E-Book 106-110 - Günter Dönges - E-Book

E-Book 106-110 E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! E-Book 1: Solo unterwegs E-Book 2: Die Hetzjagd E-Book 3: Blei und Schrott für die Lady E-Book 4: Der Satan E-Book 5: Der Kampf mit Dämonen

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Inhalt

Solo unterwegs

Die Hetzjagd

Blei und Schrott für die Lady

Der Satan

Der Kampf mit Dämonen

Butler Parker – Box 21 –

E-Book 106-110

Günter Dönges

Solo unterwegs

Roman von Dönges, Günter

Günter Dönges

Solo für ein scheues Reh

Widerstand wäre sinnlos gewesen.

Kathy Porter sah in die Mündung einer Waffe, die mit einem modernen Schalldämpfer versehen war. Der Mann, der die Waffe in der Hand hielt, machte einen sehr entschlossenen Eindruck. Er schien nur darauf zu warten, auch abdrücken zu können. In seinen großen, grünlich schimmernden Augen lag so etwas wie frohe Erwartung.

„Mitkommen“, sagte er fast enttäuscht, als Kathy stehenblieb. Die langbeinige junge Frau, groß, schlank und dennoch sehr weiblich aussehend, erinnerte an ein ängstliches und scheues Reh, das sich vor Schreck nicht zu rühren vermag.

Der Mann rückte seinen zusammengelegten Mantel wieder so über den Unterarm und die Waffe, daß selbst der Schalldämpfer verschwand, und deutete mit dem Kinn zum Fahrstuhl.

Kathy Porter gehorchte augenblicklich. Sie wollte den Mann auf keinen Fall provozieren. Sie wußte nicht, wer er war und was er von ihr wollte. Sie wußte nur, daß ihr Leben an einem seidenen Faden hing, deshalb setzte sie sich sofort in Bewegung und ging zum Aufzug, der sich gerade öffnete.

„Vorsicht, Masern“, sagte der schlanke Mann, als weitere Leute zusteigen wollten. „Ansteckungsgefahr.“

Er ließ sie nicht aus den Augen und achtete auf jede ihrer Bewegungen. Mit seinem einfachen Trick erreichte er übrigens genau das, was er wollte. Die Leute sprangen förmlich zurück und hüteten sich in den Aufzug zu steigen.

Zischend schlossen sich die Türen.

„Kellergeschoß drücken“, kommandierte der Mann. Kathy Porter gehorchte erneut und drückte sich dann ängstlich in die Ecke des Aufzugs. Dieser Mann war ein Killer, daran bestand kein Zweifel. Warum er sie hier im Krankenhaus abgefangen hatte, begriff sie nicht. Kathy hatte im Auftrag von Lady Agatha Simpson einen Krankenbesuch gemacht und einem von Myladys Verwaltern einen Frühstückskorb überbracht. Harmloser und selbstverständlicher hätte eine solche Visite überhaupt nicht ausfallen können.

Sie blieb bei ihrer Rolle und spielte weiterhin das scheue und ängstliche Reh. Der Killer durfte noch nicht mal ahnen, daß sie auch ganz anders sein konnte.

„Überrascht, wie?“ fragte der schlanke Mann jetzt amüsiert.

„Natürlich, Sir“, gab Kathy Porter zurück, „hoffentlich verwechseln Sie mich nicht mit einer anderen Person.“

„Dein Haar ist nicht zu verwechseln“, meinte der Killer und spielte damit auf Kathy Porters dunkelrotes, langes Haar an, das in seiner Farbschattierung wirklich einmalig war.

„Ich heiße Kathy Porter“, sagte das scheue Reh.

„Und ich bin Onassis“, gab der Killer zurück. „Hör’ auf mit dem blöden Theater, Puppe. Du weißt, wer ich bin, ich weiß, wer du bist!“

Die Fahrt war beendet, bevor Kathy darauf antworten konnte.

Die Fahrstuhltür öffnete sich, Kathy mußte aussteigen.

Die langbeinige Frau wurde durch eine kurze und energische Bewegung in die neue Richtung gedrängt, ging zögernd einen halbdunklen Gang hinunter und sah sich dann plötzlich einem zweiten Mann gegenüber, der einen weißen Arztkittel trug.

„Umdrehen, mit dem Gesicht zur Wand“, kommandierte der Killer hinter ihr. Kathy Porter kam auch diesem Befehl nach und wehrte sich eine Sekunde später mit dem Mut der Verzweiflung gegen den dicken Wattebausch, der mit Chloroform getränkt war.

Ihr Widerstand dauerte nicht lange.

Kathy schnappte nach Luft, glaubte ersticken zu müssen und wurde dann ohnmächtig. Sie landete in den Armen des Mannes, der den weißen Kittel trug, und merkte nicht mehr, daß die beiden Männer sie hastig zu einer Tür trugen, auf der die Aufschrift „Magazin“ stand.

*

„Ich glaube, Mister Parker, daß ich in ein paar Minuten etwas ärgerlich sein werde“, stellte Lady Agatha Simpson grimmig fest. Die streitbare Sechzigerin saß im Fond von Josuah Parkers hochbeinigem Monstrum und wartete geduldig auf die Rückkehr ihrer Sekretärin. Normalerweise hätte Lady Simpson diesen Krankenbesuch selbst übernommen, aber sie befand sich in Zeitnot, da sie in der City eine wichtige Verabredung hatte. Sie kannte ihr Plaudertalent und hatte sich selbst davor geschützt. Kathy war eingeschärft worden, nicht länger als zehn Minuten zu bleiben. Nun waren schon weit über zwanzig Minuten verstrichen …

Butler Josuah Parker saß vorn am Steuer seines hochbeinigen Wagens, der mal ein echtes Londoner Taxi war. Diesen Wagen hatte er sich nach seinen eigenen Vorstellungen umbauen lassen. Das ehemalige Taxi war inzwischen zu einer raffinierten Trickkiste auf Rädern geworden.

Josuah Parker war untadelig wie stets gekleidet. Zum schwarzen Zweireiher trug er schwarze Handschuhe und eine Melone in ebenfalls schwarzer Farbe. Sein unvermeidlicher Universal-Regenschirm befand sich in einer Haltevorrichtung seitlich neben ihm. Korrektheit war Parkers oberstes Gebot. Hinzu kam eine Höflichkeit, die manchmal schon fast penetrant wirkte. Und Nerven, deren Haltbarkeit an die von besonders starken Schiffstauen erinnerten.

In seiner vornehmen Zurückhaltung war er das krasse Gegenteil von Lady Agatha Simpson, die trotz ihres Alters quirlig wie ein junges Mädchen war. Lady Agatha, mit dem englischen Hochadel verschwistert und verschwägert, war eine immens reiche Frau, die sich Extravaganzen leistete, sofern sie ihr Spaß machten. Sie liebte es, sich mit besonders verzwickten oder aufregenden Kriminalfällen zu befassen und hatte in letzter Zeit den Ehrgeiz entwickelt, eine gewisse Agatha Christie schriftstellerisch zu übertrumpfen. Schon vom gemeinsamen Vornamen her fühlte sie sich dazu berufen und auch verpflichtet.

„Ich glaube, daß ich inzwischen ärgerlich geworden bin“, ließ Lady Agatha sich wieder vernehmen und räusperte sich bedrohlich, „was sagen Sie zu dem Benehmen von Miß Kathy?“

„Miß Kathy dürfte mit einiger Sicherheit aufgehalten worden sein, Mylady“, erklärte Parker gemessen.

„Holen Sie sie aus dem schrecklichen Haus heraus“, entschied Lady Simpson grimmig, „und machen sie ihr klar, wie wütend ich bin!“

„Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen“, versprach Josuah Parker und stieg ohne jede Hast aus dem Wagen. Er blieb neben dem geöffneten hinteren Wagenfenster stehen und lüftete seine schwarze Melone. „Soll ich mich hinsichtlich Ihrer Gemütsverfassung in Einzelheiten ergehen, Mylady?“

„Überlassen Sie das nur mir, Mister Parker! Kathy kann sich auf etwas gefaßt machen.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Parker legte sich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den Unterarm, prüfte noch mal den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone und lustwandelte anschließend gemessen zur breiten Treppe, die hinauf in die Empfangshalle des Krankenhauses führte.

Natürlich wußte er nur zu genau, warum Mylady den Besuch nicht selbst gemacht hatte. Lady Agatha hatte eine Allergie gegen Krankenhäuser und konnte den typischen Geruch, der in solchen Häusern herrschte, auf den Tod nicht ausstehen.

Josuah Parker machte sich hinsichtlich des Zorns von Mylady keine unnötigen Sorgen. Gewiß, Kathy Porter war zwar offiziell nur die Gesellschafterin und Sekretärin seiner Herrin, doch in Wirklichkeit genoß Kathy Porter den Status einer leiblichen Tochter. Darüber hinaus war Kathy schließlich auch noch Mitglied eines Trios, das sich mit viel Erfolg und Können der Aufklärung von Verbrechen widmete. Sie war Teil dieses Teams und zeichnete sich durch besondere Fähigkeiten aus. Nach außen hin wie ein scheues Reh wirkend, besaß sie in Wirklichkeit die Spannkraft einer Pantherkatze.

In der großen Vorhalle des Krankenhauses angekommen, ließ Parker die Stationsschwester anrufen und erkundigte sich bei ihr mit wohlgesetzten Worten nach dem Verbleib von Miß Porter. Er erfuhr zu seiner ehrlichen Verblüffung, die er allerdings nicht zeigte, daß Kathy das Krankenzimmer schon vor zehn Minuten verlassen hatte.

Parker legte den Hörer auf und entdeckte dann Kathy, die gerade aus dem Aufzug gekommen sein mußte, während er noch mit der Stationsschwester sprach. Sie wandte ihm allerdings den Rücken zu und ging schnell auf eine Glastür zu, die den Zugang zu einer Station im Erdgeschoß bildete. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Es mußte sich um Kathy handeln. Das typische, dunkelrote Haar war einfach unverkennbar, ebenso die schlanke Figur.

