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E-Book: 101-110 E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. E-Book 101: Konflikt in jungen Herzen E-Book 102: Die Flucht ins Ungewisse E-Book 103: Der zweite Schritt ins Leben E-Book 104: Engel in weißem Kittel E-Book 105: Das Schicksal einer schönen Ärztin E-Book 106: Wenn die Liebe lügt E-Book 107: Der Stolz, an dem das Herz zerbricht E-Book 108: Sie sollte es nie erfahren E-Book 109: Ich habe um dich gebangt E-Book 110: Das Lächeln hat ihn verzaubert E-Book 1: Konflikt in jungen Herzen E-Book 2: Die Flucht ins Ungewisse E-Book 3: Der zweite Schritt ins Leben E-Book 4: Engel in weißem Kittel E-Book 5: Das Schicksal einer schönen Ärztin E-Book 6: Wenn die Liebe lügt E-Book 7: Der Stolz, an dem das Herz zerbricht E-Book 8: Sie sollte es nie erfahren E-Book 9: Ich habe um dich gebangt E-Book 10: Das Lächeln hat ihn verzaubert

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Inhalt

Konflikt in jungen Herzen

Die Flucht ins Ungewisse

Der zweite Schritt ins Leben

Engel in weißem Kittel

Das Schicksal einer schönen Ärztin

Wenn die Liebe lügt

Der Stolz, an dem das Herz zerbricht

Sie sollte es nie erfahren

Ich habe um dich gebangt

Das Lächeln hat ihn verzaubert

Dr. Norden Bestseller – Staffel 11 –

E-Book: 101-110

Patricia Vandenberg

Konflikt in jungen Herzen

Was verheimlicht Magnus vor Dorthe

Roman von Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden freute sich, als Irene Bruck so lebhaft und frisch sein Sprechzimmer betrat. Vor sechs Wochen hatte sich eine verhärmte traurige Frau von ihm verabschiedet, um eine Kur im Sanatorium »Insel der Hoffnung« zu machen.

»Sie haben sich gut erholt«, stellte er lächelnd fest.

»Sehr gut. Es war wunderschön. Ich bin so froh, dass ich Ihrem Rat gefolgt bin, Herr Doktor. Heinz wird ja nicht wieder lebendig, und ich werde noch gebraucht.«

Vor zehn Monaten war ihr Mann an einer unheilbaren Krankheit gestorben. Für die gerade Vierzigjährige war es ein entsetzlicher Schock gewesen, und auch Dr. Norden war sehr erschüttert gewesen, dass wieder einmal eine überaus glückliche Ehe ein so jammervolles Ende nehmen musste.

Irene konnte sich nicht fangen, obgleich sie nicht ganz allein zurückblieb. Sie hatte ihre Tochter Dorthe, ein reizendes Mädchen, das alles tat, um die geliebte Mutter aufzurichten, sie hatte den ebenfalls verwitweten Schwager, der im selben Haus wohnte, und auch ihren Neffen Florian, dem sie über viele Jahre liebevoll die Mutter ersetzt hatte. Dorthe und Florian waren wie Geschwister aufgewachsen, sehr verschieden im Naturell zwar, aber der gutmütige Florian hatte der um vier Jahre jüngeren Cousine immer nachgegeben.

Ja, Dr. Norden kannte die Verhältnisse der Familien Bruck, und er war sehr froh, dass Irene sich gefangen hatte.

»Nun brauchen wir ja keine Medikamente mehr«, sagte er.

»Nein, sie sind bereits verbannt«, erwiderte Irene, »aber die ›Insel der Hoffnung‹ wird mich noch öfter sehen. Ihre Schwiegereltern sind einmalig, das muss ich Ihnen doch sagen. Es war wirklich eine wunderbare Zeit. Und hier wurde ich auch mit einer erfreulichen Überraschung empfangen. Dorthe wird sich in Kürze verloben.«

»Ist er nett?«, fragte Dr. Norden.

»Ich lerne ihn erst heute kennen, deshalb auch die neue Frisur«, erwiderte sie, wie ein junges Mädchen errötend. »Jedenfalls stammt er aus einer sehr guten und angesehenen Familie. Sein Vater ist Fabrikant, und da Dorthe bis über beide Ohren verliebt ist, wird es schon der Richtige sein, wenn auch mein Schwager anscheinend nicht so ganz begeistert ist. Aber er möchte Dorthe ja am liebsten in Watte packen.«

Irenes Schwager, der Syndikus Dr. Joachim Bruck, war Dr. Norden auch wohlbekannt. Er wusste, dass er so wie ein Vater um Dorthe besorgt war, wie Irene seinem Sohn die Mutter ersetzt hatte. Und nun würde sich das Zusammenleben in dem schönen Zwei-Familien-Haus, das die Brüder Bruck vor zehn Jahren erworben hatten, auch wieder fröhlicher gestalten. Jedenfalls war Irene nun wieder die hübsche, gepflegte Frau, als die er sie kennengelernt hatte, bevor Heinz Bruck von dieser unheilvollen Krankheit heimgesucht wurde.

»Sie können mich also als geheilt aus Ihrer Behandlung entlassen, Herr Doktor, und so gern ich Sie auch mag, ich hoffe doch, dass ich nicht so schnell wieder Ihre ärztliche Hilfe brauche.«

»Das hoffe ich auch«, meinte er lächelnd.

»Ich habe mir erlaubt, Ihnen ein kleines Geschenk mitzubringen«, sagte sie, »auch etwas für Loni. Und schicken Sie mir bitte bald die Rechnung.«

»Uns eilt das gar nicht. Loni hat sehr viel zu tun«, erwiderte Dr. Norden.

»Ja, das weiß ich, und deshalb will ich Sie jetzt auch gar nicht länger aufhalten. Sehr herzlichen Dank, lieber Dr. Norden.«

»Ich habe zu danken«, sagte er, als sie das ziemlich große Päckchen schnell auf den Stuhl legte, um dann jedoch auch rasch zu verschwinden.

Loni stieß dann mittags, als sie ihr Päckchen enthüllte, einen Schrei des Entzückens aus, denn sie hatte eine wunderschöne Stola bekommen.

»Sie ist so lieb«, sagte sie. »Ich bin ja so froh, dass sie nun wieder auflebt.«

»Und vielleicht wird sie in absehbarer Zeit Großmama«, lachte Dr. Norden. »Dorthe verlobt sich.«

Loni sah ihn wie versteinert an, dann murmelte sie: »Verlobt ist noch nicht verheiratet!«

»Aber, Loni, was wollen Sie damit sagen?«, fragte Dr. Norden erstaunt.

»Wenn es der blonde Schönling ist, mit dem ich Dorthe schon ein paarmal gesehen habe, bin ich skeptisch. Ein ziemlicher Angebertyp.«

»Sohn eines anscheinend reichen Vaters«, sagte Dr. Norden, aber insgeheim hoffte er jetzt nur, dass Loni, die sonst so tolerante, etwas zu skeptisch war.

Er nahm sein Päckchen mit heim. Fee sollte es aufmachen. Es war ziemlich schwer.

*

Skeptisch war auch Dr. Joachim Bruck, seit er von der geplanten Verlobung erfahren hatte. Er drückte sich nur nicht so drastisch aus wie Loni.

Er hatte seine Schwägerin, die er sehr verehrte, erst gestern von der »Insel der Hoffnung« heimgeholt. Nun holte er sie auch von Dr. Norden ab, da Dorthe mit dem Wagen ihrer Mutter in die Stadt gefahren war.

»Essen wir doch im Jagdhof, Irene«, schlug er vor. »Dorthe wird bestimmt nicht so schnell heimkommen. Und du sollst nicht gleich wieder voll einsteigen.«

»Einverstanden«, erwiderte sie lächelnd. »Mich gelüstet nach Rehrücken, aber ansonsten brauchst du mich nicht mehr wie ein rohes Ei zu behandeln. Mir geht es wirklich gut. Ich finde mich wieder zurecht.«

»Heinz hätte es auch nicht gewollt, dass du in Trauer versinkst. Ich habe Verständnis, das weißt du. Ich habe das ja auch mitgemacht, aber die Kinder brauchen uns.«

»So ist es, Jo, und schön wäre es, wenn ich bald Enkel haben würde.«

Seine Stirnfalten vertieften sich. Sein markantes Gesicht überschattete sich.

»Dorthe ist noch sehr jung, und Jürgen auch. Denk nicht so schnell an Enkel, Irene.«

Sie warf ihm einen schrägen Blick zu. »Hast du etwas gegen Jürgen?«, fragte sie leise.

»Er ist ein verwöhnter Junge«, sagte er ausweichend. »Er studiert noch.«

»Ist das ein Fehler?«

»Er nimmt sein Studium anscheinend nicht sehr ernst. Dorthe ist verspielt. Sie bräuchte meiner Ansicht nach einen charakterstarken Mann.«

»Und Charakterstärke sprichst du ihm ab?«

»Er ist erst zweiundzwanzig. Mir kommt es so vor, als hätten seine Eltern die Verbindung forciert.«

»Aber doch nicht des Geldes wegen, das Dorthe geerbt hat? So viel ist es doch auch wieder nicht. Und sie sind doch sehr vermögend.«

»Ja, das sind sie. Wir sprechen noch darüber. Jetzt suchen wir uns erst ein hübsches Plätzchen.«

Sie waren schon beim Jagdhof angelangt. Und sie fanden einen hübschen Platz, von dem aus sie über den See blicken konnten. Irene entschied sich für Rehsteak, und Joachim schloss sich an.

»Du bist kritisch«, sagte sie mit einem flüchtigen Lächeln. »Dorthe ist doch so verliebt.«

»Sie hat Jürgen erst vor fünf Wochen kennengelernt.«

»Aber er meint es ernst, sonst würde er doch nicht zur offiziellen Verlobung drängen, Jo.«

»Ich habe Erkundigungen über ihn eingezogen. Nimm es mir bitte nicht übel, Irene«, sagte er.

