Dunkle Materie - Peter Gnas - E-Book

Dunkle Materie E-Book

Peter Gnas

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Carsten Singer ist Hobby-Astronom. Der Junggeselle kennt in seiner Freizeit nur ein Thema: die Kosmologie. In einer Nacht, in der er mit seinem Teleskop vor den Toren Bremens in den Himmel sieht und Langzeitbelichtungen macht, kommt ihm ein völlig neuer Gedanke in den Sinn: Dunkle Materie – gibt es sie überhaupt? Oder ist das, was außer der sichtbaren Materie so viel Einfluss auf das Universum und das Leben hat, etwas anderes? Singer recherchiert zu seiner These. Er findet keine Hinweise darauf, dass seine Überlegungen schon einmal irgendwo beschrieben wurden. Eines Tages entschließt er sich, mit einem Profi darüber zu sprechen. Er besucht einen Vortrag von Prof. Marcel Berg bei der Astronomischen Gesellschaft. Berg arbeitet bei dem hiesigen Unternehmen Space Jet an der Entwicklung von Satelliten. Nach dem Vortrag spricht Singer den prominenten Wissenschaftler an und schildert ihm seine Gedanken. Singer ist enttäuscht, dass Berg seine These für unrealistisch hält und ihn abwimmelt. Er hatte sich ausgemalt, gemeinsam mit diesem anerkannten Wissenschaftler an die Öffentlichkeit zu treten. Er hatte von Artikeln in der Fachpresse geträumt und von einer lebhaften Diskussion über den neuen Blick auf die Dunkle Materie. Daraus schien nichts zu werden. Einige Monate später liest Singer in der Bremer Tageszeitung einen Artikel über Prof. Berg, der offenbar mit Singers These an die Fachmedien herangetreten war und sich als Urheber ausgab. Der Hobby-Astronom ist entschlossen, sich den Diebstahl seines geistigen Eigentums nicht gefallen zu lassen. Schnell nimmt die Geschichte eine schreckliche Wendung.

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Seitenzahl: 198

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Dunkle Materie

Kriminalroman von Peter M. Gnas

Peter M. Gnas ist 1955 in Bremen geboren und hat dort Kunst studiert. Seit Jahrzehnten arbeitet er selbstständig als Grafik-Designer und Texter in Stuttgart. Kreativität in Wort und Bild tragen ihn durch sein gesamtes Leben. Neben der zielgerichteten schöpferischen Tätigkeit im Marketing arbeitet er frei künstlerisch in Wort und Bild.

Impressum

Deutsche Erstveröffentlichung

© 2017 by Peter M. Gnas

Herstellung und Verlag: Peter M. Gnas

Umschlaggestaltung: Die Zeitgenossen GmbH, Stuttgart

Umschlagfoto: Alexmit/Depositphotos

„Herr Prof. Berg, ich wollte mich für Ihren sehr interessanten Vortrag bedanken.“

„Vielen Dank“, antwortete der Angesprochene, während er seinen Laptop herunterfuhr.

Carsten Singer hatte sich seit er denken konnte für alle Themen rund ums Universum interessiert. Er hatte vor vielen Jahren das erste Spiegelteleskop gekauft und damit viele Nächte auf den Feldern vor den Toren Bremens verbracht. Manchmal allein und oft mit Gleichgesinnten.

Er war Junggeselle. Außer bei seinem Hobby, hatte er privat keinen Umgang mit anderen Leuten. Die wenigen Personen, die ihn hin und wieder in seiner Wohnung besucht hatten, wussten trotz langer Nächte, die sie gemeinsam mit ihm zubrachten, nicht was für ein Mensch er war. Er sprach nie über Privates. Man tratschte nicht übereinander, aber wie immer, wenn jemand wenig über sich redete, schossen die Gerüchte ins Kraut.

Vor zehn Jahren war er der Astronomischen Gesellschaft beigetreten und hatte es genossen, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Singer arbeitete bei einem großen Automobilunternehmen in Bremen. Er hatte als Facharbeiter ein sehr gutes Auskommen und leistete sich stets das beste Equipment für sein Hobby.

