Magisches Feuer - Christine Feehan - E-Book
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Magisches Feuer E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Tauchen Sie ein in die faszinierende Welt der Leopardenmenschen!

Nach »Wilde Magie« legt die internationale Bestsellerautorin Christine Feehan ihr neues Meisterwerk vor und entführt ihre Leser in ein leidenschaftliches Abenteuer um die Gestaltwandler, die sich – halb Mensch, halb Tier – in gefährliche Raubtiere verwandeln können. Einer von ihnen, Jake, nach außen hin ein eiskalter Geschäftsmann, trifft in einem schicksalhaften Augenblick auf die schöne Emma. Scheinbar haben er und die einfühlsame junge Frau nichts gemeinsam – doch auch Emma hütet ein Geheimnis ...

Der Milliardär Jake Bannaconni hat eine schwere Kindheit hinter sich: Nachdem er die Erwartungen seiner grausamen Eltern, seine magischen Fähigkeiten zu nutzen, nicht erfüllen konnte, vereinsamte er zunehmend. Was seine Eltern jedoch nicht wissen – Jake verbirgt seine gestaltwandlerische Gabe bewusst vor ihnen. Mit seiner Volljährigkeit tritt er das Erbe seines Großvaters an und wird zu einem äußerst erfolgreichen, aber auch skrupellosen Geschäftsmann. Er hat sein Leben scheinbar im Griff, bis es zu einem dramatischen Autounfall kommt und er der schönen Emma begegnet. Er verfällt der jungen Witwe und öffnet zum ersten Mal in seinem Leben einer anderen Person sein Herz. Trotz ihrer ungleichen Beziehung entbrennt eine glühende Leidenschaft, die sowohl Emma als auch Jake vor eine schwere Wahl stellt.

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Inhaltsverzeichnis
DAS BUCH
DIE AUTORIN
Widmung
Kapitel 1 - Erste Erinnerungen
Zwei Jahre
Fünf Jahre
Sechs Jahre
Acht Jahre
Zehn Jahre
Dreizehn Jahre
Fünfzehn Jahre
Achtzehn Jahre
Neunzehn Jahre
Dreiundzwanzig Jahre
Fünfundzwanzig Jahre
Achtundzwanzig Jahre
Dreißig Jahre
Copyright
DAS BUCH
Der Milliardär Jake Bannaconni hat eine schwere Kindheit hinter sich: Als er die Erwartungen, die seine Eltern in ihn setzen, nicht erfüllen kann, wird er grausam behandelt und vereinsamt zunehmend. Was seine Eltern jedoch nicht wissen, Jake verbirgt seine magischen Fähigkeiten lediglich vor ihnen und ist durchaus in der Lage, seine Gestalt zu wandeln. Mit seiner Volljährigkeit tritt er das Erbe seines Urgroßvaters an und wird zu einem äußerst erfolgreichen, aber auch skrupellosen, eiskalten Geschäftsmann - bis er auf die geheimnisvolle Emma trifft. Die schöne junge Frau weckt in ihm einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, der ihn in seinem tiefsten Inneren berührt. Obwohl sie scheinbar nichts gemeinsam haben, entbrennt eine glühende Leidenschaft zwischen den beiden, die sowohl Jake als auch Emma vor eine schwierige Wahl stellt, denn auch Emma ist mehr, als sie zu sein scheint …
DIE LEOPARDENMENSCHEN-SAGA Erster Roman: Wilde Magie Zweiter Roman: Magisches Feuer Dritter Roman: Wildes Begehren
DIE AUTORIN
Christine Feehan ist in Kalifornien geboren, wo sie auch heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 zahlreiche Romane veröffentlicht, für die sie mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Mit über sieben Millionen verkauften Büchern weltweit zählt sie zu den erfolgreichsten Autorinnen der USA. Weitere Serien von Christine Feehan bei Heyne:
Der Bund der SchattengängerDie geheimnisvollen Drake-Schwestern
Mehr über Autorin und Werk unter: www.christinefeehan.com
Für Jack und Lisset,die wissen, was Liebe ist.
1
Erste Erinnerungen
Warm und behaglich fühlte sich seine Umgebung an. Und er war nicht allein. Er konnte den Anderen in sich leise und ermutigend knurren hören. Das Verlangen, frei zu sein, wieder zurückzukehren in jenes vielversprechende, unglaubliche Leben, dessen erster Zyklus bereits gelebt war. Dann kam das Drücken, das feste Schieben, und die Wände seines Kokons pressten sich an ihn und zogen sich wellenförmig zusammen, um ihn auszustoßen, ihn aus der Wärme seines Heims an die kalte Luft und das grelle Licht zu befördern. Augenblicklich stürmten Gerüche auf ihn ein. Er konnte sie nicht zuordnen, der Andere schon - Blut, Menschen, Krankenhaus. Der Andere erinnerte sich noch.
Dann spürte er Hände, die ihn schüttelten und ihn mit einer spitzen Nadel stachen. Da schlug er die Augen auf und betrachtete die neue Umgebung.
»Mein Gott, Ryan, er sieht aus wie eine gehäutete Ratte, wie hässlich! Er ist spindeldürr, der kann uns nichts nutzen.« Die Stimme klang ärgerlich, geradezu angewidert.
Die Worte verstand er - oder aber der Andere verstand sie -, jedenfalls wusste er instinktiv, dass die Frau über ihn sprach. Er sah aus wie eine Ratte. Und das war nicht gut, wenn man dieser Stimme glauben wollte.
»Leise, Cathy«, sagte eine andere Stimme besänftigend, »sonst hört dich noch jemand.«
»Ich will ihn nicht mit nach Hause nehmen.«
»Aber wir können ihn doch nicht hierlassen«, erwiderte die tiefere Stimme.
»Dann werf ich ihn unterwegs in einen Müllcontainer«, fauchte die Frau. »Mit diesem hässlichen Ding will ich nichts zu tun haben.«
»Mach dich nicht lächerlich, Cathy«, entgegnete Ryan. »Wir dürfen es nicht riskieren, erwischt zu werden. Wir nehmen ihn mit und stellen ein Kindermädchen ein, das sich um ihn kümmert. Du brauchst dich nicht mit ihm abzugeben.«
»Das ist deine Schuld. Daddy hat mich davor gewarnt, dich zu heiraten. Er meinte gleich, deine Gene wären nicht stark genug, damit einer von den Besonderen dabei herauskommt. Ich wollte nicht schwanger werden und so ein Monstrum in mir wachsen lassen, aber du hast ja darauf bestanden. Jetzt bist du dafür verantwortlich.«
»Einverstanden, ich nenne ihn Jake, nach deinem Großvater.« Ryans Stimme klang bösartig. »Für deinen Vater bin ich nie gut genug gewesen, es wird ihm nicht gefallen, wenn ich meinen Sprössling nach seinem Vater benenne statt nach ihm.«
»Nenn das verdammte Ding wie du willst, aber halt es von mir fern.«
Der Hass und der Ekel in der kalten Stimme jagten dem Neugeborenen - dem frisch getauften Jake Bannaconni - kalte Schauer über den Rücken, doch er weinte nicht.

Zwei Jahre

Der spitze Schuh traf ihn in den Magen, und er klappte zusammen. Er hätte schneller sein sollen, bei seinen Reflexen. Der Andere hatte ihn gewarnt, doch er hatte sich nach Wärme gesehnt und ihre Nähe gesucht. Schließlich war sie seine Mama. Die Mütter im Fernsehen und draußen auf dem Spielplatz nahmen ihre Kinder in die Arme, seine Mutter trat ihn und schrie nach Agnes.
»Befrei mich von diesem schrecklichen Balg, nimm diese hässliche kleine Ratte weg.« An einem Arm riss sie Jake in die Höhe und schlug mit ihren Pfennigabsätzen auf ihn ein, immer wieder, ins Gesicht, den Unterleib und auf die Beine, überallhin, wo sie auf dem zappelnden Jungen einen Treffer landen konnte. In ihrem hochmütigen Gesicht stand nichts als Wut und Hass.
Tief in Jakes Innerem rührte sich etwas Wildes, und seine Finger krümmten sich unwillkürlich, die Zehen genauso. Der Andere fauchte warnend: Nicht wehren. Lass dich schlagen. Zeig nicht, was du bist. Das will sie doch. Versteck es. Verrat dich nicht. Jake atmete tief ein und aus, um den auflodernden Zorn und den Juckreiz zu unterdrücken.
Im Fernsehen waren die Mütter nicht so. Aber für ihn gab es weder Kuscheln noch Umarmungen oder Küsse. Alles, was er von seiner Mutter erwarten konnte, waren Schläge und Tritte. Obwohl er auch sie manchmal im Fernsehen sah, auf Partys und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Dann war sie ganz anders, lächelte an Ryans Arm in die Kameras und tätschelte ihm die Wange, als ob sie ihn liebte. Doch hinter verschlossenen Türen waren beide Eltern grausam, gehässig und gemein. So lernte Jake mit der Zeit, Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden.

