Dunkles Lied der Seele - Christine Feehan - E-Book
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Dunkles Lied der Seele E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Nach jahrhundertelanger Gefangenschaft ist Elisabeta frei und in Sicherheit. Doch das Erlebte lässt sie nicht los. Wie soll sie je wieder jemandem vertrauen? Selbst als ihr wahrer Seelengefährte mit seinem Lied nach ihr ruft, hält ihre dunkle Vergangenheit sie zurück. Der Krieger Ferro merkt schnell, dass es mehr als süßer Worte bedarf, Elisabeta für sich zu gewinnen. Er muss behutsam sein, damit ihre Seele heilen kann. Doch der Vampir, der Elisabeta gefangen hielt, gibt keine Ruhe und setzt alles daran, die beiden auseinanderzubringen.

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Seitenzahl: 747

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungStammbaum: Die Karpatianer – Teil 1Stammbaum: Die Karpatianer – Teil 2Stammbaum: Andere Karpatianische GefährtenDARK SONG123456789101112131415161718192021Danksagung

Über dieses Buch

Nach jahrhundertelanger Gefangenschaft ist Elisabeta frei und in Sicherheit. Doch das Erlebte lässt sie nicht los. Wie soll sie je wieder jemandem vertrauen? Selbst als ihr wahrer Seelengefährte mit seinem Lied nach ihr ruft, hält ihre dunkle Vergangenheit sie zurück. Der Krieger Ferro merkt schnell, dass es mehr als süßer Worte bedarf, Elisabeta für sich zu gewinnen. Er muss behutsam sein, damit ihre Seele heilen kann. Doch der Vampir, der Elisabeta gefangen hielt, gibt keine Ruhe und setzt alles daran, die beiden auseinanderzubringen.

Über die Autorin

Christine Feehan lebt gemeinsam mit ihrem Mann und ihren elf Kindern in Kalifornien. Sie schreibt seit ihrer frühesten Kindheit. Ihre Romane stürmen regelmäßig die amerikanischen Bestsellerlisten, und sie wurde in den USA bereits mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Auch in Deutschland erfreut sich die Autorin einer stetig wachsenden Fangemeinde.

CHRISTINE

FEEHAN

Dunkles Lied der Seele

Roman

Aus dem amerikanischen Englischvon Anita Nirschl

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2020 by Christine Feehan

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Dark Song«

Originalverlag: Berkley Books

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.

This edition published by arrangement with Berkley, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anne Schünemann, Lektorat am Meer

Umschlaggestaltung: Johannes Frick, Neusäß

Umschlagmotiv: © Johannes Frick unter Verwendung von Motiven von Shutterstock (© kiuikson) und iStock (© paulacobleigh)

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-0998-9

luebbe.de

lesejury.de

Für mein fantastisches Team: Denise, Domini, Brian, Sheila.Ihr seid die Besten der Besten.

DARKSONG

Von Caedyn Feehan

Durch das Heulen des Windes dringt ein sanftes Wispern;

ein leises Lied, piŋe sarnanak, spür mein Flüstern.

Jahrhundertelang schlummernd vor der Welt versteckt;

spür die Erde unter den Füßen, aus deinem Albtraum sei geweckt.

In tiefster Dunkelheit wartet ein Licht;

ebenso, meine Königin, wartet dein König auf dich.

Mögen Flüsse anschwellen, mag die Erde auch beben;

ich stehe bereit, den Fluch von dir zu heben.

Nebel weht lautlos um Baum und Strauch;

ein Schatten in der Ferne, nichts als ein Hauch.

Auf loderndes Feuer fällt ersehnter Regen,

für die Saat und alles Leben ein wahrer Segen.

Das, was einst Glut war, wird stärker als bisher,

wie Metall in der Schmiede wird zum tödlichen Schwert.

Ein Leben voll Hoffnung singt für dich,

eine Welt voller Liebe erwartet dich.

Die Farben des Himmels zum Ufer sich neigen,

statt einstigem Grau in Rot sich zeigen.

Das Rauschen der Brandung, des Meeres Melodie,

auf tosenden Wogen trägt sie dich zu mir.

Wir sind stark, Hand in Hand vereint;

sing mit mir, denn ich bin dein.

Ich werde dein Stern sein im Dunkel der Nacht,

fühlst du dich verloren, gebe ich auf dich acht.

Bei jedem Schritt bin ich an deiner Seite,

jeden Dämon zu bekämpfen, für deine Liebe zu streiten.

Wenn das Böse versucht, deinen Geist zu besitzen,

dann werd’ ich dein Schild sein und dich beschützen.

Deine Narben kann ich nicht heilen, dir nicht nehmen deine Pein,

aber ich kann dein Schutz, dein Zufluchtsort sein.

Die Worte will ich dich lehren, den Weg dir zeigen;

du bist stark, nur sag, du wirst bei mir bleiben.

Eine Symphonie der Macht wogt durch das Land;

wir stehen zusammen, Hand in Hand.

Einst vom Bösen geblendet, sind deine Augen nun klar;

sieh in dich hinein, es gibt nichts mehr zu fürchten fürwahr.

Der Käfig ist zerbrochen, die Gefangene ist frei,

wir beenden den Kampf, für immer vorbei.

Nun sag mir wahr und inniglich,

sag, du wählst mich, wie ich wähle dich.

Das, was einst Glut war, wird stärker als bisher,

wie Metall in der Schmiede wird zum tödlichen Schwert.

Ein Leben voll Hoffnung singt für dich,

eine Welt voller Liebe erwartet dich.

1

Durch das Heulen des Windes dringt ein sanftes Wispern;

ein leises Lied, piŋe sarnanak, spür mein Flüstern.

Elisabeta Trigovise wurde von einer Melodie geweckt. Dabei wollte sie nicht geweckt werden. Sie wollte für immer schlafen, doch diese klagenden Töne erlaubten ihr nicht, sich vor der Welt zu verstecken. Wie Regentropfen, die sanft auf die Erde trommelten und das Erdreich tränkten, sickerte das Lied vom Erwachen in ihren Geist. Jede Nacht erklang die sanfte Melodie lauter, drängte sie immer hartnäckiger zu gehorchen. Verlangte, dass sie mehr tat, als nur aufzuwachen, um sich zu nähren, und dann sofort wieder einzuschlafen.

War das Lied bisher nur in ihrem Geist gewesen, drang es nun in ihren Körper ein, in ihr Blut und ihre Knochen, ihr Herz und ihre Seele, es rief hartnäckig nach ihr, und sie wusste, es war der Ruf ihres Seelengefährten – ein Ruf, den sie nicht ignorieren konnte. Sie wagte es nicht, ihn zu ignorieren. Ganz egal, wie sehr sie sich auch vor ihm fürchtete – sie musste antworten.

Unter der Erde hatte sie Sicherheit gefunden. Trost. Niemand konnte ihr dort etwas anhaben. Niemand konnte Forderungen an sie stellen. Aber sie hatte immer gewusst, dass das nicht von Dauer sein würde. Jede Nacht, sobald die Sonne unterging, begann die Gefahr. Sie versuchte zu schlafen, aber sie kamen, um sie zu nähren. Zuerst waren viele gekommen. Verschiedene. Das war furchteinflößend gewesen, aber das Blut hatte sie belebt, sie stärker gemacht, und niemand hatte je irgendetwas von ihr erbeten. Sie durfte wieder zurück in die heilende Erde, um zu schlafen und ihren Körper und ihren zerbrochenen Geist zu heilen. Nun gab nur noch er ihr Blut.

Elisabeta versuchte, nicht aufzuwachen, aber es war zu spät, das Lied war durch ihren Geist geklungen, diese wunderschönen klagenden Töne. Die Sonne war untergegangen, und im selben Moment stimmte sich ihr Körper auf ihn ein. Sie war eine Karpatianerin, Teil eines uralten Geschlechts, das bei Tageslicht gelähmt schlief und Blut brauchte, um zu überleben. Es gab nur noch wenige von ihnen auf der Welt, und ihr Kampf gegen das Aussterben wurde nur noch erschwert durch die Vampire, die versuchten, sie zu töten.

Ein kleiner Schauer durchlief ihren Körper. Elisabeta war durch einen Freund getäuscht worden, als sie noch jung und naiv gewesen war. Er hatte sie entführt, Heim und Familie entrissen und jahrhundertelang versteckt gehalten, während er selbst sich in einen Vampir verwandelt hatte. Sie erinnerte sich nicht mehr an dieses junge Mädchen, das sie einst gewesen war, oder ihre Familie. Nun war sie nur noch diese Frau, die sich in der Erde versteckte, zu verängstigt vor allem und jedem, um sich zu zeigen. Sergey Malinov, der Meistervampir, würde kommen und sie holen, und er würde sie dazu benutzen, alle zu vernichten, die ihr je Freundlichkeit erwiesen hatten. Er würde nie zulassen, dass sie ihm entkam. Niemals.