„Sie haben sich schon mehre Vorträge von mir angehört?“

Berg war Physiker und arbeitete bei Space Jet, dem renommierten Luft- und Raumfahrtunternehmen in Bremen. Er beschäftigte sich mit Technologien für die bemannte und unbemannte Raumfahrt. Kosmologie zählte nicht zu seiner beruflichen Kernkompetenz, dennoch war er stets auf dem aktuellen Stand des Wissens und hatte sein persönliches Interesse zu einer Nebentätigkeit entwickelt.

„Ich bin Mitglied der hiesigen Astronomischen Gesellschaft und besuche fast jede Veranstaltung.“

„Dann waren Sie mit meinem heutigen Thema über Dunkle Materie und Dunkle Energie schon vertraut, oder?“

„Ja“, Singer zögerte, „genau genommen wollte ich Sie fragen, ob Sie bezüglich dieses Themas zehn Minuten Zeit hätten.“

„Warum haben Sie Ihre Frage nicht nach dem Vortrag gestellt? Jetzt wird mir die Zeit langsam knapp. Um was geht es denn?“

Berg wirkte genervt. Immer wieder gab es diese Hobby-Astronomen, die ihn mit banalen und wirren Fragen aufhielten.

„Können wir uns auf wenige Minuten beschränken?“

„Ich fasse mich kurz. Vielleicht werden wir beide ja berühmt.“

Berg runzelte die Stirn und sah Singer an, als hielte er ihn für einen Verrückten.

„Ich hatte vor kurzem einen Gedanken zur Dunklen Materie und zur Gravitation. Ich habe schon sehr viel recherchiert, habe aber keinen Hinweis gefunden, dass schon einmal jemand diesen Gedanken verfolgt hat. Ich bin allerdings auch kein Leser international renommierter Fachblätter.“

„Na, Sie machen es aber spannend ...“

„Nicht erschrecken – möglicherweise ist der Gedanke ja so ungewöhnlich, dass er Ihnen absurd vorkommt.“

Bergs Lächeln wirkte auf Singer herablassend, als dieser ihn mit einer Handbewegung zum Sprechen aufforderte.

„Wenn ich bisher nichts Entsprechendes gefunden habe, kann es natürlich auch daran liegen, dass es Unsinn ist, was ich mir da ausgedacht habe.“

Berg verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln und tippte auf seine Armbanduhr.

„Dunkle Materie“, sagte Singer mit geschlossenen Augen, um sich zu konzentrieren.

Nun sah er Berg direkt in die Augen: „Ich kann mir vorstellen, dass es sie überhaupt nicht gibt.“

Berg zog die Augenbrauen hoch und sah ihn an, als vermute er, dass Singer den Verstand verloren hätte.

„Ich habe mich gefragt, ob die Beziehung von Gravitation und Materie richtig definiert wurde.“

„Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht.“

„Seit langer Zeit geht die Physik davon aus, dass Masse gravitativ wirkt. Und weil seit geraumer Zeit danach gefragt wird, aus was Dunkle Materie bestehen könnte, habe ich mir auch Gedanken gemacht.“

„Sind Sie Physiker?“, fragte Berg.

Singer lachte: „Nein, Gott bewahre. Dafür bin ich nicht klug genug. Ich bin das, was man früher Kraftfahrzeug-Mechaniker nannte.“

„Okay ...“, antwortete Berg – er versuchte immer noch zu erraten, was dieser Mann von ihm wollte.

„Wenn man da draußen keine Materie findet, könnte es doch ebenso gut sein, dass es sie nicht gibt.“

„Da Sie meinen Vortrag aufmerksam verfolgt haben, dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass es diese Massen geben muss. All die sichtbare Materie reicht nun mal nicht, um Galaxien zusammenzuhalten, um Galaxien-Haufen zu bilden und sie zu endlosen Filamenten zu verweben.“

„Da genau setzt mein Gedanke an.“

Berg hatte das Gefühl, dass er mit einem Verrückten im Raum war. Er hatte nur noch den Wunsch, dieses Gespräch zu beenden.

„Hören Sie, ich möchte mich jetzt nicht auf eine Grundsatzdebatte einlassen. Bitte fragen Sie, was Sie wissen wollen.“

Noch einmal schloss Singer die Augen.

