungen ist. Es freut mich sehr, in Barbara von Bechtolsheim, die vor Jahren an der Universität Stanford Doktorandin bei meiner Frau war, die ideale Übersetzerin gefunden zu haben. Sie hat sowohl Dianes vielgepriesene Biografie über Anne Sexton als auch die Ovid-Biografie ins Deutsche übertragen und auch in diesem Buch den Stil meiner Frau wunderbar getroffen.

Bei ihrem Erscheinen 2003 wurde die amerikanische Originalausgabe von Her Husband in der New York Times »eine betörende Geschichte« genannt, während die Washington Post das Buch als »erschütternd und ironisch, spielerisch und tiefgründig« bezeichnete. Nun kann also auch ein deutsches Publikum sich von der erschütternden Geschichte der Ehe zwischen zwei Dichtern betören lassen, die zweifellos zu den Großen der Weltliteratur gehören. Ich bin überaus froh und dankbar, dass Edition fünf die Klugheit, den Geschmack und den Mut hat, nun zum 10-jährigen Jubiläum diese deutsche Übersetzung von Her Husband vorzulegen.

Carl Djerassi, im Februar 2013

ANMERKUNG DER HERAUSGEBERIN

Diese Ausgabe von Diane Middlebrooks Her Husband. Ted Hughes and Sylvia Plath – A Marriage folgt der amerikanischen Originalausgabe von 2003 – mit einigen wenigen Unterschieden, die dazu gedacht sind, dieses Werk, das zugleich eine faszinierende Geschichte erzählt und einen wichtigen Beitrag zur Forschung liefert, auf eine deutschsprachige Leserschaft zuzuschneiden. So haben wir, wo es dem Verständnis dient, deutsche Gedichtüberschriften hinzugefügt, Barbara von Bechtolsheim hat Gedichtzeilen übersetzt, die bisher nicht auf Deutsch erschienen sind, und einige Zitate aus Sylvia Plaths Tagebüchern und Briefen direkt aus den englischen Ausgaben übersetzt, weil sie teils vollständiger sind als die vorhandenen Übersetzungen. Das alles lässt sich in den Anmerkungen verfolgen, die, nach Seite und Stichwort geordnet, im Anhang zu finden sind.

Die Bibliografie enthält neben den verwendeten Originalwerken von Sylvia Plath und Ted Hughes die Titel, die es in deutscher Übersetzung gibt, sowie eine Auswahl der wichtigsten Literatur über die beiden Dichter. So hoffen wir den Wissensdrang der Leserinnen und Leser angemessen zu befriedigen. Wer wissenschaftlich über Sylvia Plath und Ted Hughes zu arbeiten wünscht, wird selbstverständlich auf die Originalausgabe zurückgreifen wollen, die Gedichte im Original konsultieren und den weitaus größeren Anmerkungsapparat von Her Husband nutzen.

Karen Nölle

Meinem Ehemann, Carl Djerassi

EINLEITUNG

Der Ehemann von Sylvia Plath

Ted Hughes lernte Sylvia Plath im Februar 1956 bei einer wilden Party kennen und heiratete sie vier Monate später. Er war Engländer und fünfundzwanzig; sie war dreiundzwanzig und Amerikanerin. Sechs Jahre lang arbeiteten sie Seite an Seite an ihrer beider Künstlerkarriere. Dann begann Hughes eine Affäre mit einer anderen Frau und setzte damit die Ehe aufs Spiel. Er zog aus, und genau vier Monate später nahm sich Plath das Leben und hinterließ ihre beiden kleinen Kinder.

Eine der wohl produktivsten literarischen Ehen des zwanzigsten Jahrhunderts hatte nur etwa 2 300 Tage gehalten. Doch bis sich im Oktober 1962 ihre Lebenswege trennten, begleiteten und förderten sie einander in ihrer literarischen Kreativität. Beide wussten genau, woran der andere jeweils arbeitete und mit welcher Erfindungsgabe er oder sie die künstlerischen Probleme löste, mit denen sich beide gleichermaßen auskannten. Dass zwei Künstler so eng zusammenarbeiten, ist durchaus ungewöhnlich, insbesondere wenn sie verheiratet sind, und so zog die Ehe nach der Veröffentlichung von Hughes’ preisgekröntem erstem Buch, The Hawk in the Rain, die Aufmerksamkeit von Journalisten auf sich. Im Januar 1961 sendete die BBC ein Rundfunkinterview mit Hughes und Plath unter der Überschrift Two of a Kind, in dem sich die beiden Künstler im größten Einvernehmen darstellen. Der Journalist, Owen Leeming, warf die Frage auf, ob sie ein Paar seien, bei dem sich Gegensätze anzögen. Wie in einem Woody-Allen-Film sagte Hughes, sie seien »sehr verschieden«, während Plath im selben Moment sagte, sie seien »ziemlich ähnlich«.

Als Hughes dann »verschieden« erklärte, gestand er, dass er und Plath ähnlich veranlagt seien und im selben Rhythmus arbeiteten – genaugenommen gehe ihre Ähnlichkeit so weit, dass er oft das Gefühl habe, sie schöpften beide geradezu telepathisch aus einem Geist. Aber er und Plath, so meinte er, nutzten diese Gemeinsamkeit für recht unterschiedliche Zwecke, Phantasie und Gestaltungskraft führten jeweils ein ganz »geheimes Leben«.

Plath erklärte »ziemlich ähnlich« dahingehend, dass sie und Hughes zwar einen sehr unterschiedlichen Hintergrund hätten, ihr aber ständig unerwartet Ähnlichkeiten auffielen. So habe ihr beispielsweise die Tierliebe von Hughes das Thema Bienenzucht nahegebracht, mit dem sich ihr Vater wissenschaftlich beschäftigt hatte. Ihre eigene Vergangenheit könne in ihre Dichtung einfließen, weil Hughes daran so interessiert sei: Im Schreiben also wurden die Ähnlichkeiten für beide fruchtbar, selbst wenn – und dies war ihr wichtig – die Texte dann überhaupt nicht ähnlich waren. Ob sie beide denselben künstlerischen Ansatz verträten? Plath verneinte lachend. »Ich denke, ich bin etwas praktischer veranlagt.«

Ein solcher Tanz durch das Minenfeld ihrer Unterschiede war typisch für ihre Beziehung in guten Zeiten. Er konnte gelingen, weil beide gegenseitig mit ganzem Herzen in das Schreiben des anderen investierten, selbst wenn das Ergebnis noch offen war. Ende der fünfziger Jahre unterstützte Hughes Plath dabei, sich Geschichten für Frauenzeitschriften auszudenken, obwohl er der Ansicht war, dass Prosaschreiben für sie ein Irrweg war. Damals sah er völlig richtig, dass nur konventionelle Plots, deren Helden geboren, verheiratet oder getötet werden, ihre ganz eigenen »Dämonen« freisetzen würden. Daher ermutigte er Plath, alles zu tun, womit sie die Chance hatte, an diese Energiequellen heranzukommen. Plath ihrerseits zeigte sich loyal gegenüber seinen schwer zu vermarktenden Stücken, in denen Hughes die esoterischen Vorstellungen verarbeitete, denen er seit Anfang der sechziger Jahre anhing – sie war an seinen künstlerischen Verfahrensweisen ebenso interessiert wie an den Ergebnissen. Paradoxerweise befähigte ihre intime Künstlerbeziehung beide jeweils besser zu dem »geheimen Leben«, das dann in ihrer Kunst zum Ausdruck kam.

Das Zerbrechen ihrer Ehe bedeutete auch das Ende dieser literarischen Werkstatt. Doch die Dichtung hatte Hughes und Plath einander nahegebracht, und die Dichtung sollte sie bis zum Tod von Ted Hughes 1998 verbinden. Als Nachlassverwalter ihrer unveröffentlichten Manuskripte ernannte sich Hughes zum Herausgeber und machte Plath berühmt. Als er 1965 Ariel mit Plaths letzten Gedichten herausbrachte, sagte er stolz: »Dieses Buch ist wie Sylvia – aber es wird bleiben.« Die Zeit war reif, dass man ihm in aller Welt zustimmte: Sylvia Plath war eine bedeutende Dichterin. Selten werden Dichter zu kulturellen Ikonen, aber Plaths Selbstmord fiel in die Nachkriegszeit, in der das Schreiben von Frauen Impulse für die Frauenbewegung setzte. Mit der posthumen Veröffentlichung von Gedichten, Prosatexten, Briefen und Tagebüchern gehörte Plath nun zu den lauter werdenden Stimmen des Widerstands gegen die herkömmlichen Rollen, die man Frauen im gesellschaftlichen Leben zugeschrieben hatte. Je berühmter Sylvia Plath wurde, umso mehr wollte man wissen, welchen Einfluss ihre Ehe mit Ted Hughes auf ihre katastrophale Entscheidung für den Selbstmord hatte – insbesondere nachdem bekannt wurde, dass Assia Wevill, die Frau, derentwegen Hughes sie verlassen hatte, sich ebenfalls das Leben genommen und auch die Tochter, die sie von Hughes hatte, getötet hatte.