„Miß Porter?“ Parker machte sich mit höflicher Stimme bemerkbar und ging ihr nach. Die Frau mit dem dunkelroten Haar drehte sich um und sah ihn fragend an.

Erst jetzt merkte Josuah Parker, daß er sich geirrt hatte. Diese Frau war nicht Kathy Porter! Sie glich ihr nur auf eine geradezu irritierende Art und Weise. Nur die Länge ihrer Beine wurde ihm jetzt nachträglich bewußt, sie fehlte bei dieser Frau.

„Ich bitte um Entschuldigung, Madam“, bat Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. „Ich unterlag dem, was man gemeinhin eine Täuschung nennt.“

„Schon gut“, erwiderte die Frau, die vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt war und ein hart geschnittenes Gesicht besaß. „Schon gut, Mann.“

Sie hatte es augenscheinlich sehr eilig, sah zur Treppe und den Fahrstühlen hinüber, drückte die Glastür auf und klapperte dann mit ihren Absätzen schnell über den Korridor. Sie trug, was Parker nebenbei registrierte, eine kleine Schultertasche, die allerdings vollgestopft war.

Parker bemerkte das etwas spöttische Lächeln der diensttuenden Schwester am Empfang. Die ältere Frau dachte wohl, er habe sich eine Abfuhr geholt, schaute dann aber wieder sehr bemüht auf ihr Journal mit der Liste der Patienten.

Parker ignorierte die Schwester, begab sich zum Aufzug und fuhr hinauf in die zweite Etage, wo Kathy Porter sich aufgehalten hatte. Als er ausstieg, stieß er auf drei junge Schwestern, die sich aufgeregt miteinander unterhielten.

„Ich möchte keineswegs aufdringlich erscheinen, meine Damen“, begann der Butler und grüßte höflich. „Ist Ihnen möglicherweise eine junge, rothaarige Dame aufgefallen?“

„Natürlich“, erwiderte eine der drei Jungschwestern, „darüber unterhalten wir uns ja gerade.“

„Wie anregend, dies zu hören.“

„Sie soll angeblich die Masern gehabt haben“, sagte die zweite Jungschwester.

„Nun sehen Sie meine bescheidene Wenigkeit leicht verblüfft.“

„Behauptete wenigstens der Mann, der zusammen mit ihr in den Fahrstuhl ging“, fügte die dritte Jungschwester hinzu. „Besucher haben uns das eben mitgeteilt. Sie durften nicht mit hinunterfahren.“

„Ein junger Mann also, Masern und eine rothaarige Dame“, memorierte der Butler halblaut, drehte sich um und betrat sofort wieder den Fahrstuhl. Als die Tür sich geschlossen hatte, drückte er den Knopf für das Kellergeschoß.

Ihm war ein schrecklicher Verdacht gekommen!

*

Kathy Porter fühlte sich hundeelend.

In ihrem Mund war ein widerlich-pelziger Geschmack nach süßlichem Chloroform. Sie hatte heftige Kopfschmerzen, wollte sich aufrichten und merkte erst jetzt, daß man sie auf einer Trage festgeschnallt hatte. Sie schaute sich um und brauchte einige Augenblicke, um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden.

Die junge Dame befand sich in einem Krankenwagen, der in normaler Fahrt durch die Straßen von London fuhr. Neben ihr saß ein Mann in weißem Arztkittel und rauchte eine Zigarette. Er hatte gemerkt, daß Kathy wach geworden war, beugte sich über sie und blies ihr den Rauch ins Gesicht.

Kathy hustete und fühlte sich noch schlechter.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte sie, einen Brechreiz nur mühsam unterdrückend.

„Weißt du doch, Hübsche“, meinte der Mann. „Spezialoperation.“

Er schien sein Stichwort für einen besonders gelungenen Witz zu halten und lachte ironisch.

„Wohin bringen Sie mich?“ stellte Kathy ihre nächste Frage.

„Weißt du auch, Hübsche.“ Der Mann lehnte sich zurück und rauchte weiter. „Nutz’ die Zeit und laß’ dir ’ne prima Ausrede einfallen!“

Natürlich lag hier eine Verwechslung vor, daran zweifelte Kathy nicht einen Moment. Aber wie sollte sie das diesem Mann beibringen? Er würde ihr ja doch kein Wort glauben. Sie legte den Kopf zur Seite und schaute nach oben. Sie hoffte herauszubekommen, wohin man sie brachte. Die Milchglasscheiben des Krankenwagens hatten am oberen Rand Sichtschlitze.

„Der Boß ist ziemlich sauer auf dich, Süße“, ließ der Mann im Arztkittel sich wieder vernehmen.

„Ich bin mir keiner Schuld bewußt“, erwiderte Kathy Porter automatisch.

„Mach’ ihm das klar, Hübsche. Hoffentlich klappt’s.“

„Ich habe damit nichts zu tun“, stieß Kathy nach. Sie wollte möglichst viel erfahren. Ihr Interesse war verständlicherweise geweckt worden. Diese Entführung bewies, daß es sich um einen keineswegs harmlosen Fall handelte.

„Schieb’s von mir aus auf Harry“, antwortete der Mann neben der Trage und lächelte spöttisch.

„Warum haltet ihr euch nicht an Harry?“ fragte Kathy weiter.

„Der kommt auch noch dran, sobald er transportfähig ist“, beruhigte der Mann sie und nickte nachdrücklich. „Bei uns kommt jeder dran, Hübsche, aber das solltest du doch wissen.“

„Ich bin unschuldig. Ehrlich!“

„Und warum hast du dann nicht Alarm geschlagen?“ erkundigte sich ihr Begleiter. „Zeit genug hattest du doch. Nee, Hübsche, ihr wolltet mit der Ware abhauen. Geschäft auf eigene Rechnung, wie? Und beinahe hätt’ das ja auch hingehauen, wenn der Laster nicht gewesen wäre.“

Kathy hatte keine Ahnung, worum es ging und was sich ereignet hatte, aber sie ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Sie spielte ihre Rolle geschickt weiter, obwohl ihr immer noch schlecht war.

„Harry hat mich gezwungen“, behauptete sie also und war gespannt, wie die Reaktion jetzt ausfallen würde.

„Natürlich hat der Trottel dich gezwungen. Ausgerechnet dich!“ Der Mann im weißen Arztkittel grinste abfällig. „Wenn du auf die Tour reisen willst, seh’ ich schwarz für dich, Hübsche. Jeder weiß doch, was mit euch los ist.“

Kathy Porter hielt es für angebracht, vorerst keine weiteren Fragen zu stellen. Sie befand sich auf sehr dünnem Eis. Jede weitere Frage konnte den vorzeitigen Einbruch bedeuten. Früher oder später würde man natürlich herausfinden, daß sie mit der erwähnten Helen nicht identisch war. Dann aber war immer noch Zeit genug, sich etwas einfallen zu lassen. Kathy Porter war kein ängstliches Mädchen. Sie wußte sich ihrer Haut zu wehren.

Zudem setzte sie natürlich wieder mal auf Lady Agatha und Butler Parker.

Sie konnte sich lebhaft vorstellen, daß sie bereits vermißt wurde. Hoffentlich fanden Mylady und Parker schnell eine Spur, um ihr beistehen zu können.

Die Fahrt im Krankenwagen war plötzlich beendet.

Nach einer scharfen Rechtskurve rollte der Wagen in eine Halle, von der Kathy nur das Glasdach sehen konnte.

„In deiner Haut möcht’ ich jetzt nicht stecken“, sagte der Mann neben ihr und schob sich auf die Seitentür zu. „Du weißt ja, wie schnell der Boß sich aufregt.“

Der junge Mann, der sie im Krankenhaus mit der schallgedämpften Waffe abgefangen hatte, und der Mann im weißen Arztkittel zogen die Trage aus dem Wagen und trugen Kathy Porter dann tatsächlich durch eine kleine Halle. Bei dieser Gelegenheit verrutschte die Decke, die man über Kathy gebreitet hatte.

Erst jetzt merkte sie, daß man sie während ihrer Ohnmacht ausgezogen hatte.

Sie war bis auf ihre spärliche Unterwäsche nackt.

*

Der Mann stand noch unter einem schweren Schock.

Er war niedergeschossen worden. Das Geschoß hatte ihn an der linken Hüfte getroffen. Nachdem Parker ihm im Kellergeschoß des Spitals entdeckt hatte, wurde der Verwundete hier unten an Ort und Stelle ärztlich versorgt.

Der Angestellte hatte nicht viel zu berichten.

Er blieb in einer Art Trance und erwähnte immer nur die rothaarige Frau auf der Trage, wie er sich ausdrückte. Mehr war im Augenblick nicht aus ihm herauszubekommen. Parker überließ ihn den Ärzten und Krankenschwestern und ging in den Innenhof des Krankenhauses. Nach wenigen Minuten wußte er, daß einer der hier abgestellten Krankenwagen fehlte. Der Leiter des Wagenparks stand vor einem Rätsel, er wußte dazu nichts zu sagen.

Josuah Parker riet dem konsternierten Mann, umgehend die Polizei zu verständigen und begab sich dann zurück zu Lady Agatha. Die resolute Dame marschierte bereits leicht gereizt vor Parkers hochbeinigem Wagen auf und ab und maß ihn mit grimmigen Blicken.

„Sie sind jetzt ebenfalls seit genau zwölfeinhalb Minuten unterwegs“, stellte sie mit gefährlich leiser Stimme fest. „Hoffentlich bekomme ich eine einigermaßen gute Ausrede zu hören, Mister Parker.“

„Miß Porter dürfte nach Lage der Dinge gekidnappt worden sein“, antwortete der Butler. „Sind Mylady mit dieser Erklärung zufrieden?“

„Das ist ja wunderbar!“ Agatha Simpsons Augen glänzten augenblicklich, ihr Gesicht nahm einen unternehmungslustigen Ausdruck an. Sie witterte einen Fall!

