Du wolltest doch auf den Ponyhof! - Judith Luig - E-Book

Du wolltest doch auf den Ponyhof! E-Book

Judith Luig

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Beschreibung

Urlaub mit Kindern – oder: die anstrengendste Zeit des Jahres Wochenlang fiebert man auf die Ferien hin, und dann: Entspannung und Erholung? Ha ha. Zeit für dich? Ha ha ha! Sich mal wieder als Paar begegnen? Lassen wir das. Urlaub mit Kleinkindern ist genau so irre wie Alltag mit Kleinkindern, nur halt woanders. Judith Luig versucht seit Jahren, dem ganzen Wahnsinn zu entkommen, indem sie immer wieder neue Modelle erfindet, wie die Reise doch gelingen kann: Sie fährt mit ihren Eltern nach Italien, die leider ihr eigenes Ding machen; sie friert bei acht Grad an der holländischen Nordsee; sie tanzt im Robinson-Club mit einer Riesenrobby; und sie gibt ihre persönliche Freiheit an der Garderobe im Familienhotel ab. Urlaub mit Kindern: nur in der Rückschau lustig – dann aber umso mehr.

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Seitenzahl: 220

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Judith Luig

Du wolltest doch auf den Ponyhof!

Urlaub mit Kleinkindern in elf Versuchen

 

 

 

Über dieses Buch

Urlaub mit Kindern – oder: die anstrengendste Zeit des Jahres

 

Wochenlang fiebert man auf die Ferien hin, und dann: Entspannung und Erholung? Haha. Zeit für sich? Hahaha! Sich mal wieder als Paar begegnen? Lassen wir das. Urlaub mit Kleinkindern ist genauso irre wie Alltag mit Kleinkindern, nur halt woanders.

Judith Luig versucht seit Jahren, dem ganzen Wahnsinn zu entkommen, indem sie immer wieder neue Modelle erfindet, wie die Reise doch gelingen kann: Sie fährt mit ihren Eltern nach Italien, die leider ihr eigenes Ding machen; sie friert bei acht Grad an der holländischen Nordseeküste; sie tanzt im Robinson Club mit einer Riesenrobbe; und sie gibt ihre persönliche Freiheit an der Garderobe im Familienhotel ab.

Urlaub mit Kindern: vor allem in der Rückschau lustig – dann aber umso mehr.

Vita

Judith Luig ist Journalistin und Autorin, sie war bei der taz und der Welt am Sonntag, sie schrieb für Zeit und Zeit Online. Ihr erstes Buch handelt von Machos, ihr zweites von Freundinnen. Sie hat anderthalb Drehbücher geschrieben und sehr viele politische Reden. Sie lebt mit einem Mann und zwei Töchtern in Berlin.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung zero-media.net, München

Coverabbildung Antonia Hinterdobler für FinePic®, München

ISBN 978-3-644-02339-0

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für Fiona,

mein Urlaubskind

Urlaub mit Kleinkindern – Gedanken zu einem unmöglichen Konzept

Urlaub mit Kleinkindern ist ein Irrsinn. Es ist genauso verrückt wie das ganze Leben mit Kleinkindern, halt nur noch viel, viel intensiver. Meine Kinder, zum Beispiel, entwickeln im Urlaub übermenschliche Fähigkeiten. Sie bleiben mühelos mit uns bis elf Uhr wach, gehen unter Protest um Mitternacht ins Bett und stehen dann trotzdem ab sechs Uhr früh wieder auf der Matte. Sie essen Spaghetti Carbonara und Tiramisu im Restaurant und dann noch ein Eis am Dorfplatz, und wenn wir dann abends gegen zehn Uhr zurück in die Ferienwohnung kommen, fragen sie: «Was gibt es zum Abendessen?»

Sie toben sechs Stunden im Hotelpool bei 18 Grad, weil die Heizung ausgefallen ist, und wenn man sie endlich mit viel Überredungen, Bestechungen und Versprechungen rausgelockt hat und man selber nur noch ein kleines blaues verfrorenes Etwas ist, trocknen sie sich kurz ab und sagen: «Aber gleich gehen wir noch mal schwimmen. Bitte, Mama. Das hast Du versprochen.»