„Ich habe mich gefragt, ob Materie und Gravitation im Prinzip losgelöst voneinander existierten.“

Berg schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf.

„Ich habe mich gefragt, ob die Gravitation losgelöst von der Masse entstanden ist. Ein Kraftfeld. Und dass es von dieser Kraft viel mehr gegeben hat und gibt, als von der Materie. Diese Gravitationsfelder haben nach der Abkühlung des Universums schließlich die existierende Masse angezogen und sich mit ihr verbunden. Dass sie getrennt voneinander existierten, lässt sich nicht mehr nachweisen.“

Singer sah an der sich ändernden Mimik Bergs, dass er versuchte dem Gedanken zu folgen. War da doch eine Spur Interesse? Dachte Berg bereits dasselbe wie er?

„Und was wollten Sie nun über die Dunkle Materie sagen?“, wollte der Professor wissen.

„Dass es keine Materie ist, sondern Gravitationsfelder, die da draußen keine Materie mehr finden und sozusagen als ungesättigte Gravitation existieren. Mit all den Auswirkungen, die wir beobachten.“

Berg schwieg. Von solch einem Gedanken hatte er in der Tat noch nicht gelesen. Singer hatte den sich ändernden Gesichtsausdruck wahrgenommen.

„Meine Überlegung war, dass sich Gravitation nur in Verbindung mit Masse zu Sternen und Planeten, zu Galaxien und Schwarzen Löchern konzentrieren kann. Wenn dann ein Schwarzes Loch beginnt, sich abzuschließen, wird die Materie in Form von Energie ausgestoßen und kann sich erneut mit ungesättigten Gravitationsfeldern verbinden. Das alles würde sich für uns genauso darstellen, wie es heute als gesichertes Wissen gilt. Schwarze Löcher wären nichts weiter als punktförmige Kraftfelder.“

Singer sah den Professor mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck an und schwieg. Der Physiker schwieg ebenfalls. Singer las in seiner Mimik, dass es hinter seiner Stirn arbeitete.

„Tja, was soll ich dazu sagen? Sie wissen, dass auch mein Tagesgeschäft ein völlig anderes ist. Ich fürchte, ich bin da der vollkommen falsche Ansprechpartner. Auch ich habe das Wissen für meine Vorträge nur von Experten und aus deren Veröffentlichungen.“

„Wer könnte denn für mich der richtige Ansprechpartner sein?“

Berg verzog den Mund: „Herr ...?“

„Singer.“

„Herr Singer, das was Sie mir erzählt haben, klingt ...“, er suchte nach dem passenden Wort, „... sehr kühn. Vielleicht sollten Sie versuchen, sich an diesen bekannten Physiker-Kollegen aus dem Fernsehen zu wenden. Möglicherweise kommen Sie da weiter. Ich fürchte, ich kann Ihnen kaum weiterhelfen.“

Singer war enttäuscht.

„Okay“, sagte er, „dann danke ich Ihnen trotzdem für Ihre Zeit.“

„Nichts zu danken und weiterhin viel Erfolg mit Ihrer These. Klingt spannend“, sagte Berg und hob den Daumen wie ein Rennfahrer, der signalisierte, dass er bereit war für den Start.

„Gute Nacht“, sagte Singer und verließ den Saal.

Draußen vor der Tür holte er das kleine Diktiergerät aus der Brusttasche und spulte es zurück. Dann stoppte er die Tonaufnahme, die er mit seinem Smartphone, das er in der Hand hielt, gemacht hatte. Er hörte in die Aufnahmen beider Geräte hinein. Er hatte sich vorgestellt, dass ihn ein Gespräch mit dem Professor ein Stück voranbringen oder Berg für ein gemeinsames Vorgehen interessieren könnte. Das war nicht der Fall.

Vielleicht würde er versuchen, den Fernseh-Professor Herrmann Lösch irgendwie zu erreichen. Er hatte ihn bereits live bei einem Vortrag im Hamburger Audimax erlebt. Damals hatte er allerdings seine These über die Gravitation noch nicht im Kopf.

