E-Book 111-120 - Patricia Vandenberg - E-Book

E-Book 111-120 E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. E-Book 111: Betrogen um ihr Kind E-Book 112: Gemeindeschwester Rosemarie E-Book 113: Ein Zufall brachte es zutage E-Book 114: Schicksalsnacht in der Behnisch-Klinik E-Book 115: Ein Leben in seiner Hand E-Book 116: Das gewagte Spiel der Lilly Dongen E-Book 117: Junges Herz in Versuchung E-Book 118: Sie glaubte sich betrogen E-Book 119: Glück, das man nicht kaufen kann E-Book 120: Das trügerische Glück E-Book 1: Betrogen um ihr Kind E-Book 2: Gemeindeschwester Rosemarie E-Book 3: Ein Zufall brachte es zutage E-Book 4: Schicksalsnacht in der Behnisch-Klinik E-Book 5: Ein Leben in seiner Hand E-Book 6: Das gewagte Spiel der Lilly Dongen E-Book 7: Junges Herz in Versuchung E-Book 8: Sie glaubte sich betrogen E-Book 9: Glück, das man nicht kaufen kann E-Book 10: Das trügerische Glück

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Inhalt

Betrogen um ihr Kind

Gemeindeschwester Rosemarie

Ein Zufall brachte es zutage

Schicksalsnacht in der Behnisch-Klinik

Ein Leben in seiner Hand

Das gewagte Spiel der Lilly Dongen

Junges Herz in Versuchung

Sie glaubte sich betrogen

Glück, das man nicht kaufen kann

Das trügerische Glück

Dr. Norden Bestseller – Staffel 12 –

E-Book 111-120

Patricia Vandenberg

Betrogen um ihr Kind

»Das darf doch nicht wahr sein«, stöhnte Dr. Norden, als er einen Laborbefund betrachtete. »Loni!«

Loni eilte auf den dringenden Ruf herbei. »Was ist denn?«, fragte sie erschrocken, als sie Dr. Nordens finstere Miene sah.

»Ist das wirklich die Blutgruppenbestimmung von Florian?«, fragte der Arzt erregt.

»Aber sicher, warum zweifeln Sie?«

»Warum? Beide Elternteile haben die Blutgruppe Null und er hat A!«

Loni wurde blass. »Sie meinen, das könnte bedeuten, dass Florian gar nicht das Kind von Herrn und Frau Neuhaus ist?«

»Es bedeutet, dass er entweder einen anderen Vater oder eine andere Mutter hat. Und als Chemiker wird Dr. Neuhaus auch von selbst darauf kommen. Da steht mir ja wieder etwas bevor.«

Loni seufzte schwer. »Kann man da nicht ein bisschen mogeln?«, fragte sie leise.

»Sie sind gut, Loni. Nehmen wir mal an, dem Jungen passiert auf der Reise etwas. Nein, schummeln gibt es da nicht.«

»Vielleicht haben sie das Kind adoptiert, ohne dass sie darüber sprechen«, meinte Loni nach längerem Überlegen.

»Das wäre eine gute Lösung«, sagte Dr. Norden, aber ein Aufatmen gab es nicht.

Er wollte das Ehepaar Neuhaus auch nicht in seine Praxis bitten. Diese Angelegenheit bedurfte großen Einfühlungsvermögens und konnte nicht in ein paar Minuten geklärt werden. Er wollte mit dem sympathischen Ehepaar ungestört sprechen.

Dr. Wolfgang Neuhaus rüstete sich zu einer Vortragsreise durch die USA, und da diese etwa sechs Wochen dauern sollte, hatte er nicht ohne seine Frau und seinen Sohn fahren wollen.

Sie führten eine sehr glückliche Ehe und liebten ihren vierjährigen Sohn Florian abgöttisch. Er war allerdings auch ein besonders reizendes, liebenswertes Kind, und als der kleine Junge Dr. Norden entgegengesprungen kam, wurde es dem Arzt ganz flau im Magen. Zum ersten Male wurde es ihm bewusst, dass Wolfgang und Gabriele Neuhaus helle Augen hatten und Florian ganz dunkle.

»Das ist aber nett, dass Sie sich zu uns bemühen, lieber Dr. Norden«, wurde er von Gabriele Neuhaus empfangen. Aber als sie seine ernste Miene gewahrte, fragte sie ängstlich: »Es hat sich doch bei Floris Untersuchung hoffentlich nichts Negatives herausgestellt?«

»Nein, das nicht. Es ist wegen der Blutgruppenbestimmung.«

»Die hätten wir eigentlich längst machen lassen sollen«, sagte sie verlegen. »Aber Sie wissen ja, wie das manchmal ist. Man wartet damit so lange, bis sie dann gebraucht wird. Liegt sie etwa noch nicht vor? Wir müssen doch morgen schon fliegen.«

»Ich hätte gern auch mit Ihrem Mann gesprochen, Frau Neuhaus«, sagte Dr. Norden zögernd, »mit Ihnen beiden, und möglichst …« Er geriet ins Stocken und sah den kleinen Florian an.

Gabriele Neuhaus sah ihn schreckensvoll an. »Er ist nicht krank«, sagte Dr. Norden leise.

»Schau doch mal, wo Onkel Bobby steckt«, sagte Gabriele zu dem Jungen. »Dr. Norden muss mich schnell noch mal untersuchen.«

»Du bist aber nicht krank, Mami«, sagte der Kleine ängstlich.

»Nein, ich bin nicht krank«, erwiderte sie geistesabwesend. Dann sah sie Dr. Norden wieder an. »Mein Mann ist beim Packen. Er kann das viel besser als ich …«

Dr. Neuhaus war auch verblüfft, als Dr. Norden so zögernd begann.

»Es ist eine etwas heikle Situation, aber Sie werden mich verstehen, wenn Sie den Blutgruppenausweis von Florian sehen.«

Dr. Neuhaus betrachtete diesen nachdenklich. »Das ist doch nicht möglich«, sagte er leise. »Das widerspricht allen natürlichen Erbgesetzen.«

Es dauerte ziemlich lange, bis auch Gabriele begriff. Aber sie sagte das, was manche Mutter schon erschreckt hatte. »Es bedeutet, dass unser Kind vertauscht wurde. O mein Gott!«

Für Dr. Norden aber war dieser Ausruf vorerst der Beweis, dass es sich bei Florian keinesfalls um ein adoptiertes Kind handeln konnte, und während des folgenden Gespräches gewann er auch die Überzeugung, dass Wolfgang Neuhaus nicht eine Sekunde an der ehelichen Treue seiner Frau zweifelte.

»Florian ist dennoch unser Kind«, sagte er. »Er wächst bei uns auf, und wir lieben ihn. Wir wollen daraus kein Problem machen, so groß der Schrecken auch gewesen sein mag. Bitte, reg dich nicht auf, Gaby.«

»Ich will mich nicht aufregen«, flüsterte sie. »Ich muss jetzt nur daran denken, dass unser Kind vielleicht nicht so glücklich aufwächst wie Florian. Es ist ein schrecklicher Gedanke für mich.«

»Es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Unruhe bereiten musste, aber ich dachte, es wäre besser, wenn wir darüber sprechen«, meinte Dr. Norden. »Sie hätten sich wohl auch Gedanken gemacht, wieso der Junge eine extreme Blutgruppe hat.«

»Natürlich hätte ich mir Gedanken gemacht«, sagte Wolfgang Neuhaus. »Aber wie dem auch sei, ich würde doch meinen Flori nie mehr hergeben. Es ist mir nur unbegreiflich, wie so etwas geschehen kann.«

Verstört blickte Gabriele den Arzt an. »Es war der Tag, an dem das Busunglück war«, sagte sie leise. »Im Krankenhaus ging es turbulent zu. Es waren Schwerverletzte zu versorgen. Du erinnerst dich doch noch, Wolfgang? Wir wären fast zu spät in die Klinik gekommen durch die Straßensperrung. Eine Viertelstunde später war das Baby schon da. Und kurz danach wurden noch zwei weitere geboren.« Sie schluchzte trocken auf. »Und in dem Trubel müssen sie die Kinder vertauscht haben.«

»Florian ist unser Sohn«, sagte Wolfgang Neuhaus fast aggressiv. »Blutgruppe hin, Blutgruppe her, er gehört zu uns, und das andere Kind wird genauso zu seinen Eltern gehören. Morgen fliegen wir, und dann haben wir Zeit, uns zu überlegen, was getan werden könnte, falls das Kind wirklich nicht in guten Verhältnissen aufwächst. Aber du wirst doch nicht auf Florian verzichten wollen, Gaby!«

»Nein, das will ich nicht. Ich würde mich auch damit abfinden, wenn es unserem Kind auch gut geht. Ja, Wolf, das würde ich akzeptieren. Man muss doch auch an die Kinder denken.«

*

Abgetan war es für sie jedoch nicht. Ihr kamen die Tränen, als sie Florian zu Bett brachte und sein liebes, kleines Gesicht betrachtete.

»Bist du traurig, weil wir wegfahren, Mami?«, fragte der Kleine. »Onkel Bobby gießt doch unsere Blümchen, und wir sind mit Papi zusammen. Und wir kommen doch auch wieder.«

»Ja, mein Liebling, wir kommen wieder«, sagte Gabriele zärtlich. »Ich bin nur ein bisschen aufgeregt.«

»Ich doch auch, Mami. Dass wir bloß nichts vergessen.«

Wolfgang Neuhaus hatte indessen seinen um drei Jahre jüngeren Bruder Robert bereits eingeweiht. Dem war es aufgefallen, dass plötzlich eine sehr gedrückte Stimmung herrschte, und er hatte nicht locker gelassen. Robert Neuhaus war Journalist. Er hatte ein Gespür für Stimmungen und auch für Gedanken, die nicht ausgesprochen wurden. Und er hatte ein außerordentlich gutes Verhältnis zu seinem Bruder und seiner Schwägerin. Florian wurde auch von ihm geliebt.

