Flammen der Magie - Christine Feehan - E-Book

Flammen der Magie E-Book

Christine Feehan

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Seit seiner Kindheit kennt Timur Amurow nichts als das Recht des Stärkeren. Seine Familie beschützt der einsame Leopardenmensch um jeden Preis. Darum ist er alarmiert, als seine Schwägerin eine junge, zierliche Frau anheuert, um in ihrer Bäckerei als Barista zu arbeiten. Ashe Bronte weiß, dass sie sexy und geheimnisvoll ist, und Timur ahnt, dass sie etwas zu verbergen hat. Leider ist Ashe auch die einzige Frau, bei der sein wildes Herz zur Ruhe kommt – und so steht er plötzlich vor einer Entscheidung, wem er folgen soll: seinem lodernden Herzen oder seinen Killerinstinkten …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DAS BUCH

Seit seiner Kindheit kennt Timur Amurow nichts als das Recht des Stärkeren. Seine Familie beschützt der einsame Leopardenmensch um jeden Preis. Darum ist er alarmiert, als seine Schwägerin eine junge, zierliche Frau anheuert, um in ihrer Bäckerei als Barista zu arbeiten. Ashe Bronte weiß, dass sie sexy und geheimnisvoll ist, und Timur ahnt, dass sie etwas zu verbergen hat. Leider ist Ashe auch die einzige Frau, bei der sein wildes Herz zur Ruhe kommt – und so steht er plötzlich vor einer Entscheidung, wem er folgen soll: seinem lodernden Herzen oder seinen Killerinstinkten …

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als siebzig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Auch in Deutschland ist sie mit den Drake-Schwestern, der Sea-Haven-Saga, der Highway-Serie, der Schattengänger-Serie, der Leopardenmenschen-Saga und der Shadows-Serie äußerst erfolgreich.

Mehr über Christine Feehan und ihre Romane finden Sie auf:

www.christinefeehan.com

Christine Feehan

Flammen der Magie

ROMAN

Aus dem Amerikanischenvon Eva Stefan

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

LEOPARD’S RUN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 03 /2024

Redaktion: Sabine Kranzow

Copyright © 2018 by Christine Feehan

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-31206-0V001

www.heyne.de

Für meine Freundin Susan Winding

1

Timur Amurow fluchte leise in seiner Muttersprache, was ihm sein Bruder – der gleichzeitig sein Chef war – eigentlich streng verboten hatte. Er stieg aus der schwarzen Limousine mit den getönten Scheiben und mischte sich unter die Menschen auf dem Bürgersteig. Sein Trenchcoat, an dessen Schlingen im Innenfutter viele nach außen hin unsichtbare Waffen hingen, bewegte sich leicht um seine Knöchel.

Die Menschen machten ihm unwillkürlich Platz, was wohl an seinen breiten Schultern, den Narben in seinem ausdruckslosen, maskenhaften Gesicht und dem drohenden Blick seiner kalten, toten Augen lag. Er änderte kein einziges Mal sein Tempo oder seine Richtung. Sie würden ihm schon aus dem Weg gehen, dessen war er sich sicher. Er sah gefährlich aus, und das war er auch: gefährlich. Er war jemand, der über Leichen ging.

Er bemühte sich auch gar nicht um einen anderen Eindruck. Er war ein Gestaltwandler, ein Bodyguard – eine menschliche Waffe, die man nach Belieben einsetzen konnte. Diejenigen, an deren Schwelle er auftauchte, erlebten den nächsten Morgen nicht. Und er sah auch genauso aus, wie man sich einen eiskalten Killer vorstellt – einen Beruf, den er von seinem Vater geerbt hatte. Und von seinem Großvater. Und auch seine Onkel waren nichts anderes. Er konnte die Wahrheit nun mal nicht verstecken, noch nicht einmal vor sich selbst, und hatte auch gar kein Bedürfnis danach. Das Leben hatte ihm den schwarzen Peter zugeschoben, aber er würde das Beste daraus machen und es dann auf seine Weise beenden, wenn er es nicht mehr ertrug.

Es gab nicht viele Menschen, vor denen er seine Maske fallen ließ. Das waren vor allem sein älterer Bruder Fjodor, der sein Leben riskiert hatte, um ihn zu retten, und sein Cousin Gorja, der mit ihnen zusammen dieselbe entsetzliche Kindheit durchlebt hatte. Timur und Gorja arbeiteten mittlerweile als Leibwächter für Fjodor, der ständig in Schwierigkeiten geriet. Fjodor herrschte über ein großes Territorium und hätte deswegen ebenso gut mit einer Zielscheibe auf dem Rücken herumlaufen können. Aber egal, welche Sicherheitsmaßnahmen Timur und sein Team ergriffen – Fjodor schien sie einfach zu ignorieren.

Zu Fjodors Verteidigung ließ sich sagen, dass er früher selbst Bodyguard und Soldat gewesen war, bevor er den Thron bestiegen hatte. Timur hingegen war der Ansicht, dass er deswegen eigentlich wissen müsste, wie schwer es war, einen Mann zu beschützen, der jegliches Sicherheitsprotokoll missachtete.

Er liebte seinen Bruder, auch wenn sie über so etwas nicht sprachen. Das hatte man ihnen schon als Kind verboten und ihnen stattdessen beigebracht, niemals Gefühle für irgendjemanden zu entwickeln, besonders nicht für Frauen. Fjodors Ehefrau, Evangeline, besaß ein Café in San Antonio, was bedeutete, dass er manchmal auch von dort aus arbeitete. Eigentlich sogar meistens, denn er hatte im Hinterzimmer ein Büro. Trotz seiner Erziehung machte er kein Hehl daraus, dass er seine Frau liebte, und hatte überhaupt kein Problem damit, dies in aller Öffentlichkeit zu demonstrieren. Und auch Timur liebte Fjodors Frau. Er liebte sie wie eine Schwester, was er aber nicht zeigen konnte. Dafür hatte eine Kindheit voller Brutalität und Prügel gesorgt.

Timur riss die Glastür des Cafés auf. Er hatte die Tür ebenso wie die Schaufenster, die über die gesamte Ladenfassade verliefen, mit schusssicherem Glas ausstatten lassen. Evangeline sah kurz auf und schenkte ihm ein Lächeln. Sie war reizend. Wunderschön. Einfach die perfekte Frau für seinen Bruder. Nicht zuletzt, weil sie den Leoparden seines Bruders davon abhielt, auszubrechen und auf die Jagd zu gehen. Timurs eigener Leopard hatte die Krallen ausgefahren und war gereizt und wütend wie der Teufel.

»Alles in Ordnung?« Evangelines Südstaatenakzent gab ihm immer ein wärmendes Gefühl, als sei er gerade nach Hause gekommen. Ihr Lächeln erstarb, als er es nicht erwiderte.

Nein, zum Teufel, nichts war in Ordnung. Sein verdammter Bruder war so verrückt nach dieser Frau, dass er jeden Tag sein Leben riskierte – ebenso wie ihres. Aber das behielt Timur lieber für sich. Fjodor würde nicht wollen, dass er Evangeline beunruhigte. Und er selbst wollte das auch nicht.

Er nickte kurz, ging durch den Laden und überprüfte auf dem Weg zu den Toiletten jeden Tisch. Er warf einen kurzen Blick auf die Tischbeine und unter die Tischplatte, um sich zu vergewissern, dass nirgendwo eine Sprengladung oder etwas anderes Verdächtiges angebracht worden war.

»Timur?«

Evangeline ließ nicht locker. Was sollte er ihr bloß sagen? Dass Fjodor weitere Todesdrohungen erhalten hatte? Das war nicht ungewöhnlich. Wie auch immer – diese eine Drohung nahm Timur ernst, auch wenn sie seinen Bruder, wie üblich, nicht interessierte. Timur war sich bewusst, dass sie zu viele Risiken eingegangen waren und dass sie früher oder später das Glück verlassen würde. Sein Bauchgefühl – das man nie unterschätzen sollte – sagte ihm, dass die Glückssträhne zu Ende und die Bedrohung sehr real war.

»Mach mir einen doppelten Latte macchiato.«

»Einen doppelten?« Offenbar reagierte sie überrascht, wie erwartet.

Er brauchte das Koffein. Und er wollte sie mit irgendetwas beschäftigen. Er nickte noch einmal kurz und öffnete die Tür zur Herrentoilette. Dort überprüfte er sorgfältig jede Kabine, um sicherzugehen, dass hier keine Auftragskiller lauerten. Dann ging er zur Damentoilette, um dort dasselbe zu tun. Als er die Hand an die Tür legte, wusste er sofort, dass sich gerade jemand darin befand – denn sein Leopard drehte förmlich durch. Es war ihm egal, schließlich war es nicht sein Job, auf irgendjemandes Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. Sein Job war, sicherzustellen, dass Fjodor nicht ermordet wurde.