Sie sind wach, wenn wir schlafen wollen, und sie schlafen, wenn wir mit ihnen spazieren gehen wollen, sie sind hungrig, wenn alle französischen Restaurants, die was auf sich halten, noch geschlossen sind, sie wollen Pizza, wenn es Pommes gibt, sie wollen mit dem Roller am Strand fahren und das Lego-Piratenschiff mit auf den Wochenendtrip nehmen. Sie spüren jeden Souvenirstand und jedes Kettenkarussell und jede Eisdiele im Umkreis von einem Kilometer auf, und wenn sie dann drei Runden gefahren sind und eine Kugel Stracciatella in der Waffel schlecken und den hundertsten Flummi aus dem Flummi-Automaten bekommen haben, dann sagen sie: «Wann bekommen wir eigentlich einen Babyhund?»

Ich wünschte, ich hätte eine Ausbildung zur Reiseleiterin, Entertainerin und Pädagogin gemacht, dann wäre ich vielleicht wenigstens halbwegs auf die Urlaube mit meinen Kindern vorbereitet gewesen. Aber die Wahrheit ist: Ich konnte ja noch nicht mal ohne Kinder Urlaub machen. Ich wusste ja gar nicht, wie das geht.

Als ich erwachsen wurde, schaffte ich als Erstes den Urlaub ab. Hotels und Ferienwohnungen? Wozu? Mit 18 zog ich bei meinen Eltern aus, und weil alle meine Freunde das auch taten, konnte ich ab da immer irgendwo jemanden besuchen: in München oder in Hamburg, in Singapur, Paris oder Rom. Ich machte Praktika in Alberta, Kanada, und in Lubbock, Texas, ich hatte einen Freund in Durban, Südafrika, ich studierte in Florenz und Perugia, ich flog zu Tagungen nach London oder Newcastle und trug irrelevante Essays vor. Mein Zuhause war die Welt, wozu also noch Urlaub machen?

Menschen machen ja bekanntlich Urlaub, um etwas Neues zu sehen, um Dinge zu entdecken, die sie noch nicht kennen. Ich bin prinzipiell auch gerne unterwegs und erlebe durchaus gern etwas, aber dafür muss man ja nicht Urlaub nehmen, dafür habe ich ja einen Beruf! Als Journalistin bin ich in meinem früheren Leben dauernd rumgefahren. Ich war in Schmalkalden in Thüringen, wo sich an einem Dienstag nachts um drei plötzlich ein 30 Meter tiefes Loch auftat, das ein Auto, ein Stück Garage und einen Garten verschlang, ich war im Silicon Valley, um etwas über die Start-up-Szene zu lernen, ich war auf den Seychellen, um über ein neues Luxus-Resort zu berichten, ich war bei der Royal Wedding von William und Kate in London und bei der von Victoria und Daniel in Stockholm, ich habe in Nikosia den Präsidenten von Nordzypern getroffen, obwohl ein paar Neider behaupten, der sei gar kein Präsident, weil Nordzypern gar kein Land sei, ich habe über Architektur auf den Äolischen Inseln geschrieben und über neapolitanische Kreuzfahrt-Kapitäne.

Ich war an allen möglichen Orten, um darüber zu schreiben, was da gerade passiert, und von den Menschen zu erzählen, die damit zu tun haben. Eine Reporterin kann jeden anquatschen und sich erklären lassen, was der gerade so macht, wie der lebt. Das mag ich.

Menschen machen außerdem gerne Urlaub, weil sie eine Pause vom Alltag brauchen. Das kann ich zwar grundsätzlich nachvollziehen, aber ich lebe in Kreuzberg. Die Straße, in der wir wohnen, ist 380 Meter lang, und es gibt zwei Cafés, ein französisches Fusion-Sternerestaurant, einen Hipster-Inder, einen Österreicher, eine echte Kreuzberger Kneipe, in der man bis morgens um fünf saufen kann (ein Angebot, von dem viele Gebrauch machen), es gibt zwei Galerien, ein Kunstatelier und eine kroatisch-deutsche Edel-Gastronomie. Es gibt in der Verlängerung der Straße sogar einen kleinen Zoo, einen Park, zwei Spielplätze, und etwas weiter die Straße runter in die andere Richtung ist der Landwehrkanal. Alleine in dieser einen Straße ist mehr los als an vielen Orten, an denen Menschen «Urlaub» machen.