»Eine verteufelte Angelegenheit«, sagte er grimmig. »Hätte Dr. Norden euch das nicht ersparen können?«

»Er ist doch dazu verpflichtet«, erwiderte Wolfgang, »außerdem hätte ich mir auch Gedanken gemacht.«

Sie schwiegen, als Gabriele eintrat, aber sie sagte, dass man den Kopf nicht in den Sand stecken könnte.

»Ich will wissen, wie es dem Kind geht, das ich zur Welt gebracht habe«, sagte sie leise, aber nun doch schon sehr bestimmt. »Wir müssen nachforschen, Wolf.«

»Und bringen vielleicht eine Lawine ins Rollen«, sagte der. »Es werden offizielle Untersuchungen stattfinden und nicht nur zwei Elternpaare, auch zwei Kinder werden hineingezogen. Ihre Welt wird in den Grundfesten erschüttert.«

Robert starrte vor sich hin. Sein schmales Gesicht war eine undurchsichtige Maske. »Ich werde Nachforschungen anstellen, Gaby. Ganz diskret. Mir wird da schon allerhand einfallen. Ich verstehe dich. Es könnte ja tatsächlich so sein, dass das andere Kind in Armut aufwächst. Vielleicht ist es sogar ein uneheliches Kind. Du kannst das nicht wegschieben, Wolf. Ich werde jedenfalls nichts unternehmen, was Florian schaden könnte.«

»Aber wir wissen doch nicht mal die Namen von den anderen Müttern, die am gleichen Tag ihre Kinder zur Welt gebracht haben«, sagte Wolfgang. »Oder hast du eine Ahnung, Gaby?«

»Ich weiß nur, dass eine in dem Unglücksbus war. Ihr Mann war dabei schwer verletzt worden, so weit ich mich erinnere. Man hat das von mir ferngehalten. Ich war ja auch in einem Einzelzimmer und bin mit anderen Patientinnen nicht in Berührung gekommen. An ihren Namen kann ich mich nicht erinnern.«

»Überlass das mir, Gaby. Ich mache das schon irgendwie«, erklärte Robert. »Einem Journalisten nimmt man manches ab, was bei anderen misstrauisch betrachtet wird. Mir fällt schon etwas ein. Macht euch nicht kopfscheu.«

Leicht sagte er das auch nicht dahin. Der Gedanke, dass doch böse Folgen entstehen könnten, beschwerte ihn sehr, aber er wusste auch, dass Gaby fortan immer an jenes andere Kind denken würde. Sie hatte Florian alle Liebe gegeben, aber hatte das Kind, das sie zur Welt gebracht hatte, auch so viel Liebe empfangen?

*

Die gleichen Gedanken machten sich auch Daniel und Fee Norden. Fee ging das sehr nahe. Sie war schließlich auch dreifache Mutter, und der Gedanke, dass ihr solches hätte geschehen können, regte sie auf.

»Nun, mein Schatz, beruhige dich mal wieder«, sagte Daniel nachsichtig. »Bei uns ist alles klar.«

»Aber in der heutigen Zeit darf doch so etwas gar nicht passieren«, sagte Fee.

»Es waren außergewöhnliche Umstände. Es braucht keine Nachlässigkeit des Personals gewesen zu sein. Es mag einfach eine Überforderung mitgespielt haben.«

»Aus der nun ein doppeltes Unglück entstehen kann«, sagte Fee leise.

»Zu dem ich den Anstoß gegeben habe«, sagte er mit schwerer Stimme.

»Ach was, das will ich doch nicht sagen, Daniel. Dass es Florian nicht besser gehen könnte, wissen wir. Von dem anderen Kind aber wissen wir nichts. Und ich verstehe Frau Neuhaus sehr gut, dass sie es wenigstens wissen will.« Sie dachte lange nach. »Und vielleicht will es das Schicksal, dass es gerade jetzt aufkommt, zum Vorteil für dieses andere Kind. Ich meine, es könnte so sein.«

Daniel lächelte nachsichtig. Er kannte seine Fee. Sie musste jetzt irgendwie Trost suchen und sich an den hauchdünnen Faden klammern, dass das Schicksal nichts Böses, sondern Gutes in die Waagschale werfen wollte.

Er allerdings gab sich auch negativen Gedanken hin. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass Gabrieles Kind gar nicht mehr lebte, und dass für eine andere Frau die Aufklärung der Kindesverwechslung ein Trost sein könnte.

Dr. Daniel Norden wurde in dieser Nacht von schweren Träumen geplagt.

Als er erwachte, stieg die Sonne am Himmel empor.

Robert Neuhaus brachte die kleine Familie zum Flughafen. Florian war lebhaft, und sein munteres Geplauder lenkte die Erwachsenen ab. Für ihn war es die erste große Reise und ein Ereignis ohnegleichen.

»Vergiss nicht, die Blümchen zu gießen, Onkel Bobby«, sagte er eifrig.

»Und schließ auch immer gut ab.«

»Mein Ehrenwort«, erwiderte Robert.

»Und du mach deine Augen und Ohren auf, damit du mir viel erzählen kannst.«

Er hob ihn empor und drückte ihn an sich. Er prägte sich das ausdrucksvolle Kindergesichtchen ein.

Dann nahm er Gabriele in den Arm. »Kopf hoch, Gaby«, raunte er ihr ins Ohr.

Wolfgang blieb bei ihm stehen, als Gaby mit dem Jungen vorausging.

»Unternimm ja nichts, was unser Leben zerstören könnte, Bobby«, sagte er. »Ich würde es dir nie verzeihen. Das da ist mein Sohn, sonst kenne ich keinen.«

*

Robert Neuhaus fuhr zu Dr. Norden in die Praxis. Nur kurz wollte er mit ihm sprechen, sich vergewissern, dass jede Möglichkeit eines Irrtums auszuschließen sei.

Die war auszuschließen. »Leider kann ich Ihnen nichts anderes sagen, Herr Neuhaus«, erklärte Dr. Norden.

»Ja, dann werde ich mich mal auf die Suche nach meinem zweiten Neffen machen«, sagte Robert mit einem Anflug bitteren Humors. »Möge der Allmächtige auf unserer Seite sein.«

Robert Neuhaus war an sich ein durch und durch sachlich denkender Mensch. In seinem Leben gab es nur drei Menschen, die er liebte und die auch wussten, dass er ein warmes Herz hatte. Sein Bruder, Gaby und Florian. Es gab keine Frau, an die er Gefühle verschwendete. Seine Liebe galt seinem Beruf und auch in diesem ließ er sich keinen Zwang auferlegen. Es lag ihm nicht, tragische Schicksale zu Sensationen aufzubauschen. Er ließ sich in keiner Weise Vorschriften machen und begriff seinen Beruf mit dem erforderlichen Ernst und besaß Verantwortungsgefühl, das manchem anderen abging.

Er fuhr zum Krankenhaus, in dem Gabriele ihr Kind zur Welt gebracht hatte. Den Weg kannte er genau, denn er hatte seine Schwägerin damals mehrmals besucht. Und es war auch ein Glück, dass er den Oberarzt Dr. Hausing persönlich kennengelernt hatte. An den wollte er sich wenden. Er war ein netter, jovialer Mann, nicht von Überheblichkeit gezeichnet. Robert hatte sich auch schon einen Plan zurechtgelegt, und da er nichts von Zeitverschwendung hielt, hatte er sich mit Dr. Hausing auch schon telefonisch verabredet.

Robert Neuhaus war eine Persönlichkeit, die man nicht so schnell vergaß, und Dr. Hausing hatte sich gleich seines Namens erinnert.

Sie trafen sich im Heidmannskrug, einem zünftigen Gasthof, den Robert wegen des guten Essens in bester Erinnerung hatte. Und da auch Dr. Hausing gern gut aß, war diesem Wiedersehen eine freundliche Atmosphäre beschert.

Er redete nicht viel drum herum. Er wusste, wie er es anfangen sollte und wollte, um kein Misstrauen zu erregen.

»Beim vierten Geburtstag meines Neffen Florian kam mir eine Idee«, sagte er, »und darüber wollte ich mit Ihnen sprechen. Am Tage der Geburt war doch dieses schreckliche Busunglück und gleichzeitig mit Florian sind noch ein paar andere Kinder geboren worden. Ich dachte an eine Story mit dem Aufhänger ›Vier Jahre danach‹.«

»Solche Idee kommt einem eingefleischten Junggesellen?«, fragte Dr. Hausing erstaunt.

»Nun, eigentlich gab meine Schwägerin den Anstoß. Florian ist ja ein goldiges Kerlchen geworden, und sie hat überlegt, ob auch die anderen Neugeborenen sich so gut entwickelt hätten. Sie, wir muss ich sagen, haben viel Freude an dem Kleinen, dass wir gern auch ein bisschen helfen würden, wenn es den anderen Kindern, die an diesem Tag geboren wurden, nicht so gut gehen würde.«

Nun schaute Dr. Hausing gleich noch erstaunter. »So was findet man aber auch selten«, sagte er.