Sobald sie sich an die Oberfläche trauen würde, würde er sie benutzen, und sie hatten keine Ahnung, wie mächtig er war. Sie hatten sie gerettet, und nun war er wütend und flüsterte ihr zu, versuchte, an den Barrieren und Schilden vorbeizukommen, die man zu ihrem Schutz errichtet hatte, aber er war da und lauerte darauf zuzuschlagen. Sie kannte ihn, wusste, dass er durch und durch böse war. Es lebten Kinder auf diesem Anwesen, an diesem Ort, den ihre Retter für sicher hielten. Doch niemand war vor Sergey sicher, am allerwenigsten Kinder.

Die Welt war an ihr vorbeigezogen, während sie in einem Käfig gelebt hatte. Ihre einzige Gesellschaft war ihr sadistischer Entführer gewesen. In einem Moment konnte er trügerisch liebenswürdig sein, im nächsten abscheulich grausam, folterte sie, ließ sie aushungern, verletzte andere vor ihren Augen. Ließ sie so lange allein, dass sie glaubte, verhungern zu müssen, und dieses Ende sogar noch begrüßte. Sie durfte nicht sprechen, außer er gab ihr die Erlaubnis dazu. Sie traf keine eigenen Entscheidungen, und nach Jahrhunderten in Sergeys Obhut wusste sie nicht einmal mehr, wie das ging.

Sie war gerettet, in die heilende Erde gelegt worden, um sich von den Verletzungen an Körper und Geist zu erholen, aber von Jahrhunderten der Gefangenschaft konnte man sich nicht erholen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie für sich selbst sorgen sollte. Sie hatte schreckliche Angst davor, mit Fremden zu sprechen. Man hatte ihr gesagt, dass sie einen Bruder habe und dass er jahrhundertelang nach ihr gesucht habe. Oft hatte sie versucht, sein Gesicht vor ihrem inneren Auge heraufzubeschwören, und hatte doch jedes Mal aufgeben müssen, beschämt darüber, dass ihr Kopf vor Schmerz zu explodieren und den Gedanken an ihre Vergangenheit abzustoßen schien. Sie wusste, man würde von ihr erwarten, dass sie sich an ihn erinnerte, doch das tat sie nicht.

Sie erinnerte sich weder an sich selbst als junge Karpatianerin noch an ihre Familie. Ihr Geist war zerbrochen, nichts würde daran etwas ändern, wie lange sie auch in der heilenden Erde blieb. Sie war nicht mehr dasselbe Mädchen, das einst seinem Zuhause entrissen worden war. Sie war – nichts. Niemand. Sie wollte bleiben, wo sie war, vor allen verborgen, aber sie wusste, ihre Zeit an diesem Ort war gezählt. Ihr Seelengefährte hatte sie gefunden. Schon allein an ihn zu denken, ließ ihr Herz unkontrolliert schlagen. Dabei wusste sie, dass sie sich beherrschen musste. Dieser schlichte Laut würde ihn alarmieren, und natürlich tat er das.

Elisabeta.

Seine Stimme erfüllte ihren Geist. Ruhig. Besänftigend. Eine gebieterische Stimme. Eine, die immer die Kontrolle hatte, anders als sie. Ihr Herz schlug nur noch schneller. Panik durchflutete sie. Sofort öffnete sich die Erde über ihr, noch bevor sie nach Luft ringen konnte. Er hatte das für sie getan. Und es beschämte sie, dass sich immer jemand um sie kümmern musste. Jedes kleinste Detail ihres Lebens musste für sie arrangiert werden, weil sie nicht wusste, wie es ging.

Nicht einmal ankleiden konnte sie sich allein, und falls ihr Seelengefährte das erfuhr, könnte er wütend werden. Falls sie ohne Erlaubnis sprach, könnte er wütend werden. Die Bestrafungen konnten schrecklich sein. Sie wusste nicht, wie die Regeln dieser neuen Welt oder dieses Mannes lauteten. Sie spürte, dass er ein alter Krieger war, viel älter als Sergey und viel gefährlicher. Er machte ihr in so vielerlei Hinsicht Angst, doch andererseits machte ihr alles Angst.

Sie hatte sich mit einer Frau angefreundet, Julija, einer starken Frau, die ihren eigenen Weg ging, an der Seite ihres Seelengefährten schritt und dennoch ihre eigenen Entscheidungen traf. Elisabeta hatte es gewagt, sich Sergey zu widersetzen und heimlich mit ihr zu reden. Sie wollte stark sein wie sie, wusste jedoch, dass sie das nie sein konnte. Hunderte Jahre der Gefangenschaft und Stille, der Strafe und Angst, Hunderte Jahre lang gesagt zu bekommen, was sie zu tun hatte, hatten sie zu diesem verängstigten Wesen gemacht, das sie inzwischen verabscheute. Sie wusste nicht mehr, wer sie war oder was sie war, nur, dass ihr Dasein keinen Sinn erfüllte und dass sie es so müde war, Angst zu haben.

Sie blieb sehr still und stumm, aus Furcht, es könnte eine Falle sein. Obwohl die Erde über ihr geöffnet war, hielt sie die Augen fest geschlossen, weil sie Angst davor hatte zu sehen, wo sie sich befand. Sie war seit Hunderten von Jahren nicht außerhalb eines Käfigs gewesen. Freie Räume verursachten ihr ein Gefühl von Schwindel und Orientierungslosigkeit. Sie wusste nicht, wie sie freien Raum verarbeiten sollte.

Sprich mit mir, Seelengefährtin.

Ihr Herz wurde schwer. Das war ein direkter Befehl. Der erste, den er ihr je erteilt hatte. Es machte wenig Unterschied, dass seine Stimme so anders war als die von Sergey. Er war ihr Meister und konnte sie foltern, sie hungern lassen, andere vor ihren Augen töten. Ihr Herz hämmerte unkontrolliert. Was wünschst du, dass ich sage?

Es folgte ein kurzes Schweigen, das ihr noch mehr Angst bereitete. Hatte sie ihn verärgert? Sie wusste wirklich nicht, was er von ihr wollte.

Elisabeta. Hör auf meinen Herzschlag. Du gerätst ohne Grund in Panik. Wir führen nur eine Unterhaltung. Atme mit mir. Hör auf meinen Herzschlag und folge mit deinem.

Sie machte den Fehler, die Lider zu heben, nur eine Sekunde lang. Um sie herum erkannte sie schemenhaft Konstrukte, die aussahen wie Balkone, auf denen Leute stehen und auf die Heilstätte, in der sie lag, hinabblicken konnten. Man könnte sie von dort aus sehen. Ausgewachsene Panik ergriff sie, und sie bekam nicht genug Luft. Ihr Körper verkrampfte beinahe. Sie versuchte, sich in Embryostellung zusammenzukrümmen, tiefer in der heilenden Erde zu versinken, sich von dem mineralhaltigen Erdreich zudecken zu lassen und sich vor neugierigen Augen zu verstecken.

Sie sank in wartende Arme. Starke Arme. Sie hatte immer davon geträumt, gehalten zu werden, wenn sie es am meisten brauchte. Sie sehnte sich nach menschlichem Kontakt – geradezu verzweifelt oftmals –, und nun hatte sie ihren Traum so real werden lassen, dass sie sich von einem sehr harten, männlichen Körper umfangen und beschützt fühlte. Während sie die Augen noch immer fest geschlossen hielt, spürte sie, wie er sie mit seiner Wärme umgab. Sein Atem strich über ihr Ohr, seine Brust hob und senkte sich an ihrem Rücken.

Atme mit mir, piŋe sarnanak, folge dem Rhythmus meines Herzens.

Beinahe automatisch stimmte sich ihr Herzschlag auf seinen ein, noch bevor sie es bewusst tun konnte. Ausgehungert sog ihre Lunge die frische Luft ein, die sie umgab. Sie roch nach Regen, nach reichhaltiger Erde und unerwarteterweise nach einer Mischung aus Wacholder und Piment.

Er hatte sie »kleiner Singvogel« genannt. Es war ein Kosewort in der uralten karpatianischen Sprache. Ihr Herz stolperte ein bisschen bei der Zärtlichkeit, mit der er sie behandelte.

So ist es gut, Elisabeta. Nun sag mir, während du dich sicher fühlst, was ist deine größte Angst dabei, dich zu erheben?

Sie fühlte sich tatsächlich sicher. Sie ließ sich tiefer sinken, stellte sich vor, wie sie von diesen starken Armen gehalten wurde, fühlte, wie sie sich enger um sie legten, spürte den warmen Atem an ihrem Ohr, so gleichmäßig. Ein- und ausatmend. Sein Herzschlag schwankte nicht. Wurde nie schneller oder langsamer, sondern blieb immer derselbe Rhythmus, als könnte man sich immer auf ihn verlassen. Wagte sie es, ihre Sorge laut auszusprechen? Schon jetzt hatte sie schreckliche Angst, dass sie lange genug wach war, um Sergey auf sich aufmerksam zu machen.

Er wird mich niemals aufgeben. Er wird mich benutzen, um alle zu töten, die dabei geholfen haben, mich ihm wegzunehmen. Er ist so grausam. Wenn ich nicht zu ihm zurückkehre, wird er diesen Ort und all seine Bewohner vor meinen Augen niederbrennen.