Fünf Jahre

»Wir können unmöglich eine Kinderfrau - oder egal, wie du sie nennen willst - behalten, die unseren Sohn windelweich prügelt. Sie hat sogar Zigaretten auf ihm ausgedrückt«, beschwerte sich Ryan. »Er hat Brandflecke auf den Händen. Früher oder später werden die Lehrer etwas merken und uns anzeigen.«
Jake verhielt sich mucksmäuschenstill. Die Kunst, ins Zimmer zu schleichen und unbemerkt zu lauschen, beherrschte er bereits. Das meiste, was besprochen wurde - Diskussionen über Geschäfte und Firmenübernahmen -, ging noch über seinen Kopf hinweg, doch worum sich alles drehte, verstand er bereits. Geld war das Wichtigste, Geld und Macht. Seine Eltern hatten beides, also musste er mehr davon haben. Denn es war nicht Agnes gewesen, die Zigaretten auf ihm ausgedrückt hatte, sondern Cathy. Auch ihre Liebhaber taten es manchmal, nur um ihr zu gefallen. Cathy brachte sie dazu, alles zu tun, was sie wollte, egal, wie grausam und erniedrigend es war. Jake kannte diese Männer vom Sehen - und vom Geruch -, und eines Tages würde er sie ruinieren. Geld und Macht. Das war es, was sie hatten, und was er brauchte.
»Wen interessiert denn das, Ryan«, sagte Cathy, genervt von der Unterhaltung.
»Irgendjemand entdeckt diese Brandwunden bestimmt, dann erfährt es ein Reporter, und schon sind wir auf der Titelseite.« Ryan drehte sich um, deutete mit dem Finger auf seine Frau und sagte mit harter Stimme: »Innerhalb eines vernünftigen Rahmens lasse ich dir deine Freiheiten, Cathy, aber ich werde nicht dulden, dass du uns mit deinen dummen, kleinen Spielchen in den Ruin treibst.«
Erbost drückte Cathy die Zigarette im Aschenbecher aus. »Ach ja?« Beide Augenbrauen schossen in die Höhe. Über ihr Gesicht glitt ein so hinterhältiges Grinsen, dass Jake ganz flau im Magen wurde. »Wenn wir es klug anstellen, sorgt das für die richtige Publicity, Ryan. Unser kleiner Junge geschlagen und misshandelt von einem geschätzten Mitglied des Haushalts; Tränen vor laufender Kamera, ich auf deinen Arm gestützt. Zusammen sind wir sehr fotogen. Wie unser Kind im Krankenhaus liegt, so zerbrechlich, in Großaufnahme. Davon könnten wir lange zehren. Vielleicht organisiere ich eine Wohltätigkeitsveranstaltung für missbrauchte Kinder. Das würde uns neue Wege eröffnen und eine wunderbare Presse bescheren.«
»Außerdem wird Agnes dann angeklagt und ins Gefängnis gesteckt. Sie weiß zu viel über uns.«
»Sei doch nicht blöd. Wenn wir das machen, muss Agnes verschwinden.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein, Cathy.«
Cathy verdrehte die Augen. »Was für ein erbärmlicher Feigling du bist, Ryan. Glaubst du etwa, ich würde zulassen, dass sie mit der Polizei redet? Oder mit der Presse? Also wirklich.«
Betont langsam wandte Ryan den Kopf, etwas Wildes lag in seinem Blick, ungezähmt, wie bei einem Raubtier. Cathy erschrak und schlug die Augen nieder. »Aber meine Liebe, vielleicht brauchst du trotz unseres schönen Arrangements noch eine Lektion, was den Respekt vor deinem Ehemann anbelangt.«
Jakes Herz begann, laut zu klopfen. Seinen Vater hatte er noch nie als gefährlich eingestuft, doch dieser Blick, diese kleine Bewegung, kaum mehr als ein Anspannen der Muskeln, bewies, dass Ryan hinter seiner augenscheinlichen Gleichgültigkeit ebenso gefährlich war wie Cathy, wenn nicht gefährlicher. Seine Maske war gefallen.
Cathy fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Nein, nein, bestimmt nicht, Liebling. Tut mir leid.«
Sie war tatsächlich eingeschüchtert. Jake in seinem Versteck merkte, wie der Geruch ihrer Angst sich im ganzen Zimmer ausbreitete.
Ryan beruhigte sich und zwang sich zu einem Lächeln, doch seine Augen blieben hart und kalt. »Und wie willst du unseren Sohn davon abhalten zu reden?«
Cathy entspannte sich merklich, und Jake konnte selbst im Verborgenen die Wucht des Bösen spüren. »Er wird nichts sagen. Dafür kann ich garantieren. Ich muss das nur sorgfältig planen. Wir brauchen ein paar Warnzeichen, etwas, womit wir belegen können, dass wir besorgt waren und mit den Ärzten gesprochen haben, aber was keiner nachweisen kann.« Sie rieb sich die Hände »Das wird gut, Ryan. Vielleicht ist diese magere kleine Ratte am Ende doch noch zu etwas nütze.«
Sein Instinkt sagte Jake, dass er in Schwierigkeiten steckte. Er hatte den Entschluss gefasst zu überleben und sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Er konnte es schaffen, der Stärkere zu sein. Schließlich wusste er aus erster Hand, wie man das anstellte. Er musste nur cleverer, schneller und gnadenloser sein als beide zusammen. Noch war er nicht imstande, sie aufzuhalten, aber er konnte ausharren, und auch das machte ihn stark.
Jake öffnete seine Hand und betrachtete die Brandwunden. Er hatte es zugelassen, dass Cathy und ihr Freund ihre Zigaretten auf ihm ausdrückten. Er hätte fortlaufen können, doch so dumm war er nicht. Er durfte das nicht vergessen, dieser Moment sollte ihn stets daran erinnern, dass er intelligenter war und sie schlagen würde. Unten in seinem Zimmer, sobald er sicher sein konnte, dass er allein war, nahm er ein Messer und zog es sich langsam über den Oberschenkel, fügte sich die erste von vielen Narben zu, um sich zu beweisen, dass er sich freiwillig ihrer Strafe aussetzte und sie ihnen erlaubte.