Diese Idee war ihm eines Nachts spontan durch den Kopf gegangen. Er saß mit zwei Gleichgesinnten auf einer Weide außerhalb der Stadt, ohne störende Lichter. Er beobachtete ein Doppelsternsystem. Er hatte darüber nachgedacht, ob um diese sich umrundenden Sternen-Geschwister, Planeten kreisen können oder ob die Gravitationsfelder dieser beiden Sterne, eine Planetenbildung unmöglich machte.

Und dann stand er da, dieser Gedanke zu Gravitation und Materie. In einem einzigen Bild stand die gesamte These vor seinem inneren Auge. Sein Herz hatte geklopft und er hatte überlegt, ob er mit seinen Hobbypartnern darüber sprechen sollte. Er wollte sich aber nicht lächerlich machen. Er konnte den englischsprachigen Veröffentlichungen nicht folgen, weil seine Englischkenntnisse kaum ausgeprägt waren. Und weil er fürchtete, dass diese These bereits einmal irgendwo besprochen worden war und sich als Sackgasse herausgestellt hatte. Er wollte zunächst versuchen im Internet zu recherchieren.

Er war von seiner Idee so gefangen, dass er sein Teleskop abbaute und nach Hause fuhr. Es war eine Nacht am Wochenende, deshalb hatte er sich gleich an den Computer gesetzt. Nach drei Stunden vergeblicher Recherche hatte er sich ins Bett gelegt. Er hatte lange wach gelegen und die Überlegungen durchgespielt. Er hatte überlegt, ob er mit einem Experten darüber sprechen konnte. Prof. Berg war ihm zuerst eingefallen.

Sieben Monate später

Singer genoss es, am Samstagmorgen im Pyjama am Tisch zu sitzen, zu frühstücken und in Ruhe die Wochenendausgabe der Bremer Tageszeitung Weserbote zu lesen. Es war Ferienzeit, entsprechend dünn waren die politischen Themen vertreten. Die magere Nachrichtenlage wurde durch Spekulationen und kommentierende Berichte aufgeblasen. Singer konnte es nicht leiden, dass Journalisten häufig ihre Meinungen in die Artikel einfließen ließen. Seiner Ansicht nach, gehörte über jeden zweiten Text das Wort Kommentar. Er las, wenn ein Thema ihn interessierte, immer auch im Internet weitere Beiträge zum selben Thema.

Im Wirtschaftsteil las er die Überschriften und die fetten Anlesetexte, den Regionalteil überflog er, Kultur interessierte ihn nur wenig. Bevor er seine Lieblingsrubrik Technik und Wissenschaft lesen wollte, goss er sich eine dritte Tasse Kaffee ein. Er hoffte einiges Interessantes, über neue Autos und Motorräder lesen zu können. Beim flüchtigen Durchsehen der einzelnen Zeitungsabschnitte hatte er das Bild eines Motorrads gesehen. Motorräder waren seine zweite große Leidenschaft. Er besaß einen Motorroller mit zweihundertfünfzig Kubik und eine BMW Cruiser. Er liebte es, auf dieser Maschine aufrecht sitzend, über Landstraßen zu gleiten. Ein bis zweimal pro Monat unternahm er in der warmen Jahreszeit mit Gleichgesinnten Ausfahrten.

Der Bericht, dessen Bild er bereits wahrgenommen hatte, befasste sich mit einer neuen Harley Davidson. Bevor er las, genoss er den Anblick der Maschine auf dem Foto. Eine Harley war schon immer sein Traum gewesen. Er hatte vor dem Kauf der BMW lange mit sich gerungen, eine gebrauchte Harley zu kaufen. Schließlich hatte er das Gefühl gehabt, er könnte sich mit einem deutschen Motorrad weniger technische Probleme einhandeln und sich für die BMW entschieden.

Im Wissenschaftsteil überflog er die Überschriften und blieb sofort an einer hängen: Bremer Physiker entwickelt eine revolutionäre These zur Dunklen Materie. Singer fuhr es wie ein Schrecken in den Bauch. Er las den Artikel.