»Für mich wäre es auch noch interessant, einige Studien zu betreiben, ob Kinder, die am gleichen Tag geboren sind, gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Damit befasse ich mich zur Zeit sehr intensiv, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen kleinen Hinweis geben könnten, wie die anderen Mütter heißen und wo sie wohnen. Ich verspreche selbstverständlich größte Diskretion.«

»Sie sind ein seltsamer Mann«, sagte Dr. Hausing. »Dieses schreckliche Unglück hat uns ja noch Monate beschäftigt. Eine der jungen Mütter kenne ich sogar sehr gut. Sie hat es ja am schlimmsten getroffen. Sie hat ihren Mann verloren an dem Tag, an dem ihr Kind geboren wurde. Er war auch im Bus, und er ist den schweren Verletzungen erlegen. Der Prozess ist immer noch nicht abgeschlossen. Die Opfer haben kaum finanzielle Unterstützung bekommen. Frau Petersen muss ihr Kind recht mühsam ernähren. Ich weiß das so genau, weil der Kleine kürzlich am Blinddarm operiert wurde.«

»Da erfahre ich ja schon etwas«, erklärte Robert. »Und das andere Kind, das auch zur gleichen Zeit wie unser Florian geboren wurde? Wissen Sie von dem auch was?«

»Und ob, das ist mein Patenkind. Auch ein Junge. Dem geht es blendend. Er hat inzwischen noch eine kleine Schwester bekommen. Florian ist ein Einzelkind?«

»Bisher ja. Man hofft auf weiteren Nachwuchs«, erwiderte Robert.

»Na, unser Andreas ist ein hübscher Brocken geworden«, sagte Dr. Hausing lachend. »Seine Mutter ist eine Kusine von mir. Die wird sich für Ihre Idee sehr aufgeschlossen zeigen.«

Robert erfuhr, dass es sich um ein Ehepaar namens Berklin handelte und dass der Mann Tierarzt war. Und er erfuhr auch, dass Brigitte Petersen, die ihren Mann am Tage der Geburt ihres Sohnes verloren hatte, in einem Nachbarort halbtags in einem Anwaltsbüro arbeitete und nebenbei daheim noch Schreibarbeiten machte, um möglichst viel mit ihrem Kind beisammen zu sein.

»Da wir nun mal bei den Kindern sind«, sagte Robert, »ist es eigentlich schon mal in dem Krankenhaus passiert, dass Kinder vertauscht wurden?«

»Um Himmels willen, das ist heute kaum noch möglich in einer gut geführten Klinik. Die Säuglinge bekommen sofort ihr Pflaster mit dem Namen und dann auch sofort einen Steckbrief, in dem Gewicht, Länge und besondere Kennzeichen eingetragen sind.«

»Ich denke immer, dass alle Babys gleich aussehen«, sagte Robert.

»O nein, das bestimmt nicht. Das kommt einem vielleicht nur kurz nach der Geburt so vor.«

Robert ließ das Thema beiseite. Er wollte den netten Doktor Hausing nicht misstrauisch machen. Er wollte ja freundlich bei den Müttern der anderen beiden Kinder eingeführt sein.

Bei den Berklins wurde er nach einem Anruf von Dr. Hausing sehr freundlich aufgenommen. Frau Berklin war eine rundliche, sehr lebhafte Frau, die sich anscheinend auch sehr gern unterhielt. Der vierjährige Sohn Frank war ein stämmiger Bursche mit hellen Haaren und hellen Augen. Aber er sah schon jetzt seiner Mutter so ähnlich, dass kaum ein Zweifel daran bestehen konnte, dass er zu ihr gehörte.

Frau Berklin war so stolz auf ihre Kinder, dass sie unentwegt von ihnen sprach. Aber auch an das Unglück konnte sie sich gut erinnern.

»Guter Gott, da ging es vielleicht zu im Krankenhaus. Ich kann mich noch erinnern, wie die junge Frau Petersen gebracht wurde. Das Kind kam ja ein paar Tage zu früh durch den Schock. Und gleich danach wurde auch Ihre Schwägerin gebracht. Damals wusste ich natürlich nicht, dass es Ihre Schwägerin war, Herr Neuhaus. Sie war ja auch sehr tapfer. Ich hatte schon ein paar Stunden Wehen und beneidete die beiden, dass es bei ihnen so schnell ging. An die besonderen Umstände dachte ich damals gar nicht. Es war ja auch nur gut, dass keine in den OP musste, denn beide wurden ja für die Verletzten gebraucht. Ja, solchen Tag kann man nicht vergessen, aber unser Frank hat von Anfang an ein Phlegma gehabt, das nicht zu überbieten ist. Er ist wie sein Vater.«

»Äußerlich aber nicht«, stellte Robert fest.

Sie lachte schallend. Es war ein ansteckendes Lachen, und Robert konnte sich vorstellen, dass diese Frau viel Frohsinn bereitete.

»Dafür ist unsere Kleine dem Vater äußerlich ähnlich und so lebhaft wie ich«, erklärte sie. »Es gleicht sich aus. Jetzt bin ich froh, dass unser Frank so lammfromm ist. Als Baby hat er mir fast Angst eingejagt, weil er so selten geschrien hat. Wie ist es denn mit Ihrem Neffen?«

Robert zeigte eine Fotografie her. »Mei, ist das ein goldiges Bürschchen«, sagte Frau Berklin begeistert. »Wie ein Filmkind. Und er sieht auch schon so furchtbar gescheit aus.«

»Ich bin auch gescheit«, meldete sich da erstmals Frank. »Ich mag nur net so viel reden. Papi sagt, du redest genug.« Auch das konnte Frau Berklin nicht kränken. Sie lachte wieder. »Meine beiden Männer, da kann man nix machen. Ja, wenn Sie über uns schreiben wollen, da gibt’s nicht viel zu sagen. Bei uns stimmt alles.«

Und so war es bis vorgestern auch bei Wolfgang und Gaby gewesen. Da hatte alles gestimmt.

Mit einem großen Unbehagen machte sich nun Robert auf den Weg zu Brigitte Petersen. Es war Nachmittag geworden. Von der Kirchturmuhr dröhnten fünf Schläge, als er den Nachbarort erreichte. Aber die Privatadresse von Frau Petersen hatte ihm Dr. Hausing nicht geben können, und er wusste nicht, wo er sie finden könnte, denn im Telefonbuch stand sie nicht.

Halbtags war sie in einer Anwaltskanzlei beschäftigt, aber Anwälte gab es ein halbes Dutzend. Er rief sie der Reihe nach an. Zweimal meldete sich ein automatischer Anrufbeantworter. Den konnte er nicht fragen, und eine Nachricht wollte er nicht hinterlassen.

Der dritte Anruf war erfolgreicher, aber bei diesem Anwalt war Brigitte Petersen nicht beschäftigt. Doch die freundliche Dame am anderen Ende der Leitung kannte Frau Petersen und sagte ihm, dass sie in der Gartenstraße wohnte. Die Hausnummer konnte sie allerdings nicht sagen.

Robert fragte sich zur Gartenstraße durch. Die war auch bald gefunden. Sehr lang war sie auch nicht. Es standen Mehrfamilienhäuser zu beiden Seiten, aber keine ausgesprochenen Mietskasernen. Die Häuser machten einen ganz freundlichen Eindruck, wenngleich sie sich auch glichen wie ein Ei dem anderen. Er würde wohl einige Zeit brauchen, bis er Brigitte Petersen gefunden hatte.

Langsam ging er von Haus zu Haus. Den Namen Petersen fand er aber an keinem Briefkasten. Und dann kam ihm der Zufall zur Hilfe, doch der sollte ihm den Atem rauben. Aus einem Haus trat eine junge Frau, die zur Mülltonne ging.

»Ich bin doch gleich wieder da, Nicki«, rief sie, und dann sah sie Robert an. Es waren Florians Augen, mit denen sie ihn anblickte, samtene dunkle Augen. Er wusste sofort, dass dies Brigitte Petersen war, und fast hätte er sie mit ihrem Namen angesprochen, aber zum Glück fand er noch im richtigen Moment die Fassung zurück.

»Verzeihen Sie«, sagte er höflich, »ich suche eine Frau Brigitte Petersen.«

Zuerst war sie unter seinem Blick verlegen geworden, der wohl irritierend genug gewesen war, nun sah sie ihn erstaunt an.

»Das bin ich. Was wünschen Sie?«

Er stellte sich vor. »Ich hätte Ihnen gern ein paar Fragen gestellt, wenn Sie gestatten.«

»Sind Sie von der Versicherung? Nimmt das immer noch kein Ende?«, fragte sie bitter.

»Nein, ich bin Journalist. Ich recherchiere, wenn ich es so ausdrücken darf. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn ich Sie interviewen dürfte.«

»Und wofür soll das gut sein?«, fragte sie spöttisch.

»Das werde ich Ihnen gern erklären.«

»Mami, kommst du endlich?«, rief es hinter der halb offenen Tür hervor.

»Mein Sohn«, sagte sie leise. »Nun, bitte treten Sie näher, Herr …?«

»Neuhaus, Robert Neuhaus«, sagte er nochmals.

Der Knirps war zierlich, kleiner als Florian, aber bildhübsch. Er hatte graublaue Augen und kastanienbraunes Haar.

Er musterte Robert ängstlich, aber der musste wohl Gnade vor seinen Augen finden, denn er streckte ihm das Händchen entgegen.

»Ich bin Nicki«, sagte er.

»Und mich nennt man Bobby«, sagte Robert.

»Was willst du?«, fragte Nicki.

»Ich wollte dir erzählen, dass mein kleiner Neffe am gleichen Tag wie du auf die Welt gekommen ist und auch im gleichen Krankenhaus.«

Brigitte Petersen sah ihn überrascht an. »Deshalb kommen Sie?«, fragte sie unbefangen. »Aber gehen wir doch erst in die Wohnung.«

Die Wohnung war klein, aber hübsch eingerichtet mit bescheidenen Mitteln. Man spürte, dass eine Frau, die sehr rechnen musste, sich die erdenklichste Mühe gab, ihr Heim wohnlich zu gestalten.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Neuhaus. Sie haben mich neugierig gemacht«, sagte sie.