»Nein, das nehme ich dir nicht übel. Heinz hätte es auch getan. Ist etwas nicht in Ordnung?«

»Finanziell ist alles bestens. Die Ehe scheint nicht ganz in Ordnung zu sein. Man wahrt den Schein.«

»Das ist in vielen Familien so«, sagte Irene. »So, wie es bei uns war, findet es man nicht oft.«

Joachim wollte keine traurigen Erinnerungen aufkommen lassen. »Jürgen nimmt das Leben leicht«, sagte er.

»Aber die Liebe anscheinend doch recht ernst. Doch du weißt, wie energisch Dorthe ist.«

»Wenn es um ihn geht, ist sie es nicht. Sie himmelt ihn an. Sie tut alles, was er will. Aber du wirst dir ja heute Abend selbst ein Urteil bilden können, wenn ich auch finde, dass er zuerst dir einen Besuch hätte machen müssen.«

»Wir wollen es nicht zu streng nehmen, Jo. So lerne ich seine Eltern auch gleich kennen.«

»Ich hoffe ja auch, dass alles gut ausgeht, meine Liebe«, sagte er leise, und die innige Wärme, die er in seine Worte legte, ließ sie wieder erröten.

*

Fee Norden enthüllte das Päckchen. Sie juchzte zwar nicht wie Loni, aber Entzücken malte sich auch auf ihrem schönen Gesicht, als sie eine herrliche chinesische Deckelvase in den Händen hielt.

»Das ist aber ein sehr kostbares Geschenk, Daniel«, sagte sie leise. »Mir ist das nicht so ganz recht.«

»Mir auch nicht, Schatz, aber ich konnte es nicht zurückweisen. Wirklich sehr geschmackvoll.«

»Man sieht, wie sehr sie dich schätzt, Liebster.«

»Mich freut es, dass sie wieder im Leben steht. Pass auf, dass unsere Trabanten nicht an dieses wertvolle Stück herankommen. Sollte es Frau Bruck mal schlecht gehen, werde ich sie umsonst behandeln. Einverstanden?«

Fee wusste, dass es ihrem Mann peinlich war, wenn er mit wertvollen Geschenken bedacht wurde. Den Schokoladenkuchen von Mutter Klaes nahm er ohne Bedenken an. Der war auch köstlich. Die Kinder hatten sich daran schon gütlich getan.

Mutter Klaes, so nannten sie alle, die die alte Frau gernhatten, lebte von einer nicht gerade großen, aber auskömmlichen Rente. Sie kam jede Woche zweimal zu Dr. Norden, weil sie einen zu niedrigen Blutdruck hatte. Sie war fast achtzig, aber immer noch flink auf den Beinen. Aber ihren köstlichen Schokoladenkuchen lieferte sie immer persönlich bei Fee ab.

»Mutter Klaes werden wir auch mal mit auf die Insel nehmen«, sagte Fee.

»Und gleich ein paar Wochen dort lassen. Hier wird sie nur weidlich ausgenutzt, und ein bisschen muss sie auch an sich denken«, meinte Daniel. »Sie ist wahrhaft der lebendige Beweis, was auch alte Menschen aus ihrem Leben machen können.«

»Die personifizierte Güte«, sagte Fee.

»Weil für sie alle Menschen gut sind. Sie muss einen besonderen Schutzengel haben.«

Da hatte er wieder mal was ganz spontan gesagt, was sich später beweisen sollte. Doch davon konnten sie jetzt noch nichts ahnen.

Daniel erzählte, dass Dorthe sich verloben wollte.

»Mit wem denn?«, fragte Fee.

»Das habe ich nicht gefragt, und Frau Bruck hat es nicht gesagt. Sie lernt ihn erst heute kennen. Loni nennt ihn einen blonden Schönling.«

»Na ja, so tragisch darf man das nicht nehmen«, meinte Fee lächelnd. »Dich haben sie auch als schönen Mann bezeichnet.«

»Hör bloß damit auf.«

»Der Arzt, der die Frauen betört«, fuhr sie neckend fort.

»Willst du dich mit mir anlegen? Dann widme ich mich meinen Kindern«, brummte er.

»Unseren Kindern«, betonte sie. »Tu das, Herzallerliebster. Ich weiß ja, was ich an dir habe.«

Ihre Liebe war durch nichts zu erschüttern, aber früher einmal war Fee doch recht eifersüchtig gewesen.

*

Dorthe wurde auch eifersüchtig, wenn Frauen jeden Alters ihrem Jürgen nachschauten. Ihr Jürgen war das, aber ihm schien es zu gefallen, wenn nicht allein sie ihn anhimmelte. Er sonnte sich in der Beachtung, die ihm zuteil wurde.

Man konnte ihn wirklich als schön bezeichnen, keinesfalls als männlich. Er trug sein blondes Haar lang, obgleich das nicht mehr so in der Mode war, und das ließ sein Gesicht noch weicher erscheinen. Er war nach der allerletzten Mode gekleidet, nach der teuersten, und er fuhr auch den teuersten Sportwagen, der auf dem Markt war.

Er hatte sich mit Dorthe getroffen. Er zeigte sich gern mit ihr, denn sie war ein auffallend attraktives Mädchen. Ihr Haar war kastanienbraun und hatte einen fülligen Pagenschnitt. Ein Hauch besonderer Unnahbarkeit umgab sie, und das mochte Jürgen Magnus.

Dorthe verzieh ihm alles, auch seine plötzlichen Stimmungsschwankungen. Eben noch die Liebenswürdigkeit in Person, konnte er im nächsten Augenblick launisch sein.

»Hoffentlich ist deine Mutter nicht so pingelig wie dein Onkel«, sagte er völlig unmotiviert, als sie vor einem Schaufenster standen.

»Onkel Jo ist doch sehr nett«, sagte sie.

»Ein typischer Beamter«, sagte er abfällig.

»Er ist kein Beamter. Er ist Jurist.«

»Was verdient er denn da so?«

»Bestimmt genug«, lachte sie. »Fabrikant kann halt nicht jeder sein. Uns ging es immer gut, und ganz arm komme ich auch nicht in die Ehe.«

»Du brauchst nicht gleich so anzüglich zu werden, Dorthe. Mich interessiert nicht, wie viel Geld du hast, ich habe genug. Ich muss jetzt heim, damit ich heute Abend frisch bin. Ich muss ja meiner liebwerten zukünftigen Schwiegermutter gefallen.«

Sie sah ihn nun doch erschrocken an, und dabei stellte sie fest, dass er sehr müde aussah. Müde? Ein seltsamer Gedanke kam ihr, als sie sah, dass seine Mundwinkel zitterten. War er etwa krank?

Sie wollte keine Fragen stellen. Sie wusste, wie empfindlich er war. Manchmal, wenn sie in einem Lokal waren oder in einer Bar, sprang er plötzlich auf und lief hinaus. Und einmal hatte sie ihn gefragt, ob ihm etwas fehle. Da war er sehr zornig geworden.

Sie trennten sich am Parkplatz. Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

»Komm pünktlich«, sagte er. »Maria ist sehr empfindlich.«

Er brauste in seinem schnittigen Wagen schon davon, als sie sich noch mühte, ihren Wagen aus der Parklücke herauszubekommen.

Mit seiner Mutter werde ich es nicht ganz leicht haben, dachte sie, aber was soll’s, wir werden doch unser Leben führen. Dorthe nahm nichts tragisch. Nur der Tod ihres Vaters hatte sie für ein paar Wochen aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie war jung und sich ihrer Schönheit sehr bewusst. Sie hatte schon viele Verehrer gehabt, aber sie war kühl bis ans Herz geblieben. Nur Jürgen faszinierte sie, und vor allem deshalb, weil er ihr nie zu nahe trat, weil er so sehr Gentleman in jeder Situation blieb. So hatte sie es sich vorgestellt. So war es auch bei ihren Eltern gewesen, wie sie von ihrer Mutter erfahren hatte, als sie erwachsen wurde. Irene hatte eine sehr dezente Aufklärung betrieben.

Dorthe hatte sich immer ganz bestimmte Vorstellungen von ihrem zukünftigen Mann gemacht. Alles müsste stimmen, hatte sie gemeint. Und Jürgen Magnus war ihrer Ansicht nach der Mann, bei dem tatsächlich alles stimmte.

Dorthe wollte keine emanzipierte Frau werden. Sie wollte so werden wie ihre Mutter. Eine vorbildliche Ehefrau, eine ebenso vorbildliche Mutter. Sie wollte repräsentieren und zu allerletzt mit jedem Cent rechnen müssen, wie so manche ihrer Freundinnen, die noch früher geheiratet hatten als sie. Sie wollte schicke Autos fahren und schöne Reisen machen. Der Name Magnus bürgt für Qualität, stand in den Stellenangeboten, die man fast jede Woche in den großen Tageszeitungen fand. Man war ständig auf Expansion bedacht.

Dorthe fand sich beneidenswert, dass Jürgen Magnus sich für sie entschieden hatte. Und seine Eltern zeigten ihr größtes Entgegenkommen.

So war sie recht unwillig, als Irene fragte, ob sie Jürgen auch wirklich liebe.

»Natürlich liebe ich ihn, Mami«, erwiderte sie. »Und du wirst begeistert sein.« Sie betrachtete ihre Mutter kritisch. »Na, jetzt kann man sich ja wieder mit dir sehen lassen«, sagte sie dann leichthin. Irene gab es einen Stich.

»Ich konnte den Schmerz nicht von einem Tag zum anderen überwinden«, sagte sie leise.