Urlaub brauche ich also wirklich nicht. Viel zu viel Stress.

Mir ist unbegreiflich, was Leute daran finden, die Hälfte ihres Kleiderschranks in Koffer und Taschen zu stopfen und das alles durch die halbe Welt zu schleppen. Nur um dann zwei Wochen lang in einem überteuerten Hotelzimmer zu hocken, das drei Milliarden identische Klone hat, oder in einem unpraktischen Haus in Holland nach Zeug zu suchen, was dann leider meilenweit vom Strand entfernt ist, weil man eben lieber nicht ganz so viel bezahlen wollte oder konnte oder bei der Lektüre der Beschreibung des Gastgebers mit halbem Ohr mit seiner Mutter telefoniert hat. Da hockt man dann und trifft andere Deutsche. Na toll.

Menschen machen Urlaub, um sich zu erholen. Das finde ich eine wunderbare Idee, aber wenn ich mich erholen will, dann lege ich mich ins Bett und bleibe dort liegen. Dann lese ich Pride and Prejudice zum tausendsten Male, dann schaue ich Modern Family oder die ganze Staffel von Friends oder Downton Abbey, dann höre ich Podcasts mit Micky Beisenherz oder gucke mir auf Instagram Stand-up-Comedy über erschöpfte Mütter an, alles von Carolin Kebekus über Jen Brister bis zu Sindhu Vee. Wenn ich mich entspannen will, dann mache ich nix. Dann liege ich da, schaue mir den Baum vorm Fenster an, atme ein und atme aus und genieße, dass keiner was von mir will.

Das heißt, so habe ich das früher gemacht. Damals, als ich Urlaub noch aktiv vermeiden konnte. Als ich in der ganzen Zeit, in der die anderen Anfänger in der Redaktion in ihren «Erholungsurlaub» gefahren sind, weitergearbeitet habe ohne Stress, weil ja eh Sommerloch war. Eine Zeit, in der man Themen in der Zeitung unterbringt, die einem der Chefredakteur sonst vom Tisch gefegt hätte. Dieser ganze Camp-Kram. Eine Recherche darüber, warum seit Jahren so ein Bauzaun am Landwehrkanal ausgerechnet einen der schönsten Sonnenplätze verrammelt. Oder darüber, warum die Kugel Eis neuerdings fast überall zwei Euro fünfzig kostet. Oder warum Frauen heute noch Weinkönigin werden. Es war jene Zeit, als ich mich an einem der schönsten Sonnentage einfach ins Bett oder auf die Wiese legen konnte, ohne dass sich sofort jemand dazugelegt hat, am besten noch auf mich drauf. Also die Zeit, bevor ich ein Kind bekommen habe.

Jeder, der schon mal 24 Stunden am Stück mit einem sehr kleinen Kind in einer Wohnung verbracht hat, weiß: Es ist das exakte Gegenteil von Erholung. Meine Tochter Joe zum Beispiel kann innerhalb von einer Minute drei verschiedene Spiele anfangen.

«Ich will puzzeln», sagt sie, «aber nur das Peppa-Wutz-Puzzle.»

Das müssen wir natürlich erst mal suchen. Sobald wir es haben, sagt sie: «Ich will das Dinosaurier-Puzzle.»

Wenn wir dann da die Teile mit den Punkten aussortiert haben, auf denen der Brontosaurus drauf ist, kickt sie die Hälfte unters Sofa und brüllt: «Ich wollte Lego!»

Wenn man den Fehler macht, die Kiste aus dem Regal zu stemmen, kontert sie mit einem: «Ich habe HUUUNGER!»

«Was willst Du denn essen?»

«Nudeln, nein, Burger, nein, Bolo, nein, Eis, ich will ein EIIIIISSSSS!»

Dabei tritt sie gegen die Lego-Kiste, und ehe man sichs versieht, sieht die Wohnung aus wie ein Zeltlager nach einem Hurrikan.