»Wo ist der Junge?«, fragte Dominik, denn so lautete sein voller Name, wie Robert erfuhr.

»Jetzt ist Florian in Amerika mit seinen Eltern.«

»Ich habe nur Mami, aber sie ist sehr lieb«, sagte Nicki. »Du darfst sie nicht ärgern, Bobby.«

Brigitte schien verblüfft zu sein, dass er den Mann gleich so vertraut ansprach. »Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«, fragte sie. »Ich habe ihn gerade gebrüht«

»Sehr gern. Meine Kehle ist trocken«, erwiderte Robert heiser. »Ich recherchiere tatsächlich, weil ich hörte, dass die Versicherung immer noch prozessiert. Aber vielleicht sollten wir uns darüber besser unter vier Augen unterhalten.«

»Nicki weiß, dass sein Vater bei dem Unglück ums Leben gekommen ist«, sagte Brigitte ruhig. »Er hat ja genug mitbekommen, und die Leute sind nicht gerade taktvoll. Der Junge muss jetzt essen. Dann geht er sowieso zu Bett.«

»Dürfte ich später wiederkommen?«, fragte Robert beklommen.

»Bleib doch, Bobby«, sagte Nicki. »Du bist ja nicht böse mit Mami.«

»Nein, ich möchte ihr gern zu ihrem Recht verhelfen«, sagte Robert, und das waren keine leeren Worte, das war urplötzlich ein ganz brennender Wunsch. Alles an Brigitte forderte seine Ritterlichkeit heraus. Sie hatte die Anmut einer Madonna. Seidiges dunkles Haar fiel locker und in dichter Fülle um ein Gesicht, das man klassisch nennen konnte. Es war ein stilles, zartes Gesicht, belebt ganz allein durch die feucht glänzenden Augen und den ausdrucksvollen, zart geschwungenen Mund. Sie war von ganz anderem Typ als Gaby. Aber Nicki war Gabys Kind, auch daran konnte kein Zweifel bestehen.

»Es gibt Kartoffelsuppe«, sagte Brigitte, »Sie können gern einen Teller mitessen. Wenn Sie jetzt nämlich gehen, wird Nicki mich mit tausend Fragen löchern und dabei das Essen vergessen.«

»Die Suppen schmecken aber sehr gut, wenn Mami sie kocht. Nur die aus der Tüte schmecken mir nicht so gut«, sagte Nicki. Und wieder errötete Brigitte.

»Vielleicht mag Herr Neuhaus keine Kartoffelsuppe, Nicki«, sagte sie leise.

»Herr Neuhaus vielleicht nicht, aber Bobby mag welche«, erklärte Nicki.

»Du hast recht«, nickte Robert, »ich mag sie sehr gern.«

»Siehst du, Mami«, sagte Nicki triumphierend, »Bobby mag sie.«

Und sie schmeckte ausgezeichnet. Robert hegte nur den Verdacht, dass Brigitte zu wenig abbekäme.

Nicki plauderte munter drauflos. Irgendwie erinnerte er Robert in seiner Art sogar an Florian. Jedenfalls war er auch ein sehr intelligentes Kind. Und seine Mutter liebte ihn, wie Gaby Florian liebte. Nur musste Brigitte sich redlich plagen, um ihren Jungen aufzuziehen. Florian würde sich an ein solches Leben kaum noch gewöhnen.

In Roberts Kopf überstürzten sich die Gedanken. Brigitte sagte, dass sie Nicki zu Bett bringen würde. Dem Kleinen fielen schon fast die Äuglein zu.

»Kommst du morgen wieder, Bobby?«, fragte Nicki. »Ach bitte, komm doch wieder. Es ist schön, wenn wir auch mal Besuch haben.«

»Ich komme gern wieder, Nicki, und morgen bringe ich dir auch etwas mit«, erwiderte Robert.

Nun aber sah ihn Brigitte bestürzt an.

Als sie den Jungen zu Bett gebracht hatte, war Robert wieder so weit, vernünftig denken zu können. Und er war entschlossen, nichts zu tun, was dieser Frau wehtun könnte.

»Bleiben Sie länger hier am Ort?«, fragte Brigitte stockend.

»Morgen sicher noch«, erwiderte er.

»Bitte, verwöhnen Sie Nicki nicht. Es beeindruckt ihn sehr. Er ist halt ein kleines Kind und versteht nicht ganz, dass wir uns sehr einschränken müssen. Ich will mich nicht beklagen. Wir haben eine Wohnung und auch zu essen. Anderen geht es noch schlechter. Aber es ist ungerecht, dass die Versicherungen streiten. Ich bin kein Einzelfall und muss wieder sagen, dass es anderen noch schlechter geht, die nicht nur einen Angehörigen verloren haben, sondern auch selbst schwer geschädigt sind. Ich hatte einfach Glück, aber manchmal in den vergangenen Jahren habe ich mich gefragt, ob es anders nicht besser gewesen wäre. Aber ich hatte ja Nicki. Er hat mir über vieles hinweggeholfen.«

»Sie haben Ihren Mann sehr geliebt?«, fragte er leise.

»Ja, sehr. Wir waren ja beide noch so jung. Jörg studierte noch. Er wollte Ingenieur werden. Ich habe gedacht, zu zweien wird es uns leichter. Dann meldete sich das Baby an. Aber wir haben uns gefreut. Jörg hatte in den Semesterferien einen guten Job, und ich hatte eine annehmbare Stellung als Sekretärin. Wir fuhren jeden Tag mit dem Bus in die Stadt und zurück.« Darauf versank sie in Schweigen und blickte zu Boden.

»Ich will keine traurigen Erinnerungen wecken, Frau Petersen«, sagte Robert leise, »aber ich weiß nicht mal genau, wie das Unglück passierte. Man hat viel gelesen, aber es war alles so aufgebauscht.«

»O ja, es wurde alles aufgebauscht, und die armen Menschen wurden wortreich bedauert. Aber ebenso schnell wurden sie vergessen, als die mächtigen Versicherungsgesellschaften um die Schuldfrage zu streiten begannen. Der Lastwagen, der in den Bus hineinfuhr, ist ins Schleudern geraten, aber der Fahrer kam ums Leben, und der Busfahrer ist ein Krüppel geworden. Ein hässliches Wort, aber anders kann man ihn nicht bezeichnen. Warum interessieren Sie sich jetzt eigentlich dafür?«

»Einmal wegen dieses Prozesses, zum anderen wegen der Kinder, die an diesem Tag im Krankenhaus geboren wurden, zu denen ja auch mein Neffe gehört. Er ist mein Patenkind.«

»Sie selbst haben keine Kinder?«

»Nein, ich bin auch nicht verheiratet«, erwiderte er.

»Das ist erstaunlich.«

»Wieso?«

»Weil Sie so gut mit Nicki umzugehen wussten, und er ist doch eigentlich scheu, Fremden gegenüber.«

»Ich beschäftige mich viel mit Kindern. Wir wohnen in einem Doppelhaus. Ich bin fast täglich mit dem Jungen beisammen, wenn ich nicht auf Reisen bin.«

Sie sah ihn nachdenklich an. In ihren wunderschönen Augen war ein fragender Ausdruck.

»Dennoch finde ich es seltsam, dass Sie mich aufsuchen«, sagte sie leise.

»Ich war auch schon bei Frau Berklin. Der Frank ist ja ein richtiger Brocken, da kommen Nicki und Florian nicht mit.«

»Ich weiß nicht, wie viele Kinder an diesem Tag geboren wurden«, sagte Brigitte leise. »Ich stand unter einem Schock, und als mir das Kind in den Arm gelegt wurde, war mein Mann bereits tot. Ich finde diesen Streit um eine Entschädigung widerlich. Aber wenn ich nicht arbeiten könnte, wenn ich nicht einen so netten Chef hätte, wäre Nicki arm dran. Sie sollten darüber wirklich nicht mehr schreiben, Herr Neuhaus. Es sind vier Jahre vergangen, und für Nicki ist es heute schon fast bedeutungslos, dass er keinen Vater hat. Er hat ihn ja nie kennengelernt.«

»Ich möchte Ihnen helfen, Frau Petersen, jetzt mehr denn je«, entfuhr es Robert spontan.

»Sie?«, sagte sie staunend. »Sie haben doch keine Veranlassung dazu. Auch die Presse kommt nicht gegen die Versicherungskonzerne an. Dr. Prestel, mein Chef, hat sich sehr bemüht, um etwas für uns zu erreichen, und er ist ein guter Anwalt. Aber er schüttelt jetzt nur noch den Kopf.«

Ich muss mit diesem Dr. Prestel sprechen, bevor ich ihr mehr sage, dachte Robert.

Er kennt sie besser als ich. Er wird mir raten können. Er fühlte sich so unsicher, so sehr auf schwankenden Boden gestellt.

»Sie meinen, dass Dr. Prestel mir juristische Informationen geben könnte?«, fragte er.

»Sicher kann er das, aber er wird Ihnen auch nur sagen, dass jede Mühe vergeblich ist. Wir haben vorab fünftausend Euro bekommen, und dabei soll es anscheinend bleiben, da die Verletzten durch Krankenkassen wenigstens etwas abgesichert sind. Und ich persönlich hätte sowieso nicht viel zu erwarten, da mein Mann ja noch nicht einmal eine feste Anstellung hatte.«

»Ich werde etwas für Sie erreichen«, sagte Robert. »Darf ich morgen wiederkommen?«

Sie lächelte flüchtig. »Nicki würde sich jedenfalls freuen«, sagte sie leise. »Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie sich so bemühen, Herr Neuhaus. Es tut schon gut, wenn ein Mensch mal nicht so gleichgültig ist wie die anderen.«

Er schluckte, da er ja ein ganz persönliches Interesse hatte.