Kaum hatte sie ihre Befürchtungen ausgesprochen, wenn auch nur im Geiste, stieg sofort wieder Panik in ihr hoch. Was, wenn Sergey sie gehört hatte? Was, wenn er in der Lage war, sie zu überwachen, trotz der Schutzzauber, die die Karpatianer so sorgfältig um sie gewoben hatten? Sie wagte es nicht, seinen grauenhaften Namen auszusprechen, für den Fall, dem Vampir dadurch ein Schlupfloch zu schaffen.

Eine Hand berührte ihr Haar und streichelte beruhigend über ihren Hinterkopf. Wie eine Liebkosung. Es war so seltsam, so ungewohnt, so ein seltenes, schockierendes Gefühl, wie sie es noch nie erlebt hatte, dass es der aufwallenden Panik Einhalt gebot, bevor die sie überwältigen konnte.

Danke, dass du mir deine größte Angst genannt hast. Ich weiß, schon allein es mir zu sagen hat dich geängstigt. Was beunruhigt dich noch? Sei ehrlich zu mir, Elisabeta. Du wirst nicht dafür bestraft werden, mir die Wahrheit zu sagen, ganz gleich, wie sie lautet.

Konnte sie das glauben? Sie musste ihm ehrlich antworten, egal ob sie dafür bestraft wurde oder nicht. Man log seinen Seelengefährten nicht an. Er würde es wissen.

Sie holte tief Luft. Du hast mich nicht als deine Seelengefährtin beansprucht. Du weißt, dass ich dieser Aufgabe nicht würdig bin. Das akzeptiere ich, und ich verstehe es. Ich bin nicht mehr dieselbe Frau, als die ich geboren wurde. Ich wurde durch den Vampir verdorben, der mich entführt und so viele Jahre lang gefangen gehalten hat. Ich verstehe das, aber – Sie brach ab.

Es war die Wahrheit. Sie wusste nicht einmal, ob sie wollte, dass er sie beanspruchte, weil sie keine Ahnung hatte, was sie als Seelengefährtin tun würde. Jeder Karpatianer besaß nur eine einzige. Wenn ein Junge geboren wurde, dann wurde seine Seele in zwei Hälften geteilt. Er trug alle Dunkelheit in sich – das Licht wurde einem Mädchen gegeben, das entweder zur selben Zeit oder später zur Welt kam. Etwa im Alter von zweihundert Jahren verloren karpatianische Männer allmählich ihre Fähigkeit, Farben zu sehen und Emotionen zu empfinden. Wenn sie ihre Seelengefährtin nicht fanden, wurde ihre Welt im Lauf der Zeit grau, und all ihre Emotionen verschwanden.

Karpatianische Männer kannten die rituellen Worte der Bindung schon vom Tag ihrer Geburt. Sobald sie ihre Seelengefährtin fanden, kehrten Emotionen und Farben zu ihnen zurück, und sie sprachen die Worte vor der Frau aus, die das Schicksal zu ihrer bestimmt hatte, um sie an sich zu binden. Kein Mann würde damit warten, besonders kein uralter Jäger, der lang gelebt und stark gelitten hatte.

Dennoch verstand sie seine Entscheidung. Sie fühlte sich hin- und hergerissen. Wenn er sie für sich beanspruchte, wäre das ein weiterer Schutz für sie gegen Sergey. Ferro Arany war ein sehr gefährlicher Mann. Das konnte sie sogar unter der Erde spüren. Er war älter als so viele von ihnen, obwohl die meisten von ihnen schon lange existierten. Er war ein geübter Krieger. Es beschämte sie ein wenig, dass er sie nicht wollte, selbst wenn sie es verstand.

Schon früh war ihr eingeprägt worden, dass ihre Seele eine andere Hälfte besaß. Jemanden, der nach ihr suchte. Immer nach ihr suchen würde, bis er sie fand. Zu wissen, dass er sie nicht wollte, war ein weiterer Schlag für sie. Andererseits, wenn er sie für sich beansprucht hätte, hätte ihr das noch mehr Angst gemacht, also ergaben ihre Empfindungen überhaupt keinen Sinn. Sie musste einfach nur unter der Erde bleiben, wo sie sich verlieren konnte und sich nicht einer Welt stellen musste, die sie nicht verstand.

Ich habe die Absicht, dich jetzt für mich zu beanspruchen, piŋe sarnanak. Du wirst diese heilende Erde verlassen, und dafür wirst du meinen Schutz brauchen. Ich spüre deine Angst vor dem Unbekannten und möchte dich davor beschützen, aber vor allem vor ihm. Er kann dich hier nicht erreichen, und sobald wir aneinander gebunden sind, wird er wissen, dass er dich nicht haben kann, es sei denn, er zerstört unser Band. Und das kann er nur, wenn er mich tötet. Sobald du unter meinem Schutz stehst, kann dieser Vampir dich nicht mehr dazu benutzen, irgendjemandem hier auf dem Anwesen zu schaden. Du brauchst dir keine Sorgen mehr darüber zu machen.

Sein Herzschlag beschleunigte sich nicht. Seine Stimme war so ruhig wie immer. Er schien Sergey nicht im Geringsten zu fürchten oder davon beeindruckt zu sein, dass der Meistervampir seine vier älteren Brüder und sogar mächtige Magier überlistet hatte. Der Vampir führte eine Armee gegen die Karpatianer an, dennoch schien Ferro seinetwegen nicht besorgt zu sein.

Ich weiß nicht, was eine Seelengefährtin tut. Ich habe so vieles vergessen.

Er erhob seinen Anspruch auf sie, um sie vor Sergey zu beschützen. Obwohl ihr diese Gewissheit gewaltige Erleichterung brachte, brachte sie ihr auch Klarheit. Er war ein uralter Jäger. Er hatte mehrere Lebenszeiten damit verbracht, sich für sein Volk aufzuopfern. Sich an sie zu binden wäre nichts im Vergleich zu dem Leid, das er für das karpatianische Volk erduldet hatte. Es ergab also absolut Sinn.

Ich werde dir sagen, was ich von dir erwarte, wenn du es wünschst.

Das hoffte sie, denn sie war nicht gut darin, selbstständig zu denken oder Entscheidungen zu treffen. Julija versuchte, ihr dabei zu helfen. Sie hatte ihr gesagt, dass sie ein paar Freundinnen hatte, die sie sehr gern kennenlernen würden, und sie würden sie ebenso herzlich willkommen heißen wie Julija, aber selbst das machte Elisabeta Angst. Alles machte ihr Angst.

Er legte seine Hände um ihre Arme und rieb sanft auf und ab. Du zitterst. Es gibt keinen Grund, solche Angst zu haben, piŋe sarnanak. Du brauchst dich nur an mich zu wenden, und ich werde dir helfen, wenn du das Gefühl hast, deinen Weg nicht finden zu können.

Am liebsten hätte sie geweint, aber ihre Tränen waren längst versiegt. Ich habe meinen Weg schon vor langer Zeit verloren. Ich kann nicht ohne Erlaubnis sprechen. Ich kleide mich nicht selbst ein oder weiß, wie das geht. Ich kann mir nicht selbst die Haare machen oder meine Nahrung finden. Ich kann nicht draußen im Freien sein. Ich bin verloren, eine Last für einen Mann, der nicht die Verantwortung für eine Gefangene übernehmen will.

Sas, piŋe sarnanak. Ich bin ein uralter Krieger. Dein Seelengefährte. Meine Seele ruft die deine. Wenn du eine Frage hast, dann sollst du mich sofort fragen. Das ist ein Befehl. Hast du verstanden?

Ohne Erlaubnis?

Du hast immer die Erlaubnis, mit mir oder deinen Freundinnen zu sprechen. Falls der Vampir versucht, dich zu erreichen, und ich ihn aus irgendeinem Grund nicht spüre, musst du sofort zu mir kommen, egal, womit er droht. Das ist eine unumstößliche Regel. Hast du verstanden?

Sie schluckte heftig. Die Regeln lauteten natürlich anders, aber sie fühlte sich besser damit, dass er ihr ein Gebot erteilte. Struktur verstand sie. Ja. Ich werde gehorchen.

Sobald sie ihm ihr Wort gegeben hatte, würde sie es nie mehr brechen. Es gefiel ihr, dass er ihr die Erlaubnis erteilte, mit Julija zu reden. So brauchte sie es nicht heimlich zu tun, denn das hätte sie versucht. Es wäre schwierig geworden. Sobald er sie aneinander gebunden hatte, würde er mühelos in ihren Geist eindringen können. Sie würde nicht immer wissen, dass er da war.

Te avio päläfertiilam. Du bist meine Seelengefährtin. Éntölam kuulua, avio päläfertiilam. Ich binde dich als meine Gefährtin an mich.

Ihr stockte der Atem. Die rituellen Worte. Seine Arme waren real. Sie spürte, wie er sie umfing, aber sie hatte immer noch nicht den Mut, die Augen zu öffnen und ihn anzusehen, ihren Seelengefährten zu betrachten. Er fühlte sich groß an. Muskulös. Als ihr Herz zu hämmern begann, stimmte sich seines sofort darauf ein und beruhigte erneut ihren Puls.

Ted kuuluak, kacad, kojed. Ich gehöre dir. Élidamet andam. Ich gebe mein Leben für dich. Pesamet andam. Ich gebe dir meinen Schutz.