Sechs Jahre

Hilflos musste Jake mit ansehen, wie Cathy und Ryan Agnes umbrachten. Es machte ihnen richtig Spaß. Und sie quälten sie lange, ehe sie sie töteten. Jake war gefesselt und gezwungen zuzuschauen, wie seine Eltern die Frau, die ihn aufgezogen hatte, systematisch zu Tode prügelten. Auch wenn Agnes manchmal ungerecht oder gleichgültig gewesen war, wenigstens hatte sie sich um ihn gekümmert. Was als Nächstes kommen würde, wusste Jake, denn Cathy hatte ihm erzählt, was sie mit ihm vorhatte. Und sie hatte dabei gelächelt.
Nachdem seine Eltern aufgehört hatten, ihn zu schlagen, lag Jake zwei Wochen im Krankenhaus und sagte kein Wort zu den Anschuldigungen, die gegen sein ehemaliges Kindermädchen erhoben wurden. Cathy und Ryan hatten behauptet, Agnes sei spurlos verschwunden, nachdem sie ihn verprügelt habe.
Die Polizei versuchte ihn zu verhören, doch Jake war gebrochen - nicht allein seine Knochen, sondern eine Zeit lang auch sein Geist. Er konnte nur noch im Bett liegen, wehrlos, von Schmerzen gepeinigt. Die Grausamkeit richtete ihn zugrunde, und so blieb er absolut stumm, denn er wusste, dass sie ihn umbringen würden, sobald er den Mund aufmachte. Er war noch nicht stark genug. Er musste härter werden und besser aufpassen. Es gab noch viel zu lernen, und während er im Bett so dalag und seine Rippen und Arme heilten, hatte er reichlich Zeit, einen Plan zu fassen.
Reporter kamen und gingen. Ärzte und Schwestern hatten Mitleid mit Cathy, die im Arm ihres gut aussehenden, liebevollen Gatten in aller Öffentlichkeit und vor laufenden Kameras so leise und wunderschön weinte. Sie ging ganz in ihrer Rolle auf und überschüttete ihren apathischen Sohn mit Aufmerksamkeiten, wobei Reichtum und Berühmtheit ihr die beste Sendezeit sicherten. Sie wusste aus allem einen Vorteil zu ziehen, übernahm die Leitung von allen möglichen Wohltätigkeitsveranstaltungen und Vereinen, solange sie nur Schlagzeilen und Fernsehauftritte garantierten. Alle glaubten ihr, nicht etwa wegen der Narben auf Jakes Körper, sondern weil sie Geld hatte und aufgrund ihrer schauspielerischen Begabung. Selbst Jake musste zugeben, dass sie faszinierend war. Cathy konnte beinahe jedem ihren Willen aufzwingen. Nun, da er wusste, mit welchen Kalibern er es zu tun hatte, musste er sich genau diese Fähigkeiten unbedingt aneignen.

Acht Jahre

Cathy war nervös und verärgert. Schon wieder hatte ihr Großvater, Jake Fenton, seinen Besuch angekündigt. Dann bestand er jedes Mal darauf, allein mit Jake zu reden, was Cathy gar nicht behagte. Sie hasste ihren Großvater, und manchmal redete sie sogar davon, ihn umbringen zu lassen, doch gleichzeitig hatte sie Angst vor ihm. Den Grund dafür kannte der kleine Jake nicht. Fenton lebte recht weit entfernt in Texas, doch wenn er zu Besuch kam, wurde Jake herausgeputzt, und Cathy verhielt sich ganz anders als sonst, so als ob sie sich um ihn sorgte.
Ständig zischte sie ihrem Sohn Anweisungen zu und erinnerte ihn daran, sich zu benehmen, den Mund zu halten und ja keine Fragen zu beantworten, wenn es um Cathy und Ryan, oder ihr Privatleben ging. Falls er es wagen sollte, ungehorsam zu sein, drohte sie ihm mit furchtbaren Strafen. Jake fand diese ganze Sache mit seinem Urgroßvater höchst interessant. Womit mochte der alte Mann seiner Mutter wohl Angst einjagen? Und was wollte sie von ihm, dass sie sich so große Mühe gab, nett und respektabel zu wirken?
Zumal Fenton ihr die Lügen gar nicht abkaufte. Er lächelte zwar und war freundlich zu Cathy und Ryan, doch Jake spürte die Unehrlichkeit zwischen den dreien und sah die Verachtung im durchdringenden Blick des alten Mannes. Fenton ließ es sich nicht nehmen, allein mit seinen Urenkel zu reden, und Jake genoss die langen Gespräche, obwohl er nachher stets die Hölle durchmachte. Cathy und Ryan bearbeiteten ihn mit der Peitsche, um ihm jedes Wort der Unterhaltung zu entlocken. So wurde Jake sehr geschickt darin, Geschichten zu erfinden und ihnen dabei ungerührt in die Augen zu sehen. Danach ging er in sein Zimmer und ritzte seinen Sieg für alle Zeiten in die Haut, so dass der Schmerz den aufbrausenden Zorn vertrieb und durch kalte Entschlossenheit ersetzte.

Zehn Jahre

Bücher. Die riesige Bibliothek in seinem Elternhaus, die sonst kaum jemand betrat, war ein unermesslicher Schatz. Jake verbrachte einen Großteil seiner Zeit an diesem ruhigen, von seinen Eltern gemiedenen Zufluchtsort. Er las jedes Buch in den Regalen, egal, worüber; sein fotografisches Gedächtnis saugte jeden Fetzen Wissen auf und archivierte ihn zur späteren Nutzung.
Außerdem lernte er, sich ruhig im Hintergrund zu halten. Oft entwischte er Bridget, dem neuesten Kindermädchen und schlich unbemerkt durchs Haus, lokalisierte alle Bewohner und pirschte sich an, bis er nahe genug war, um sie zu berühren, aber er verriet sich nie.
So gelangte er an Insiderinformationen über Aktien. Ryan war hochintelligent und sehr geschickt darin, die Schwächen anderer zu erkennen. Jake lernte viel, indem er ihn heimlich beobachtete. Wie er mit der Zeit begriff, signalisierte jenes kleine Lächeln, das andere für ehrlich hielten, dass Ryan kurz davor war zuzuschlagen, und zwar erbarmungslos. Da er einer einflussreichen Familie mit hervorragenden Beziehungen zur Finanzwelt entstammte, wusste Ryan die verschiedenen Familiengeschäfte zu führen und seine politischen Beziehungen einzusetzen, was Jake wertvolle Erkenntnisse brachte. Und das, was er von Urgroßvater Fenton über Aktien, Anleihen und die Wirtschaftsbücher in der Bibliothek erfuhr, half ihm, die Informationen, die er beim Spionieren aufgeschnappt hatte, zu verstehen und richtig einzuordnen.
Als er wieder einmal durchs Haus geisterte, ertappte er Cathy und ihren persönlichen Trainer im Fitness-Raum. Meist übten die beiden sich mehr aneinander als an den Geräten. In diesem Zimmer lernte Jake ebenfalls viel; danach verfolgte er das Thema mithilfe der Bücher in der Bibliothek und der Informationen aus dem Computer. Sex war wie Geld, nichts als eine Waffe, die man einsetzen musste, um Macht zu gewinnen. Er beschloss, alles über Sex zu lernen, damit er ein richtig guter Liebhaber wurde. Denn es machte keinen Sinn, eine Waffe zu besitzen, wenn man sie nicht effektiv nutzen konnte.
Dann begann Jake zu trainieren, die kräftigen Muskeln seiner dünnen Arme und Beine auszubilden. Er benutzte jedes Gerät, studierte Bedienungsanleitungen und Videobänder und folgte den Instruktionen, achtete aber stets darauf, nicht erwischt zu werden. Jeden Tag pirschte er durchs Haus und lernte, lauschte, las … immer mehr und mehr. Und jede Information wurde gespeichert - zu einem einzigen Zweck.
Eines Tages, wenn die Zeit gekommen war, wollte er seine Eltern mit ihren eigenen Waffen schlagen. Er würde ihnen eine Firma nach der anderen abjagen, sie finanziell ruinieren und sie der Welt als das, was sie waren, präsentieren. Er würde ihnen unmissverständlich klarmachen, dass der Junge, den sie so oft geschlagen und für ein Opfer gehalten hatten, eigentlich der Stärkere war - er war das wahre Alphatier.