Hughes verbrachte den Rest seines Lebens damit, gegen die öffentliche Diskussion dieser schmerzlichen Episoden in seinem Privatleben anzugehen. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1998 publizierte er zwei Gedichtbände, in denen es um die Frage geht, was es bedeutete, der Ehemann von Sylvia Plath zu sein. In Birthday Letters wird Sylvia Plath angesprochen, als würden sie beide auf ihre gemeinsamen Jahre zurückblicken und darüber nachsinnen, wie sie 1956 zusammengefunden hatten und sechs Jahre lang verbunden waren; zudem bot er eine Erklärung für die psychologischen Konflikte, die zu ihrem Selbstmord führten.

Birthday Letters wurde ein riesiger Verkaufserfolg, aber von Howls and Whispers, dem zweiten Buch, erfuhren nur die wenigsten. Es erschien 1998 in einer kleinen Auflage und wurde in den Medien nicht besprochen. Für Howls and Whispers hatte Hughes elf Gedichte aus den Manuskripten von Birthday Letters zurückbehalten, wie ein Kellermeister die edelsten Trauben für einen Spitzenwein aufbewahrt. In dem Titelgedicht »The Offers« /»Die Entbietungen« erscheint Ted Hughes der Geist von Sylvia Plath. Bei drei Begegnungen prüft sie ihn; bei der letzten warnt sie: »Lass mich diesmal nicht im Stich.«

Diese bewegende Formulierung erhellt in der Rückschau alles, was Hughes nach dem Tod von Plath veröffentlichte. Sein großes Thema zirkulierte um die Frage, wie Ehen scheitern oder wie Männer in der Ehe versagen. Bisweilen, beispielsweise in Birthday Letters, ist er selbst in der Versagerrolle. In seinen Übersetzungen von Werken der Weltliteratur, die er gegen Ende seines Lebens anfertigte – Racines Phèdre, Tales from Ovid (Texte aus Ovids Metamorphosen), der Alkestis von Euripides – wird deutlich, wie mitfühlend er schwierige Beziehungen sah. All diese Texte waren für die Bühne geschrieben. Und die Zuschauer spürten, dass hier noch eine zweite leidenschaftliche Geschichte, seine eigene, erkundet wurde, jeweils verschoben in die Dynamik eines ehrwürdigen Klassikertextes.

Auch wenn nur hundertzehn Exemplare von Howls and Whispers gedruckt wurden, erreichte Hughes mit dem wichtigsten Text, »The Offers«, eine breite Öffentlichkeit, indem er ihn am 18. Oktober 1998 in der Londoner Sunday Times veröffentlichte. Zehn Tage später verstarb er. Ob zufällig oder absichtlich, der oben zitierte Satz der fiktiven Sylvia Plath wurde zum Dokument der letzten Worte von Ted Hughes. Birthday Letters vermittelt einen Eindruck davon, wie er sich in der Beziehung mit Sylvia Plath sah; in dem Gedicht »The Offers« sollen wir die beiden als unzertrennlich sehen, selbst im Tod. »Lass mich diesmal nicht im Stich« ist die Stimme der Dichtung selbst, verkörpert von Plath; die literarische Gestalt in seinem Text ist ihr Ehemann – und somit sein Beitrag zur Geschichte der Poesie.

Hughes nahm diese autobiografische Gestalt ihres Ehemanns an, als er fast fünfzig Jahre alt war. Nachdem ihm jahrelang daran gelegen gewesen war, nicht autobiografisch zu schreiben, ging ihm auf, dass die Stimme der Poesie, um seine Zeitgenossenschaft zu erweisen, aus einem persönlich erlebten historischen Kontext kommen und die literarische Auseinandersetzung mit den psychischen Konflikten führen musste, die in der eigenen Historie bedeutsam waren. Hughes vertrat auch den Standpunkt, dass kein literarisches Werk für sich steht, dass vielmehr das Werk eines großen Autors über die Jahre an Gehalt gewinnt. Er meinte, die dichterische DNA käme in einzelnen, präzisen Bildern zum Ausdruck oder in einem »Knoten fixer Ideen«, die sich schon früh bei einem Dichter zeigen und fortan in Variationen wiederholen. Wie die Zellen eines Fötus enthalte jeder Text die DNA des ganzen Menschen, also das ganze Bild der Persönlichkeit.

»The Offers« ist das wichtigste Beispiel für die Selbststilisierung von Hughes und markiert den Wendepunkt in seinem Leben als Dichter: die Bilder zeigen, wie sich seine dichterischen Kräfte nach den beiden persönlichen Katastrophen, den Selbstmorden der ihm nahestehenden Frauen, regenerierten. Ist er nun dem Weiblichen gewachsen, jener psychischen Belastung seit seiner frühen Kindheit? Wie kann er mit dem bedrängenden und widersprüchlichen Wunsch umgehen, sich von der Frau zu lösen und zugleich mit ihr im Gespräch zu bleiben? In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten entstanden aus diesen Fragen jene Werke, durch die Hughes stets in Erinnerung bleiben wird. Dazu gehört Shakespeare and the Goddess of Complete Being, ein Text, der den Konflikten der Liebe in Shakespeares Stücken nachgeht; und dazu gehören die autobiografischen Gedichte, in denen Hughes sich eine geradezu mythische Kindheit erdichtet, ähnlich wie Wordsworth, und somit die Entstehung des dichterischen Talents dokumentiert. Aus dieser Sicht war die Ehe der Höhepunkt eines persönlichen Entwicklungsweges und konfrontierte ihn als Mann mit den Abgründen seiner eigenen Schattenwelt. In »The Offers« kehrt er unverhüllt in die Welt zurück, nicht mehr als Mensch, sondern als eine Rollenfigur.

Dieser Mythos lässt sich aus den verstreuten Stellen in Hughes’ veröffentlichten Texten und persönlichen Dokumenten rekonstruieren; und Hughes sorgte dafür, dass diese Unterlagen auffindbar waren. Im Jahr vor seinem Tod verkaufte er einen Großteil seiner Manuskripte und Briefe an die Emory University in Atlanta. Am Ende seiner Dichterkarriere reagierte er – aus Sorge um seinen Nachruhm – großzügig auf Anfragen von Wissenschaftlern und Journalisten, die an seinem Werk interessiert waren, und er äußerte sich in Interviews zu seinen Überzeugungen sowie zu Alltag und Privatleben.

So suchte Ted Hughes zu gewährleisten, dass sein Name als Dichter ihn überlebte und sich allmählich dem Bewusstsein der Nachwelt einprägte. Dieses Interesse formulierte er auch gegenüber Sylvia Plaths Mutter Aurelia, als sie 1975 gemeinsam Plaths Briefe zur Veröffentlichung bearbeiteten. Hughes wollte viele Anspielungen auf ihn nicht für diese Publikation freigeben, worüber Aurelia Plath empört war, denn Hughes verlangte von ihr, dass viele wichtige Einzelheiten ausgespart blieben. Er reagierte darauf in einem langen Brief, von dem er einen Durchschlag in sein eigenes Archiv legte. »Ein unabhängiger Wissenschaftler wird diese Passagen zweifellos eines Tages gnadenlos einbeziehen«, versicherte er ihr. »Im Lauf der Zeit wird Klarheit herrschen, alles Versteckte wird zutage kommen.«

Damit sprach Hughes vor allem über seine Beziehung zu Sylvia Plath. Er wusste, dass ihre Ehe nach seinem Tod zur Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts gehören würde. Er wusste auch, dass sein ganzes Werk einzigartig und detailgenau dokumentierte, wie sie gemeinsam um ihr Künstlertum gerungen hatten: ihr Geben und Nehmen; wie ihre Ehe scheiterte, aber ihre Kunst nicht. Du wolltest deine Sterne fügt die Einzelteile dieser Geschichte und deren historischen Kontext zusammen. Auf der Basis seiner Bücher und Dokumente führt der rote Faden durch das Labyrinth von Hughes’ Leben: Wie er die Beziehung beginnt, wie er mit ihr hadert, wie er sich in dieser Beziehung entfalten kann, wie er die Partnerin verliert, ohne die Beziehung zu verlieren, und wie er schließlich die Ehe in einen bleibenden Mythos verwandelt.