‚Der bekannte Physik-Professor Dr. Marcel Berg, der in Bremen bei Space Jet an der Entwicklung von Raumfahrttechnologie arbeitet, hat im Wissenschaftsmagazin Universe and Science eine revolutionäre These vertreten. Sie beschäftigt nun Astronomen auf der ganzen Welt. Berg vertritt die Ansicht, dass die so genannte Dunkle Materie nicht existiert. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft gibt es neben der baryonischen Materie, aus der unsere sichtbare Welt besteht, eine Form von Materie, die sich unseren Gesetzen zu entziehen scheint. Rein rechnerisch würde die Gravitation der sichtbaren Materie nicht ausreichen, um Galaxien zu bilden und zusammenzuhalten. Der Gravitationslinsen-Effekt, der mit Albert Einsteins Raumkrümmung in Beziehung steht, zeigt bei der Beobachtung des Universums merkwürdige Ablenkungen des Lichts durch Gravitation. Nach dem aktuellen Stand des Wissens besitzen Massen Gravitation. In den Bereichen des Kosmos, in dem diese Raumkrümmung beobachtet wird, existiert allerdings fast keine sichtbare Masse. Deshalb wird diese nicht sichtbare Masse Dunkle Materie genannt. Es wird geschätzt, dass vier bis fünf Mal mehr dunkle als sichtbare Materie existiert.

Prof. Berg stellte die nun viel diskutierte These auf, dass nach dem Urknall die Gravitation als Kraftfeld unabhängig von der Materie existierte. Nach der Abkühlung des Universums hat die Gravitation sie an sich gebunden. Die Dunkle Materie existiert nach Bergs Meinung nicht. Nach seiner These handelt es sich um eine Art ungesättigter Gravitation. Nur in Verbindung mit Masse könne sich die Gravitation zu Sternen und in der Folge zu Galaxien und Schwarzen Löchern verdichten. Die Materie würde beim Überschreiten des Ereignishorizonts – das ist der Punkt, an dem es bei der Annäherung an ein Schwarzes Loch kein Entkommen mehr gibt – in Form von Energie ausgestoßen. In der Folge würde sie sich erneut mit ungesättigter Gravitation verbinden.

Prof. Berg befindet sich zurzeit in den Vereinigten Staaten. Sobald er zurück in Bremen ist, hat er uns ein Gespräch zugesichert.‘

Singer war völlig entsetzt. Niemals hätte er einem Mann wie Berg zugetraut, dass der sich derart schäbig benähme und fremde Ideen für sich proklamiere. Er war jetzt so aufgeregt, dass es ihn nicht mehr auf dem Stuhl hielt.

„So ein Arschloch!“, fluchte er.

Was konnte er jetzt tun? Sich an die Zeitung wenden? Würde man ihn ernst nehmen? Er hatte das Gespräch mit Berg aufgezeichnet – ursprünglich hatte er es als Gedankenstütze nutzen wollen – nun hatte er etwas in der Hand. Er würde sich so eine Handlungsweise auf keinen Fall bieten lassen. Wenn Berg dabei bliebe, dass es seine These sei, würde er an die Öffentlichkeit gehen. Nein, Berg musste öffentlich klarstellen, dass er nicht der Urheber war.

Singer trat ans Fenster, stützte sich auf die Fensterbank und blickte auf die Pastorenzeile, die Straße, an der seine Wohnung lag. Schräg gegenüber stand ein alter Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg. In den Siebzigerjahren hatten Studenten der Bremer Kunsthochschule die Geschichte dieses Stadtteils auf die Fassade gemalt.

Von einem der Mitglieder der Astronomischen Gesellschaft wusste er, dass er Rechtsanwalt war – Enno Frees. Sie hatten gemeinsam viele Nächte mit ihren Teleskopen verbracht. Sollte er ihn anrufen? Er sah auf die Uhr. Fünf nach elf. Er würde es einfach mal versuchen.

„Carsten Singer hier“, sagte er, als er Frees' Stimme erkannte.

„Moin Carsten. Habe ich was vergessen?“, begrüßte ihn der Anwalt.

„Ne, hast du nicht“, er legte sich zurecht, was er ihn fragen wollte: „Enno, ich wollte wissen, ob du heute mal eine Viertelstunde Zeit hättest, ich brauche deinen Rat.“

Er hörte, dass Frees die Luft ausstieß.