Sie stand mit dem Lippenstift in der Hand vor dem Spiegel und sah ihn erstaunt an, als er hereinmarschiert kam. Ihre großen Augen fielen ihm sofort auf, sie waren beinahe zu groß für ihr Gesicht und hatten die hellbraune Farbe von Bernstein – die Farbe eines guten Whiskeys, den man sich am Abend zur Entspannung gönnte. Die bernsteinfarbenen Augen wurden von dichten, dunklen Wimpern mit langen, leicht gebogenen Spitzen betont.

Sie drehte sich zu ihm um und hielt den Lippenstift dabei vor sich, als wollte sie sich damit vor ihm schützen. Er wusste, wie bedrohlich er aussah. Er war groß und hatte breite Schultern. Muskelstränge überzogen seine Arme, seinen Rücken und seine Brust bis hinunter zum Bauch. Sein Herz begann zu pochen, wie er es noch nie erlebt hatte.

Sie war schön. Das dünne Tanktop verbarg weder ihre vollen Brüste noch die schmale Taille. Der fantastische Hintern, der die weiche blaue Jeans perfekt ausfüllte, war ihm schon auf den ersten Blick aufgefallen. Er ging an ihr vorbei und riss nacheinander die Türen der Kabinen auf. Es wäre ihm auch egal gewesen, wenn eine davon besetzt gewesen wäre, aber glücklicherweise waren sie alle leer. Außer der Frau am Spiegel war niemand hier.

Im Vorbeigehen hatte er instinktiv ihren Duft wahrgenommen. Sie roch leicht nach Grapefruit und Zypresse. Was für ein Mensch hatte einen solchen Geruch? Anscheinend gefiel er ihm – oder, was noch wichtiger war, er gefiel seinem Leoparden. Wenn er sonst einem Menschen – egal ob Mann oder Frau – zu nahekam, wurden normalerweise die tödliche Wut und der Blutdurst seines Leoparden geweckt. Doch zum ersten Mal war die Katze in ihm völlig ruhig. Das war noch nie vorgekommen. Absolut nie. Selbst Evangelines Nähe konnte den Leoparden allenfalls besänftigen. Doch jetzt war er vollkommen ruhig, und es fehlte nur noch, dass er zu schnurren anfing.

»Und Sie sind …?«, fuhr er sie an. Verdammt. Sowohl sein russischer Akzent als auch das Grollen in seiner Stimme waren nicht zu überhören.

Sie reichte ihm nicht viel höher als bis zur Brust, aber nichtsdestotrotz verengten sich ihre Augen, als sie ihn ansah. Vermutlich sollte das ein drohender Blick sein.

»Ich bin hier gerade in der Damentoilette, und die ist eigentlich für Frauen gedacht.«

Frech. Die Frau war wirklich frech, geradezu furchtlos. Oder dumm. Er trat einen Schritt näher an sie heran, nah genug, dass ihre Brüste sich gegen seine Bauchmuskeln pressten und sie den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm hochzusehen.

»Mit einem wie mir lässt man sich besser auf keine Spielchen ein«, riet er ihr.

Sie nickte. »Das würde ich auch nie tun. Bestimmt nicht.«

Ihre Stimme war völlig ruhig, obwohl sie ihn offensichtlich gerade hochnahm. Das musste er ihr lassen: Es gelang ihr dabei, das Gesicht nicht zu verziehen und sogar eine Unschuldsmiene mit großen Augen aufzusetzen.

Gott allein wusste, warum sein Körper sich ausgerechnet diesen Moment aussuchte, um ihn im Stich zu lassen und mit einer solchen Heftigkeit auf sie zu reagieren. Sein Glied wuchs zu einem Monster, das nicht weniger brüllte als sein Leopard. Es war geradezu schmerzhaft. Er wagte es nicht, sich zu bewegen. Es konnte ihr nicht entgangen sein, und er sah keine Möglichkeit, es vor ihr zu verbergen. Trotzdem behielt er seine ausdruckslose Miene bei, auch wenn er innerlich fluchte – und zwar in seiner Muttersprache. So etwas war ihm noch nie passiert. Ausgerechnet jetzt musste sein Körper sich verselbstständigen.

Er holte tief Luft und widerstand der Versuchung, sie nach Waffen abzutasten. Fjodor wurde sicher langsam ungeduldig. Er wollte seine Frau sehen und er würde wahrscheinlich einfach …

»Timur, alles klar da drin?«, meldete sich sein Bruder über Funk. »Einen Moment noch.« Timur sah ihr direkt in die Augen, während er antwortete. Seine Männer waren auf den Dächern und beobachteten das Auto. Sie beschützten Fjodor, solange Timur das Innere des Cafés inspizierte.

Timur erhielt keine Antwort. Das konnte alles bedeuten – vielleicht würde Fjodor seinem Bruder nur ein einziges Mal keinen Ärger machen und im Auto bleiben, vielleicht kam er aber auch gleich einfach so hereinmarschiert. In jedem Fall musste Timur sich von dieser Frau entfernen, da sie ihn und seinen Leoparden völlig durcheinanderbrachte. Zum ersten Mal in seinem Leben schrie die Raubkatze in ihm nicht nach Blut, sondern rollte seltsamerweise schnurrend auf dem Boden herum. Das lenkte ihn nicht nur ab, sondern brachte ihn völlig aus der Fassung.

»Wie heißen Sie?«

»Ashe Bronte.«

»Das haben Sie sich doch gerade ausgedacht.«

»Sie sind wirklich der netteste Mann, dem ich je begegnet bin.« Ihre Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. »Wenn Ihnen mein Name nicht gefällt, müssten Sie das mit meinen Eltern ausdiskutieren. Was aber schwierig werden könnte, da sie beide nicht mehr leben.«

Sie zwängte sich an ihm vorbei, und er ließ sie gewähren. Ihr dichtes Haar fiel wild um ihren Kopf, und das Hellblond betonte ihre ungewöhnlichen Augen. Erst als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte und er alleine in der kühlen Damentoilette stand, wurde ihm bewusst, dass sein Leopard die ganze Zeit über ruhig geblieben war. Völlig still. Kein wütendes Kratzen der Krallen. Kein Schrei nach Blut. Nicht einmal, als ihre Körper sich berührt hatten. Zum ersten Mal in vielen Jahren hatte er Ruhe vor der immerwährenden Wut seiner Raubkatze gehabt. Aber in dem Moment, in dem die Frau hinter der Tür verschwand, bekam sein Leopard einen Tobsuchtsanfall und versuchte mit aller Macht, die Kontrolle zu übernehmen.

Genau das war es, was Evangeline mit Fjodor gelang: Sie zähmte das Biest in seinem Inneren, einfach nur durch ihre Nähe. Timur brachte seinen Herzschlag und den Adrenalinfluss unter Kontrolle. Nur weil sein Leopard einige wenige Minuten lang nicht nach Freiheit und Blut gelechzt hatte, hieß das noch lange nicht, dass diese Frau das für ihn sein konnte, was Evangeline für Fjodor war.

Er machte auf dem Absatz kehrt und folgte ihr aus der Toilette nach draußen. Sie ging quer durch das Café in Richtung Tresen, und wie sie sich in ihrer Jeans bewegte, war reinste Poesie. Sein Herz machte einen Satz, als er sah, wie sie sich mit Evangeline unterhielt und dann hinter die Theke trat.

»Evangeline?«, sagte er in einem strengen Befehlston. Sie konnte nicht einfach jemanden einstellen, ohne sich dabei an das Sicherheitsprotokoll zu halten – und doch hatte sie das anscheinend getan.

Evangeline bemühte sich, seinem Blick standzuhalten, aber das gelang ihr natürlich nicht. Schließlich seufzte sie, kam hinter der Theke hervor, nahm ihn beim Arm und führte ihn auf die andere Seite des Raums – doch um sich außerhalb der Hörweite der anderen Frau zu unterhalten, war das Café nicht groß genug.

»Ich weiß, und es tut mir leid. Aber sie brauchte unbedingt einen Job, und sie bringt Erfahrung mit. Ich kann nicht mit deinen Männern arbeiten. Sie geben sich alle Mühe, wie Baristas zu wirken, aber sie sind nun mal keine und machen alles kaputt. Schon klar, warum du sie hier im Laden haben möchtest, aber sie vergraulen mir die Gäste. Sie ist wirklich schnell, und sie erinnert sich an die Namen der Kunden. Außerdem starrt sie sie nicht böse an oder macht ihnen Angst.«

»Verdammt noch mal, Evangeline, sie könnte sonst wer sein. Wo kommt sie jetzt plötzlich her?«

»Durch die Tür, wie alle anderen auch. Und ich weiß sehr wohl, wer sie ist.« Evangeline klang eher trotzig als reumütig. »Außerdem brauche ich wirklich Unterstützung.«

»Du hättest etwas sagen können, wir hätten schon jemanden gefunden. Fuck, ihr Name ist ein Witz. ›Ashe Bronte‹? Das ist einfach lächerlich. Niemand heißt so. Höchstens Pornostars.«

»Wenn du dich weiter so über meinen Namen lustig machst, werde ich dir bei jeder Bestellung was extra reinschütten, und es wird dir nicht schmecken, was dir nicht gefällt«, murmelte Ashe.