1

KENNENLERNEN (1956)

Ted Hughes glaubte, das Schicksal hätte ihn zu Sylvia Plaths Ehemann bestimmt. In Birthday Letters schrieb er: »Dass uns das Sonnensystem an diesem Tag vermählte«, und steckte die astrologischen Koordinaten sehr genau ab. Das Datum war Samstag, der 25. Februar 1956 im Tierkreiszeichen Fische; der Ort die Universität Cambridge, wo Hughes eineinhalb Jahre zuvor sein Studium abgeschlossen hatte. Unter der Woche wohnte er kostenlos in einer Londoner Wohnung und arbeitete in einem glanzvoll klingenden Job bei der Filmgesellschaft J. Arthur Rank als Redakteur für eingesandte Filmmanuskripte. Die Wochenenden verbrachte er jedoch weiterhin in Cambridge und traf sich mit Freunden. Die meisten von ihnen waren Dichter, die noch an der Universität eingeschrieben waren, ehrgeizige, idealistische angehende Künstler, mit denen er in jenem Winter gemeinsam eine kleine Literaturzeitschrift herausgab, das St. Botolph’s Review. Einer der Autoren, ein Amerikaner namens Lucas Myers, wohnte in einem ehemaligen Hühnerstall hinter dem Refektorium der Kirche St. Botolph’s, am Rande des Campus. Sein Wohnort gab der Zeitschrift den witzigen Namen – diese Dichter waren entschieden gegen alles Etablierte. Am Erscheinungstag boten ihre Freunde das St. Botolph’s Review an den Colleges in Cambridge feil und verbreiteten die Nachricht, dass die Veröffentlichung an diesem Abend mit einer Party in Falcon Yard gefeiert würde. Sylvia Plath kaufte dem amerikanischen Vetter von einem der Dichter ein Exemplar ab, und er lud sie zu dieser Party ein.

Plath nahm die Einladung sofort an; auf eine solche Gelegenheit hatte sie gewartet. Sie studierte mit einem Fulbright-Stipendium für zwei Jahre in Cambridge Literaturwissenschaft, nachdem sie am Smith College, einem angesehenen Frauen-College in Neu-England, ihr Examen abgelegt hatte. In den Vereinigten Staaten hatte sie bereits bescheidene Literaturpreise gewonnen, und ihre Texte erschienen in amerikanischen Zeitschriften wie Harper’s Magazine, Mademoiselle, The Nation und Atlantic Monthly. Als sie in Cambridge ankam, merkte sie schnell, wie eng vernetzt die literarische Welt in England war; selbst die bescheidensten studentischen Veröffentlichungen wurden von Londoner Verlegern, die ihrerseits oftmals ehemalige Cambridge-Studenten waren, nach neuen Talenten durchforstet. Im Januar waren zwei Gedichte von ihr in einer kleinen Zeitschrift namens Chequer abgedruckt worden – und nicht nur veröffentlicht, sondern zu ihrem Erstaunen auch verrissen worden, in einer kämpferischen kleinen Zeitung namens Broadsheet, die alle zwei Wochen per Hand von einigen St.-Botolph-Dichtern vervielfältigt wurde. Formalisierte Verse, auf die Plath sich so hervorragend verstand, missfielen den Männern, die Plaths Gedichte rezensiert hatten, prinzipiell, und was ihnen nicht gefiel, machten sie herunter. »Altbackene und eklektische Künstlichkeit«, waren die Worte des Rezensenten für Plaths Stil, und er fügte noch hinzu: »Meine bessere Hälfte sagt ›Bluff, Bluff‹, aber das will ich so nicht sagen; wer weiß, vielleicht ist sie ja hübsch?«

Sylvia Plath, 1955

Die gehefteten Seiten von Broadsheet wurden von den Dichtern vor Ort begierig gelesen, und es kränkte Plath sehr, so schlecht behandelt zu werden. Erstmals war sie hier dem Machismo der englischen Literaturszene ausgeliefert. Am meisten machte ihr allerdings der kleine Refrain zu schaffen: »Bluff, Bluff«. Plath war sich ihrer eigenen Unzulänglichkeiten bewusst, und es war ihr nicht lieb, dass sie anderen auffielen. Die Diktion des Kritikers brachte sie auf eine Idee. Wollte er wissen, ob sie hübsch war? Er sollte sie kennenlernen. Sie zog rote Partyschuhe an und bändigte ihren Pagenkopf mit einem roten Haarband. Dann ging sie mit ihrem Date für den Abend in eine Bar, wo sie sich mit einigen Gläsern Whiskey stärkte. Doch ehe sie sich betrank, hatte sie sich noch auf eine andere Art gestärkt: sie hatte einige Gedichte aus dem St. Botolph’s Review auswendig gelernt.

Die Party war schon voll im Gange, als Plath in Falcon Yard eintraf und mit ihren roten Schuhen die Treppen zur Women’s Union hochstieg, wo eine Jazzcombo auf das laute Stimmengewirr einhämmerte. Plath arbeitete sich durch die Menge, und man wurde auf sie aufmerksam. Umgehend machte sie den Rezensenten ausfindig, der sie eine Schwindlerin genannt hatte; er erwies sich als ein kleiner Kerl, »beängstigend blass und voller Sommersprossen«, beim persönlichen Kennenlernen eher wenig beeindruckend – auch Plath beurteilte Dichter nach ihrem Aussehen. Sie klatschte Männer ab, mit denen sie tanzen wollte, und machte lauthals ihre Späße mit ihnen. Am Ende des großen Saales fiel ihr ein gut aussehender Typ auf, von dem sich herausstellte, dass es Ted Hughes war, einer der beiden Dichter, deren Texte sie am Nachmittag auswendig gelernt hatte. Er merkte, wie sie ihn beobachtete, kam lässig auf sie zu und blickte ihr in die Augen. Sie begann, gegen die Musik anzubrüllen, und er merkte, dass sie Zeilen aus einem Gedicht von ihm rezitierte. Er brüllte zurück: »Gefällt’s dir?« Sie zogen sich in ein Zimmer nebenan zurück, wo sie in Ruhe reden konnten, und er schenkte ihr Brandy nach und entschuldigte sich knapp für die schlechte Besprechung in Broadsheet, obwohl er insgeheim die Meinung des Rezensenten teilte. Sie lieferten sich ein paar Wortgefechte, Plath keck und aufgedreht. Er küsste sie heftig, und sie konterte – sie biss ihn in die Wange, bis es blutete. Er riss ihr das Haarband und die silbernen Ohrringe ab und ging hinaus.

Ted Hughes verließ die Party mit seiner damaligen Freundin. Noch wusste er nicht, dass das Sonnensystem ihn vermählt hatte. Aber er trug einen Ehering in Form einer Bisswunde, und ein paar Wochen lang zeigte sich auf seiner Wange eine Narbe ähnlich ihrer Narbe auf der rechten Wange unter dem Auge, über die er in den bevorstehenden Monaten mehr erfahren sollte.

Hughes war an diesem Abend nicht auf der Suche nach einer Frau. Ganz im Gegenteil – er hatte keine Ahnung, wie es mit seinem Leben weitergehen sollte. Als er in Cambridge sein Studium abgeschlossen hatte, beschloss er eher spontan, sich um die Einwanderung in Australien zu bewerben, wo sein älterer Bruder Gerald sich niedergelassen hatte. Die australische Regierung gewährte arbeitswilligen Briten eine freie Überfahrt; Hughes stellte sich ein Leben als Jäger und Fischer vor, so wie Gerald es als eifriger Sportler führte. Aber Hughes verschob seine Bewerbung für die gewährte Frist von zwei Jahren – er hatte keine Eile. Im März 1955 – möglicherweise hatte er gerade keinen Job – schrieb er Gerald plötzlich, dass er »unverzüglich« käme, aber dann verschob er doch alles wieder. Im Februar 1956 war seine Einwanderungsfrist fast verstrichen, und so reaktivierte Hughes die Bewerbung in der Hoffnung, dass die lange Warteliste ihm noch neun Monate in England lassen würde. Dennoch war ihm klar, dass ihm jederzeit die Zuteilung einer Schiffspassage drohte, und ihn bedrängte die Frage: Was wollte er überhaupt in Australien tun? Als Lehrer arbeiten? Oder als Tagelöhner? Anderseits, wie lange konnte er noch das Leben von der Hand in den Mund ertragen, das er in London und Cambridge führte? Angesichts dieser entmutigenden Sorgen mögen die Schmeicheleien, mit denen Plath ihn bei der Party überhäufte, besonders willkommen gewesen sein. Sie hatte aus dem St. Botolph’s Review ein Gedicht ausgesucht, das männliche Aggression glorifizierte. Es beginnt mit der Zeile: »When two men meet for the first time« /»Wenn zwei Männer sich zum ersten Mal begegnen«, und es fährt fort mit der Beobachtung, dass einander fremde Männer sich bei der kleinsten Provokation wie Tiere angreifen, weil das Tier in ihnen immer noch lebendig ist:

Ihr Blut schießt

eh sie’s merken in ihre Nackenfedern

Plath hatte sich Hughes mit den letzten Worten des Gedichtes an den Hals geworfen: »Ich war’s, ich.« – Und Hughes hörte bei ihrer ersten Begegnung, wie Sylvia Plath seine Worte so wissend aussprach, als habe sie selbst sie geschrieben.

Sie hatte sie nicht geschrieben, aber sie kannte die Hintergründe: das Gedicht war geprägt von Sigmund Freud und D. H. Lawrence, die zu jener Zeit als wesentlich für die literarische Bildung galten. Hughes hatte als Teenager begierig Lawrence gelesen, und dessen berüchtigte Stilisierung von »Blutbewusstsein« scheint offen in dem Gedicht auf, das Plath sich ausgesucht hatte. Plath hatte dieselben Bücher gelesen, und sie war derselben Verzauberung erlegen – die Anspielung auf Lawrence konnte ihr nicht entgehen. Der erste telegrafische Austausch zwischen Plath und Hughes an jenem Abend war eine Partyspielerei und eine Schlüsselszene in sechs Silben: »Ich war’s, ich.« »Gefällt’s dir?« Als er sie küsste und sie ihn biss, spielten sie eine archaische Szene, die aus einem Roman von Lawrence hätte stammen können.