Er fuhr mit seinen Lippen durch ihr Haar, strich über ihren Hals und hielt direkt über ihrem pochenden Puls inne. Seine Zunge berührte ihre Haut. Es fühlte sich … erotisch an. Ihr Herz tat einen Satz. Er brachte sie dazu, Dinge zu fühlen, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Seine Arme gaben ihr Schutz und Geborgenheit, obwohl sie sich nie sicher gefühlt hatte, nicht einmal in ihrem eigenen Zuhause.

Uskolfertiilamet andam. Ich gebe dir meine Treue.

War das überhaupt möglich? Es war ein Schwur. Mehr als ein Versprechen. Ein Schwur zwischen zwei Seelen. Seine Treue galt ihr. Ihre Augen brannten. Mehr als alles andere wollte sie stark sein. Auf ihren eigenen Beinen stehen und ihrem Seelengefährten eine Partnerin sein. Vielleicht nicht eine so selbstbestimmte Partnerin, wie Julija es war, aber wenigstens eine, auf die Ferro stolz sein konnte. Nicht ein panisches Nervenbündel, das sich unter der Erde versteckte.

Sívamet andam. Ich gebe dir mein Herz. Sielamet andam. Ich gebe dir meine Seele. Ainamet andam. Ich gebe dir meinen Körper. Sívamet kuuluak kaik että a ted. Ich nehme in meine Obhut alles, was dein ist.

Er gab ihr sein Herz. Seine Seele. Seinen Körper. Und er nahm im Gegenzug ihren in Besitz. Ihr Mund wurde trocken. Sie konnte damit umgehen, dass er ihr Herz und ihre Seele nahm, aber ihren Körper? Selbst der Vampir hatte das nicht getan. Er hatte es nicht gekonnt. Das war alles, was ihr geblieben war, das Einzige, was ihr gehörte. Ihr Puls stockte unter Ferros Berührung, und er beruhigte ihn mit einem sanften Kuss. Seine Hände rieben weiter zärtlich ihre Arme.

Ainaak olenszal sívambin. Dein Leben wird von mir in Ehren gehalten für alle Zeiten. Te élidet ainaak pide minan. Dein Leben wird über meinem stehen für alle Zeiten. Te avio päläfertiilam. Du bist meine Seelengefährtin. Ainaak sívamet jutta oleny. Du bist an mich gebunden in alle Ewigkeit. Ainaak terád vigyázak. Du bist für immer in meiner Obhut.

Seine Lippen wanderten seitlich an ihrem Hals hinab, dann glitt er plötzlich unter ihr hervor, so dass sie auf einer feinen Matratze aus mineralhaltiger Erde lag, zugedeckt von seinem schweren Körper. Sanft küsste er ihre geschlossenen Lider.

»Wirst du mich je ansehen und deinen Seelengefährten betrachten, piŋe sarnanak?« In seiner Stimme lag ein Hauch von Belustigung.

Sie kniff die Lippen zusammen. Nur, wenn du es mir befiehlst. Ich meine, ja. Aber … Sie konnte es nicht. Noch nicht. Solange sie die Augen geschlossen hielt, konnte sie seine Berührung genießen. So tun, als würde ihre Welt wieder zu einem glücklichen Ort werden. Wenn sie die Augen aufschlug und sie Panik bekam, weil die Welt ihr viel zu groß erschien und alles sie ängstigte, dann würde er erkennen, an wen er sich da für alle Ewigkeit gebunden hatte.

Er befahl ihr nicht, die Augen zu öffnen. Stattdessen fuhr er mit den Lippen langsam von ihren Lidern über ihre Wange zu ihrem Mundwinkel. Ihr Herz machte einen Satz, als er über ihre Lippen strich und dann an ihrem Kinn und ihrem Hals entlang. Er wanderte noch tiefer, bis zum Schwung ihrer Brüste. Einen Moment lang überlegte sie, die Hände zu heben, um sich zu bedecken, aber das erschien ihr ein wenig albern. Ihr Körper gehörte ihm. Er hatte ihre Narben bereits gesehen. Und auch, wie dünn sie war.

Seine Lippen betörten sie, verdrängten jeden zusammenhängenden Gedanken. Sie wusste nicht, was er tat. Spürte ihn nur. Sie wollte die Arme heben und ihn berühren, die Hände in sein Haar schieben. Seine Haarspitzen strichen über ihre Haut, sandten Wogen der Empfindsamkeit über sie und schürten zusammen mit seinen Küssen die Hitze, die sich langsam in ihren Adern aufbaute. Das Kratzen seiner Zähne ließ sie erschauern. Ein unerwartetes sehnsuchtsvolles Ziehen strömte durch ihren Unterleib. Eine Empfindung, die ihr vollkommen fremd war. Es war schockierend. Vielleicht sogar ein bisschen beschämend, vor allem, weil sie nicht wusste, was es bedeutete.

Seine Zähne sanken tief ein, und sie unterdrückte ein Stöhnen, als die schockierende Welle aus Schmerz sich sofort in erotische Wonne verwandelte. Zuckende Flammen breiteten sich in ihrem Körper aus. Sie hätte schwören können, dass auch Flammen an ihrer Haut und ihrem Bauch leckten, zwischen ihren Beinen glühten und sich zu einem Inferno in ihrem Innersten zu steigern drohten, das nie wieder gelöscht werden könnte, falls er nicht aufhörte.

Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Arme sich um ihn legten, so angestrengt sie es auch versuchte. Sie zog seinen Kopf zu sich heran, brauchte es, dass er sich an ihr labte, sich an ihrem Blut satttrank. Nichts in ihrem Leben hatte sie darauf vorbereitet, wie es sich anfühlte, wenn er ihr Blut nahm. Er könnte sie bis auf den letzten Tropfen aussaugen, und sie wäre glücklich. Wenn Sergey ihr Blut genommen hatte, dann war es schmerzhaft gewesen, eine schreckliche, quälende Erfahrung. Bei Ferro war es eine wundervolle, sinnliche Begegnung. Er hielt sie in den Armen, als bedeutete sie ihm etwas. Sein Mund bewegte sich auf ihr, so als wäre sie unendlich kostbar.

Wieder brannten ihre Augen, obwohl sie doch keine Tränen mehr übrighatte, die sie vergießen konnte. Niemand hatte sie je so behandelt wie er, nicht soweit sie sich erinnern konnte. Wenn sie schon einen neuen Meister haben musste, egal ob er später grausam sein würde, dann würde ihr dieser Moment bleiben, an dem sie sich festhalten könnte. Glaubte sie, dass er freundlich zu ihr sein würde? Nein. Nicht wirklich. Sie hatte so lange in Furcht gelebt, dass sie nicht wusste, wie man ohne sie existierte, aber sie war entschlossen, an jedem annehmbaren Moment festzuhalten, den das Leben ihr darbot. Dieser hier war unerwartet – ein wahres Geschenk.

Seine Zunge glitt über die stecknadelgroßen Einstiche, um sie zu schließen. Er verlagerte sein Gewicht zur Seite und zog sie mit sich, dabei hob er sie hoch, als wäre sie leicht wie eine Feder, und setzte sie auf seinen Schoß. Zärtlich strich er ihr das Haar zurück und drückte ihr Gesicht an seine Brust.

»Trink, piŋe sarnanak. Du musst mein Blut nehmen, so wie ich deines genommen habe.«

Ihre Lider flatterten auf, bevor sie es verhindern konnte. Neugier war einer ihrer schlimmsten Charakterzüge. So war es schon immer gewesen. Sergey Malinov hatte das gewusst. Sie bemühte sich angestrengt, diesen Drang, jede kleinste Kleinigkeit herauszufinden, zu unterdrücken, und konnte manchmal dennoch nicht anders. So wie jetzt. Sie hob den Kopf und blickte zum ersten Mal ins Gesicht ihres Seelengefährten.

Sie hatte gewusst, dass er gefährlich war. Sogar tödlich. Seine Miene hätte aus Stein gemeißelt sein können, dem härtesten Felsen, der der Menschheit bekannt war.

Sein scharfkantiger Kiefer ließ ihn eigensinnig wirken. Seine Augen hatten die Farbe von Eisenerz, ein heller, beinahe silberner Ton, allerdings entdeckte sie Streifen von hellem Blau und hauchdünne gezackte Linien in einem rötlichen, warmen Braunton, die sich in seiner Iris ausbreiteten. Seine Wimpern waren so dunkel wie sein Haar. Sie betrachtete für einen Moment fasziniert die silbernen Strähnen, die sein Haar durchzogen, bevor sie ihren Blick weiter über sein Antlitz wandern ließ. Er hatte hohe Wangenknochen, eine aristokratische Nase und einen dunklen Bartschatten entlang seines Kiefers. Ein ungewöhnlicher Anblick. Die meisten karpatianischen Männer waren glatt rasiert.

Besitzergreifend betrachtete er ihr Gesicht. Er lächelte sie nicht an, aber er beugte den Kopf, und seine Lippen hauchten Küsse auf ihre Lider.

