Parker färbt die "Leinwand-Mafia" - Günter Dönges - E-Book

Parker färbt die "Leinwand-Mafia" E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! Lady Agatha Simpson war wieder mal tief beeindruckt. Die ältere Dame, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte, stand vor einer Staffelei und begutachtete das Ölgemälde durch ihre Lorgnette. Sie gab sich ungemein sachkundig und nickte wiederholt anerkennend. Mylady trat einen Schritt zurück, ging wieder vor, studierte Einzelheiten und ging dann noch weiter zurück, um sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Sie trat wieder vor und verlangte einen zweiten Sherry. Agatha Simpson war eine bemerkenswerte Dame, groß, sehr stattlich und sprühend vor Energie. Sie trug ein zu weites Tweed-Kostüm, überraschend derbe Schuhe und einen Hut, der bereits ein Kunstwerk an sich war. Ein leicht mißratener Napfkuchen schien, was dieses Gebilde betraf, eine innige Verbindung mit einem Südwester eingegangen zu sein. Richard Dale, der Bewohner des hübschen Cottage im Süden von London, versorgte die ältere Dame mit dem zweiten Sherry und beobachtete Mylady, die inzwischen vor einem anderen Ölgemälde stand und erneut anerkennend nickte. »Recht hübsch«, sagte sie. »Etwas Ähnliches kenne ich, nicht wahr, Mister Parker?« Sie wandte sich um und blickte ihren Butler an. Josuah Parker bot das Bild eines hochherrschaftlichen Butlers, wie man ihn vielleicht nur noch in England antraf. Er war alterslos, etwas über mittelgroß und fast schlank. Er hatte das undurchdringliche Gesicht eines ausgebufften Pokerspielers und war die Würde in Person. »Mylady denken mit Sicherheit an die Künstler William Turner und John Constable«, beantwortete er die Frage seiner Herrin. »Mylady besuchten die Ausstellungen dieser beiden Maler in der National Gallery und Tate Gallery.« »William Turner ist das Stichwort, Mylady«

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Seitenzahl: 117

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Butler Parker – 283 –Parker färbt die "Leinwand-Mafia"

Unveröffentlichter Roman

Günter Dönges

Lady Agatha Simpson war wieder mal tief beeindruckt.

Die ältere Dame, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte, stand vor einer Staffelei und begutachtete das Ölgemälde durch ihre Lorgnette. Sie gab sich ungemein sachkundig und nickte wiederholt anerkennend. Mylady trat einen Schritt zurück, ging wieder vor, studierte Einzelheiten und ging dann noch weiter zurück, um sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Sie trat wieder vor und verlangte einen zweiten Sherry.

Agatha Simpson war eine bemerkenswerte Dame, groß, sehr stattlich und sprühend vor Energie. Sie trug ein zu weites Tweed-Kostüm, überraschend derbe Schuhe und einen Hut, der bereits ein Kunstwerk an sich war. Ein leicht mißratener Napfkuchen schien, was dieses Gebilde betraf, eine innige Verbindung mit einem Südwester eingegangen zu sein.

Richard Dale, der Bewohner des hübschen Cottage im Süden von London, versorgte die ältere Dame mit dem zweiten Sherry und beobachtete Mylady, die inzwischen vor einem anderen Ölgemälde stand und erneut anerkennend nickte. »Recht hübsch«, sagte sie. »Etwas Ähnliches kenne ich, nicht wahr, Mister Parker?«

Sie wandte sich um und blickte ihren Butler an.

Josuah Parker bot das Bild eines hochherrschaftlichen Butlers, wie man ihn vielleicht nur noch in England antraf. Er war alterslos, etwas über mittelgroß und fast schlank. Er hatte das undurchdringliche Gesicht eines ausgebufften Pokerspielers und war die Würde in Person.

»Mylady denken mit Sicherheit an die Künstler William Turner und John Constable«, beantwortete er die Frage seiner Herrin. »Mylady besuchten die Ausstellungen dieser beiden Maler in der National Gallery und Tate Gallery.«

»William Turner ist das Stichwort, Mylady«, schaltete Richard Dale sich ein. Er mochte fünfunddreißig sein, war schlank und mittelgroß. Er war lässig-teuer gekleidet – graue Flanellhose, Sweater und offenes Hemd – und lächelte nun ein wenig amüsiert. »Hier handelt es sich um zwei Turner. Sie stammen aus Familienbesitz.«

»Und sind bisher in keinem der zugänglichen Kataloge erschienen«, wandte der Butler ein.

