E-Book 131-140 - Patricia Vandenberg - E-Book
SONDERANGEBOT

E-Book 131-140 E-Book

Patricia Vandenberg

0,0
25,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. E-Book 131: … doch das Leben ist anders E-Book 132: Für ein gemeinsames Leben E-Book 133: Sie musste ihr Kind verschweigen E-Book 134: Angst um ein unbekanntes Mädchen E-Book 135: Sie rettete ein fremdes Kind E-Book 136: Von ihm hing alles ab E-Book 137: Niemand wusste von ihrem Leid E-Book 138: Die vielen ungeweinten Tränen E-Book 139: Ihr heimlicher Traum E-Book 140: Vergiss, was damals war E-Book 1: … doch das Leben ist anders E-Book 2: Für ein gemeinsames Leben E-Book 3: Sie musste ihr Kind verschweigen E-Book 4: Angst um ein unbekanntes Mädchen E-Book 5: Sie rettete ein fremdes Kind E-Book 6: Von ihm hing alles ab E-Book 7: Niemand wusste von ihrem Leid E-Book 8: Die vielen ungeweinten Tränen E-Book 9: Ihr heimlicher Traum E-Book 10: Vergiss, was damals war

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1500

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

… doch das Leben ist anders

Für ein gemeinsames Leben

Sie musste ihr Kind verschweigen

Angst um ein unbekanntes Mädchen

Sie rettete ein fremdes Kind

Von ihm hing alles ab

Niemand wusste von ihrem Leid

Die vielen ungeweinten Tränen

Ihr heimlicher Traum

Vergiss, was damals war

Dr. Norden Bestseller – Staffel 14 –

E-Book 131-140

Patricia Vandenberg

… doch das Leben ist anders

Roman von Vandenberg, Patricia

»Mei, bist du schön!«, bestaunte Danny Norden seine Mutter, die sich in einem zauberhaften Abendkleid aus meergrünem Chiffon im Spiegel begutachtete.

Fee lachte in sich hinein. Niemand würde es glauben, dass sie sich dieses Kleid hatte arbeiten lassen, als sie vor acht Jahren mit Daniel den ersten großen Ball ihres Lebens besuchte. Sie hatte es gehütet und aufbewahrt als Erinnerung an seinen ersten Heiratsantrag, und nun, in diesem Winter, war es wieder so modern, als hätte es ein Modeschöpfer erst gestern für sie entworfen.

Nun trat auch Daniel ein. »Zauberhaft«, sagte er atemlos, und dann schnaufte er tief durch. »Das Kleid kenne ich doch, Fee.«

»Pssst«, machte sie, »niemand braucht es zu wissen. Aber warum soll ich einen Haufen Geld für ein neues Kleid ausgeben, da es das schönste ist, das ich je besessen habe. Und was es jetzt kosten würde, möchte ich gar nicht wissen. Wir gehen zu einem Wohltätigkeitsball, und da können wir das Geld lieber spenden.«

»Und du wirst die Allerschönste sein«, sagte er bewundernd.

»Ganz bestimmt«, warf Danny ein. »Wie eine Prinzessin sieht Mami aus.«

»Wie eine richtige Fee«, murmelte Daniel, seine Hände um ihre Schultern legend.

»Lose müsst ihr kaufen, das hat Omi extra am Telefon gesagt, da könnt ihr nämlich tolle Sachen gewinnen. Sogar eine tolle Armbanduhr mit Kompass.«

So was imponierte ihm. Fee wusste, welche Gewinne weitaus kostbarer waren, aber mit Losen hatten weder sie noch Daniel bisher Glück gehabt. Ihr war das private Glück, das sie geschenkt bekommen hatte, auch viel wertvoller.

»Ein Luxusauto kann man auch gewinnen«, sagte Daniel verschmitzt, als sie dann zu dem Ball fuhren. Zuerst hatte Daniel gemurrt, als die Einladung kam, aber nun machte es ihm richtigen Spaß, als Fee so bewundernd betrachtet wurde.

Generaldirektor Rüffner und seine Frau Gerda hatten ihnen die Einladung zukommen lassen, und an ihrem Tisch waren auch die Plätze reserviert. Gerda Rüffner war voller Dankbarkeit für Dr. Daniel Norden, weil der die richtige Diagnose gestellt hatte, als sich an ihren Armen drei warzenähnliche Auswüchse zeigten, deren Anblick sie in Panik versetzt hatte, weil sie tatsächlich innerhalb kurzer Zeit größer wurden. Es waren harmlose Hauttumore, die Dr. Behnisch dann ambulant entfernt hatte. Die Untersuchung bestätigte dann Dr. Nordens Diagnose, und Gerda Rüffner war seither von ihren Ängsten befreit.

Sie war eine nette Frau, frei von jeglichem Dünkel, obgleich ihr Mann als vielfacher Millionär galt. Ob in der Ehe allerdings alles stimmte, wusste man nicht, denn Carl Rüffner blinzelte gern nach schönen Frauen. Gerda war nicht schön, ein bisschen füllig, Mutter von halb erwachsenen Kindern, aber sehr sympathisch und zum Glück auch mit einem angenehmen Phlegma gesegnet, das den diversen Flirts ihres Mannes keine einschneidende Bedeutung beimaß.

Er ließ den Charme, dem man ihm nicht absprechen konnte, versprühen. Er konnte sich auch an diesem Abend als Hahn im Korbe fühlen. Er war eine markante Erscheinung, und sein Name tat ein Übriges, dass die reizenden jungen Starlets, die sich auf vielfältige Art Eintritt in die illustre Gesellschaft verschafften, sich gern um ihn scharten. Schließlich war er auch Mitbesitzer einer Filmgesellschaft.

»Der gute Carl wird sich wieder ein bisschen übernehmen und dann drei Tage über seine Bandscheibe klagen«, bemerkte Gerda Rüffner amüsiert. »Morgen gegen Mittag wird bei Ihnen das Telefon klingeln, lieber Dr. Norden, und dann wird er seine Spritze brauchen.«

Aber dann wandte sie sich Fee zu. »Ich will ja nicht neugierig sein«, sagte sie, »aber wo haben Sie dieses bezaubernde Kleid arbeiten lassen, Fee?« Sie nahm sich die Freiheit, die Jüngere mit dem Vornamen anzureden, und Fee nahm es ihr nicht übel, weil Gerda Rüffner sagenhaft viel für das Waisenhaus tat, zu dessen Schirmherrin sie kürzlich gewählt worden war.

»Ihnen werde ich es sagen«, erwiderte Fee schelmisch. »Es ist bereits acht Jahre alt und nur gereinigt worden.«

»Das würde niemand glauben, aber wenn Sie es sagen, nehme ich es hin«, sagte Gerda. »Aber Sie könnten ja auch in Leinwand erscheinen, und alle würden auf Sie schauen. Und Ihr Mann wird schon eifersüchtig.«

»Das bin ich gewohnt«, lächelte Fee. »Kaufen wir also Lose. Was ich an einem neuen Kleid gespart habe, werde ich ausgeben. Das heißt, dass ich nur den Preis von vor acht Jahren einkalkuliere. Aber ich muss sagen, dass auch Ihr Kleid sehr hübsch ist, Frau Rüffner.« Und das sagte sie ehrlich, denn Gerda kleidete sich geschmackvoll und ihrer Figur entsprechend.

»Ich verrate Ihnen auch ein Geheimnis«, raunte ihr Gerda zu. »Ich habe eine alte Schulfreundin, die Schneiderin geworden ist, und bei ihr bekomme ich auch alles preiswert. Das verrate ich natürlich nicht meinem Mann. Was übrig bleibt von meinem Kleiderbudget, spare ich für die Kinder. Wenn die mal etwas Besonderes wollen, wird er nämlich knauserig.« Sie zwinkerte. »Sie werden es ja nicht für möglich halten, Fee, aber ich muss sogar ein Haushaltsbuch führen.«

Nur so wird man Millionär, dachte Fee, aber sie dachte es ohne Neid. Ihr war es lieber, dass zwischen ihr und ihrem Mann volles Vertrauen herrschte.