„Miß Porter denkt möglicherweise anders darüber, Mylady“, redete der Butler weiter. „Die Kidnapper scheuten sich nicht, einen Angestellten des Spitals niederzuschießen. Demnach dürfte man es mit Gangstern zu tun haben.“

„Das möchte ich aber auch sehr hoffen“, sagte Lady Agatha grimmig und freudig zugleich. „Und wo finden wir diese Strolche? Ich hoffe, Sie haben das inzwischen bereits ermittelt.“

„Ich fürchte, Mylady enttäuschen zu müssen.“

„Was soll das heißen?“

„Nach meinen ersten Ermittlungen, Mylady, wurde Miß Porter in einem Krankenwagen verschleppt. Dessen Standort ließ sich leider noch nicht ausfindig machen.“

„Dann sollten wir uns sofort an die Arbeit begeben, Mister Parker.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

„Worauf warten wir noch?“ Sie sah ihn flammend an und wirkte wie ein reichlich fülliges und angejahrtes Rennpferd vor dem Start.

„Auf das, Mylady, was man gemeinhin eine Eingebung nennt“, gestand Josuah Parker. „Zu meinem Leidwesen sehe ich mich zur Zeit außerstande zu sagen, wo man den sprichwörtlichen Hebel ansetzen könnte.“

„Kathy befindet sich unter Umständen in Lebensgefahr“, stellte Lady Agatha vorwurfsvoll fest.

„Dieser Tatsache, Mylady, bin ich mir durchaus bewußt.“

„Dann unternehmen Sie endlich etwas!“ Sie sah ihn mehr als vorwurfsvoll an und stampfte mit dem Fuß auf das Pflaster.

„Myladys Wunsch ist meiner bescheidenen Wenigkeit Befehl“, antwortete Josuah Parker, dem plötzlich eine Idee gekommen war. Er besann sich auf die rothaarige Frau, die er in der Empfangshalle des Spitals gesehen und mit Kathy Porter verwechselt hatte. War diese Frau vielleicht der Schlüssel zu Kathys Entführung?

Automatisch lüftete er seine schwarze Melone, bevor er sich umdrehte und noch mal zurück in die Empfangshalle ging. Bei der ältlichen Krankenschwester am Empfang erkundigte Parker sich nach der rothaarigen Dame, die er auf den ersten und zweiten Blick hin mit Kathy Porter verwechselt hatte.

Erfreulicherweise wurde er fündig.

Die Krankenschwester, von Parkers Höflichkeit jetzt sehr beeindruckt und von seinen lauteren Absichten überzeugt’, schickte den Butler hinauf in die zweite Etage. Ihrer Erinnerung nach hatte die rothaarige Dame sich nach einem gewissen Harry Lancing erkundigt.

„Mister Harry Lancing“, bestätigte Parker und nickte bedeutungsschwer, „es handelte sich wahrscheinlich um den Blinddarm, nicht wahr?“

„Um einen Lastwagen“, korrigierte ihn die immer noch beeindruckte Krankenschwester, „er wurde davon nämlich überrollt.“

„Nannte die Besucherin zufälligerweise ihren Namen?“ stellte der Butler seine nächste Frage.

„Jetzt muß ich leider passen“, gab die Schwester bedauernd zurück, „aber der Patient wird ihn ja wahrscheinlich kennen, finden Sie nicht auch, Sir?“

„Ein bemerkenswerter Schluß“, lobte der Butler die Dame hinter dem Auskunftstisch, „zwingender könnte Logik gar nicht sein. Nehmen Sie meinen allerherzlichsten Dank in Empfang!“

Sie errötete sanft und verfolgte den Butler mit ihren Blicken, nachdem sie ihm noch die Zimmernummer Harry Lancings genannt hatte.

Parker beeilte sich, diesem Mann seine Aufwartung zu machen. Er war sicher, auf einer wichtigen und heißen Spur zu sein. Als er dann wenige Minuten später im genannten Zimmer vor dem Bett des Patienten stand, schwand diese Sicherheit.

Harry Lancing war nämlich nicht mehr in der Lage, mit irgendwelchen Auskünften zu dienen. Er war tot und konnte nicht mehr reden.

*

Kathy Porter kam sich sehr hilflos vor.

Nach wie vor angeschnallt auf der Krankentrage, sah sie sich umgeben von etwa zwei Dutzend junger Damen, von denen sie schweigend angestarrt wurde. Diese schlanken Vertreterinnen ihres Geschlechts waren restlos entkleidet und nackt. Bis auf einige Ausnahmen, wie sie dann später entdeckte. Einige der Damen trugen knappe Höschen oder auch nur Schuhe.

Kathy machte sich erst gar nicht die Mühe, diesen Damen Fragen zu stellen, mit Antworten war ohnehin nicht zu rechnen. Die Damen waren Kunststoff-Mannequins, Schaufensterpuppen von aparter Schönheit Sie standen verteilt in dem großen Raum, in dem man Kathy Porter abgestellt hatte.

Schritte waren zu hören.

Kathy sah zu der Eisentür hinüber, durch die die beiden Träger verschwunden waren. Sie wurde jetzt geöffnet, die Träger kehrten zurück. In ihrer Begleitung befand sich ein mittelgroßer, rundlicher Mann von etwa vierzig Jahren, der bereits über eine beachtliche Tonsur verfügte. Sein Haar war oben auf dem Kopf mehr als stark gelichtet und bildete eine Glatze.

Dieser Mann blieb wie angewurzelt stehen, nachdem er auf Kathy einen schnellen und prüfenden Blick geworfen hatte. Dann wandte er sich an die beiden Träger.

„Ihr Idioten!“ Er sagte es in schneidendem Ton.

„Wieso denn?“ wollte der schlanke, junge Mann wissen, dessen Augen grünlich schimmerten.

„Das ist sie nicht!“

„Das ist Helen Winters“, behauptete der Mann im weißen Arztkittel nervös.

„Das ist sie nicht“, wiederholte der Dickliche entschieden. „Ihr hättet euch das Foto besser ansehen sollen.“

„Aber die roten Haare“, wehrte sich der junge Killer.

„Eben“, stieß der Dickliche wütend hervor, „nur daran habt ihr blöden Hunde euch gehalten. Seht zu, wie ihr das wieder hinbekommt!“

„Was denn?“ wollte die Arztimitation wissen.

„Wie ihr die Kleine wieder los werdet“, entschied der Dicke. „Ich rufe inzwischen den Boß an.“

„Moment mal, Melvin“, schaltete der junge Mann sich ein, „die können wir doch nicht wieder raus in den Verkehr schicken.“

„Genau das habe ich gerade gemeint“, entschied der Dickliche erneut nachdrücklich. „Packt sie meinetwegen in den Krankenwagen und stellt die Karre irgendwo ab! Aber mit ’ner Toten auf der Trage, habe ich mich jetzt genau genug ausgedrückt?“

Die beiden Killer sahen sich kurz an und nickten, während der Dickliche wieder das Feld räumte. Er schien ärgerlich zu sein, denn er schmetterte die Eisentür laut hinter sich ins Schloß.

Kathy Porter hatte sich absichtlich ruhig verhalten und wußte nun mit letzter Deutlichkeit, was man mit ihr plante. Sie war zu einer unbequemen Zeugin geworden und sollte aus dem Weg geräumt werden. Der von dem Dicklichen vorgeschlagene Mord schien den beiden Männern überhaupt nichts auszumachen.

Sie bauten sich neben der Trage auf, und sahen zu ihr hinunter. Kathy bückte zu ihnen empor, ängstlich, scheu wie ein Reh, bebend vor Angst. Sie konzentrierte sich instinktiv auf den jungen Mann, der sich nervös die Lippen leckte.

„Bitte“, sagte Kathy zu ihm und produzierte gekonnt einige dicke Tränen.

„Dein Pech, Hübsche“, erwiderte der junge Mann entschlossen.

„Ich werde Ihnen ewig dankbar sein“, behauptet Kathy und versuchte sich aufzurichten. Dabei bemühte sie sich, ihm ihre volle und feste Brust zu zeigen. Sie hoffte, daß er dieses Signal verstand.

„Man braucht ja nicht gerade alles zu überstürzen“, meinte der junge Mann beeindruckt und wandte sich an seinen Begleiter, der nur grinste. „Helen ist uns ohnehin durch die Lappen gegangen. Wir haben also reichlich Zeit.“

„Melvin wird vor Wut schäumen“, mahnte der Mann im weißen Arztkittel.

„Melvin kann mich mal“, brauste der junge Mann auf.

„Okay, ich geh’ zu ihm rüber“, sagte der ältere Mann im weißen Arztkittel. „Zehn Minuten müßten für ihre ewige Dankbarkeit wohl reichen, oder?“

„Ich geb’ dir ’ne Chance, Hübsche“, sagte der junge Mann, als er mit Kathy Porter allein war, „aber dafür erwarte ich was von dir, klar?“

„Alles!“, schluchzte Kathy.

Er beugte sich zu ihr hinunter und löste die stramm gezogenen, breiten Riemen, die ihre Unter- und Oberschenkel auf der schmalen Trage festhielten.

„Ich könnte Sie umarmen“, schlug Kathy vor. Sie schluchzte vor Dankbarkeit auf, war hilflos und wehrlos. Dicke Tränen schimmerten in ihren Augen.

„Tu’s doch“, sagte der Killer, der sich sicher fühlte und mit leichter Beute rechnete. Er schnallte den breiten Riemen los, der über Kathys Leib gespannt war, und löste die beiden schmäleren Riemen an ihren Handgelenken.

Kathy beging nun keineswegs den Fehler, sofort aktiv zu werden. Dazu waren ihre Glieder zu sehr abgestorben. Sie brauchte noch einige Minuten, bis sie tätig werden konnte.