»Aber du gehörst noch nicht zum alten Eisen. Du siehst gut aus, und du wirst wieder einen anderen Mann finden«, sagte Dorthe. »Nun beeil dich. Wir müssen pünktlich sein.«

Irene schluckte ihren aufsteigenden Groll hinunter. Sie hatte plötzlich nicht mehr die geringste Lust, ihr Heim zu verlassen, in dem sie so glückliche Jahre mit einem liebevollen, gütigen Mann verbracht hatte. Es war ihr nur ein Trost, dass Joachim mitkommen würde. Augenblicklich war es auch keine Ermunterung für sie, dass Dorthe in einem zauberhaften Kleid noch hinreißender aussah als sonst. Sie hatte das Aussehen einer Lady und das Benehmen eines oberflächlichen Teenagers. So empfand es Irene jetzt, und es schmerzte sie.

*

Nora Magnus war in diesem Augenblick sehr gereizt. »Was schluckst du nur dauernd für Kapseln, Jürgen«, fauchte sie.

»Ich habe Kopfschmerzen, Mama. Es ist Föhn, den vertrage ich nicht.«

»Und du zitterst vor Angst vor dem kritischen Blick deiner Schwiegermutter«, sagte Nora anzüglich, »aber du brauchst nicht zu zittern. Sie wird froh sein, einen solchen Schwiegersohn zu bekommen.«

Er kniff die Augen zusammen. »Ihr hetzt mich in diese Ehe«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Ihr wisst genau, dass ich nicht heiraten wollte, nie!«

»Aber du wirst heiraten! Wenigstens das bist du uns schuldig, Jürgen. Wenn du dich nicht auf die Hinterbeine stellst, wirst du auf alle Annehmlichkeiten verzichten müssen. Es wird genug getuschelt, und unsere Ehe geht zugrunde, weil ich immer noch deine Partei ergriffen habe. Wenn du mich jetzt im Stich lässt, bricht alles auseinander. Dein Vater kann verdammt hart sein. Dorthe ist ein sehr attraktives Mädchen. Sie liebt den Luxus. Wir wollen jetzt nicht ins Detail gehen, aber sie wird sich damit abfinden müssen, dass du nicht viel für Frauen übrig hast, wenn sie sonst alles bekommt, was ihr Herz begehrt. Nimm dich jetzt zusammen.«

»Lass mich doch ein paar Minuten in Ruhe«, stöhnte er. »Du machst mit deinem dauernden Gerede doch nichts besser.«

Sie ging, und als er zehn Minuten später die Wohnhalle betrat, sah er blendend aus und schien bester Stimmung zu sein. Jetzt kniff Nora die Augen zusammen. Sie hatte eine nahezu frappierende Ähnlichkeit mit ihrem Sohn. Hermann Magnus war ein korpulenter, etwas grobschlächtig wirkender Mann, aber trotzdem eine durch seine Vitalität eindrucksvolle Erscheinung.

Die Gäste kamen pünktlich. Man wollte heute ja nur ›in familie‹ sein, aber dennoch war aufgetafelt wie bei einem Galadiner. Das Haus war prachtvoll, alles war teuer, das konnte man hier sehen, mochte auch die persönliche Note fehlen.

Irene wurde überaus freundlich willkommen geheißen. Jürgen küsste ihr die Hand. Sie empfand jedoch genau das, was Joachim angedeutet hatte, er war ihr zu unmännlich, zu schön. Dass Dorthe schon jetzt die stärkere Persönlichkeit war, und sie hatte auch eine ganz andere Ausstrahlung, ließ ein leichtes Frösteln durch Irenes Körper kriechen.

Zu ihrer Beruhigung entwickelte Jürgen dann jedoch einen bezwingenden Charme, und das war ganz wohltuend, da alles sonst gar zu perfekt abrollte.

Irene kam sich vor wie in einem erstklassigen Hotel. Sie liebte es in einer Familienrunde legerer, aber Dorthe schien es zu gefallen.

Wenn sie nur glücklich wird, dachte Irene, und da wurde dann schon über die offizielle Verlobungsfeier gesprochen, denn bei dem Familientreffen allein sollte es nicht bleiben, obgleich sich Jürgen dann in aller Form bei Irene erkundigte, ob er Dorthe den Verlobungsring aufstecken dürfe.

Es war ein funkelnder Brillantring, der ein Vermögen wert sein musste. Impulsiv fiel Dorthe Jürgen um den Hals, aber auch in diesem Augenblick reagierte er nicht wie ein junger verliebter Mann, sondern eher gehemmt und verlegen.

Vielleicht hat er noch keine Erfahrung mit Frauen, dachte Irene, und eigentlich hätte ihr das auch recht sein können, dass ihr die konservative Erziehung, die sie genossen hatte, noch immer in den Gliedern steckte. Aber dennoch blieb ein unbehagliches Gefühl zurück. Sie sagte beklommen, dass es doch eigentlich an ihr wäre, die Verlobungsfeier auszurichten, aber da widersprach Nora temperamentvoll.

»Wir haben schon alles vorgeplant«, sagte sie. »Sie brauchen nur noch zu sagen, wen Sie einladen möchten. Ich denke, dass wir die Anzahl der Gäste auf etwa hundert begrenzen. Wir haben ja weitaus mehr Verpflichtungen als Sie, liebe Irene, und Jürgen ist der Magnus-Erbe.« Sehr betont sagte sie das.

Irene wurde die Kehle eng und trocken. Sie wurde überrollt. Joachim wich ihrem hilflosen Blick aus. Er war stumm wie ein Fisch, aber Irene wurde es jetzt erst so richtig bewusst, wie wahrhaft vornehm er war. Sie sind mir zu protzig, dachte sie, aber sie wahrte Beherrschung.

Mit einem erzwungenen Lächeln sagte sie: »Mein Mann hätte es sich gewiss nicht nehmen lassen, die Verlobungsfeier auszustatten.«

»Schade, dass er nicht mit uns feiern kann«, sagte Nora leichthin. »Sie müssen uns schon gestatten, Ihnen dies alles abzunehmen. Wir sind ja so glücklich, dass wir ein so reizendes Töchterchen bekommen.«

Ich werde keinen Sohn bekommen, wie ich es mir wünschte, dachte Irene, und ich werde Dorthe an sie verlieren.

Sie ist bestechlich, dachte sie weiter, als Dorthe dann mit Hermann Magnus tuschelte und lachte. Sie ist ja wie chloroformiert.

Und sie wurde tatsächlich wie eine arme Witwe behandelt. Irgendetwas sträubte sich in ihr und ließ sie aufbegehren, als darüber gesprochen wurde, dass Hermann Magnus bereits die Pläne für den künftigen Wohnsitz des jungen Paares in Auftrag gegeben hatte.

»Sobald das Haus fertiggestellt ist, wird die Hochzeit stattfinden«, erklärte Nora. »Natürlich kann Dorthe alle persönlichen Wünsche verwirklichen.«

»Sie bekommt eine ordentliche Mitgift«, sagte Irene, und als sie es ausgesprochen hatte, war es ihr schon wieder peinlich, denn Hermann und Nora Magnus winkten ab.

»Aber nein, das kann sie als Taschengeld verwenden«, sagte Nora. »Dorthe, mein Schätzchen, sag deiner lieben Mama, dass sie sich keine Gedanken machen soll.«

»Du hast es gehört, Mami«, lachte Dorthe unbekümmert.

Und so ging es noch eine ganze Zeit weiter. Irene war erschöpft, als sie heimwärts fuhren, und sie war entsprechend still.

»Sind sie nicht goldig?«, fragte Dorthe. »Warum sagst du nichts, Mami? Ich habe doch das Große Los gezogen.«

»Das wird sich erst noch herausstellen«, kam es gepresst über Irenes Lippen. »Man darf sich nicht allzu sehr von Glanz und Gloria bestechen lassen.«

»Sei doch nicht so spießig, Mami. Da muss man doch andere Maßstäbe anlegen als bei uns.«

Irene sagte nichts mehr, und auch Joachim hüllte sich weiterhin in Schweigen.

*

Am Wochenende flog Dorthe mit der Familie Magnus in die Schweiz. Natürlich mit einem Privatflugzeug. Irene stand große Ängste aus.

»Man kann nichts aufhalten, Reni«, sagte Joachim Bruck tröstend.

»Mir ist das alles unheimlich«, seufz­te sie. »Du magst recht haben, Jo, die Eltern forcieren dies alles, aber warum?«

»Dafür könnte es mancherlei Gründe geben«, sagte er ernst.

»Welche? Sprich doch wenigstens du offen mit mir.«

»Vielleicht versprechen sie sich von Dorthe, dass sie Jürgen anspornt.«

»Aber nein. Sie lässt sich mitreißen von dem Bimbanboria. Sie ist mir richtig fremd geworden. Wir spielen doch nur eine nebensächliche Rolle für sie. Sie ist wie in einem Rausch. Aber du hast von mancherlei Gründen gesprochen.«

Er wanderte im Zimmer auf und ab. »Jürgen ist ein labiler Typ. Er hätte besser ein Mädchen werden sollen«, sagte er stockend.

Irene schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Dorthe ist doch ein modernes, aufgeklärtes Mädchen«, sagte sie heiser.

»Nun, es wäre auch möglich, dass Jürgen nicht ganz gesund ist. Manchmal erscheint er mir schrecklich nervös.«

»Ja, so rastlos«, nickte Irene. »Und dann wieder so abwesend.«

Und das wurde Dorthe an diesem Abend in Morcote, wo die Familie Magnus auch ein prachtvolles Haus besaßen, auch erstmals richtig bewusst. Ihr war der Flug nicht besonders gut bekommen. Sie hatte rasende Kopfschmerzen. Daheim war es noch ziemlich kühl gewesen, hier herrschte eine drückende Hitze.

Nora und Hermann hatten sich mit Freunden getroffen. Jürgen war fast ausfallend geworden, als sie das junge Paar aufgefordert hatten, sich diesen als Verlobte vorzustellen.

»Ich hasse es, dauernd zu dienern und Händchen zu küssen«, sagte er zornig.