»Ganz sicher nicht«, antwortete Richard Dale. »Die beiden Gemälde dürfte niemand als Arbeiten von Turner erkannt haben. Man hat sich wahrscheinlich nicht die Mühe gemacht, nach der Signatur zu sehen.«

»Sie wollen diese beiden Bilder also verkaufen, junger Mann?« Mylady kam zur Sache.

»So schnell wie möglich, und zwar an private Sammler«, erwiderte Richard Dale. »Ich kann bis zu einer Auktion nicht warten, ich brauche das Geld umgehend, sonst verpasse ich meine Chance in Neuseeland.«

»Sie haben sicher bereits bestimmte Preisvorstellungen, Mister Dale«, stellte der Butler fest.

»Natürlich«, bestätigte der junge Mann und nickte. »Ich weiß, daß ich unter Wert verkaufe, aber achthunderttausend Pfund pro Arbeit muß ich schon haben.«

»Guter Gott.« Lady Agatha, bekannt für ihre Sparsamkeit, zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. »Achthunderttausend für beide Bilder?«

»Je Bild«, erinnerte Dale. Sein Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an. »Ich weiß, daß die beiden Objekte wesentlich mehr wert sind, aber ich stehe unter Zeitdruck.«

»Mylady muß davon ausgehen, daß keine Expertisen existieren, Mister Dale, die die Echtheit der beiden Gemälde bestätigen?«

»Natürlich nicht«, entgegnete Dale, »Wie ich Ihnen bereits sagte, wurden die beiden Bilder eigentlich mehr per Zufall hier im Haus entdeckt.«

»Achthunderttausend Pfund für beide Bilder«, wiederholte Lady Agatha schnaufend. Sie schien Richard Dales Einwand überhaupt nicht gehört zu haben. »Sie verwechseln mich mit einer Millionärin, junger Mann.«

»Einsfünf für beide Gemälde«, sagte Dale. »Billiger kann ich sie ihnen wirklich nicht lassen. Und vergessen Sie bitte nicht, daß sich noch andere Interessenten gemeldet haben.«

»Wollen Sie mich unbedingt an den Bettelstab bringen, junger Mann?« grollte Lady Agatha verhalten. »Für unbekannte Gemälde bringe ich höchstens achthunderttausend auf. Aber dann bin ich auch völlig ruiniert.«

»Zudem haben Mylady natürlich die Absicht, die Echtheit dieser Gemälde feststellen zu lassen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen.

»Eine Lady Simpson kauft niemals eine Katze im Sack«, erklärte Agatha Simpson nachdrücklich. Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch dazu kam sie nicht mehr.

Eine Tür im Hintergrund des Wohnraums wurde aufgedrückt. Ein untersetzter Mann von etwa vierzig Jahren erschien und richtete eine Waffe auf Lady Simpson und Josuah Parker.

»Eine Entwicklung, die man nur als ungemein überraschend bezeichnen kann und muß«, sagte der Butler. »Bestehen Sie darauf, daß Mylady und meine Wenigkeit nun die Hände hochnehmen?«

*

»Sie haben natürlich wieder mal völlig falsch reagiert, Mister Parker«, räsonierte Lady Agatha zehn Minuten später. Sie befand sich zusammen mit ihrem Butler in einem niedrigen Kellerraum. Eine trübe Glühbirne sorgte für wenig Licht. Es roch nach Moder und Feuchtigkeit.

»Mylady lösen in meiner Wenigkeit Zerknirschung aus«, gab Parker in gewohnter Höflichkeit zurück.

»Sie hätten dieses verkommene Subjekt attackieren müssen«, redete die ältere Dame weiter. »Sie waren einfach zu schnell damit einverstanden, daß man mich in diesen Keller sperrte.«

»Mylady entgingen auf diese Weise möglicherweise einem gezielten Schuß.« Parker stand an der Tür und untersuchte sie. Sie bestand aus soliden Bohlen, die in einen Eisenrahmen eingelassen waren.