Kinder brauchen Abwechslung und Auslauf. Aber wenn man mit ihnen auf den Spielplatz geht, dann wollen sie die Schaukel, auf der gerade ein anderes Kind sitzt, und sie wollen die Schippe, die ihnen nicht gehört, und sie wollen die andere Schippe, die sie gerade verliehen haben JEEEEETTTTTZZZT SOFOOOOORT ZURÜÜÜCK ÄÄÄÄÄHHHH. Man muss deswegen immer ab und zu mal einen Tapetenwechsel oder Ablenkung – also auch Urlaub! – planen mit den Kindern, sonst werden sie maulig und nölig und übellaunig und laut, und man selber wird es auch.

Außerdem machen ja alle anderen auch Urlaub. Gehört das nicht zur Kindheit dazu? Schulde ich das meinen Kindern nicht irgendwie auch? Wird das etwas sein, was sie später bei der Therapie gegen mich vorbringen?

«Meine Mutter wollte nie mit uns in den Urlaub.»

«Ah, na, das klingt ja furchtbar. Das erklärt natürlich alles. Ich verschreibe Ihnen mal was.»

Urlaub, wie schwer kann das sein? Andere schaffen es auch, oder woher kommen sonst die ganzen Insta-Storys mit wehenden Tüchern und weißen Sandstränden und blauem Meer, die endlosen Sonnenuntergänge, leuchtende Drinks am Infinity-Pool, glückliche Paare mit sonnengeküsster Haut und Kinder, die in Slow Motion ins Wasser springen, die ganzen Videos voll von strahlenden kleinen Wandervögeln, die unterwegs Richtung Zugspitze sind? Alle scheinen es hinzubekommen – Urlaub. Was schauen wir uns an, wenn die Tage lang und grau werden, in Zeiten von Zwist und Teenager-Krisen? Unsere glücklichen Urlaubsfotos. Also bitte.

Erschwerend kommt bei mir hinzu: Als ich Mutter wurde, habe ich nicht irgendein Kind bekommen. Nein, ich habe das ultimative Urlaubskind in die Welt gesetzt. Niemand macht so gerne Urlaub wie meine Tochter Fiona. Sobald sie das Wort «Ferien» hört, rennt sie in ihr Zimmer und fängt an zu packen, auch wenn die Ferien noch Wochen entfernt sind. Schon als sie erst ein paar Wochen alt war, war sie immer glücklich, sobald wir unterwegs waren. Wir hatten mal in Brandenburg eine Pension, die normalerweise von Fernfahrern frequentiert wurde. 14 Euro die Nacht, 21 mit Frühstück. Die feuchten dunklen Zimmer lagen im Halbparterre, Dackel, die vorbeikamen, starrten bei uns rein. Fiona fand es toll.

«Mama, das gehört jetzt alles uns. Danke.»

Fiona ist auch der letzte Fan der Deutschen Bahn. Schon als Baby. Andere Kinder schrien wie am Spieß, ihre Eltern mussten sie die ganze Strecke zwischen Berlin und Köln in einem komplizierten Tuchgewickel über die engen und vollen Gänge schuckeln, während mein Kind zufrieden vor sich hin guckte und gluckste und ich unter den Todesblicken der anderen Eltern lesen konnte.

Normalerweise schläft Fiona wie ein Bär, und damit sie aufwacht, muss man ihr zuerst das Blaue vom Himmel versprechen und hundertmal sagen: «Bitte, bitte, meine Süße, mach die Äuglein auf.» Aber wenn man sich nachts um vier Uhr an ihr Bett stellt und sehr, sehr leise sagt: «Der Urlaub geht los», dann springt sie auf, zieht ihren Strohhut an und ist bereit zum Aufbruch. Das hat sie von ihrem Vater. Der liebt Urlaub auch so sehr.

Im Grunde hat sogar ein Urlaub unsere Liebe besiegelt. Wir hatten uns eigentlich längst getrennt, dann sind wir noch mal aneinandergeraten. Ausgerechnet an einem Abend, als er am Morgen danach in den Urlaub flog. Nach Montenegro. Komm hinterher, hat er gesagt. Und ich war nicht sicher. Klar, bei dem Mann schon. Aber war ich wirklich bereit, Urlaub zu machen? Ein paar Tage zögerte ich, dann buchte ich den Flug. Und dann: badeten wir in der Adria und lasen am Strand, aßen in mittelalterlichen Städten auf romantisch beleuchteten Plätzen Ćevapčići und Schopska-Salat, wohnten am Meer und in einem Shoppingcenter (dazu später mehr), machten einen Ausflug nach Albanien und einen in eine alte venezianische Handelsstadt, wo wir ein süßes Baby-Piraten-T-Shirt kauften, falls wir mal ein Kind haben würden. Und ich merkte: So schlimm ist das gar nicht, dieses Urlaubmachen.