»Du bist sehr tapfer, Elisabeta.«

Sie würde das nicht Tapferkeit nennen. In dem Moment, in dem sie ihre Augen geöffnet und sein Gesicht gesehen hatte, all diese männliche Kraft gesehen hatte, hatte sie gewusst, dass sie in Schwierigkeiten war. Sie hatte ihrem ersten Impuls widerstehen müssen, sich auf den Boden zu werfen und rasch wieder in der Erde zu versinken. Doch sie wusste aus Erfahrung, dass es kein Entrinnen gab. Wenn sie floh, wurde sie wieder gefangen, und die Bestrafung war schrecklich. Dennoch, die Bewunderung in seiner Stimme, dieser Respekt, traf sie völlig unerwartet.

»Nimm mein Blut, piŋe sarnanak. Du bist sehr blass. Ich kann spüren, wie mir dein Hunger entgegenschlägt.«

Sie war es so gewohnt, hungrig zu sein, dass sie es kaum noch bemerkte, wenn sie wochenlang kein Blut bekam. Sehr sanft legte er die Hand auf ihren Hinterkopf und drängte ihr Gesicht zu seiner nackten Brust. Sie richtete ihren Blick dorthin, auf seine schweren, definierten Muskeln. Er trug eine uralte Tätowierung, die in seine Haut geritzt worden war. Es war schwierig, einen Karpatianer zu tätowieren. Tinte blieb nicht in ihrer Haut. Karpatianer bekamen nur selten Narben, doch Ferro hatte mit Tinte verstärkte Narben auf seiner Brust, den Armen, Schultern und, da war sie sicher, auf seinem Rücken.

Ihr Hinterkopf schmiegte sich mühelos in seine Handfläche, als er sie eng an seine breite Brust drückte. Sofort nahm sie seinen faszinierenden Duft wahr und sog ihn tief in sich ein. Etwas an der Art, wie er roch, berührte ihr tiefstes Inneres. Sie wollte sofort seine Haut kosten – nein, musste ihn kosten. Ohne nachzudenken, leckte sie über seine Haut. Ein exotisches, vollkommenes Aroma explodierte auf ihrer Zunge und sandte Hitze in ihren Bauch. Beinahe hätte sie vor Wonne aufgestöhnt. Nichts schmeckte so wie er. Nichts.

Ihre Zähne schabten über die warme Haut über seinem Puls, während sie überlegte, wie sein Blut wohl schmecken würde. Würde es genauso gut sein? Würde es dem Versprechen seines Dufts gerecht werden können? Dem bloßen Geschmack seiner Haut? Er hatte sie bereits früher genährt, als sie unter der Erde gewesen war und er über ihr geschlafen hatte, aber da hatte er sie noch nicht für sich beansprucht, sie noch nicht aneinander gebunden. Wäre es ein Unterschied? Damals hatte sie zu große Angst gehabt, um es zu bemerken. Sie hatte auch jetzt große Angst, aber … Er stöhnte. Es war nur ein leiser Laut, aber er fuhr geradewegs in ihr Geschlecht. Wie ein Pfeil.

»Elisabeta, nimm mein Blut«, befahl er ihr knurrend. Sein Tonfall war samtig weich, aber dennoch war es ein Knurren. Ein Befehl.

Sofort senkte sie ihre Zähne in seine Ader. Tief. Ohne Vorrede. Es schockierte ihn. Schockierte sie. Er warf den Kopf in den Nacken und drückte ihren Kopf fest an seine Brust, während er mit der anderen Hand ihre Hüften stillhielt, wodurch ihr bewusst wurde, dass sie unruhig auf seinem Schoß herumrutschte und dabei mit ihren nackten Pobacken an seinem vollständig aufgerichteten Glied entlangglitt. Am liebsten wäre sie vor Scham erstarrt, doch sein Blut war bereits in ihrem Mund. Es war ein Aphrodisiakum, das Erlesenste, das sie in ihrem Leben je gekostet hatte.

Ferro würde nie genug Blut haben, um ihren Hunger zu stillen. Niemals. Sie würde sich für immer nach seinem Blut verzehren. Nichts würde so gut schmecken, und das wusste sie. Sie versuchte, nicht gierig zu sein. Sie war darauf trainiert worden, sich nicht zu nehmen, was sie brauchte. Wenn sie es versucht hatte, hatte Sergey sie mit Schlägen seinen Befehlen unterworfen.

Zweimal versuchte sie, sich zurückzuziehen, doch Ferro murmelte unmutig und hielt sie weiter an seine Brust gedrückt. Also nährte sie sich weiter, dankbar dafür, dass er es erlaubte, dankbar für die reichhaltige Stärkung, die das Blut eines wahren uralten Kriegers ihr gab, aber noch wichtiger, dankbar für das herrliche Geschenk, das Blut ihres Seelengefährten kosten zu dürfen.

»Das ist genug, Elisabeta«, sagte er schließlich, während er ihr zärtlich durchs Haar strich. »In all den Jahren meiner Existenz hat noch nie jemand so geschmeckt wie du. Ich hoffe, für dich war es ebenso.«

Widerwillig ließ sie die Zunge über die Einstichlöcher gleiten, um sie zu verschließen, und hob den Kopf, fort von der Versuchung. Sie nickte. »Das war es.«

Er fuhr weiter liebevoll durch ihr Haar. »Das ist gut. Ich möchte, dass du zu mir kommst, wenn du hungrig bist. Wenn du mich nicht finden kannst, streck deinen Geist nach mir aus. Warte nicht, bis du dich ausgehungert fühlst. Du wirst eine Weile lang zusätzlich genährt werden müssen.«

Sofort erfasste sie wieder panische Angst. »Ich werde nicht bei dir sein? Wenn ich nicht bei dir bin, werde ich dann nicht in der Erde sein? Ich kann nicht allein sein. Ich weiß nicht, was zu tun ist.« Ihr Herzschlag spielte verrückt, und ihre Lungen rangen brennend nach Luft. Sie konnte das nicht. Selbst jetzt konnte sie sich nicht einmal umsehen, wie sollte sie da allein zurechtkommen? Nur weil er sie hielt und ihr Blut gab und die Erlaubnis zu sprechen erteilte, bedeutete das nicht, dass sie sich in einer Welt zurechtfinden konnte, die sie weder kannte noch verstand.

Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um mit keinem weiteren Wort herauszuplatzen. Es war bereits viel zu spät. Er konnte ohnehin in ihrem Geist lesen. Sie hatte es geschafft, den halbwegs normalen Eindruck, den sie zunächst vermittelt haben musste, zunichtezumachen. Nun ahnte er mit Sicherheit, welches Ausmaß an Verrücktheit sie seit ihrer Gefangenschaft in sich trug. Sie versuchte dennoch, von seinem Schoß zurück in die einladende Erde zu kriechen. Aber es war unmöglich, sich zu bewegen, wenn Ferro nicht wollte, dass sie irgendwo hinging. Er legte einfach die Arme um sie und hielt sie fest an seinen Körper gepresst.

»Du hast wieder eine Panikattacke. Atme. Ich werde dich nicht allein lassen, bis du bereit bist. Beruhige dich, piŋe sarnanak. Atme einfach, während wir noch ein paar weitere Regeln durchgehen.«

Das würde ihr helfen. Regeln gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie mochte sie.

Noch immer streichelte er ihr Haar auf diese beruhigende Weise, und sie stellte fest, dass sie seinem Atemrhythmus folgte. Es gefiel ihr, dass er sie »kleiner Singvogel« nannte. Es klang ein bisschen wie ein Kosename. Er machte sich nicht über sie lustig oder verspottete sie. Obwohl er sie so mühelos zerquetschen könnte, schien er sie nur sanft und liebevoll behandeln zu wollen.

»Ich weiß, dass du große Angst davor hast, Malinov könnte dieses Anwesen angreifen.«

Bei seiner Kühnheit, den Namen des Meistervampirs auszusprechen, schnappte sie erschrocken nach Luft und konnte sich sogar nicht zurückhalten, die Finger zu heben und auf seine Lippen zu legen. Das war eine schreckliche Verfehlung, und kaum hatte sie es getan, wusste sie, dass sie bestraft werden musste. Sie ließ die Hand wieder in ihren Schoß fallen und senkte den Kopf.

»Es tut mir leid. Wirklich. Ich hätte dich nicht ohne Erlaubnis berühren dürfen. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Was auch immer du für eine angemessene Bestrafung –«

Ferro nahm ihre Hand und führte ihre Fingerspitzen zurück an seine Lippen. »Ich bin dein Seelengefährte. Du darfst mich berühren, wann immer du wünschst oder das Bedürfnis verspürst. Manchmal wird es sein, um Trost zu suchen, andere Male mag es sexuelles Verlangen sein. Vielleicht möchtest du auch einfach nur meine Nähe spüren. Was auch immer der Grund sein wird, du musst mich nicht um Erlaubnis bitten. Ich hingegen werde dich nur berühren, wenn du es ausdrücklich wünschst.«

Verwirrt sah sie ihn an. »Aber ich gehöre dir. Du hast das Recht, mich zu berühren, wenn du es wünschst.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich gehöre dir ebenso, Elisabeta, aber wir sind Seelengefährten, nicht Herr und Sklavin. Nicht Vampir und Gefangene. Diese Tage sind vorüber, du wirst sie nie wieder erleiden müssen. Er wird dich nicht zurückbekommen. Du hast jedes Recht, Nein zu sagen. Zu mir oder jedem sonst.«

Elisabeta war verwirrter denn je. Regelrecht geschockt. Sie verstand nicht, was er ihr sagte. Es klang so weit hergeholt, dass sie fürchtete, er würde versuchen, sie hinters Licht zu führen. Die unausweichliche Panik kochte wieder in ihr hoch, und sie biss sich fest auf die Fingerknöchel ihrer geballten Faust. Sie verstand überhaupt nichts. Die kühle Erde sah so einladend aus. Die Reichhaltigkeit, die Schätze des Erdreichs würden ihr Ruhe spenden. Es hatte den Schmerz in ihren Gelenken gelindert, den die Jahrhunderte in dem winzigen Käfig ihr zugefügt hatten, als sie sich nicht ausreichend hatte bewegen können und nicht genug Blut bekommen hatte, um sich zu stärken. Diese Welt, in der sie sich jetzt befand, war ihr so fremd, dass sie nicht einmal den kleinsten Teil davon verstand, und ihr Bedürfnis, sich in das tröstende, verständnisvolle Erdreich zu flüchten, wurde immer stärker.