Dreizehn Jahre

Jake stand ganz still, als Josiah Trent, der beste Freund seiner Eltern und früher auch ihr Geschäftspartner, um ihn herumging und tief Luft holte. Der Andere reagierte, kam weit aus seinem Innern dichter denn je an die Oberfläche und verlangte wutschnaubend nach Freiheit. Jakes Haut prickelte. Seine Muskeln spannten sich. Kiefer und Gaumen wurden zu eng, so als gäbe es nicht genug Platz für die Zähne, doch er hielt grimmig aus und zwang den Anderen zur Ruhe.
Jakes Verstand war mittlerweile ausgereift und geschult, instinktiv erfasste er, dass er nie in größerer Gefahr geschwebt hatte. Trent suchte nach dem Tier in ihm. Dieser Mann mit den scharfen Augen und der breiten Nase sollte den Anderen aufspüren. Cathys Atem ging stoßweise vor Erwartung, förmlich erregt beobachtete sie, wie Trent den Jungen umkreiste.
Jake hatte einen Fehler zu viel gemacht, war zu schnell und zu hoch gesprungen und hatte seine wachsenden Fähigkeiten gezeigt, statt sie hinter der Fassade des schwachen, nutzlosen Bücherwurms zu verstecken, den seine Mutter in ihm sah. Er hatte gewusst, dass er niemals Verdacht erregen durfte, doch nun war ihm ein Schnitzer unterlaufen, und sie hatten Trent geholt, in der Hoffnung, dass ihr Sohn am Ende doch das war, wozu sie ihn zur Welt gebracht hatten. Aber Jake wollte lieber sterben, als dass sie die Wahrheit erfahren sollten. Er konnte nicht zulassen, dass sie gewinnen.
Also biss er die schmerzenden Zähne zusammen und wappnete sich für die unangenehme Untersuchung durch Trent. Der Mann war ein Riese mit mächtigen Muskeln und funkelnden Augen, die alle anderen musterten, als stünden sie weit unter ihm, insbesondere Jake. Schließlich gab Trent ein verächtliches Schnauben von sich.
»Nutzlos«, erklärte er. »Er ist nutzlos, Cathy. Ich hatte dir ja davon abgeraten, mit diesem saftlosen Wunderknaben, den du geheiratet hast, ein Kind zu zeugen.«
»Er hat Geld, Verbindungen und die richtige Abstammung«, zischte Cathy. »Du hast auch nicht mehr zu bieten. Jedenfalls scheint deine Tochter keine besonderen Talente zu besitzen.«
»Trotzdem ist sie besser als dieser widerwärtige kleine Zwerg«, blaffte Trent und stieß Jake zur Seite. »Zumindest kann sie irgendwann einmal Nachwuchs produzieren. Ich werde schon den richtigen Mann für sie finden.«
Jake erlaubte es sich zu stolpern, denn er war nahe daran, in wilden Triumph auszubrechen. Josiah Trent hatte ihn ausgemustert, ohne den Anderen, der so dicht unter der Oberfläche tobte, zu entdecken. Trent war nicht halb so scharfsinnig, wie seine Eltern vermuteten. Zwar gehörte er zu der anderen Familie mit der »überlegenen« Blutlinie, doch die Wahrheit witterte er ebenso wenig wie Cathy und Ryan, obwohl sie mit ihrem Sohn unter einem Dach lebten. Das war eine wichtige Lektion. Trent war ein Hochstapler, der mit seinem arroganten Gebaren sogar die beiden Menschen täuschte, die Jake für äußerst gewieft hielt.
»Wir brauchen einen Gestaltwandler«, sagte Trent. »Einen echten Shapeshifter, der den richtige Riecher fürs Geschäft hat, nicht so einen Schlappschwanz, dem alle auf der Nase herumtanzen.«
Einen Gestaltwandler. Endlich wusste Jake, worauf sie aus waren. Er musste die Bedeutung des Wortes nachschlagen, und gerade wenn sie so viel Wert darauf legten, musste er aufpassen, ihnen keinen Hinweis zu liefern, dass er solch ein Gestaltwandler war - wenn das wirklich der Fall sein sollte. Er würde jede Stunde in der Bibliothek dazu nutzen, den Begriff zu klären, bis er genau wusste, worum es ging. Er wollte alles über den Anderen und seine Fähigkeiten in Erfahrung bringen, um herauszufinden, warum er ihnen so wichtig war.
Cathy ließ die Hand aufreizend über Trents Arm gleiten. »Vielleicht hätten wir es miteinander versuchen sollen«, säuselte sie einladend.
Trent musterte sie nur mit verächtlichem Blick und verzog angewidert den Mund. »Nicht, wenn du nichts Besseres zustande bringst.« Dann drehte er sich abrupt um und stolzierte aus dem Zimmer.
Wütend, dass Jake Zeuge ihrer Demütigung geworden war, und aufs Neue erzürnt darüber, dass er nicht die gewünschten Fähigkeiten besaß, stürzte Cathy sich auf ihn, um ihn mit der flachen Hand ins Gesicht zu schlagen. Unwillkürlich wich Jake aus und sofort verfinsterte sich Cathys Gesichtsausdruck. Ihr Hass war so groß, dass Jake ihn riechen konnte. Der Gestank drang ihr aus allen Poren und mischte sich mit dem widerlich süßen Duft ihres Parfüms. Er war so rasch ausgewichen, dass sie ihn verfehlt hatte, seine Reflexe waren zu schnell. Meist ertrug er ihre Attacken mit stoischer Ruhe, aber manchmal verriet er sich eben doch.
Jake wusste genau, dass er sie durch sein promptes Wegducken noch mehr gereizt hatte. Tief in ihm erhob sich der Andere, fuhr die Krallen aus und drängte nach außen, obwohl ihnen beiden klar war, dass er versteckt bleiben musste. Der Andere bedeutete für Cathy den Sonderpreis, auf den sie Zeit ihres Lebens aus war. Sollte sie herausfinden, was in ihm steckte, würde sie ihn wegsperren, ohne jede Möglichkeit zur Flucht, da war sich Jake sicher. Also unterdrückte er das Tier, stellte sich Cathys Zorn und ihrer Bestrafung, und tat, als sei er schwach und ängstlich, um seinen Plan nicht zu gefährden. Es würde ja nicht mehr lang dauern, dann konnte er ihn erfolgreich in die Tat umsetzen. Nur noch ein paar Jahre und viele, viele Bücher, dann würde er sich befreien.
»Was hat er gesagt, Cathy?« Ryan trat leise ins Zimmer, und Jakes Herz begann zu klopfen. Sein Vater hatte das kleine, angedeutete Lächeln aufgesetzt, das Jake fürchten gelernt hatte.
»Dieser Zwerg hat es gewagt, mir den Respekt zu verweigern«, fauchte Cathy. »Er ist nutzlos, in jeder Hinsicht, Ryan.«
Zur Strafe wurde Jake in sein Zimmer im Keller verfrachtet, an einen Pfosten gebunden und zunächst von Ryan gezüchtigt. Dann kam der dicke Stock: Cathy löste ihren Mann ab und prügelte wutentbrannt auf ihn ein. Der Andere fauchte und kämpfte um die Vorherrschaft, so dass Jake an dem unterdrückten Knurren in seiner Kehle fast erstickt wäre. Der Juckreiz, der ihn quälte, war schwerer zu ertragen, als der stechende Schmerz an Rücken und Beinen.
»Genug«, erklärte Ryan schließlich, »sonst bringst du ihn noch um, und diesmal können wir es nicht auf Agnes schieben.«
Nach einem letzten brutalen Schlag ließ Cathy den Stock fallen und rauschte vor ihrem Mann aus dem Zimmer. Jake blieb zusammengesackt und keuchend zurück, kaum mehr in der Lage, das aufbegehrende Tier länger unter Kontrolle zu halten. Er ließ die gefesselten Hände am Pfosten hinabgleiten und schaffte es, ein Messer aus seinem Schuh zu ziehen und die Handfesseln zu durchtrennen, dann ritzte er eine tiefe Scharte in den Oberschenkel. Er hatte ihnen erlaubt, ihn zu schlagen. Er hatte diese Entscheidung getroffen, nicht sie. Er war größer, stärker und intelligenter, er hatte nur beschlossen, es zu verbergen. Schluchzend drückte er das Gesicht in die Matratze und versuchte verzweifelt, trotz des Schmerzes zu atmen.
Seine Muskeln verzerrten sich. Das Jucken wurde immer stärker, denn seine Haut schien ein Eigenleben zu entwickeln. Er spürte stechende Schmerzen in den Fingern und die Knöchel verhärteten sich. Jake betrachtete seine Hände und sah, dass sich auf den Handrücken dicke, schmerzhafte Knoten bildeten. Die Fingerkuppen brannten. Dann verkrümmte sich sein Körper, und er ging zu Boden. Auf allen vieren fand er sich wieder, mit gesenktem Kopf und schmerzenden Kiefern. Die Muskeln zogen sich zusammen, verkrampften und verdrehten sich weiter. Sein Gesicht fühlte sich seltsam an, die Kiefern wuchsen, und Zähne brachen durch den Gaumen.
Ein weiteres Schluchzen entschlüpfte ihm, doch es klang eher wie ein raues Knurren. Gelbbraunes Fell platzte aus seiner Haut, und an Rücken und Beinen erschienen dunklere Rosetten. Unter dem Pelz zuckten mächtige Muskelstränge, während der Schädel größer und breiter wurde. Seine wilde Natur setzte sich durch, und Jake ließ es geschehen, hieß sie sogar willkommen, er fürchtete sich nicht mehr. Er akzeptierte seine andere Hälfte und öffnete sich, so dass der Andere vollständig seinen Platz einnehmen konnte.
Jake hatte gedacht, er würde dabei verdrängt werden, doch dann stellte er fest, dass er weder Mensch noch Tier war, sondern ein ganz eigenes Wesen mit den Eigenschaften beider Hälften und der Fähigkeit, gleichzeitig den Verstand des Menschen und die Sinne des Leoparden zu nutzen. Stahlharte Muskelstränge durchzogen seinen Körper, und er streckte sich. Die Wirbelsäule knackte und krachte, wurde dann jedoch geschmeidig. Erst die Schläge und dann die Verwandlung - er fühlte sich am ganzen Körper wund, doch die Stärke, die ihn durchströmte, machte jede Sekunde Qual wieder wett.
Der Leopard hob witternd den Kopf. Er konnte Stimmen flüstern hören und roch Blut und Bosheit. In dieser Sekunde erkannte er, dass er zehnmal gefährlicher war, als die beiden dort oben - dass er zu töten imstande war und dass die zwei, ohne zu wissen, was sie mit ihrem Hass und ihrer Grausamkeit anrichteten, ein Ungeheuer herangezogen hatten.
Jake griff nach der Matratze und schlitzte sie mit seinen messerscharfen Krallen der Länge nach auf. Dann verwandelte er sich zurück und fiel nackt zu Boden, gekrümmt vor Schmerz und heiße Tränen im Gesicht. Er weinte um den kleinen Jungen, der aus ihm hätte werden können, wenn er die Chance gehabt hätte.