Urlaub als Paar war sogar eigentlich ganz schön. Wenn man mal davon absieht, dass Matthias und ich ganz grundsätzlich entgegengesetzte Vorstellungen davon haben, was schön ist. Matthias fährt am liebsten dann, wenn möglichst viele Menschen um ihn rum auch Urlaub machen. Im Juli oder im August in Frankreich oder Italien, für alle anderen der Horror, für meinen Mann das Schönste. Je größer das Hotel, desto besser, je voller der Strand, desto toller findet er es mit seinem Buch auf seiner Liege. Er liebt es, in der Menge unterzutauchen. Er liebt Hotels mit Pool und Ferienanlagen. Unsere Hochzeitsreise (mit Kind) haben wir nach Kreta gemacht, in ein Resort, ein Gedanke, bei dem ich früher ausgespuckt hätte.

Und weil ich Matthias liebe und Fiona auch, habe ich versucht zu lernen, wie man Urlaub macht. Es stand ja auch zwei zu eins. Ich hatte ohnehin keine Chance gegen sie. Also habe ich angefangen, mir über Urlaub Gedanken zu machen, über Vollpensionen und Beistellbettchen, über Reiseapotheken, Reiserücktrittsversicherungen und Reiseziele.

Ich dachte, es muss doch eine Formel geben, die für alle passt.

Ich dachte auch, die Natur wird mich schon unterstützen. Wenn ich erst mal ein Kind habe, dann finde ich auch all die Sachen toll, die man mit einem Kind macht und die mir bislang komplett überflüssig oder spießig vorgekommen sind. Dann werde ich auch auf der immer gleichen Nordseeinsel hocken, geschnibbelte Karotten und geschmierte Teewurstbutterbrote aus Tupperware essen und in den Regen schauen. Dann finde ich Sand im ungemütlichen Bett der Ferienunterkunft wahnsinnig «natürlich», dann unterhalte ich mich von Strandkorb zu Strandkorb angeregt über den Vorteil von diesen bescheuerten Sonnenmützen mit dem Schirm in Nacken! Dann mag ich Hotelpools und Frühstücksbüfetts. Denn das machen Familien so. Oder?

Familienurlaub! Das klingt doch gut, sagte ich mir damals, als ich mit Fiona schwanger war und wir unseren letzten Paarurlaub in Kroatien machten, wo mir zwei Wochen lang nur übel war. Familienurlaub! Damit sind so viele Hoffnungen verbunden. Die Urlaube sollen doch die Grundlage für das spätere Familienglück sein, ein Speicher an leichten und schönen Momenten des Zusammenhalts, das Archiv der glücklichen Erinnerungen, randvoll gefüllt mit wunderbaren Geschichten von endlosen Tagen am Meer, von Sonne und Lachen, von Tiefe und Verbundenheit. Augenblicke, von denen man dann im nervigen Alltag zu Hause zehrt. Wie ich mit meinen Schwestern und meinen Eltern.

Weißt Du noch, am Strand von Jesolo, als wir abends immer mit Papa und Mama ganz weit raus geschwommen sind? Weißt Du noch das Hotel in Passau, wo wir immer die Dusche angemacht haben, wenn Du rumgeschrien hast? Weißt Du noch der Urlaub mit Stolleis in Spanien, wo Tausende Salamander über die Decken flitzten und wo Du schwimmen gelernt hast? Weißt Du noch in Sizilien, wo wir uns am ersten Tag alle so tierischen Sonnenbrand geholt haben? Weißt Du noch in Schottland, wo Du so sauer auf uns warst, dass Du mit Deiner Matratze auf dem Flur geschlafen hast?

Familienurlaub, das ist das Fundament, auf dem sich alles aufbaut, was uns als Familie verbindet. Das sind wir, diese einzigartige Konstellation, die sich aus dem Zusammentreffen dieser einzigartigen Seelen gefunden hat. Familienurlaube sind wie Schneeflocken, jede ein Unikat, jede wunderschön. Oder so ähnlich.