Sie kaufte zwanzig Lose, Stück für zehn Euro. Frau Rüffner kaufte nur fünfzehn.

»Ich habe sowieso kein Glück«, sagte Gerda, »der gute Carl soll was springen lassen.«

»Vielleicht gewinne ich doch die Uhr mit Kompass, die wünschte sich unser Danny«, sagte Fee, als sie die erste Gewinnnummer zog.

»Unser Carlo hofft auf das Luxusauto«, sagte Gerda lachend. »Er hat nämlich zum bestandenen Abitur nur einen uralten Volkswagen bekommen. Aber wie ich mich kenne, werde ich wieder Pralinen gewinnen, damit ich noch dicker werde oder ein Parfüm, das ich sowieso nicht mag.«

Aber dann kam der Generaldirektor Rüffner und forderte Fee zum Tanz auf, und Daniel entschloss sich, auch Gerda Rüffner auf das Tanzparkett zu ziehen.

»Mächtig eng und heiß«, sagte er entschuldigend.

»Sie müssen halt die Ellenbogen gebrauchen, wie mein Göttergatte«, sagte Gerda lachend. »Aber jetzt werden wir uns sowieso gleich ausruhen können, weil er Ihre zauberhafte Frau herumschwenken kann, Dr. Norden.«

Und so war es tatsächlich, denn man stellte sich auf und klatschte dem temperamentvoll tanzenden Paar Applaus.

»Ich schaff das nicht mehr«, sagte Gerda. »Aber Carlchen will alles, aber auch alles perfekt machen.«

»Und es gelingt ihm auch«, sagte Daniel. »Er hat eine gute Kondition.«

»Bis morgen früh«, sagte sie ironisch. »Daheim wirkt er nicht so, aber er kehrt immer wieder an seine Futterkrippe zurück. Jetzt sind wir bald zwanzig Jahre verheiratet, und da gewöhnt man sich an alles.«

Und dann schwenkte die Band zu einem Walzer um. Da kapitulierte Carl Rüffner, und Daniel führte Gerda aufs Parkett. »Das schaffen wir«, raunte er ihr zu. »Können Sie Walzer auch linksrum?«

»Aber ja«, und sie lachte ihm zu, und Fee lachte auch, denn sie wusste, was ihr Mann bezweckte.

»Ihre Frau ist gut in Form, Herr Rüffner«, sagte sie hintergründig.

»Sie geht aus dem Leim«, brummte er.

»Mögen Sie die mageren Dinger lieber, an deren Knochen man sich stößt?«, fragte Fee. »Ihre Frau ist gerade richtig.«

»Finden Sie das?«, fragte er erstaunt.

»Sie ist mir lieber, als diese aufgetakelte Gesellschaft insgesamt, wenn ich das sagen darf. Schmarotzer, wohin man blickt. Die Lose werden auch schlecht verkauft. Ich werde noch mal ins Portemonnaie greifen.«

»Ich mache mit«, sagte er. »Aber ich darf Ihnen fünf Lose schenken, Ballkönigin.«

Fee war in bester Stimmung. Sie nahm auch die fünf Lose an und steckte sie in eine Seitentasche ihres Handtäschchens, damit sie auch erfuhr, ob ein Gewinn dabei war. Sie selbst kaufte nochmals zehn Lose und nahm es wohlwollend zur Kenntnis, dass Carlo Rüffner darauf nochmals zwanzig kaufte, um nur ja nicht hinter ihr zurückzustehen.

Als sie dann feststellte, dass sie zehn Gewinnzahlen hatte, wurde es ihr ganz schwummerig. Sie schob sie ihrem Mann unauffällig hin.

»Dein Auto kannst du nicht gleich mitnehmen, Gerda«, spottete er.

»Aber ein Taxi kann ich immer noch bezahlen«, gab sie zur Antwort. »Viel Spaß, und denk an deine Bandscheibe.«

»Sei nicht albern, wir gehen natürlich gemeinsam.«

»Aber gleich«, sagte sie, »ich bin müde, und die Nordens gehen auch, und was sonst da ist, ist mir völlig wurscht.«

»Die Nordens brauchen nicht zu repräsentieren«, sagte er.

»Du auch nicht. Dir laufen sie doch so nach, diese kleinen Häschen, und die andern, die auch so viel haben wie du, lächeln über dich. Natürlich sagen sie nichts in der Öffentlichkeit, aber du kannst dich ja mal umschauen.«

»Warum bist du so aggressiv, Gerda?«, fragte er.

»Ich bin gar nicht aggressiv, nur schrecklich nüchtern. Ich habe ein paar Lose gekauft. Das hätte ich mich gar nicht getraut, wenn Dr. Norden nicht so viele gekauft hätte, und ich wollte mich nicht blamieren, und dich auch nicht. Schließlich ist es ja eine Wohltätigkeitsveranstaltung, und da soll man auch mal etwas geben, wenn man nicht namentlich genannt wird. Einesteils freut es mich, dass ich das Auto gewonnen habe, andererseits ist es mir peinlich. Aber die paar hundert Euro für den wohltätigen Zweck sind ja durch das teure Auto eingebracht. Ich werde also keine Schelte bekommen.«

»Ich weiß nicht, warum du so spitz bist, Gerda«, sagte er.

»Vielleicht deshalb, weil ich einmal hautnah erlebt habe, wie nett, heiter, freundlich und dennoch distanziert ein anderer Ehemann ist«, sagte sie ruhig. »Es war für mich ein sehr schöner und sehr aufschlussreicher Abend. Und ich habe von Frau Norden sogar ein ehrliches Kompliment für mein Kleid bekommen.«

»Na, das war ja auch teuer genug«, sagte er.

Sie lächelte hintergründig. »Darüber reden wir noch«, sagte sie. »Bist du bereit, mit mir heimzufahren? Es ist fast zwei Uhr.«

»Ja, selbstverständlich«, sagte er, und schon fasste er sich an den Rücken.

Ihr Lächeln vertiefte sich noch mehr. »Ja, ja, die Bandscheibe«, sagte sie nebenbei.

*

Um diese Zeit waren Fee und Daniel Norden längst daheim. »Du lieber Himmel, Daniel, was sollen wir mit all den Sachen machen?«, fragte Fee.

»Zuerst freuen wir uns mal, dass du so viel Glück hattest. Sicher war es das Kleid, Fee.«

»Wie sagt man doch: Glück im Spiel, Unglück in der Liebe.«

»Das nun bestimmt nicht, mein Schatz. Mich hast du für immer.«

»Die Reise machen wir aber«, sagte sie. »So billig kriegen wir eine so schnell nicht mehr.«

»Und die Kinder?«

»Die werden uns schon mal vierzehn Tage entbehren können. Man darf sie auch nicht zu abhängig machen. Ich denke es mir wunderschön, einmal ganz allein mit dir zu sein.«

»Mit diesem Gedanken kann ich mich vertraut machen«, sagte er. »Aber wer vertritt mich?«

»Das wird sich finden. Arm an Ärzten sind wir ja nicht gerade. Aber die machen ihre Praxis auch einfach mal zu, wenn sie Urlaub machen. Und falls dir die Patienten davonlaufen sollten, siedeln wir auf die Insel um.« Sie sagte es mit leisem Lachen, denn sie wusste genau, dass Daniel die Patienten nicht davonlaufen würden.