Fünfzehn Jahre

»Schön, dich zu sehen, Jake«, sagte Jake Fenton und streckte die Hand aus.
Sein Lächeln war ehrlich. Jakes Urgroßvater freute sich wirklich, ihn zu sehen. Lügen hatten einen bestimmten Geruch, den der Junge mittlerweile erkannte. Fenton hatte ein falsches Lächeln für Cathy und Ryan, doch sein Interesse, wenn er sich mit dem jungen Jake unterhielt, war echt. Jake mochte den alten Herrn aufrichtig, und in gewisser Weise erschreckte ihn das. Sein Urgroßvater war der einzige Mensch, der nett zu ihm war und überhaupt etwas für ihn übrighatte. Doch der Hauch des Todes umfing ihn bereits. Jake wollte sich nicht um Fenton sorgen, denn er traute Gefühlen nicht. Überhaupt traute er nichts und niemandem, doch er konnte nicht anders: Er mochte den alten Mann einfach und genoss die kurzen Stunden, die sie miteinander verbrachten, auch wenn er danach unweigerlich schwere Prügel bezog.
Fenton runzelte die Stirn, drehte Jakes Handflächen nach oben und musterte seine Arme, ehe Jake sie ihm entziehen konnte. »Was zum Teufel ist dir zugestoßen seit meinem letzten Besuch? Woher hast du so viele Narben in so kurzer Zeit? Und erzähl mir jetzt nicht, dass du tollpatschig bist, Jake, denn das bist du nicht.« Der alte Mann hatte einen durchdringenden Blick.
Jake schaute sich um, um sicherzugehen, dass sie allein in der Bibliothek waren, doch die Mühe hätte er sich sparen können. Wenn seine Feinde in der Nähe gewesen wären, hätte er sie gewittert. Cathy verachtete ihren Großvater, und Ryan interessierte sich nicht für ihn. Insgeheim freute Jake sich, dass sein Urgroßvater nur kam, um ihn zu besuchen. Er lebte ihn Texas und machte sich nichts aus Chicago, doch hin und wieder unternahm er die Reise, um nach Jake zu sehen.
Es war Fenton, der auf den besten Lehrern bestand, und er war es auch, der Jake ganz offen alles über Aktien und Anleihen beibrachte. Er legte großen Wert darauf, dass der Junge von klein auf Sprachen lernte und unterhielt sich gewöhnlich in mehreren Fremdsprachen mit ihm, wobei er ihm erklärte, dass man, um im Ausland Geschäfte zu machen, mit den Sitten und Gebräuchen anderer Länder vertraut sein sollte. Außerdem erzählte er von seiner Ranch und davon, dass es auf den Ländereien ganz bestimmt Öl gäbe, es sei nur noch nicht gefunden. Cathy und Ryan spotteten über ihn und nannten die Ranch »Fentons Folly«, doch Jake liebte es, die Erregung in der Stimme des alten Mannes zu hören, wenn er davon sprach, eines Tages diese riesige Ölquelle zu entdecken. Dabei war Fenton weniger an Geld interessiert als an dem buchstäblichen Nervenkitzel. Und das verriet Jake, dass Cathy und Ryan den alten Mann falsch einschätzten - er hatte sein Geld nicht weggeworfen; er hatte eben so viel davon, dass er keins mehr brauchte.
»Jake, was ist mit den Narben? Ist es dieser wertlose Hurensohn Ryan? Oder meine Enkelin? Ich weiß, dass sie eine grausame Ader hat. Ich habe nie geglaubt, dass dein Kindermädchen dich geschlagen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Cathy nicht weiß, was in ihrem Haus vorgeht.«
»Vergiss es, Urgroßvater«, erwiderte Jake ruhig und sah ihm in die Augen. »Ich komme damit zurecht.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf, ließ sich in einen Sessel fallen und betrachtete den Raum. Sein Blick glitt von Buchrücken zu Buchrücken. Jake hatte den Wert des Schweigens bereits erkannt und wartete stumm, bis Fenton sich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte. Als er zu seinem Urenkel aufsah, war ihm jedes seiner siebenundachtzig Jahre anzusehen.
»Hat man dir schon einmal von den Leopardenmenschen erzählt?«
Jakes Herz setzte einen Schlag aus, doch aus Angst vor einer Falle antwortete er nicht gleich. Er konnte Lügen wittern, und ihm kam der Gedanke, dass sein Urgroßvater eventuell dieselbe Fähigkeit besaß. »Nein, tu du es.«
»Was ich dir jetzt sage, darfst du nie jemandem verraten. Keiner Menschenseele. Am allerwenigsten deinen Eltern oder den Trents.«
Jake holte tief Luft, sein Herz hämmerte wie wild. Das war er. Das war der Moment, auf den er gewartet hatte, jener Augenblick, der ihm zur Macht verhelfen würde. »Ich verspreche es.«
Fenton beugte sich vor und senkte die Stimme. »Die Leopardenmenschen sind genauso real wie das Öl auf meinem Grund. Ich weiß, dass es dort Öl gibt, auch wenn ich es nicht finden kann, genauso, wie ich weiß, dass es unter unseren Vorfahren Gestaltwandler gab, auch wenn ich mich nicht verwandeln kann. Einmal habe ich echte Gestaltwandler kennengelernt. Es handelt sich um eine ganz besondere Spezies. Sie sind weder Mensch noch Tier, sondern beides.«
Jake leckte sich über die Lippen. Wusste der alte Mann vielleicht von ihm? Ahnte er etwas? Versuchte er, ihn auszuhorchen? Er presste die Lippen zusammen und schwieg, doch sein Herz raste, als sein Urgroßvater ihm einen scharfen Blick zuwarf.
»Im Regenwald von Borneo gibt es noch einige Gestaltwandler, Männer und Frauen, die ehrenhaft leben und sich an die überkommenen Regeln halten. Finde sie, Jake, und lerne von ihnen. Sie leben im Einklang mit der Natur und sind nicht so korrupt und pervertiert wie die Kreaturen, die wir hervorgebracht haben.« Er seufzte schwer. »Mein Großvater ist schuld. Er hat eine Leopardenfrau aus dem Urwald verschleppt und sie gezwungen, ihn zu heiraten. Damals hatten Frauen nicht viele Rechte, und niemand hat ihr geholfen. Mein Großvater war hinter ihr Geheimnis gekommen und wusste, dass er mit den Eigenschaften dieser Spezies Macht und Reichtum erlangen konnte. Und das war sein Ziel. Er war ehrgeizig und selbstsüchtig.« Jake Fenton ließ den Kopf hängen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Die Grausamkeit steckt uns im Blut. Wenn du nicht so werden willst wie deine Eltern, musst du auf dich aufpassen. Deine Gene sind stark, und das bringt eine gewisse Verantwortung mit sich.«
Jake spürte, wie sich sein Magen aus lauter Protest verkrampfte. »Ich kann keine Rücksicht nehmen, wenn ich mich von ihnen befreien will.«
Aufseufzend lehnte Fenton sich weit zurück in seinen Sessel. »Hast du dich schon einmal mit Zucht beschäftigt? Bei Vieh, Hunden oder sonst etwas? Man kann einer Linie gute und schlechte Eigenschaften anzüchten. Man muss nur stets wachsam sein und genau darauf achten, was man tut, sonst erhält man am Ende sehr schlechtes Blut. Leoparden sind listig. Freilebende Leoparden gehören zu den wenigen Raubtieren, die einen Haken schlagen, um sich von hinten an ihre Verfolger anzuschleichen und sie zu töten. Sie sind grausam, wild und reizbar, aber auch clever, reaktionsschnell und intelligent. Lies mal über sie nach, Jake, dann bekommst du eine Vorstellung davon, womit jeder von uns, der über die Gene eines Gestaltwandlers verfügt, fertigwerden muss. Selbst wenn er es nicht schafft, sich zu verwandeln.«
»Kannst du es wirklich nicht?«, fragte Jake. Er hielt die Augen gesenkt und verzog keine Miene, damit er seine Aufregung nicht verriet. »Du weißt so viel darüber.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht, ich habe zwar einen Leoparden in mir, und manchmal brauche ich ihn auch, aber verwandeln kann ich mich nicht. Nachdem ich die Tagebücher meines Großvaters gefunden hatte, bin ich in den Urwald gefahren und habe einige Exemplare dieser Spezies kennengelernt. Sie sind anders als wir. Verglichen mit ihnen sind wir degeneriert. Cathy, meine eigene Enkelin, ist eine kranke, perverse, unglaublich grausame Kreatur, und ich weiß, dass ich dafür verantwortlich bin. Ich habe geheiratet, damit die Blutlinie weiterbesteht. Tu das nicht. Setze dieses Experiment nicht fort. Es ist gefährlich, und die Wesen, die wir zeugen, sind unberechenbar.«
»So wie ich«, sagte Jake ruhig.
Fenton sah ihn durchdringend an.
»Du weißt genau, wie sie hinter verschlossenen Türen sind, und trotzdem hast du mich nicht mitgenommen«, fuhr Jake anklagend fort. Das war der Grund, warum er dem alten Mann nicht ganz traute. »Sie hätten mich doch mit dir gehen lassen.«
»Niemals. Sie hätten alles getan, um dich zu behalten, weil sie nach außen ein bestimmtes Bild abgeben müssen.«
»Sie hassen mich.«
»Nein, sie fürchten dich.«
Jake hob die goldenen Augen und fixierte seinen Urgroßvater mit brennendem Blick, während sein Herz immer schneller schlug. Es stimmte, sie hatten Angst vor ihm. Und zu Recht, denn bald war er stärker, schneller, cleverer und gnadenloser als sie es sich je hätten träumen lassen - und er würde ihre Welt in Stücke reißen.

