Dunkle Sehnsucht des Verlangens - Christine Feehan - E-Book
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Dunkle Sehnsucht des Verlangens E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Die begabte Sängerin Desari hat eine magische Stimme, die alle Menschen fasziniert - vor allem aber Julian Savage, den einsamen Jäger. Julian will eigentlich sein Leben beenden, denn er ist verflucht, auf ewig allein zu sein. Nur seinen letzten Auftrag, Desari vor dem Tod zu bewahren, will er noch ausführen. Aber als er sie singen hört, wird er von tiefen Gefühlen und von Sehnsucht nach dieser Frau ergriffen: Er muss Desari besitzen! Doch die schöne Sängerin widersetzt sich seiner Kraft und wird von einer Gruppe beschützt, die Julian feindlich gesinnt ist ...

Dunkel, gefährlich und extrem heiß - Dunkle Sehnsucht des Verlangens ist der fünfte Band der umfangreichen NEW YORK TIMES und SPIEGEL-Bestsellerserie Die Karpatianer.

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Die begabte Sängerin Desari hat eine magische Stimme, die alle Menschen fasziniert – vor allem aber Julian Savage, den einsamen Jäger. Julian will eigentlich sein Leben beenden, denn er ist verflucht, auf ewig allein zu sein. Nur seinen letzten Auftrag, Desari vor dem Tod zu bewahren, will er noch ausführen. Aber als er sie singen hört, wird er von tiefen Gefühlen und von Sehnsucht nach dieser Frau ergriffen: Er muss Desari besitzen! Doch die schöne Sängerin widersetzt sich seiner Kraft und wird von einer Gruppe beschützt, die Julian feindlich gesinnt ist …

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CHRISTINE FEEHAN

Dunkle Sehnsuchtdes Verlangens

Aus dem amerikanischen Englischvon Katja Thomsen

Kapitel 1

Julian Savage blieb an der Tür der überfüllten Bar stehen. Er war in diese Stadt gekommen, um eine letzte Pflicht zu erfüllen, ehe er seinem Entschluss folgen würde, die ewige Ruhe der Karpatianer zu suchen. Als einer der ältesten seines Volkes war Julian müde geworden. Jahrhundertelang hatte er in einer trostlosen, grauen Welt ausgeharrt, ohne Farben sehen oder Gefühle empfinden zu können. Dies war nur den jüngeren Männern vergönnt oder denen, die ihre Gefährtin gefunden hatten. Trotzdem galt es noch, eine letzte Aufgabe zu erledigen, um die ihn der Prinz der Karpatianer gebeten hatte. Danach konnte Julian dem todbringenden Sonnenaufgang mit ruhigem Gewissen entgegensehen. Er stand nicht etwa kurz davor, seine Seele zu verlieren und sich in einen Vampir zu verwandeln. Nein, wenn er wollte, könnte er noch länger aushalten, doch es war die endlose Leere seines Lebens gewesen, die zu seinem Entschluss geführt hatte.

Dennoch konnte er sich seiner Pflicht nicht entziehen. In den vielen Jahrhunderten seines Lebens hatte Julian seinem aussterbenden Volk nicht viel Gutes getan. Zwar war er ein mächtiger Vampirjäger, der in seinem Volk großes Ansehen genoss, aber wie die meisten Jäger wusste auch Julian, dass nur der aggressive Killerinstinkt eines karpatianischen Mannes ihn so erfolgreich machte. Es gehörte kein spezielles Talent dazu. Gregori, der große Heiler des karpatianischen Volkes, der allein dem Prinzen unterstand, hatte Julian die Nachricht geschickt, dass die Sängerin, nach der er jetzt suchte, auf der Opferliste eines fanatischen Geheimbundes menschlicher Vampirjäger stand, die in ihrer blindwütigen Mordlust oft nicht nur Karpatianer, sondern auch Menschen verfolgten, die ihnen ungewöhnlich erschienen. Die Mitglieder des Geheimbundes hatten ausgesprochen primitive Vorstellungen von den Eigenschaften eines Vampirs – wenn man das Tageslicht vermied oder sich von Blut ernährte, war man in ihren Augen ein seelenloser Untoter, der sich dem Bösen verschrieben hatte. Dabei waren Julian und sein Volk der beste Beweis dafür, dass dieser Glaube keineswegs den Tatsachen entsprach.

Julian wusste genau, warum man ihm die Aufgabe übertragen hatte, die Sängerin zu warnen und zu beschützen. Gregori war fest entschlossen, ihn nicht zu verlieren. Der Heiler konnte Julians Gedanken lesen und wusste von seinem Entschluss, sein freudloses Dasein zu beenden. Doch Gregori wusste auch, dass Julian nun sein Wort gegeben hatte, die Frau vor dem Geheimbund der Mörder zu beschützen, und nicht ruhen würde, bis sie in Sicherheit war. Gregori wollte Zeit gewinnen, doch es würde ihm nichts nützen.

Julian hatte weit mehr als eine Lebenszeit damit verbracht, sich von seinem Volk und selbst von seinem Zwillingsbruder fern zu halten. Er galt als Einzelgänger in einem Volk, das aus allein stehenden Männern bestand. Die Karpatianer waren vom Aussterben bedroht, obwohl Prinz Mikhail verzweifelt versuchte, ihnen neue Hoffnung zu geben und Gefährtinnen für sie zu finden. Außerdem suchte er nach Wegen, die Neugeborenen am Leben zu erhalten, um die schwindende Zahl der Karpatianer wieder zu vergrößern. Doch Julian blieb keine andere Wahl, als allein zu sein, mit den Wölfen umherzuziehen, mit den Raubvögeln in den Himmel zu steigen und mit den Pantern zu jagen. Nur selten hielt er sich unter Menschen auf, meistens um in einem gerechten Krieg zu kämpfen oder seine besonderen Fähigkeiten in den Dienst einer guten Sache zu stellen. Doch die meisten Jahre seines Lebens hatte Julian allein verbracht. Er war durch die Welt gezogen, einsam und selbst von seinem Volk unerkannt.

Julian stand still und dachte an die fatale Dummheit zurück, die er in seiner Jugend begangen hatte – an den schrecklichen Augenblick, in dem er einen Weg eingeschlagen hatte, der sein Leben für immer verändern sollte.

Er war erst zwölf Jahre alt gewesen. Schon in diesem Alter war Julian von unstillbarem Wissensdurst beherrscht. Normalerweise waren er und sein Zwillingsbruder Aidan unzertrennlich, doch an diesem Tag hörte Julian in weiter Ferne einen eigenartigen Ruf, dem er nicht widerstehen konnte. Damals, als kleiner Junge, war Julian von Tatendrang erfüllt, und so schlich er sich unbemerkt fort, um dem Lockruf eines geheimnisvollen Versprechens zu folgen. Tief in den Bergen entdeckte er ein Labyrinth aus Höhlen und traf dort einen Zauberer – freundlich, faszinierend und bereit, sein immenses Wissen an einen jungen, begeisterten Schüler weiterzugeben. Als Gegenleistung verlangte er lediglich Julians Stillschweigen. Mit zwölf hielt Julian das alles für ein aufregendes Spiel.

Im Nachhinein fragte er sich, ob er sich so sehr nach mehr Wissen gesehnt hatte, dass er die Warnzeichen absichtlich übersehen hatte. Julian erlernte viele wunderbare neue Fähigkeiten, doch dann erfuhr er eines Tages plötzlich die schreckliche Wahrheit. Er kam ein wenig zu früh zur Höhle, hörte Schreie und rannte hinein. Dort sah er seinen jungen, faszinierenden Freund, der in Wirklichkeit ein furchtbares, mordgieriges Ungeheuer war – ein Karpatianer, der seine Seele verloren hatte und zum Vampir geworden war. Als Zwölfjähriger verfügte Julian noch nicht über die Kräfte, um die hilflosen Opfer zu retten, denen der Vampir das Blut aussaugte, nicht um sich zu nähren, wie es ein Karpatianer tun würde, sondern um sie zu töten.

Die Erinnerung hatte sich unauslöschlich in Julians Seele eingebrannt. Die blutüberströmten Menschen, die Schreie, das Entsetzen. Und dann griff der Vampir nach seinem einst so ehrfürchtigen Schüler und zog ihn an sich, sodass Julian seinen übel riechenden Atem registrierte und sein spöttisches Gelächter hören konnte. Der Vampir schlug seine Fänge in Julians Körper, tötete ihn jedoch nicht. Julian erinnerte sich genau daran, wie der Untote sich die Pulsader öffnete und sie an seinen, Julians, Mund presste. Er zwang ihn, sein verdorbenes Blut zu trinken, und durch den Blutaustausch brachte er den Jungen in seine Gewalt. Er wollte Julian zu seinem Sklaven machen und ihn dazu zwingen, bis in alle Ewigkeit mit ihm verbunden zu sein.

Doch auch damit endete die Schande nicht, denn der Vampir begann sofort damit, Julian gegen seinen Willen als Spion einzusetzen, um das Volk auszukundschaften, dem auch er einmal angehört hatte, das er nun aber vernichten wollte. Mit Julians Hilfe konnte der Untote den Prinzen oder den Heiler der Karpatianer belauschen, sobald der Junge in ihrer Nähe war. Schließlich drohte der Vampir sogar, ihn dazu zu benutzen, seinen Zwillingsbruder Aidan zu töten. Und Julian wusste, dass es möglich war. Er spürte, wie sich die Finsternis in seinem Innern ausbreitete und wie der Vampir manchmal die Welt durch seine Augen betrachtete. Mehrmals war Aidan nur um Haaresbreite einer Falle entgangen, die Julian ihm im Bann des Vampirs gestellt hatte, ohne es zu wissen.