»Und wann könnte ich wohl Dr. Prestel sprechen?«, fragte er.

»Am besten gegen halb zwölf Uhr. Ich könnte ihm Bescheid sagen. In diesem Fall wird er sich sicher ein paar Minuten Zeit nehmen.«

»Dann kann ich mich nur bedanken, Frau Petersen. Auch für die gute Kartoffelsuppe. Sie hat mir sehr geschmeckt.«

Robert war sonst gewiss nicht schüchtern und sonst auch nicht leicht in Verlegenheit zu bringen, aber ihr Blick irritierte ihn. Es war ihm, als würde Florian ihn anschauen.

»Ich habe Ihnen jetzt viel Zeit gestohlen«, sagte er leise.

»Es war doch nett«, erwiderte sie unbefangen.

Sie wird bald nicht mehr so denken, ging es ihm durch den Sinn, und es war ihm, als schnüre ihn etwas ein. Er musste einen Weg finden, der allen gerecht wurde. Ja, das musste sein, denn keinesfalls durfte Nicki Florian gegenüber benachteiligt werden, und Brigitte Petersen sollte es auch ein bisschen leichter haben.

In dem netten, sauberen Zimmer eines kleinen Gasthofes, in dem er diese Nacht verbrachte, kam ihm dann eine Idee. Er fand sie sehr gut, aber wie würde Brigitte reagieren? Und durfte er überhaupt eine Entscheidung treffen, ohne Wolfgang und Gaby vorher gehört zu haben?

*

Pünktlich kam Robert anderntags in die Kanzlei von Dr. Prestel. Brigitte saß im Vorzimmer und begrüßte ihn freundlich.

»Ein paar Minuten müssen Sie sich noch gedulden, Herr Neuhaus. Ich gehe kurz vor zwölf Uhr, weil ich Nicki vom Kindergarten abholen muss.«

»Darf ich Sie beide dann zum Essen einladen?«, fragte er rasch. »Wir könnten einen kleinen Ausflug in die Umgebung machen. Das würde Nicki doch sicher gut gefallen.«

»Ich habe noch Schreibarbeiten zu Hause zu erledigen«, sagte sie verlegen.

»Das könnte doch ausnahmsweise mal ein bisschen liegen bleiben«, meinte er. »Es ist ein schöner Tag. Ich hole Sie und Nicki ab, wenn ich mit Dr. Prestel gesprochen habe.«

Das war dann schon so weit, und Brigitte konnte nur noch zustimmend nicken.

Dr. Prestel war ein Mann um die fünfzig. Auf seinem Schreibtisch standen ein paar Familienbilder. Eine hübsche Frau und drei Kinder darstellend.

Unwillkürlich verspürte Robert Erleichterung. Immerhin hätte es ja sein können, dass der Anwalt persönliches Interesse an Brigitte haben könnte.

»Frau Petersen hat mir schon angedeutet, was Sie recherchieren, Herr Neuhaus. Es wäre gar nicht übel, wenn die Öffentlichkeit mal wieder aufgerüttelt würde, aber wer hat heutzutage schon noch Interesse an einem Unglück, das bereits vier Jahre zurückliegt.«

Robert schöpfte tief Atem. »Mich interessiert vor allem das Schicksal von Frau Petersen«, erklärte er zögernd. »Aus einem ganz bestimmten Grund. Ich möchte mir Ihren Rat einholen, da Sie Frau Petersen wohl länger und besser kennen als ich.«

Der Anwalt blickte ihn fragend und sehr skeptisch an.

Robert fuhr sich mit der Hand durch sein dichtes braunes Haar. »Es handelt sich um das Kind«, sagte er leise.

»Um Nicki?«, fragte der Anwalt staunend.

Langsam und bedächtig schilderte ihm Robert, was sich herausgestellt hatte. Dr. Prestels Miene verdüsterte sich immer mehr

»Das ist wahrhaftig eine böse Überraschung«, sagte er gepresst. »Frau Petersen liebt ihren Sohn sehr, Herr Neuhaus. Sie lebt nur für den Jungen.«

»Wir könnten ihr dieses Leben erleichtern«, sagte Robert.

»Indem Sie ihr Nicki wegnehmen? Eintauschen gegen ein anderes Kind, das unter ganz anderen Umständen aufgewachsen ist? O nein, so einfach geht das doch nicht.«

»So einfach stelle ich es mir auch nicht vor. Ich möchte Frau Petersen anbieten, in meinem Hause zu wohnen. Ich bewohne mit meinem Bruder ein Doppelhaus. Die beiden Mütter könnten sich näherkommen, auch die Kinder. Glauben Sie mir bitte, dass ich bemüht sein werde, die bestmögliche Lösung zu finden.«

»Ich sehe da große Schwierigkeiten«, sagte Dr. Prestel, »auch im juristischen Sinne.«

»Ich möchte die Behörden nicht einschalten«, sagte Robert. »Wie wird Frau Petersen wohl reagieren?«

»Wohl wie jede Mutter, die ihr Kind liebt. Sie ist eine tapfere Frau, aber sehr sensibel. Und sie ist sehr stolz. Ich würde es ihr von Herzen gönnen, etwas sorgloser leben zu können, aber nicht, wenn das mit dem Verzicht auf das Kind verbunden sein sollte.«

»Das auf keinen Fall«, sagte Robert sehr bestimmt.

»Ihnen möchte ich das sogar abnehmen«, meinte Dr. Prestel, »aber wie wird sich Ihre Schwägerin verhalten?«

»Einsichtig, hoffe ich, denn sie will Florian ja auch nicht hergeben.«

»Ja, dann kann ich Ihnen zu Ihrem Vorhaben nur alles Gute wünschen, und sollte Frau Petersen mich um Rat bitten, werde ich Ihren Plan befürworten. Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben, Herr Neuhaus, und vielleicht bleibt Ihnen bei allen familiären Problemen doch Zeit zu einer Erinnerung an diese unrühmlichen Schadensprozesse. Die Unterlagen stelle ich Ihnen gern zur Verfügung «

»Ich werde Gebrauch davon machen.«

Den prall gefüllten Aktendeckel nahm Robert mit sich. Eingekauft für Brigitte und Nicki hatte er schon am Morgen. Blumen und Pralinen für sie, Spielzeug, einen Pulli und eine Hose für Nicki.

Er fuhr zu der Wohnung. Von Nicki wurde er strahlend begrüßt, die Freude des Kindes über die hübschen Sachen war rührend.

»Ich weiß wirklich nicht, was Sie veranlasst, so viel Geld für uns auszugeben«, sagte Brigitte dagegen sehr reserviert.

»Wir werden noch darüber sprechen«, erklärte Robert. »Jetzt machen wir einen hübschen Ausflug und werden hoffentlich so gut essen, dass Nicki auch zufrieden ist.«

Was ist das für ein Mann, dachte Brigitte. Warum tut er das? Eine innere Stimme warnte sie, obgleich ihr Robert sympathisch war.

Für Nicki war es ein großes Ereignis, in einem so schönen Auto zu fahren. Nur zweimal sei er mit einem Taxi gefahren, erzählte er eifrig. Zum Krankenhaus, als ihm der Blinddarm herausgenommen wurde, und dann auch wieder zurück.

»Da durfte Mami mich nur zweimal besuchen«, beschwerte er sich, »wie findest du das, Bobby?«

»Unglaublich«, sagte Robert, »und das soll ein modernes Krankenhaus sein?«

»Sie haben wenig Personal«, warf Brigitte ein. »Es war eine traurige Woche auch für mich.«

»War es schlimm?«, fragte Robert.

»Ziemlich.«

Robert versank in Schweigen. Nicki war operiert worden, und da war sicher auch die Blutgruppe bestimmt worden. Aber er wollte keine verfänglichen Fragen stellen. Zuerst wollten sie mal essen. Und sie aßen dann sehr gut in einem ländlichen Ausflugslokal. Auch das war für Nicki erstmalig.

»Da braucht man nur zu sagen, was man haben will, und man kriegt es auch«, staunte er. »Und es ist mächtig viel. Das kann ich gar nicht schaffen.«

»Dann lässt du es stehen«, sagte Bobby.

»Aber man kann gutes Essen doch nicht einfach wegwerfen«, sagte Nicki.

Solche Überlegungen wären Florian bestimmt nicht gekommen. Er brauchte nie zu essen, was er nicht mochte.

»Essen kostet viel Geld«, fuhr Nicki gedankenvoll fort, »und es gibt viele Kinder in der weiten Welt, die sehr hungern müssen.«

»Ja, da gibt es sehr viele«, sagte Robert.

»Uns geht es nämlich viel besser als denen, auch wenn wir kein Auto haben. Heute ist es sehr schön, wie Urlaub.«

Sie gingen dann zum nahen See, und Nicki konnte den Enten und Schwänen zuschauen.

»Kannst du nicht mal kommen, wenn der Kindergarten Ferien hat, Bobby?«, fragte er. »Dann könnten wir doch wieder mal einen Ausflug machen.«

»Nicki, bitte«, sagte Brigitte mahnend, »Herr Neuhaus hat doch etwas anderes zu tun.«

»Herr Neuhaus vielleicht«, meinte Nicki, »aber Bobby hätte vielleicht doch mal Zeit.«

»Freilich hat Bobby Zeit«, sagte Robert lächelnd. »Aber ich weiß noch einen besseren Vorschlag, Nicki. Ich hole dich mit deiner Mami nach München, und dann gehen wir auch mal in den Tierpark.«

Brigitte wurde blass, und Nicki machte ein betrübtes Gesicht. »Mami muss ja immer arbeiten«, sagte er leise.