»Loni hätte bestimmt auch nichts dagegen, mal wieder zwei Wochen auf der Insel zu verbringen«, sagte Daniel dann auch nachdenklich, »und wenn Lenni und Loni dort sind, wird es für Anne nicht zu viel. Mal sehen, was die Kinder dazu sagen.«

Die waren erst mal sprachlos, als sie von den vielen Gewinnen hörten, und Lenni wollte es gleich gar nicht glauben. Aber als dann noch von der Schiffsreise gesprochen wurde, nahm das Staunen kein Ende.

»Da habe ich aber Angst, wenn ihr auf dem Meer fahrt«, flüsterte Felix.

»Aber das ist ein ganz großes Schiff«, sagte Fee.

»So ein großer Tanker ist auch schon mal untergegangen«, warf Danny ein.

Sie machten sich schon Gedanken, und ganz so begeistert war Fee auch nicht mehr, aber dann war es Lenni, die ihnen und auch den Kindern zuredete.

»Das ist doch mal ein schönes Erlebnis«, meinte sie. »Und ihr werdet es bei den Großeltern gut haben.«

Und diese bestätigten ihnen in einem Telefongespräch, wie groß die Freude auf der Insel der Hoffnung sein würde, die Kinder mal längere Zeit dort zu haben.

Die Vorbereitungen wurden getroffen. Die Zeit verging rasch, bis Loni dann mit einem kleinen Seufzer das Schild an der Tür zur Praxis befestigte, das aussagte, dass die Praxis zwei Wochen wegen Urlaubs geschlossen sei. Hoffentlich kommen sie heil zurück und haben eine schöne Zeit, dachte sie. Aber sie freute sich nun auch schon auf die Insel der Hoffnung, auf die Wochen mit den Kindern, auf manche gemütliche Stunde mit Dr. Cornelius und seiner Frau Anne, mit Isabel und Dr. Jürgen Schoeller.

*

Eine Traumreise war Daniel und Fee versprochen worden, und als sie den Luxusdampfer betraten, sprach alles dafür, dass zumindest der äußere Rahmen vielversprechend war. Eine Kabine mit allem Komfort wartete auf sie. So gut geschultes Personal fand man selbst in den allerbesten Hotels der Städte kaum noch. Eine schwimmende Stadt, die jegliche Annehmlichkeiten bot, konnten sie besichtigen, und danach war Fee so müde, als hätte sie eine lange, beschwerliche Bergtour gemacht.

»Wenn wir das selber bezahlen müssten, würden wir kaum so vergnügt sein«, sagte Daniel.

»Ich bin augenblicklich gar nicht vergnügt«, meinte Fee. »Lieber Himmel, wir befinden uns unter Großkapitalisten. Hast du gesehen, mit was für Klunkern die Damen herumrennen? Und jeden Tag wird es eine Modenschau geben. Darauf bin ich nicht eingerichtet.«

»Mach dir keine Gedanken, mein Schatz. Ich fürchte, dass viele der diamantbesetzten Damen seekrank werden. Und ein paar nette, normale Menschen werden wir schon kennenlernen. Der Kapitän ist jedenfalls ein Original, und wir werden bei ihm am Tisch sitzen.«

»Der Schiffsarzt scheint nicht sehr gesellig zu sein«, stellte Fee fest. »Wie heißt er eigentlich?«

»Neff, und mir kommt sein Gesicht bekannt vor.«

»Jetzt muss ich mich erst verschnaufen, Daniel. Winke, winke brauchen wir ja nicht zu machen. Hoffentlich geht es den Kindern gut.«

»Na, sie haben doch die beste Betreuung, Feelein«, sagte er. »Du wirst doch nicht seekrank werden?«

»Paps hat uns ja seine guten Mittelchen mitgegeben«, lächelte sie. »Wir sind bestens versorgt. Wir werden den Schiffsarzt kaum in Anspruch nehmen müssen.«

Der Schiffsarzt Dr. Karlheinz Neff war schon mit der ersten Patientin beschäftigt, einer jungen Dame, die mit ihrem hohen, dünnen Absatz irgendwo stecken geblieben war und sich den Fuß ganz hübsch verknackst hatte.

Sie hieß Jill Vanderhoven und war mit ihren Eltern an Bord gekommen. Der Name Vanderhoven flößte Ehrfurcht ein, denn Fredrik Vanderhoven war Mitbesitzer dieses stolzen Schiffes, das nun seine Jungfernfahrt antrat.

Jill dagegen war ein Mädchen der supermodernen Generation. »So ein Mist, jetzt kann ich nicht mal tanzen«, sagte sie.

»Nur ein paar Tage nicht«, sagte Dr. Neff ruhig. »Es ist nicht so schlimm, wie es jetzt aussieht. Und fürs Eingewöhnen sind ein paar Ruhetage gar nicht schlecht.«

»Bekommen Sie auf einer solchen Reise eigentlich viel zu tun?«, fragte sie so nachdenklich, dass er stutzte.

»Das weiß ich noch nicht. Ich fahre zum ersten Mal auf einem Schiff.«

»Du liebe Güte, wie das? Wenn Sie nun seekrank werden, was ist dann?«

»Ich werde nicht seekrank«, versicherte er. »Es gibt wirksame Mittel.«

»Warum werden dann so viele Leute seekrank?«

»Weil sie auf wirksame Mittel nicht zurückgreifen wollen und sich zu ausgiebig der wirklich guten Küche widmen, und auch, weil jeden Abend etwas los ist.«

»Das wissen Sie, obgleich Sie Ihre erste Reise als Schiffsarzt machen?«

»Ich bin von meinem Kollegen, der plötzlich erkrankt ist, ausreichend informiert worden«, erwiderte er. »Sie brauchen es aber nicht gleich auszuposaunen, dass ich nur eine Vertretung bin.«

»Warum haben Sie es mir dann gesagt?«, fragte Jill.

Ja, warum eigentlich, fragte er sich selbst. Und dann erst fragte er sie nach ihrem Namen. Er erschrak.

»Die Tochter vom höchsten Chef?«, fragte er rau.

»Sie brauchen nicht gleich in Panik zu geraten«, sagte Jill lässig. »Ich wäre gern anonym hier, und ich bin keine Klatschtante.«

Erst als er jetzt lächelte, bemerkte sie die Narbe, die sich über seine Wange zog. Ein Schmiss, der ein Merkmal einer schlagenden Studentenverbindung war? Nein, so sah er eigentlich nicht aus, als würde er sich dafür das Gesicht zeichnen lassen. Jill war ein hellwaches Mädchen. Zweiundzwanzig Jahre jung und nie begeistert gewesen, zu einer privilegierten Gesellschaft zu gehören. Ihr junges klares Gesicht war jetzt ernst und nachdenklich.

»Jedenfalls verstehen Sie Ihren Beruf«, sagte sie. »Ich habe schon keine Schmerzen mehr.«

»Sie werden wiederkommen, wenn die Betäubung nachlässt«, sagte er ruhig. »Dann kommen Sie wieder zu mir. Aber hohe Absätze sollten Sie vorerst meiden.«

»Ich komme mir sonst gar zu winzig zwischen meinen Eltern vor«, sagte sie mit einem spöttischen Lächeln. »Haben Sie sie schon gesehen? Ich bin nur eine mickrige Frühgeburt und in ihren Augen wohl dazu verdammt, immer ein kleines Mädchen zu bleiben.«

»Sie sind aber ziemlich selbstbewusst.«

»Das mag so aussehen«, sagte sie leise. »Irgendwie muss man sich ja behaupten.«

»Sie sagen es.« Seine tiefe Stimme hatte einen harten Klang.