Achtzehn Jahre

Jake Fenton war tot, und der junge Jake hatte das Gefühl, der Einzige zu sein, der um ihn trauerte. Cathy und Ryan hatten sich nicht die Mühe gemacht, zur Beerdigung zu gehen, jetzt aber saßen sie erwartungsvoll im Büro des Notars, in der Hoffnung auf eine Erbschaft, obwohl sie sich laut fragten, ob Fenton womöglich jeden Pfennig in den Aufkauf nutzloser Ländereien gesteckt hatte. Doch als das Testament eröffnet wurde, waren sie positiv überrascht. Fenton besaß mehrere Unternehmen und noch mehr Aktien. Zwei Baufirmen erbten Cathy und Ryan jeweils direkt, und die augenscheinliche Aktienmehrheit an einer größeren Hotelkette mussten sie sich teilen.
Der junge Jake erhielt drei Firmen: eine zweitklassige Kunststoff-Fabrik, die kaum den Kopf über Wasser halten konnte, eine Firma namens Uni-Diversified Holdings und einen Konzern, in dem einige kleinere Unternehmen zusammengefasst waren. Außerdem erbte er Fentons Folly, ein riesiges Stück Land in Texas, das niemand wollte, zwei Maisfarmen und verschiedene Grundstücke in anderen Staaten, die offenbar Sumpfgebiet waren. Dazu bekam er Aktien und eine beträchtliche Summe Bargeld, auch wenn der Großteil des Geldes an Cathy und Ryan ging.
Weiterhin erklärte der Anwalt, dass es eine Reihe von Bedingungen gäbe, die es zu erfüllen galt. Wer den letzten Willen anfechte, gehe auf der Stelle seines Anteils verlustig. Cathy und Ryan dürften nicht von Jake erben, nicht einmal im Fall seines Ablebens, und Jake konnte ihnen nichts von Fenton verkaufen oder schenken. Falls Jake vor seinem fünfzigsten Geburtstag ohne Nachfahren sterben sollte, würden das Land, das Geld und die Aktien in einen Treuhandfonds zugunsten verschiedener Wohlfahrtsorganisationen eingehen und umgehend eine Untersuchung der Todesumstände eingeleitet werden. In diesem Fall sollten zwei Briefe von Jake Fenton geöffnet werden, die den Ermittlern behilflich sein könnten.
Jake junior fiel auf, dass Cathy recht blass wirkte, doch sie sagte keinen Ton. Die Spannung im Raum war nahezu greifbar. Cathy und Ryan hatten ihren Prügelknaben verloren. Er besaß jetzt nicht nur eine Zufluchtsstätte, sondern auch Geld - und er war erwachsen. Seinen Eltern waren die Hände gebunden. Fenton hatte sie ausgetrickst. Ohne ein weiteres Wort verließen seine Feinde das Anwaltsbüro.
Jake blieb noch und las einen Brief, in dem Fenton seine Pläne für die Maisfelder und die Weiterverarbeitung der Ernte in der Kunststoff-Fabrik genauestens beschrieb. Und dann war da noch etwas: Uni-Diversified Holdings hielt so viele Aktien, dass Jake, wenn er sein persönliches Aktienpaket dazuzählte, zum Hauptaktionär in den Firmen seiner Eltern wurde. Außerdem gab es unter dem Dach des Konzerns eine Reihe ausländischer Unternehmen, die sich als höchst lukrativ erwiesen. Jake war von einer Sekunde zur anderen zum Multimillionär geworden und von der ersten Milliarde nicht mehr weit entfernt.