Beruhigend liebkoste Ferro weiter ihr Haar. »Wir werden mit einfachen Dingen beginnen. Erinnerst du dich, wie du dich selbst ankleiden kannst, oder hat der Vampir darauf bestanden, das für dich zu tun?«

Mit Ferro darüber zu sprechen, beschämte sie. »Das hat er, wenn er Kleidung erlaubte. Er hat immer die Entscheidungen getroffen.«

»Ziehst du es vor, Kleider oder Hosen zu tragen?«

Ihr Herz schlug schneller. War das eine Fangfrage? Was bevorzugte er? Sie hatte im ganzen Leben noch nie Hosen getragen. Kein einziges Mal. Sie wusste, dass Julija welche trug, aber sie sahen aus, als wären sie unbequem. Würde Ferro wollen, dass sie welche trug?

»Möchtest du, dass ich Kleider trage oder Hosen?«, fragte sie zurück und versuchte dabei, nicht so ängstlich zu klingen, wie sie sich fühlte.

»Hier geht es darum, was du möchtest. Es gibt keine richtige oder falsche Antwort, piŋe sarnanak. Du musst nur entscheiden, was du vorziehen würdest.«

Das konnte sie auf keinen Fall. Sie hatte seit Hunderten von Jahren keine Entscheidung mehr allein getroffen. Keine einzige. Sie schüttelte den Kopf und weigerte sich, ihn anzusehen, weigerte sich zu antworten.

Elisabeta erwartete, dass er verärgert sein würde, frustriert, die Geduld mit ihr verlieren würde, doch er streichelte unbeirrt weiter ihr Haar. Ihr wurde bewusst, dass ihr langes, dichtes, noch nie geschnittenes Haar mit einem Mal sauber war, und als er mit kräftigen Fingern ihre Kopfhaut massierte, glitten die Strähnen ohne zerzauste Knoten durch seine Finger.

»Ich ziehe Kleider an einer Frau vor, aber ich bin ein uralter Krieger, Elisabeta, ganz und gar nicht modern. Ich hatte keine Zeit, mit dieser Welt aufzuholen. Ich will deine Entscheidungen nicht mit meinen Vorlieben trüben. Dennoch, falls es dir lieber ist, dass ich diesmal die Wahl für dich treffe, werde ich dir zwei verschiedene Kleider zeigen, die mir wirklich gefallen, und du kannst entscheiden, welches du heute Abend tragen willst und welches morgen Nacht. Ist das annehmbar für dich?«

Sie würde immer noch eine Entscheidung treffen müssen, aber ihm gefielen beide Kleider, und letzten Endes würde sie beide tragen. Somit müsste sie einzig bestimmen, welches sie heute Abend tragen würde und welches in der darauffolgenden Nacht. Und obwohl ihr dies noch immer schwierig vorkam, war es doch auch aufregend. Es war eine Entscheidung. Ihre Entscheidung. Ferro ließ sie wählen.

»Ja, diese Idee gefällt mir sehr gut«, stimmte sie zu.

»Aber sie ist immer noch ein bisschen furchteinflößend für dich«, bemerkte er.

Natürlich wusste er das. Ihren hämmernden Puls konnte sie nicht vor ihm verbergen. Sie biss sich auf die Lippe und nickte langsam, dabei wagte sie es, einen verstohlenen Blick auf sein Gesicht zu werfen, um zu sehen, ob er frustriert über sie war. Das würde sie ihm nicht verübeln. Er sah so unbezwingbar aus, als hätte ihm nichts auf der Welt je Angst bereitet. Wie konnte er hier so ruhig in der Mitte der Heilungsstätte sitzen und sich Zeit nehmen, als müsste er nirgendwo sonst auf der Welt sein als genau hier bei ihr, um ihr die schreckliche neue Welt zu erklären, in der sie sich wiederfand?

»Wenn du große Angst bekommst, piŋe sarnanak, dann denk immer daran, dass du nur in deinen Geist zu sehen brauchst, damit ich bei dir bin. Du kannst unser Lied hören. Es beruhigt dich jeden Abend, wenn du dich erhebst. Der Klang des Regens, der dich ruft und bittet zu erwachen. Es ist unser vereinter Herzschlag. Und egal, ob ich dir nah oder fern bin, du findest unser Lied in deinem Geist. Es wird dir helfen, dich zu beruhigen. Ich muss zugeben, es ist mir lieber, wenn ich derjenige bin, der sich um dich kümmert, aber du sollst wissen, dass du immer in der Lage bist, selbst für dich zu sorgen. Der Vampir hat dir das genommen, aber ich beabsichtige, es dir zurückzugeben. Du bist nicht ohne eigene Macht, Elisabeta. Mit der Zeit wirst du lernen, an dich zu glauben. Zu wissen, dass du stark bist. Das wünsche ich mir für dich.«

Sie war seine Seelengefährtin. Darüber hinaus hatte sie Jahrhunderte damit verbracht, sich auf die leiseste Nuance im Tonfall ihres Meisters einzustellen. Auf seine Körpersprache. Seinen Atem. Sie fühlte, was er nicht aussprach. »Du willst das für mich, aber du willst das nicht für dich.« Es war unglaublich gewagt von ihr, ihm diese Worte an den Kopf zu werfen, auch wenn sie wusste, dass es die Wahrheit war. Sie widersprach ihm praktisch. Hätte sie das bei Sergey getan, hätte ihr das eine Tracht Prügel eingebracht. Sie wäre einen Monat lang nicht fähig gewesen, sich zu bewegen. Vielleicht wollte sie damit Ferros Grenzen austesten. Die Wahrheit hinter seinen Regeln.

Zu ihrem blanken Erstaunen rieb er zärtlich seine Nase an ihrer Schulter und drehte sein Gesicht zu ihrem Hals, so dass sein Atem warm über ihren wild pochenden Puls strich. »Ich bin uralt, Elisabeta, und darüber hinaus habe ich stets geglaubt, dass meine Frau jedem meiner Wünsche gehorchen würde. Das ist es, was du in meinem Geist siehst. Aber nachdem ich erfahren habe, was diese niederträchtige Kreatur mit meiner Seelengefährtin gemacht hat, bin ich entschlossen, dass wir beide modernere Weisen lernen werden. Wir werden vielleicht nicht wie die anderen sein, die auf diesem Anwesen leben. Wir werden unsere eigene Verbindung finden, aber sie wird anders sein, als ich es mir vor langer Zeit vorgestellt habe, weil ich das nicht mehr für uns beide will.«

Sie nahm sich Zeit, um gründlich über seine Feststellung nachzudenken. Er war bereit, sich zu ändern. Zu jemand anderem zu werden. Also musste sie den Mut finden, dasselbe zu tun. Sie holte tief Luft. »Ich würde sehr gern die Kleider sehen, ähm …« Wie sollte sie ihn nennen? Wie sollte sie ihn ansprechen?

»Ferro«, half er ihr aus. »Ich bin dein dir angetrauter Gefährte. Du wirst mich Ferro nennen.«

Sie presste die Lippen zusammen, um sie am Zittern zu hindern. Er war ihr angetrauter Gemahl. Er hatte die rituellen Worte ausgesprochen, und die ließen sich nicht zurücknehmen. Niemals. Er hatte sie für alle Ewigkeit aneinander gebunden.

»Sag es, piŋe sarnanak, sag meinen Namen. Ich möchte hören, wie er klingt, wenn er über deine Lippen kommt.« Sein Mund war ihrem Ohr ganz nah. Sein warmer Atem neckte sie und ließ das Blut in ihren Adern pulsieren.

Elisabeta war nicht sicher, ob sie ihn bei seinem Vornamen nennen wollte. »Ferro«, sagte sie leise. »Aber du nennst mich piŋe sarnanak. Ich finde, du bist mein kont o sívanak, mein starkes Herz. Der Singvogel wird lernen zu fliegen, weil du ein Herz hast, das groß genug für uns beide ist.« Es fühlte sich sehr gewagt an, ihm zu sagen, was sie dachte.