Und so hatte sich Julian vor vielen Jahrhunderten geschworen, sein Leben allein zu verbringen, damit sein Volk und sein geliebter Bruder vor ihm und dem Vampir sicher waren. Er hielt sich, so gut es ging, von den anderen fern, bis er sich das Wissen und die Fähigkeiten der Karpatianer angeeignet hatte und alt genug war, allein durch die Welt zu ziehen. Das Blut seines Volkes rann noch immer voller Kraft durch seine Adern, und er bemühte sich, gut und ehrenhaft zu leben und die Finsternis in seiner Seele zu bekämpfen. Es war Julian gelungen, einen weiteren Blutaustausch mit dem Vampir zu vermeiden, und er hatte zahllose andere Untote gejagt und getötet. Doch der Vampir, der sein Leben zerstört hatte, entwischte ihm immer wieder.

Julian war inzwischen größer und muskulöser als die meisten anderen Männer seines Volkes, und während viele Karpatianer dunkle Haare und Augen hatten, ähnelte Julian mit seinem langen blonden Haar, das er im Nacken mit einem Lederband zusammenhielt, einem Wikinger. Seine Augen waren bernsteinfarben. Schon oft hatte Julian seinen faszinierenden, glühenden Blick dazu benutzt, seine Opfer zu hypnotisieren. Er blickte sich auf der Straße um, entdeckte jedoch keinen Grund für die innere Unruhe, die er verspürte. Julian bewegte sich mit der Kraft und Geschmeidigkeit einer Raubkatze. Wenn es sein musste, konnte er so still und unüberwindlich dastehen wie ein Fels oder eins werden mit dem Rauschen des Windes oder der Wellen. Er verfügte über enorme Fähigkeiten, sprach viele verschiedene Sprachen, war jedoch immer allein.

In jüngeren Jahren hatte er viel Zeit in Italien verbracht und war später nach New Orleans gezogen, in dessen French Quarter seine dunkle, geheimnisvolle Aura kaum jemanden gestört hatte. Doch vor nicht allzu langer Zeit hatte er seinen Wohnsitz dort aufgegeben, wohl wissend, dass er nie zurückkehren würde. Wenn er diese letzte Aufgabe erfüllt hatte, würde es keinen Grund mehr geben, sein elendes Dasein zu verlängern.

Julian hörte die Gespräche der Gäste in der Bar, spürte ihre gespannte Erwartung. Das Publikum schien völlig gebannt auf den Auftritt der Künstler zu warten. Die Band war ausgesprochen beliebt, und Plattenproduzenten bestürmten sie, Verträge abzuschließen, doch die Musiker unterzeichneten nichts. Stattdessen reisten sie wie mittelalterliche Troubadoure von Stadt zu Stadt. Sie griffen niemals auf fremde Musiker oder Techniker zurück und spielten nur ihre eigenen Lieder. Das eigenartige, zurückgezogene Leben der Gruppe und die Stimme der Sängerin, die immer wieder als unvergesslich schön und magisch anziehend beschrieben wurde, hatten nun die Aufmerksamkeit der Vampirjäger erregt.

Bei einem tiefen Atemzug witterte Julian den Geruch von Blut. Sofort stieg quälender Hunger in ihm auf, der ihn daran erinnerte, dass er sich in dieser Nacht noch nicht genährt hatte. Ungesehen stand er vor der Bar, umringt von den Menschen, die versuchten, an den Türstehern vorbeizukommen. Er würde hineingehen und die Sängerin vor der Gefahr warnen, in der sie schwebte, und sich dann zurückziehen. Hoffentlich würde sie auf ihn hören, damit er sich seiner letzten Pflicht schnell entledigen konnte. Falls nicht, würde er die schreckliche Einsamkeit so lange ertragen müssen, bis er sie in Sicherheit wusste. Doch Julian war müde. Er wollte nicht länger warten.

Lautlos bahnte er sich seinen Weg durch die Menschenmassen. An der Tür standen die zwei Männer, beide groß und dunkel. Der langhaarige Türsteher machte den Eindruck, als müsste man mit ihm rechnen. Außerdem kam er Julian irgendwie bekannt vor. Er löste sich in einen kühlen Luftzug auf, während er inmitten der anderen Gäste an den Wächtern vorbeiging. Er war unsichtbar, und dennoch wandte sich der Mann mit den langen Haaren um und ließ den Blick seiner dunklen Augen suchend über die Menge gleiten. Einige Sekunden lang blickte er Julian sogar direkt an. Der Türsteher wirkte beunruhigt. Aus den Augenwinkeln beobachtete Julian, wie er sich in alle Richtungen umdrehte, ehe sein kühler Blick schließlich wieder auf Julian ruhte, der sich unter die Gäste der überfüllten Bar mischte.

Julian verzog den Mund zu einem kalten Lächeln. Er war unsichtbar, aber der Wächter schien über eine sehr ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit zu verfügen. Er würde sich vielleicht noch als große Hilfe erweisen, falls die Sängerin tatsächlich angegriffen werden sollte.

Der kalte Hauch, der Julian umgab, ließ die Menschen automatisch zurückweichen, sodass er nicht einmal langsamer gehen musste. Er warf einen Blick auf die Bühne, die bereits für den Auftritt der Band vorbereitet war, dann ging er auf die Tür zu den Garderoben zu. Sein Lächeln schwand. Er spürte eine Aura der Grausamkeit, die Herzlosigkeit des Jägers. Und dann nahm er die Witterung der Feinde auf. Hatten sie die Sängerin etwa schon gefunden?

Julian fluchte im Stillen, während er mit übermenschlicher Geschwindigkeit zur Garderobe der Sängerin eilte. Doch er kam zu spät. Sie und die anderen Bandmitglieder gingen bereits zur Bühne. Nur zwei bildschöne Leoparden hatten sich in einer Ecke der kleinen Garderobe zusammengerollt. Gleichzeitig hoben die Tiere die Köpfe und musterten Julian. Sie waren größer und schwerer als die meisten wild lebenden Leoparden, und ihre gelbgrünen Augen verrieten ihre große Intelligenz. Es war ungewöhnlich, zwei Leoparden zusammen zu sehen, denn die Tiere waren normalerweise Einzelgänger. Wie Julian.

»Wo ist sie, meine Freunde?«, fragte er leise. »Ich bin gekommen, um ihr Leben zu retten. Sagt mir, wo sie ist, ehe ihre Feinde sie töten.«

Das Leopardenmännchen kauerte am Boden, fauchte und entblößte dabei lange, spitze Reißzähne, mit denen er seine Beute packen, festhalten und töten konnte. Auch das Weibchen war sprungbereit. Julian fühlte sich den Tieren verbunden, wie jeder Kreatur aus der Familie Panthera pardus, doch als er die geistige Verbindung zu den Leoparden fand, musste er feststellen, dass er die beiden Raubkatzen nicht so leicht kontrollieren konnte. Es gelang ihm nur, sie ein wenig zu verwirren und ihre Reflexe zu verlangsamen. Der männliche Leopard pirschte sich mit gesenktem Kopf an Julian heran, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Die auffallend langsamen Bewegungen waren nur ein Vorbote des blitzschnellen Sprungs, mit dem ein Leopard seine Beute riss. Julian wollte um jeden Preis vermeiden, das schöne Tier töten zu müssen, also schlüpfte er schnell aus der Garderobe und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Dann ging er in die Richtung des donnernden Applauses.

Die Band spielte die Anfangstakte ihres ersten Liedes. Dann hörte Julian die Stimme der Sängerin. Die faszinierenden, mystischen Klänge erfüllten den Raum, und Julian konnte die Töne tatsächlich vor seinen Augen schimmern sehen wie goldene und silberne Sterne. Schockiert blieb er stehen und starrte auf die verschlissene Tapete im Gang. Sie hatte rote Ränder. Seit über achthundert Jahren hatte Julian keine Farben mehr gesehen. Es war das Schicksal der karpatianischen Männer, nach einiger Zeit die Fähigkeit zu verlieren, Farben zu sehen oder Gefühle zu empfinden. Sie waren dazu verdammt, einsam in einer grauen, freudlosen Welt zu leben und gegen ihre Raubtierinstinkte anzukämpfen, wenn sie nicht die ihnen bestimmte Gefährtin fanden, deren Güte und Liebe die Finsternis aus ihrer Seele vertreiben konnte. Erst dann konnte ein Karpatianer wieder Farben sehen und starke Gefühle empfinden. Doch es gab nur sehr wenige karpatianische Frauen, und sicherlich würde es gerade einem Mann wie Julian nicht vergönnt sein, eine Gefährtin zu finden. Dennoch klopfte sein Herz schneller.