»Ted Huge«

Ted Hughes hat an jenem Abend vielleicht nicht nach einer Frau Ausschau gehalten, aber Sylvia Plath hielt Ausschau nach einem Mann, und Ted Hughes entsprach genau ihren Kriterien. »Dieser große, dunkle, stattliche Kerl«, nannte sie ihn am nächsten Tag in ihrem Tagebuch, »der einzige, der groß genug war für mich.« Er war eine auffallende Erscheinung, über eins achtzig groß, und er war kräftig gebaut. Im Winter trug er gerne einen schweren braunen Militärledermantel aus der Vorkriegszeit, durch den seine Schultern breit wirkten und der seiner schäbigen Kleidung einen Hauch von Boheme verlieh.

Ungepflegtes Aussehen war zu jener Zeit in Cambridge völlig ungewöhnlich. Hughes war sich der sozialen Ängste, die durch auffällige Kleidung zum Ausdruck kam, durchaus bewusst: Jungs wie er versuchten durch exzentrische Aufmachung der Geringschätzung von Jungen von teuren Privatschulen etwas entgegenzusetzen. Karl Miller, ein Zeitgenosse von Hughes, erinnerte sich, dass die auffallendsten Studenten sich »in einer verrückten Übertreibung der Mode à la Edward kleideten – Röhrenhosen aus Tweed, bestickte Westen mit Revers, zerknitterte Krawatten, hauchdünne flache Kappen«. Winters wie sommers trug Hughes dieselben unförmigen schwarzen Klamotten. Er kaufte den Cordstoff billig bei einer Fabrik, die einem wohlhabenden Mitglied seiner Familie mütterlicherseits in West Yorkshire gehörte, und er färbte ihn selbst. Sein Kommilitone Glen Fallows meinte, er sähe aus, »als wäre er gerade nach einer stürmischen Nacht aus einem Fischkutter gestiegen«. Einer seiner Dichterfreunde, Philip Hobsbaum, war weniger wohlwollend: »Ted war widerlich. Er hatte stinkende alte Cordhosen und dicke Schuppen in seinem fettigen Haar.«

Hughes war eigentlich ziemlich schüchtern und in Gesellschaft scheu, aber er verbarg seine Unsicherheit hinter seiner faszinierenden Art zu reden. Zur Unterhaltung ging er gern in die Kneipen von Cambridge, wo die Studenten sich mit Volksliedern die Zeit vertrieben. Hughes hatte eine kräftige Stimme, die klangvoll und unüberhörbar war, und die Eigenheiten seines Heimatdialektes aus Yorkshire waren trotz seiner hervorragenden Bildung unüberhörbar. In den Erinnerungen von Leuten, die ihn in seiner Jugend kannten, kursieren viele Anekdoten über diese Stimme. Eine der besten Geschichten stammt von dem Amerikaner Ben Sonnenberg. Anfang der sechziger Jahre war er einmal mit Hughes im Hause des amerikanischen Dichters W. S. Merwin eingeladen. »Ich fühlte mich wie Hazlitt, der Coleridge zum ersten Mal trifft: seine Wärme und Energie waren umwerfend«, schreibt Sonnenberg. »Ich fiel tatsächlich vom Stuhl. Als er mir vom Boden aufhalf, schrieb ich in mein Notizbuch, ›hörte er nicht auf zu reden, und ich spürte das Vibrieren seiner Stimme durch seinen Arm.«‹ Die englische Schriftstellerin Emma Tennant erzählt, wie Hughes 1976 bei einer quirligen Londoner Party reglos mittendrin saß und jedem, der zuhörte, ein weitschweifiges Märchen erzählte; sie zerrte ihn zum Tanzen und unterbrach ihn lang genug, um eine Affäre mit ihm anzuzetteln. Im Lauf der Jahre gab es viele Frauen, die ihn lang genug unterbrechen wollten, um mit ihm eine Affäre anzuzetteln. Hughes sei »der größte Verführer von Cambridge« – hieß es, als Plath ihn kennenlernte, und sie hörte den Klatsch von dem Mann, der sie zu der Party begleitete.

Ted Hughes, 1960

Aber schon ehe sie ein Auge auf ihn geworfen hatte, meinte Plath, sie hätte etwas Wichtiges über ihn gelernt, indem sie seine Texte las, und da hatte sie Recht. Er hatte nur wenige Gedichte und Essays veröffentlicht, in ganz kleinen Zeitschriften, zumeist unter Pseudonym. Aber seit er sechzehn war, glaubte Hughes an seine Berufung zum Dichter, und zwar mit hohem Anspruch. Er wollte ein Dichter wie W. B. Yeats werden, mit dessen Werk er sich leidenschaftlich beschäftigt hatte, schon auf der Schule und auch während seiner Jahre in Cambridge. Nach seiner Entdeckung von D. H. Lawrence wollte Hughes auch ein Dichter wie D. H. Lawrence werden; am Ende erfüllte er sich beide Wünsche auf höchst originelle Weise. 1956 war er noch dabei, seine Berufung zu finden – dieses Gefühl, zu etwas berufen zu sein, war der Hintergrund für seine Freundschaft mit jenen eher fanatischen jungen Studenten, deren Texte im St. Botolph’s Review erschienen.

Einer von ihnen war Daniel Weissbort, mit dem Hughes eine Zeitschrift für Lyrikübersetzungen gründete. Als sie sich kennenlernten, war Weissbort unbeholfen bemüht, Dylan Thomas nachzuahmen. »Ich kam in dem Jahr nach Cambridge, nachdem Thomas gestorben war, und ich erinnere mich genau, dass ich schreiben wollte wie er. Und natürlich war die Vorstellung vom Dichter als einem wilden Bohemien sehr attraktiv, auch wenn ich eigentlich nicht wusste, was das alles bedeutete.« Für Hughes war der ideale wilde Künstler Beethoven – er sagte oft, das intellektuell Nützlichste in Cambridge sei für ihn gewesen, dass er Beethoven hörte. Der Dichter Peter Redgrove erinnerte sich, wie er zum ersten Mal die Begeisterung von Hughes für Beethoven mitbekam. »Ein merkwürdiges Geheule drang durch die Tür, wie ich es noch nie gehört hatte – ich war damals nicht musikalisch. Ich klopfte an und trat ein. In dem hell erleuchteten Zimmer drehte sich auf einem Handgrammofon eine schwarze Scheibe: dies war also das Geheule. Erst war ich vollkommen verwirrt. Hughes’ physische Präsenz besaß etwas, das ich noch nie erlebt hatte. Sie hatte etwas sehr Bestimmendes – ich kannte sehr wenige Menschen, welche die Fähigkeit hatten, in ihrer Haltung eine Art Wissen zum Ausdruck zu bringen.« Hughes teilte Redgrove mit, dass sie Beethovens letztes Quartett hörten. »›Es ist, als wäre die ganz Musik in die ersten Takte gedrängt, die anschließend entwirrt werden‹«, erklärte Hughes. »›Guck mal, dies ist der Komponist!‹ – Und er nahm eine stirnrunzelnde Gipsmaske von der Wand. ›Und so ist er gegangen‹ – er wackelte mit diesem Gesicht auf mich in Brusthöhe zu. ›So groß war er, und so ist er gegangen.‹« Genauso intensiv machte Hughes Sylvia Plath mit Beethoven bekannt, sobald sie gemeinsame Zeit verbrachten.

Doch insgesamt kommt die Universität Cambridge in dem Mythos, den Ted Hughes als etablierter Autor aus seinen eigenen Lebensdaten destillierte, schlecht weg. Cambridge war »eine fast tödliche Einrichtung, wenn man nicht entweder Wissenschaftler oder ein Gentleman werden wollte.« Hughes war nicht zum Gentleman geboren und wollte auch nicht Wissenschaftler werden – nur etwas Glück und besondere Überredung hatten ihn überhaupt nach Cambridge gebracht. Das Glück hatte ihn als Elfjährigen getroffen: nachdem er die Vorprüfung zu der hervorragenden Schule in Mexborough, jener Bergarbeiterstadt in South Yorkshire, wo er aufwuchs, nicht bestanden hatte, konnte seine Mutter den Direktor – einen Kunden im Tabakladen der Familie Hughes – dazu überreden, ihren Sohn dennoch zur eigentlichen Aufnahmeprüfung zuzulassen. Die bestand er dann, indem er einen Aufsatz über seinen Wunsch schrieb, Wildhüter zu werden. Acht Jahre später schnitt er schlecht bei der Aufnahmeprüfung für das Pembroke College ab, aber sein Lehrer schickte dem Master von Pembroke ein Bündel mit Gedichten von Hughes, und damit wurde er zugelassen – als Außenseiter.