Tief in ihrem Innern wünschte sie sich sehnsüchtig, dass es der Wahrheit entsprach. Sie waren Seelengefährten, und sie konnte in seinen Geist blicken, aber sie war noch nicht mutig genug dafür, ebenso wenig war sie stark genug, irgendeinen Schutzschild zu durchdringen, falls er sie bewusst aus seinem Geist heraushalten wollte. Im Lauf der Jahrhunderte hatte sie gelernt, das bei Sergey zu tun, aber so subtil, dass er es nicht merkte. Sie beschlich jedoch das Gefühl, dass Ferro es immer merken würde.

Er senkte seine Zähne sacht in ihr Ohrläppchen, zog leicht daran, und dann ließ er es ebenso abrupt wieder los, aber nicht bevor der sanfte Biss bewirkte, dass sich ihre empfindlichste Stelle lustvoll zusammenzog und eine Schockwelle durch ihren ganzen Körper raste.

»Sieh dir diese Kleider an. Lorraine, die Seelengefährtin meines Bruders Andor, hat mehrere Bücher, die sie Kataloge nennt, und sie hat mir erlaubt, sie nach Kleidungsstilen durchzusehen. Sie war sehr hilfreich.«

Elisabeta versuchte, sich bei dem unterschwelligen liebevollen Ton, den sie in seiner Stimme hörte, nicht zu versteifen. Bis zu diesem Moment hatte nur wenig Ausdruck in seiner Stimme gelegen. Gelegentlich war sie zärtlich oder sanft oder gebieterisch, aber nun verriet ihr Klang definitiv Zuneigung für diese Frau. Eine andere Frau. Nicht seine Seelengefährtin. Das gefiel Elisabeta nicht.

Er machte eine Handbewegung in der Luft, und zwei Kleider schwebten vor ihr. Sie versuchte, nicht nach Luft zu schnappen, aber – nun ja – sie waren recht figurbetont. Während ihrer Gefangenschaft hatte sie nur selten jemand anders als Sergey gesehen, und wenn, dann hatte er ihren Körper in formlose Gewänder gehüllt. So etwas wie diese Kleider hatte sie noch nie getragen. Es war nicht so, dass sie ihren Körper nicht angemessen bedecken würden – sie waren vorne nicht tief ausgeschnitten, reichten bis zu ihren Knöcheln, und beide hatten dreiviertellange Ärmel –, aber sie waren nicht die formlosen, kastigen Kleider, die sie zu tragen gewohnt war.

Eines war von kühler waldgrüner Farbe, mit blockartigen Akzenten in einem helleren Grün auf Mieder und Rock, und der Stoff war dünn und anschmiegsam, so dass sie wusste, er würde ihre Figur betonen. Da sie sehr schlank und nicht besonders kurvig war, würden sich vielleicht eher ihre Knochen abzeichnen als ihre Rundungen, aber trotzdem wäre es ein bisschen gewagt.

Das zweite Kleid war schwarz mit grauen Akzenten und ebenfalls aus einem weichen Stoff gefertigt, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Das Oberteil lief in der Taille spitz zu, und der Rock fiel in einer Reihe von Rüschen bis zu den Knöcheln. Es war das Oberteil, das sie stutzen ließ, sonst hätte sie sich sofort dafür entschieden. Sie war nicht sicher, wie wohl sie sich in einem Kleid fühlen würde, das sich so eng an ihren Körper schmiegte.

Ferro drängte sie nicht. Er wartete geduldig. Genau genommen schien er mehr an ihrem Haar und ihrem Nacken interessiert zu sein als an den Kleidern und ihrem Dilemma. Er lenkte sie ab, wanderte mit seinen Lippen über ihren Puls, so dass sie seinen Atem spürte, seine Finger auf ihrer Haut und in ihrem Haar fühlte, bis sie verzweifelt die unbekannten Gefühle aufhalten wollte, mit denen er ihren Körper überflutete.

»Das schwarz-graue«, sagte sie. »Das werde ich tragen.«

»Ausgezeichnete Wahl.«

Mit seinen großen Händen umfasste er sie an der Taille und hob sie von seinem Schoß, um sie neben sich auf die Füße zu stellen. Als er aufstand, war er vollständig angezogen. Er machte eine Handbewegung, und sie fand sich in dem langen schwarz-grau gemusterten Kleid wieder. Der weiche Stoff schmiegte sich an sie, genau wie sie es geahnt hatte, aber darunter trug sie nun ebenso weiche Unterkleidung, die als Puffer diente.

»Du siehst wunderschön aus, Elisabeta. Bist du es gewohnt, Schuhe zu tragen?«

Sie schaute hinunter auf ihre Füße und schüttelte den Kopf. »Ich durfte den Käfig nie lange verlassen.«

Erneut machte er eine Handbewegung. »Falls diese Schuhe unbequem werden, wirst du es mir augenblicklich sagen. Das ist ein Befehl. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

Sie nickte und schaute hinunter auf die flachen Sandalen an ihren Füßen. Sie waren schwarz und grau, passend zu dem Kleid, das sie trug. Sie hatte keine Ahnung, woraus sie gemacht waren, aber es fühlte sich nicht wie steifes Leder an. Was auch immer es war, sie waren bequem, und sie wackelte mit ihren Zehen.

Seine Hand streifte ihre. Erwartungsvoll schaute sie zu ihm hoch.

»Nimm meine Hand, piŋe sarnanak«, sagte er. »Wir gehen zusammen auf dem Anwesen spazieren. Ich möchte dir zeigen, wo alles ist und wo wir wohnen werden.«

Verständnislos sah sie ihn an, während sie zu verarbeiten versuchte, was er ihr gerade befohlen hatte. Was er gerade gesagt hatte. Er wollte, dass sie ihn ihre Hand nehmen ließ. Er würde mit ihr hinausgehen und sie aus der Sicherheit der Heilungsstätte führen. Nach draußen, wo Leute waren. Sie müsste gehen, obwohl sie doch nicht wusste, wie. Sie schluckte heftig und versuchte sich an die Bewegung zu erinnern. Sie hatte es oft genug gesehen. Und sie war intelligent. Sie würde ihm langsam schlurfend folgen können.

»Ferro …«

Er nahm ihre Hand und legte sie auf seine Brust. »Du wirst bei mir sein, Elisabeta, und darum jederzeit in Sicherheit. Meine Brüder sind in der Nähe, und sie werden dich ebenfalls beschützen. Julija, deine Freundin, ist hier mit ihrem Seelengefährten. Lorraine, meine Seelenschwester, ist hier und freut sich schon darauf, sich mit dir anzufreunden.«

Sie blieb wie versteinert und starrte zu ihm hoch, zu verängstigt, um sich zu bewegen. Er hob ihre Finger an seine warmen Lippen und fuhr mit seinen kräftigen Zähnen leicht über ihre Fingerspitzen, was Hitze durch ihre Adern tanzen ließ.

»Wenn es dir zu viel wird, dann wende dich einfach an mich. Ich werde dich beschützen. Ich bin dein Seelengefährte, Elisabeta. Jeder, dem wir begegnen, einschließlich meiner Brüder, wird von mir erwarten, altmodisch und herrisch zu sein.« Wieder zeigte er seine Zähne, und diesmal sah er wie ein Raubtier aus. »Wir können so kommunizieren, wie wir es heute beim Erwachen getan haben, nur wir beide. Du sagst mir, was du brauchst, und ich werde es dir geben. Ich erwarte nicht, dass du plötzlich, nach Jahrhunderten der Gefangenschaft, weißt, wie man mit Fremden spricht oder mit unvertrauten Situationen umgeht. Es erfüllt mich bereits mit Stolz, dass du dich entschlossen hast, dich zu erheben und deinem Seelengefährten gegenüberzutreten. Mir wurde gesagt, dass ich ziemlich einschüchternd bin.«

Sie blickte zu seinem Gesicht hoch. Er ging mit ihr über die heilende Erde zum Ausgang, nicht mit schnellen Schritten, sondern in gemütlichem Tempo, damit sie ihre Füße über den Boden schieben konnte, einen vor den anderen, ohne sie zu heben. Dabei klopfte ihr das Herz so heftig, dass es ihr beinahe aus der Brust sprang. Sein Tonfall hatte sie eingeladen, seine Aussage amüsant zu finden. Sie wünschte sich, sie könnte lachen, aber sie hatte viel zu viel Angst. Doch es gab ihr Mut, ihn so nah bei sich zu haben. Bisher hatte Ferro ihr nichts als Freundlichkeit gezeigt. Sie musste glauben, dass er das auch weiterhin tun würde.

2

Jahrhundertelang schlummernd vor der Welt versteckt;

spür die Erde unter den Füßen, aus deinem Albtraum sei geweckt.

Ferro schaute hinunter auf Elisabetas Kopf und ihr dunkles, seidig glänzendes Haar. Er spürte die Angst in Wellen von ihr ausgehen. Seine Frau war kein Mäuschen. Sie glaubte, sich ihm verschlossen zu haben, aus Furcht, er könnte denken, sie wäre seiner ganz und gar nicht würdig, eines in ihren Augen so »wilden, grimmigen« Mannes. Sie hielt ihn für einen wahren karpatianischen Krieger, und er nahm an, das war er auch, obwohl er nicht viel darüber nachdachte. Er hatte zu viele Jahrhunderte damit verbracht, Vampire zu jagen und zu vernichten. Es war einfach seine Aufgabe.