Er spürte Aufregung. Hoffnung. Gefühle. Echte Gefühle. Die strahlenden Farben blendeten ihn. Der Klang der wunderbaren Stimme schien seinen Körper zu durchdringen und etwas in ihm zu berühren, das er seit Jahrhunderten vergessen geglaubt hatte. In ihm erwachte ein übermächtiges Begehren. Julian stand einfach da und regte sich nicht. Die Farben, die Empfindungen, das körperliche Verlangen konnten nur eines bedeuten: Die Sängerin, der diese faszinierende Stimme gehörte, war seine Gefährtin!

Es war unmöglich, schier unvorstellbar! Karpatianische Männer verbrachten manchmal die Ewigkeit damit, die eine Frau zu suchen, die ihnen als Gefährtin bestimmt war. Die Karpatianer verfügten über ausgeprägte Raubtierinstinkte. Sie waren klug, schnell und äußerst gefährlich. Zwar wuchsen sie fröhlich auf und erlebten so manche aufregenden Abenteuer, doch dann war das glückliche Leben irgendwann vorbei. Sie verloren die Fähigkeit, Farben zu sehen und Gefühle zu empfinden. Dann blieb ihnen nichts als die Einsamkeit.

Julians Leben war besonders unerträglich gewesen, denn er musste sich sogar von Aidan fern halten, seinem Zwillingsbruder, dessen Nähe die tristen Jahrhunderte vielleicht etwas erträglicher gemacht hätte. Doch Julian wusste, dass Aidan durch die Blutsverwandtschaft zu ihm in großer Gefahr schwebte, denn der Vampir hatte ihm gedroht. Also war Julian geflohen. Nie hatte er einem anderen die schreckliche Wahrheit anvertraut – nicht einmal seinem Bruder. Julian hatte ehrenhaft gehandelt, denn schließlich war die Ehre das Einzige, was ihm noch geblieben war.

Und nun stand er regungslos in dem engen Gang und konnte es nicht fassen. Sollte seine Gefährtin tatsächlich in der Nähe sein? Zwar sah er die leuchtenden Farben und wurde von den tiefen Empfindungen überwältigt, er konnte jedoch nicht glauben, dass ausgerechnet ihm dieses Glück vergönnt sein sollte.

Viele karpatianische Männer verwandelten sich nach Jahrhunderten ohne Hoffnung in Vampire. Da sie keine Gefühle mehr hatten, erschien ihnen nur die Macht, zu jagen und zu töten, noch erstrebenswert. Andere wiederum beschlossen, weder Menschen noch Karpatianer in Gefahr zu bringen, und setzten ihrem Leben ein Ende, indem sie den Sonnenaufgang erwarteten. Das Tageslicht tötete sie, denn sie waren dazu geschaffen, in der Dunkelheit zu leben. Nur wenige fanden ihre Gefährtin, die endlich Licht in ihre Finsternis brachte. Nach beinahe tausend Jahren der Trostlosigkeit hatte Julian nun beschlossen, sein Leben zu beenden, ehe seine dunkle Seite die Oberhand gewann. Er konnte nicht glauben, dass es ihm ausgerechnet jetzt bestimmt war, seine Gefährtin zu finden. Und doch musste es wahr sein, denn die Farben und Empfindungen bewiesen es eindeutig.

Die Stimme der Frau – samtig und erotisch – klang nach Satinlaken und Kerzenlicht. Die Klänge strichen über Julians Haut wie liebkosende Hände, verführerisch, aufregend, sinnlich. Die Sängerin schlug das Publikum in ihren Bann. Rein und klar schienen die Töne durch die Luft zu tanzen und jeden Zuhörer zu verzaubern.

Julian wusste nichts über diese Frau, nur dass Gregori ihn geschickt hatte, um sie vor den menschlichen Vampirjägern zu warnen. Offenbar wollte Prinz Mikhail sie und ihre Band in Sicherheit wissen. Die Mitglieder des Geheimbundes glaubten an die Vampire der alten Legenden und hatten es sich zum Ziel gesetzt, sie zu finden und zu töten. Jetzt hatten sie aus irgendwelchen Gründen die Sängerin Desari im Visier, mit ihrer faszinierenden Stimme und ihren exzentrischen Gewohnheiten. Den meisten Opfern der Vampirjäger wurden Holzpflöcke ins Herz gestoßen. Schlimmer noch, man ließ einige Opfer am Leben, um sie zu foltern und zu sezieren. Julian lauschte der wunderschönen Stimme. Desari klang wie ein Engel, als wäre ihre Stimme nicht von dieser Welt.

Dann durchbrachen gellende Schreie den Zauber der Melodie. Julian hörte einen Schuss, und gleich darauf traf ein Kugelhagel die Musiker und Instrumente. Das ganze Gebäude erzitterte von den hastigen Schritten der fliehenden Gäste, die versuchten, sich aus der Schusslinie zu bringen.

Während Julian dafür sorgte, dass er sichtbar wurde, bewegte er sich so schnell, dass seine Gestalt verschwamm. In der Bar war Panik ausgebrochen. Die Sterblichen flohen, so schnell sie konnten, und rannten einander dabei über den Haufen. Angstschreie hallten durch den Raum, während Tische und Stühle umfielen oder zerschmettert wurden.

Die drei Musiker lagen blutüberströmt auf der Bühne, umgeben von ihren zerborstenen Instrumenten. Die Türsteher lieferten sich einen Schusswechsel mit sechs Männern, die selbst auf der Flucht noch wild in die Menge schossen.

Julian stürzte auf die Bühne zu. Als er einen der Musiker zur Seite schob, entdeckte er den leblosen Körper der Frau, Desari, die ausgestreckt auf der Bühne lag. Ihr blauschwarzes Haar umgab sie wie ein ausgebreiteter Schleier. Unter ihr sammelte sich eine Blutlache, und auch auf ihrem königsblauen Kleid zeichneten sich Blutflecke ab. Julian blieb keine Zeit, sie näher zu betrachten, denn eine der Schusswunden würde sie töten, wenn er nicht sofort etwas unternahm. Instinktiv errichtete er schnell eine optische Barriere, welche die Bühne für die Augen eines Betrachters verschwimmen ließ. Doch im allgemeinen Chaos würde vermutlich sowieso niemand etwas bemerken.

Mühelos hob er Desari auf seine Arme, fand ihren schwachen Puls und legte eine Hand auf die schlimmste Wunde. Dann vergaß Julian den Lärm und die Panik um sich herum, und sein Geist verließ seinen Körper, um in Desaris zu schlüpfen. Die Eintrittswunde war nur klein, dafür hatte die Kugel beim Austritt umso mehr Schaden angerichtet und viel Gewebe und innere Organe verletzt. Julian verschloss die Wunden, um weiteren Blutverlust zu vermeiden, dann trug er Desari in eine dunkle Ecke. Mit einem Fingernagel öffnete er eine Stelle an seiner Brust.

Du gehörst zu mir, cara mia, und du darfst nicht sterben. Ich würde nicht aus dem Leben scheiden, ohne dich grausam zu rächen, und die Welt hätte noch nie zuvor ein Ungeheuer wie mich gesehen. Du musst trinken, piccola, um deinetwillen, für mich, für unser gemeinsames Leben. Trink. Julian bekräftigte seine Worte mit einem strengen, geistigen Befehl, sodass sich Desari seinem Willen unmöglich widersetzen konnte. Noch vor wenigen Augenblicken war er fest entschlossen gewesen, seinem Leben ein Ende zu setzen, ehe es zu spät war. Er wollte nicht zu einem der Ungeheuer werden, die er jahrhundertelang gejagt und getötet hatte. Vielleicht verdiente er eine grausame Strafe dafür, dass er Desari nun an sich band, doch er würde sich diese Schicksalsfügung nicht entgehen lassen.

Nach vielen Jahrhunderten der Einsamkeit hatte sich Julians Leben von einer Sekunde zur anderen völlig verändert. Da waren wieder Farben und Empfindungen. Sein Körper brannte vor Verlangen und Leidenschaft, nicht nur vom immer währenden Hunger nach Blut. Julian war plötzlich von neuer Energie und Stärke erfüllt, die er in jeder Faser seines Körpers spürte. Spürte. Sie würde nicht sterben. Das konnte er nicht zulassen. Niemals. Nicht nach den Jahrhunderten unendlicher Einsamkeit. Eben noch war seine Seele nur von Finsternis und Leere erfüllt gewesen, und jetzt gab es stattdessen eine wirkliche, innige Verbindung.

Da er einer der ältesten Karpatianer war, verfügte sein Blut über immense Heilkräfte. Nun floss es in Desaris Adern und schuf eine Verbindung, die niemals zerstört werden konnte. Julian begann, Worte in der uralten Sprache seines Volkes zu flüstern – eine rituelle Beschwörungsformel, die ihre Herzen vereinen und ihre Seelen für immer aneinander binden würde.

Einen Herzschlag lang schien die Zeit stillzustehen, während Julian mit seinem Ehrgefühl rang. Er musste Desari aufgeben, durfte ihr Leben nicht mit der schrecklichen Bürde belasten, die er zu tragen hatte. Doch dazu fehlte ihm die Kraft. Die Worte des Rituals schienen aus den Tiefen seiner Seele aufzusteigen, in denen sie so lange verloren gewesen waren. Ich nehme dich zu meiner Gefährtin. Ich gehöre zu dir. Ich gebe mein Leben für dich hin. Dir schenke ich meinen Schutz, meine Treue, mein Herz, meine Seele und meinen Körper. Dafür will ich bewahren, was du mir schenkst. Dein Leben, dein Glück und dein Wohlergehen will ich bewahren und für immer über meines stellen. Du bist meine Gefährtin, mit mir verbunden bis in alle Ewigkeit und für immer unter meinem Schutz.