Als ich mir damals dieses Fundament unserer fantastischen Familienzukunft erträumte, hatte ich allerdings nicht so richtig eingepreist, dass sich meine Kinder eventuell genauso verhalten würden wie die Kinder anderer Leute, die ich manchmal entsetzt im Restaurant beobachtet hatte. Wo dann Matthias zu mir sagte: Also das machen wir anders. Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass Matthias und ich als Eltern eventuell sehr ähnlich sein würden wie die genervten Eltern aus diesen Restaurants, die ihre Kinder erst sehr lieb ermahnen, dann irgendwann zischen und als letzte Waffe das mobile Endgerät rüberreichen. Oder wie wir auf andere Kinder oder andere Eltern reagieren würden. Denn die trifft man ja leider auch im Urlaub.

Aber wir haben in den letzten Jahren viel gelernt, wir haben uns auch weiter kennengelernt, von ganz neuen Seiten, die wir gar nicht unbedingt hätten kennenlernen müssen, und wir haben Fiona kennengelernt. Und nach den ersten Katastrophenurlauben wurde es besser, leichter.

Und dann, ja dann, als Fiona endlich ein bisschen alleine im Sand spielte und im Restaurant mal fröhlich ein Bild malte und sogar schwimmen lernte und wir nicht dauernd wie Frontex die Grenze Land-Pool bewachen mussten, da haben wir noch ein Kind bekommen, und zwar Josepha, den Urlaubs-Grinch. Ein Kind, das schon kotzt, wenn sie nur ein Spielzeugauto in der Hand hält. Ein Kind, das das Haus nicht verlässt, wenn nicht Hasi und Pingu und Katzi gefunden und eingepackt wurden, und das dann schreit, wo ist eigentlich Waui!!! Ein Kind, das auf der halben Treppe im Hausflur, die man es runtergeschleift hat, sagt: Wann gehen wir wieder nach Hause? Ein Kind, das es hasst, hasst, hasst, die Stadt zu verlassen. Aber wir mussten natürlich trotzdem Urlaub machen. Siehe Kind 1.

Die vergangenen Jahre habe ich also damit verbracht, nach dem perfekten Familienurlaub zu fahnden. Nur um festzustellen, dass es den nicht gibt. Also jedenfalls nicht, wenn man sich davon «die drei heiligen Es» erhofft – Erholung, Entspannung, Entlastung. Urlaub mit Kindern ist dieselbe 24-Hour-Routine wie im Alltag zu Hause auch, nur eben in einer Umgebung, die nicht darauf ausgerichtet ist, und ohne die helfenden Hände staatlicher Einrichtungen wie Kita oder Schule. Urlaub mit Kindern bedeutet, man reist viele Kilometer um die Welt, damit sie sich dann halt nicht bei Ikea in Tempelhof oder bei Edeka um die Ecke schreiend auf den Boden werfen, sondern auf den Champs-Élysées oder vor dem Kolosseum. Urlaub mit Kindern heißt, man braucht danach noch mal Urlaub. Ohne Kinder.

Ehrlich gesagt auch ohne den Partner. Denn all das, was im Alltag einen schon an den Rande des Wahnsinns bringen kann bei der gemeinsamen Kindergroßziehung, ist im Urlaub noch mal schön unterm Vergrößerungsglas. Und es gibt keine Ablenkung wie Babysitter oder Schwiegereltern oder Freunde, zumindest nicht, wenn man die nicht mit in den Urlaub nimmt. Matthias und ich sprechen uns immer gerne direkt an im Urlaub. Fast alle Sätze fangen mit Du an. «Du wolltest doch …», «Du hast aber gesagt  …», «Du machst jetzt bitte mal …», «Du solltest doch …». Manchmal in der freundlicheren Variante: «Haben wir eigentlich Malstifte und Papier dabei?» Was aber bedeutet: «Warum hast Du keine Kreide mitgenommen?»