Sie hatte es leise gesagt in dem Glauben, dass er es nicht hörte. Er selbst hatte nicht ganz so leise gesprochen – doch sie schien ein äußerst gutes Gehör zu besitzen. Ihre Jeans war zu eng, als dass sich dort eine Waffe verstecken ließ, aber ihre Brüste waren groß genug, um dazwischen ein Messer zu verbergen. Vielleicht hatte sie irgendwo in ihrer Kleidung eine Garotte eingenäht, und ihre Stiefel boten genug Platz für eine Schusswaffe.

»Das ist nicht besonders nett von dir«, wies Evangeline ihn zurecht. Dann senkte sie ihre Stimme noch weiter. »Ist sie wirklich ein Pornostar? Hast du sie etwa in einem Film gesehen? Hübsch genug ist sie ja.«

»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Glaubst du etwa, ich verbringe meine Zeit damit, mir Pornos anzuschauen und mir dabei einen runterzuholen? Und warum müssen alle Unterhaltungen mit dir immer bei etwas Schlüpfrigem enden? Großer Gott, du machst mir echt das Leben zur Hölle.«

Er drehte sich auf dem Absatz um und eilte aus dem Café. Dabei fluchte er im Flüsterton vor sich hin und hörte Evangeline leise hinter sich kichern. Er sah sich noch einmal um und nahm auch die umliegenden Dächer noch einmal ins Visier, bevor er seinen Bruder aus dem Wagen steigen ließ. Gorja glitt im selben Moment aus dem Auto, um Fjodor nach hinten abzusichern. Sie gingen im Gleichschritt, und Timur fiel auf, dass Fjodor sich langsam daran gewöhnte, Bodyguards um sich zu haben – er bewegte sich stärker im Einklang mit ihnen als früher.

Auf seine Familie war bereits einmal ein Anschlag verübt worden, damals war Evangeline das Ziel gewesen. Mitja, ein weiterer Cousin von Timur, war schwer verwundet worden, als die Attentäter, die es eigentlich auf Evangeline abgesehen hatten, Fjodor töten wollten. Timur wusste, dass Fjodor sich dafür verantwortlich fühlte – seitdem war er auch ein wenig kooperativer geworden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der wahre Feind sie aufstöberte. Sie versteckten sich ja nicht einmal.

Fjodor hatte bis zu dem Anschlag, bei dem Mitja fast getötet worden wäre, den Decknamen Alonzo Massi getragen, dann aber wieder seinen richtigen Namen angenommen. Zum Glück, dachte Timur. Er war Russe und stolz drauf. Aber er war außerdem Leibwächter – und die Wahrscheinlichkeit, dass Fjodor mit der Rückkehr zu seiner wahren Identität ein paar gefährliche Gegner auf seine Spur locken würde, war groß. Und die würden sie alle ins Visier nehmen.

Timur öffnete seinem Bruder die Tür und ging vor ihm hinein. Er musste die Neue im Auge behalten. Wenn sie nach einer Waffe griff, war sie sofort tot – eine Vorstellung, die ihm ganz und gar nicht gefiel. Er sorgte dafür, dass er immer zwischen der Barista und Fjodor stand. Das war nicht weiter schwierig, denn Fjodor hatte nur Augen für Evangeline.

Evangeline ging sofort zu ihrem Mann, und Timur sah lieber woanders hin. Er behielt wechselweise die Straße hinter dem Schaufenster und die Neue im Blick, deren Gesicht leicht rot anlief, als sie zu Evangeline und Fjodor hinübersah.

Gorja ging zum Tresen, um einen Kaffee zu bestellen, aber es war deutlich, dass er eigentlich flirten wollte. Timur folgte ihm, und in der Nähe der Neuen beruhigte sich sein Leopard wieder sofort, rollte sich zufrieden zusammen und ließ ihn in Ruhe. Er hörte ihn nur ganz leise fauchen, den Kopf aufmerksam erhoben. Timur gab sich vielleicht damit zufrieden, der Frau nahe zu sein, die er in Gedanken die Leopardenflüsterin getauft hatte, doch der Katze in ihm gefiel es überhaupt nicht, dass auch sein Cousin in ihrer Nähe war.

»Süße, wer ist diese Frau, die du da angestellt hast? Du weißt, dass so etwas gefährlich ist – nicht nur für uns, sondern auch für das Geschäft«, flüsterte Fjodor Evangeline zu. »Du hast weder Timur noch mir Bescheid gesagt. Timur ist für unseren Schutz verantwortlich. Kannst du dir vorstellen, wie er sich fühlen würde, wenn er dabei versagt und du es mit deinem Leben bezahlst? Oder ich? Du solltest es wirklich besser wissen, Evangeline.«

Timur kippte vor Überraschung fast um und konnte nur knapp verhindern, dass ihm die Kinnlade hinunterfiel. Fjodor hatte nie auch nur mit einem Wort angedeutet, dass er sich dessen bewusst war, was für ein Alptraum sein Verhalten für Timur und seine Bodyguards war – besonders seit dem Anschlag auf ihn und Evangeline. Außerdem hatte sein Bruder Evangeline noch nie zurechtgewiesen – schon gar nicht öffentlich.

Er sah auf und direkt in Ashes Augen. Ihr Blick traf ihn wie eine Kugel durch das Herz. So heftig. Beinahe körperlich. Sie hatte es von hinter dem Tresen gehört, dabei befanden sich Fjodor und Evangeline in einer Ecke am anderen Ende des Cafés. Ihr Gehör war mehr als ausgezeichnet. Sie wandte den Blick als Erste ab, senkte den Kopf und konzentrierte sich auf Gorjas Kaffee.

»Tut mir leid«, flüsterte Evangeline. »Ich habe wirklich dringend eine Aushilfe gebraucht, und von den Männern, die du mir schickst, taugt keiner etwas. Sie lassen das Geschirr fallen und ruinieren die Kaffeemaschine. Hast du eine Ahnung, wie teuer das alles ist?«

»Süße«, sagte Fjodor mit einem Seufzen in der Stimme. »Eine neue Kaffeemaschine können wir uns kaufen, aber keine neue Evangeline.«

»Sie ist weder für mich noch für dich eine Gefahr. Bitte, Liebling, drück ein Auge zu.«

Etwas an Evangelines Tonfall erweckte Timurs Aufmerksamkeit, und er trat näher an die Theke. Evangeline kannte Ashe, zwischen ihnen bestand eine wie auch immer geartete Verbindung. Er sah dabei zu, wie Ashe Gorja den Kaffee überreichte und kassierte. Ihre Hände schienen ein wenig zu zittern. Nur ganz leicht, aber unübersehbar.

Timur mochte keine Unklarheiten, ganz besonders nicht, wenn es um Fjodors Sicherheit ging. Gorja winkte ihm zu. Sein Cousin war zusammen mit ihm aufgewachsen, und auch als Erwachsene standen sie sich sehr nahe, wie Brüder – aber wenn er nicht bald aufhörte, mit Ashe zu flirten, würde diese enge Beziehung schnell ein Ende finden. Timur erschrak, dass er überhaupt auf so einen Gedanken kam.

Er ging zu seinem Cousin, der am selben Zweiertisch wie immer saß. Der Tisch stand so, dass Gorjas Rücken geschützt war und er außerdem den Eingang und die Straße hinter dem Schaufenster sowie die Theke im Auge behalten konnte. Timur setzte sich nicht ihm gegenüber hin, sondern drehte einen Stuhl herum und nahm rittlings darauf neben Gorja Platz, sodass er ebenfalls die Tür und das Café im Blick hatte.

»Sie hat Angst«, formte Gorja mit den hinter dem Kaffeebecher verborgenen Lippen. »Mein Leopard ist ganz still geworden, ganz genauso, wie wenn Evangeline in der Nähe ist.«

»Vielleicht war das wegen Evangeline, sie ist ja auch hier«, gab Timur zu bedenken, aber er wusste, dass das nicht stimmte. Sein eigener Leopard schnurrte in Ashes Nähe ja beinahe.

»Sie muss ein Leopardenmensch sein.«

Dem konnte Timur nur zustimmen – und da sie beide Verdacht geschöpft hatten, konnte das nur bedeuten, dass ihre Leopardin sich bald zeigen würde – sobald der Zyklus der Leopardin mit dem der Frau zusammenfiel. »Wo kommt sie her?«

Gorja zuckte mit den Schultern. »Ich habe sie gefragt, aber sie hat nicht geantwortet. Sie hat keine einzige meiner Fragen beantwortet.«

Langsam füllte sich das Café. Fjodor verschwand mit Gorja in dem Hinterzimmer, das er als Büro nutzte. Gorja und Timur wechselten sich immer ab. Einer blieb vorne im Café, einer ging nach hinten ins Büro. Zwei weitere Bodyguards patrouillierten in der Gasse hinter dem Laden, und zwei bewachten den Bürgersteig davor. Ein weiterer Leibwächter befand sich auf dem Dach des Cafés und einer auf einem Dach gegenüber auf der anderen Straßenseite.