»Dann bleibt hier und genießt den schönen Abend«, hatte Nora sofort gesagt. Aber es wurde kein schöner Abend. Jürgen erging sich in Betrachtungen über die Bevormundung, die er ständig erdulden müsse.

»Sie meinen es doch nur gut, Jürgen«, sagte Dorthe kleinlaut.

»Tute nur mit ihnen in ein Horn«, sagte er empört. »Aber du bist wie Mama. Du kannst auch kommandieren.«

»Ich will nicht kommandieren. Ich bin gern mit dir allein.«

»Ich habe Kopfschmerzen«, sagte er.

»Ich auch«, nickte sie.

»Wir nehmen eine Tablette, damit der Abend noch gerettet wird«, sagte Jürgen.

»Ich mag keine Tabletten«, widersprach sie.

»Dann wird der Abend eben nicht gerettet«, sagte er wütend.

»Gut, dann nehme ich halt auch eine Tablette«, gab sie nach.

Er stellte ein Döschen auf den Tisch und holte Wasser. »So gefällst du mir, Dorthe«, sagte er. »Ich mag nicht, dass wir zu allem Ja und Amen sagen.«

Dorthe nahm eine von den Kapseln. Sie verschluckte sich fast daran. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann aber fühlte sie sich plötzlich sehr wohl und wunderbar leicht.

»Die Kopfschmerzen sind wie weggeblasen«, sagte sie. »Ein gutes Mittel!«

»Ein sehr gutes«, lächelte er und schob seinen Arm unter ihren Nacken.

»Du hast aber ziemlich viel davon. Man soll sich an so was nicht gewöhnen, Jürgen.«

»Ach was, sie sind völlig unschädlich. Du wirst sehen, Liebling, man kann wundervoll träumen.«

Dorthe träumte nicht wundervoll. Sie sank in einen bleiernen Schlaf.

Jürgen hatte eine Platte aufgelegt und tanzte im Zimmer herum, als würde er sie im Arm halten. Ab und zu betrachtete er sie mit einem spöttischen, aber zugleich auch geistesabwesenden Ausdruck. Dann ließ er sich in einen Sessel fallen, zündete sich eine Zigarette an und legte die Beine auf den Tisch.

Und dann schlief auch er ein. Und so fanden Nora und Hermann die beiden.

»Er ist mal wieder high, und sie schläft«, sagte Nora. »Nicht mal diese Gelegenheit hat er genutzt.«

»Es ist Wahnsinn«, sagte Hermann Magnus, »wohin soll das noch führen, Nora?«

»Zumindest zu einer glanzvollen Hochzeit«, sagte sie kalt, »und wenn er sich nicht ändert, können wir immerhin sagen, dass Dorthe ihn dazu gebracht hat. Dann bleibt es nicht an uns hängen.«

»Mir gefällt es nicht«, sagte er.

»Es würde dir noch weniger gefallen, wenn man sich die Mäuler über uns zerreißen würde!«

*

Als Dorthe am Morgen erwachte, fand sie sich in einem breiten Bett wieder. Wie sie da hineingekommen war, wusste sie nicht. Sie wusste auch nicht, dass Jürgen zuvor mit seiner Mutter einen heftigen Disput geführt hatte, als er nun an der Badezimmertür lehnte.

»Einen Guten Morgen wünsche ich dir, mein Liebling«, sagte er. »Gut geschlafen?«

»Jürgen«, stammelte sie, »wieso bist du hier, wieso bin ich hier? Wir waren doch im Wohnraum?«

»Und ich habe dann meine schlafende Dorthe ins Bettchen getragen«, lächelte er.

»Mein Gott, was werden deine Eltern sagen, was würde Mami sagen?«, murmelte sie.

»Mami ist weit, und meine Eltern merken nichts«, erwiderte er. »Und du willst ein modernes Mädchen sein? Schätzchen, es ist doch nichts passiert. Ich bin nur glücklich, wenn ich dich nahe weiß. Du bist wunderschön, Dorthe. Ich könnte dich immerzu nur anschauen.«

Dorthe war verwirrt, erregt und sehr verlegen.

»Ich komme mir ziemlich blöd vor«, sagte sie.

»Ich bringe dir einen Drink, dann vergisst du es. Es ist ein Lebenswecker. Nachher machen wir einen wunderschönen Spaziergang, dann folgt ein grandioses Frühstück. Es ist ein wunderschöner Tag.«

Dann begann er zu dichten: »Das Schicksal ist wie’s ist, schick dich nur drein. – Was du ein Unglück nennst, muss es nicht sein. Das Schicksal tauscht sehr gern Vorzeichen aus, und was dich heute drückt, lachst du dann aus. Ertrag es mit Geduld, was dir geschah. Schicksal kennt keine Schuld, ist einfach da.«

»Von wem ist das?«, fragte Dorthe atemlos.

»Von mir«, erwiderte er lächelnd.

»Du dichtest?«, fragte sie beklommen. »Davon hast du mir nie etwas gesagt.«

»Ich sage nur, was mir im Augenblick in den Sinn kommt«, erwiderte er.

»Aber das solltest du aufschreiben, Jürgen. Es ist schön.«

»Für wen sollte ich es aufschreiben?«

»Für mich und für unsere Kinder«, erwiderte sie.

Sein Gesicht verzerrte sich. Er wandte sich ab. »Für unsere Kinder? Bist du versessen auf Kinder, Dorthe?«

»Ich mag Kinder«, sagte sie leise und erschrocken.

»Was haben sie schon zu erwarten? Was haben sie in dieser Zeit zu erwarten?«, fragte er.

»Eltern, die sie lieben.«

Er lachte blechern auf. »Eltern, die ih­nen alles bieten können, willst du wohl sagen, aber ob sie dabei glücklich sind?«

»Bist du denn nicht glücklich, Jürgen?«

»O doch, ich bin sehr glücklich«, erwiderte er monoton und wie einstudiert. »Ich weiß nur nicht, was ich mal mit einer Maschinenfabrik anfangen soll. Und ich weiß nicht, was ich mit Kindern anfangen soll.«

Abrupt drehte er sich um. »Wir treffen uns am See, Dorthe«, sagte er tonlos. Dann verließ er das Zimmer.

In seinem Zimmer wartete Nora. »Nun?«, fragte sie.

»Ich treffe mich mit Dorthe am See, Mama. Bitte, misch dich nicht ständig ein. Du machst es nur schlimmer. Manchmal verstehe ich mich wirklich gut mit ihr.«

»Wenn du sie auch mit deinen Pillen fütterst?«, fragte sie klirrend.

Ein Blick flammenden Hasses traf sie. »Wenn du nicht wärest, hätte ich mich vielleicht ganz normal entwickelt«, sagte er abweisend. »Aber du bringst ja selbst den stärksten Mann um.«

»Deinen Vater habe ich nicht umgebracht«, höhnte sie.

»Er ist es ja gewohnt, mit Maschinen umzugehen«, antwortete Jürgen. »Würdest du mich jetzt bitte allein lassen? Du brauchst das Bübchen nicht mehr zu baden und anzukleiden.«

*

In einer merkwürdigen Stimmung hatte sich Dorthe angekleidet und war dann langsam zum See hinuntergegangen. Sie hatte niemanden getroffen. Sie war verwirrt und unsicher.

Es gab so viel Widersprüchliches in Jürgens Wesen, aber als er nun kam und ihren Arm ergriff, war er wieder ganz ungezwungen.

»Am liebsten bin ich mit dir allein«, sagte er. »Da kann ich sogar dichten.«

»Und ich hatte keine Ahnung, dass du so schön dichten kannst«, sagte Dorthe leise.

»Du lächelst nicht darüber?«

»Nein, wie kannst du das denken?«

»Meine Eltern haben spöttisch gelacht, als ich damit anfing.«

»Wann war das?«

»Als ich fünfzehn war oder noch ein bisschen jünger. Ich fürchte, ich werde nicht der Nachfolger werden, den Vater sich wünscht.«

»Du bist ja noch so jung, Jürgen«, sagte Dorthe leise. »Und ich habe gar nichts dagegen, wenn du nebenbei dichtest.«

Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Würdest du mich auch heiraten wollen, wenn ich nicht der Sohn von Hermann Magnus wäre, sondern ein armer Schriftsteller?«

Dorthe verspürte Erschrecken. Das war eine Gewissensfrage, die sie nicht spontan beantworten konnte. Es war seltsam, und sie war bestürzt, weil sie nicht ganz einfach Ja sagen konnte.

»Da musst du überlegen«, sagte er sarkastisch. »Und auch die liebe Mama und der Onkel Joachim hätten da wohl Schwierigkeiten gemacht.«

»Ich glaube nicht, dass sie so großen Wert auf materielle Sicherheit legen«, sagte Dorthe leise. »Und wenn man sich wirklich liebt, meistert man wohl jede Situation. Ich glaube, Florian ist sogar ein bisschen sauer, dass ich mich für dich entschieden habe.«

»Florian der Musterknabe«, spottete er. »Der Musterschüler, der schon mit vierundzwanzig Jahren seinen Doktor machen will.«

»Er ist kein Musterknabe. Ihm fällt es einfach zu«, nahm Dorthe ihren Cousin in Schutz.

»Und mir nicht«, sagte er eigensinnig. »Es ist gut, wenn wir uns nichts vormachen. Ich habe nicht das geringste Interesse an der Fabrik.«

Dorthe hatte eine bange Ahnung, dass dies noch Konflikte nach sich ziehen würde. Es war das erste Mal, dass er so mit ihr sprach.

»Würdest du auf dieses sorglose Leben verzichten wollen?«, fragte sie.