Hughes war 1951 in Pembroke angekommen, nachdem er als Funkmechaniker bei der Royal Air Force seinen Militärdienst absolviert hatte. In Fylingdales, einer Drei-Mann-Dienststelle im Moor von North York, hatte er so wenig zu tun, dass er lesen und die Zeit nutzen konnte, um seinen literarischen Geschmack zu schulen. Er versuchte es mit den Gedichten von Walt Whitman, konnte sich aber nicht in den Rhythmus einlesen, und auch mit Rilke probierte er es vergeblich. Selbst mit einer Sammlung zeitgenössischer Dichtung, die er mitgenommen hatte, kam er nicht zurecht. Was er dann las, waren die Bibel seiner Mutter und die Werke von Shakespeare. In Pembroke wollte er englische Literatur studieren und sich für seinen Traumberuf als Dichter vorbereiten.

Allerdings war die Universitätsausbildung eher dazu angetan, einen Literaturkritiker aus ihm zu machen. Der wichtigste Mann in der Literatur in Cambridge war zu dieser Zeit F. R. Leavis, der auf die Generation von Hughes einen nachhaltigen Einfluss ausübte, indem er die Literaturanalyse als eine elegante Form von Gnadenlosigkeit betrieb. Hughes hatte selbst ein Talent für den sadistischen intellektuellen Stil von Leavis und verstand dessen Attraktion. Aber für den Klüngel um jene Wissenschaftler, deren Einfluss dann für das berufliche Fortkommen entscheidend werden sollte, hatte Hughes wenig übrig. Außerdem trat er weder Clubs bei noch trieb er Sport. »Er war schon begeistert für das Ouijaboard und das Okkulte«, sagte der spätere Schriftsteller Brian Cox, der mit Hughes gut befreundet war. »In Pembroke kursierten Geschichten darüber, wie erschreckend intensiv er sich auf diese Dinge einließ.« Dazu gehörte sein Interesse für Astrologie, mit der er sich bereits so auskannte, dass es für einen unvergesslichen Vortrag über »Das Ausmaß des Grauens« am Pembroke reichte. Hughes hatte die Astrologie von seiner Schwester Olwyn gelernt, ehe er nach Cambridge ging, berichtete sein Freund Lucas Myers: »Er liebte die opulente Zeichensprache der Symbole, die Konjunktionen und Oppositionen, die planetaren Einflüsse von Sonne und Mond, die Häuser und Aszendenten, die zur Beschreibung des menschlichen Wesens und Schicksals herangezogen werden«; aber das habe er alles nicht wörtlich genommen. »Für Ted war Astrologie keine Wissenschaft, sondern ein Instrument zum lebendigen Ausdruck intuitiver Einsichten.«

Am Studium aber war er uninteressiert. In seinen Literaturseminaren saß Hughes lediglich die Zeit ab, sie stillten seinen Hunger nach dem Wilden in der Kunst überhaupt nicht. In seinem zweiten Cambridgejahr erlebte er eine Krise, die in einem märchenhaften, prophetischen Traum gipfelte. Er hatte bis spät in die Nacht an einem Essay für ein Seminar über die Literatur des achtzehnten Jahrhunderts gearbeitet, als sich die Tür öffnete und ein Mann in Gestalt eines Fuchses ins Zimmer trat. Das Tier war angesengt und blutig, als käme es aus dem Kamin. Die Gestalt ging zum Schreibtisch, legte die ausgestreckte Hand auf das Blatt, das Hughes gerade beschrieb, und sagte, Hughes solle aufhören. Als die Erscheinung die Hand wegzog, sah Hughes auf der Seite einen blutigen Handabdruck.

Diese Geschichte erzählte Hughes zeitlebens immer wieder in unterschiedlichen Varianten, und schließlich schrieb er sie zur Veröffentlichung auf. Es überrascht kaum, dass die Geschichte sich über Jahre außerordentlich wandelte, aber der Zweck der Erzählung änderte sich nicht: hier war die Erklärung, warum Hughes das Studium der englischen Literatur abbrach und sich in Archäologie und Anthropologie einschrieb. Dies war eine praktische Entscheidung, weil er sich von dem verlangten Stoff schon vieles selbst angeeignet hatte. Von früher Kindheit an hatten ihn Volksmärchen fasziniert, und in Cambridge fühlte er sich zu jener anthropologischen Literatur hingezogen, welche die von ihm so sehr bewunderten modernen Dichter beeinflusst hatte: T. S. Eliot, Robert Graves, D. H. Lawrence und W. B. Yeats.

Im Juli 1954 absolvierte Hughes sein Examen, und er schnitt ziemlich gut ab; Sylvia Plath sollte 1957, als sie – anders als Hughes – ihr Literaturstudium abschloss, genau dieselbe Note bekommen – respektabel, aber nicht überragend, wie ihre strengste Biografin es formuliert. Aber Künstler brauchen keine Glanznoten, und Hughes wollte Künstler sein. Er zog nach London und schrieb weiter Gedichte, jobbte hier und da und merkte dabei – typisch für die Zeit nach dem Studium –, dass seine akademische Bildung wirtschaftlich nutzlos war.

Er lehnte es ab, in sein Elternhaus in Yorkshire zurückzugehen, wo seine sich sorgende Mutter ihn gerne aufgenommen hätte, möglicherweise mit dem Gedanken, Ted im Textilgeschäft der Familie unterzubringen. Dies wurde von seinem reichen Onkel Walt geführt, der Hughes bald nach seinem Weggang aus Cambridge eingeladen hatte, bei einer Reise auf den Kontinent sein Fahrer zu sein. Sie besichtigten Schlachtfelder; sein Onkel war an der Somme verwundet worden, als er in Hughes’ Alter war, und die Eindrücke prägten sich Hughes tief ein und tauchen später in einigen Gedichten wieder auf. Sie kosteten auf dieser Reise auch Wein des Bordeaux, und der Geschmack sollte später das Synonym für das Versprechen von Wohlstand sein, der ihm verheißen schien. Aber arbeiten wollte er für seinen Onkel nicht. Als er nach diesen Ferien nach London zurückkam, fing er als Tellerwäscher in der Kantine des Londoner Zoos an. Danach fand er Arbeit im Sicherheitsdienst; in seiner freien Zeit machte er bei Zeitungswettbewerben mit, und manchmal gewann er dabei etwas Kleingeld. An seinen Bruder Gerald schrieb er, dass er im Winter eigentlich auf einem Nordseefrachter anheuern wolle, aber ihm klar sei, dass ihre Mutter vor Entsetzen zusammenbrechen würde, wenn der Sohn mit seinem Cambridge-Examen so etwas täte.

Aber die ganze Zeit las und schrieb Hughes Gedichte. In seinen Zigarettenpausen im Zoo beobachtete er die großen Katzentiere, und über eines davon schrieb er gleich ein Gedicht. Sylvia Plath bewunderte »The Jaguar« in einer Cambridger Literaturzeitschrift, noch ehe sie Hughes kennenlernte, und er war immer stolz auf dieses Gedicht. Als er dann für den Sicherheitsdienst arbeitete, übernahm er die Nachtschicht, um lesen und schreiben zu können, während er pro Nacht acht Pfund verdiente. Wenn er freihatte, war er regelmäßig bei dem Dichter Philip Hobsbaum zu Gast, den er flüchtig aus Cambridge kannte. Hobsbaum hatte ein möbliertes Zimmer nahe der Edgware Road, wo sich Dichter zu Lesungen und Literaturgesprächen trafen. Bei einem dieser Anlässe, so erinnerte sich Hobsbaum, las Hughes stundenlang Passagen aus dem mittelalterlichen Versepos Sir Gawain and the Green Knight vor und nahm sich dabei mit Peter Redgroves Tonbandgerät auf.

Viel lieber wäre Hughes ein respektabler Job beim Fernsehen oder beim Film gewesen, so wie es ein stolzer Cambridge-Absolvent erwarten konnte – und wie Philip Hobsbaum einen hatte. Doch für Hughes bedeuteten in dieser Welt, in der das Äußere zählte, seine lässigen Bohemienallüren ein Problem. Laut Hobsbaum hinterließ Hughes einen ungemein schlechten Eindruck in der glitzernden Umgebung eines Fernsehstudios, wenn er ihn dort im Büro zum gemeinsamen Lunch-Drink abholte. »Ted bot in seinem kratzigen Mantel einen Kontrast zu den glitzernden Stars, die das Foyer bevölkerten«, erinnerte sich Hobsbaum. »Seine Gewohnheit, seitlich zu sitzen, während er auf mich wartete, und unsere Kunden misstrauisch anzublicken, beunruhigte unsere steife Empfangsdame, Miss Westbrook. Einmal fragte sie mich: ›Meinen Sie, dass bei Mr Hughes im Kopf alles in Ordnung ist?‹« Hobsbaum war es dann, der dafür sorgte, dass Hughes bei J. Arthur Rank angestellt wurde, um Zusammenfassungen von Romanen zu schreiben, die als mögliche Filmskripte eingereicht worden waren – so dass er mit dem Zug zu den Pinewood Studios in Slough pendelte und an den Wochenenden weiter nach Cambridge, wo er im Hühnerstall von Lucas Myers auf dem Boden nächtigte und seine frisch geschriebenen Gedichte in das St. Botolph’s Review brachte. Was ihn zu Sylvia Plath führte.