Sie humpelte zur Tür. »Falls meine Mutter Sie in irgendeiner Weise benötigen würde, Herr Dr. Neff«, sagte sie, »ich kann Ihnen nur die Empfehlung geben, so wenig wie nur möglich zu sagen. Sie versteht es, die Menschen auszufragen. Sie ist unglaublich hartnäckig. Sie werden außerdem mit uns am Kapitänstisch sitzen. Da wird noch ein Arztehepaar anwesend sein. Ich werde jedenfalls heute Abend die verordnete Bettruhe genießen.«

»Die habe ich nicht verordnet, so schlimm ist es nicht.«

»Sie werden diese verordnen«, sagte Jill. »Ich bin nämlich gar nicht wild auf das Tamtam und auf das Tanzen auch nicht, wenn ich anfangs auch den Anschein erwecken wollte. Und außerdem studiere ich gegen den Willen meines Vaters Medizin. Er ist auf der krampfhaften Suche nach einem Mann für mich, der mich von meinen Illusionen heilt. Und wie ich annehme, ist dieser Mann Mr Neal Clark, der auch am Kapitänstisch sitzen wird. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diesem kein wirksames Mittel gegen Seekrankheit geben würden.« Sie blinzelte ihm zu. »Vertrauen gegen Vertrauen«, fügte sie leise hinzu.

*

Daniel und Fee Norden lernten das Ehepaar Fredrik und Wilma Vanderhoven ebenso kennen wie jenen Mr Neal Clark, der die Verkörperung eines Gentlemans zu sein schien. Dazu wurden sie mit einer Lady Corner bekannt gemacht, die Ähnlichkeit mit der alten Königin Victoria von England hatte.

Dr. Neffs Platz blieb leer. »Unser Arzt hat schon allerhand zu tun«, erklärte Kapitän Willemsen. »Leider muss auch die reizende Miss Vanderhoven das Bett hüten, da sie sich den Fuß verstaucht hat.«

Unwillig runzelte Fredrik Vanderhoven die Stirn. »Diese Bleistiftabsätze«, brummte er.

»Sie sind nun mal in Mode«, sagte Lady Corner.

Fee blickte überrascht auf. Es klang spöttisch, aber auch anzüglich. Die alte Dame richtete ihren Blick auf Neal Clark. »Neuerdings tragen ja auch junge Männer hohe Absätze, um größer zu erscheinen als sie sind«, fügte sie hinzu. Und ihr Lächeln war unergründlich.

Fee empfand plötzlich eine unerklärliche Sympathie für die alte Dame. Als deren Blick sie traf, lächelte sie ihr zu. Und Lady Corner lächelte zurück. Sie sah richtig mütterlich aus. Wenigstens ein menschliches Wesen, ausgenommen den Kapitän, dachte Fee.

Das Essen war vorzüglich, wenn auch die Stimmung im Speisesaal noch etwas steif war. Fee ließ ihre Blicke ebenso umherschweifen wie Daniel, aber sie machten unterschiedliche Beobachtungen.

Fee fiel eine sehr elegante junge Frau auf, die teilnahmslos neben einem distinguiert wirkenden Mann mit grauen Schläfen saß. Dann wanderte ihr Blick zu einem Tisch, an dem ein Ehepaar mit zwei hübschen Teenagern saß und einem Jungen, der dreizehn Jahre alt sein mochte.

Daniel dagegen beobachtete eine Schönheit, die nicht mehr ganz jung war und kränklich wirkte. Die stand plötzlich auch auf und verließ schwankend den Speisesaal.

Am Kapitänstisch war man beim Dessert angelangt. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Daniel, stand auf und folgte der Fremden. Er traf sie, als sie, an der Reling lehnend, nach Luft rang.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er ruhig.

»Sie sind doch nicht der Schiffsarzt«, sagte sie tonlos.

»Das nicht, aber ich bin auch Arzt«, sagte er. »Dr. Norden.« Er griff nach ihrer Hand, die eiskalt war. »Sind Sie Sheila Macleen?«

»Sie kennen mich?«

»Ihr Bild und Ihre Berichte über Ihre Forschungen«, erwiderte er. »Ich war mir allerdings nicht ganz sicher.«

»Ich bin inkognito hier«, sagte sie mühsam, »einfach Sheila Mack. Ich dachte nicht, dass jemand mich erkennen würde. Es ist meine letzte Reise, Dr. Norden. Der Name stimmt doch? Ich vergesse so schnell.«

»Soll ich Sie nicht zum Schiffshospital bringen?«, fragte Daniel ruhig.

»Bitte zu meiner Kabine. Ich habe alle Medikamente dabei.«

»Ich werde Dr. Neff Bescheid sagen, dass er sich um Sie kümmert«, sagte er.

»Es wird ihn nicht freuen, aber warum nicht«, murmelte sie.

*

Als Daniel Norden nach einer halben Stunde an den Tisch zurückkehrte, erntete er befremdete Blicke, auch von seiner Frau.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er, »aber ich bemerkte, dass sich eine Dame nicht wohlfühlte. Dr. Neff betreut sie inzwischen.«

»Er scheint ja viel zu tun zu bekommen«, stellte Kapitän Willemsen fest. »Wie gut, dass wir noch einen Arzt an Bord haben«, fügte er augenzwinkernd hinzu.

»Ich weiß nicht, warum Leute eine Schiffsreise machen, wenn sie schon in den ersten Stunden krank werden«, sagte Fredrik Vanderhoven unwillig.

»Du könntest auch ein bisschen auf deinen Magen achten«, bekam er von seiner Frau zu hören.

Daniel und Fee tauschten einen langen Blick, und Fee vergaß ihr Misstrauen, das einer eifersüchtigen Regung entsprungen war.

»Man muss sich akklimatisieren«, sagte Fee. »Übrigens bin ich auch Ärztin, falls ein Notstand eintreten sollte«, fügte sie lächelnd hinzu. »Aber vorerst muss ich feststellen, dass die Seeluft müde macht.«

»Ich muss Ihnen recht geben«, sagte Lady Corner. »Ich werde mich zurückziehen. Würden Sie mich begleiten, meine Liebe?«, richtete sie das Wort an Fee. »Ich lasse mich lieber von weiblichen Ärzten beraten.«

Fee war das Recht. Es war eine gute Gelegenheit, sich zurückzuziehen.

»So hatten Sie sich Ihre Urlaubsreise wohl nicht gedacht, Herr Dr. Norden?«, fragte Wilma Vanderhoven ironisch.

»Es pendelt sich alles ein«, sagte Daniel nachsichtig.

*

Dr. Neff war in viel größerer Bedrängnis. »Wie hast du mich gefunden, Sheila?«, fragte er.

»Du wirst es nicht glauben, aber es war ein Zufall. Aber ein willkommener. Er gibt mir Gelegenheit, manches zu klären.«

»Es ist alles geklärt, Sheila.«

»Nichts ist geklärt«, sagte sie. »Aber ich bin zu müde, Kneff. Ich will nur diese Reise überstehen, und wenn ich besser beieinander bin, werden wir reden miteinander.«

»Sag nicht Kneff, ich kann es nicht mehr hören«, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

»Warren wollte dich nicht umbringen, dich nicht«, murmelte sie. »Er ist durchgedreht.«

»Bitte, hör auf. Konntest du nicht mit einem andern Schiff fahren oder fliegen?«

»Gib mir eine Spritze«, sagte sie erschöpft. »Ich werde nicht mehr lange leben, das ist eine Tatsache.«

»Das hast du schon vor zwei Jahren gesagt.«

»Damals habe ich es nur geahnt, aber jetzt weiß ich es. Du bist Arzt. Du wirst es doch feststellen können, dass es Leukämie ist, Kneff.«

»Nein«, sagte er heiser.