»Sorglos wird man es kaum nennen können«, meinte er abfällig. »Nein, auf die Annehmlichkeiten möchte ich nicht verzichten. Ich bin nicht für Entsagung geschaffen. Du auch nicht. Also, diesbezüglich passen wir gut zueinander. Wir wollen doch offen sein, Dorthe. Wir werden uns eben arrangieren.«

Ein beklemmendes Gefühl schnürte sie ein. Warum sprach er plötzlich so?

»Bereust du es schon, dich mit mir verlobt zu haben?«, fragte sie stockend.

»Aber keineswegs. Diesbezüglich bin ich ja endlich auch mal mit meinen Eltern einig. Sie setzen ja alle Hoffnung darauf, dass du einen guten Einfluss auf mich haben wirst. Ich hoffe es auch«, fügte er lächelnd hinzu. »Erschrecke ich dich?«

»Ein bisschen«, gab sie zu.

»Ich werde mich bemühen, dir ein gehorsamer Diener zu sein.«

»Das will ich nicht«, widersprach Dorthe. »Ich will deine Frau sein, nicht ein Tyrann.«

»Wie meine Mutter zum Beispiel, wolltest du das sagen?«

»Aber nein.«

»Sie ist aber eine Tyrannin. Man kann sich in ihrer Nähe nicht entfalten. Sie ist ja auch schon dabei, dich zu unterjochen. Du merkst es nur nicht, aber du würdest sie richtig kennenlernen, wenn du ihr widersprichst.«

»Jürgen, wir werden doch unser Leben für uns leben«, flüsterte Dorthe beklommen.

»Ja, das werden wir!« Du deines und ich meines, dachte er für sich.

Doch dann wurde er lebhaft. Ein Mann kam den Hügel herab. Jürgen ließ Dorthe einfach stehen und eilte auf ihn zu. Dorthe sah, dass sie sich umarmten. Der andere war größer als Jürgen und hatte dunkles Haar.

Ganz mechanisch ging Dorthe auf die beiden zu. Jürgen redete auf den andern ein.

»Ich werde dir später alles erklären, Nick«, hörte sie ihn sagen. »Es wird sich nichts ändern, gar nichts.«

»Möchtest du mich nicht vorstellen, Jürgen?«, fragte Dorthe mit einem gereizten Unterton. Er fuhr herum, und im Augenblick hatte er sich nicht in der Gewalt. Ein zorniger Blick traf sie, doch der andere machte eine kleine höfliche Verbeugung.

»Mein Name ist Dominik Donatelli«, sagte er mit einer angenehmen Stimme. »Es freut mich, Sie kennenzulernen, Dorthe. Jürgen hat mir schon viel von Ihnen berichtet.«

Dorthe spürte, dass das gelogen war. Sie war überzeugt, dass Jürgen dem andern gerade erst jetzt von der Verlobung erzählt hatte.

»Nick und ich sind schon lange befreundet«, sagte Jürgen jetzt rasch. »Schon seit sieben Jahren, seit wir hier dieses Haus haben. Er lebt immer hier. Er ist Schriftsteller und Maler.«

Und er hat Einfluss auf Jürgen, ging es Dorthe durch den Sinn. Er hat großen Einfluss auf ihn.

»Ihr werdet euch sicher viel zu erzählen haben«, sagte sie steif. »Ich kehre um.«

»Aber nein«, sagte Nick höflich. »Ich werde euch ein Stück begleiten. Ich wollte zum Friedhof gehen.«

Es wurde nicht viel gesprochen. Sie trennten sich an der Kreuzung. Wieder verneigte sich Nick höflich. Ein Frösteln kroch über Dorthes Rücken, als sie sah, wie die beiden einen langen Blick tauschten.

»Du wirst ihn akzeptieren müssen, Dorthe«, sagte Jürgen heiser. »Er war bisher der einzige Mensch, der mir wirklich etwas bedeutete. Ich möchte nicht, dass wir in Gegenwart meiner Eltern über ihn sprechen.« Er geriet ins Stocken. »Sie geben ihm die Schuld, dass ich zu dichten begann«, fügte er dann hastig hinzu.

Dorthes Herz klopfte angstvoll, aber dann sagte sie sich, dass sie ja nicht immer hier leben würden und sie diesen Nick nicht zu oft akzeptieren müsste.

»Du wirst für Nick Verständnis haben, wenn ich dir sage, dass seine Frau vor drei Jahren ertrunken ist«, sagte Jürgen.

Der quälende Gedanke, der ihr gekommen war, wurde verdrängt durch diese Bemerkung.

»Das ist schlimm«, murmelte sie.

»Ja, sehr schlimm. Sie waren drei Monate verheiratet. Sie hatte ein schwaches Herz, und das Wasser war wohl zu kühl.«

»Sie ist hier ertrunken?«, fragte Dorthe leise.

»Ja, hier. Sie war wunderschön, wie eine Madonna, schon im Leben so, als wäre sie nicht von dieser Welt.«

Wieder rann ein eisiger Schauer über Dorthes Rücken. Sie konnte sich des Tages nicht freuen. Irgendetwas in ihr begehrte auf. Und das änderte sich auch nicht, als sich Nora beim Frühstück betont heiter gab.

»Ich würde dich gern mit einigen guten Freunden bekannt machen, Dorthe«, schlug Nora dann vor.

»Ja, gern«, erwiderte Dorthe höflich.

»Ich habe keine Lust«, sagte Jürgen gereizt. »Ich bin außerdem müde. Ich muss mich hier immer erst akklimatisieren.«

»Dann ruh dich aus«, meinte Nora.

Dorthe sagte nichts. Es war ihr sogar ganz recht, dass er nicht mitkam. Sie musste erst verarbeiten, was sie heute Morgen erlebt hatte, und war froh, abgelenkt zu werden. Sie wollte nicht über Nick nachdenken, erst recht nicht über ihn und Jürgen zugleich.

Doch Nora fing an, über Nick zu sprechen. »Ihr habt heute Morgen wohl Dominik getroffen?«, fragte sie lauernd.

Dorthe erschrak. »Ja, wir sind ihm flüchtig begegnet«, erwiderte sie jedoch wahrheitsgemäß.

»Wie gefällt er dir?«

»Ich kann mir kein Urteil erlauben. Wir haben kaum miteinander geredet. Er war auf dem Wege zum Friedhof.«

Ein spöttisches Lächeln kräuselte Noras Lippen. »Er könnte sich das sparen, da er schuld ist an Angelas Tod«, sagte sie. »Ich hoffe, du wirst beizeiten dafür sorgen, dass Jürgen einen Schlussstrich unter diese seltsame Freundschaft zieht. Bei Dominik findet Jürgen immer ein offenes Ohr, wenn er über seine Ambitionen spricht. Jürgen muss sich jetzt in die Realitäten des Lebens finden. Die Fabrik ist wichtiger als seine Illusionen.«

»Was meinst du mit Illusionen, Nora?«, fragte Dorthe.

Nora hatte sie gebeten, sie mit ihrem Vornamen anzureden.

»Er dichtet. Er ergeht sich in irrealen Vorstellungen. Hast du das noch nicht bemerkt?«

»Er hat heute Morgen ein sehr schönes Gedicht gesprochen. Ich fand es jedenfalls schön.«

»Nun gut, aber davon kann man nicht existieren. Es ist gut, wenn wir einmal offen darüber sprechen, Dorthe. Ich halte dich für sehr vernünftig.«

Jeder will offen mit mir sprechen, dachte Dorthe. Und jeder hält mich wahrscheinlich für zu vernünftig. Dass ich auch noch Illusionen habe, muss ich wohl für mich behalten. Aber habe ich noch welche? Sind Sie nicht schon sehr im Schwinden begriffen?

»Du bist mit deinen Gedanken weit entfernt«, sagte Nora mit seltsam warmer Stimme.

»Ich denke nur gerade, dass Jürgen noch sehr jung ist«, erwiderte Dorthe leise.

»Ja, sicher, aber so langsam muss er ja erwachsen werden. Er mag dich sehr, und ich setze meine Hoffnung darauf, dass du ihm nicht alles nachsiehst, Liebes. Er hat keine Erfahrung mit Frauen. Ja, das klingt wohl seltsam, aber er ist irgendwie gehemmt. Hast du nicht auch diesen Eindruck gewonnen?«

»Nur manchmal«, erwiderte Dorthe zögernd. »Es gefällt ihm doch, wenn ihm die Frauen nachschauen.«

»Ja, das gefällt ihm, aber er hat immer Distanz gewahrt. Habe ich dir noch nicht gesagt, dass du das erste Mädchen bist, das er uns vorgestellt hat.«

»Das ergab sich doch zufällig, als wir uns auf der Kunstausstellung trafen«, sagte Dorthe gedankenverloren.

»Glücklicherweise«, erklärte Nora fast enthusiastisch. Dann lachte sie auf. »Er hat sich unheimlich gefreut, dass du uns gleich so gut gefallen hast. Ich glaube, er hatte einfach Angst, dass wir etwas an dir auszusetzen hätten, da wir uns natürlich auch ganz bestimmte Vorstellungen von unserer Schwiegertochter machten. Du hast diesen Vorstellungen allerdings perfekt entsprochen. – So, nun werde ich dich mit unseren besten Freunden bekannt machen … Mit Dr. Heimer und Familie.«

Sie waren vor einem wunderschönen Haus angekommen. Es passte besser in die Landschaft als das von den Magnus’, das war Dorthes erster Eindruck. Und der Mann, der ihnen jetzt entgegenkam, passte zu diesem Haus.

Allerdings konnte sich Dorthe nicht so recht vorstellen, dass er zum engsten Freundeskreis von Nora und Hermann Magnus gehörte, denn er machte einen etwas weltfremden Eindruck. Er war groß, schlank, hatte eisgraues Haar und Augen, die wohl alles in sich aufnehmen konnten, aber absolut nichts von sich gaben.

»Nora, das ist aber eine Überraschung«, sagte er mit leiser Stimme. Dann aber ruhte sein Blick schon auf Dorthe, und sie hatte das Gefühl, als könnte er sie bis ins Innerste durchschauen. Ein seltsamer Mann!