Tränen brannten in Julians Augen. Nun hatte er eine weitere schwere Sünde auf sich geladen, und diesmal hatte er sich an der Frau versündigt, die er eigentlich beschützen sollte. Sanft ließ er seine Lippen über ihr seidiges Haar streichen und gab ihr den leisen Befehl, nicht mehr zu trinken. Schon jetzt war Julian geschwächt, da er in dieser Nacht noch nicht gejagt hatte. Auch die Heilung von Desaris Wunden und der Blutverlust hatten ihm die Kräfte geraubt. Tief atmete er ihren Duft ein, um ihn sich bis in alle Ewigkeit einzuprägen.

Die Warnung war nichts weiter als das kaum hörbare Geräusch von Fell, das über ein Stuhlbein strich, doch Julian genügte sie. Er sprang auf und drehte sich blitzschnell um. Er stand einem riesigen schwarzen Panter gegenüber, der mindestens hundert Kilo wiegen musste. Die Raubkatze fixierte Julian mit gefährlich funkelnden dunklen Augen und setzte zum Sprung an. Auch Julian warf sich in die Luft und verwandelte sich. Golden glänzendes Fell breitete sich über seinen kräftigen Muskeln aus, als er Tiergestalt annahm, um der tödlichen Bedrohung zu begegnen.

Die beiden männlichen Raubkatzen prallten im Sprung aufeinander, beide groß und kräftig, beide zum Kampf mit Klauen und Fängen bereit. Der Panter schien fest entschlossen zu sein, Julian zu töten, der Karpatianer hoffte dagegen, das Leben des Tieres retten zu können. Der Panter wich in einem Halbkreis aus und schlug Julian die messerscharfen Krallen in die Seite. Gleich darauf gelang es Julian, seinem Gegner vier lange, tiefe Kratzer am Bauch zu verpassen. Der Panter fauchte wütend und ging erneut auf Julian los.

Dieser suchte nach einer geistigen Verbindung zu der Raubkatze, fand jedoch nichts als Mordlust und Zerstörungswut. Geschickt wich Julian dem Tier aus. Er wollte den schönen Panter nicht töten und konnte außerdem bei aller Kampferfahrung kaum gegen das starke und geschmeidige Raubtier ankommen, zumal es sich nicht einmal mit einem geistigen Befehl kontrollieren ließ.

Julian fluchte leise, als sich der Panter schützend vor Desari stellte und dann wieder langsam auf Julian zuging, wie es die Art einer sprungbereiten Raubkatze war. Die intelligenten, beinahe schwarzen Augen des Tieres blickten Julian starr und bedrohlich an. Der Panter beabsichtigte, ihn zu töten, und Julian hatte keine andere Wahl, als bis zum Tode zu kämpfen oder aber zu fliehen. Er hatte Desari Blut gegeben, das er ohnehin kaum entbehren konnte, und jetzt floss ein ständiger Strom aus den tiefen Furchen in seiner Seite.

Der Panter war zu kräftig und geschickt. Julian durfte das Risiko eines Kampfes auf Leben und Tod nicht eingehen. Schließlich war nun auch das Schicksal seiner Gefährtin mit dem seinen verbunden. Der Panter stellte keine Gefahr für Desari dar. Im Gegenteil, er wollte sie unter allen Umständen beschützen. In den Gedanken seiner Gefährtin fand Julian liebevolle Erinnerungen an die Raubkatze. Er wich knurrend zurück, und sein Blick drückte nicht etwa Unterwerfung, sondern unerschütterlichen Widerstand aus.

Offenbar wusste der schwarze Panter nicht, ob er Julian folgen oder Desari beschützen sollte. Als der Karpatianer diesen Zwiespalt im Geist des Tieres las, war er beruhigt. Vorsichtig wich er einige Schritte weiter zurück, da er keinesfalls einer Kreatur Schaden zufügen wollte, die seine Gefährtin so sehr liebte.

Doch dann nahm Julian nur den Hauch einer Bewegung hinter sich wahr. Er sprang zur Seite, sodass der zweite Panter an der Stelle landete, an der er noch vor einer Sekunde gestanden hatte. Die Raubkatze fauchte wütend. Julian stieß sich mit seinen kräftigen Hinterbeinen ab und sprang auf den Tresen, dann auf einen Tisch. Ein dritter Panter blockierte den Ausgang, doch Julian rammte das Tier mit voller Wucht und riss es zu Boden. Dann löste er sich in Luft auf und verschwand.

In Nebel verwandelt, schwebte Julian in die Nacht hinaus. Er machte sich nichts vor – einige der feinen Tröpfchen, die auf das Meer zuglitten, waren sein Blut. Die Raubkatzen würden seine Witterung aufnehmen und ihn verfolgen können, wenn er sich nicht sofort weit genug von ihnen entfernte. Es kostete ihn viel Energie, die Nebelschwaden zu beschleunigen, und er wurde immer schwächer. Mit letzter Kraft schloss er die Wunden, die er davongetragen hatte, um weiteren Blutverlust zu vermeiden.

Verblüfft ging er in Gedanken die Geschehnisse in der Bar noch einmal durch. Warum hatte der schwarze Panter nicht seinen telepathischen Befehl befolgt? Nie zuvor hatte ein Tier seiner Hypnose widerstehen können. Doch der Panter war anders als alle anderen Raubkatzen, die ihm je begegnet waren. Trotzdem hätte er das Tier eigentlich mühelos besiegen müssen, doch der schwarze Panter war größer und stärker als alle Leoparden, denen Julian in der Wildnis je begegnet war. Außerdem hatten die Raubkatzen zusammengearbeitet, was für diese Tierart sehr ungewöhnlich war. Julian zweifelte nicht daran, dass der große Panter die anderen angeführt hatte. Und sie hatten Desari nicht etwa als Beute angesehen, sondern sie beschützt.

Julian richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die unmittelbare Gefahr, in der seine Gefährtin schwebte. Irgendwo da draußen waren sechs Menschen, die versucht hatten, Desari zu töten, eine unschuldige Frau. Julian würde in dieser Nacht keine Ruhe finden, ehe er die Männer nicht gefunden und dafür gesorgt hatte, dass sie nie wieder in Desaris Nähe kommen konnten. Noch immer hatte er ihren unangenehmen Geruch in der Nase. Die Raubkatzen würden sich bis zu seiner Rückkehr um seine Gefährtin kümmern. Julian wusste, er musste jetzt die Angreifer finden und nach karpatianischem Recht unschädlich machen, damit Desari so schnell wie möglich in Sicherheit war.

Nur kurz dachte Julian daran, dass er Blut brauchte, dass er schwere Verletzungen davongetragen hatte und dass der rätselhafte Panter ihm vielleicht folgen würde. Aber diese Dinge spielten im Augenblick keine Rolle, beschloss er. Die Mörderbande durfte ihm nicht entkommen. Er kehrte um und schwebte wieder auf die Bar zu, wobei er höher in den Himmel aufstieg, um sich mit dem Nebel zu vermischen. Möglicherweise konnte er so dem feinen Geruchssinn des Panters entgehen, doch auch wenn die Raubkatze seine Witterung wieder aufnehmen würde, war es Julian gleichgültig. Während er unsichtbar durch die Nacht glitt, suchte er die geistige Verbindung zu seiner Gefährtin, um herauszufinden, ob sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war.

Sie würde sich noch von ihren Verletzungen erholen müssen, war aber am Leben und gut versorgt. Noch immer herrschte Chaos in der Bar. Die Polizei und einige Krankenwagen waren angekommen. Vermutlich hatte man die Raubkatzen inzwischen eingesperrt.

Julian fand die erste Leiche im Gebüsch, nur wenige Meter vom Hintereingang der Bar entfernt. Er nahm wieder seine menschliche Gestalt an und presste die Hand auf die tiefen, blutenden Kratzer in seiner Seite, um keine Spuren zu hinterlassen. Es gab keine Anzeichen eines Kampfes, doch das Genick des toten Mannes war gebrochen. Einige Meter weiter fand Julian die nächste Leiche in einer schmalen Gasse. Der Mann lag ausgestreckt an einer Wand, halb in einer Ölpfütze. An der Stelle, an der einmal das Herz gesessen hatte, klaffte ein faustgroßes Loch.

Angespannt blickte sich Julian um. Die Art, wie der Attentäter ermordet worden war, erinnerte an die rituelle Hinrichtung eines Untoten. Er war nicht nach dem menschlichen Ritual umgebracht worden, mit Knoblauch und Holzpflöcken, sondern nach der Art der Karpatianer. Julian betrachtete die Leiche. Die Tötungsart erinnerte ihn an Gregori in jüngeren Jahren, doch er war es mit Sicherheit nicht gewesen. Heutzutage hätte Gregori seine Zeit nicht mit jedem Einzelnen verschwendet, sondern hätte alle Männer auf einmal aus der Ferne getötet. Hier hatte jemand Rache geübt und sich jedes einzelnen Attentäters persönlich angenommen.