Diese Minuten nutzte der Killer.

Er kam sofort nachdrücklich zur Sache, riß Kathys Büstenhalter von ihrem Oberkörper und warf sich auf sie. Er rechnete fest mit ihrer grenzenlosen Dankbarkeit und erlebte eine grausame Enttäuschung. Kathy hatte nämlich etwas dagegen, von ihm bedrängt zu werden und schätzte es überhaupt nicht, daß er nach ihren Brüsten griff und dann noch zudringlicher werden wollte. Zuerst umschlang sie ihn zwar mit ihren Armen und schien seine Nähe zu suchen, dann jedoch schlug sie mit beiden Handkanten kurz und energisch zu.

Der Killer blieb unbeweglich auf ihr liegen, zeigte aber kein Temperament mehr. Von einem plötzlichen Schlafbedürfnis erfaßt, sank er in einen Zustand, der einer echten Ohnmacht glich.

Kathy stieß den Killer von sich, richtete sich auf und suchte erst mal nach der Waffe des Mannes. Sie fand sie in seinem Schulterhalfter. Der Schalldämpfer war abgeschraubt worden und nicht zu entdecken, worüber Kathy aber nicht in Panik geriet. Hauptsache, die Waffe war geladen und schußbereit.

Sie hob horchend den Kopf und sah zur Tür hinüber, hinter der jetzt schnelle Schritte zu hören waren.

Die Arztimitation und der dickliche Mann kehrten zurück. Wahrscheinlich wollten sie das zärtliche Zusammensein empfindlich stören. Kathy schaute sich um, huschte dann hinüber zu den Schaufensterpuppen und ging hier erst mal in Deckung.

Eine Flucht zurück in die glasüberdachte Halle hätte zu viel Zeit gekostet und die Gangster nur animiert, aus allen Rohren auf sie zu schießen.

Die Eisentür öffnete sich, die beiden Männer stürmten herein, blieben kurz stehen und rannten dann auf den ohnmächtigen Killer zu, der seitlich neben der Trage lag.

„Das verdammte Miststück“, schimpfte der dickliche Melvin. „Los, Richie, lauf rüber in die Halle, weit kann sie noch nicht sein! Das Tor ist immerhin abgeschlossen.“

Der Mann im weißen Kittel rannte los, während Melvin sich um den jungen Killer kümmerte. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß sein Opfer sich noch in dem großen Raum aufhielt.

Kathy hätte keine Schwierigkeiten gehabt, den Dicklichen niederzuschießen. Er hockte neben der Trage und bot sich an wie auf einem Präsentierteller. Doch Kathy brachte es nicht über sich, die Waffe in ihrer Hand abzudrücken. Kaltblütiger Mord war nicht ihr Metier. Wenn es sein mußte, wußte sie sich zu verteidigen, das durchaus, aber hier brauchte sie einen Anlaß unmittelbarer Art.

Hinzu kam Richie, der jeden Augenblick wieder auftauchen konnte. Hörte er einen Schuß, wußte er mit Sicherheit, was sich hier abspielte. Dann war dieser Killer vorgewarnt und würde sich keine Blöße geben. Nein, Kathy entschloß sich, bis zur Rückkehr dieses Mann zu warten. Erst dann konnte sie etwas unternehmen.

Er kam sehr schnell zurück.

„Nicht zu sehen“, meldete er nervös.

„Die Kleine muß doch hier sein, Melvin.“

Während der Mann noch redete und seinen Verdacht äußerte, drehte er sich um und musterte die Schaufensterpuppen. Sie sahen ihn schweigend an, unbeteiligt und graziös aussehend. Sie hatten ihre Arme angewinkelt und posierten auf eine unwirkliche Art und Weise.

Kathy posierte übrigens mit.

Den Arm mit der Schußwaffe auf den Rücken gedreht, hatte sie die linke Hand vorgestreckt, den rechten Fuß elegant vorgeschoben. Sie war von den leblosen Schaufensterpuppen einfach nicht zu unterscheiden. Was für die biegsame Schlankheit und Grazie ihrer Körperlinien sprach. Sie hatte nur Angst, daß ihre Brust sie verraten würde, selbst wenn sie die Atmung für einige Sekunden einstellte. Da waren doch ein paar sehr ausgeprägte Unterschiede. Sie konnte nur hoffen, daß die beiden Gangster nicht zu schnell stutzig wurden.

*

„Die Todesursache des Mister Harry Lancing, Mylady, ließ sich aus Zeitgründen leider nicht eruieren“, berichtete der Butler, als er wieder vor seiner Herrin stand. „Ich nahm mir allerdings die Freiheit, ein wenig in den Habseligkeiten des Verblichenen zu suchen.“

„Ich will doch sehr hoffen, daß Sie etwas gefunden haben, Mister Parker.“

„Mylady könnten in etwa zwanzig Minuten in der Wohnung des verstorbenen Mister Lancing sein. Seine Adresse ist mir bekannt.“

„Und was sollen wir dort? Worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Haben Sie vergessen, daß Kathy entführt worden ist?“

„Keineswegs, Mylady“, gab der Butler gemessen zurück und öffnete den hinteren Wagenschlag, damit Lady Simpson einsteigen konnte, „aber der erwähnte und verblichene Mister Lancing ist im Moment die einzig greifbare Spur, die ich Mylady anbieten kann. Einzelheiten werde ich Mylady während der Fahrt unterbreiten.“

Was der Butler dann auch ausreichend besorgte, während er sein hochbeiniges Monstrum durch die City bugsierte. Parker berichtete seiner kriegerischen Chefin von der Doppelgängerin Kathy Porters, von deren Besuch bei Harry Lancing, und gab seiner Vermutung Ausdruck, Kathy sei statt dieser anderen, rothaarigen Dame entführt worden.

„Dann ist Harry Lancing von den beiden Kidnappern ermordet worden“, entschied Lady Agatha mit letzter Sicherheit. „Ich spüre das in meinen Fingerspitzen, Mister Parker.“

„Sehr wohl, Mylady.“ Parker vertrat ebenfalls diese Ansicht, ließ sich darüber aber nicht weiter aus, um Myladys Phantasie nicht unnötig anzuheizen.

„Ein sehr guter Anfang für meinen nächsten Kriminalroman“, stellte Agatha Simpson fest. „Merken Sie sich die Einzelheiten, Mister Parker!“

„Sehr wohl, Mylady“, gab Parker zurück und unterdrückte einen Seufzer.

Die schriftstellernde Detektivin hatte ihren ersten Roman noch nicht verkauft, aber schon dachte sie an den zweiten. Sie schien ihr jüngstes Hobby sehr ernst zu nehmen. Und was das bedeutete, hatte Parker bereits erfahren. Das Haus der Lady Simpson in Shepherd’s Market glich seit einigen Wochen einer Zweigstelle der kommunalen Bücherei. Die Hausherrin hatte sich tonnenweise Fach- und Sachliteratur ins Haus kommen lassen und dachte nicht im Traum daran, diese Bücher zu lesen. Das übertrug sie ihrem Butler, den sie übrigens stets mit Mister Parker anredete. Ihr tiefer Respekt vor den Fähigkeiten ihres Butlers ließ keine andere Anrede zu.

„Haben Sie schon eine Vorstellung, um was es in diesem Fall gehen könnte?“ fragte sie über die Bordsprechanlage nach vorn.

„Ich bedaure, Mylady, verneinen zu müssen.“

„Sehr enttäuschend, Mister Parker“, grollte die ältere Dame. „Warum ermordet man einen Patienten im Krankenhaus und entführt seine Besucherin? Kathy war ja für die beiden Strolche nur ein Mißgriff.“

„Hoffentlich, Mylady, wenn ich es so ausdrücken darf, hoffentlich hat Kathy Porter sich inzwischen tatsächlich als ein arger Mißgriff für die beiden Gangster herausgestellt.“

„Lenken Sie nicht vom Thema ab“, erwiderte sie grimmig. „Warum könnten die beiden Killer gemordet und entführt haben? Rauschgift?“

„Ein Motiv, Mylady, das für eine Ermordung stark genug sein dürfte. Falls es sich um Mord handelt.“

„Mord oder nicht, Mister Parker, die Entführung bleibt. Hören wir, was Kathy zu sagen hat“, meinte Lady Simpson, als sei es für sie selbstverständlich, daß ihre Gesellschafterin und Sekretärin es wieder mal schaffen würde, sich ihrer Haut zu wehren. „Wohin fahren wir eigentlich, Mister Parker?“

„In die Lambeth Road, Mylady. Der verblichene Mister Lancing betrieb dort nach seinen Papieren, die ich vorfand, eine kleine Zoohandlung.“

„Sehr interessant“, gab Lady Agatha zurück, wobei ihre Stimme allerdings leicht enttäuscht klang. „Eine Tierhandlung, also?“

„In der Tat, Mylady.“

„Finden Sie wirklich, Mister Parker?“ wunderte sich Lady Agatha. „Was könnte man als Schriftsteller daraus machen?“

„Ich würde mich niemals erfrechen, Mylady, mit Vorschlägen aufzuwarten, dazu reicht meine bescheidene Vorstellungskraft nicht aus.“

„Das stimmt allerdings“, räumte Lady Agatha selbstzufrieden ein. „Ich glaube, daß diese Tierhandlung die Zentrale einer Gangsterorganisation ist. Wie finden Sie das?“

„Bemerkenswert, Mylady.“

„Nicht wahr?“ Agatha Simpson nickte zufrieden. „Und dort werden wir auch Kathy finden. Mein Gefühl sagt mir das deutlich. Als Schriftstellerin hat man eben eine bestimmte Sensibilität, aber davon verstehen Sie ja nichts.“

„Wie Mylady meinen“, murmelte der Butler und hoffte, daß Lady Agathas Optimismus sich erfüllte. Er sorgte sich nämlich um Kathy Porter und war keineswegs der Ansicht, sie in der Tierhandlung zu finden.