»Meine zukünftige Schwiegertochter, Dorthe Bruck«, sagte Nora. »Ihr müsst sie doch kennenlernen, und gleichzeitig wollen wir euch auch zur Verlobung einladen. Es wird ja höchste Zeit, dass ihr auch wieder mal nach München kommt. Oder ist Axel schon in München?«

»Nein, er ist seit einer Woche hier«, erwiderte Dr. Heimer. »Er wollte hier seinen Vortrag ausarbeiten, den er auf dem Kongress halten wird.«

»Dr. Heimers Sohn ist Psychologe«, erklärte Nora beiläufig. Und da kam dieser aus dem Haus, groß und schlank, wie sein Vater, aber er hatte dunkles Haar und auch dunkle Augen. Er hatte ein unregelmäßiges Gesicht, das man gewiss nicht als schön bezeichnen konnte, aber es wirkte ungemein faszinierend, und es war so hart, wie Jürgens Gesicht weich war. Auch sein Blick war durchdringend. Dorthe hielt unwillkürlich den Atem an. Dann umschloss eine schmale sehnige Hand ihre Hand mit einem festen, aber nicht schmerzhaften Griff.

»Nett, dass wir mal Besuch bekommen«, sagte Axel Heimer. »Wie geht es euch, Nora? Wo steckt Jürgen? Warum lässt er eine so hübsche Braut allein?«

»Ihm scheint das Klima überhaupt nicht mehr zu bekommen«, erwiderte Nora, aber ein eigentümlicher Unterton klang da mit.

Man ließ sich auf der Terrasse nieder. Axel Heimer brachte Sekt, Orangensaft und Eiswürfel.

»Die Luft ist wirklich etwas drückend«, sagte er. »Ich bin froh, dass ich mit der Arbeit fertiggeworden bin. Ich muss heute noch zurückfahren.«

»Nach München?«, fragte Nora. «

»Der Kongress findet dort statt«, erwiderte er.

»Und du lässt es uns nicht wissen?«

»Ich dachte nicht, dass ihr euch dafür interessiert.«

Er sah Dorthe an, und Nora sagte beiläufig: »Dr. Heimer junior ist Dozent, liebe Dorthe.«

Er ist doch auch noch jung, ging es Dorthe durch den Sinn, und schon Dozent?

»Wir werden den Vortrag selbstverständlich gern besuchen, wenn man da noch Zutritt hat«, sagte Nora.

»Es würde sich machen lassen, aber Jürgen wird sich bestimmt nicht dafür interessieren. Ihn langweilen Psychoanalysen«, sagte Axel Heimer.

»Mich würde es schon interessieren«, sagte Dorthe rasch. »Ich hatte früher mal den Wunsch, Psychologie zu studieren.«

»Und warum haben Sie den Wunsch nicht verwirklicht?«, fragte Axel.

»Mein Vater wurde krank. Er ist vor zehn Monaten gestorben. Ich dachte, dass Betriebswirtschaft seinem Wunsch mehr entsprochen hätte.«

»Und dann lief ihr Jürgen in den Weg«, warf Nora ein. »Wir sind darüber sehr, sehr glücklich.«

»Man kann gratulieren«, sagte Dr. Franz Heimer.

»Ja, das kann man«, schloss sich Axel gedankenvoll an. Er hob sein Glas. »Auf eine glückliche Zukunft«, sagte er, aber wieder war in seiner Stimme ein Unterton, der Dorthe zu denken gab.

»Du könntest mit uns zurückfliegen, Axel«, schlug Nora vor. »Wir haben noch Platz.«

»Sehr lieb, vielen Dank, aber ich habe zu viel Gepäck. Ich werde jetzt länger in München bleiben«, erwiderte er.

»Dann werden wir uns ja auch öfter sehen«, sagte Nora. »Du kommst doch zur Verlobungsfeier?«

»Vielleicht kann ich es einrichten, aber bestimmt zusagen kann ich nicht«, sagte Axel. »Ich bin derzeit in einem Forschungsinstitut sehr engagiert.«

»Aber am Wochenende hast du doch frei«, sagte Nora. »Und wie ist es mit dir, Franz …? Keine Sehnsucht nach München?«

»Nein, gar keine«, erwiderte der ältere Heimer kurz.

*

Auf dem Rückweg herrschte erst einige Minuten Schweigen zwischen Nora und Dorthe.

»Gefallen dir diese Freunde unserer Familie?«, fragte Nora dann zögernd.

»Ja, sehr«, erwiderte Dorthe.

»Angela, Dominiks Frau, war eine geborene Heimer«, erklärte Nora beiläufig.

Dorthe verhielt den Schritt. Mit weit offenen Augen blickte sie Nora an.

»Dieses wunderschöne Gemälde im Wohnraum?«, fragte sie beklommen.

»Ja, verstehe bitte, dass ich kein Wort darüber verlor. Sie haben ihren Tod noch nicht verwunden. Und sie hassen Dominik«, fügte sie mit klirrender Stimme hinzu.

»Jürgen sagte, sie hätte ein schwaches Herz gehabt«, flüsterte Dorthe, »und das Wasser wäre an diesem Tage kalt gewesen.«

»Man weiß nicht, wie viel ein Herz ertragen kann«, sagte Nora, »aber viele meinten, dass sie nicht mehr leben wollte.«

»Warum nicht?«

»Weil sie Dominik zu sehr liebte, und er nicht fähig war, diese Liebe zu erwidern. Es ist nicht gut, einen Mann zu sehr zu lieben, Dorthe, nur dem Gefühl zu folgen, immer nur zu träumen. Ich bin sehr froh, dass du mit beiden Beinen fest im Leben stehst. Mein Mann hat seinen Maschinen immer den Vorrang gegeben. Ich habe mich angepasst, aber ich habe aus meinem Leben das Beste gemacht. Mit manchen Tatsachen muss sich jede Ehefrau abfinden. Aber es ist gut, wenn man mit offenen Augen in die Ehe geht. Dir bleibt noch der Rückzug, auch wenn uns das gar nicht gefallen würde.«

»Was erwartet ihr von mir, Nora?«, fragte Dorthe offen.

»Dass du einmal der Motor sein wirst, der Jürgen antreibt«, erwiderte Nora, ohne einen Augenblick zu zögern. »Dass du ihn in seinen Illusionen nicht noch unterstützt. Er mag nicht zum Maschinenfabrikanten geboren sein, aber zum Dichter noch weniger. Er plappert nur nach, was Dominik ihm vorplappert. So viel wollte ich dir eigentlich nicht sagen, Dorthe.«

»Es ist gut, dass du es gesagt hast.«

*

Jürgen war nicht anwesend, als sie zurückkamen. Hermann Bruck lag auf der Terrasse.

»Möge es mir beschieden sein, mal ein paar Wochen hier zu verbringen, ohne an den nächsten Tag denken zu müssen«, seufzte er. »Ich möchte überhaupt nichts denken.«

»Dafür sollten wir uns vielleicht einen anderen Platz suchen«, warf Nora ein.

»Vielleicht die ›Insel der Hoffnung‹«, sagte Dorthe gedankenverloren. »Mami schwärmt davon.«

»Gefällt es dir hier nicht, Kindchen?«, fragte Hermann Magnus.

»Doch, es ist sehr schön.«

»Aber?«

»Bei uns ist es noch kalt, und hier ist es drückend. Schläft Jürgen?«

»Kann sein. Er hat sich verzogen. Vielleicht schaut er nach dem Boot.«

»Ruh dich aus, Dorthe«, sagte Nora, »du siehst müde aus. Für solche Ausflüge sollten wir uns doch mehr Zeit nehmen.«

Dorthe war nicht müde, aber das Blut hämmerte in ihren Schläfen. Ihre Nerven vibrierten. Viel war auf sie eingestürmt. »Ja, ich lege mich ein bisschen nieder«, sagte sie.

»Schalt den Ventilator an, Liebes«, rief ihr Nora nach.

Das tat Dorthe, aber das Geräusch störte sie. Sie bekam Kopfschmerzen, und da fielen ihr die Kapseln ein, die Jürgen dafür einnahm. Vielleicht war er gar nicht beim Boot, sondern hatte auch wieder Kopfschmerzen? Sie jedenfalls hatte plötzlich den Wunsch, klar und offen mit ihm über alles zu sprechen. Sie ging hinüber zu seinem Zimmer, das auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges lag. Sie gab sich keine Mühe, besonders leise zu sein. Und nach einem kurzen Anklopfen drückte sie die Klinke nieder. Verschlossene Türen gab es in diesem Hause nicht, das wusste sie schon.

Doch das Zimmer war leer. Das Bett war zerwühlt, die Tür zum Badezimmer stand offen.

»Jürgen«, rief sie leise. Es kam keine Antwort. Sie ging durch den Raum zum Balkon. Auch dort war er nicht.

Sie wandte sich um und sah neben dem Schreibtisch ein zerknülltes Papier liegen. Ganz mechanisch bückte sie sich, um es in den Papierkorb zu werfen, doch dann fiel ihr Blick auf zwei Worte.

Für Nick, las sie.

Ein Kribbeln rann durch ihren Körper. Sie faltete das Papier auseinander. Flüchtig hingeworfen waren ein paar Worte:

Die Zärtlichkeit in Deiner Stimme, die Zärtlichkeit in Deinem Blick, sie umschmeichelt meine Sinne …

Dann nichts mehr, aber Dorthe stand wie erstarrt, denn darüber stand:

Für Nick.

Das ist zu viel, dachte sie. Das verkrafte ich nicht. So weit darf es doch zwischen den beiden nicht gehen.