Julians Bruder Aidan lebte in der Gegend und ging oft auf die Jagd nach Untoten. Es gab nur wenige Karpatianer mit seinen Fähigkeiten in den Vereinigten Staaten, doch Julian hätte die Anwesenheit seines Bruders gespürt. Dies war nicht wirklich das Werk eines karpatianischen Jägers gewesen, aber doch etwas sehr Ähnliches.

Julian suchte nach den anderen Männern. Zwei weitere Leichen lagen Seite an Seite. Einem der Männer steckte sein eigenes Messer tief in der Kehle. Er hatte zweifellos unter telepathischem Zwang gestanden. Der andere Mann hatte keine Kehle mehr. Es sah aus, als hätte er beim Angriff eines Tieres sein Leben gelassen, doch Julian wusste es besser. Einige Meter weiter fand er die Leiche des fünften Mannes. Auch dieser Attentäter hatte seinen Tod kommen sehen. Der Schrecken war noch deutlich in seinen leblosen Zügen zu erkennen. Seine Augen blickten starr zum Himmel, und er hielt nach wie vor die Pistole in der Hand, mit der er sich selbst erschossen hatte. Es war dieselbe Waffe, die er auf die Musiker gerichtet hatte. Julian fand den sechsten Mann bäuchlings im Rinnstein liegend, umgeben von einer großen Blutlache. Auch ihn hatte ein schmerzhafter Tod ereilt.

Nachdenklich hielt Julian inne. Der Tod der Angreifer sandte eine klare Botschaft an die Hintermänner, die die Attentäter auf Desari gehetzt hatten. Es war die Herausforderung eines gefährlichen Gegners. Kommt doch, wenn ihr euch traut. Julian seufzte leise. Er war müde und vom Hunger geschwächt. Obwohl er die Meinung teilte, dass jeder, der Desari bedrohte, ein grausames Ende finden musste, konnte er diese Herausforderung nicht auf sich beruhen lassen, denn sie bedeutete eine noch größere Bedrohung für seine Gefährtin. Wenn der Geheimbund der Vampirjäger herausfand, wie die Attentäter umgekommen waren, würden sie nicht länger daran zweifeln, dass sie es bei Desari und ihren Beschützern mit Vampiren zu tun hatten, und keine Ruhe geben, bis sie sie vernichtet hatten.

Schnell trug Julian die Männer in der dunklen Gasse zusammen, bündelte dann mit einem leisen Seufzer die elektrische Energie in den Wolken und richtete sie als Blitzschlag auf die Leichen, die nun alle in der Ölpfütze lagen. Eine Feuersäule zuckte vom Himmel und traf die reglosen Körper. Ungeduldig schirmte Julian den Tatort vor neugierigen Blicken ab, sodass selbst die Polizisten ihn nicht entdeckten, die auf der anderen Seite der Gasse nach Spuren suchten. Als von den Toten nur noch ein Haufen Asche übrig war, löschte Julian das Feuer und sammelte die Überreste auf. Dann erhob er sich in die Luft und verließ unbemerkt den Ort des Geschehens. Weit draußen auf dem Meer streute er die Asche in die tosenden Wellen, die er mit einer schnellen Handbewegung aufgewühlt hatte. Die Überreste der Attentäter versanken auf ewig in den Fluten.

Der Verlust der sechs Männer würde ein schwerer Schlag für den Geheimbund sein, besonders da niemand herausfinden würde, was mit ihnen geschehen war. Mit etwas Glück würden die Drahtzieher untertauchen, um sich neu zu formieren, und so unschuldige Sterbliche und Karpatianer monatelang in Frieden lassen.

Julian steuerte die kleine Hütte an, die er an einem versteckten Ort in den Bergen errichtet hatte, und dachte wieder an das seltsame Verhalten der Leoparden. Er hätte schwören können, dass der schwarze Panter keine echte Raubkatze, sondern ein Karpatianer in Tiergestalt gewesen war. Doch das war unmöglich. Alle Karpatianer kannten einander. Sie konnten die Gegenwart eines anderen spüren und im Notfall auf telepathischem Wege miteinander in Verbindung treten. Einige der ältesten Karpatianer vermochten zwar ihre Anwesenheit vor den anderen zu verbergen, doch das war ein sehr seltenes Talent.

Dann kam Julian ein anderer beunruhigender Gedanke. Mit seinem eigenen Verhalten hatte er Desari in noch größere Gefahr gebracht. Indem er sie zu seiner Gefährtin gemacht hatte, war sie nun ebenso an ihn gebunden, wie er an den Untoten, seinen Todfeind, gebunden war.

Julian fluchte innerlich und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder dem seltsamen Tier zu, das Desari beschützte. Obwohl Julian ein Einzelgänger war, kannte er alle anderen Karpatianer. Und der schwarze Panter erinnerte ihn an jemanden, mit seiner Art zu kämpfen, der unerbittlichen Hartnäckigkeit und dem grenzenlosen Selbstvertrauen. Gregori. Der Dunkle.

Er schüttelte den Kopf. Nein, Gregori lebte mit seiner Gefährtin Savannah in New Orleans. Julian war Savannahs Beschützer gewesen, bis Gregori sein Versprechen erfüllt hatte, ihr fünf Jahre der Freiheit zu gewähren, ehe er sie zu seiner Gefährtin gemacht hatte. Außerdem war Gregori kein Untoter, dafür sorgte seine Gefährtin. Kein Karpatianer würde versuchen, einen anderen zu töten, der sich noch nicht in einen Vampir verwandelt hatte. Nein, es konnte unmöglich Gregori sein.

Am Eingang zu seiner Hütte nahm Julian wieder menschliche Gestalt an und öffnete die Tür. Bevor er jedoch eintrat, wandte er sich um und atmete die Nachtluft ein, um die Witterung von Sterblichen aufzunehmen, die sich vielleicht in der Nähe aufhielten. Er brauchte Blut, um seine Wunden zu heilen. Als er an sich hinunterblickte und die tiefen Furchen in seiner Seite sah, fluchte er zwar leise, fand aber grimmige Befriedigung in dem Gedanken, dass auch er die riesige Raubkatze verletzt hatte.

Julian hatte die Welt bereist und jahrhundertelang seine Neugier, seinen Wissensdurst gestillt. Er hatte viel Zeit in Afrika und Indien verbracht, um Leoparden zu studieren, da er sich unerklärlicherweise zu diesen Tieren hingezogen fühlte. Er glaubte, dass die gefährlichen Raubkatzen über große Intelligenz verfügten. Dennoch waren sie auch völlig unberechenbar, was sie noch gefährlicher machte. Also musste es schon eine sehr ungewöhnliche Gruppe von Menschen sein, die sich mit den Tieren angefreundet und auch noch die Erlaubnis erhalten hatte, mit ihnen durch die Vereinigten Staaten zu reisen.

Wieder hinterfragte Julian das eigenartige Verhalten der Tiere. Auch wenn man sie vielleicht unter Menschen aufgezogen und abgerichtet hatte, war es erstaunlich, wie gut sie in all dem Durcheinander ihren Angriff auf den Eindringling in ihrer Mitte koordiniert hatten.

Der große schwarze Panter hatte nicht einmal Desaris Wunden geleckt oder das Blut der beiden Musiker gekostet. Allein der Geruch von frischem Blut hätte den Jagd- oder Fressinstinkt des Tieres wecken müssen. Leoparden waren nicht nur großartige Jäger, sondern auch Aasfresser. Mit den Tieren stimmte etwas nicht, denn sie hatten Desari ohne jeden Zweifel beschützt.

Kopfschüttelnd wandte sich Julian wieder seinem dringlichsten Problem zu. Er versenkte sich in seinen Körper, suchte nach den Wunden, die er davongetragen hatte, und schloss sie diesmal von innen. Doch die Wundheilung verlangte ihm mehr Kraft ab, als er zu geben hatte, also braute er einen Kräutertrank, der die Heilung beschleunigen sollte. Er ging wieder nach draußen auf die Veranda und trank die Flüssigkeit schnell, wobei er seinen Körper dazu zwingen musste, diese ungewöhnliche Nahrung überhaupt anzunehmen.

Nach einigen Minuten hatte Julian genügend Kräfte gesammelt, um in den Wald hinaus zu gehen. Er suchte nach einer Stelle mit fruchtbarem Boden, dem Gemisch aus Pflanzenresten und Erde, das der Erde seiner karpatianischen Heimat am nächsten kam, mit der jeder Karpatianer die Heilung seiner Wunden beschleunigen konnte. Auf einem kleinen Hügel, der von Kiefernnadeln bedeckt war, fand er schließlich geeigneten Boden. Julian mischte Moos und Erde mit seinem Speichel, der ebenfalls Heilkräfte enthielt, und presste die Mischung auf seine Wunden. Sofort ließen die brennenden Schmerzen nach.

Fasziniert nahm er die unterschiedlichen Empfindungen wahr, die auf ihn einströmten. Er hatte davon gehört, dass die Karpatianer, die wieder die Fähigkeit besaßen, Farben zu sehen und Gefühle zu empfinden, nun alles wesentlich intensiver wahrnahmen als in ihrer Jugend. Alles, auch Schmerzen. Julian war nun müde und hungrig. Sein ausgelaugter Körper schrie nach Nahrung, und seine Gedanken konzentrierten sich auf Desari. Seine Gefährtin. Im Augenblick war sie zwar verwirrt und aufgeregt, aber immerhin am Leben. Julian wollte die Verbindung zu ihr aufnehmen, um sie zu beruhigen, wusste jedoch, dass er mit dem plötzlichen Eindringen in ihre Gedanken nur das Gegenteil erreichen würde.