„Wir sind mit den Kindern heute Nachmittag bei Oma und Opa. Ich muss jetzt gleich zum Einkaufen ... Höchstens wenn wir wieder zurück sind.“

„Du sagst wann und wo.“

„Um acht heut' Abend in meinem Büro? Du weißt ja, das ist bei uns im Haus.“

„Das wäre super. Ich störe dich auch nicht lange.“

„Ist was passiert? Du klingst so ernst.“

„Ich will dich jetzt nicht aufhalten. Ich erzähle es dir nachher.“

Die Anwältin

Singer wusste nicht, ob er Frees' Frau sehen würde, er hatte einen Blumenstrauß binden lassen. Er klingelte. Tatsächlich öffnete sie die Tür.

„Guten Abend, Frau Frees, ich hatte heute Morgen mit Ihrem Mann gesprochen.“

„Kommen Sie herein, er ist im Büro.“

„Ich wollte mich entschuldigen, dass ich Ihren Abend störe. Ein paar Blümchen für Sie.“

„Das ist aber freundlich, vielen Dank“, sagte sie und lächelte, „folgen Sie mir, ich bringe Sie hin.“

Frees' Büro stand offen. Der erhob sich vom Schreibtisch und begrüßte Singer. Seine Frau schloss die Tür, die Männer setzten sich in die Sesselgruppe, die in einer Ecke stand. Singer sah sich um, Frees' Büro war sehr hochwertig und geschmackvoll eingerichtet.

„Schön hast du es hier.“

„Danke. Meine Frau hat da ihre Finger im Spiel.“

„Enno, ich will dich nicht lange aufhalten, ich fang' gleich an, oder?“

„Gut.“

„Ich habe meinen Computer mitgebracht. Ich möchte dir gleich was vorspielen. Während es hochfährt, sage ich dir schon mal vorweg, was du gleich hören wirst. Ich war vor einem halben Jahr auf einem Vortrag von Prof. Berg. Im Anschluss habe ich ihn gefragt, ob ich ihn kurz sprechen könne. Das Gespräch hatte ich aufgezeichnet.“

„Von dem stand heute was Interessantes in der Zeitung. Hast du das gelesen?“

„Ja, deshalb bin ich hier.“

Frees sah ihn überrascht an: „Jetzt bin ich aber gespannt.“

„Ich hatte über etwas nachgedacht und wollte mit Berg darüber sprechen – das hörst du nun.“

Singer startete die Audiodatei. Frees beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und faltete die Hände. Er hörte zu. Als die Datei an die Stelle kam, in der Singer ihm seine These darlegte, zog Frees die Stirn kraus, sah ihn fragend an, deutete erst auf das Display und dann auf ihn.

„Stopp mal kurz.“

Singer deutete ihm in Gesten an, er möge die Datei zu Ende hören. Der hob beide Hände wie zur Entschuldigung und horchte weiter. Als die Verabschiedung lief, lehnte sich der Anwalt zurück. Sein Blick war voller Spannung. Singer war beinahe sicher, dass er bereits wusste, worum es gehen würde. Er stoppte die Datei.

„Ne, oder? Du willst mir jetzt nicht sagen, dass das, was ich heute Morgen gelesen habe, deine These war?“

„Deshalb brauche ich einen Rat.“

„Und du hast das nicht irgendwo mal in ähnlicher Weise gelesen oder aufgeschnappt?“

„Nein.“

„Wie bist du denn darauf gekommen? Wenn das stimmt, dann stellt das ja vieles auf den Kopf.“

„Du siehst ja, es wird bereits jetzt in Fachkreisen diskutiert.“

„Mensch Carsten, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Du ahnst, was in mir abläuft, oder?“

Frees sah ihn an und nickte gedankenverloren. Er sah durch Singer hindurch. Hinter seiner Stirn lief sich der Jurist in ihm gerade warm.

„Ich denke mal laut. Wenn Berg für deine These Lob einstreicht, ist das nicht ehrenhaft und wir sollten das geraderücken. Wenn er dafür Geld und Ehrungen einstreicht und beruflich davon profitiert, ist er ein Hochstapler und Betrüger.“

Singer nickte.