*

Der dickliche Gangster Melvin hatte zur Kenntnis genommen, daß sein Opfer sich noch im Raum befand. Er blickte hinüber zu den Schaufensterpuppen und hatte eine Eingebung.

„War die Kleine nicht so gut wie nackt?“ fragte er Richie, den Killer im weißen Arztkittel.

„Klar, war sie.“

„Dann muß sie dort sein, Richie, sieh’ nach!“ Er deutete auf die Mannequins aus Kunststoff und lächelte verkniffen.

„Klar, das ist es, Melvin“, sagte Richie, „genau das ist es!“

Er näherte sich den Schaufensterpuppen und begann mit seiner Inspektion, die er sich recht einfach machte. Er ging die lebensgroßen Puppen der Reihe nach ab und faßte an ihre Brüste. Dabei lächelte er.

Kathy hatte den richtigen Moment verpaßt, zum Angriff überzugehen. Melvin sah zu ihr herüber. Sie wagte kaum zu atmen und hatte das Gefühl, bereits durchschaut worden zu sein. Der Gangster wollte mit ihr nur Katz’ und Maus spielen.

Dennoch steckte sie nicht auf. Da war immer noch ein Funke Hoffnung, obwohl Richie bereits die erste Reihe der Schaufensterpuppen abgetastet hatte. Er näherte sich der zweiten Reihe, hinter der Kathy stand.

„Ich komm’ mir vor wie in ’nem Harem“, rief Richie seinem Partner Melvin zu. Er stand vor einer Puppe, tätschelte deren Brüste und Po und arbeitete sich dann weiter durch die Reihe. Er schien diese Suche auf die leichte Schulter zu nehmen. Wahrscheinlich traute er der entführten jungen Dame nicht viel an Gegenwehr zu. Beide Gangster hatten bisher übersehen, daß der noch immer ohnmächtige junge Killer keine Waffe mehr besaß.

Kathy wurde es heiß und kalt unter der nackten Haut, als Richie mit ihrer Reihe begann.

Sie verdrehte die Augen nach oben zur Decke und hörte das Näherkommen seiner Schritte, dann seinen schnaufenden Atem. Er war nur noch wenige Puppen von ihr entfernt. Kathy konzentrierte sich auf ihre Pose, stellte die Atmung ein und wurde starr wie eine Statue. In den nächsten Sekunden mußte es zum Kontakt kommen.

Er stand seitlich neben ihr, streckte seine Hand nach ihrer nackten Brust aus und … nahm dann den Kopf herum. Sein junger Partner war gerade zu sich gekommen und hatte sich aufgerichtet. Dieses Geräusch hatte Richie abgelenkt.

Kathy fackelte nicht lange.

Sie schlug blitzschnell mit dem Lauf der Schußwaffe zu, traf die Schläfe des Gangsters und erstarrte dann wieder zur Unbeweglichkeit. Richie fiel zur Seite, stöhnte auf und rammte die erste Schaufensterpuppe, die prompt umkippte.

Eine Kettenreaktion setzte ein.

Die erste Puppe brachte die nächste aus dem Gleichgewicht. Und diese wiederum die beiden anderen rechts von ihr. Zuerst geschah das in einer Art Zeitlupentempo, doch dann kippten die künstlichen Mannequins reihenweise um und landeten krachend auf dem Boden.

Der dickliche Melvin war zur Seite gesprungen und starrte auf den Massensturz der künstlichen Damen, war sichtlich irritiert und vermißte seinen Freund Richie, der unter einigen Mannequins lag und sich verständlicherweise nicht rührte.

Kathy schwitzte Blut und Wasser.

Richie hatte ungewollt all jene Puppen niedergestreckt, die ihr eine Art Sichtschutz gewährt hatten. Nun war sie den Blicken des Gangsters ausgeliefert, der seine Waffe – einen kurzläufigen Revolver – schußbereit in der linken Hand hielt. Die Augen des Gangsters blieben an ihr haften, Kathy fühlte sich durchschaut und erwartete, daß der Mann abdrückte.

Sie behielt die Nerven, zuckte mit keiner Wimper, hielt ihre Position durch und ließ es darauf ankommen.

Melvin marschierte um die gefallenen Mädchen herum und näherte sich Kathy. Er mußte sie erkannt haben, ein böses und auch erwartungsvolles Lächeln umspielte seine vollen Lippen. Zudem hob er die Schußwaffe Zentimeter um Zentimeter und richtete den kurzen Lauf auf ihren Leib. Kathy durfte ihn nicht direkt ansehen, zu ihrer Pose gehörte es, die Decke wie hypnotisiert anzustarren.

„Steck’ endlich auf, Süße“, sagte Melvin und kam immer näher. „Ich hab’ dich erkannt.“

Er stand jetzt knapp vor ihr und streckte seine freie Hand nach ihrer Brust aus.

Kathy hatte noch mal vorsichtig eingeatmet, hielt dann die Luft an und brauchte noch einige wertvolle Sekunden, um ihren Plan durchzuführen.

Die schwitzende Hand des Gangsters legte sich auf ihre Brust. Jetzt mußte der Mann wissen, daß er es mit einer sehr lebendigen Frau zu tun hatte.

Genau in diesem Moment trat Kathy geschickt nach hinten aus, ohne dabei ihre Position aufzugeben. Durchtrainiert wie sie war, schaffte sie es.

Ihr Fuß traf eine hinter ihr aufgestellte Schaufensterpuppe, die sofort umkippte.

Das irritierte den dicklichen Gangster.

Er fühlte sich überlistet, sprang zur Seite und sah auf die umstürzende Puppe.

Kathy war plötzlich nicht mehr das sanfte und scheue Reh. Sie warf sich zur Seite, entging einem Schuß und schlug mit ihrem hochschnellenden Fuß unter den Arm des Mannes, der daraufhin die Waffe verlor.

Melvin brüllte vor Wut auf, stürzte sich auf Kathy, hechtete förmlich auf sie und landete auf dem Boden. Kathy hatte sich blitzschnell seitlich weggerollt und verlor dabei leider ihre Beutewaffe. Sie hielt sich nicht mit der Suche nach dieser Waffe auf, sondern ergriff eine Schaufensterpuppe und benutzte sie als Schlaginstrument.

Als Melvin wieder hochkam, landete sie ihren ersten Treffer.

Es kam zu einem intensiven Kuß. Die Puppe berührte mit ihren harten Kunststofflippen den vollen Mund des Mannes, der diesem Kuß nicht gewachsen war. Melvin heulte auf, faßte nach dem schmerzenden Mund, sackte zurück und kassierte den nächsten Treffer.

Kathy legte ihm die Puppe vor die Brust. Melvin keuchte, schnappte nach Luft, rutschte zurück auf den Boden und wurde dann von der Puppe innig umarmt. Kathy hatte dafür gesorgt und setzte den Gangster endgültig außer Gefecht. Melvin blieb ruhig auf dem Boden liegen.

Dafür schaltete sich jetzt der junge Gangster ein. Gewiß, er verfügte nicht über eine Schußwaffe, aber er war erfahren in der Kunst des Karate, wie sich zeigte. Er sprang über einige gefallene Mädchen und ging sofort zum Angriff über. Mit angewinkelten und vorgestreckten Armen pirschte er sich an Kathy heran. Seine grünlich schimmernden Augen bestanden nur noch aus Haß und Vernichtungswillen.

Kathy brachte sich erst mal in Sicherheit und flüchtete zurück zu den noch stehenden Puppen.

Der junge Gangster war dicht hinter ihr, hechtete sich auf sie und landete zwischen einigen Mannequins, die von Kathy umgeworfen worden waren. Der Mann verhedderte sich in Beinen und Armen aus Kunststoff, verlor ein wenig die Übersicht und war frustriert, als er plötzlich einen einsamen Frauenkopf in Händen hielt. Dieser Kopf hatte sich vom Rumpf einer Kunststoffdame gelöst.

Kathy hatte bereits die Tür erreicht, durch die Melvin gekommen war.

Sie riß sie auf, donnerte sie hinter sich zu und entdeckte den Schlüssel im Schloß.

Sie schaffte es in letzter Sekunde.

Als auf der anderen Seite der Tür die Klinke heruntergeschmettert wurde, war die Tür gesichert. Der Mann rammte in hilfloser Wut gegen das Eisenblech, vermochte jedoch nichts auszurichten. Kathy orientierte sich und rannte dann durch einen langen Gang, der vor einer Betontreppe endete.

Sie hastete über die Stufen nach oben und stand in einer großen Halle, die mit Kisten vollgestopft war. Zögernd ging sie weiter, unsicher, welchen Weg sie wählen sollte. Sie rechnete mit neuen Überraschungen und sollte prompt auf ihre Rechnung kommen.

Sie fand eine Tür, öffnete sie zögernd und trat hinaus auf einen Dachgarten.

Irritiert fuhr sie herum, als Sekunden später ein begeistertes Pfeifen zu hören war.

Nur einen Sprung vom Rand des Dachgartens entfernt befand sich ein Baugerüst, auf dem Anstreicher standen, die mit Sandstrahlgebläsen eine Fassade säuberten.

Die Arbeiter waren mit der unverhofften Abwechslung durchaus einverstanden, denn Kathy sah in ihrer mehr als sparsamen Bekleidung attraktiv und einladend aus. Die Männer winkten ihr und hatten berechtigten Spaß an dieser unverhofften Einlage.

Kathy zögerte nicht lange, winkte zurück und deutete auf eine der vielen Bohlen, die auf dem Gerüst lagen.

Zwei Arbeiter verstanden augenblicklich, packten die Bohle und schoben sie vom Gerüst aus hinüber auf den Rand des Dachgartens. Kathy breitete die Arme aus, balancierte sich aus und schritt dann über die Bohle hinüber auf das Baugerüst. Dabei vermied sie es, hinunter in den schmalen Innenhof zu sehen. Es interessierte sie überhaupt nicht, wie tief dieser Hof war.