Kein Mensch hat mir das gesagt, bevor ich Mutter wurde. Die Wahrheit ist: Urlaub mit Kindern ist ein Widerspruch in sich. Zumindest für die Eltern. Denn irgendjemandem ist immer zu heiß oder zu kalt, einer hat immer Hunger, ist gelangweilt, will weg, will nicht weg, will was ganz anderes, will das, was der andere gerade hat, und zwar jetzt sofort. Und irgendjemand sagt immer: Mama, Mama, Mama, Mama, Mama.

«Schreib ein Buch über Wegfahren mit Kindern», sagt meine Freundin Stina, als ich ihr von dieser Buchidee erzähle, «aber dann nenn das bitte nicht Urlaub.»

Mach ich aber doch. Weil ich weiß, dass es irgendwie auch schön sein kann. Und deswegen habe ich experimentiert. Ich habe immer wieder neue Konstellationen erschaffen, in denen der beste Urlaub aller Zeiten – mit Kindern – gelingt. Man kann mir nicht vorhalten, ich hätte nicht immer wieder Anlauf genommen, auch wenn am Ende vielleicht (für mich) nur eine Teilnehmerurkunde dabei rumgekommen ist.

Aber Kinderhaben ist eben wie Olympia: Dabei sein ist alles. Und alles ist halt nicht immer entspannend. Aber irgendwann ist es auch toll. Im Rückblick.

1. VersuchCareworkation – wie man sich beim ersten Baby-Urlaub verstreitet

Die Theorie:In einem Hauch von Sommerkleid sitze ich am steinernen Tisch im Olivenhain. Der Baum hinter mir wirft einen malerischen Schatten auf den Bildschirm meines Laptops, auf dem mein inspirierender und unterhaltsamer Text nur so aus meinen Fingern fließt. Vom Haus her höre ich die Kleine juchzen.

Matthias hat mir einen Cappuccino gebracht, jetzt spielt er mit dem Baby auf dem Platz vor der Tür mit Kieselsteinen. Später werden wir an den Strand gehen. Während ich mich für meine kreativen und kritischen Gedanken mit einem ausgedehnten Bad im Meer belohne, bauen die beiden fröhlich Burgen. Abends, wenn das Kind längst in seinem Bettchen schläft, sitzen wir noch ewig auf unserer Dachterrasse unter den Sternen, küssen uns ab und an, essen Auberginen-Involtini, trinken Rotwein, küssen uns noch mal und diskutieren über italienische Politik und Elisabethanische Liebeslyrik.

 

Die Praxis: Den ersten Streit über die Kinderbetreuung haben Matthias und ich noch bevor unser erstes Kind geboren ist. Wir sind beim Mexikaner in der Bergmannstraße, trinken Virgin Mojito und träumen von unserer gemeinsamen Elternzeit. Meine Idee: ein Monat Italien, in einem kleinen rustikalen Steinhaus in Torrazza, einem verwunschenen Bergdorf in Ligurien, wo mal die Sarazenen waren, nur eine halbe Stunde vom Strand entfernt. Das Baby ist dann schon sechs Monate alt, da wird es für Matthias ganz leicht sein, zu übernehmen.

Ich hatte es mir alles schon ganz genau ausgemalt. Schließlich bauen alle Eltern, die es sich irgendwie leisten können, heute ihre Elternzeit zu einem mehrmonatigen Urlaub aus. Jedes dritte Grundschulkind aus Deutschland hat mittlerweile einen Großteil seines ersten Lebensjahres in Thailand/Neuseeland / Texas / auf Safari in Südafrika verbracht. Und da ich ja eigentlich nie Urlaub mache, dachte ich, nehme ich mir da was zu arbeiten mit und schreibe mein Buch fertig. Leider hatte ich offenbar versäumt, den Vater des Kindes darüber zu informieren.

«Wie lange soll ich mich eigentlich um das Kind kümmern?», fragt mich Matthias über den Zuckerglasrand hinweg.

«Wie meinst Du das?», frage ich.

«Na, ja, in der Zeit, wenn wir beide Elternzeit haben.»

«Ähm, weiß nicht, ich dachte, Du machst dann einfach alles, was ich vorher gemacht habe?»

«Aber Du hast doch dann auch Elternzeit.»

«Stimmt», sage ich zögernd. «Aber ich schreibe dann ja auch mein Buch.»

«Was machst Du?»

«Ich schreibe mein Buch.»