„Über Copyright oder sowas können wir – glaube ich zumindest – nicht sprechen. Oder doch? Ich könnte es so spontan nicht beantworten.“

„Enno, ich bin ja nicht besonders ehrenkäsig, aber ich sitze seit heute Morgen auf einer Bombe. Ich will das auf keinen Fall so stehen lassen, will aber im Zorn auch nichts falsch machen.“

„Das ist prima. Besonnenheit ist Stärke. Lieber lassen wir Berg kopflos reagieren.“

„Willst du mir helfen? Ich habe eine Rechtsschutzversicherung, die ich erst einmal im Leben gebraucht habe.“

„Also allein schon wegen deiner These brenne ich. Ob ich als Anwalt für Wirtschaftsrecht der richtige Mann bin, kann ich im Moment noch nicht überschauen. Ich würde gern darüber nachdenken und mit meiner Frau sprechen, wenn ich darf. Regine ist auch Anwältin.“

„Ja, gerne.“

„Ist es möglich, dass du mir die Audiodatei zuschickst?“

Singer holte einen USB-Stick aus der Laptoptasche und reichte ihn Frees.

„Kannst du behalten. Der Zeitungsartikel ist auch mit drauf. Aber bitte erst nach Rücksprache mit mir weitergeben.“

„Ich gebe das gar nicht weiter. Ich lass' Regine nachher den Artikel lesen. Dann muss ich ihr wahrscheinlich zuerst erklären, worum es dabei überhaupt geht. Und dann spiele ich ihr die Datei vor. Ich denke mit ihr einmal darüber nach und melde mich schnellstens bei dir.“

Er nahm sein Smartphone und suchte etwas darauf.

„Ich habe deine Mobilnummer – ist das okay?“

„Meldest du dich am Montag? Da habe ich Frühschicht. Ab Nachmittag bin ich erreichbar.“

„Ich würde mich morgen kurz melden, dann Sehen wir weiter.“

Singer war zwar immer noch erregt, er merkte aber, dass er ruhig genug wurde, um schlafen zu können.

*

„Hallo Carsten, Enno hier. Störe ich?“

„Nein, überhaupt nicht.“

Tatsächlich hatte Singer seit dem Morgen Frees' Anruf entgegengefiebert, wie ein verliebter Jüngling, der auf das Eintreffen seiner Freundin wartet.

„Regine sitzt neben mir. Ich würde gern auf laut stellen, wenn du erlaubst.“

„Guten Tag Herr Singer.“

„Hallo Frau Frees.“

„Ihre schönen Blumen haben heute Morgen unseren Frühstückstisch bereichert.“

„Das freut mich.“

„Mein Mann hat eine Weile gebraucht, bis ich verstanden hatte, worum es inhaltlich bei dem Zeitungsartikel ging. Ich muss zugeben, ohne seine Erklärung hätte ich danach Ihre Tonaufnahme hören können und beides nicht in Verbindung gebracht.“

„Man kann sich ja nicht für alles interessieren“, antwortete Singer.

„Nachdem mein Mann mir die mögliche Bedeutung erklärt hatte, muss ich schon sagen, dass ich von Ihrem völlig neuartigen Blick auf unsere Welt beeindruckt bin.“

„Danke.“

„Mein Mann hat gestern Abend im Internet nach dieser These recherchiert, in Deutsch und in Englisch. Immer wenn er danach suchte, wurde über Prof. Berg geschrieben. Verstehen Sie das nicht als Misstrauen, ich wollte lediglich sichergehen, dass niemand sonst diese These für sich in Anspruch nimmt.“

„Ja klar ...“

„Ich bin Anwältin für Wirtschaftsrecht wie mein Mann. Ich vertrete allerdings eher kleine Unternehmen, Freiberufler und Kreative. Ich habe immer wieder mit Copyright- und Patent-Verletzungen zu tun.“

Sie machte eine Pause. Singer war nicht sicher, ob sie erwartete, dass er etwas sagen würde.

„Verstehe“, sagte er.

„Ihre These ist – selbst wenn sie die gesamte Kosmologie auf den Kopf stellt – nicht schutzwürdig im Sinne des Urheberrechts und schon gar nicht im Sinne eines Patents.“

„Verstehe“, sagte er wieder.