„Wie kommt denn dieser Glanz in unsere Hütte?“, fragte einer der stämmigen Bauarbeiter, als Kathy das Gerüst erreichte. Er maß sie ungeniert mit seinen Blicken und zwinkerte ihr zu. Es war ein freundliches Zwinkern ohne Hintergedanken.

„Ich glaube, ich habe mich verlaufen“, sagte Kathy ausweichend.

„Macht ja nichts“, meinte ein zweiter Bauarbeiter. „Wenn du willst, bringen wir dich auf den rechten Weg zurück.“

„Aber nur, wenn du willst“, sagte der erste Bauarbeiter schnell. „Tu’ deinen Gefühlen bloß keinen Zwang an!“

*

Die Tür zur Tierhandlung war verschlossen.

Josuah Parker hatte keine Bedenken, sein kleines Spezialbesteck zu bemühen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das einfache Schloß den Widerstand aufgab. Parker öffnete die Tür und fuhr zurück, als ohrenbetäubendes Schnattern und Krächzen ihm entgegenschlug.

„Worauf warten Sie noch, Mister Parker?“ raunzte Agatha Simpson ihren Butler an.

„Vielleicht möchten Mylady den Vortritt haben“, fragte Josuah Parker höflich.

„Kommen Sie!“ Die Detektivin fürchtete sich nicht, schob den Butler recht resolut zur Seite und betrat den Laden. Das ohrenbetäubende Kreischen schien sie überhaupt nicht zu stören.

Es handelte sich um ein gutes Dutzend großer und kleiner Papageien, die auf Querstangen hockten und Protest einlegten.

„Ruhe!“ donnerte Lady Simpson mit ihrer Feldwebelstimme. Und das Wunder geschah! Die Papageien hielten sofort den Mund, beziehungsweise ihre Schnäbel, legten ihre Köpfe schief und sahen die Frau beeindruckt an. Eine Lautstärke dieser Art kannten sie nicht.

Parker war nachgekommen, schloß die Ladentür und schaute sich interessiert um.

Abgesehen von den Papageien und anderen exotischen Vögeln, die in großen und kleinen Käfigen gehalten wurden, gab es Aquarien, Terrarien und Regale, die mit Futtermitteln und Kleinbedarf für Tierfreunde vollgepackt waren.

„Sehr geheimnisvoll“, stellte Lady Agatha ohne jede Überzeugung fest und wirkte ein wenig ratlos. Sie sah fragend zu ihrem Butler hinüber und schien von ihm einen Tip zu erwarten, doch Josuah Parker nahm sich Zeit, sah sich alles sehr eingehend an und blieb schließlich vor einer Sonderabteilung stehen. In einer Ecke der Tierhandlung waren afrikanische Masken ausgestellt, Speere, Töpferwaren und Flechtwerk aller Art.

Einige dieser Masken sahen sehr unheimlich und sogar abstoßend aus. Die in Holz geschnitzten Fratzen waren übersät mit kleinen weißen Muscheln, die den Masken ein pokennarbiges Aussehen verliehen. Passend zu dieser Abteilung waren die kleinen Äffchen, die in einem großen Käfig gehalten wurden. Die Tierchen machten einen verängstigten Eindruck. Ganz im Gegensatz übrigens zu den Kleinechsen und Schlangen, die in zwei Terrarien ihr Dasein fristeten.

„Sehr geheimnisvoll“, stellte Lady Agatha sicherheitshalber noch mal fest, diesmal aber mit wesentlich lauterer Stimme.

„Billiger Tand, Mylady“, erwiderte der Butler und wies auf die Masken, Flecht- und Töpferwaren. „Massenproduktion der einfachsten Sorte.“

„Scheint aber gekauft zu werden, Mister Parker, sonst hätte dieser Harry Lancing das Zeug nicht ausgestellt.“

„Wenn Mylady meine bescheidene Wenigkeit einen Moment entschuldigen würden“, bat Parker und drückte vorsichtig die Tür zu einem Hinterraum auf. Er sah in ein kleines Büro, hinter dem sich ein Vorratslager befand.

Der verstorbene Harry Lancing schien sich tatsächlich auf afrikanischen Massentand spezialisiert zu haben. Auch hier lagen auf einfachen Stellagen Masken aller Art, muschelübersät, abstoßend und unheimlich. Es handelte sich um sehr viele Masken, wie Parker herausfand. Die Nachfrage danach mußte ungewöhnlich sein. Vielleicht aber hatte Lancing damit auch eine Art Großhandel betrieben. Doch das mußte sich feststellen lassen.

Josuah Parker ging zurück in das kleine Büro. Lady Agatha hatte auf einem Stuhl Platz genommen und wirkte sehr mißmutig. Sie hatte sich von diesem Besuch augenscheinlich mehr versprochen. Sie war von ihrer Sensibilität enttäuscht worden. Von Kathy war weit und breit nichts zu sehen, obwohl sie laut ihrer Theorie hier sein mußte.

„Mylady dürften sicher schon bemerkt haben, daß die Geschäftsunterlagen verschwunden sind“, sagte Parker und deutete auf die leeren Aktenregale.

„Natürlich“, grollte sie gereizt, „ich bin ja nicht blind, Mister Parker.“

Sie hatte überhaupt nichts bemerkt, wollte sich aber keine Blöße geben, stand auf und besichtigte die Regale, auf die ihr Butler deutete. An Staubspuren war zu erkennen, daß hier Aktenordner gestanden haben mußten. Auf dem einfachen Schreibtisch fehlten zudem Rechnungen oder Quittungen, Notizen oder Bestellungen. Hier war einwandfrei sehr gründlich abgeräumt worden.

Auch die Seitenfächer und Schubladen des Schreibtisches waren leer bis auf ein paar Heftklammern.

Agatha Simpson wollte gerade etwas sagen, als Parker warnend den Arm hob und hinüber in das Ladenlokal deutete.

Jetzt hörte auch Lady Agatha Schritte.

Erleichtert seufzte sie auf und fingerte nach ihrem Pompadour, in dem sich ihr Glücksbringer befand, ein echtes Hufeisen, mit dem sie ausgewachsene Ochsen zu fällen vermochte. Ein bereits glückliches Lächeln verklärte das Gesicht der kriegerischen Dame. Sie hoffte auf einen Zwischenfall, den sie die ganze Zeit über so schmerzlich vermißt hatte. Lady Agatha huschte seitlich zur Tür und baute sich hier erwartungsvoll auf.

Sie sehnte sich geradezu nach Gangstern.

Die Schritte näherten sich der Tür zum Büro, verharrten, waren dann wieder zu hören und kamen noch näher.

Die nur halb geöffnete Tür quietschte in den Angeln, als sie vollends aufgestoßen wurde.

Die Detektivin hatte ihren perlenbestickten Pompadour bereits erhoben, um ihn auf den Eintretenden niederdonnern zu lassen. Ihre Augen funkelten vor Freude. Sie schien doch noch auf ihre Kosten zu kommen!

Sekunden später erschien der von Lady Agatha so sehnsüchtig erwartete Gangster.

Es handelte sich um einen Jungen von etwa zehn Jahren, der eine Schildkröte in der Hand hielt und neugierig ins Büro schaute.

*

Kathy Porter fühlte sich sehr wohl.

Sie saß in der Baubude der Arbeiter und ließ sich nach allen Regeln der Kunst verwöhnen. Die Männer kümmerten sich intensiv um die langbeinige junge Frau und hatten ihr selbstverständlich Kleidung zur Verfügung gestellt.

Kathy trug einen mehr als knapp sitzenden Overall, der ihre Brust nur unvollkommen bedeckte, was die Männer nicht ungern sahen. Sie hatten sich um sie geschart und wollten wissen, wer sie herumgehetzt hatte.

Kathy war vorsichtig und sagte nicht die ganze Wahrheit. Sie gab sich als Mannequin aus, das sich auf eine Zeitungsannonce hin gemeldet habe.

„Man sucht ein Modell für Schaufensterpuppen“, schwindelte sie, „und dann geriet ich an diese schrecklichen Typen da drüben im Haus. Was die wollten, können Sie sich ja vorstellen.“

Und ob sie das konnten! Sie hatten Kathy ja vor sich und genossen ihre Figur und ihren Charme.

„Es war schrecklich“, erinnerte sich Kathy gekonnt und senkte züchtig die Augen. „Sie rissen mir die Kleider vom Leib und wurden zudringlich. Ich konnte mich gerade noch im letzten Moment retten. Und wenn Sie nicht gewesen wären, ich weiß nicht, was die mit mir gemacht hätten.“

Die Arbeiter, die Kathy mit Brandy und Bier erfrischten, kamen schnell zu dem Schluß, diesen elenden Burschen eine Lektion zu erteilen. Sie schauten sich bereits nach handlichen Schlaginstrumenten um.

„Wer wohnt denn nun wirklich drüben in dem Haus?“ lenkte Kathy sie schleunigst mit ihrer Frage ab.

„Das is’ ’n Lagerhaus von irgendeinem Supermarkt“, hörte Kathy die erste Version.

„Supermarkt? Nee, das ist ein Lager von einem Warenhaus in der City“, bekam sie danach zu hören. „Harrod’s heißt das Kaufhaus, weiß ich ganz genau. Ich hab’ vor ein paar Monaten da mal gearbeitet.“

„Sind Sie sicher? Harrod’s?“ Kathy staunte, denn dieser Name hatte einen guten Klang. Sie kannte das Unternehmen, in dem es von Lebensmitteln bis zum Einfamilienhaus alles zu kaufen gab. Dieses Warenhaus konnte ihrer Ansicht nach niemals der Deckmantel für irgendwelche Gangstergeschäfte sein.