Er schloss die Augen und lehnte sich an einen Baumstamm. Ein Panter. Wer hätte gedacht, dass ein Panter ihm so sehr zuzusetzen vermochte? Hatte er sich vom Gedanken an seine Gefährtin so sehr ablenken lassen, dass er unvorsichtig geworden war? Doch wie war es dem Tier gelungen, ihn zu überlisten? Und was war mit den Attentätern und der Art und Weise, wie sie den Tod gefunden hatten? Kein Raubtier, ja nicht einmal ein sterblicher Rächer hätte all diese Dinge so schnell fertig bringen können. Julian vertraute fest auf seine Fähigkeiten. Nur wenige der ältesten Karpatianer waren überhaupt in der Lage, ihn im Kampf zu besiegen. Ein Tier war sicher nicht dazu fähig. Eigentlich gab es nur einen. Gregori.

Julian schüttelte den Kopf, um die verwirrenden Gedanken zu vertreiben. In seinem erbitterten, unnachgiebigen Kampf erinnerte der Panter ihn nur allzu sehr an Gregori. Warum wollte es ihm nicht gelingen, diesen Gedanken abzuschütteln, der doch so völlig absurd war? War es etwa einem anderen Karpatianer gelungen, sich vor seinem eigenen Volk zu verstecken? Hatte er einige hundert Jahre lang in der Erde geruht und war nun unbemerkt wieder aufgetaucht?

Julian versuchte, sich an die Dinge zu erinnern, die er über Gregoris Familie wusste. Als die Türken in die Karpaten eingefallen waren, hatten sie Gregoris Eltern getötet. Auch Mikhail, der Prinz und Anführer des karpatianischen Volkes, hatte seine Eltern auf diese Weise verloren. Die Türken hatten ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Enthauptungen waren an der Tagesordnung gewesen, ebenso wie gepfählte Leichen. Selbst kleine Kinder waren nicht verschont worden. Folter und Vernichtung hatten zum grausamen, gnadenlosen Alltag gehört – für Karpatianer und Sterbliche gleichermaßen.

Das karpatianische Volk war beinahe vernichtet worden. In jenen blutigen Schreckenstagen hatten sie viele ihrer Frauen, etliche Männer und fast alle Kinder verloren. Das war der furchtbarste Schlag für sie gewesen. Eines Tages hatte man die karpatianischen Kinder und die Kinder der Sterblichen in einer Strohhütte zusammengepfercht, die dann in Brand gesteckt worden war. Mikhail und seine beiden Geschwister waren dem Massaker entkommen, doch Gregori hatte nicht so viel Glück gehabt. Er verlor seinen sechsjährigen Bruder und seine kleine Schwester, die noch keine sechs Monate alt gewesen war.

Julian atmete tief durch und versuchte, sich an jeden Karpatianer zu erinnern, dem er je begegnet war, um den seltsamen schwarzen Panter irgendwo einzuordnen.

Ihm fiel eine Legende ein, die von zwei alten karpatianischen Jägern erzählte. Vor etwa fünf- oder sechshundert Jahren waren die Zwillingsbrüder spurlos verschwunden, und die Legende besagte, dass einer von ihnen zum Vampir geworden war. Bei dem Gedanken stockte Julian der Atem. Ob der Vampir noch am Leben war? Hätte er einem so mächtigen Gegner relativ unbeschadet entkommen können? Julian bezweifelte es.

Verzweifelt versuchte Julian, sich an irgendetwas Nützliches zu erinnern. Hatte es ein Kind gegeben, an das er im Augenblick nicht dachte? Aber wäre nicht jeder Karpatianer aus Gregoris Familie viel zu mächtig, um unentdeckt zu bleiben? Wenn die Möglichkeit bestand, dass einer von Gregoris Angehörigen noch lebte, hätten die anderen Karpatianer nicht längst davon erfahren? Julian selbst war auf seinen weiten Reisen nie einem Karpatianer begegnet, den er nicht gekannt hatte. Sicher gab es Gerüchte, dass vielleicht irgendwo andere Karpatianer lebten, unentdeckt von ihrem eigenen Volk, doch Julian hatte nie einen von ihnen gefunden.

Er verdrängte den Gedanken für den Augenblick und sandte einen Lockruf aus, um keine Kraft an die Jagd verschwenden zu müssen. Er wartete unter einem Baum, bis der Wind die Geräusche von vier Sterblichen an sein Ohr trug. Julian nahm ihre Witterung auf. Teenager. Junge Männer. Sie hatten Alkohol getrunken. Julian seufzte. Die jungen Sterblichen schienen nur zwei Freizeitvergnügen zu kennen – Alkohol und Drogen.

Während die jungen Männer blindlings durch den Wald stolperten, belauschte Julian ihr Gespräch. Keiner der Jungen hatte die Erlaubnis seiner Eltern für diesen kleinen Campingausflug. Julian lächelte spöttisch. So, so, die jungen Herren glaubten also, dass es ein großer Spaß sei, Menschen zu hintergehen, die sie liebten und ihnen vertrauten. Die menschliche Rasse unterschied sich doch sehr von den Karpatianern. Obwohl karpatianische Männer die Eigenschaften von Raubtieren in sich trugen, würde sich jedoch keiner von ihnen je an einer Frau oder einem Kind vergreifen oder diejenigen hintergehen, die ihm Liebe und Vertrauen entgegenbrachten.

Er wartete. Der Blick seiner golden funkelnden Augen durchdrang die Dunkelheit ohne Mühe. Und doch kehrten Julians Gedanken immer wieder zu seiner Gefährtin zurück. Jeder karpatianische Mann wusste, dass er nur eine verschwindend geringe Chance hatte, seine Gefährtin zu finden. Das karpatianische Volk war von Vampiren und den sterblichen Vampirjägern des Mittelalters stark dezimiert worden, von den Türkenkriegen und Kreuzzügen ganz zu schweigen. Außerdem war es schon seit vielen Jahren keiner karpatianischen Frau mehr vergönnt gewesen, eine Tochter zur Welt zu bringen. Von den wenigen Neugeborenen des karpatianischen Volkes starben fast alle, ehe sie ihr erstes Lebensjahr vollendet hatten. Niemandem, nicht einmal Gregori, dem größten Heiler der Karpatianer, oder Mikhail, ihrem Prinzen und Anführer, war es bisher gelungen, eine Lösung für diese schrecklichen Probleme zu finden.

In der Vergangenheit hatte man versucht, sterbliche Frauen zu Karpatianerinnen zu machen. Doch die Frauen waren oft entweder gestorben oder hatten sich in wahnsinnige Vampirinnen verwandelt, die sich vom Blut sterblicher Kinder ernährten und ihre Opfer immer töteten. Man hatte diese Frauen vernichten müssen, um die menschliche Rasse vor ihnen zu beschützen.

Doch dann hatten Mikhail und Gregori eine sehr kleine Gruppe sterblicher Frauen entdeckt, die über wahre übersinnliche Fähigkeiten verfügten und die Umwandlung überlebten. Diese Frauen konnten durch dreimaligen Blutaustausch zu Karpatianerinnen gemacht werden, und sie verfügten über die Fähigkeit, Mädchen zur Welt zu bringen. Mikhail hatte so seine Gefährtin gefunden, und seine Tochter Savannah war als Gregoris Gefährtin geboren worden. Endlich gab es neue Hoffnung für die karpatianischen Männer. Doch obwohl Julian durch die ganze Welt gereist war, hatte er niemals eine Frau gefunden, die über diese seltenen Fähigkeiten verfügte.

Schon vor langer Zeit hatte Julian die Hoffnung aufgegeben, selbst als sein eigener Zwillingsbruder seine Gefährtin gefunden hatte. Julian wusste, dass er die Welt mit den Augen eines Zynikers sah und dass seine dunkle Seite, die untrennbar mit dem Vampir verbunden war, sich wie ein finsterer Schatten über seine Seele legte. Er hatte diese Tatsache akzeptiert, wie er alle Dinge der Welt akzeptierte, die sich in ewigem Wandel befand. Er akzeptierte die Sünden seiner Jugend und die Tatsache, dass er sich von seinem Volk abgesondert hatte. Er gehörte dem Himmel und der Erde, war ein Teil von ihnen geworden. Und als seine Seele gedroht hatte, der Finsternis anheim zu fallen, hatte er auch das akzeptiert. Julian wusste um seine innere Stärke. Er hatte den Sonnenaufgang suchen wollen, ehe er sich in ein seelenloses Ungeheuer verwandelte. Lange Zeit hatte er ohne Hoffnung gelebt, ohne einen Sinn in seiner Existenz zu sehen.

Doch jetzt hatte sich alles verändert. In einem einzigen Augenblick, einem Herzschlag. Seine Gefährtin wartete dort draußen auf ihn. Doch sie war verwundet und wurde gejagt. Wenigstens wurde sie von einem fähigen Bodyguard bewacht, und ihre Raubkatzen beschützten sie ebenfalls. Und doch konnte Julian den Gedanken nicht abschütteln, dass der große schwarze Panter mehr verbarg, als es den Anschein hatte. Und dann waren da noch die Attentäter, die offenbar nicht von einem Sterblichen umgebracht worden waren, sondern nach der Art eines karpatianischen Jägers. Falls es tatsächlich noch einen anderen Karpatianer geben sollte, von dem Julian nichts wusste, wollte er ihn auf keinen Fall in der Nähe seiner Gefährtin wissen.