Ihr war es übel. Sie taumelte in das Badezimmer. Da sah sie ein Fläschchen stehen. Es enthielt die gleichen Kapseln, die Jürgen in dem goldenen Döschen hatte. Völlig geistesabwesend nahm sie eines, steckte es in den Mund und spülte es mit einem Schluck Wasser hinunter. Ganz automatisch nahm sie dann auch das Fläschchen mit, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie ging in ihr Zimmer und ließ sich auf das Bett fallen. Vor ihren Augen begann es zu flimmern. Bunte Bilder reihten sich aneinander, rollten wie ein Film vor ihren Augen ab, und Noras Worte klangen in ihren Ohren, dann wieder Jürgens Stimme.

Sie hatte ein schwaches Herz … Angela war Dominiks Frau, das war Noras Stimme. Viele meinten, dass sie nicht mehr leben wollte.

Dann schien vor Dorthes Augen das Bild lebendig zu werden, das im Wohnraum der Heimers hing. Ein bildschönes Mädchen. Ein madonnenhaftes Gesicht, umrahmt vom schwarzem, in der Mitte gescheiteltem Haar.

Und dann verschwamm alles um sie, und es war, als würde sie in einem luftleeren Raum herumgewirbelt werden.

Irgendwann vernahm sie Stimmen. Sie kam langsam zu sich.

»Warum musstest du ausgerechnet mit Dorthe dorthin gehen, Mama?«, fragte Jürgen erregt. »Und was hast du ihr gesagt?«

»Dass Angela mit Dominik verheiratet war«, erwiderte Nora. »Sie würde es doch erfahren, und es ist gut, wenn sie es beizeiten weiß. Wie unheilvoll deine Bindung an diesen Mann ist, wird sie hoffentlich nie erfahren. Wir lassen dich fallen, Jürgen, wenn das kein Ende nimmt.«

Wir lassen dich fallen, dröhnte es in Dorthes Ohren, und es war ihr, als würde sie selbst fallen.

»Warst du in meinem Zimmer, Mama?«, fragte Jürgen.

»Nein, was ist nun schon wieder?«

»Ich vermisse etwas.«

»Du weißt ja nie, wo du deine Sachen lässt. Willst du mich beschuldigen, dass ich etwas nehme?«

Das Fläschchen, dachte Dorthe, er vermisst es. Und sie hielt es in ihrer geballten Hand.

Mühsam erhob sie sich und ließ es in ihre Reisetasche fallen. Und sie dachte nur eins: Jürgen durfte nicht erfahren, dass sie in seinem Zimmer war, nicht, dass sie den Zettel gefunden hatte, und erst recht nicht, dass sie das Fläschchen genommen hatte.

Und da ging auch schon ihre Zimmertür auf, als sie gerade das Bad betreten wollte.

»Dorthe?«, rief Jürgen.

»Ich dusche gerade«, rief sie zurück. »Ich komme gleich.«

Beschwingt betrat sie eine halbe Stunde später die Halle. Jürgen lehnte an der Terrassentür.

»Entschuldige«, sagte Dorthe, »ich war so müde. Jetzt fühle ich mich wieder wohl. Man muss sich wirklich erst akklimatisieren.«

»Wir sollten einige Tage bleiben«, sagte er. »Ich habe gerade mit Vater darüber gesprochen. Wir haben Nachrichten gehört. Bei uns schneit es.«

»Nein, ich kann nicht bleiben«, erwiderte Dorthe. »Meine Mutter würde das nicht verstehen.«

»Verzeih, ich habe nicht daran gedacht, dass wir noch nicht verheiratet sind«, sagte er spöttisch. »Ich möchte noch ein paar Tage bleiben.«

»Dann bleib doch«, sagte sie. »Ich will dich gewiss nicht an die Kette legen.«

Jürgens Gesicht entspannte sich. »Das hast du sehr nett gesagt, Dorthe. Solche Ansichten, wenn sie ernst gemeint sind, sind die beste Ausgangsbasis für eine Ehe. Ich danke dir.«

*

Für Dorthe blieben viele Fragen offen, als sie mit Hermann und Nora Magnus heimwärts flog, aber vor allem war sie froh, jetzt nicht mit Jürgen sprechen zu müssen.

»Du musst ihn strenger an die Kandare nehmen, Dorthe«, sagte Hermann Magnus. »Du darfst nicht allen seinen Wünschen nachgeben.«

»Das werde ich nicht tun«, erwiderte sie. »Aber man kann es ja diplomatisch anfangen.«

»Das ist eine sehr kluge Einstellung, aber ich wusste ja, dass du klug bist«, sagte Nora, »klüger als Jürgen.«

Nach diesen Worten war Dorthe geneigt, Nora als ihre Verbündete zu betrachten. Sie fühlte plötzlich, dass sich diese Frau hinter einer gewollten Härte verschanzte.

In Dorthe stritten sich zwei extreme Gefühle. Ein Aufbegehren und eine tiefe Resignation.

Am Flughafen nahmen sie ein Taxi. Zuerst brachte es Dorthe heim.

»Wollt ihr nicht Mami guten Tag sagen?«, fragte sie ihre zukünftigen Schwiegereltern.

»Nicht unangemeldet«, erwiderte Nora rasch. »Vielleicht kommt sie mit zu Axels Vortrag. Wir telefonieren morgen, Liebes. Ich hoffe, du bist nicht zu sehr schockiert, dass Jürgen noch geblieben ist.«

»Aber nein«, erwiderte Dorthe leichthin. »Es wäre sehr unklug, wenn ich schon jetzt seine Freundschaft mit Nick unterbinden wollte.«

»Sie durchschaut ihn bereits«, brummte Hermann Magnus, als sie weiterfuhren.

»Sie ist tolerant«, sagte Nora. »Ich werde ihr morgen einen Wagen kaufen.«

»Mach, was du willst, aber mach mir keinen Vorwurf, wenn es zu einem Chaos führt, Nora.«

Irene umarmte indessen ihre Tochter. »War es schön?«, fragte sie.

»Grandios, Mami. Sei mir nicht böse, aber ich muss diese vielen Eindrücke erst verarbeiten. Und das Fliegen in einem kleinen Flugzeug ist anstrengender als in einer Linienmaschine. Mir ist nicht besonders gut. Da drunten ist schon fast Sommer.«

»Und bei uns kommt der Winter zurück. Soll ich dir einen Tee machen, Kleines?«

»Ja, das wäre lieb. Ich verschwinde im Bad.«

Aber als Irene in Dorthes Zimmer kam, lag sie schon schlafend im Bett. Auf dem Tisch stand ein Glas Wasser und daneben das Fläschchen mit den Kapseln. Irene starrte es an: Ein bräunliches Glas ohne Etikett und darin Kapseln, die denen ähnlich sahen, die Dr. Norden ihr nach dem Tode ihres Mannes verschrieben hatte.

Fehlte Dorthe etwas? War sie etwa auch bei Dr. Norden gewesen? Wollte ihr Kind sie nur nicht beunruhigen?

Irene nahm eine der Kapseln heraus und betrachtete sie. Ihre waren zweifarbig gewesen und nicht ganz so groß. Der Gedanke, dass Dorthe ihr etwas verheimlichte, verdrängte jeden anderen Gedanken.

Vielleicht waren das Antibabypillen? Irene hatte keine Ahnung, wie solche aussahen. Wie erschöpft Dorthe aussah! Ganz eingefallen waren ihre Wangen. War dieses Wochenende doch nicht so grandios gewesen, wie sie gesagt hatte?

Irene sah sich selbst als junges Mädchen, wenn sie von einem Ausflug mit ihrem Heinz zurückkam, strahlend, mitteilsam, übersprudelnd vor Lebensfreude.

Dorthe lag da wie bewusstlos. Aber vielleicht war alles nur zu anstrengend für sie gewesen. Ganz leise verließ Irene das Zimmer, die eine Kapsel nahm sie mit. Sie tat sie in einen kleinen Umschlag und steckte diesen in ihre Handtasche. Dann stieg sie die Treppe empor zur Wohnung ihres Schwagers.

Er hörte gerade klassische Musik. »Du kommst allein, Reni?«, fragte er. »Habe ich mich getäuscht, als ich meinte, Dorthe sei gekommen?«

»Sie schläft schon. Es scheint ziemlich anstrengend gewesen zu sein. Ich will dich nicht stören, aber ich fühle mich so einsam.«

»Ja, wir zwei Alten«, sagte er lächelnd. »Du bekommst einen Portwein, dann fühlst du dich gleich wieder besser, Reni.«

»Mir ist so bange, Jo. Ich habe die Angstzustände doch noch nicht überwunden«, flüsterte sie. Davon, was ihr so jähe Angst einflößte, wollte sie aber doch nicht sprechen.

»Wovor ist dir bange? Dass Dorthe bald heiraten wird?«, fragte er.

»Sie wird in diese Familie integriert. Ich ahnte nicht, dass sie so bestechlich ist.«

»Mach dir doch keine Gedanken, geheiratet wird erst nächstes Jahr. Dann ist die erste Euphorie vorbei. Ein Jahr kann sehr lang sein, Reni.«

»Wem sagst du das? Dorthe war so unbeschwert. Das ist sie nicht mehr.«

Er griff nach ihrer Hand. »Nimm nicht alles so schwer, Reni. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, daran sollten wir immer denken.«

»Wenn man mit Dorthe doch nur vernünftig reden könnte«, sagte sie.