Die schrille Amerikanerin

Solcherlei Klatsch über Ted Hughes zirkulierte vermutlich in Cambridge, als Plath nach der Party in Falcon Yard Erkundungen über ihn einzog. Sie selbst war schon vor der Party in gewisser Weise berüchtigt. Es gab etwa zehnmal so viele männliche Studenten wie Studentinnen, und alle Frauen wurden genau in Augenschein genommen. Plath muss als schrill und penetrant gegolten haben, sogar im Vergleich zu den anderen Amerikanerinnen, die in Cambridge eingeschrieben waren – angeblich fand selbst Ted Hughes sie anfangs zu »aufdringlich«. Sie war voreingenommen, ungeduldig, manchmal arrogant und immer auf dem Sprung, sogar wenn sie saß, wie sich eine ihrer Mitbewohnerinnen in Cambridge erinnert: »Ein Fuß … wackelte immer ungeduldig, und die Finger beider Hände spielten immer miteinander – wobei die Finger sich verknäulten und verknoteten und die Daumen sich eher feindselig gegenüberstanden und mit den Nägeln aufeinander einstachen.« Auf dem Fahrrad trat sie kräftig in die Pedale, »Kopf und Schultern nach vorne strebend, als würde purer Wille und nicht ihre Beine sie vorwärtstreiben.« Die Vehemenz war unabhängig von der Bedeutung der jeweiligen Fahrt, sie war vielmehr typisch. »Sie fuhr eher wie ein leidenschaftliches kleines Mädchen.«

Smith College, Party für Studentinnen im ersten Jahr, Sylvia Plath vorne, Dritte von links

Plath war kein kleines Mädchen, sie war ein großes Mädchen: etwa eins fünfundsiebzig groß, schlank, wohlproportioniert, mit langem Oberkörper und breiten Schultern. Obwohl sie einen guten Appetit hatte, hielt sie ihr Gewicht normalerweise unter fünfundsechzig Kilogramm. Ihr auffallendstes Merkmal war eine physische Vitalität, die, allen Berichten zufolge, nicht mit einer Kamera einzufangen war; Leute, die sie kannten, einschließlich Hughes, meinten, dass es keine Fotos gab, die ihrem Aussehen gerecht wurden. Sie konnte ihre Nase nicht leiden: Sie fand sie »dick« und weich, und weil sie anfällig für Nebenhöhleninfektionen war, war die Nase oft mit dickem Schleim verstopft; darin schwelgte sie seltsamerweise in ihrem Tagebuch, und dies mehr als einmal – die Eingangspassage von James Joyces Ulysses hatte ihr die Freiheit gegeben, über Rotz zu schreiben. Sie pflegte mit der Zunge beim Sprechen die Luft zu prüfen und hatte, wenn sie nervös war, die Angewohnheit, sich auf die Lippen zu beißen, bis sie rissen. Sie tadelte sich selbst oft für Angewohnheiten, die sie kindisch fand. Aber insgesamt scheint ihr gefallen zu haben, wie sie aussah, sie war nicht auf ihre Schönheitsfehler fixiert und hielt sich stolz und gerade. Zu ihrer guten Haltung äußerten sich sogar ihre Lehrer. Einer ihrer Freunde bemerkte einmal, dass sie mit ihren »festen Muskeln« und ihrem »sportlichen Sex« angab. Plath nannte sich in ihren Briefen und Tagebüchern »sportlich«, aber wer sie beim Sport gesehen hatte, fand ihre Bewegungen eher kraftvoll als elegant oder koordiniert. In ihrem autobiografischen Roman Die Glasglocke bemerkte sie über ihr Alter Ego Esther Greenwood, dass sie keine gute Tänzerin war, und auch Plath hinterließ bei anderen denselben Eindruck. Vielleicht meinte Plath mit »sportlich«, dass sie physischen Mut besaß. 1952, als sie zum ersten Mal auf Skiern stand, brach sie sich ein Bein, weil sie sich mit Mordsgeschwindigkeit auf eine Piste für fortgeschrittene Skiläufer wagte. In ihrem ersten Jahr in Cambridge saß sie zum ersten Mal auf einem Pferd, einem angeblich gutwilligen Hengst namens Sam, der mit ihr durchging. Plath konnte Zügel und Steigbügel nicht halten, aber sie hatte Kraft genug, sich an seinen Hals zu klammern, während er auf die Straße zwischen Autos und Fahrräder galoppierte und dann auf dem Bürgersteig die Fußgänger verjagte. So viel Angst und Schrecken und Gefahr berauschte sie – und bot sich als gute Story an, die sie in Briefe an ihre Freunde zu Hause einbaute.

Plath hatte auch keine Hemmungen, ihren Körper zu zeigen. In Cambridge schrieb sie für die Universitätszeitung Varsity einen Artikel über Mode und posierte für Fotos als Illustrationen. Eines dieser Fotos wurde auf der Titelseite abgebildet, das andere im Text: Plath in einem Neckholder-Badeanzug schräg von unten fotografiert, so dass ihre langen wohlgeformten Beine zur Geltung kamen. Sie zeigen gut ausgebildete Muskulatur in den Schenkeln und Waden, vermutlich vom kräftigen Fahrradfahren.

Als Plath ihrer Mutter den Zeitungsausschnitt nach Hause schickte, betitelte sie ihn: »Mit lieben Grüßen von Betty Grable.« Allerdings zeigte sich hier ein anderes charakteristisches Merkmal von ihr: Plath war sich nicht bewusst, wie ihre Selbstdarstellung die britischen Empfindlichkeiten störte und ihre amerikanischen Kommilitonen in Cambridge ärgerte, die gerade eben nicht wegen ihrer nationalen Zugehörigkeit auffallen wollten. Für die Briten war Plath die Karikatur einer Amerikanerin, grell, auffallend gekleidet, überschwänglich. Kam sie in eine neue Umgebung und lernte neue Menschen kennen, war ihre erste Reaktion überschäumend lautes Aah und Ooh. Für ihr Gefühl war das schlichte Freundlichkeit. Sie war schon immer darauf bedacht gewesen, einen guten Eindruck zu machen, denn sie war auf Stipendien angewiesen, wie das Fulbright-Stipendium, das ihr Studium in Cambridge ermöglichte. Sie hatte sich sogar bemüht, ihr Aussehen anzupassen, ehe sie den Atlantik überquerte. Ihre Haarfarbe war von Natur aus hellbraun, von ihr euphemistisch als »deutsches Blond« bezeichnet; in den Sommerferien ließ sie es in den Vereinigten Staaten zu einem Ton färben, den sie gerne »platin« nannte. Dieses Etikett entsprach Hollywoood – Marilyn Monroes Haarfarbe war platinblond, und Plath liebte die Vorstellung von sich selbst als einem »flatterhaften goldigen Geschöpf«, das Spaß ohne Ende hat. Aber ehe sie das Schiff nach England bestieg, ließ sie sich die Haare wieder hellbraun färben; sie meinte, so wirke sie fleißig und ernsthaft.

Ihre lebhafte Mimik und die ausdrucksvollen braunen Augen machten am meisten Eindruck und waren mit der Kamera nicht einzufangen. Ihre Haut hatte eine ungewöhnliche Farbe, wie durchscheinendes Wachs oder Zellophan. Sie hatte volle, aufreizende Lippen, die sie mit rotem Glanzlippenstift betonte. Beim Zuhören setzte sie einen starren Blick auf, der einen verunsicherte. Ihre Seminarleiterin in Cambridge erinnerte sich, wie ihr Plath zum ersten Mal im Hörsaal auffiel. Ohne etwas über Sylvia Plath zu wissen, war sie beeindruckt von »der konzentrierten Gefühlsstärke ihres prüfenden Blicks, wodurch sie einen hässlichen, fast groben Gesichtsausdruck bekam, noch betont durch das extreme Rot ihres kräftig angemalten Mundes und die herabgezogenen Mundwinkel.« An das dezente Benehmen englischer Mädchen gewöhnt, fragte sie sich, ob Plath Jüdin wäre. Eine von Plaths Mitbewohnerinnen fand ihr Gesicht »stets erhellt von Interesse an oder Aufmerksamkeit für etwas oder jemanden … Entweder redete sie, oder sie hörte angeregt zu …, oder sie las still mit sehr wachen und aufmerksamen Augen.« Insgesamt war ein Zusammensein mit Plath alles andere als entspannt, auch wenn nicht jeder das als unangenehm empfand.

Das Tagebuch-Ich

Plath hatte die Party in Falcon Yard mit ihrem Begleiter für jenen Abend verlassen und war mit zu ihm nach Hause gegangen, um mit ihm zu schlafen und dann ganz früh am Sonntagmorgen in ihr eigenes Bett zurückzukehren. Sechs Stunden später wachte sie mit einem schlimmen Kater auf. Sie konnte sich nicht auf den Essay über Racines Phèdre konzentrieren, den sie für ein Tutorial in der folgenden Woche vorbereiten sollte. Stattdessen verbrachte sie fast den ganzen Tag mit einem sehr langen, literarischen Tagebucheintrag.