Die Teenager kamen näher, und ihre Stimmen hallten laut durch die Dunkelheit. Einer von ihnen hatte viel zu viel getrunken und stolperte immer wieder. Die Jungen lachten ausgelassen, während zwei golden glühende Augen ihren Weg durch die Dunkelheit verfolgten. Langsam trat Julian aus den Bäumen hervor, das Gesicht in den Schatten der Nacht verborgen. »Ihr habt wohl heute Abend viel Spaß«, bemerkte er.

Die Jungen blieben abrupt stehen. Sie konnten Julian in der Dunkelheit nicht ausmachen, und ihnen wurde plötzlich klar, dass sie sich irgendwo mitten im Wald befanden, weit entfernt von ihrem Zeltplatz, ohne zu wissen, wie sie den Weg zurück finden sollten. Sie blickten einander ängstlich an. Julian hörte das laute Hämmern ihrer Herzen.

Als er aus den Schatten trat, standen die Jungen wie angewurzelt da. »Hat euch denn niemand gesagt, dass es gefährlich ist, nachts durch den Wald zu wandern?« In seiner schönen Stimme lag ein drohender Unterton, und er übertrieb seinen fremdartigen Akzent, um die Jungen noch mehr zu erschrecken.

»Wer sind Sie?«, stieß einer von ihnen mühsam hervor. Die gefährliche Situation schien die Jungen sehr schnell wieder nüchtern zu machen.

Julians Raubtierinstinkte, die immer dicht unter der Oberfläche lauerten, drängten ihn mit aller Macht zur Tat. Er sehnte sich nach seiner Gefährtin; er brauchte ihre Gegenwart in seiner Seele, um das Raubtier zu besänftigen, und ihr Blut in seinen Adern, damit er endlich die Finsternis hinter sich lassen und ins Licht gehen konnte.

Einer der Jungen schrie auf, ein anderer stöhnte, doch Julian beschwichtigte sie mit einem Wink. Er wollte sie nicht zu Tode erschrecken, nur genug, dass sie sich an diese Nacht erinnern und ihr Verhalten ändern würden. Von ihren Gedanken Besitz zu ergreifen, stellte keine Schwierigkeit dar. Julian löschte ihre Erinnerungen an den Vorfall und trat dann auf sie zu, um sich zu nähren. Er brauchte viel Blut und war dankbar dafür, dass er gleich mehrere Jungen gefunden hatte, damit er keinen von ihnen zu sehr schwächen musste. Jedem der Teenager gab er etwas unterschiedliche Erinnerungen ein, damit sie einander verwirren würden. Mit einem kleinen Lächeln gab Julian schließlich jedem der vier Jungen den telepathischen Befehl, immer mit der Wahrheit herauszuplatzen, wenn er in Versuchung geriet, seine Eltern zu belügen.

Dann verschmolz Julian wieder mit den Schatten der Nacht und entließ die Jugendlichen aus dem Trancezustand, der sie in seinem Bann gehalten hatte. Er beobachtete, wie sie erwachten, alle am Boden sitzend oder liegend. Sie waren verwirrt und hatten Angst, denn jeder von ihnen erinnerte sich an einen Angriff aus dem Wald, dem sie nur knapp entkommen waren. Doch ihre Erinnerungen unterschieden sich. Die vier Jungen stritten kurz und halbherzig miteinander, denn eigentlich wollten sie nur so schnell wie möglich nach Hause.

Julian sorgte dafür, dass sie ihren Zeltplatz ohne Schwierigkeiten fanden. Als sich die Jungen ums Lagerfeuer kauerten, imitierte er das Jagdgeheul eines Wolfsrudels. Lachend sah er zu, wie die Jungen panisch ihre Habseligkeiten ins Auto warfen und dann das Weite suchten.

Da er nun seine Wunden versorgt und seinen Hunger gestillt hatte, fühlte sich Julian viel besser und kehrte langsam zur Hütte zurück. Unter dem Holzfußboden befand sich ein kleiner Keller, in dessen Boden Julian nun eine tiefe Grube öffnete. Die kühle, heilende Erde schien nach ihm zu rufen.

Er glitt an seinen Ruheplatz und legte die Hände leicht auf seine Wunden, während er an Desari dachte. Sie war groß und schlank, mit zarter, weißer Haut. Ihr langes Haar war prachtvoll und fiel ihr in Locken und Wellen bis zu den Hüften, blauschwarz schimmernd wie das Gefieder eines Raben. Ihre Züge waren zart und von klassischer Schönheit, die Lippen voll und sinnlich. Selbst als sie bewusstlos gewesen war, hatte Julian sich fasziniert zu ihrem Mund hingezogen gefühlt. Er war perfekt.

Ein Lächeln lockerte seine harten, wie in Marmor gemeißelten Züge auf. Seine Gefährtin. Nach all den Jahrhunderten ohne Hoffnung. Womit hatte ausgerechnet er dieses Glück verdient? Julian kannte so viele Karpatianer, die alle Gesetze befolgten und sich an die Regeln hielten, und doch hatte ihm, der beinahe als Geächteter seines Volkes gelebt hatte, das Schicksal eine Gefährtin zugedacht.

Dreimal würde er den Blutaustausch vollziehen müssen, um seine sterbliche Gefährtin zu einer Karpatianerin zu machen. Und er würde sich erst davon überzeugen müssen, dass sie tatsächlich übersinnliche Fähigkeiten besaß. Dennoch konnte er sich der Aufregung nicht erwehren. Er hatte seine Gefährtin gefunden, die endlich sein Leben mit Schönheit und aufregenden Geheimnissen erfüllen würde. Unglücklicherweise würde sich für sie vieles ändern müssen. Sie konnte nicht mehr vor Publikum singen. Desari. Julian fiel ein, dass sie auch einen Spitznamen benutzte. Dara. Julian kannte dieses Wort, das dem antiken Persisch entstammte. Dara. Die vom Dunklen stammt.

Julians Herz raste, als ihm die Verbindung bewusst wurde. Sollte es sich etwa nur um einen Zufall handeln? Gregori wurde von den anderen Karpatianern oft als »der Dunkle«, bezeichnet, wie schon sein Vater vor ihm. Die Blutlinie war uralt und mächtig. Warum trug sie den Spitznamen Dara? Gab es eine Verbindung? Es musste einfach so sein. Doch wie?

Kopfschüttelnd verwarf Julian den Gedanken. Kein Karpatianer der Welt lebte völlig unentdeckt vor seinem Volk verborgen. Und einer Frau würde es erst recht nicht gelingen. Da karpatianische Frauen so selten geworden waren, wurden sie bewacht und beschützt. Der Vater vertraute seine Tochter schon in jungen Jahren ihrem Gefährten an, damit der Fortbestand des karpatianischen Volkes gesichert war. Anderenfalls würden alle anderen Karpatianer ebenfalls versuchen, um das Mädchen zu werben. Auf jeden Fall aber würde sie unter Mikhails persönlichem Schutz stehen.

Julian rätselte nicht weiter, sondern schloss die Augen und konzentrierte sich auf Desari. Dara. Normalerweise hätte es eines Blutaustausches bedurft, um die geistige Verbindung zu ihr aufnehmen zu können, doch Julian hatte in all den Jahrhunderten viel gelernt. Selbst für einen Karpatianer vollbrachte er erstaunliche Dinge. Er stellte sich Desari in allen Einzelheiten vor, bis er ihr Bild genau vor Augen hatte.

Dann sandte er seinen Willen in die Nacht hinaus, suchend, lockend, befehlend. Komm zu mir, cara mia, komm zu mir. Du gehörst zu mir. Kein anderer wird dir je genügen. Du willst nur mich an deiner Seite haben. Du brauchst mich. Spüre die Einsamkeit ohne mich.

Unaufhaltsam verfolgte Julian sein Ziel und verstärkte seinen Befehl. Finde mich. Du musst wissen, dass du zu mir gehörst. Du kannst die Berührung eines anderen nicht ertragen, cara mia. Du brauchst mich, um der schrecklichen Leere in deiner Seele zu entkommen. Ohne mich wirst du nicht mehr glücklich sein. Du musst mich finden.

Julian sandte den unwiderruflichen Befehl aus und konzentrierte sich ganz darauf, die telepathische Verbindung zu Desari zu finden. Er ließ nicht von seinem Vorhaben ab, ehe er sicher war, dass er sie erreicht hatte und seine Worte tief in ihre Seele eingedrungen waren.

Kapitel 2

Überall wimmelte es von Polizisten. Schwach und schwindlig setzte sich Desari vorsichtig auf. Sie fühlte sich irgendwie anders als sonst, als hätte sich etwas in ihrem Innern auf ewig gewandelt. In ihrer Seele herrschte eine eigenartige Leere, eine Sehnsucht, die sie dringend stillen musste. Nur – womit? Ihr Bruder und Bodyguard Darius hatte den Arm um sie gelegt, und der kühle Blick seiner dunklen Augen ruhte besorgt auf ihr. Blutflecke breiteten sich auf Desaris Kleid aus, und sie hatte Schmerzen.