»Es ist so. Erbarme dich meiner.« Das sagte sie sarkastisch. »Ich will dir doch nicht schaden. Zwischen uns ist doch sowieso alles aus.«

Alles aus, dachte er. Werde ich je darüber hinwegkommen? »Wenn du mir nicht helfen willst, ruf diesen Dr. Norden«, sagte sie. »So einen Mann habe ich mir immer gewünscht.«

»Deine Wünsche waren ständigem Wechsel unterworfen, Sheila«, sagte er rau. »Und wenn du bekommen hast, was du wolltest, war schon der nächste Wunsch parat.«

»Vielleicht wusste ich immer, dass ich nicht lange leben würde«, sagte sie müde. »Manche Menschen haben achtzig Jahre und noch mehr. Andere nicht mal die Hälfte. Geh jetzt.«

Ihre Augen fielen zu. Sie schlief ein, und jetzt sah er deutlich, wie sehr ihr Gesicht schon von der Krankheit gezeichnet war.

Das könnte das Ende sein, dachte er. Aber ausgerechnet auf dieser Fahrt?

*

»Ich habe mich für widerstandsfähiger gehalten«, sagte Lady Corner, »aber es war keine gute Atmosphäre. Dieser Clark hat mir den Appetit genommen. Wie kann Fredrik nur auf den Gedanken kommen, Jill mit ihm verkuppeln zu wollen?«

Fee wusste nicht, was sie da überhaupt redete. So schnell konnte sie doch nicht kombinieren, dass am Tisch nicht festzustellen gewesen war, dass Lady Corner in irgendeiner Verbindung zu den Vanderhovens stand.

»Ich bin froh, mit einem normalen Menschen sprechen zu können, Frau Norden«, sagte die alte Lady. »Ich bin Jills Großmutter. Jedoch nur die Stiefmutter von Wilma. Die Eingeweihten, ich meine damit den Kapitän, wissen es natürlich. Ich glaube, dass Jill den schlimmen Fuß nur vorschiebt. Bringen Sie mich zu ihrer Kabine.«

»Wie Sie wünschen, Lady Corner«, sagte Fee.

»Wie finden Sie diesen Clark?«, fragte die Lady.

»Ich kann mir kein Urteil erlauben. Für mich ist alles zu neu und ungewohnt. Wir haben diese Reise nämlich gewonnen.«

Die alte Dame blieb stehen und sah Fee scharf an. »Aber Sie sind eine Lady«, sagte sie, »wenn man diese Bezeichnung anwenden will.«

»Danke«, sagte Fee, »aber wir hätten bestimmt nicht so viel Geld für eine solche Reise ausgegeben.«

»Ich auch nicht, wenn man es genau nehmen will«, lächelte die alte Dame. »Als Gesellschafterin der Firma kann ich fahren, wohin ich will und wann immer, und ich mache Gebrauch davon. Mir geht es übrigens sehr gut, falls Sie sich Sorgen machen sollten. Ich werde nie seekrank, was immer ich auch esse. Oh, Kabine vier, da sind wir schon bei Jill. Mal sehen, ob sie für mich zu sprechen ist.«

Jill war für sie zu sprechen. »Komm nur herein, Granny«, rief sie. »Für dich bin ich noch munter.«

»Möchten Sie Jill kennenlernen, Frau Norden?«, fragte Lady Corner.

»Ein andermal gern«, erwiderte Fee. »Ich bin wirklich müde. Ich bitte um Ihr Verständnis.«

»Aber gewiss. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nachtruhe.«

»Ich Ihnen auch, Lady Corner.«

*

»Mit wem hast du gesprochen, Granny?«, fragte Jill. »Die Stimme kenne ich nicht.«

»Du wirst sie kennenlernen, mein Kind. Eine sehr charmante Frau, und dazu Ehefrau eines überaus charmanten Mannes. Beides Ärzte. Dr. Norden heißen sie. Aber was ist nun wirklich mit deinem Bein, mein Kind?«

»Schau es dir an. Ich habe nicht gemogelt, wenngleich es mir nicht unwillkommen war, der Abendtafel fernzubleiben. Wie ist Dad gelaunt?«

»Es geht. Ich habe mich mehr auf dieses wirklich sympathische Ehepaar konzentriert. Taugt der Schiffsarzt etwas?«

»Ich kann nicht klagen. Ein eigenartiger Mensch, aber auch sehr sympathisch.«

»Jung?«

»Schwer zu schätzen. Wie hat sich Neal benommen?«

»Nichtssagend, wie nicht anders zu erwarten. Wenn er redet, kommt sowieso nicht viel dabei heraus.«

»Du darfst es nicht so streng sehen, Granny. Er schleppt den Namen Clark mit sich herum, und daran muss er hart tragen«, meinte Jill schelmisch. »Heiraten werde ich den nie, da kannst du sicher sein.«

»Wen denn?«

»Wenn ich das nur wüsste! Vielleicht heirate ich überhaupt nicht. Wenn ich mir die Ehe meiner Eltern als Beispiel nehme, kann mir die Lust vergehen, mich auch nur flüchtig zu verlieben.«

»Das dürftest du auch nicht so eng sehen, Kind. Sie passen ganz gut zueinander, nur du tanzt aus der Reihe.«

»Ich bin halt nach dir geraten.«

»Dabei sind wir nicht mal verwandt«, sagte die alte Dame nachdenklich.

»Aber du hast mich erzogen.«

»Erzogen?« Lady Corner lachte leise auf. »Man hat es wohl erwartet. Jedenfalls hat deine Mutter mir das wenigstens zugetraut.«

»Sie musste sich um ihre Söhne kümmern«, sagte Jill spöttisch, »die Frühgeburt war Nebensache.«

»Sei nicht gar zu hart. Deine Brüder sind wohlgeraten. Jedenfalls werden wir mit Frau Norden in netter Gesellschaft sein, Jill. Ich werde mich zur Ruhe begeben.«

»Hast du einen spannenden Krimi?«, fragte Jill.

»Nichts, was mir gefallen könnte. Vielleicht schreibe ich selbst mal einen.«

»Dir trau ich alles zu«, lachte Jill. »Danke, dass du gekommen bist, Granny.«

»Deinetwegen mache ich die Reise ja nur mit. Ich werde nicht dulden, dass du verkuppelt wirst.«

»Da kannst du unbesorgt sein. Das gelingt nicht mal meinem Vater!«

*

Fee war noch im Bad, als Daniel kam. Er stöhnte vor sich hin. »War nicht so einfach, wegzukommen.«

»Es wird ganz spannend werden«, sagte Fee. »Eigenartige Familienverhältnisse sind das schon.«

»Wieso?«

»Lady Corner ist die Stiefmutter von Mrs Vanderhoven. Sie jedenfalls gefällt mir.«

»Sheila Macleen gefällt dir nicht?«, fragte er.

»Wen meinst du?«

»Du hast sie nicht erkannt?«

Fees Augen weiteten sich. »Die Frau, der du folgtest?«

Er nickte. »Sie fährt unter dem Namen Mack. Sie ist sehr krank, Fee.«

»Warum macht sie dann eine Schiffsreise?«

»Ich weiß es nicht. Du wirst doch nicht eifersüchtig gewesen sein?«

»Ein bisschen peinlich war es schon«, sagte Fee. »Wilma Vanderhovens Augen haben vielleicht gefunkelt.«

»Lass sie funkeln«, sagte er. »Als Arzt musste ich Sheila nachgehen. Sie wäre vielleicht über Bord gefallen oder gar gesprungen.«

»Mach nicht solche Witze«, sagte Fee.

»Ich mache keine. Ich kann mich nur immer wieder über die Gleichgültigkeit der Menschen wundern. Zumindest ihre Tischnachbarn müssen bemerkt haben, dass sie am Zusammenbrechen war. Und sie sagte, dass es ihre letzte Reise sei.«

»Was sonst noch?«

»Nichts. Ich habe den Schiffsarzt gerufen.«

»Wenn es so weitergeht, wird er nie an einem Essen teilnehmen können«, sagte Fee.