Timur sah Evangeline und Ashe bei der Arbeit zu. Sie waren schnell und effizient, bewegten sich in totaler Harmonie, als würden sie schon seit Jahren zusammenarbeiten. Ab und zu lachten sie, und dann war es ihm, als würde sich Ashes Lachen in seinem ganzen Körper ausbreiten und ihm alle Sinne verwirren. Schon das war seltsam genug, um ihn misstrauisch zu machen.

Die Raubkatze in ihm hasste eigentlich ausnahmslos jeden. Sein Leopard war ebenso wie er selbst in einer Welt voller Gewalt aufgewachsen. Der Lebensinhalt seines Vaters hatte darin bestanden, die Welt um ihn herum zu beherrschen, und zwar indem er Angst und Schrecken verbreitete. Seinem Vater hatte es gefallen, dass jeder ihn fürchtete. Timur und Gorja waren ein paar Jahre jünger als Fjodor und hatten panische Angst vor ihm gehabt. Sie hätten es niemals gewagt, irgendwelche Freundschaften zu schließen, da sie ihr Vater ganz bestimmt gezwungen hätte, diese Freunde zu töten. Und es wäre ihm egal gewesen, ob es sich dabei um ein Kind handelte, eine Frau oder einen Mann, der eine Familie ernähren musste. Timurs Vater hatte es hochgradig amüsiert, wenn er seine Söhne zum Morden zwang.

Mit einer Frau zusammen zu sein war unmöglich gewesen. Zugegebenermaßen nicht völlig unmöglich, aber ein hohes Risiko. Wenn sein Verlangen zu groß wurde, hatte Timur eine willige Frau in einer Bar aufgegabelt, mit ihr geschlafen und war dann schnell wieder verschwunden, bevor sein wütender Leopard sich befreien und sie töten konnte. Fjodor und Gorja ging es nicht anders, und Timur vermutete, dass auch seine Cousins Mitja und Sewastjan die gleichen Probleme hatten, was Frauen anging.

Ihre Leoparden waren zu viel Gewalt ausgesetzt worden, und sie hatten bereits in jungen Jahren töten müssen. Die brutalen Schläge seines Vaters hatten Timurs Leoparden gegen seinen Willen hervorgezwungen. Sobald sich sein Leopard gezeigt hatte, hatte er an den grausamen Spielen seines Vaters teilnehmen und seine Raubkatze darauf trainieren müssen, zum Vergnügen zu töten. Für Blut. Menschliches Blut.

Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, während er die Straße im Auge behielt. Er wünschte sich ein Zuhause wie jeder andere, wusste aber gleichzeitig, dass das für ihn nicht infrage kam. Fjodor hatte Evangeline, aber die beiden lebten in einer Art Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gab. Es gab keinen Ort auf dieser Welt, an dem man sich noch verstecken konnte. Sie wussten alle, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ihre Taten sie einholten. Timur würde niemals Frau und Kinder haben. Er würde auch niemals ein Zuhause kennen oder die Berührung einer Frau spüren. Nie mehr. Nicht, solange sie gejagt wurden wie Tiere.

»Kann ich dir etwas bringen?«, fragte Evangeline, als es im Café wieder etwas ruhiger wurde.

Er hatte schon erwartet, dass sie versuchen würde, die Wogen wieder zu glätten. Er war sauer auf sie, weil sie Ashe eingestellt hatte, ohne es vorher mit ihm zu besprechen. Er musste einen Backgroundcheck machen und alles über diese Frau in Erfahrung bringen, was es über sie zu wissen gab, bevor er ihr erlauben konnte, auch nur in die Nähe von Fjodor und Evangeline zu kommen. Aber indem sie die Frau selbst eingestellt und Fjodor vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, war das unmöglich.

Evangeline glitt auf den Stuhl, der ihm gegenüberstand, woraufhin er sich mit einem leichten Kopfschütteln gerade hinsetzte. Ashe beobachtete sie. Sie stand ein wenig zu steif da, und ihr Lächeln verblasste.

»Versuch’s erst gar nicht«, sagte Timur mit rauer Stimme, wobei er ein Knurren kaum unterdrücken konnte. Er musste sie irgendwie zur Vernunft bringen. »Ich bin sauer auf dich, Evangeline. Ehrlich.«

»Ich weiß, und es tut mir leid. Du hast jedes Recht dazu.«

»Ein ›tut mir leid‹ reicht da nicht. Mein Bruder könnte wegen dir getötet werden. Du könntest getötet werden, und was soll dann aus ihm werden? Ich will jetzt wirklich keine Entschuldigungen hören. Außerdem sind wir hier nicht unter uns.«

Das teilte ihr hoffentlich deutlich genug mit, dass er ihr eine Menge zu sagen hatte, was ihr nicht gefallen würde. Und sie zuckte tatsächlich unter seinen Worten zusammen, vor allem bei der Bemerkung, dass Fjodor den Preis für ihren Eigensinn zahlen könnte.

»Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Ganz sicher nicht. Oder wie viele Frauen werden denn noch hier auftauchen, mit denen du früher schon zusammen in einem Café gearbeitet hast?« Er beobachtete ihr Gesicht genau, aber eigentlich interessierte ihn Ashes Reaktion noch viel mehr.

Evangeline lief rot an und warf Ashe einen Blick über die Schulter zu.

»Versuch bloß nicht, das zu leugnen, mladschaja sestra, damit machst du mich nur noch wütender. Ich lass mich nicht gerne anlügen, und du bist auch nicht besonders gut darin.«

»Ich habe auch überhaupt nicht vor, dich anzulügen«, erwiderte Evangeline. »Ich kann nur nichts dazu sagen. Das tut mir alles sehr leid, aber sie stellt wirklich keine Gefahr dar.«

»Das hast nicht du zu entscheiden, und das weißt du ganz genau. Damit war Schluss, als du meinen Bruder geheiratet hast. Das ist meine Aufgabe, nicht deine. Wenn du willst, dass deine Freundin bleibt, musst du mit der Wahrheit rausrücken. Sonst könnte es sein, dass sie für immer verschwindet.«

Evangelines Gesicht wurde totenbleich. »Timur …«

»Lass das«, fuhr er sie an, lehnte sich über den Tisch zu ihr und sah ihr direkt in die Augen, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass er es genauso meinte, wie er es gesagt hatte. »Ich bin für euch beide verantwortlich. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, um Fjodors Sicherheit willen zu einer Waffe zu werden. Und jetzt trage ich auch noch die Verantwortung für dich und für eure künftigen Kinder. Das ist mein einziger Lebenszweck, und da mache ich auch für dich keine Ausnahmen. Du kannst gern mit Fjodor reden und ihn dazu bringen, mich zu feuern. Das würde nichts ändern, ich werde trotzdem über euch wachen. Entweder erzählst du mir die Wahrheit über deine Freundin, oder du schickst sie weg.«

Der Gedanke, Ashe einfach ziehen zu lassen, tat weh. Sein Leopard protestierte mit einem wütenden Fauchen und schlug mit der Tatze nach seinen Eingeweiden. Aber Timur hatte jedes einzelne Wort ernst gemeint. Und Evangeline tat gut daran, das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

»Ich rede mit ihr. Wenn sie es mir erlaubt, sage ich dir alles. Wenn nicht, dann muss sie eben wieder gehen. Heute Abend erfährst du, was du wissen willst, oder sie verschwindet. Versprochen.«

Timur lehnte sich zurück und nickte ihr kurz zu. Es war sein voller Ernst, so gut kannte sie ihn inzwischen. Er sah wieder auf die Straße hinaus, bemerkte zwei Männer und seufzte leise. Cops. Er kannte sie und sie kannten ihn. Einer, Jeff Myers, hatte undercover unter dem Decknamen Brice Adler versucht, Fjodor Evangeline auszuspannen. Sein Partner hatte sich als Reeve Hawkins ausgegeben, sein echter Name war Ray Harding.

»Bislang ist mir das nicht so aufgefallen, aber dich hat eure Vergangenheit viel stärker mitgenommen als Fjodor, hab ich recht?«, sagte Evangeline leise und voller Mitgefühl.

Er wollte ihr Mitleid nicht. Er wollte überhaupt nichts von ihr hören, was ihn vielleicht daran hindern könnte, jene messerscharfe menschliche Waffe zu sein, die seine Familie schützte, denn dann würde sein Bruder – oder Evangeline – den Preis für seine Schwäche zahlen. Er bedeutete ihr, wieder an die Arbeit zu gehen, und wies mit dem Kinn in Richtung Tür. Er wollte nicht, dass Ashe einen der beiden Polizisten bediente. Sie würden die Neue unweigerlich anbaggern – und er wollte nicht, dass diese Frau ihnen auch nur ein Sterbenswort über seine Familie erzählte.

Jeff Meyers schlenderte herein, als ob ihm der Laden gehörte, Ray Harding ging neben ihm her. Beide waren in Zivil. Sie starrten ihn an, aber Timur verzog keine Miene. Beide Cops wussten aus Erfahrung, dass sie seinem Blick nicht lange standhalten konnten, also versuchten sie es gar nicht erst, sondern gingen weiter zur Theke, um dort auf unverschämte Weise mit Evangeline zu flirten.