Die Arbeiter hatten sich inzwischen verständigt und wollten mit den Sittenstrolchen, von denen Kathy ausgiebig berichtet hatte, abrechnen. Sie waren nicht mehr zu halten. Fünf Männer, mit Schraubenschlüsseln und Rohrteilen bewaffnet, machten sich sofort auf den Weg, um die Ehre ihres Gastes zu rächen. Kathy dachte an die Schußwaffen der Gangster und versuchte die Männer zu stoppen, doch sie konnte ihre Kampfeslust nicht mehr bremsen. Sie verließen die Baubude und erschienen kurz danach oben auf der Planke und stürmten den Dachgarten. Dann konnte Kathy sie nicht mehr sehen.

Sie kamen schneller zurück als erwartet, erfreulicherweise unversehrt. Kathy ahnte, was passiert war.

„Ausgeflogen“, berichtete der stämmige Anführer des Stroßtrupps enttäuscht, „weit und breit von den Kerlen nichts zu sehen. Wir hätten uns früher auf die Socken machen sollen.“

„Der ganze Laden ist leer“, sagte ein zweiter Mann verärgert, „nichts als Kisten und Schaufensterpuppen.“

„Das Lager gehört zu Harrod’s Warenhaus“, sagte der Anführer. „Ich hab’ mich da drüben in ein paar Räumen mal umgesehen. Vielleicht sollten wir die Polizei verständigen.“

„Lieber nicht“, erwiderte Kathy schnell, die an einen gewissen Chefinspektor Sounders dachte, „mein Bedarf an Aufregungen ist gedeckt. Hauptsache, ich bin den Kerlen gerade noch entwischt. Wenn Sie mir jetzt ein Taxi besorgen könnten, wäre alles in bester Ordnung.“

Sie wollten sie natürlich noch nicht gehen lassen. Kathy mußte noch einige ordentliche Drinks zu sich nehmen, bevor sie endlich in einem Taxi saß. Sie merkte, daß sie einen leichten bis mittelschweren Schwips hatte, und fühlte sich sehr wohl und war gespannt, was Mister Parker und Lady Agatha zu ihrem aufregenden Abenteuer zu sagen hatten. Leider merkte sie nicht, daß ihr Taxi beschattet wurde.

Der Alkohol hatte ihre sonstige Vorsicht nachhaltig gedämpft.

*

„Wo sie aussteigt, wird sie ja auch wohl wohnen“, sagte der dickliche Melvin. Er saß neben dem schlanken Killer, der den Morris steuerte. Auf dem Hintersitz befand sich Richie, der sich den weißen Arztkittel längst abgestreift hatte.

„Und dann?“ wollte Richie wissen.

„Die Kleine weiß zu viel“, stellte Melvin fest. „Die ziehen wir aus dem Verkehr.“

„Unbedingt“, sagte Paul, der junge Killer. „Das Biest hat’s faustdick hinter den Ohren.“

„Die hat sich wie’n Profi benommen“, erinnerte sich Melvin. „Wir müssen wissen, wer sie ist.“

„Müssen wir nicht endlich den Chef informieren?“ fragte Paul.

„Sobald wir wissen, wer die Frau ist, Paul“, pflichtete Melvin dem Killer bei, „danach wird der Chef uns in jedem Fall fragen.“

„Erst schießen, dann fragen“, schlug Richie vor. „Ich weiß schon jetzt, daß sie uns Ärger machen wird.“

„Wohl wahnsinnig geworden, wie?“ Melvin drehte sich zu seinem Partner um und maß ihn mit verächtlichem Blick. „Als ob wir nicht schon genug Blödsinn gemacht hätten.“

„Halt dich an Paul, nicht an mich“, widersprach Richie, „er hat schließlich das kleine Biest im Spital abgefangen.“

„Hast du nicht mitgemacht?“ wehrte sich Paul ärgerlich. „Du hast sie doch unten im Keller betäubt. Warum hast denn du nichts gemerkt, du Wunderknabe?“

„Streiten könnt ihr euch immer noch“, dämpfte Melvin die Auseinandersetzung. „Hauptsache, wir fangen die Kleine wieder ein.“

„Während Helen Winters längst über alle Berge ist“, meckerte Richie weiter.

„Auch die bekommen wir noch“, sagte Melvin optimistisch. „Achtung, Paul, ich glaube, wir sind soweit.“

Das Taxi befand sich bereits in Shepherd’s Market und bog in einem kleinen quadratischen Platz ein, der von ehrwürdigen Fachwerkhäusern umsäumt war, und hielt dann vor einem besonders schönen und alten Haus.

Das Opfer der drei Killer stieg aus, redete kurz mit dem Taxifahrer und ging dann zur Haustür.

„Jetzt können wir sie abknipsen“, sagte Paul eifrig, „die steht wie auf ’nem Schießstand.“

„Finger weg von den Kanonen, ihr Idioten“, fuhr Melvin die beiden Killer an. „Fahr doch weiter, Paul, sie schöpft sonst Verdacht!“

„Wieso wohnt die Puppe in solch ’ner Bleibe?“ wunderte sich Richie ehrlich. „Dahinter scheint ’ne Menge Kies zu sein.“

Paul gab vorsichtig Gas und fuhr langsam weiter. Richie verrenkte sich fast den Kopf, bis er nichts mehr sah.

„Stop“, kommandierte Melvin, „sobald das Taxi abgehauen ist, fahren wir zurück, du kannst schon mal wenden, Paul.“

Es dauerte nur wenige Minuten, bis das Taxi wieder auf der Hauptstraße erschien. Paul setzte den Morris in Bewegung, bog in den kleinen Platz ein und hielt vor einem der Häuser. Von hier aus beobachteten die Gangster das altehrwürdige Haus, vor dessen Tür Kathy gestanden hatte.

Sie war nicht mehr zu sehen.

„Sie ist auf keinen Fall allein in der Bude“, mutmaßte Melvin, der Kopf der drei Gangster, „’n Schlüssel hat sie ja schließlich nicht bei sich gehabt.“

„Nee, bestimmt nicht“, kicherte Paul in Erinnerung an den nackten Körper der jungen Frau.

„Was kann uns schon passieren?“ meinte Richie, „steigen wir endlich aus und räumen wir auf. Wißt ihr, wie lange der Chef schon auf Nachricht wartet?“

„Uns kann eine ganze Menge passieren, wenn wir jetzt Blödsinn machen“, überlegte Melvin laut und schüttelte dann nachdrücklich den Kopf. „Daß die Kleine hier in Shepherd’s Market wohnt, ändert die Lage. Wir sprechen erst mal mit dem Chef. Zurück zur nächsten Telefonzelle, Paul!“

„Wir hätten sie noch vor der Tür umlegen sollen“, ärgerte sich der junge Killer. „War ’ne einmalige Gelegenheit.“

„Mach schon, Paul!“ Melvin beknabberte den Fingernagel des linken kleinen Fingers und dachte nach. Er wollte die Verantwortung nicht mehr allein tragen. Der Fall war ihm aus dem Ruder gelaufen.

„Wollen wir denn nicht wenigstens feststellen, wer in dem Bau wohnt?“ ließ Richie sich vernehmen.

„Steig aus und sieh nach, Richie“, befahl Melvin, „komm aber sofort wieder zurück und unternimm bloß nichts auf eigene Faust!“

Richie verließ den Wagen und schlenderte betont unauffällig zu dem großen Fachwerkhaus. Als er die Haustür erreicht hatte, studierte er das Namensschild unter dem Klingelknopf. Er wußte nicht, daß er zu diesem Zeitpunkt bereits beobachtet wurde.

*

Der Junge war überglücklich.

Parker hatte ihm noch einige Hamster, Schildkröten und ein Meerschweinchen geschenkt, denn die Auskünfte des kleinen Mannes hatten sich als sehr wertvoll erwiesen. Durch ihn hatten Lady Agatha und Josuah Parker von einer gewissen Helen Winters erfahren, die ganz in der Nähe wohnte. Aufschlußreich in diesem Zusammenhang war die Tatsache, daß diese Helen Winters rothaarig war. Eine gezielte Frage danach war von dem Jungen einwandfrei und positiv beantwortet worden.

Parker war ein korrekter Mensch.

Er legte den Gegenwert der geschenkten Tiere in Banknoten auf den Tisch und übersah das Kopfschütteln von Mylady, die das für unnötig hielt.

„Somit dürfte die Existenz von Miß Kathys Doppelgängerin gesichert sein, Mylady“, sagte Parker.

„Sehen wir uns diese Helen Winters an“, forderte Agatha Simpson energisch. „Aber bringt uns das im Moment überhaupt weiter?“

„Sicher nicht, Mylady“, räumte der Butler gemessen ein. „Miß Winters dürfte längst das sein, was man über alle Berge nennt, wenn ich mich so vulgär ausdrücken darf. Da sie entführt werden sollte, ist zu vermuten, daß sie in Dinge verwickelt ist, von deren Gefährlichkeit sie weiß. Daraus wieder ergibt sich der Schluß, Mylady, daß Miß Winters sich auf keinen Fall’ in ihrer Wohnung aufhält.“

„Wir suchen Kathy, Mister Parker, nicht diese Winters! Und sagen Sie mir endlich, wo wir Kathy finden können. Das arme Ding befindet sich wahrscheinlich in Lebensgefahr.“

„Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ratlos.“

„Dann werde ich jetzt mal die Dinge in die Hand nehmen“, entschied Agatha Simpson energisch. „Hier muß es doch Kellerräume geben. Inspizieren wir sie, Mister Parker. Sie wird wahrscheinlich in einem gräßlichen Loch festgehalten.“

Parker suchte und fand den Zugang. Von dem kleinen Lager aus führte eine schmale Treppe hinunter in zwei Kellerräume, die zimmergroß waren und keineswegs geheimnisvoll wirkten. Es waren auf keinen Fall gräßliche Löcher, wie Mylady vermutet hatte. Durch breite Schächte fiel Licht in die Räume, deren Wände ebenfalls mit Stellagen bedeckt waren. Auch hier stapelte sich billiger, afrikanischer Tand in Massen. Vorherrschend waren erstaunlicherweise wieder die Dämonenmasken, die mit einer Unzahl weißer kleiner Muscheln übersät waren.