»Vielleicht legt er auch keinen Wert darauf. Frühstücken können wir wenigstens allein, mein Schatz, und das werden wir genießen.«

»Und auf das Mittagessen könnten wir verzichten, sonst passe ich in kein Kleid mehr hinein«, sagte Fee seufzend.

»Man kann Sport treiben an Bord, Fee«, lachte er.

»Dann fangen wir aber gleich morgen früh damit an.«

»Heute, ein neuer Tag hat schon begonnen.«

»Wenn alles so schnell vergeht, sind wir bald wieder zu Hause«, sagte sie gedankenverloren.

»Ich hab’s ja geahnt«, murmelte er.

»Was?«, fragte sie.

»Dass du schon wieder an Zuhause denkst.«

»Ach was, wir werden viel erleben«, sagte Fee.

Und das sollten sie!

*

Das Frühstück hatten sie in trauter Zweisamkeit in ihrer Kabine genossen. Zu bewältigen war nicht, was ihnen serviert wurde, obgleich sie beide über mangelnden Appetit nicht klagen konnten. Die Seeluft schien doch hungrig zu machen und auch zu zehren, wie sie feststellen konnten, als sie auf die Waage stiegen. Dann aber bummelten sie an Deck herum. Sie befanden sich schon auf hoher See. Der Wind wehte, die Wellen bewegten sich noch gemäßigt mit Gischtkronen, die unter den Strahlen der Sonne silbrig glänzten.

Es gab nicht allzu viele Passagiere, die diesen Anblick so genossen wie Daniel und Fee, doch zu den wenigen gehörten Lady Corner und Jill Vanderhoven.

»Schön, nicht wahr?«, sagte die alte Lady, als Fee und Daniel einen guten Tag wünschten. »Ich verstehe die Menschen, die ihre letzte Ruhestätte im Meer finden wollen, mehr und mehr.«

»Ich mag es nicht, wenn du so redest, Granny«, sagte Jill unwillig.

»Meine Enkelin Jill Vanderhoven«, sagte Lady Corner lächelnd. »Und das, meine liebe Jill, ist das Ehepaar Dr. Norden.«

»Ich habe es mir gedacht«, sagte Jill mit einem flüchtigen Lächeln. »Andere Passagiere interessieren dich ja nicht, liebste Granny.«

Fee blickte in das frische, leicht gebräunte Gesicht, das von langem dunklem Haar umweht wurde. Wunderschön waren die violetten Augen, von einem Kranz langer schwarzer Wimpern umgeben. Kein Make-up, überhaupt nichts Gekünsteltes war an diesem jungen Geschöpf, das in Shorts und einem leichten Pulli an der Reling lehnte. Der rechte Fuß war bandagiert.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte Fee. »Wir haben von Ihrem Pech gehört.«

»Meine Schuld, wenn ich unbedingt damenhaft sein will«, lächelte Jill. »Aber es geht schon wieder.«

»Aber du sollst das Bein hochlegen, hat Dr. Neff gesagt«, erklärte Lady Corner. »Setzen Sie sich zu uns?«

»Gern, mein Mann möchte sich umschauen«, sagte Fee.

Daniel war ziemlich verblüfft, aber er schaltete schnell. »Ja, das wollte ich«, sagte er rasch. »Und ich wollte auch dem Kollegen Neff mal einen Besuch abstatten.«

»Das habe ich mir gedacht«, sagte Lady Corner mit einem hintergründigen Lächeln.

»Du bist gar nicht ladylike, Granny«, sagte Jill, als Daniel sich entfernt hatte. »Was muss Dr. Norden von uns denken?«

»Ach was, er wird sich denken, dass wir Weibsen uns allein unterhalten wollen«, lachte die alte Dame. »Und das stimmt auch.«

»Sie sprechen sehr gut Deutsch, Lady Corner«, sagte Fee.

»Kein Wunder, ich bin ja Deutsche«, sagte die alte Dame, »und Sie können ruhig Meggi zu mir sagen.«

»Ich heiße Fee«, sagte Fee.

»Wie hübsch. Es passt zu Ihnen«, sagte Jill. »Ich heiße eigentlich Jennifer, aber Jill ist kürzer.«

»Wozu ich bemerken muss, dass ich daran schuld bin«, sagte Lady Corner. »Eigentlich heiße ich nämlich Juliana Margareta, und mir wäre es lieber gewesen, wenn man mich Jill gerufen hätte, aber mein Mann zog Meggi vor. Jill klingt flotter.«

»Und Granny ist auch heute noch flott«, lachte Jill.

»Lausdirndl«, sagte Lady Corner.

Fee blickte überrascht auf. »Sie stammen aus Bayern?«, fragte sie.

»Und wie«, erwiderte die alte Dame lächelnd. »Und deshalb waren Sie mir gleich sympathisch, Sie und auch Ihr Mann. Man hört es halt durch.«

»Granny ist eine blaublütige Prinzessin von Geburt«, warf Jill ein.

»Du sollst es nicht sagen, es glaubt mir keiner«, sagte Lady Corner.

»Ich schon«, erwiderte Fee.

»Sie sind sehr liebenswürdig, Fee«, sagte die Lady.

»Man spürt es. Jeder Zoll eine Lady«, lächelte Fee.

»Ich kann giftig sein«, sagte die alte Dame.

»Das kann ich bestätigen«, sagte Jill.

»Ich auch, wenn mir was nicht passt«, lächelte Fee.

»Dann lassen Sie sich von dem guten Fredrik nicht einschüchtern«, meinte Lady Corner. »Das Sagen habe ich immer noch. Das nur als Vorwarnung.«

»Es sei denn, Sie ziehen es vor, alle Mahlzeiten in der Kabine einzunehmen«, warf Jill ein.

»Aber nein. Vierzehn Tage möchte ich ganz gern Studien betreiben«, erwiderte Fee. »Ich hoffe, Sie werden sich nicht in der Kabine verschanzen, Jill. Der Fuß ist keine Entschuldigung.«

»Und ich bin bereits zu allem bereit. Wenn ich zwischen Ihnen und Granny sitze, kann mir nicht viel passieren, auch wenn Neal Clark mich anstarrt.«

Na, das kann wirklich lustig werden, dachte Fee, aber sie stimmte in Lady Corners Lachen ein.

*

Dr. Norden wanderte wieder durch das Schiff. Ihn interessierte es doch, was eigentlich mit Sheila Macleen war.

Aber vor dem Schiffshospital blieb er stehen. So sehr es ihn auch interessierte, wie ein Arzt mit so viel Passagieren zurechtkommen konnte, und es konnte doch tatsächlich mal eine Epidemie ausbrechen, einmischen wollte er sich nicht.

Ein dunkelhäutiges Mädchen, ganz in Weiß gekleidet, kam heraus. »Sind Sie auch seekrank?«, fragte sie erschrocken.

»Aber nein«, erwiderte Daniel. »Es ist ganz ruhig.«

Er merkte gar nicht, dass er auch Englisch sprach, aber er war sehr stolz, dass er es doch noch so gut beherrschte, als ihre Augen aufleuchteten. Sie war reizend.

»Einige vertragen nicht mal Windstärke sechs«, sagte das Mädchen, »aber wie man ein Kind mit Mittelohr­eiterung mitnehmen kann, verstehe wer will.«

»Sie sind die Arzthelferin?«, fragte er.

»Sie haben es erraten«, erwiderte sie. »Mabel ist mein Name.«

»Dr. med. Norden«, erwiderte er mit einer leichten Verbeugung. »Kann ich helfen?«

»Sie sind Arzt?«, staunte sie.

»Warum nicht?«, fragte Daniel.

»Sie sehen eher wie ein Filmstar aus«, erwiderte Mabel.