Evangeline war so klug gewesen, Ashe eine Pause zu verordnen und sie nach hinten zu schicken, was Timur ein wenig erleichterte. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, dass sein Leopard ihn noch gereizter und unberechenbarer werden ließ, als er beim Anblick der beiden Cops sowieso schon war. Er mochte sie nicht, und die Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit.

Er blickte weiter hinaus auf die Straße, ließ die Cops dabei aber keinen Moment lang aus den Augen. Hoffentlich stand Gorja vor Fjodors Büro Wache, nur falls Ashe auf die Idee kam, sich mit Fjodor zu unterhalten, oder – noch schlimmer – das für eine gute Gelegenheit hielt, ihn zu töten, wenn sie tatsächlich eine Auftragskillerin war. Er musste sich geradezu beherrschen, um bei dem Gedanken nicht laut aufzustöhnen. Nun machte er sich erst recht Sorgen.

»Gorja, du behältst die Neue im Blick«, sagte er leise über Funk.

»Ich hab sie im Auge«, bestätigte Gorja mit größerem Enthusiasmus, als Timur recht war.

»›Auge‹ ist dabei übrigens völlig ausreichend, Hände oder Mund oder andere Körperteile wären gegen meine direkte Anweisung, und ich müsste sie dir dann wohl abschneiden.«

Gorjas Lachen machte ihn wütend. Nicht weil Timur kein Verständnis dafür hatte, sondern weil ein Verlangen nach Evangelines Freundin in seinem eigenen Körper brannte und ihn auch ohne Zutun seines Leoparden mürrisch und nervös machte. Er wagte es nicht einmal, Meyers und Harding dafür zurechtzuweisen, dass sie mit Evangeline flirteten. Normalerweise wäre er vielleicht aufgestanden und hätte der Baggerei ein Ende gemacht, aber jetzt blieb er lieber sitzen, die Beine vor sich ausgestreckt. In Gedanken malte er sich aus, wie er die beiden am besten umbrachte. Ihm fielen aus dem Stegreif mindestens fünfzehn Möglichkeiten ein.

Als sie endlich gingen, atmete er erleichtert auf und befahl seinem Leoparden, sich zu beruhigen, anstatt weiter ein solches Theater zu machen. Die Katze antwortete mit einem Knurren, fletschte die Zähne und gab Timur so zu verstehen, dass das alles nur seine Schuld sei. Und ausnahmsweise musste ihm Timur recht geben. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, zur Theke zu gehen und Evangeline böse anzustarren.

»Haben sie sie gesehen oder mit ihr gesprochen?«, fragte er.

Evangeline machte sich nicht die Mühe, so zu tun, als wüsste sie nicht, worum es ging. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn sie sie beim Hereinkommen bemerkt hätten, bevor sie nach hinten gegangen ist, dann hätten sie es ganz sicher erwähnt.«

»Sorg dafür, dass das auch so bleibt.«

Sie nickte kurz, und im nächsten Moment öffnete sich die Tür zwischen Küche und Café und Ashe kam wieder herein. Warum ihre Eltern sie so genannt hatten, war unübersehbar. Ihre Haarmähne hatte die Farbe von Asche und Platin, mit ein wenig Gold darin. Er drehte ihr den Rücken zu, beobachtete sie aber in den Spiegeln, die er an strategischen Punkten im großen Gastraum hatte anbringen lassen. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, bis er sich wieder auf seinem Platz niedergelassen hatte. Immerhin.

In der nächsten Stunde blieb das Café gut besucht. Timur nutzte die Gelegenheit, um sich die Beine zu vertreten und seine Muskeln zu lockern. Sie brauchten einfach mehr Sicherheitsleute für Fjodor, aber dafür wollte Timur ausschließlich Leopardenmenschen einstellen – und davon gab es nicht viele. Gestaltwandler waren nun mal schneller als Menschen, und wenn es hart auf hart kam, konnten sie ihre Raubkatzen zu Hilfe rufen. Ihre Sinne waren viel ausgeprägter, ein Leopard spürte die Gefahr und wusste, wann seinesgleichen in der Nähe waren – mit einer Ausnahme: Gestaltwandlerinnen, deren Leopardin sich noch nicht gezeigt hatte.

Er sank auf seinen Stuhl zurück und sah Ashe dabei zu, wie sie Kaffee und Gebäck verkaufte. Ihr beständig zur Schau getragenes Lächeln wirkte unecht, und jedes Mal, wenn die kleine Glocke über dem Eingang einen neuen Kunden ankündigte, huschte ihr Blick zur Tür. Sie hatte eindeutig Angst vor etwas. Und das eröffnete wiederum ganz neue Gefahrenquellen.

Wenn sie eine Gestaltwandlerin war – und da war er sich sicher – und ihre Leopardin sich noch nicht gezeigt hatte, dann hatten sie wahrscheinlich seine Onkel geschickt, um Fjodor zu ermorden. Seine Onkel waren dem Ruf nach noch grausamer und bösartiger, als Timurs Vater es gewesen war, und sie hatten geschworen, Fjodor zu töten, um den Mord an ihrem Bruder zu rächen. Dass Fjodors Tat gerechtfertigt gewesen war, spielte für sie keine Rolle.

Fjodor war unversehens dazugekommen, als ihr Vater ihre Mutter bereits brutal ermordet und Timur und Gorja fast totgeschlagen hatte, weil die beiden Jungen versucht hatten, ihn aufzuhalten. Es war ein regelrechtes Blutbad gewesen. Fjodor hatte ihren Vater getötet und war dann auf die ranghöheren Mitglieder des Rudels losgegangen, um sie davon abzuhalten, die anderen Frauen zu töten. Und nun wollten die Brüder ihres Vaters ihren Tod. Sie hatten ein Kopfgeld auf ihre Neffen ausgesetzt, und da Fjodor und sein Bruder sich nicht mehr hinter falschen Identitäten versteckten, würden die Killer sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dass sie vielleicht eine Frau schickten, war kein abwegiger Gedanke.

Timur beobachtete Ashe bei der Arbeit. Sie war unheimlich schnell. Manchmal schien es fast, als würde sie gleich etwas fallen lassen, doch das täuschte. Sie bewegte sich mit einer fließenden, geradezu unnatürlichen Anmut, als ob sie jeden Muskel, jede Bewegung völlig unter Kontrolle hätte.

Er hätte Evangeline am liebsten angeschrien. Alles an Ashe war verdächtig, aber sie war auch bemerkenswert schön. Je länger er sie ansah, desto bewusster wurde es ihm. Wäre sie größer gewesen, hätte sie das Zeug zum Model gehabt. Er hätte sie am liebsten berührt, nur um sich zu vergewissern, dass ihre Haut wirklich so weich war, wie sie aussah.

Sie hatte ihr Haar so nachlässig zu einem Knoten hochgebunden, dass es sich immer wieder löste und sie die Frisur wieder richten musste. Daraus schloss er, dass sie schon eine Weile nicht mehr in der Gastronomie gearbeitet hatte, sonst hätte sie sicher daran gedacht, ihr Haar richtig hochzustecken oder zu bedecken. Stattdessen trug sie es in diesem sexy Durcheinander, das ihn an Schlafzimmer denken ließ. Oder an Sex. Oder beides. Das Schlafzimmer war dabei nicht annähernd so wichtig wie der Sex.

Ein so derart dickes, blondes Haar machte es noch wahrscheinlicher, dass sie ein Leopardenmensch war, da diese immer dichtes Haar hatten, egal von welcher Farbe. Auch die Art, wie sie sich bewegte, war ein Indiz. Unvermittelt blickte sie auf und ihm direkt in die Augen. Dann schnappte sie sich die Kaffeekanne, kam hinter der Theke hervor und marschierte direkt auf ihn zu. Das war keine gute Idee.

»Hören Sie auf, mich anzustarren«, fauchte sie ihn an, während sie ihm Kaffee in den Becher goss. »Ehrlich. Ich fühle mich unwohl dabei. Sie sind stinksauer, weil ich hier arbeite – okay! Nachdem ich Evangelines Mann gesehen habe, ist mir auch klar, warum. Aber ich brauche den Job hier, also lassen Sie mich bitte in Ruhe.«

Als sie sich zum Gehen wandte, griff er nach ihrem Handgelenk, nahm ihr behutsam die Kaffeekanne aus der Hand und stellte sie außerhalb ihrer Reichweite auf den Tisch. Er wollte vermeiden, dass sie ihm brühend heißen Kaffee in den Schoß kippte, und er hatte das Gefühl, dass sie dazu nicht nur fähig war, sondern es sogar schon in Erwägung gezogen hatte. Er hielt sie weiter am Handgelenk fest. »Sie wirken eher wie ein Bodyguard als wie eine Barista.«

»Wie kommen Sie denn auf so etwas?«

Sie klang angespannt. Er hatte ein feines Gehör, und auch wenn sie sich bemühte, gelassen zu klingen, hörte er das heraus.