»Haben Sie sich wenigstens gefragt, Mister Parker, warum man mich überhaupt so schamlos überfallen hat?« Agatha Simpson hatte inzwischen auf einer Kiste Platz genommen.

»Mylady dürften mit Sicherheit deutlich gemacht haben, daß es sich bei den beiden Gemälden um Fälschungen handelte, die an sieh recht wirkungsvoll und fast überzeugend hergestellt wurden.«

»Das sah ich allerdings auf den ersten Blick«, behauptete sie umgehend.

»Zwei Turner und einen Constable, Mylady, braucht man keineswegs unter Zeitdruck zu verkaufen«, erklärte Parker. »Bei Vorlage entsprechender Expertisen ist jede Bank bereit, ansehnliche Beträge bereitzustellen.«

»Das sagte ich mir gleich.« Die passionierte Detektivin nickte wissend.

»Mister Richard Dale, wie der junge Mann sich nennt, dürfte es bei den angebotenen Fälschungen auf kritiklose und auch habgierige Laien abgesehen haben.«

»Und als er merkte, daß da bei mir nichts zu machen war, trat sein Partner in Erscheinung, Mister Parker. Sie hätten von vornherein mit einem Komplizen rechnen müssen.«

»Ein Fehler, Mylady, den man unverzeihlich nennen muß.«

»Nun, ich will das nicht weiter vertiefen. Wie komme ich hier wieder heraus?«

»Man wird sich inzwischen abgesetzt und das sogenannte Weite gesucht haben, Mylady.«

»Ohne sich weiter um mich zu kümmern?« empörte sie sich.

»Davon sollte man ausgehen, Mylady.«

»Eine ausgemachte Frechheit«, stellte die ältere Dame fest. »Lassen Sie sich etwas in meinem Sinn einfallen, Mister Parker. Sie werden doch ein simples Türschloß öffnen können, oder?«

»Darf man Mylady höflichst daran erinnern, daß man von außen einen Querbalken vor die Tür schob?«

»Das kann doch wohl kein Hindernis für Sie sein, oder?« Die resolute Dame wirkte ungehalten. Sie ärgerte sich insgeheim darüber, daß sie sich auf diesen Besuch eingelassen hatte. Sie fühlte sich auf der ganzen Linie übertölpelt.

Josuah Parker traf inzwischen bereits Vorbereitungen, um die Tür auf eine etwas eigenwillige Art zu öffnen. Er zog aus einer seiner vielen Westentaschen einen kleinen Riegel Schokolade hervor, der laut Aufschrift der Verdauung nutzen sollte. Der Butler schälte die Schokolade aus dem Stanniolpapier und brach ein Stück davon ab. Es sah weißgrau aus und regte rein optisch nicht gerade den Appetit an.

»Was soll denn das, Mister Parker?« räsonierte Agatha Simpson umgehend. »Müssen Sie ausgerechnet jetzt schlemmen?«

»Es handelt sich – mit Verlaub – um Plastik-Sprengstoff«, gab Parker zurück. Er stand bereits vor der Tür und drückte die zähe Masse in Höhe der oberen Angel in den Rahmen.

»Damit wollen Sie die Tür aufsprengen?« spottete die ältere Dame. »Nehmen Sie den ganzen Riegel! Und selbst dann wird es noch nicht klappen. Ich habe schließlich meine Erfahrungen.«

»Den ganzen Riegel würden Mylady und meine bescheidene Wenigkeit mit Sicherheit nicht überstehen«, erwiderte Parker.

»Woraus besteht denn dieser Wunderstoff?« Agatha Simpson war neugierig geworden, hatte sich erhoben und kam näher. Sie entfaltete ihre Stielbrille und begutachtete den Sprengstoff durch ihre Lorgnette.