»Du lieber Himmel, lassen Sie das nicht meine Frau hören.«

»Ist sie auch an Bord?«

»Aber ja, wir trennen uns nie.«

»Schade«, sagte Mabel resigniert, »aber Träume sind Schäume.«

Ganz schön clever, dachte Daniel Norden, aber niedlich war sie, und nun lachte sie. »Ich rede nur so. Gehen Sie rein. Der Doc kann jede Hilfe brauchen, wenn Sie versessen darauf sind.«

Und sie öffnete die Tür. »Ich muss nämlich flitzen«, rief sie ihm noch zu. Und dann flitzte sie auch schon.

»Sie müssen doch gewusst haben, dass der Junge krank ist«, hörte er Dr. Neff sagen. »Frau Severin, warum haben Sie diese Reise angetreten?«

»Weil André sie sich gewünscht hat. Seine Großeltern haben sie ihm geschenkt zum zehnten Geburtstag. Er bekam doch erst an Bord Fieber«, sagte eine schrille Frauenstimme.

»Ich habe aber gesagt, dass mir die Ohren wehtun, Mama«, hörte Daniel eine schluchzende Kinderstimme. »Ich wollte gar nicht fort, und Papa wollte es auch nicht. Ich will nicht, dass wir von Papa fortgehen.«

»Du wirst es bei den Großeltern besser haben, André«, sagte die Frau. »Es ist doch gar nicht so schlimm, André. Steigere dich nicht so hinein.«

»Würden Sie sich jetzt bitte entfernen, Frau Severin«, sagte Dr. Neff. »Der Junge braucht Ruhe.«

»Die hat er in unserer Kabine. Sie brauchen sich nur die kleine Mühe zu machen, sich zu uns zu begeben, Herr Doktor. Aber anscheinend ist Ihnen das zu mühsam. Ich verstehe nicht, dass nur ein Arzt an Bord dieses großen und teuren Schiffes ist, der anscheinend nicht mal von leichten Erkrankungen etwas versteht.«

»Ihr Sohn hat hohes Fieber«, sagte Dr. Neff, und da machte Dr. Norden die Tür auf und trat ein.

»Brauchen Sie Hilfe, Herr Kollege?«, fragte er. »Ich bin auch Arzt.«

»Dann sagen Sie dieser Dame, dass ihr Sohn unter ständiger ärztlicher Aufsicht bleiben muss, falls er nicht taub werden soll«, sagte Dr. Neff.

»Übertreiben Sie doch nicht«, sagte Frau Severin.

»Das ist keine Übertreibung«, sagte Dr. Norden ruhig. »Ich kann Ihnen die Vorgänge im Gehör genau erklären.«

Er wirkte imponierender als Dr. Neff, und außerdem war er eben eine Erscheinung, die faszinierend auf Frauen wirkte. Vera Severin starrte ihn an.

»Dr. Norden«, stellte er sich vor.

»Ich habe Sie doch gestern Abend gesehen«, stieß sie hervor. »Sie waren doch hinter dieser Mack her.«

Von feiner Art ist sie nicht, dachten beide Ärzte gleichzeitig.

»Frau Mack bedurfte auch ärztlicher Hilfe«, erklärte Dr. Norden kühl.

»Es tut mir wirklich weh, Ma, ich sage es nicht nur«, flüsterte der Junge.

»Hier wäre er ständig unter Kontrolle«, warf Dr. Neff ein.

Ein hässlicher Zug legte sich um Vera Severins Mund. »Na, dann soll er meinetwegen hierbleiben. Ich lasse mir nicht die ganze Reise verderben, darauf legt er es doch nur an.«

Sie hatte die Maske fallen lassen. Und dann rauschte sie davon.

»Diese Reise lässt sich nicht besonders an«, sagte Dr. Neff verlegen. »Herzlichen Dank für den Beistand, Herr Kollege.«

»Ich kann mich noch nicht ans Faulenzen gewöhnen«, sagte Daniel lächelnd. »Aber es ist für mich ganz interessant, mich auch hier mal umzuschauen. Ist ja alles perfekt eingerichtet.«

»Nun, auf einer langen Reise kann viel geschehen.«

»Wir fliegen von Florida in die Heimat zurück«, erklärte Daniel. »Für eine Weltreise habe ich keine Zeit, und wir haben auch nur eine vierzehntägige Traumreise gewonnen.«

»Dann genießen Sie diese nur. Vierzehn Tage sind schnell um. Es ist nicht gesagt, dass die Traumreise auch ein Traumwetter beinhaltet.«

»Sie fahren die Linie öfter?«

»Zum ersten Mal. Es ist nicht mein Traum gewesen, Schiffsarzt zu werden und schon gar nicht zu bleiben. Es ist eine Übergangslösung.«

Eine Übergangslösung, dachte Daniel, vielleicht um Abstand zu gewinnen von etwas? Und da kam ihm die Erinnerung, wo er den Namen Neff gehört hatte. Er hielt unwillkürlich den Atem an.

Konnte Karlheinz Neff Gedanken lesen? »Falls ich Ihnen irgendwie bekannt vorkomme, vergessen Sie’s«, sagte er, »oder wir können uns bei anderer Gelegenheit mal privat unterhalten, falls ich dafür Zeit finde.«

»Kümmern wir uns jetzt mal um den Jungen«, sagte Dr. Norden ruhig.

»Ich müsste nach Frau Mack sehen«, erklärte Dr. Neff zögernd. »Mabel kann bei dem Jungen bleiben.«

»Eine flotte Biene«, bemerkte Daniel.

»Aber sehr geschickt. Sie meint nicht alles so, wie sie es sagt.«

»Bestellen Sie Sheila einen Gruß von mir. Ich wünsche baldige Genesung«, sagte Daniel.

»Sie kennen Sheila?«, fragte Dr. Neff bestürzt. »Nun ja, dann kann ich mir erklären, woher Sie meinen Namen kennen. Von Genesung kann man nicht mehr sprechen. Sie hat Leukämie. Weit fortgeschritten, wie der Laborbefund zeigt.« Er legte den Finger auf den Mund. »Mabel kommt, sie braucht es nicht zu wissen«, raunte er Daniel zu.

»Bekommen Sie Hilfe, Doc?«, fragte Mabel forsch mit einem wohlwollenden Blick zu Daniel.

»Notfalls kann ich solche anbieten«, erklärte der.

»Aber Frau Norden wird nicht ganz auf seine Gesellschaft verzichten wollen«, meinte Dr. Neff betont.

»Ich habe Ihre reizende Frau eben kennengelernt«, sagte Mabel. »Sie nimmt sich Jills an.«

Respekt schien sie nicht mal vor dem Namen Vanderhoven zu haben.

»Vielleicht sehen wir uns doch mal beim Dinner oder beim Souper, Herr Kollege«, sagte Daniel.

In Gedanken versunken schlug Daniel den Weg zur Kabine ein. Er verspürte keine Lust auf leichte Konversation. Ihm ging viel durch den Sinn, und er war richtig erleichtert, als er Fee vorfand, die sich der Gesichtspflege hingab.

»Der Wind und die salzige Luft werden mir schon zu schaffen machen, Daniel«, sagte sie.

Sie hatte allerdings auch sehr zarte Haut und jetzt schon fast einen Sonnenbrand.

»Man merkt es nicht, wenn man so dasitzt und redet«, fuhr sie fort. »Aber Lady Corner und Jill sind sehr nett. Was hast du getrieben?« Sie sah ihn an. »Du bist so nachdenklich.«

»Erinnerst du dich an Dr. Warren, Bob Warren?«

»Ist er auch an Bord?«, fragte Fee bestürzt.