Diese Muscheln schienen selbst den Besitzer der Tierhandlung gestört zu haben. In einer Ecke des zweiten Kellers entdeckte der Butler einen kleinen Berg abgelöster Muscheln, die teilweise zerbrochen oder zertreten waren. Die muschellosen Masken lagen gestapelt in einer anderen Ecke.

Mylady hatte es sich in den Kopf gesetzt, Kathy Porter hier zu finden. Verbissen klopfte sie alle erreichbaren Kellerwände nach Hohlräumen oder versteckten Geheimtüren ab. Dazu benutzte sie ihren Pompadour und den darin befindlichen Glücksbringer.

„Sehr enttäuschend“, meinte sie schließlich grimmig. „Sehen wir uns also die Wohnung dieser Maskenliebhaber an, Mister Parker. Ich weiß, daß Kathy ganz in der Nähe ist, ich spüre es.“

„Sehr wohl, Mylady“, gab der Butler höflich zurück und hütete sich zu widersprechen. Seiner Ansicht nach wurde Kathy leider nicht in diesem Haus festgehalten. So einfach war dieser Fall nicht. Hier schien es um wichtige Dinge zu gehen, die möglicherweise sogar schon einen Mord ausgelöst hatten. Er dachte in diesem Zusammenhang an Harry Lancing im Spital.

Lancings Wohnung bestand aus zwei Räumen und einer kleinen Pantry. Lady Agatha und Butler Parker erreichten sie auf dem Umweg über das Treppenhaus und sahen sich einem Chaos gegenüber. Ein Tornado schien durch die kleine Wohnung gerast zu sein, alles war verwüstet und auf den Kopf gestellt worden. Hier schien man mit verzweifelter Wut nach ganz bestimmten Dingen gesucht zu haben, was Parker auch diskret äußerte.

„Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus“, raunte Lady Agatha ihren Butler an, „nach welchen Dingen?“

„Es muß sich um einen mehr oder weniger kleinen Gegenstand handeln“, antwortete Parker und deutete, auf die zerschnittenen Sitzpolster und Matratzen.

„Also Rauschgift!“ Agatha Simpson wußte es wieder mal ganz genau.

„Unter Umständen, Mylady.“

„Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht“, meinte sie und sah den Butler triumphierend an. „Denken Sie doch mal an die vielen kleinen zerbrochenen Muscheln unten im Keller.“

„Sofort, Mylady.“

„Warum sind sie von den Masken wohl gelöst worden?“

„Mylady haben eine bestimmte Theorie?“

„Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker.“ Sie nickte grimmig und stolz zugleich. „Diese Muscheln enthielten Rauschgift.“

„Ein erstaunlicher Aspekt, Mylady.“

„Nicht wahr?“ Agatha Simpson freute sich über die Anerkennung. „Lancing ließ sich diesen billigen afrikanischen Tand hierher nach London schicken. Die Muscheln auf den Masken waren gefüllt mit, sagen wir, Heroin oder einem anderen Rauschgift. Glauben Sie, die Zollbeamten hätten sich jede Maske und Muschel einzeln angesehen? Ausgeschlossen! Lancing nahm diese Masken in Empfang, löste die Muscheln und dann aus ihnen das Rauschgift. Können Sie sich einen raffinierteren Trick vorstellen, Mister Parker? Ich nicht!“

„Das oft zitierte Ei des Kolumbus, Mylady“, antwortete der Butler zurückhaltend.

„Man muß eben Phantasie haben, Mister Parker“, stellte die Detektivin selbstzufrieden fest. „Und diesen Trick werde ich in meinem nächsten Kriminalroman verwenden. Das Leben schreibt eben doch die besten und unglaublichsten Geschichten.“

„Wie wahr, Mylady.“ Parker hatte sich die Behauptungen seiner Herrin durch den Kopf gehen lassen und gestand sich ein, daß er sich die von den Dämonenmasken abgelösten Muscheln nicht genau genug angesehen hatte. Das mußte so schnell wie möglich nachgeholt werden.

Da sie Kathy immer noch nicht aufgespürt hatten, verließen sie die Wohnung des Zoohändlers Harry Lancing. Während Lady Simpson bereits zu Parkers hochbeinigem Wagen ging, schritt der Butler gemessen hinunter in den Lagerkeller und versorgte sich hier mit einem ausgiebigen Vorrat von bereits abgelösten Muscheln. Für seine späteren privaten Untersuchungen brauchte er darüber hinaus noch intakte Muscheln. Die fand er auf den Dämonenmasken oder im Laden. Aus Gründen der Einfachheit nahm er gleich drei dieser Masken mit, die er in eine große Tasche steckte.

Je mehr er darüber nachdachte, desto brauchbarer schien ihm die Theorie von Lady Simpson. Sollte sie vielleicht auf Anhieb herausgefunden haben, worum es in diesem Fall ging?

Parker hatte seinen Wagen erreicht und sah sich nach Lady Agatha um.

Sie war nicht zu sehen.

Parker kam ein schrecklicher Verdacht. Sollte sie etwa abgefangen worden sein? War auch sie entführt worden? Waren er und seine Herrin die ganze Zeit über beobachtet worden?

Parker sah sich unauffällig nach allen Seiten um und hoffte immer noch, Lady Agatha würde im nächsten Moment auftauchen, hoffte dann aber, daß auch er gekidnappt würde. Doch nichts ereignete sich.

Lady Agatha war und blieb, wie vom Erdboden verschluckt.

Butler Parker hielt es für angebracht, Panik zu zeigen. Falls man ihn noch beobachtete, sollte der Eindruck entstehen, daß er jetzt schleunigst die Flucht ergriff.

Er setzte sich für seine Begriffe schnell ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums und fuhr rasant an. Dabei drehte und wendete er auffällig den Kopf, als fürchte er einen Angriff. Er fuhr auf die nächste Seitenstraße zu und riß den Wagen herum. Er täuschte ein Absetzungsmanöver vor und wartete darauf, daß sich im Rückspiegel endlich ein Verfolger zeigte.

Es schien zu klappen.

Als er in der Seitenstraße war, bog ein Ford um die Straßenecke und schloß zu ihm auf. Am Steuer saß ein Mann, der eine Sonnenbrille trug.

War der erwartete Kontakt hergestellt?

Leider war dem nicht so, wie sich Sekunden später herausstellte. Der Ford blieb vor einem Haus stehen und der Fahrer stieg aus. Parker fuhr weiter, entdeckte im Rückspiegel einen Motorradfahrer und schöpfte neue Hoffnung.

Nun, der Motorradfahrer blieb ein paar Minuten lang hinter ihm, bog dann aber in eine schmale Seitenstraße ab. Wieder nichts. Man schien an seiner Verfolgung überhaupt nicht interessiert zu sein, man begnügte sich wohl mit Lady Simpson.

Doch dann erschien wieder der Motorradfahrer im Rückspiegel. Er hatte wohl eine Abkürzung gewählt, um nicht aufzufallen. Der Fahrer sorgte jetzt für Abstand und blieb hinter dem Butler.

Josuah Parker war zufrieden.

Endlich war es doch noch zu einem ersten Kontakt gekommen. Jetzt galt es, diesen Motorradfahrer abzufangen und ihn zu befragen. Der Mann konnte sicher mit einigen wertvollen Auskünften dienen. Parker nahm sich vor, den Mann nach Shepherd’s Market zu locken. Im Haus der Lady Simpson konnte das geplante Interview in aller Ruhe und Intensität über die Bühne gehen.

Um seine Herrin machte der Butler sich kaum Sorgen.

Er kannte die Energie der Sechzigjährigen, aber auch ihre Listigkeit. Wer immer sie auch entführt haben mochte, ahnte nicht, was ihn an Überraschungen erwartete.

*

Zwei noch recht jung aussehende Männer hatten sich der Lady angenommen. Es handelte sich um Schlägertypen, die im Grund mit der älteren Dame recht wenig anzufangen wußten. Sie hatten Lady Agatha mit vorgehaltenen und schwingenden Fahrradketten gebeten, ihnen in einen Hausflur zu folgen.

Normalerweise hätte die Detektivin sich widersetzt und es darauf ankommen lassen. Doch in diesem Fall suchte sie ja Kontakt mit der Gegenseite. Sie war bereit, dafür ein Risiko einzugehen. Natürlich gab Lady Simpson sich nicht kriegerisch, sondern spielte die leicht Vertrottelte, die überhaupt nicht begreift, was um sie herum vorgeht.

Parker war mit dem Wagen bereits davongefahren.

Agatha Simpson mimte einen leichten Schwächeanfall und taumelte gekonnt. Sie ließ sich schwer auf den größeren der beiden jungen Männer fallen und drückte ihn mit ihren nicht zu übersehenden Konturen gegen die Wand des Hausflurs. Ihr wogender Busen, der an den einer Wagner-Sängerin der alten Schule erinnerte, nagelte den Unglücklichen fest.

„Lemmy, Hilfe“, keuchte der Schläger verzweifelt und versuchte, Lady Simpson von sich zu drücken.

„Das hat uns gerade noch gefehlt“, meinte der angesprochene Lemmy, der nietenübersäte Lederkleidung trug. „Warte, Gus, ich wuchte sie hoch.“

Lemmy und Gus mühten sich redlich und verzweifelt ab, die gewichtige Dame wieder auf die stämmigen Beine zu bringen. Da Lady Simpson sich besonders schwer machte, schufteten die beiden Schläger wie Schwerarbeiter.

„Mein kleines dummes Herz“, keuchte Lady Agatha und verdrehte die Augen.