»Sie bewegen sich wie jemand, der weiß, wie man sich selbst und – wie ich vermute – auch andere verteidigt.«

»Das kann schon sein, aber deshalb bin ich nicht hier. Ich bin eine gute Barista und ich brauche diese Stelle.«

»Woher kennen Sie Evangeline?«

»Fragen Sie sie doch.«

»Ich frage aber gerade Sie.«

Sie seufzte und sah zur Theke hinüber. »Ich muss wieder an die Arbeit, hier ist gerade viel los. Aber ich werde Ihnen sagen, was Sie wissen wollen. Sollen wir uns nach der Arbeit vielleicht irgendwo treffen?«

»Ich habe heute lange Dienst. Wo wohnen Sie?«

Sie zögerte.

Timur seufzte. »Ich finde es sowieso heraus, also warum erzählen Sie es mir verdammt noch mal nicht gleich?«

»Ich wohne in Evangelines altem Haus.«

Zum Glück hatte sie auf weitere Diskussionen verzichtet und ihm verraten, wo sie lebte. Heute Abend würde er ihr einen Besuch abstatten. Und zwar allein. Der Gedanke gefiel ihm – und das war gefährlich für sie beide. Er ließ ihr Handgelenk los, und sie rieb es, als hätte er ihr wehgetan. Oder als ob sie das Gefühl seiner Berührung damit abschütteln könnte.

Seit sie in seine Nähe gekommen war, hatte sich sein Leopard wie ein Vollidiot benommen, sich herumgewälzt und ein absurdes Brummen von sich gegeben, das zum Glück niemand außer Timur hören konnte. Er fuhr mit dem Finger an ihrem Arm entlang bis zu ihrer Hand und deutete dann auf die Kaffeekanne. »Sie haben da was vergessen.«

Eine leichte Röte schoss ihr den Hals hinauf ins Gesicht. Sie schnappte sich die Glaskanne und brachte sich ohne ein weiteres Wort hinter der Theke in Sicherheit.

Sein Herzschlag normalisierte sich wieder. Er presste die Hand gegen seine Brust, während er tief durchatmete, bis sich die Erektion gelegt hatte, die er nicht hatte verhindern können und die sie zum Glück nicht gesehen hatte. Zumindest hoffte er das. Sie hatte ihren Blick geflissentlich von diesem Teil seines Körpers ferngehalten. Es war schon viele Jahre her, seit er zum letzten Mal Probleme gehabt hatte, seinen Körper unter Kontrolle zu bekommen. Das musste an seinem Leoparden liegen und an der Tatsache, dass eine potenzielle Gefährtin in der Nähe war.

Wusste sie es? Die meisten Frauen hatten keine Ahnung von ihrer Leopardin, bis sie sich zeigte. Evangeline hatte es gewusst. Sie hatte von Kindheit an eine Verbundenheit zu ihrer Raubkatze gespürt. Auch wenn Ashe nichts davon ahnte: Wenn sich ihre Leopardin zeigte, würde sie mit jedem Mann in der Nähe flirten – einschließlich Gorja und den beiden Trotteln, die sich Cops schimpften. Und das gefiel Timur ganz und gar nicht.

Ein Mann kam den Bürgersteig entlang und ging am Café vorbei, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Er schien nur ein unauffälliger Passant zu sein, aber sein Anblick ließ Timur innerlich erstarren. Und auch Timurs Leopard war auf den Mann aufmerksam geworden und knurrte. Timur hob seine Kaffeetasse an die Lippen und behielt dabei den Unbekannten im dunklen Anzug in den Augen. Der Mann blieb am Ende des Schaufensters stehen, schaute auf seine Uhr, drehte sich um und ging den Weg wieder zurück. Dabei warf er einen langen Blick in das Café.

Timur fluchte innerlich. Er hätte die Glasscheibe stärker tönen lassen sollen. Im Laden herrschte reger Betrieb, die Kunden drängten sich an der Theke. Er beobachtete, wie der Mann an der Tür zögerte und dann weiterging.

»Mann im dunklen Anzug. Siehst du ihn? Groß, verspiegelte Sonnenbrille.«

»Bin an ihm dran, Boss«, antwortete Trey Sinclair vom Dach auf der anderen Straßenseite. Zwei weitere von Timurs Sicherheitsmännern patrouillierten auf der Straße, einer befand sich auf dem Dach des Cafés. »Hab ihn genau im Fadenkreuz.«

»Jeremiah, was ist mit dir? Kannst du ihm unauffällig folgen? Denk dran, das ist etwas Wichtiges. Du bist hier nicht mehr im Dschungel«, fügte er noch hinzu, weil der Junge seiner Ansicht nach weniger angeben und besser aufpassen sollte. Er war jung und ehrgeizig und sehr auf Timurs Anerkennung bedacht. Timur gefiel es ganz und gar nicht, den Jungen einer Gefahr auszusetzen – und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass der Mann im dunklen Anzug eine Gefahr darstellte.

»Kein Problem, Boss.«

»Jetzt hör mir mal gut zu, du eingebildeter kleiner Scheißkerl. Der Typ macht dich kalt, wenn er dich bemerkt. Bau keinen Mist, hier gibt es keine zweite Chance.«

Es folgte kurzes Schweigen. Jeremiah mochte übermütig und eingebildet sein, aber er hatte gelernt, auf Timur und seine Brüder zu hören. Anders als sie war er nicht umgeben von Gefahren und bösartigen Monstern aufgewachsen. Sie hatten von Haus aus so etwas wie einen Radar für alle Bedrohungen, während Jeremiah gerade erst begonnen hatte, seine Fähigkeiten zu entwickeln.

»Verstanden. Ich bin extra vorsichtig.«

»Lieber verlierst du ihn aus den Augen, als dass du ihm zu nahekommst, okay?«

»Okay.«

Timur konnte nur hoffen, dass der Junge es auch wirklich verstanden hatte. Der Mann war längst aus seinem Sichtfeld verschwunden, und noch immer schrillten bei ihm alle Alarmglocken.

2

Du latschst noch ein Loch in den Teppich«, sagte Gorja. »Rumtigern bringt den Jungen auch nicht schneller wieder her. Entweder kommt er oder eben nicht.«

»Ich hätte diesen kleinen Scheißkerl niemals mit so einer Aufgabe betrauen sollen«, sagte Timur. Er schüttelte den Kopf und trat zum Fenster. Aus Gewohnheit hielt er sich dabei an der Seite, damit man ihn von außen nicht sehen konnte. Fjodors Villa war riesig, und die Teppiche waren teuer. Timur war sich ziemlich sicher, dass er es nicht schaffen würde, sie durchzulatschen, egal, wie oft er darauf hin und her lief.

»Ich mag den Kleinen. Aber er ist noch so jung, und er will sich unbedingt beweisen«, sagte Timur. »Wenn er wiederkommt, rufe ich Drake Donovan an, damit er ihn jemand anderem zuweist, das schwöre ich. Sollen doch Joshua oder Elijah auf ihn aufpassen.«

Gorja schüttelte den Kopf. »Du bist sein Ausbilder, nicht sein Babysitter. Das ist das Problem. Du siehst ihn nicht als Mann.«

Da musste Timur ihm recht geben, aber er wollte verdammt noch mal nicht für den Tod des Jungen verantwortlich sein. Ihm eine SMS zu schicken oder anzurufen, war zu riskant, denn wenn er sich in einer heiklen Situation befand – zum Beispiel, wenn er gefoltert wurde, um ihn zum Reden zu bringen –, würde das alles noch schlimmer machen.

Er schloss die Augen, sah einen Fluss aus Blut und hörte die Schreie seiner Mutter, die gerade brutal ermordet wurde. In diesem Moment fühlte er sich wie damals. Er stand unter Schock, und das Adrenalin raste so schnell durch seine Adern, dass es ihn große Mühe kostete, seine ausdruckslose Miene beizubehalten. Er hatte zu oft mit ansehen müssen, wie jemand gefoltert wurde, und war zu oft selbst daran beteiligt gewesen – er konnte gut auf ein weiteres Mal verzichten.

Er wollte den Jungen nicht auf dem Gewissen haben. Wenn er selbst jemanden töten musste, konnte er damit leben, aber warum hatte er bloß den Jungen mit diesem Auftrag betraut? Schließlich hatte er doch gleich gewusst, dass dieser Unbekannte jemand war, mit dem man sich besser nicht anlegte … Das würde ihn bis ans Ende seiner Tage verfolgen. »Verdammt. Wir können ihn nicht orten. Wir könnten ein paar von unseren Männern losschicken.«

»Das bringt doch nichts, wir wissen ja noch nicht einmal, wo wir ihn suchen sollen.«

Er fluchte und drehte sich um. »Ich werde Fjodor vorschlagen, unseren Männern Mikrochips einzupflanzen, damit wir sie immer orten können. Handys sind da keine große Hilfe, weil sie einem als Erstes abgenommen werden. Aber niemand würde ein Mikrochipimplantat vermuten.«

»Er wird schon heil zurückkommen – und fünf Minuten später wirst du ihm mal wieder selbst den Hals umdrehen wollen, darauf wette ich«, prophezeite Gorja.