Dem Anschein nach besteht ein Tagebuch aus Notizen über den Alltag. Aber oft ist das Tagebuch eines Schriftstellers eher wie eine Ballettstange für die Ballerina: sie macht Übungen vor einem Spiegel und beobachtet dabei, wie perfekt sie aussieht bei ihren schwierigen Bewegungsabläufen, die genau stimmen sollen. Versucht eine Figur zu skizzieren, eine Szene darzustellen, die Umgebung zu beschreiben: Essen, Kleidung, Geräusche, Einrichtung, Wetter. Oder nach innen gewendet eine großartige Phantasie zu sezieren. Im Wirrwarr ihrer Konflikte herumzuwühlen. Sich selbst Mut zuzusprechen.

Plath schrieb keine Gedichte in dieses Tagebuch. Ihr ging es zumeist darum, Passagen zu entwerfen, die eines Tages in einen Roman passen würden. Plaths Vorbild war J. D. Salingers Fänger im Roggen mit einem Ich-Erzähler, den Plath das »Tagebuch-Ich« nannte, »das auf seine Weise auch vereinfacht werden muss, doch nur so, dass es sich auf die Vorstellung hin entwickeln kann, die ich heute vom Leben habe«. Interessant ist, wie Plath das fiktive »Ich« von den Ansichten der Autorin unterscheidet. Sie betont, dass sich die Phantasie der Autorin durch eine weibliche Figur entfaltet, die nicht identisch mit der Autorin ist, auch wenn diese Figur aus den Erfahrungen der Autorin entsteht: »Dieses blonde Mädchen … Lass sie das Lebensgefühl dieser Generation ausdrücken. Der deinen.«

Im Februar 1956 verfolgt Sylvia Plath mit ihrem »Tagebuch-Ich« zwei Ziele. Das eine: sich zu verlieben; das andere: die Entwicklung zur Schriftstellerin. Als Plath also eine Schilderung der St.-Botolph’s-Review-Party entwarf, notierte sie Szenen, Charaktere und Atmosphäre – als Teil der Geschichte von der Suche nach einer idealen Liebe – und überhöhte die Geschichte, indem sie handwerkliche Tricks der Profession einsetzte. »Man hat keine Chance, ›Leben festzuhalten‹, wenn man kein Notizbuch führt«, ermahnte sie sich.

Das Drama ihrer Partnersuche hatte schon manche Seite dieses Tagebuchs gefüllt, denn sie hatte dort ihre Affäre mit einem jungen Amerikaner festgehalten, der derzeit an der Sorbonne studierte, Richard Sassoon. Sie hatte ihn im Sommer ihres letzten Studienjahres am Smith College kennengelernt, als er in Yale studierte. Er nahm gerade an einem Seminar für kreatives Schreiben teil, als er die Korrespondenz mit Plath aufnahm, und nutzte seine Briefe als Kladde für Hausaufgaben, die dann für den Seminarschein angerechnet wurden. Sassoon war geistig aufgeweckt und anspruchsvoll – seine vielen Briefe sind voller Anspielungen auf Malerei, Dichtung und Dinge, die man am besten französisch beließ. Plath sah in ihm schon damals einen Franzosen und genoss seine Zügellosigkeit, seine Weltgewandtheit und seinen Hang zum Exotischen. Seine Familie lebte in North Carolina, doch der Familienstammbaum hatte auch einen attraktiven englischen Zweig: Richard war ein entfernter Vetter des Dichters Siegfried Sassoon.

Ihre Beziehung wurde enger, und Sassoon war leidenschaftlich, vertraulich und brachte sein Begehren offen und poetisch zum Ausdruck (»ein Teil von mir schläft an deinem Hals und bringt Genuss in den Lauf des Lebens«, schrieb er nach einem ihrer gemeinsamen Wochenenden). Seine Briefe lassen vermuten, dass er Sexspiele mochte, auch so etwas wie Spanking. Er führte Plath in Restaurants und ins Theater aus, wenn sie sich zu glamourösen Wochenenden in New York verabredeten. Plaths Tagebuch hält genau fest, was sie in diesen Liebesnächten aßen und tranken.

Im Herbst 1955, zur gleichen Zeit, als Plath nach Cambridge ging, wechselte Sassoon von Yale an die Sorbonne. In den Weihnachtsferien fuhr sie über den Ärmelkanal, um ihn zu besuchen. Es war ihr erster Paris-Aufenthalt, der später in ihrer Erinnerung zu einem romantischen Wiedersehen mit »dem nervösen Jungen & Feigen und Orangen« wurde, in einem »traurigen Pariser Zimmer vom Blau des Inneren einer Ritterspornblüte«. Sie verbrachten mehrere Tage in Paris – Plath wohnte im Hotel, um den Anschein von Anstand zu wahren – und fuhren dann zusammen an die Côte d’Azur, die sie mit einem Motorroller bereisten, wiederum eine romantische Episode, die sie literarisch festhielt, sobald sie nach Cambridge zurückkehrte.

Während dieser Ferien in Frankreich allerdings führte ein Streit dazu, dass Sassoon sich zurückzog, und Plath war besorgt, dass er ihr nun den Laufpass geben würde – obgleich Plath während der ganzen Affäre äußerst ambivalent geblieben war: Sie fand Sassoon intellektuell anziehend, aber körperlich abstoßend. Es gefiel ihr nicht, dass er neben ihr klein wirkte: er war gerade einmal so groß wie sie, so dass sie keine Absätze tragen konnte, wenn sie elegant ausgingen. Und er war schmächtig von Statur, während Plath das Aussehen und Verhalten eines ganzen Kerls viel lieber war – eine ihrer erotischen Phantasien war, von einem Mann auf Händen getragen zu werden. Die Vorstellung quälte sie, eines Tages mit einem dürren, schwächlichen Mann verheiratet zu sein, dessen Intelligenz sie anzog, aber dessen Liebeskünste ihr das Gefühl vermittelten, sie wäre bloß ein übergroßer Frauenkörper, der »von einem summenden, verzauberten Insekt vergewaltigt« würde und dann »tausend kleine Eier« legte. Plath war sich sehr deutlich ihres Alters und ihres Kinderwunsches bewusst, und es missfiel ihr, sich von Männern angezogen zu fühlen, deren einziger erotischer Reiz von ihrem Intellekt ausging.

Als Plath nach ihren Weihnachtsferien mit Sassoon nach Cambridge zurückkam, beschloss sie, so lange keine Briefe mehr zu schreiben, bis er signalisierte, dass er sie brauchte. Anfang 1956 begann sie dann in Tagebucheinträgen an Sassoon ihre Konflikte zu analysieren, und diese Als-ob-Briefe waren auch als literarisches Material gedacht. Zum Glück für die Nachwelt, denn so lässt sich nachvollziehen, wie Plath ihr eigenes Leben als »das Lebensgefühl dieser Generation« im Hinblick auf die Partnerwahl stilisiert.

Wohl unter anderem weil Plath fürchtet, dass sie verlassen worden ist, wirken ihre sexuellen Gefühle, über die sie in dieser Zeit schreibt, auf paradoxe Weise leidenschaftlich. Außerdem sucht sie sich für einen Lebensberuf zu entscheiden. Am Anfang des Wintertrimesters beginnt sie mit Grübeleien, die sie in Großbuchstaben betitelt: »Der Dialog zwischen meinem Schreiben und meinem Leben«. Schreiben als Beruf kann sie nur rechtfertigen, indem sie regelmäßig publiziert. Sollte sie dem Leben eine höhere Priorität einräumen und nur in ihrer Freizeit schreiben? Auch im Hinblick auf die Ehe macht sie sich Sorgen. Emotional an Richard gebunden, hat sie Cambridge nicht als Jagdrevier genutzt. Mitte Februar ist sie entschlossen, jede sich bietende Verabredung wahrzunehmen. Kurz bevor sie sich für die Party in Falcon Yard umzieht, notiert sie in ihrem Tagebuch eine Kosten-Nutzen-Rechnung, wirft sich vor, dass sie zu prestigebewusst ist, und redet sich gut zu: »Die Angst, dass mein Empfindungsvermögen stumpf ist, minderwertig, ist vermutlich berechtigt: aber ich bin nicht dumm … Ich sehne mich so nach jemandem, der Richard mit einem Knall hinwegfegt.«

All diese Konflikte warteten an jenem Sonntagmorgen nach der Party auf den Seiten von Plaths Tagebüchern, als sie sich mit ihrem Kater und der Schreibmaschine niederließ. Plath knüpfte da an, wo sie tags zuvor aufgehört hatte, und ging ihren beiden Hauptfragen nach: Partnerwahl und Schreiben. Nicht die ängstliche, verlassene junge Frau geht hier ans Werk, sondern die erfahrene Schriftstellerin. Acht Männer werden skizziert, jeder im Helldunkel eines einzigen Satzes, um so den attraktiven Amerikaner, Lucas Myers, in den Mittelpunkt zu stellen, dem ein ganzer Absatz gewidmet ist, inklusive modischer Details: »dunkle Koteletten und zerzaustes Haar, schwarz-weiß karierte ausgebeulte Hosen und locker sitzende Jacke, tanzte diesen langsamen verrückten Englischen Swing mit einem grün gekleideten Mädchen.« Plath lässt unerwähnt, dass er groß war – was tatsächlich zutraf. Sie berichtet, wie sie dem grün gekleideten Mädchen dazwischenfunkte, und wie sie sein Gedicht »Fools Encountered« rezitierte, während sie mit ihm tanzte. Sie waren schrecklich betrunken, aber – so ermahnt sie sich in ihrem Tagebuch – Lucas hatte sich zumindest mit seinen Gedichten im St. Botolph’s Review das Recht auf dieses beschwipste Benehmen erworben – »Sestinen, die zack, bumm durch alle Zeilen und Regeln krachen …« Offenbar hat es Lucas Myers am 26. Februar 1956 auf die Shortlist für den Platz an ihrer Seite geschafft, den Richard Sassoon erst kurz vorher frei gemacht hat.