Sie war fast noch ein Kind gewesen, als Sergey Malinov sie ihrem Zuhause entrissen und in einem Käfig vor der Welt versteckt hatte. Alle hatten sie für tot gehalten. Ihr Bruder Traian hatte jahrhundertelang nach ihr gesucht, aber keine Spur von ihr gefunden. Niemand ahnte, dass die Malinovs etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatten. Sergey hatte sie sogar vor seinen eigenen Brüdern versteckt. Nicht einmal sie hatten vermutet, dass sie in seiner Gefangenschaft lebte.

Die flüchtigen Blicke in ihre Vergangenheit, die Ferro in ihrem Geist erhascht hatte, waren mehr als verstörend. Sie waren entsetzlich, und ihm waren in seinem Leben schon viele schreckliche Dinge begegnet. Sie war so allein gewesen und hatte sich bei allem, was sie brauchte, um am Leben zu bleiben, nur auf den Vampir verlassen können, der sie gefangen genommen hatte. Es war kein Wunder, dass sie Angst hatte, in die Welt hinauszugehen.

Jetzt gerade, als sie kurz anhielten, bevor sie aus der Heilungsstätte hinaus in die Gärten des Anwesens traten, wo sich das Hauptgebäude, der See und die kleineren Häuser befanden, wusste er, dass sie sich durch den weiten, offenen Raum, ohne die Gitterstäbe ihres Käfigs, ein wenig schwindelig und orientierungslos fühlte. Er zog sie eng an sich, unter seine Schulter, um ihr das Gefühl zu geben, umfangen zu sein. Er legte den Arm um ihre Taille, während sie einfach nur dastanden und über die Gärten blickten.

»Es ist eigentlich ziemlich schön, nicht wahr?«, fragte er, um sie abzulenken.

Er hatte die Schönheit der Natur nie wirklich wahrgenommen, schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Er hatte keine Farben gesehen, bis er ihre Stimme gehört hatte, dieses leises Stöhnen unter der heilenden Erde, das sie ausgestoßen hatte, als sie sich dagegen wehrte, an die Oberfläche kommen zu müssen, um sich zu nähren. Nun faszinierten ihn die zahlreichen Farbschattierungen der Blätter. Das Blau des Sees, dessen Oberfläche im Mondlicht silbern und frostig schimmerte.

Er sehnte sich danach, sie auf seine Arme zu nehmen, sich in den Himmel zu schwingen und sie zurück in das versteckte Kloster hoch oben in den Karpaten zu tragen. Zwar hatte er kein Problem damit, seiner schönen, zerbrochenen Frau zu sagen, was sie tun sollte, und sie sanft in die Welt einzuführen, die sie sich gemeinsam erschaffen würden, aber er war ihr Seelengefährte und würde ihr alles geben, was sie brauchte. Und dazu zählte, ihr zu zeigen, dass sie eigene Macht besaß.

Nach Jahrhunderten der Versklavung und all den Grausamkeiten, die sie in den Fängen des Vampirs ertragen musste, würde Elisabeta nie so werden wie Andors Seelengefährtin. Lorraine war eine sehr moderne Frau, und Ferro respektierte und bewunderte sie, aber wusste, dass ihre selbstbestimmte, unabhängige Art niemals zu ihm passen würde. Damit würde er nicht leben können. Er hatte einen viel zu stark ausgeprägten Beschützerinstinkt. Dennoch wollte er nicht, dass Elisabeta Angst empfand, weder vor der Welt um sie herum noch vor ihm. Er würde nach jeder möglichen Lösung suchen, um ihr dabei zu helfen, das wiederzufinden, was ihr genommen worden war – ihre eigene Macht.

In seinem Geist war bereits ein Plan herangereift. Er hatte Elisabeta gestattet, länger in der heilenden Erde verborgen zu bleiben als nötig, während er sich seine Strategie zurechtgelegt hatte, um sie zu stärken. Am Anfang, das wusste er, würde die Welt um sie herum zu groß für sie sein. Nachdem sie auf so beengtem Raum gelebt hatte, würde schon allein der Aufenthalt draußen im Freien verwirrend und beängstigend auf sie wirken. Er würde es langsam angehen lassen müssen, ihr nur kleine Teile des Anwesens zeigen anstatt alles auf einmal.

Alle brannten darauf, sie kennenzulernen, aber sie durfte nicht mit zu vielen Leuten überfordert werden. Er würde sie abschirmen müssen, obwohl er wusste, dass andere das falsch interpretieren und glauben würden, er wolle ihnen seine zerbrechliche Seelengefährtin vorenthalten, weil er ein uralter Krieger war und sich an die alten Gebräuche hielt. Doch Meinungen störten ihn nicht im Geringsten. Er war tatsächlich ein uralter Krieger und hielt sich an die alten Gebräuche.

Aber Ferro befiel auch ein seltsames Gefühl dunkler Vorahnung. Elisabeta hatte von mehreren der uralten Krieger Blut bekommen, bevor er durch puren Zufall entdeckt hatte, dass er ihr Seelengefährte war. Er hatte ihr Stöhnen gehört. Dieser leise, kleine Laut des Kummers hatte ihm eine völlig neue Welt eröffnet, aber er hatte auch seine äußerst sensiblen Alarmglocken ausgelöst. Gefahr lauerte seiner Frau auf – und sie kam nicht nur von dem Meistervampir. Er spürte eine vage Bedrohung innerhalb des Anwesens. Von jemandem, dem er vertraute. Jemandem, der sie beschützen sollte. Die Bedrohung war so unbestimmt, beinahe als wäre sie noch nicht vollständig ausgeformt, aber es reichte aus, um ihn in Alarmbereitschaft zu versetzen.

Ein leichtes Erschauern rieselte durch Elisabetas Körper, und er legte den Arm fester um sie, so dass sich ihre Brust an seine Seite schmiegte. »Sieh dir einfach die Schönheit an, die dich umgibt, piŋe sarnanak. Tariq Asenguard hat diesen Ort vor langer Zeit ausgewählt, um hier seine Welt aufzubauen. Die anderen haben das Land um sein Anwesen herum gekauft, um seine Festung noch zu vergrößern. Wir weben gemeinsam Schutzzauber, um die Sicherheit aller zu garantieren.«

Sie hob den Kopf und schaute zu ihm hoch. »Niemand wird je vor Malinov sicher sein, solange ich hier bin. Ich denke, das weißt du.« Ihre Stimme bebte.

Es bereitete ihr offenbar große Mühe, überhaupt mit ihm zu reden, ihre Sorge auszudrücken. Schon allein zu sprechen fiel ihr schwer, da sie es so viele Jahrhunderte lang nicht getan hatte. Sie hielt sich nicht für mutig, weil sie nicht verstand, was wahrer Mut bedeutete. Doch allein die Tatsache, dass sie hier neben ihm stehen konnte, anstatt zu einer Kugel zusammengekrümmt in der Erde zu bleiben, wie sie es eigentlich wollte, war ein Beweis für ihre innere Stärke.

Mit einer zärtlichen Geste hauchte Ferro einen Kuss auf ihren Scheitel und versuchte, sie dabei nicht zu ängstigen. Er tastete sich langsam an sie heran. Elisabeta hatte keinerlei menschlichen Kontakt gehabt, abgesehen von den Gelegenheiten, bei denen Sergey sie für ihre Verfehlungen bestraft hatte.

Nun umgab er sie mit seiner Nähe. Er wollte, dass sie sich daran gewöhnte, sich auf seine Stärke zu verlassen, bis sie ihre eigene fand. Er war fest entschlossen, dass sie sie finden würde, selbst wenn das für ihn bedeutete, dass sie höchstwahrscheinlich nicht bei ihm bleiben wollen würde. Er durfte nicht zu lange darüber nachdenken oder darüber, was eine solche Entscheidung mit ihm machen würde. Das führte direkt in den Wahnsinn. Elisabeta verdiente eine Chance auf ein Leben nach all diesen Jahrhunderten, die sie als Gefangene durchlitten hatte, und er besaß die Absicht, ihr diese Chance zu geben.

»Du bist nun an mich gebunden, Elisabeta. Ich werde einen Schutzschild in deinem Geist errichten, den er nicht durchdringen kann. Er kann dir nun nichts mehr befehlen oder uns ausspionieren. Du musst nicht befürchten, dass du ihm Informationen über irgendjemanden hier liefern wirst. Ich lebe schon viel länger als er, und ich bin mächtiger.«

Er spürte ihr kurzes Kopfschütteln, aber sie sagte nichts. Vielmehr hob sie sogar die Hand und presste sie auf ihre Lippen, um das zurückzuhalten, was ihr anscheinend auf dem Herzen lag.

Sanft fing er ihr Handgelenk ein und zog ihre Hand herunter. »Sprich mit mir, päläfertiilam. Ich wünsche zu wissen, was du auf dem Herzen hast.«

Ihre langen Wimpern flatterten, aber sie sah ihn nicht an. Sie schüttelte zweimal den Kopf, bevor sie schließlich sprach. »Ist das ein Befehl?«

»Falls es sein muss.«