Timur konnte ihm da schlecht widersprechen. Der Junge hätte selbst einen Heiligen so weit gebracht, lieber in der Hölle zu schmoren. »Was hältst du von der Neuen? Ashe Bronte?« Er musste das Thema wechseln, wenn er nicht vor lauter Sorge durchdrehen wollte.

»War Bronte nicht der Name irgendeiner Schriftstellerin?«

»Sogar von drei. Schwestern. Ziemlich berühmt.« Gorja konnte seinem Cousin in puncto englischer Literatur nicht das Wasser reichen. Timur hatte sich dieses Wissen heimlich angeeignet, damit sein Vater ihn nicht deswegen verprügelte.

»Wir konnten nichts über eine Frau namens Ashe Bronte herausfinden. Irgendwo auf der Welt gibt es sicher eine, die so heißt, aber die hier ist es sicher nicht«, sagte Gorja. »Ich glaube, sie ist ein Spitzel, was schade ist, weil sie wirklich scharf …«

»Halt die Fresse«, fauchte Timur ihn an. »Es ist echt nicht notwendig, dass du dich über ihr Aussehen auslässt. Meinst du etwa, das ist mir entgangen? Ich bin schließlich nicht blind, und sie fällt sicher jedem Mann im Umkreis von hundert Meilen auf. Sie ist tabu, also hör auf, mit ihr zu flirten.«

Gorja starrte ihn etwas zu lange an, und Timur weigerte sich, als Erster den Blick abzuwenden. Dies gelang ihm aber nur mithilfe seines Leoparden, der seinen Cousin, der wie ein Bruder für ihn war, durch seine Augen hindurch fixierte.

»Du findest sie attraktiv.«

»Ich finde viele Frauen attraktiv, und wie du schon gesagt hast, sieht sie gut aus.«

Gorja schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, das hier ist etwas anderes. Die ist was ganz Besonderes, und du bist hinter ihr her. Dein Leopard lässt dich vielleicht sogar mit ihr rumspielen, ohne sie gleich töten zu wollen.«

Timur zuckte scheinbar unbeeindruckt mit den Schultern – dabei gab es in Bezug auf Ashe Bronte einfach nichts, was ihn unbeeindruckt ließ. »Da mache ich mir keine Hoffnungen. Also lass es gut sein, dann muss ich mich auch nicht ärgern.«

»Sie wird sowieso nicht auf deinen Charme hereinfallen«, erwiderte Gorja. »Oh, Verzeihung … du hast ja gar keinen …«

Timur ließ sich Gorja gegenüber in einen Sessel sinken. »Ich habe ihr gesagt, dass ihr Name erfunden klingt und – schlimmer noch – wie der eines Pornostars. Das mochte sie gar nicht.«

Gorja starrte ihn einen Moment lang an und brach dann in Gelächter aus. Timur hatte noch nie viel zu lachen gehabt, deshalb war sein Grinsen ein wenig eingerostet, aber aufrichtig.

»Nicht gerade die beste Anmache«, bemerkte Gorja. »Ich meine ja nur. Du solltest ein bisschen an deiner Taktik feilen. Ich glaube, du bist da etwas aus der Übung.«

Dazu schwieg Timur lieber, denn Gorja hatte völlig recht. Eine Frau aufzureißen war kein Problem für ihn, und sie ins Bett zu bekommen erst recht nicht. Seinen wütenden Leoparden unter Kontrolle zu behalten dagegen war etwas ganz anderes und manchmal fast unmöglich. Mit Ashe zusammen zu sein, sich gegenseitig die Kleider vom Leib zu reißen und sich aufeinander zu stürzen, so wie er es mochte und ohne dass sein Leopard nach Blut schrie – das war ihm jeden Preis wert.

»Leck mich«, sagte Timur und zeigte seinem Cousin den Mittelfinger. Dann sah er wieder auf die Uhr und aus dem Fenster. Wenn der Junge nicht bald auftauchte, würde er seinem Bruder sagen müssen, dass es vielleicht ein Problem gab. Außerdem würde er Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um den Jungen zu finden und wieder nach Hause zu bringen.

Jeremiah Wheating war ein guter Junge. Er war zwar übereifrig und wollte sich unbedingt beweisen, aber er hatte die richtigen Instinkte. Nachdem Drake Donovan ihn aus Borneo mitgebracht hatte, hatte er zunächst eine Zeit lang als Bodyguard für den mächtigen Gestaltwandler Jake Bannaconni gearbeitet. Jake konnte einen Konzern auseinandernehmen und innerhalb einer Woche völlig umkrempeln, was ihm nicht nur eine Menge Geld, sondern auch eine Menge Feinde eingebracht hatte.

Danach hatte Drake Jeremiah andere Aufgaben gegeben, damit er mehr Erfahrung sammeln konnte. Er hatte ihn Fjodor zugeteilt, um im Café auf Evangeline aufzupassen. Dabei hatte sich Jeremiah allerdings nicht gerade hervorgetan – er hasste seinen neuen Job sogar so sehr, dass er Fjodor und Evangeline einige Probleme bereitet hatte – etwas, das Timur niemandem empfehlen würde.

Jeremiah hatte sich als völlig unfähig erwiesen, in dem Café zu arbeiten und so zu tun, als wäre er ein Barista. Timur seufzte. Wenn sich Jeremiah nicht so dämlich angestellt hätte, gäbe es jetzt allerdings keine Ashe, die ihren süßen kleinen Hintern noch dazu in Evangelines Haus geparkt hatte. Evangeline war zwar zu Fjodor in dessen Anwesen gezogen, aber sie hatte sich geweigert, ihr Haus aufzugeben, das sie von ihrem eigenen Geld gekauft und selbst renoviert hatte. Wie hätte Timur ahnen sollen, dass sie darin nun eine potenzielle Gefahrenquelle beherbergte.

Timurs Leute arbeiteten bereits daran, Ashes wahre Identität aufzudecken, aber ein Teil von ihm wollte gar nicht wissen, ob sie ihnen wirklich feindlich gesonnen war. Denn dann wäre es seine Aufgabe, sie loszuwerden – und zwar für immer. Er presste zwei Finger fest auf seine Augen und wünschte sich, ein besserer Mensch zu sein oder zumindest die Chance zu bekommen, einer zu werden. Er war in eine gewalttätige Welt hineingeboren worden, und es war ihm nur zu bewusst, dass er auch ein solches Ende nehmen würde.

»Alles klar?«, fragte Gorja und wirkte dabei ehrlich besorgt.

Timur sah auf und begegnete seinem Blick. Gorja war ihm mehr Bruder gewesen als Fjodor. Keine noch so lange Zeitspanne würde die hässlichen Erinnerungen an ihre brutale Kindheit auslöschen, die sie gemeinsam durchgemacht und dank Fjodor überlebt hatten. Er schüttelte langsam den Kopf. Er konnte Gorja nicht anlügen. Sein Cousin war der einzige Mensch auf der Welt, dem er immer die Wahrheit anvertrauen würde, egal, worum es ging. »Diese Frau wühlt etwas in mir auf, das besser in Ruhe gelassen werden sollte.«

Wie das Bedürfnis, sie unter sich zu haben. Wie das Bedürfnis, gleichzeitig das Flehen um Erlösung und das Begehren nach allem, was er ihr geben konnte, in ihren Augen zu sehen. Vor allem aber die Sorge, dass sie vielleicht sterben musste, und zwar durch seine Hand. Wenn sie wirklich von ihren Feinden geschickt worden war, würde er zumindest dafür sorgen, dass sie nicht verhört wurde. Auch wenn er sonst nichts für sie tun konnte – er würde sie einen schnellen und sauberen Tod sterben lassen, von dem sie möglichst überhaupt nichts mitbekam.

»Glaubst du, dass sie uns die Frau geschickt haben?«, fragte Gorja. Er sprach sehr leise, und in seiner Stimme lag keine Spur von dem Mitgefühl, das Timur in seinen Augen sah.

Timur seufzte erneut und nickte langsam. »Ich kann es mir nicht anders erklären. Sie taucht unter falschem Namen aus dem Nichts auf und überredet Evangeline, sie zu engagieren, ohne es einem von uns zu sagen. Sie ist brillant. Und überzeugend. Und sie hat Evangeline sogar beschwatzt, sie in ihrem Haus wohnen zu lassen. Hast du gesehen, wie sie sich bewegt hat? Das ist definitiv keine Barista, auch wenn sie das wirklich gut macht. Aber trotzdem stimmt was nicht mit ihr.«

»Glaubst du, dass Lazar sie geschickt hat?«, fragte Gorja leise. Er sprach den Namen ihres Onkels ebenso hasserfüllt wie ängstlich aus.