»Sie hat doch auch mal Urlaub«, tastete sich Robert vor.

»Dann muss sie was anderes tun«, sagte Nicki.

»Und wir wollen froh sein, dass ich arbeiten kann«, sagte Brigitte ruhig. Und dann warf sie Robert einen verweisenden Blick zu.

Es ergab sich nicht so rasch eine Gelegenheit, ein paar Worte mit ihr allein zu wechseln, denn Nicki blieb an Roberts Seite, als hätte er Sorge, dass er einfach wieder verschwinden könnte.

Dann interessierte er sich aber doch mal für die Kälbchen auf einer Weide und lief ein Stück voraus.

»Ich muss unbedingt etwas mit Ihnen besprechen, Frau Petersen«, sagte Robert hastig. »Ich möchte nicht, dass Nicki zuhört.«

Ihre Augenbrauen schoben sich zusammen. »Dann müssen wir warten, bis er schläft. Aber setzen Sie ihm bitte keine Flausen in den Kopf. Er hört genug von anderen Kindern, deren Eltern sich mehr leisten können als wir.«

*

Die Schicksalsstunde schlug, als Nicki eingeschlafen war. Einen zärtlichen Kuss hatte der liebe Bobby als Dankeschön bekommen. Er war tief gerührt. Er hielt seinen richtigen Neffen im Arm, aber daran dachte er nicht. In diesem Augenblick war es Brigittes Kind für ihn, denn sie sah ihn wieder mit jenem Blick an, der ihm durch und durch ging.

»Ich werde Ihnen nun eine Geschichte erzählen, Frau Petersen. Ich bitte Sie, mich anzuhören, wenn es Ihnen auch nicht leichtfallen wird.«

»Wenn Sie mir taktvoll erklären wollen, dass wir nie eine Entschädigung bekommen, brauchen Sie es nur klipp und klar zu sagen. Ich habe mich damit abgefunden. Wenn Nicki erst zur Schule geht, kann ich eine Ganztagsstellung annehmen, dann kommen wir schon über die Runden, und er wird auch eine gute Ausbildung bekommen.«

»Es kann ganz anders kommen«, sagte Robert leise. Und dann begann er zu sprechen. Es wurde ihm nicht leichter, sondern immer schwerer, als er sah, wie sich Entsetzen und Abweisung in ihrer Miene widerspiegelte. Aber es mochte wohl doch der warme, sanfte Klang seiner Stimme sein, der keine heftige Aggression in ihr aufkommen ließ.

Sie legte die schmalen Hände vor ihr Gesicht, wunderschöne Hände waren das. »Ich kann es nicht glauben. Ich hätte es doch fühlen müssen«, flüsterte sie. »Eine Mutter hat doch eine Antenne zu ihrem Kind.«

»Gaby hat es auch nicht gefühlt«, sagte Robert leise. »Es kommt wohl daher, weil die Kinder wesensverwandt sind.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Brigitte stockend.

»Man kann es schwer erklären. Vielleicht nur damit, dass beide liebenswerte Mütter haben«, sagte er verhalten. »Bitte, glauben Sie mir, dass ich nur das Beste will, Frau Petersen. Lassen Sie uns ganz ruhig darüber sprechen, wie wir auch gemeinsam zu dem besten Entschluss kommen.«

»Ich kann Nicki nicht hergeben«, flüsterte sie bebend. »Ich glaube auch nicht, dass Florian mir jetzt noch so viel bedeuten könnte wie Nicki.«

»Gaby könnte auch so denken«, sagte Robert. »Und mein Bruder ist sowieso fest entschlossen, Florian nicht herzugeben.«

»Aber dann könnte doch alles so bleiben, wie es war.« Aus tränenvollen Augen blickte ihn Brigitte nun an.

Robert schöpfte wieder tief Atem. »Was ich jetzt sage, darf Sie keinesfalls verletzen, Frau Petersen. Es ist eine ganz nüchterne Überlegung.« Er griff sich an die Kehle. »Dürfte ich um ein Glas Wasser bitten?«, fragte er dann. »Ich kann sonst nicht weitersprechen.«

Ein schattenhaftes Lächeln legte sich um Brigittes schönen Mund. »Ich habe noch eine Flasche Wein, die ich als Weihnachtsgeschenk bekommen habe. Ich denke, einen aufmunternden Schluck könnten wir jetzt beide brauchen. Allein trinke ich den Wein doch nicht.«

Diese Bemerkung machte ihm Mut, und dann kredenzte sie ihm auch noch einen sehr guten Wein, der ganz nach seinem Geschmack war.

»Wollen wir erst einmal auf gute Freundschaft trinken, Frau Petersen?«, fragte er. »Das würde so manches erleichtern. Und ganz nett wäre es, wenn Sie auch Bobby zu mir sagen würden. Das würde sicher auch Nicki Freude machen. Er differenziert sehr genau zwischen Herrn Neuhaus und Bobby.«

Sie sah ihn sehr nachdenklich an. »Ich glaube, Sie meinen es ehrlich«, stellte sie fest.

»Mein Ehrenwort darauf, Brigitte«, sagte er.

»Dann werde ich mich nicht verletzt fühlen«, erklärte sie. »Was wollten Sie mir sagen, nachdem die Kehle nicht mehr trocken ist?«

»Ich möchte Ihnen kurz die Verhältnisse schildern, in denen Wolfgang und Gaby leben. Mein Bruder ist Chemiker, ein sehr bekannter Mann auf seinem Gebiet. Ich verstehe nichts davon. Ich war nur ein einigermaßen guter Schüler in Deutsch und Fremdsprachen. Geschichte und Geographie lief noch so mit. Alles andere interessierte mich wenig. Jedenfalls haben die Neuhaus-Söhne verdammtes Glück gehabt, wohlhabende Eltern zu haben, damit sie ihre Berufswünsche verwirklichen konnten. Ich will damit sagen, dass es uns finanziell sehr gut geht. Und Gaby stammt auch nicht von schlechten Eltern. Ihr erster Gedanke war dann auch, als Dr. Norden ihnen die Ungereimtheit mit den Blutgruppen klarmachte, dass das Kind, das sie zur Welt gebracht hatte, in misslichen Verhältnissen aufwachsen könnte. Nun, als solche kann man diese nicht bezeichnen, aber immerhin wäre es ja möglich gewesen, dass Nicki keine so liebevolle Mutter hätte, wie Sie es sind, Brigitte. Das müssen Sie einsehen.«

»Ja, das wäre möglich gewesen«, nickte sie. »Kein Widerspruch.«

Nun wurde es Robert etwas wohler. »Immerhin ist die Tatsache nicht wegzureden, dass Florian in völliger Sorglosigkeit aufwachsen kann, während Sie Ihren Lebensunterhalt ziemlich mühsam verdienen müssen. Wenn Gaby dies alles erfährt, würde sie zumindest darauf bestehen, dass Nicki im gleichen Rahmen aufwächst wie Florian.«

»Kommt es denn darauf an?«, fragte Brigitte verhalten.

»Für Sie nicht, aber wohl doch für Gaby, denn sie hat sich um das tägliche Brot nie sorgen müssen. Sie hat einen Mann, der sie und das Kind über alles liebt und auch entsprechend verwöhnt. Wir müssen das ganz klar sehen, Brigitte. Gaby weiß jetzt, dass Florian nicht das Kind ist, das sie zur Welt gebracht hat, aber sie liebt dieses Kind, wie Sie Nicki lieben. Sie dürfen Gaby nicht dafür verdammen, dass sie es als ihre mindeste Pflicht betrachtet, alles für Nicki zu tun, was sie seit vier Jahren für Florian getan hat.«

»Ich gebe Nicki um keinen Preis der Welt her«, sagte Brigitte.

»Aber Sie möchten doch Florian auch gern kennenlernen«, sagte Robert.

»Das ist etwas anderes«, meinte sie. »Man kann ein Kind aus dem Wohlstand nicht in beengte Verhältnisse verpflanzen. Andersherum mag das leichter sein, aber finden Sie den Gedanken gut, einer Mutter zwei Kinder zu verschaffen und der anderen den Lebensinhalt zu nehmen?«

»Sie haben mich missverstanden, Brigitte. Ich möchte allen helfen. Ich biete Ihnen an, mit mir zu kommen und in meinem Haus mit Nicki zu leben. Sie werden Gaby und Wolfgang kennenlernen, und ich werde sozusagen als Schutzengel über Sie und Nicki wachen. Ich kann sehr gut eine Schreibkraft gebrauchen und eine Hausdame dazu, die mir ab und zu auch mal eine gute Kartoffelsuppe kocht. Das Wirtshausessen wird mir über, wenn ich es sechs Wochen genießen sollte. Wir werden in diesen sechs Wochen die gleichen Lebensbedingungen für Sie und Nicki schaffen, wie sie im Nachbarhaus sind. Ich bin überzeugt, dass mein Plan zu verwirklichen ist.«

»Ihr Bruder und seine Frau könnten da anderer Meinung sein«, sagte Brigitte. »Und was wird dann nach diesen sechs Wochen?«

»Aus einem Nebeneinander könnte auch ein Miteinander werden«, erklärte Robert. »Das möchte ich auch auf uns beziehen. Ich könnte Sie jetzt auch fragen, ob Sie vielleicht bereit sein würden, mich zu heiraten. Dann wären alle Probleme mit einem Schlage aus dem Wege geschafft. Aber ich habe zu viel Eigenheiten, an die sich eine Frau nur schwer gewöhnen kann. An die allmächtige Liebe glaube ich nämlich sowieso nicht. Aber ich kann ein guter Kumpel sein, und ich mag Kinder. Ich mag Nicki ganz besonders. Also, mein ganz konkreter Vorschlag: Ich biete Ihnen eine schöne Wohnung und ein auskömmliches Gehalt. Sie können sich Ihre Zeit einteilen und Nicki immer um sich haben. Und ich kann es außerdem genießen, zu Hause zu essen, und wenn Sie mit einer wichtigen Arbeit beschäftigt sind, mich mit Nicki zu befassen.«

»Ein sehr verführerisches Angebot«, sagte Brigitte mit einem ironischen Unterton. »Und was werden Sie von mir denken, wenn ich ja sagen würde?«

»Ich würde denken, dass Sie eine sehr vernünftige Frau sind, die Probleme auch vernünftig zu lösen gedenkt. Denn über eines wollen wir uns doch klar sein, Brigitte: Den Kindern bleibt viel erspart, und wir können genau beobachten, wie sie reagieren, wie sie sich auf den anderen einstellen können.«

»Es ist ein Experiment«, sagte Brigitte.