Seine Stimme klang ein wenig enttäuscht, das war ihr nicht entgangen.

„Dennoch kann dieser Professor sich nicht als Urheber ausgeben. Und er darf deshalb auch nicht ohne Weiteres berufliche oder finanzielle Vorteile daraus ziehen. Ich habe heute Morgen ein wenig recherchiert über Berg. Er ist ein weltweit anerkannter Experte für Raumfahrt. Wenn diese Sache öffentlich wird, hat er viel zu verlieren. Das ist gut für uns.“

„Für uns ...? Das heißt, Sie würden mich vertreten?“

„Ja, sehr gern.“

„Was wäre jetzt der nächste Schritt?“

„Wir haben gedacht, dass wir ihn zunächst schriftlich ins Bild setzen. Er wird sich wahrscheinlich selbst Rat bei einem Anwalt holen. Ich würde ihm eine Frist von zwei Wochen setzen.“

„Und wenn er sich nicht meldet?“

„Dann stellen wir Strafantrag.“

„Geht das denn?“

„Keine Ahnung – wir drohen damit. Das setzt ihn unter Druck.“

„Er scheint ja im Ausland zu sein. Er kann natürlich nur reagieren, wenn er das Schreiben erhält.“

„Wir rufen morgen bei seinem Arbeitgeber an und fragen.“

„Okay.“

„Wir werden morgen das Schreiben verfassen. Könnten Sie irgendwann vorbeikommen und uns die Vollmacht unterschreiben?“

*

Herrn Prof. Dr. Marcel Berg

Weblerstraße 43

28203 Bremen

Bremen, 09. August 2016

Singer ./. Berg

Sehr geehrter Herr Prof. Berg,

in der Anlage erhalten Sie die Vertretungsvollmacht unseres Mandanten

Herrn Carsten Singer

Pastorenzeile 58

28237 Bremen

Wir beziehen uns auf einen ebenfalls in der Anlage befindlichen Zeitungsartikel des Weserboten vom vergangenen Samstag. In diesem Artikel wird auf eine revolutionäre These verwiesen, die im Wissenschaftsmagazin Universe and Science veröffentlicht wurde, in dem Sie als Urheber dieser These genannt werden (eine Kopie der Veröffentlichung liegt ebenfalls bei). Wie es bei der wissenschaftlichen Zeitschrift üblich ist, wurde Ihnen der Beitrag vor der Veröffentlichung zur Autorisierung vorgelegt.

Unser Mandant hatte am Freitag, 22. Januar 2016 am Abend Ihrem Vortrag im Planetarium Bremen zugehört. Im Anschluss an die Veranstaltung kam Herr Singer auf Sie zu und fragte Sie, ob Sie einige Minuten Zeit für ihn hätten.

In dem Gespräch stellte Herr Singer Ihnen die These vor, als deren Urheber Sie sich jetzt ausgegeben haben. Ihr Handeln zählt als Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz (UrhG).

Herr Singer ist kein Wissenschaftler, beschäftigt sich aber seit Jahrzehnten auf semi-professionellem Niveau mit vielen Themen der Kosmologie. Unser Mandant hätte mit seinem beruflichen Hintergrund wahrscheinlich keine Veröffentlichung auf diesem wissenschaftlichen Niveau erreicht. Weil ihm das bewusst war, hatte er Sie kontaktiert, um gemeinsam mit Ihnen zu überlegen, wie Sie und er Gehör auf die These lenken könnten. Herr Singer wollte Sie als Wissenschaftler gleichwertig beteiligen.

Auch in der momentanen Situation ist dieses gemeinsame Vorgehen mit Ihnen noch vorstellbar. Bedingung ist, dass Sie Herrn Singer ab sofort als Mit-Urheber der These nennen und unseren Mandanten an allen finanziellen Vorteilen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, hälftig beteiligen.

Der Vollständigkeit halber möchten wir Sie darauf hinweisen, dass wir, sollten Sie sich nicht bis zum 24. August 2016 (Poststempel) schriftlich äußern, bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Strafantrag stellen werden.

Hochachtungsvoll

Anwaltssozietät Regine & Enno Frees

Regine Frees

Rechtsanwältin

Prof. Berg