Und dann hat Ted Hughes seinen dramatischen Auftritt im Tagebuch. Plath setzt die Scheinwerfer auf seine Größe und seine physische Erscheinung (groß, dunkel, stattlich usw.) und verfasst die Zeilen, mit denen sie und Hughes gemeinsam die Literaturgeschichte betreten: »Ich fing wieder an zu brüllen, etwas über seine Gedichte, und zitierte …, und er schrie zurück, gewaltig.« Die Szene geht weiter. Sie zogen sich in das Zimmer zurück: »Und dann küsste er mich, peng, knall auf den Mund und riss mir das Haarband vom Kopf … und meine silbernen Lieblingsohrringe: ›Ha, die werd ich behalten!‹, brüllte er. Und als er mich auf den Hals küsste, biss ich ihm lange und kräftig in die Wange, und als er das Zimmer verließ, lief ihm Blut übers Gesicht.« Sie stellt sich vor, wie sie sich ihm hingibt, »berstend, im Kampf«. Er ist der erste Mann in Cambridge, »der Richard mit einem Knall hinwegfegen könnte.«

An jenem Morgen nach der Party ist Plath nicht – noch nicht – verliebt, sie versucht vielmehr die Männer, die sie auf der Party getroffen hat, zu typisieren. Das Wort »Blast« (»Knall«) – womit sie sich auf den Eintrag vom Vortag bezieht – liefert ihr den Grundton. Plath spielt mit dem Thema, dass Schreiben erotisch, Erotik gewalttätig, Schreiben gewalttätig ist. In ihren Morgenaufzeichnungen werden »bang«, »blast«, »crash«, »smash«, »wind«, »hunger« austauschbare Begriffe für Lust und Schreiben, und wie wir sehen, wendet sie diese sowohl auf Lucas wie auf Ted an, Kontrastfiguren für Richard, von dem sie diesen Begriff in ihrem erotischen Vokabular hat. Aber »bang« ist neu: vielleicht hat Plath es aus Hughes’ Gedicht »The Jaguar« (für dessen vitale Energie er die Worte findet »bang of blood in the brain« – »Pulsschlag im Hirn«), das sie gewiss in einer kurz zuvor erschienenen Ausgabe des Chequer gelesen hatte. Plath gesteht, dass sie die Gedichte von Hughes im St. Botolph’s Review auswendig lernen wollte, weil von ihnen eine Gewalt ausging, die sie sexuell erregend fand: »… ich verstehe, weshalb Frauen sich für Künstler hinlegen.« Die Gedichte entsprechen der Muskelkraft des Mannes, »sie sind stark und fahren wie der Sturm durch Stahlmasten.« Plath schwelgt in der Erinnerung, wie er ihren Namen ausgesprochen hat: »Sylvia, wie ein starker Sturm«. In einem Tagtraum, in dem die beiden sich wiedersehen, werden sie und er »im stürmischen Wind von London hin- und hergeworfen.«

Plath hatte jetzt die Assoziationen beisammen, die für den folgenden Monat ihre Tagebucheinträge prägen, wenn sie sich als Heldin charakterisieren möchte. Manchmal ist es wieder die Erinnerung an Richard Sassoon, die diese Assoziationen in Gang bringt. Sie stellt sich mit ihm »ein Leben voller Konflikte« vor, wo Schreiben und Essen und Kinder und Haushalt in einem Energiewirbel der Gewalt gedeihen, »Stoß um Stoß bekräftigt« in jedem Augenblick, aber vor allem »im Bett im Bett im Bett.« Manchmal ist es der Gedanke an Hughes – wie am ersten Wochenende nach ihrer Begegnung, als er angeblich in Cambridge war. »Meinen schwarzen Schänder« nennt sie ihn, »oh, hungrig, hungrig«. Manchmal evoziert ihre Leidenschaft fürs Schreiben die Metaphern: »Ich habe physische, intellektuelle und emotionale Kräfte, und die brauchen ein Ventil« – Sex mit wechselnden Partnern, Schreiben, in dem das wilde Treiben der Welt in ihren Versgittern aufgefangen wird.

Kurzum, der Tagebucheintrag von Sonntag, dem 26. Februar, dem Tag, nachdem Ted Hughes in ihr Leben trat, zeigt eine Plath, die dabei ist, ein Vokabular und eine Sichtweise für »das Tagbuch-Ich des Romans« zu entwickeln, ein Vorhaben, das nun im Widerstreit mit ihrem Studium darum wetteifert, ihren künftigen Beruf zu bestimmen.

Doch was für eine Geschichte soll sie um diese Figur, dieses Alter Ego, konstruieren? Der Tagebucheintrag vermittelt bereits eine Vorausahnung – er enthält die ersten von Plath niedergeschriebenen Gedanken zu dem Roman mit einer Ich-Erzählerin, der dann 1963 unter dem Titel The Bell Jar (deutsch Die Glasglocke, 1968) veröffentlicht werden sollte. Sie wird ihre Heldin in eine Situation versetzen, die ihr selbst wohlbekannt war – »Schocktherapie« –, und die Szene in einem Stil komponieren, den niemand als altbackene Künstlichkeit abtun konnte: »dichte, pralle, kurze Beschreibungen ohne jede Spur von Sentimentalität.«

Solche Metaphern und Themen waren gewagt. Erst drei Jahre zuvor war sie aus dem McLean Hospital in Belmont, Massachusetts, entlassen worden, wo sie wegen Depressionen nach einem fast gelungenen Selbstmordversuch in psychiatrischer Behandlung gewesen war. Unmittelbar nach einer kurzen Mitarbeit als Gastredakteurin bei Mademoiselle für deren jährliche College-Nummer im August 1953 erlitt Plath einen psychischen Zusammenbruch. Sie konnte nicht mehr schlafen, essen oder lesen. Dies war nicht nur eine Reaktion auf den Stress und die Aufregung und die Enttäuschung ihrer Wochen in New York, sondern vielmehr ein Gefühl von existenzieller Wertlosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit. Vermutlich brachte Plath eine Veranlagung für diese Krankheit mit: in ihrer Familie gab es auf beiden Seiten ähnliche Fälle. Am 24. August hatte sie sich, entsetzt über ihren geistigen Verfall und ihre Selbstmordgedanken, vor Verzweiflung im Keller verkrochen, wo niemand nach ihr suchen würde, und eine Überdosis Tabletten genommen. Zwei Tage war sie bewusstlos, erbrach aber währenddessen die Tabletten und schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf: die Narbe auf ihrer rechten Wange sollte ihr bleiben. Schließlich wurde sie von ihrem Bruder Warren, der ihr Stöhnen hörte, gerettet.

In den fünf Monaten ihrer Krankheit erhielt Plath zweimal eine Elektroschocktherapie. Die erste, der sie sich vor ihrem Selbstmordversuch unterzogen hatte, war offenbar verpfuscht worden. Die zweite wurde von einer jungen Psychiaterin überwacht, zu der Plath für den Rest ihres Lebens eine vertrauensvolle Beziehung entwickelte: Dr. Ruth Beuscher. Plath erholte sich gut und nahm im Februar 1954 ihr Studium am Smith College wieder auf. Sie legte ein hervorragendes Examen ab, schrieb noch eine größere Abschlussarbeit und führte ein aktives gesellschaftliches Leben.

Nun hatte Plath noch vor, aus dieser Nahtoderfahrung eine Geschichte über ihre Generation zu verfassen, einen Roman mit einer Ich-Erzählerin, basierend auf ihren Erlebnissen. In Plaths Tagebuch legt das Wort »blasting« die Spur, auf der ihre Assoziationen sich auf das Thema »einschießen«, das ihr so nahe lag und das sie – wie Hughes in seinen Gedichten – völlig unsentimental anging. Die Elektroschocktherapie ist das Herzstück der Handlung in ihrem autobiografischen Roman Die Glasglocke