»Nein, so sehe ich das nicht. Es ist ein Weg, dieses Problem so menschlich wie nur möglich zu lösen.«

»Versprechen Sie mir, dass man mir Nicki nicht nimmt?«

»Ich verspreche es Ihnen. Wir können auch einen Vertrag bei Dr. Prestel machen.«

»Sie haben mit ihm darüber gesprochen?«, fragte sie.

»Ja, und er hat mir zugesichert, ein gutes Wort für mich einzulegen.«

»Sie sind ein seltsamer Mensch, Bobby«, sagte Brigitte sinnend.

»Und Sie sind eine bewundernswerte Frau. Ich danke Ihnen«, sagte er, nahm ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Sie sagen ja!«

»Ich bestehe auf einen festen Arbeitsvertrag«, erklärte sie.

»Aber selbstverständlich. Ich hoffe nur, dass Dr. Prestel Sie unter den gegebenen Umständen bald freigeben wird.«

*

»Ob Bobby etwas erreicht?«, fragte Gaby ihren Mann an diesem Abend, an dem sie todmüde ins Bett gesunken waren. Der Flug, die Begrüßungszeremonien, die Umstellung auf andere Uhrzeit und anderes Klima hatten sie doch ziemlich mitgenommen. Florian war schon auf dem Wege zum Hotel eingeschlafen.

»Mir wäre es sehr lieb, wenn du abschalten würdest, Gaby«, sagte Wolfgang. »Was immer er erreicht, meinen Standpunkt kennst du.« Er gab ihr einen Kuss. »Gute Nacht, mein Schatz.«

Er schlief sofort ein. Er hat das Kind nicht zur Welt gebracht, dachte Gaby. Ich habe es neun Monate unter meinem Herzen getragen und ihm all meine Liebe mitgegeben.

Aber dann dachte sie auch daran, dass Florian auch sehr viel Liebe mitgegeben worden sei, denn er hatte sich genauso entwickelt, wie sie es sich von ihrem Kind gewünscht hatte.

Es war schon ein eigenartiges Gefühl, dass Florian ein Kind von anderen Eltern sein sollte und dass sie es dennoch wie ein eigenes liebten. Und hatte sie nicht so unendlich viele Ähnlichkeiten in ihm mit Wolfgang entdeckt?

Konnten solche Übereinstimmungen wirklich nur durch das Zusammenleben entstehen? Ja, die dunklen Augen hatten sie immer etwas irritiert. In ihrer Familie gab es so dunkle Augen nicht.

Aber sie war so erschöpft, dass sie dann auch einschlief und die Gedanken ausgelöscht wurden. Und am nächsten Morgen war sie entschlossen, Florian weiterhin als ihr Kind zu betrachten.

Robert hätte Brigitte und Nicki am liebsten gleich am nächsten Morgen mitgenommen, aber sie meinte, dass es so schnell doch nicht gehen würde. Und ihm fiel dann ein, dass er in seinem Haus auch noch einiges für den Empfang vorbereiten müsste, denn in dem Haus war kein Kinderzimmer vorhanden.

»Ich hole Sie am Samstag, Brigitte«, sagte er. »Ich verlasse mich auf Ihr Wort.«

»Ich werde nichts tun, was letztendlich zur Folge haben könnte, dass es doch noch zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommt«, erwiderte sie. »Ich verlasse mich auch auf Ihr Wort, Bobby.«

Irgendwie waren sie doch schon ganz gute Freunde geworden, so eigenartig das auch anmutete. Und ihn verwunderte es besonders, wie schnell er sich auf die veränderten Umstände einstellte, die jetzt schließlich zuerst sein Leben betrafen.

Aber welches Glück strahlte ihm aus Nickis Augen entgegen, als er dem Jungen sagte, dass er am Samstag kommen würde, um sie zu holen.

Er warf sich in seine Arme und stammelte: »Ich freue mich so, Bobby, oh, ich freue mich so sehr! Mami, wir können auch mal Urlaub machen.«

Robert sah über seinen Kopf hinweg zu Brigitte hinüber, aber diesmal wich sie seinem Blick aus.

Aber als er sich von ihr verabschiedete, sagte sie leise: »Danke, Bobby, dass Sie es mir so schonend beigebracht haben. Wäre es anders gewesen, ich weiß nicht, was ich getan hätte.«

»Es wird alles in Ordnung kommen«, sagte er. »Ich freue mich auf Samstag.«

Und auch das war ehrlich und herzlich gemeint. Sie spürte es. Aber es war verständlich, dass sie sich auch Sorgen machte.

»Nicht wahr, Mami, Bobby ist ein lieber Freund? Wir haben noch nie einen Freund gehabt.«

»Ja, er ist ein guter Freund«, sagte sie leise und gedankenverloren.

*

Robert standen aufregende Tage bevor. Er musste das Zimmer für Nicki herrichten. Handwerker waren so schnell nicht zu bekommen. Die Möbel, die er kaufte, wurden zwar schnell geliefert, aber er musste sie allein zusammenbauen, und weil er darin keine Übung hatte, gab es auch einige Wunden. Als dann gerade bei der letzten Schraube am Schrank der Schraubenzieher abrutschte und in seine Hand geriet, sah das sogar ziemlich böse aus. Er entschloss sich, doch lieber Dr. Norden aufzusuchen, damit die Wunde richtig versorgt wurde.

»Du lieber Himmel, was haben Sie denn da angestellt?«, fragte Dr. Norden bestürzt.

»Ein Kinderzimmer habe ich zusammengebaut«, erwiderte Robert brummig.

»Ein Kinderzimmer?«

Robert sah ihn durchdringend an. »Eigentlich sind Sie ja an allem schuld«, murmelte er.

»Ich, wieso denn?«

»Weil Sie herausgefunden haben, dass Florian vertauscht worden ist. Ich habe das richtige Kind gefunden.«

Dr. Norden war sprachlos. Er atmete ein paarmal tief durch, dann sagte er: »Es tut mir leid, aber ich musste diesbezüglich die Tatsache klarlegen.«

»Es ist in Ordnung«, sagte Robert. »Es ist sogar sehr gut so, denn dadurch kann Nicki und seiner Mutter auch geholfen werden. Und da Sie indirekt beteiligt sind, sollen Sie es auch ruhig erfahren, wie die Dinge liegen.«

Er war mit seinen Gedanken nun schon wieder so intensiv bei Brigitte und Nicki, dass er keinen Schmerz mehr spürte. Auch nicht, als Dr. Norden die tiefe Wunde klammerte.

Und Dr. Norden hörte die Geschichte, die ihm wie ein Märchen klang, obwohl der Erzähler ein so realistischer Mann war.

»Da haben Sie sich aber allerhand vorgenommen, Herr Neuhaus«, sagte er, »und dies, ohne sich mit Ihrem Bruder und Ihrer Schwägerin abzusprechen.«

»Brigitte und der Junge kommen ja in mein Haus«, sagte Robert ruhig. »Ich bin unabhängig und kann selbst entscheiden.«

»Und ich finde das einfach großartig«, sagte Dr. Norden anerkennend.

»Ach was, es ist einfach Menschenpflicht. Frau Petersen hat wirklich genug durchgemacht, und meine Schwägerin ist viel zu impulsiv, um eine solche Situation objektiv abwägen zu können. Ich bin sehr froh, dass sie erst mal weit vom Schuss ist. Natürlich ist es eine blöde Geschichte, aber jetzt sagen Sie mir mal, wie man so kleinen Kindern erklären sollte, dass sie andere Mütter haben. Ich habe mir alles reiflich überlegt, und allein schon der Gedanke, wie sehr Florian an seinem Papi hängt und dann plötzlich nur noch eine Mutter haben sollte … Ach, es ist unsinnig, darüber zu reden. Sie werden Frau Petersen kennenlernen und mit mir einer Meinung sein, dass man dieser Frau keinen Schmerz zufügen kann. Ich hoffe, dass ich auch weiterhin mit ihr auskomme. Jedenfalls hat sie ein besseres Leben verdient als bisher. Und dafür werde ich sorgen, nicht etwa mein Bruder oder Gaby.«

Dem erfahrenen Arzt kamen Gedanken, dass es weit mehr Konflikte geben könnte, als Robert Neuhaus auch nur im Entferntesten ahnte, aber davon wollte er nicht sprechen. Da war ihm wieder einmal ein Mensch begegnet, der aus dem Gefühl heraus wahrhaftig menschlich handelte.

»Wenn Sie mal irgendwelche Sorgen haben, kommen Sie zu mir, Herr Neuhaus«, sagte er voller Wärme.