»Dieses spezielle Dynamit wird mit Öl, Gelatine und Wachs vermischt, Mylady«, erklärte Parker höflich. »Es wird dadurch plastisch und kann beliebig verformt werden. Die Sprengkraft übertrifft einen herkömmlichen Stoff um das Zehnfache.«

»Unmöglich.« Die Detektivin schüttelte den Kopf. »Das dort füllt doch gerade einen kleinen Fingerhut.«

»Man sollte sich vielleicht nach einer geeigneten Deckung umsehen«, schlug der Butler vor. »Der Reißzünder tritt nach fünfeinhalb Sekunden in Aktion.«

Während Parker redete, hatte er einen seiner vielen Patent-Kugelschreiber hervorgeholt und drückte die Spitze des völlig normal aussehenden Schreibgerätes in die zähe Masse. Er deutete mit seiner Schirmspitze auf eine Ecke seitlich neben der Tür und bat Mylady, dort in Deckung zu gehen.

»Lächerlich«, meinte die ältere Dame, folgte aber seinem Hinweis. Josuah Parker klappte den Clip des Kugelschreibers senkrecht nach oben und beeilte sich, in der anderen Ecke Aufstellung zu nehmen.

»Was Sie sich da wieder zusammengebastelt ...« Mylady kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden. Eine scharfe Detonation war zu hören, eine Stoßwelle der Luft wirbelte Holzteile, Mörtel und Staub durch den Keller. Dann war Myladys Husten zu vernehmen, das in ein Krächzen überging.

»Müssen Sie denn immer übertreiben, Mister Parker?« meinte sie schließlich unwillig und arbeitete sich durch die Staubwolke nach vorn. Sie wedelte mit den Händen und schnappte dann nach Luft.

»Vielleicht war die Dosis ein wenig zu groß, Mylady«, gab der Butler zurück. »Doch die Tür dürfte nun kein Hindernis mehr darstellen.«

Er deutete mit der Schirmspitze auf die Bohlentür, die sich aus dem Rahmen gelöst hatte und windschief nur noch in einer Angel hing. Die Bohlen hatten sich im Eisenrahmen verschoben und waren zum Teil sogar aus ihr herausgebrochen worden.

»Nun ja«, meinte Lady Agatha. »Ich sagte ja schon, daß Sie zur Übertreibung neigen, Mister Parker. Hatte ich Sie nicht gewarnt?«

*

»Wie sind Sie denn überhaupt nach Blenham gekommen, Mylady?« fragte Mike Rander einige Stunden später. Er und Kathy Porter hatten sieh zum nachmittäglichen Tee im altehrwürdigen Haus der Lady Simpson in Shepherd’s Market eingefunden. Die ältere Dame hatte gerade wortreich und dramatisch gekonnt von ihrem Erlebnis gesprochen und deutlich gemacht, daß sie diesen Richard Dale suchen und zur Rede stellen würde.

»Ich erhielt diesen Brief mit der Morgenpost«, erwiderte Lady Agatha und reichte ein Schreiben weiter. »Sie werden sehen, mein Junge, daß an der Seriosität nicht zu zweifeln war.«

Mike Rander, Myladys Anwalt und Vermögensverwalter, erinnerte, was sein Äußeres betraf, an einen bekannten James-Bond-Darsteller und zeichnete sich durch Lässigkeit aus. Man sah ihm kaum an, daß er ein ausgezeichneter Einzelkämpfer war, der jeden gängigen Trick kannte.

Seine Begleiterin war offiziell noch die Sekretärin und Gesellschafterin der älteren Dame, doch sie arbeitete seit geraumer Zeit nur noch in Mike Randers Anwaltskanzlei. Auch sie war groß, schlank und eine attraktive Erscheinung.

Mandelförmig geschnittene Augen und hohe Wangenknochen verliehen ihr einen exotischen Hauch, wozu die braunen Haare mit dem leichten Rotstich noch beitrugen. Kathy Porter war in allen Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung beschlagen und brauchte keiner körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen.

»Sehr geschickt abgefaßt«, meinte Rander und reichte das Schreiben an Mylady zurück. »Man bietet diskret einige Gemälde von bekannten Klassikern an.«

»Zu Spottpreisen«, machte die passionierte Detektivin deutlich. »Und das machte mich sofort mißtrauisch. War es nicht so, Mister Parker?«

»Mylady ließen dies in der Tat durchblicken«, behauptete der Butler in seiner höflichen Art.