»Sie haben auf mich geschossen.« Es war eine Feststellung.

»Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, dass ich die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt habe.« Darius sah blass und angespannt aus.

Desari strich ihm über die Wange. »Du musst dich nähren, Bruder. Du hast mir viel zu viel Blut gegeben.«

Darius schüttelte den Kopf und warf einen flüchtigen Blick auf die Polizisten. »Ich habe Barack und Dayan Blut gegeben. Sie wurden auch getroffen. Sechs Sterbliche haben versucht, dich zu töten, Desari.«

»Barack und Dayan? Geht es ihnen gut?«, erkundigte sich Desari besorgt und sah sich nach den anderen beiden Bandmitgliedern um. Sie war mit den zwei Männern aufgewachsen und liebte sie beinahe so sehr wie ihren Bruder.

Er nickte. »Sie ruhen jetzt in der Erde, das wird die Wundheilung beschleunigen. Ich hatte nicht genug Zeit, mich vernünftig um sie zu kümmern, habe sie aber versorgt, so gut ich konnte. Die Polizisten schwärmten in der Bar aus, und ich musste dafür sorgen, dass sie uns nicht sehen konnten. Allerdings sind wir in Schwierigkeiten. Nicht ich habe dir Blut gegeben, sondern ein anderer. Er war stark und mächtig.«

Alarmiert sah Desari ihren Bruder an. »Jemand anders hat mir Blut gegeben? Hast du dich da nicht vielleicht getäuscht?«

Darius schüttelte den Kopf. »Ich hätte nicht rechtzeitig bei dir sein können. Du warst schon bewusstlos und hattest keine Zeit mehr, wie die anderen deinen Herzschlag anzuhalten. Du hast viel Blut verloren. Ich habe dich hinterher untersucht, Desari. Du wärst an den Verletzungen gestorben. Er hat dir das Leben gerettet.«

Desari zog die Knie an und kuschelte sich enger an ihren Bruder. »Sein Blut fließt in mir?« Sie klang ängstlich und verloren.

Darius fluchte ausgiebig. Jahrhundertelang hatte er seine Familie beschützt. Desari, Syndil, Barack, Dayan und Savon. Sie waren noch nie anderen ihrer Art begegnet, sondern nur Vampiren, seelenlosen Untoten. Dieser Mann war als ein seltsamer kalter Wind an ihm vorbei in die Bar hineingeweht. Darius war beunruhigt gewesen, hatte die Anwesenheit des anderen gespürt, jedoch nicht den üblen Geruch des Bösen gewittert. Dennoch hätte er reagieren müssen, war aber von den sechs Sterblichen abgelenkt worden, die ihren brutalen Anschlag verübt hatten.

Warum war Desari plötzlich zur Zielscheibe für diese Gruppe geworden? Hatte sich seine kleine Familie irgendwie verraten? Darius wusste, dass es in früheren Zeiten immer wieder Ausbrüche einer Vampirhysterie unter den Sterblichen gegeben hatte, insbesondere in Europa. In den letzten fünfundsiebzig Jahren hatte man einer Geheimorganisation von Vampirjägern eine Reihe blutiger Morde in Europa zugeschrieben.

Darius hatte seine Familie stets von diesem Kontinent fern gehalten, um sie weder den mordlustigen Sterblichen noch den Umtrieben der Vampire auszusetzen. Es gab genügend Orte auf der Welt, an denen sie leben konnten, ohne auch nur in die Nähe von Europa zu geraten. Seine Erinnerungen an die Heimat waren verschwommen und schrecklich. Plünderer, die Frauen und Kindern bei lebendigem Leibe verbrannten. Enthauptungen, Scheiterhaufen, Folter und Verstümmelungen. Wenn es überhaupt Überlebende seines Volkes gegeben hatte, so waren sie sicher längst zu Vampiren geworden. Und wenn noch andere Kinder dem Massaker entkommen waren, so blieben sie wohl lieber unentdeckt.

»Darius?« Desari klammerte sich an seinem Hemd fest. »Du hast mir keine Antwort gegeben. Werde ich mich verwandeln? Hat er mich zu einer Untoten gemacht?« Ihre schöne Stimme zitterte vor Furcht.

Tröstend legte Darius den Arm um sie. In seinen Zügen spiegelte sich grimmige Entschlossenheit. »Dir wird nichts geschehen, Desari. Das würde ich nie zulassen.«

»Können wir sein Blut nicht entfernen und es durch deines ersetzen?«

»Ich habe mich in deinen Körper versetzt, konnte aber keine Spur des Bösen finden. Ich weiß nicht, wer der Fremde ist, doch ich konnte ihn ebenso zeichnen wie er mich.« Er hob den Arm, den er an seine Seite gepresst hatte, und zeigte ihr seine blutige Handfläche.

Desari keuchte auf und kniete sich neben ihn. »Du musst deine eigenen Wunden heilen, Darius. Du hast schon zu viel Blut verloren. Kümmere dich um dein Wohlergehen.«

»Ich bin müde, Desari«, gab er leise zu.

Das Geständnis erschreckte sie. In all den Jahrhunderten, die sie miteinander verbracht hatten, konnte sie sich nicht daran erinnern, dass ihr Bruder je eine Schwäche gezeigt hätte. Unzählige Male war er in den Kampf gezogen und von wilden Tieren angegriffen worden. Sterbliche hatten ihn verwundet, und er hatte es mit den gefährlichsten Vampiren aufgenommen.

Desari ließ ihre Hand über seinen starken Rücken gleiten. »Du brauchst Blut, Darius, auf der Stelle. Wo ist Syndil?« Sie wusste, dass sie selbst viel zu geschwächt war, um ihrem Bruder zu helfen. Desari blickte sich in der chaotischen Bar um und bemerkte, dass Darius sie noch immer vor den Blicken der sterblichen Polizisten abschirmte. Er musste die Illusion schon geraume Zeit aufrechterhalten haben. Das allein zehrte seine Kräfte auf.

Mit zusammengebissenen Zähnen zog Desari ihn auf die Beine. »Wir müssen Syndil rufen, Darius. Offenbar hält sie sich tief in der Erde versteckt, da sie nichts von all der Aufregung gemerkt hat. Aber es ist an der Zeit, dass sie in die Welt der Lebenden zurückkehrt.«

Darius schüttelte den Kopf, stützte sich jedoch schwer auf seine Schwester. »Es ist noch zu früh, Desari. Sie ist zu traumatisiert.«

Syndil, wir schweben in großer Gefahr. Du musst unseren Ruf hören und zu uns kommen. Desari sandte die Botschaft an die Frau, die sie als ihre engste Freundin und als Schwester betrachtete. Sie litt mit Syndil und war besorgt um sie, doch Darius brauchte ihre Hilfe.

Sie waren sechs Kinder gewesen, die einander in einer Zeit des Krieges und der Grausamkeit gefunden hatten. Darius war sechs Jahre alt gewesen, Desari sechs Monate. Savon war vier, Dayan drei und Barack zwei Jahre alt gewesen. Syndil hatte gerade ihr erstes Lebensjahr vollendet. Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten sich aufeinander verlassen und darauf vertraut, dass Darius sie beschützen und ihr Überleben sichern würde.

Man hatte ihre Eltern gefunden, als die Sonne am höchsten gestanden hatte und sie schwach und wie gelähmt gewesen waren – wie alle anderen Karpatianer. Die Plünderer überfielen das Dorf und töteten alle Erwachsenen, auch die Karpatianer, die den Sterblichen helfen wollten. Die Kinder wurden in einem Schuppen zusammengetrieben, den die Barbaren dann anzündeten.

Darius sah eine Bauersfrau, der es gelang, sich unbemerkt davonzuschleichen. Da das Sonnenlicht karpatianischen Kindern nicht so sehr schadete wie den Erwachsenen, versteckte Darius die fünf jüngeren Kinder vor den Plünderern und wartete auf eine günstige Gelegenheit. Mit bloßer Willenskraft gelang es ihm, die Frau und die anderen Kinder von den Angreifern abzuschirmen, während er ihr gleichzeitig den innigen Wunsch einpflanzte, mit den Kindern zu fliehen. Ohne zu wissen, wen sie da bei sich hatte, führte die Frau sie durch die Berge zum Meer hinunter, wo ihr Geliebter mit einem Boot wartete. Obwohl sich die Kinder sehr vor dem Wasser fürchteten, stiegen sie ins Boot, denn im Dorf erwartete sie ein schlimmeres Schicksal, als von Seeungeheuern gefressen zu werden oder über den Rand der Erdscheibe zu segeln.

Die Kinder versteckten sich im Boot und verhielten sich ruhig. Der Mann, der das Boot steuerte, fürchtete sich vor dem Krieg und kannte keinen sicheren Hafen, also segelte er viel weiter hinaus als je zuvor. Das Boot wurde von heftigen Winden aufs offene Meer hinaus getrieben und dort von einem Orkan erfasst, der es zerschmetterte und die Menschen in den tosenden Wellen versinken ließ.

Wieder rettete Darius die anderen Kinder. Schon mit sechs Jahren verfügte er über erstaunliche Kräfte, die er aus dem uralten, mächtigen Blut seines Vaters zog. Er verwandelte sich in einen riesigen Raubvogel, hielt die anderen Kinder in seinen Klauen fest und brachte sie sicher an Land.