»Danke für Ihr Verständnis. Zuerst hatte ich ja eine ziemliche Wut auf Sie, aber jetzt meine ich, dass alles wohl so kommen musste.« Er blickte auf seine verbundene Hand und lächelte ein bisschen schief. »Und das Kinderzimmer ist wenigstens auch noch fertig geworden. Wie kann man sich nur so dusselig anstellen.«

»Im Eifer passiert so manches«, sagte Dr. Norden lächelnd. »Es wird schon einige Tage dauern, bis es wieder gut ist.«

»Und was wird Nicki sagen«, murmelte Robert.

Ist es das Kind, oder ist es doch mehr die Frau, überlegte Dr. Norden, als Robert Neuhaus gegangen war.

*

Am Abend kam ein Anruf für Robert aus New York. Es war Gaby.

»Wie geht es, Bobby?«, fragte sie.

»Alles okay«, erwiderte er wortkarg.

»Hast du schon etwas erfahren?«

»Nein«, schwindelte er, keineswegs bereit, am Telefon Diskussionen über Brigitte und Nicki zu führen.

»Es ist auch besser, wenn du nichts unternimmst«, sagte Gaby. »Ich werde das selbst in die Hand nehmen, wenn wir zurück sind. Mit Wolf kann ich nicht darüber reden, er wird grantig. Es wird hier auch ziemlich anstrengend, aber Florian gefällt es.«

»Dann ist ja alles in bester Ordnung«, sagte Robert. »Ich habe viel zu tun. Macht euch keine Sorgen, wenn ich nicht zu erreichen bin, ich werde viel unterwegs sein. Die Blumen vergesse ich nicht. Grüß Wolf und Flori.«

Er war froh, dass Gaby scheinbar doch recht gelassen blieb. Er wollte sich den Kopf nicht beschweren, und er war auch rechtschaffen müde nach anstrengender, ungewohnter Arbeit. Am nächsten Morgen wollte Frau Krüger, die Zugehfrau, schon sehr früh kommen, um das Haus auf Hochglanz zu bringen. Sie hatte er so weit einweihen müssen, dass künftig hier auch eine junge Frau mit einem Kind leben würde. Aber Frau Krüger hatte das recht gelassen hingenommen. Sie fand es längst an der Zeit, dass sich Robert auch mal nach einer Frau umschaute, und wenn es eine mit einem Kind war, sollte es ihr auch recht sein. Das Haus war sowieso zu groß für ihn allein. Sie mochte Robert. Er ging nicht auf Abenteuer aus, und wenn er halt sagte, dass Frau Petersen seine Sekretärin sein würde, gab es auch nichts daran auszusetzen. Sie würde ja bald sehen, wie die Frau war, und wenn sie auch weiterhin nett und anständig behandelt wurde, stand es ihr gar nicht zu, Kritik zu üben. Das Kinderzimmer war jedenfalls so hübsch geworden, dass man spürte, wie er mit ganzem Herzen dabei gewesen war.

*

Brigitte war beim Packen. Mit Dr. Prestel war sie schnell einig geworden. Er bedauerte es, sie zu verlieren, zeigte aber sehr viel Verständnis für ihre Entscheidung.

»Herr Neuhaus ist ein verlässlicher Mann«, hatte er erklärt. »Ich hoffe, dass es eine gute Lösung gibt, Frau Petersen. Wenn es rechtlich etwas zu bedenken gibt, stehe ich gern zur Verfügung.«

»Inwiefern meinen Sie das?«, fragte sie stockend.

»Immerhin handelt es sich um ein sehr gut situiertes Ehepaar. Nicki hat rechtliche Ansprüche, wenn ich das bemerken darf.«

»Nein, davon will ich nichts wissen«, sagte Brigitte darauf.

Er hatte keine andere Reaktion erwartet, und Brigitte dachte darüber nicht mehr nach.

Nicki stand neben ihr. »Du packst aber viel ein, Mami«, sagte er.

»Wir bleiben auch ziemlich lange«, erwiderte sie.

»Das ist toll.« Seine Augen glänzten gleich noch mehr, und wieder dachte sie jetzt, warum es ihr früher nie aufgefallen war, dass seine Augen so ganz anders waren, als die ihres Mannes, von ihren eigenen ganz zu schweigen. Und jetzt dachte sie auch so manches andere, an die Zukunft, vor allem an Nickis Zukunft, dass er Neigungen entwickeln könnte, die ihr unverständlich blieben, wenn sie die Wahrheit nicht erfahren hätte, und sie dachte auch daran, dass sie ihm vieles nicht hätte gestatten können, was für Wolf und Gaby Neuhaus eine Selbstverständlichkeit wäre.

Für Florian war dies alles vom ersten Tage an zur Selbstverständlichkeit geworden.

So freudig Nicki auf den Samstag wartete, sie sah ihm mit gemischten Gefühlen entgegen, mit einer gewissen Furcht, dieser neuen Situation doch nicht gewachsen zu sein.

In der letzten Nacht tat sie kaum ein Auge zu. Früh war sie auf den Beinen, aber Nicki auch.

»Bobby wird uns doch nicht vergessen haben«, sagte er um acht Uhr.

»Es ist doch noch so früh«, beruhigte sie ihn.

Aber um neun Uhr war Bobby schon da, und er konnte wieder ein glückliches Kind im Arm halten.

»Was hast du an der Hand gemacht, Bobby?«, fragte Nicki.

»Ich habe mich dumm angestellt.«

»Hast du dich brennt?«, fragte der Kleine.

»Geschnitten«, erwiderte Robert ausweichend. »Aber es ist gleich wieder heil.«

»Ist alles in Ordnung?«, fragte er dann Brigitte.

»Ja, hier schon«, erwiderte sie leise.

»Dann starten wir gleich.«

Die Koffer, bescheiden genug sahen sie aus, wurden verladen. »Wo fährst denn hin, Nicki?«, fragte ein Kind.

»Mit Bobby in Urlaub«, erklärte der Kleine freudig.

Neugierige Blicke folgten dem großen Wagen. »Ich möchte wissen, was man jetzt so klatscht«, sagte Brigitte. »Aber nein, eigentlich möchte ich es nicht wissen.«

»Es braucht uns auch nicht zu interessieren«, sagte Robert.

Nicki kniete auf dem Rücksitz und blickte zum Fenster hinaus. Für ihn war es eine Weltreise, obgleich diese nur eine knappe Stunde dauerte. Und als sie dann vor dem Doppelbungalow hielten, riss Nicki die Augen ganz weit auf.

»Ein Schloss, Mami, schau mal, ein Schloss!«, rief er.

Brigitte sagte nichts. Sie hielt den Atem an und sah betroffen aus.

»Es sind zwei Häuser, Nicki«, erklärte Robert. »Sie sind nur durch den Innenhof verbunden. In dem hier drüben wohnt der kleine Florian mit seinen Eltern, von dem ich dir erzählt habe, und in dem anderen Haus wohnst jetzt du mit deiner Mami.«

»Und du?«, fragte Nicki.

»Ich wohne auch dort.«

»Dort wohnen wir«, sagte Nicki ganz andächtig. »Und so ein großer Garten. Dürfen da auch Kinder spielen?«

»Dazu ist er ja da«, erwiderte Ro­bert.

»Und niemand schimpft?«, fragte der Junge.

»Niemand schimpft, Nicki. Aber nun schaust du dir erst das Haus an.«

Er nahm Nickis Hand und streckte seine verbundene nach Brigitte aus. »Das Gepäck hole ich nachher«, sagte er.

Brigitte folgte ihnen mit gesenktem Kopf, während Nicki unentwegt plapperte.

»So ein schönes Haus haben wir noch nie gesehen, gell, Mami, noch nie. Bei uns gibt es so ein schönes Haus gar nicht.«

Aber drinnen verstummte er und blickte nur noch mit großen Augen um sich. Seine Füße versanken in weichen Teppichen, er wagte gar nicht mehr zu­zutreten.

Brigitte fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Jetzt verstehe ich, was Sie andeuten wollten, Bobby«, sagte sie leise. »Ja, jetzt verstehe ich es.«

»Fangen wir bei Nickis Zimmer an«, sagte Robert rasch.

»Bei meinem Zimmer?«, fragte Nicki sofort. »Habe ich hier denn auch ein Zimmer?«

»Das wirst du schon sehen«, sagte Robert, und plötzlich klang seine Stimme wieder fröhlich. Er war stolz auf sein Werk. Es war ein wunderhübsches, großes, freundliches Zimmer, und es fehlte auch an Spielsachen nicht.

Nicki sah Robert mit großen Augen an. »Und was sagt das Kind, dem das Zimmer gehört, wenn es wiederkommt, Bobby?«, fragte er.

»Das Zimmer gehört dir allein, Nicki. Es hat sonst noch niemand gehört. Gefällt es dir?«

»Mami, hast du das gehört?«, wisperte Nicki. »Das Zimmer gehört mir. Ist es nicht wunderwunderschön?«

Plötzlich rollten große Tränen über Brigittes Wangen. »Es ist zu viel«, flüsterte sie.

»Nein, Brigitte, es ist nicht genug«, sagte Robert. »Die Jahre kann ich nicht nachholen.« Aber das hörte Nicki nicht, so beschäftigt war er, alles zu betrachten. Seine Wangen glühten, und immer wieder kamen glückliche Seufzer über seine Lippen.

Robert öffnete die Verbindungstür. »Ihr Reich, Brigitte«, sagte er stockend, als er sah, wie sie verstohlen die Tränen wegwischte. »Sie sollen sich alles noch nach Ihrem Geschmack gestalten. Bisher hat hier ja keine Frau gewaltet.«

Es war alles so überwältigend, dass es auch Brigitte nicht fassen konnte. Und dann die Küche! Wie das alles blitzte und blinkte. Selbst Brigitte hatte gemeint, dass es eine solche Traumküche nur in Prospekten oder auf Ausstellungen geben konnte.