Neunzehn Jahre

Für Jake war die Ranch in Texas eine Art Paradies. Dort konnte der Leopard ungestört durch die dichten Wälder laufen, die sein Urgroßvater hatte wuchern lassen. Das Haus war riesengroß, eine Villa selbst für texanische Verhältnisse, und besaß eine Bibliothek, um die viele Städte ihn beneidet hätten. Jake setzte sein Sprach- und Wirtschaftsstudium fort, heuerte eigene Lehrer an, befasste sich eingehend mit jeder Firma, die er geerbt hatte, und hörte den Leuten, denen Fenton die Geschäftsführung anvertraut hatte, gut zu.
Jede Nacht streifte er draußen als Leopard umher, denn auf dem riesigen Grundstück war sein Geheimnis vor Entdeckung sicher. Zum ersten Mal im Leben schmeckte er Freiheit, und außerdem witterte er etwas - Öl. An vielen Stellen roch es so stark danach, dass er sicher war, auf schwarzes Gold zu stoßen, wenn er den Bohrern die richtige Stelle zeigte.
Jake gab sich nicht damit zufrieden, dass andere seine Geschäfte leiteten. Er studierte die Pläne, die sein Urgroßvater für die verschiedenen Firmen gehabt hatte, zusammen mit dessen Einschätzung, wie sie sich in den kommenden Jahren entwickeln würden. Außerdem stellte er fest, dass seine Fähigkeit, Lügen zu wittern, bei den Aufsichtsratssitzungen sehr nützlich war. Rasch machte er sich einen Namen als Mann, mit dem man rechnen musste. Er redete nicht viel; meist hörte er nur zu. Doch wenn er sich zu etwas entschlossen hatte, war er nicht aufzuhalten.
Durch seine schillernde Persönlichkeit und die Gabe, Menschen in seinen Bann zu ziehen, bekam er bald Zugang zu allen Informationen, die er haben wollte. Und wo sein Charme ihm nicht die Türen öffnete, konnte er sich einkaufen. Weiterhin stellte er fest, dass Frauen ihn unwiderstehlich fanden, und diesen Vorteil baute er aus, indem er sich alle Tricks aneignete, mit denen er sie bei Bedarf abhängig und gefügig machen konnte.

Dreiundzwanzig Jahre

Die erste Ölquelle war gleich ein Volltreffer. Zur gleichen Zeit begann die Kunststoff-Fabrik zu florieren und machte ihn zu einem der ganz Großen in der Geschäftswelt. Wenn irgendjemand ihn wegen seines Alters unterschätzte, wurde er rasch eines Besseren belehrt. Jake war skrupellos und berechnend, und er hatte keine Angst davor, sich Feinde zu schaffen, obwohl er gleichzeitig darauf bedacht war, Freundschaften und Allianzen zu pflegen.
Dem urgroßväterlichen Brauch, Land aufzukaufen, blieb er treu, nur dass er vorher alle Ländereien genau inspizierte und den Geruchssinn des Leoparden einsetzte, um sie auf Öl- oder Gasvorkommen zu untersuchen. Er erstand große Landstriche in Nord-Dakota, unter denen er Öl vermutete, und meilenweise Land in den Appalachen, wo er Gas gewittert hatte. Es machte ihm nichts aus, dass alle in seinem Umfeld glaubten, er investiere sein Geld falsch, denn er wusste, dass die Rohstoffe nur darauf warteten, entdeckt zu werden, und wenn die Zeit reif war, würde er sie finden.
Auch die Ranch wurde immer größer, er kaufte mehr und mehr Land hinzu, um seinem Leoparden ein geschütztes Gebiet zu geben. Fast jede Nacht pirschte er in Tiergestalt durch die Wälder, denn er brauchte den Auslauf, sonst fühlte er sich eingesperrt. Außerdem lernte er weiter und häufte immer mehr Wissen an, alles zu dem einen Zweck: um Geld und Macht zu bekommen. Er wollte so stark werden, dass kein Mensch ihn je wieder zum Opfer machen konnte. So wartete er auf den richtigen Moment, seine Feinde zu zerstören.

Fünfundzwanzig Jahre

»Hallo, Alice«, sagte Jake freundlich - viel zu freundlich.
Seine Sekretärin, diese verdammte Spionin, schnappte nach Luft und drehte sich überrascht um. Der Geruch seines Vaters klebte an ihr. Sie saß an seinem Schreibtisch und versuchte gerade, an die Daten in seinem Computer zu kommen. Jake hatte es schon in dem Augenblick gewusst, als er sie eingestellt hatte, denn schon damals hatte sie nach Ryan gestunken.
»Ich brauchte die Kalwaski-Akte«, erklärte sie hastig, während sie feuerrot anlief. »Sie hatten nach den Berichten gefragt und meine Kopie habe ich versehentlich gelöscht.«
»Und es ist Ihnen nicht eingefallen, mich vorher zu fragen?« Jake sog etwas Luft ein und erkannte darin die Lüge. Er hatte sehr darauf geachtet, ihr nichts zu überlassen, was wichtig war oder ihm schaden konnte. Er traute niemandem, und Alice war noch relativ neu in der Firma. Nun hatte er den Beweis dafür, dass sie ins feindliche Lager gehörte. Er ging um den Tisch herum und stellte sie.
Alice versuchte noch, an den Schalter zu kommen, um den Computer auszuschalten, doch Jake war schneller und wesentlich stärker. »Was für ein böses Mädchen du bist, Alice. Industriespionage ist ein überaus hässliches und gefährliches Geschäft.«
Alice brach in Tränen aus, warf sich in Jakes Arme und ließ die Hände über seine Brust zu seinem Hosenschlitz gleiten. »Ich tu alles, was Sie wollen.«
Angewidert stieß Jake sie von sich. »Aber natürlich. Solche wie du tun das immer. Leider reizt es mich nicht im Geringsten, vor allem wenn sie derart nach einem anderen Mann stinken.«
Alice wurde ganz bleich, und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. »Was haben Sie vor?«
Jake wusste um seinen Killerblick, und tatsächlich hatte er große Lust, jemanden umzubringen. Aber nicht Alice, sie war nur eine Marionette, die ihrem Meister gehorchte. Ryan und Cathy benutzten ihre Sexspielchen, um andere zu kontrollieren. In Wahrheit war auch Jake nicht erhaben darüber, dieses Mittel einzusetzen, doch nicht bei Alice, nicht bei einer Frau, die ihn so getäuscht hatte und unter der Fuchtel seines Vaters stand. Nein, es gab andere Wege.
»Ich rufe die Polizei«, antwortete er und ließ die Drohung wirken.
Mit der Zeit wurde Alice’ Schluchzen immer lauter und verzweifelter. »Nein, Mr Bannaconni, bitte nicht. Es tut mir leid. Ehrlich. Ihr Vater …«
»Ryan oder Bannaconni, aber niemals Vater«, schnitt er ihr knallhart das Wort ab.
Erschrocken zuckte Alice zusammen. »Ich konnte nicht Nein sagen.«
Jake wusste, dass sein Vater auf andere eine Faszination ausübte, insbesondere auf Frauen, die er mit einer Mischung aus Sex und Brutalität an sich band. Nein, wahrscheinlich hatte Alice ihm nichts entgegenzusetzen gehabt. Ryan war schlau und gerissen, ein Ladykiller mit einem hübschen Gesicht und einem Haufen Geld. Jakes kleine Sekretärin war wahrscheinlich überwältigt von seinen Aufmerksamkeiten. Sie hätte alles für ihn getan.
»Das glaube ich«, murmelte er.
Alice sank in einen Sessel. »So etwas habe ich noch nie getan, Mr Bannaconni, ich schwöre. Und ich werde es auch nie wieder tun.«
Das roch nach Wahrheit. »Ryan manipuliert Frauen«, sagte Jake sanft und fasste Alice am Kinn, so dass sie ihm in die Augen sehen musste. Dann konzentrierte er seinen Blick voll auf sie, sah sie an, ohne mit der Wimper zu zucken, und senkte die Stimme zu einem beruhigenden Flüstern. »Er ist ständig auf der Jagd nach jungen, empfindsamen Frauen - je mehr, desto besser - und macht sie mit Sex gefügig.«
Alice wischte sich die nach wie vor laufenden Tränen aus dem Gesicht. »Dabei ist er verheiratet. Er hat mir gesagt, er könnte seine Frau nicht verlassen, aber er wäre sehr unglücklich.«
»Natürlich, das erzählt er allen. Und dann bringt er sie dazu, für ihn zu spionieren.«
»Gegen seinen eigenen Sohn?«
»In diesen Kategorien denken wir nicht.« Jake lehnte sich mit der Hüfte an den Schreibtisch. »Vielleicht solltest du ihm doch ein paar Informationen zukommen lassen.«
»Mr Bannaconni!«, sagte Alice empört und schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Wirklich.«
Jake trommelte mit den Fingern auf den Tisch, als überdenke er gerade die Idee. »Ich weiß. Ich zeige dich nicht an, aber vielleicht finden wir einen Weg, nicht nur deinen Job, sondern auch deinen Ruf zu retten. Wir könnten Ryan einige Sachen unterjubeln, die uns nicht wehtun und ihn zufriedenstellen. Obwohl …«, Jake sah Alice strafend an, »… du besser aufhörst, mit ihm zu schlafen und ihm stattdessen lieber ein hübsches Sümmchen abknöpfst.«
Jake gestattete sich ein kleines Lächeln. Alice würde niemals auffallen, dass es seine Augen nicht erreichte. Sie war die erste einer wachsenden Zahl ähnlicher Rekruten.