Timur zuckte mit den Schultern. »Wir wissen, dass er hinter uns her ist. Er weiß, dass wir stark sind, es wäre also ein schlauer Schachzug, ein Weibchen zu schicken, das demnächst das Han Vol Don durchmacht. Wenn sie in Hitze kommt, dreht jeder Leopardenmann im Umkreis von mehreren Meilen durch. Wenn wir ausflippen, wäre es ein Leichtes für sie, Fjodor zu töten. Oder uns. An uns will er sich schließlich auch rächen.«

»Aber er hat es hauptsächlich auf Mitja abgesehen«, meinte Gorja.

Er hatte recht. Von allen, die in dieser Alptraumwelt aufgewachsen waren, hatte Mitja stärker gelitten als ihr anderer Cousin, Sewastjan. Es war so schlimm gewesen, dass zeitweise sogar Timurs Vater den Zorn von Lazar und seinem Bruder Roland riskiert und gegen die Behandlung seiner Neffen protestiert hatte. Und das sollte schon etwas heißen.

»Er wird versuchen, uns alle umzubringen. Evangeline muss rund um die Uhr bewacht werden, vor allem jetzt, nachdem diese Frau aufgetaucht ist und es irgendwie geschafft hat, sich ihr Vertrauen zu erschleichen. Ich werde mir Ashe noch heute Abend vorknöpfen.« Er sah auf seine Uhr, verzog das Gesicht und schüttelte dann den Kopf. »Das dauert viel zu lang. Versuch es mal bei ihm.«

»Er würde sich doch melden, wenn er könnte«, sagte Gorja. »Soll ich das wirklich tun?«

Timur nickte, sprang auf und tigerte abermals durch den Raum. Er wusste nicht wohin mit sich und hatte das Gefühl, gleich explodieren zu müssen, wenn er sich nicht bewegte. Das war alles die Schuld dieser Frau. Ashe. Er hatte sich mit seinem Leben abgefunden. Damit, dass es sich darin erschöpfte, seinen Bruder und Evangeline zu beschützen. Ein eigenes Leben war für ihn nicht vorgesehen. Er hatte zu viele Sünden begangen und zu wenig getan, um sich wieder davon reinzuwaschen. Er war als krimineller Gewalttäter geboren worden und hatte sein ganzes Leben so verbracht.

»Er hat auf meine Nachricht geantwortet. Er lebt.« Gorja klang erleichtert.

Timurs Herz machte einen Satz, und er bemerkte, wie er sich an die Brust fasste. Er hatte schon wieder starkes Herzklopfen und spürte eine Panikattacke nahen. Das konnte er momentan überhaupt nicht brauchen. Und da sein Cousin ihm eben schon die Besorgnis angemerkt hatte, konnte er nicht schon wieder Gefühle zeigen.

»Wird auch Zeit«, knurrte er. »Dem verpass ich Stubenarrest.«

»Timur«, sagte Gorja warnend, »behandle ihn nicht so, wie man uns behandelt hat. Wir konnten nie etwas richtig machen – und wir wissen ja beide, dass das nur ein Vorwand war, um uns windelweich zu prügeln. Dein Vater hatte Spaß daran, uns fertigzumachen. Pass auf, dass du nicht genauso wirst. Ich muss jeden einzelnen Tag dagegen ankämpfen, und ich kann mir vorstellen, dass es dir da ganz ähnlich geht.«

Timur fuhr herum, bereit, sich auf Gorja zu stürzen. Jeder Muskel in seinem Körper war angespannt, jede Faser protestierte gegen das, was er soeben gehört hatte. Er wollte auf irgendetwas losgehen, es zerreißen, zerfetzen – er hätte alles getan, um den Gedanken loszuwerden, dass er auch nur im Entferntesten sein könnte wie sein Vater – und dennoch hatte er es sich gerade wieder bewiesen: Er wollte es nicht nur, er brauchte es sogar.

Er starrte seinen Cousin lange an. Im Geiste sah er seinen Vater vor sich, der nur darauf wartete, dass sein Sohn einen Fehler machte, damit er ihm eine Tracht Prügel verpassen konnte. Ein falsches Wort hatte gereicht. Oder ein Schweigen zur falschen Zeit. Eine falsche Bewegung oder eine zu wenig. Egal – die nächste Tracht Prügel war unvermeidlich gewesen.

Irgendwann hatte Timur sogar Geschmack daran gefunden, weil sich so auch eine Gelegenheit zur Gegenwehr bot. Natürlich prügelte ihn sein Vater dafür erst recht halb tot, aber jeder Schlag, den Timur landete und mit dem er seinen Vater verletzte, war eine Genugtuung. Jeder einzelne.

Er starrte seine geballten Fäuste an. »Es hat mir gefallen, ihn zu schlagen«, sagte er dann und sprach es endlich einmal laut aus. Nun hatte er es gesagt. Und er meinte es absolut ernst. »Manchmal habe ich ihn so sehr gehasst, dass ich ihn extra gereizt habe, damit er auf mich losgeht. Ich wusste, dass ich damit eine ordentliche Abreibung in Kauf nahm, aber ich konnte zurückschlagen. Ich habe angefangen, meine Treffer zu zählen, und mir gemerkt, wie hart sie jeweils waren. Ich habe immer so fest zugeschlagen, wie ich überhaupt nur konnte. Wenn ich damals schon so stark gewesen wäre wie heute, hätte ich ihm jeden einzelnen Knochen im Körper gebrochen.« Dieser Gedanke verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung. Er hätte seinem Vater mit Freuden alle Knochen gebrochen.

»Und ich habe mich immer gefragt, warum du ihn provoziert hast, während ich mich in irgendeine Ecke verkrochen habe. Die Abende, an denen er auf dich losgegangen ist, waren einfach entsetzlich.«

Timur sah seinen Cousin mit einem Grinsen an, das mehr einem Zähnefletschen glich. »Du hast dich nie in irgendeine Ecke verkrochen. Wenn er auf mich losging, bist du mir Fäuste schwingend zu Hilfe geeilt.«

Gorja zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. »Ich konnte aber nie viel ausrichten, bevor ich gleich darauf mit dröhnendem Kopf zu Boden ging.«

»Aber so hast du mir eine Gelegenheit verschafft, ihm eine reinzuhauen. Ich habe den Dreckskerl als Sandsack benutzt und mir eingeredet, dass das mein Training ist.«

»Das machst du doch immer noch. Ich meine trainieren … jeden Tag.«

»Wie wir alle. Du auch. Wir wissen, dass da ein scheußlicher Krieg auf uns zukommt. Du lässt deinen Leoparden nicht gerne die Kontrolle übernehmen, aber das wird sich nicht vermeiden lassen. Du sagst zwar, dass ich nicht wie mein Vater werden soll, aber wenn wir unsere Leoparden beständig an die Leine legen, sind wir eigentlich genau wie er. Und wie dein Vater. Und wie Lazar. Unsere Leoparden brauchen ihre Freiheit, und – ja – auch den Kampf. Wir müssen sie trainieren, damit sie genau wie wir ihre Fähigkeiten voll entfalten können.«

Gorja schüttelte traurig den Kopf, und in seinem gutaussehenden Gesicht waren – was nur selten vorkam – dieselben Qualen zu erkennen, die auch Timur in sich spürte. »Mein Leopard ist ein Killer. Wenn ich ihn gewähren lasse, wird er jeden töten, den er erwischen kann, bis ich ihn wieder unter Kontrolle bekomme. Mitja sieht das ganz genauso. Ich arbeite daran, immer stärker und disziplinierter zu werden, damit mein Leopard mir in jedem Fall gehorcht. Aber so weit bin ich noch nicht. Er ist fürchterlich stark.«

Timur fluchte und drehte sich wieder zum Fenster um. Gorja war der Unbeschwerteste und Fröhlichste von ihnen. Es brauchte nicht viel, um ihn zum Lachen zu bringen, und er konnte Timur und Fjodor besänftigen, wenn sie miteinander stritten. Er konnte auch dann noch zwischen ihnen vermitteln, wenn sie so gereizt waren, dass der kleinste Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen würde. Aber als Timur sah, wie emotional sein Cousin nun reagierte, wurde ihm klar, das Gorja gegen dieselben Dämonen kämpfte wie sie alle.

»Es wird niemals aufhören, oder?«, fragte Timur.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Gorja wahrheitsgemäß. »Fjodor und Evangeline haben mir ein bisschen Hoffnung gegeben. Wenn er eine Frau finden kann, eine, die ihn so mag, wie er ist, dann könnte es bei mir vielleicht genauso sein.«

»Evangeline«, flüsterte Timur voller Hochachtung. »Zuerst habe ich sie als meine Feindin angesehen, weil ich dachte, dass Fjodor wegen ihr irgendwann noch draufgeht. Das denke ich auch heute noch manchmal. Sie führt ein so glückliches Leben und weigert sich einfach, das Hässliche in dieser Welt zu sehen. Obwohl sie als Kind auch viel durchgemacht hat, könnte man heute denken, dass ihr noch nie etwas Schlimmes widerfahren ist.«

»Mir gefällt nicht, dass wir sie mit nur so wenigen Männern bewachen. Und sie besteht auch noch darauf, dass sie Pausen machen und sich die Beine vertreten. Sie kann ganz schön widerspenstig sein«, sagte Gorja.