»Wie auch immer.« Sie winkte schleunigst ab. »Ich wollte mir die Gemälde ansehen und fuhr also nach Blenham. Den Rest kennen Sie ja inzwischen, mein lieber Junge.«

»Und wie sahen die angeblichen Originale aus?« schaltete Kathy Porter sich in Richtung Parker ein.

»Sie waren von einer beachtlichen Qualität, Miß Porter«, erwiderte der Butler. »Falls es erlaubt ist, sollte man vielleicht sogar von genialen Fälschungen sprechen.«

»Sie übertreiben schon wieder«, mokierte sich Lady Simpson umgehend. »Ich sah sofort, daß es sich um Fälschungen handelte. So etwas sieht man doch auf den ersten Blick.«

»Wieso trat dieser zweite Knabe eigentlich in Erscheinung?« erkundigte sich Rander. »Sie sprachen doch nur von einer Expertise, das allein kann diese Reaktion doch nicht ausgelöst haben.«

»Man könnte und sollte vielleicht unterstellen, daß Mister Dales Partner Mylady erkannte oder zumindest wußte, wer Mylady zu sein geruhen.«

»In der Unterwelt bin ich leider zu bekannt«, seufzte die ältere Dame durchaus gekonnt. »Das ist meine tiefe Tragik.«

»Nach der Zustellung des Briefes, Sir, erfolgte ein Telefonanruf durch Mister Dale«, schilderte Parker weiter die Vorgeschichte. »Mister Dale bat um umgehenden Besuch, da noch weitere Interessenten sich gemeldet hätten.«

»Ich wäre auch sofort losgefahren, mein Junge«, warf die ältere Dame ein und wandte sich an Rander. »Allerdings möchte ich wissen, warum man ausgerechnet mich anschrieb? Das muß doch einen Grund gehabt haben.«

»Man wird nicht nur Sie ausgewählt haben, Mylady«, vermutete der Anwalt. »Meiner Schätzung nach wird man ein paar Dutzend Personen hier in London auf die Gemälde und die einmalige Gelegenheit aufmerksam gemacht haben.«

»Einschlägige Adressen, Mylady, dürften im ›Who is who‹ zu finden sein«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Dieses Lexikon, in dem bekannte Persönlichkeiten verzeichnet sind, könnte für Mister Dale eine wahre Fundgrube gewesen sein.«

»Sollte man nicht die Polizei verständigen, Mylady?« fragte Kathy Porter bei der Hausherrin an.

»Ausgeschlossen, Kindchen«, verwahrte sich Simpson prompt »Das hier ist mein Fall, den löse ich allein. Sie wissen doch, man darf sich nicht erdreisten, eine Lady Simpson hereinlegen zu wollen. Darauf reagiere ich stets allergisch.«

»Und wo wollen Sie ansetzen, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander. »Dieser Dale und sein Partner sind doch längst über alle Berge. Als Sie und Parker aus dem Keller kamen, hatten die beiden Kerle sich doch bereits abgesetzt.«

»Ich habe da so meine Vorstellungen«, meinte die ältere Dame. »Ich bin auch gespannt, ob Mister Parker Phantasie entwickeln wird.«

»Meine Wenigkeit wird sich nach Kräften bemühen«, versprach der Butler. Sein glattes Gesicht zeigte keine Regung.

*

Mel Atson, etwa fünfzig Jahre alt, klein, schlank und kahlköpfig, lag auf einem Liegestuhl und las in einem Buch – inmitten von Trödel und Kitsch, der in einem Kellergeschäft untergebracht war. Eine Seitentreppe führte von der Straße aus hinunter zu seinen Schätzen. Als Lady Simpson und Butler Parker die fast düsteren Gewölbe betraten, nahm Atson noch nicht mal den Kopf hoch. Sein Buch wurde angestrahlt von einer modernen Halogen-Leselampe.

»Man erlaubt sich, einen hoffentlich geruhsamen Abend zu wünschen«, grüßte Parker und lüftete die schwarze Melone. Mel Atson klappte das Buch nach unten, erkannte den Butler und stand überraschend schnell auf.

»Mister Parker«, rief er und eilte auf den Butler zu. »Das ist ’ne echte Überraschung.«