«Den ganzen Tag?»

«Na, ja, nicht den ganzen Tag, aber schon einige Stunden.»

«Wie viele Stunden denn?»

«Ähm, so viele, wie Du sonst im Büro wärest.»

«Also neun Stunden?»

«Hm, eigentlich schon.»

«Jeden Tag?»

«Na, ja, nicht am Wochenende.»

«Aber unter der Woche schon? Auch abends?»

Ich schweige.

Matthias schaut mich erstaunt an: «Freust Du Dich denn gar nicht auf das Kind?»

In Deutschland gibt es zwei Arten von Müttern. Es gibt die schlechten und die schlechten. Die einen gehen zu viel arbeiten, verbringen zu viel Zeit mit Dingen, die nichts mit ihren Kindern zu tun haben, so wie Freunde, Sport oder Ausgehen. Die anderen gehen zu wenig arbeiten, sie verbringen zu viel Zeit mit Dingen, die nur mit ihren Kindern zu tun haben, so wie Baby Led Weaning, Musikkarussell und Krabbelgruppe. Ich wusste zwar theoretisch, dass man sich zwischen den beiden Modellen entscheiden muss: Rabenmutter oder Tutti-Mutti. Aber irgendwie dachte ich nie, dass sich das wirklich auch auf mich beziehen würde.

An diesem Abend beim Mexikaner habe ich sofort ein schlechtes Gewissen. Noch bevor mein Kind auf der Welt ist, vernachlässige ich es.

«Na, ja», sage ich schuldbewusst, «es reicht ja sicher auch, wenn ich nur vormittags ein paar Stunden arbeite.»

Zu dem Zeitpunkt habe ich noch nicht durchschaut, dass es sich bei dem Nachfragen um eine fiese Masche handelt. Strategische Inkompetenz! In den folgenden Jahren wird es genau diesen Dialog in tausend Varianten immer wieder zwischen uns geben.

Ich: «Kannst Du noch Brot mitbringen?»

Er: «Brot?»

Ich: «Ja, Brot.»

Er: «Was denn für ein Brot?»

Ich: «Na, ja, irgendeines, was wir halt essen mögen.»

Er: «Also ich soll Brot mitbringen?»

Im Laufe der Jahre bin ich besser im Nachfragespiel geworden.

Ich: «Kannst Du noch Lebkuchen für den Kindergeburtstag kaufen?»

Er: «Lebkuchen?»

Ich: «Ja, Lebkuchen.»

Er: «Kinder mögen doch gar keine Lebkuchen.»

Ich: «Deine schon.»

Er: «Also einfach Lebkuchen? Wo finde ich die denn?»

Ich: «Im Supermarkt.»

Er: «Wo denn im Supermarkt?»

Ich nahm daraufhin einen Screenshot vom Edeka-Angebot an Lebkuchen auf und schickte es ihm zusammen mit einem gezeichneten Plan vom Supermarkt mit einem X an der besagten Stelle.

Das Nachfragespiel kann jedes Familienmitglied spielen, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Es geht darum, den Gegenpart durch geschickt bescheuerte Nachfragen so in den Wahnsinn zu treiben, dass der von seinem ursprünglichen Ziel abgelenkt wird oder es sogar selber hinterfragt.

Es gibt auch leicht abgewandelte Varianten strategischer Inkompetenz bei den Kindern, strategische Taubheit zum Beispiel:

Ich: «Kannst Du jetzt den Fernseher ausmachen?»

Fiona: Keine Reaktion.

Ich: «Hallo, mach bitte den Fernseher aus.»

Fiona: «Wann denn?»

Ich: «Na, jetzt.»

Fiona: «Was hast Du gesagt?»

Ich: «Du sollst den Fernseher ausmachen.»

Fiona: «Okay.»

Guckt seelenruhig weiter.

An dem Abend beim Mexikaner bin ich noch eine komplette Anfängerin in diesem Spiel, und so handelt mich Matthias in kürzester Zeit auf ein Minimum von drei Stunden am Vormittag runter, und trotzdem habe ich noch ein schlechtes Gewissen. (Anmerkung der Redaktion: Herr W. bestreitet die Darstellung des Abends und «kann sich nicht erinnern», die zitierten Aussagen gemacht zu haben.)