Achtundzwanzig Jahre

Jake unternahm seine erste Reise in den Regenwald von Borneo, um seine Herkunft zu ergründen. Er war vollkommen überwältigt vom Dschungel, geradezu magisch angezogen von seinen geheimnisvollen Reizen. Nie hatte er damit gerechnet, irgendwo Frieden oder Trost zu finden, doch das Geäst hoch oben im Blätterdach bot dem Leoparden ein ideales Wegenetz, auf dem er sich fortbewegen und seine Fähigkeiten vervollkommnen konnte. Die Bäume wetteiferten um jeden Quadratzentimeter Platz. Der Waldboden war erstaunlicherweise nur spärlich bewachsen, doch die Stämme und Zweige hingen voller Lianen und Kletterpflanzen und ringsherum flatterten grellbunte Vögel.
Beim Anblick des Waldes konnte Jake seine wilde Natur kaum noch zügeln. Der Wandel überkam ihn, ehe er Zeit zum Nachdenken hatte; das Raubtier platzte einfach aus ihm heraus, dehnte die athletischen Muskeln und sprang auf die hohen Äste. Goldene Sonnenstrahlen fielen durch die Baumkronen und ließen in ihrem Licht das Laub und die Wurzelgeflechte erkennen. Im Dschungel herrschte keine Stille, wie Jake zunächst vermutet hatte, sondern es war laut. Überall raschelte, zwitscherte und lärmte es. Die Tiere hatten seine Ankunft bemerkt und meldeten den Eindringling auf ihrem Terrain, so dass Jake praktisch sofort von den Hütern des Waldes empfangen wurde.
Die Leopardenmenschen waren verschlossen und lebten zurückgezogen, doch sie betrachteten ihn als Artgenossen. Einer von ihnen - ein Mann namens Drake Donovon, der kürzlich verwundet worden war und an Krücken ging - kümmerte sich um ihn. Aber Jake machte sich gar nicht erst vor, dass das aus Freundschaft geschah. Wie alle anderen war Drake athletisch gebaut, und die meiste Kraft steckte im Oberkörper. Seinem durchdringenden Blick schien nichts verborgen zu bleiben. Doch Jake wollte nicht, dass er ihm in die Seele blickte, denn seine war nicht so wie die der Anderen im Dorf. Jakes Seele hatte Schaden genommen an den Grausamkeiten, denen er in seiner Kindheit ausgesetzt gewesen war.
Da er die Kunst der Unterwerfung schon vor langer Zeit erlernt hatte, unterdrückte er seine dominierende Persönlichkeit, um das zu erfahren, was er wissen wollte. Die Leopardenmenschen lebten trotz ihrer ausgeprägten animalischen Eigenschaften nach strengen Regeln. Und Jake stellte fest, dass er sie insgeheim bewunderte. Sie waren aufbrausend und konnten sehr eifersüchtig sein, das ging so weit, dass man kaum ein Kind oder eine Frau zu Gesicht bekam. Auf der anderen Seite riskierten sie wiederum ihr Leben für irgendwelche Leute, die entlang des Flusses verschleppt worden waren, und brachten sie sicher nach Hause zurück.
Zu seiner eigenen Überraschung fiel Jake die Abreise schwer. Er wollte die Verbindung zu dieser Gemeinschaft aufrechterhalten, daher steuerte er am Ende Geld zu ihrer Unterstützung bei, investierte in ihr gewerbliches Netzwerk, um ihnen dabei zu helfen, moderne Waffen und die so dringend benötigten medizinischen Hilfsmittel zu bekommen. Geld war das Einzige, was er zu bieten hatte, und er war mehr als bereit, es auszugeben, damit ihm bei einer Rückkehr die Türen offenstanden.

Dreißig Jahre

Er hatte alles - und nichts. Gar nichts. Alles, was er gewollt hatte, war endlich erreicht. Er konnte die Firmen seiner Feinde zerstören, sie Stück für Stück verscherbeln und dabei ein weiteres Vermögen machen. Jake saß in seinem Privatjet, betrachtete den Luxus, den er sich mit seinem Geld gekauft hatte, und stellte fest, dass all das keinen Wert hatte. Er war allein. Und so würde es immer sein. Zwar konnte er beinahe jede Frau haben, die er wollte, doch er wollte keine - jedenfalls nicht für länger. Sein Leben war leer. Ja, nun war er imstande, sich für seine Kindheit zu rächen und seine Feinde zu ruinieren, doch was blieb ihm, wenn dieses Ziel erreicht war? Absolut nichts.
Die Anziehungskraft des Regenwaldes war unwiderstehlich, und Jake wurde bewusst, dass er trotz seiner nächtlichen Streifzüge auf der Ranch in Texas keine Ruhe mehr fand. Danach verbrachte er einen Großteil der Nacht meist damit, im Büro zu arbeiten oder in seinem Haus herumzutigern. Er wusste, dass ihm irgendetwas in seinem Leben fehlte - nur nicht was. Doch selbst wenn er es gewusst hätte, musste er sich zunächst einmal um die Dinge kümmern, die er mit Drake Donovon besprochen hatte. Also kehrte er zurück nach Borneo, um mit einem Wildfremden über den Sinn des Lebens zu reden.
Er fuhr den Fluss hinab mitten in das Herz des Regenwalds, und in dem Moment, da er das Ufer betrat, inhalierte er tief. Die Tiere und Vögel verkündeten seine Wiederkehr bereits, aber … irgendetwas stimmte nicht.
Jake warf den Rucksack ab und rannte tiefer in den Wald hinein, sprang über Baumstümpfe und wich den herabhängenden Lianen und Kletterpflanzen aus. Im vollen Lauf entledigte er sich seiner Kleidung, so wie er es über die Jahre gelernt hatte. Die stählernen Muskeln unter seiner Haut arbeiteten geschmeidig und schon kam das Raubtier zum Vorschein. Er brauchte die scharfen Sinne des Anderen und begrüßte den Wandel, hielt nur kurz inne, um die Schuhe auszuziehen und die Jeans abzustreifen.
Sein Körper krümmte sich, Knochen und Muskeln wuchsen und dehnten sich, bis der Andere ausgeformt war und auf allen vieren weiterlief, während sich eine Flut von Adrenalin und Glückshormonen in seinem Innern ausbreitete. Die Versuchung, die Leopardengestalt nie wieder abzulegen, war überwältigend. Dann bräuchte er nie wieder über sein Leben und seine Entscheidungen nachzugrübeln, oder darüber, was für ein Ungeheuer er war. Wenn er sich im Anderen verlor, war er frei und konnte ein einfaches, erfülltes Leben führen, umgeben von der Schönheit des Dschungels.
Da stürmte der Gestank von Blut, Rauch und Tod auf ihn ein. Seine Tasthaare funktionierten wie Radarantennen, bombardierten ihn mit Informationen und fluteten sein Hirn mit Reizen. Drake Donovon. Aber der Angstgeruch, der die Nacht erfüllte, stammte nicht von ihm. Drake zeigte nur Verachtung, Wut und Zorn. Jake hörte höhnisches Gelächter und harte Fäuste, die auf Fleisch prallten, und als dann frisches Blut aufspritzte, gellten immer mehr Schreie durch den Wald, die vor der Gefahr warnten.
Jake hetzte über die Schnellstraße hoch oben in den Bäumen und ignorierte das Kreischen der Affen und Vögel.
Titel der amerikanischen Originalausgabe BURNING WILD
Deutsche Erstausgabe 05/2010 Redaktion: Sabine Kranzow
Copyright © 2009 by Christine Feehan
Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Herstellung: Helga Schörnig
eISBN : 978-3-641-04825-9
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