»Vielleicht kannst du das auch noch. Die Zeit ist eine mächtige Meisterin, sie bringt vieles in Ordnung.«

»Wenn es nicht schon zu spät ist.«

»Es ist nie zu spät, Reni.«

»Bist du davon wirklich überzeugt?«

»Wenn man einen Menschen liebt, ist es wirklich nie zu spät, ihn von seiner Liebe zu überzeugen. Und allein auf deine Liebe kann sich Dorthe verlassen.«

»Wird sie das? Du bist dir dessen auch nicht sicher, Jo, ich spüre es.«

Und er konnte nicht lügen. »Ganz sicher bin ich nicht, Reni, aber eines kann ich dir guten Gewissens sagen, auf mich kannst du dich immer verlassen. Wir beide haben so viel durchgestanden, uns sollte nichts mehr trennen. Wir brauchen nichts voreinander zu verbergen. Und wenn es nötig ist, werden wir um unsere Dorthe kämpfen. Ich habe keine Angst vor dieser versnobten Familie.«

»Vielleicht ist sie nicht versnobt, Jo«, sagte Irene leise. »Vielleicht sind sie viel unglücklicher als ich. Ich weiß nicht, wie ich mich fühlen würde, wenn ich einen solchen Sohn hätte.«

Joachim Bruck sah sie fassungslos an. »Was kommt dir in den Sinn, Reni?«, fragte er heiser.

»Dass er ein Wanderer zwischen zwei Welten ist«, flüsterte sie, und dann lief sie hinaus.

Er folgte ihr nicht. Er wusste, dass sie jetzt allein sein wollte und dass Worte ihr nicht helfen konnten. Er hätte sie gern in seine Arme genommen und getröstet, aber auch dazu war noch nicht die Zeit. Er hoffte, dass diese Zeit einmal kommen würde, aber er wollte sie nicht gewaltsam herbeizaubern.

*

Dr. Norden musste die Woche mit einem schwierigen Patienten beginnen, mit einem, der krank war, und doch nicht krank sein wollte. Aber an diesem Morgen krümmte er sich vor Schmerzen, als er ins Sprechzimmer trat. Robert Flemming, Generalvertreter einer Versicherungsgesellschaft, vierzig Jahre, verheiratet, Vater von zwei Kindern.

»Es war ein so wunderbares Wochenende, Herr Doktor«, stöhnte er. »Ich bin verwöhnt worden, es war alles so harmonisch, aber es ist mir nicht bekommen.«

»Sie haben wieder gut gegessen, Herr Flemming«, sagte Dr. Norden ruhig.

»Natürlich, so, wie ich es von meiner Frau gewohnt bin. Endlich mal nicht Würstel und Kraut oder nur ein Sandwich in der Hetze, wenn ich unterwegs bin.«

»Aber der Magen reagiert sauer«, sagte Dr. Norden. »Das Essen war halt zu gut.«

»Es hat mir geschmeckt, endlich mal wieder«, sagte Herr Flemming.

»Und das Magengeschwür spielt nicht mit«, erklärte Dr. Norden ruhig. »Es muss auskuriert werden. Sie wollten es mir ja nicht glauben, Herr Flemming, aber es ist ein Magengeschwür. Der Magen ist ein heikles Organ. Er hält in Stresssituationen eine ganze Menge aus. Er ist auch geduldig, aber wenn er dann plötzlich zu viel angeboten bekommt, rebelliert er. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Magendrüsen durch das vegetative Nervensystem reguliert werden. Manches liegt dann wie Blei im Magen, was in der Hast des Alltags nicht zu sich genommen wird. Sie genießen das Essen doch nicht, wenn Sie unterwegs sind.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Herr Flemming. »Wie denn, wenn man von einem Termin zum andern hasten muss. Aber zu Hause genieße ich es, und da bekommt es mir nicht.«

»Weil Sie viel mehr essen«, erwiderte Dr. Norden. »Und dann legen Sie sich auf die faule Haut, weil Sie ja nicht weiterzuhasten brauchen. Von einem Extrem ins andere. Und jetzt muss ich energisch werden. Sie müssen Urlaub machen und sich auskurieren.«

»Und dann kommt ein anderer, der mehr Ellenbogen hat als ich«, sagte Herr Flemming.

Und die Angst davor kommt hinzu, dachte Dr. Norden. Die Menschen sind sich ja gar nicht klar, was die Angst alles bewirken kann.

Er redete auf seinen Patienten ein. Er sagte ihm, dass er doch finanziell so gut gestellt sei, um mal eine richtige Kur zu machen. Dass eine solche auch für seine geplagte Frau gut sein würde. Und die Kinder wären doch nun schon groß genug, um mal in ein Kinderheim geschickt werden zu können.

»Die Großeltern wollen sie ja in den Ferien holen«, sagte Herr Flemming, »aber dann werden sie wieder sträflich verwöhnt.«

»Dann lassen Sie sie doch auch mal verwöhnen. Manches werden Sie schon nach einer Woche vermissen. Immerhin können Sie selbst einiges dazu beitragen, damit Ihren Kindern der Vater erhalten bleibt.«

Manchmal musste er so ein schweres Geschütz auffahren, und das tat jetzt seine Wirkung.

Herr Flemming zeigte sich bereit, Dispositionen für die kommenden Ferien zu treffen.

»Frau Bruck möchte Sie sprechen«, sagte Loni, als Dr. Norden ihn verabschiedet hatte.

Dr. Norden war leicht bestürzt. »Geht es ihr wieder schlechter?«, fragte er.

»Sie ist deprimiert«, sagte Loni. »Ich möchte sie nicht lange warten lassen.«

»Dann herein mit ihr«, sagte Dr. Norden.

Er erschrak, als er Irene Brucks Hand ergriff und Papier spürte.

»Ich habe gleich mitgebracht, was mich besorgt stimmt«, sagte sie leise.

Er blickte auf den zerknüllten Umschlag. »Was ist das?«, fragte er.

»Schauen Sie hinein, Herr Doktor. Ich habe es Dorthe heimlich weggenommen.«

Befremdet betrachtete er die bräunliche Kapsel. »Wie heißt das Medikament?«, fragte er.

»Kennen Sie es nicht?«, fragte Irene. »Haben Sie es Dorthe nicht verschrieben? Sind es vielleicht Antibabypillen?«

»Aber nein, die schauen ganz anders aus«, erwiderte er. »Und Dorthe war schon lange nicht mehr bei mir.«

»Jedenfalls hat sie ein ganzes Flascherl davon«, sagte Irene Bruck, »und verändert ist sie auch. Kennen Sie solche Kapseln wirklich nicht, Herr Doktor?«

»Ein solches Medikament habe ich nie verwendet«, erwiderte er. »Sie kennen mich doch. Ich verschreibe nur Medikamente, deren Wirkung bereits erprobt ist. Aber damit will ich nicht sagen, dass es kein erprobtes Medikament ist.«

»Wie kann man das feststellen?«

»Durch eine Laboruntersuchung.«

»Können Sie eine solche veranlassen? Ich bezahle alles, auch wenn es völlig harmlos ist. Aber ich will nicht im Dunkeln tappen. Gestern fand ich das Fläschchen auf Dorthes Tisch. Heute Morgen fragte ich sie, was sie da einnimmt. Sie erwiderte, dass es ein Kopfschmerzmittel sei, das sie in Morcote gekauft hätte, weil ihr der Flug nicht bekommen sei. Aber Kopfschmerztabletten sind weiß. Ich habe doch auch schon welche genommen. Es sind nicht solche Kapseln. Ich muss es wissen. Ja, Herr Dr. Norden, ich will es genau wissen.«

»Ich kann eine Untersuchung veranlassen, Frau Bruck.«

»Bitte, tun Sie das, und schnell. Noch vor der Verlobungsfeier. Sie war mit den Magnus’ im Tessin. Jürgen ist dort geblieben. Dorthe weicht meinen Fragen aus. Vielleicht ist mein Nervenkostüm doch noch nicht ganz in Ordnung, aber es geht um mein Kind. Sie dürfen mich auslachen, wenn dieses Mittel harmlos ist. Aber Dorthe schleicht wie eine Traumwandlerin herum. Sie wird gar nicht mehr richtig munter.«

»Ich werde den Inhalt der Kapsel untersuchen lassen, Frau Bruck«, sagte Dr. Norden. »Zu unserer Beruhigung!«

»Danke«, erwiderte sie leise.

*

Das Untersuchungsergebnis fiel nicht zu seiner Beruhigung aus. Das Gegenteil war der Fall. Dr. Norden wusste nur nicht, wie er es Frau Bruck beibringen sollte.

Er sprach erst mit seiner Frau Fee darüber, die ja auch Ärztin war.

»Was würdest du sagen, Fee, wenn ein Aufputschmittel bei einem Patienten das Gegenteil hervorrufen würde?«

»Welche gegenteilige Reaktion, Daniel?«, fragte Fee.

»Müdigkeit, Resignation.«

»Es kommt auf die Zusammensetzung an, und auch auf die organische Verfassung des Patienten, würde ich sagen. Wenn er gesund ist und nie Aufputschmittel genommen hat, kann eine solche Gegenindikation auftreten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du einem Patienten solche Mittel verschreibst, wenn er sie nicht braucht.«

»Ich habe sie nicht verschrieben«, sagte er.

»Wer dann?«

»Das weiß ich nicht.«

»Dann muss ich fragen, wem sie verschrieben wurden.«

»Dorthe Bruck, aber vielleicht wurden sie ihr auch nur zugespielt. Es ist ein Rauschmittel. Es kann auch schwarz gehandelt werden.«

»Spritzen?«

»Nein, Kapseln. Man schluckt sie wie jede andere. Aber sie können eine furchtbare Wirkung haben, wenn sie über längere Zeit hinaus geschluckt werden.«

»Man kann süchtig werden?«, fragte Fee.

»Ja.«

»Aber wieso Dorthe Bruck?«

»Ich muss dahinterkommen. Aber wird ihre Mutter es verkraften, wenn ich sie einweihe?«

»Eine Mutter wie sie wird nur an ihr Kind denken, Daniel«, sagte Fee. »Eine Mutter vergisst sich selbst, wenn es um ihr Kind geht. Sie wird über sich hinauswachsen. Aber du musst alles tun, um dieses Mädchen vor Schaden zu bewahren.«

»Dann werde ich mit Frau Bruck offen sprechen müssen«, sagte er.

»Ja, das musst du.«

*