»Nein, aber ich weiß jetzt, wo ich Dr. Neff hintun soll. Er wurde verletzt, als Warren den Tropenkoller bekam. Davon hat er die Narbe behalten.«

»Aber der Arzt hieß doch anders«, sagte Fee nachdenklich.

»Kroener-Neff«, sagte Daniel ruhig. »Erinnerst du dich? Er hat mit Jürgen studiert und war mit Diane Mosch verlobt. Sie wurde bei dem Anschlag schwer verletzt.«

»Und Warren kam in eine Nervenklinik, ja, ich erinnere mich. Ist die Mac­leen zufällig an Bord?«

»Ich weiß es nicht, aber Neff, wir wollen es bei diesem Namen belassen, macht einen sehr deprimierten Eindruck.«

Fee ließ sich in einen Sessel nieder und lehnte den Kopf zurück. »Da habe ich tatsächlich mal gedacht, dass wir völlig abschalten könnten und mit nichts konfrontiert werden. Nur fremde Menschen, mit denen man mal redet, und sie dann wieder vergisst. Das Schiff ist groß, man könnte sich aus dem Weg gehen und kann es doch nicht. Und wie ich inzwischen herausbekommen habe, treffen sich hier noch mehr Leute, die sich lieber aus dem Weg gehen würden. Interessante Studien kann man schon machen. Übrigens wird am Kapitänstisch die Runde gemacht. Wir werden das Dinner mit Lady Corner und Jill einnehmen.«

»Ich dachte, du willst nur eine Mahlzeit einnehmen, Schatz?«, fragte er verschmitzt.

»Du wirst es nicht glauben, aber ich habe schon wieder Appetit, und die Speisekarte ist verlockend. Menükarte muss man hier ja sagen. Lady Corner hat mir schon versprochen, dass ich jede behalten darf. Da werden sie zu Hause staunen, was hier für ein Aufwand getrieben wird.«

»Ich frage mich nur, wie Leute, wie diese Frau Severin das bezahlen können«, bemerkte Daniel beiläufig.

»Frau Severin? Diese Wasserstoffblondine, die sich an Mr Corren herangemacht hat?«

»Was du schon alles weißt!«, staunte er.

»Nirgendwo gibt es so viel Klatsch wie auf einem Schiff, das sagt Lady Corner. Jedenfalls werden Mr und Mrs Corren heute am Kapitänstisch sitzen, und Jill ist voller Spannung, ob ihre Eltern erscheinen werden.«

»Warum das?«

»Auf einem Schiff kann man sich schwer verstecken, mein Schatz.«

»Man kann in der Kabine bleiben, Liebling«, sagte er.

»Wozu macht man dann eine Schiffsreise? Ich muss ein bisschen an den Film ›Orient-Express‹ denken. Lady Corner hat eine Vorliebe für spannende Krimis, und die verheimlicht sie nicht.«

»Um Himmels willen, es wird doch keinen Mord geben«, seufzte Daniel.

»Ich denke eher, dass man es auf eine Versöhnung anlegt. Aber ich muss noch herausfinden, worum es geht.«

»Jedenfalls wird es uns bestimmt nicht langweilig. Mich interessiert Neff und dich Lady Corners Arrangements.«

»Ich darf sie Meggi nennen, und sie ist übrigens gebürtige Deutsche aus Bayern.«

»Es wird immer amüsanter«, lächelte Daniel.

»Die Welt ist gar nicht so weit, Daniel«, sagte Fee nachdenklich. »Wenn man bedenkt, dass sich tausend Menschen auf diesem Schiff befinden, und jeder hat ein anderes Schicksal …«

»Um Himmels willen, du willst doch nicht etwa jedes ergründen!«, fiel er ihr ins Wort.

»Dazu würden vierzehn Tage nicht reichen und nicht mal eine Weltreise, aber einige werden uns schon bekannt werden.«

»Wollten wir nicht mal ganz abschalten, Fee?«, fragte er tiefsinnig.

»Das kann man nicht. Bei dem Wellengang muss man sich ablenken!«

*

»Heute bringen sie den Untergang der Titanic im Fernsehen«, sagte Anne Cornelius mit belegter Stimme zu ihrem Mann.

»Den hast du doch schon gesehen, Liebes«, erwiderte er nachsichtig, »und ich weiß, was dich bewegt, aber die ›Lucky-Star‹ durchquert nicht die Eismeere. Sie fährt in sonnige Gefilde.«

»Ich gönne den Kindern ja die Erholung, aber ich kann nichts dafür, dass mir bange ist, Hannes«, sagte Anne.

»Beschäftige dich mit den Kindern. Loni hilft mir. Dann bist du abgelenkt.«

Die Kinder fragten aber dauernd, wo denn das Schiff jetzt sei, und Anne musste es ihnen auf dem Globus zeigen.

»So groß ist das Meer gar nicht«, stellte Danny fest. Anne sagte nicht, wie groß es in Wirklichkeit war. Sie wurde das beklemmende Gefühl nicht mehr los. Sie schalt sich albern. Doch Lenni machte auch keinen besonders frohen Eindruck. Aber während sie sich zum Abendessen niederließen, war auf dem Schiff erst Dinnerzeit.

So viele Passagiere wie am ersten Abend waren nicht im Speisesaal versammelt. Am Kapitänstisch, den Lady Corner im Visier hatte, ließen sich jetzt Marc und Lavinia Correr nieder, und Fee bemerkte, wie Marc Lady Corner einen schrägen Blick zuwarf, den sie mit einem unergründlichen Lächeln erwiderte.

In der Luxuskabine der Vanderhoven wurde indessen gestritten. »Sei nicht albern, Wilma«, sagte Fredrik. »Ich gebe zu, dass es nicht fair von Meggi war, uns einfach zu überrollen, aber Lavinia fällt doch nicht unangenehm auf.«

»Aber die Severin, und wenn Meggi das auch arrangiert hat, gibt es einen Riesenkrach, das schwöre ich dir.«

»Ich werde mit Meggi sprechen«, sagte er. »Komm jetzt.«

»Nein, ich komme nicht. Und außerdem will ich dir sagen, dass ich Jill durchaus verstehen kann. Neal ist ein Snob, sonst nichts.«

»Ich widerspreche nicht. Aber ich wollte wissen, wie Jill auf diese Sorte Mann reagiert.«

»Dafür hast du dir nicht den passenden Ort ausgesucht«, warf sie ihm heftig vor, »aber diplomatisch warst du noch nie.«

»Du auch nicht, und insofern passen wir doch ganz gut zusammen. Gut, ich werde das in Ordnung bringen, Wilma. Ich rede mit Meggi und mit der Severin. Und ich werde Lavinia zu verstehen geben, dass ich nichts gegen sie habe. Marc ist kein Schmarotzer.«

»Meggi hat ihn ja auch genügend protegiert.«

Er sah sie scharf an. »Willst du eigentlich alles?«, fragte er hart. »Genügt es dir nicht, was ich dir biete? Dann bist du schlimmer als Lavinia.«

Und schon war er aus der Tür, und Wilma zuckte zusammen, als diese ins Schloss fiel.

*

Fee und Daniel Norden erlebten dann, dass Fredrik Vanderhoven sehr eilig erschien, eine kurze Verbeugung zu ihrem Tisch machte, die wohl Meggi galt, dann Lavinia die Hand küsste und ziemlich laut sagte: »Freut mich, Marc, dass ihr die Jungfernreise mitmacht.«

Lady Corner lächelte dazu rätselhaft, und Jill stieß ein gedämpftes »Oh!« aus.

Neal Clark war nicht erschienen, aber Kapitän Willemsen schien seine kleine Tischrunde mit Gelassenheit zu betrachten. Ab und zu zwinkerte er Lady Corner zu, und sie trank dann immer einen Schluck des wahrhaft köstlichen Weines.

Auch Vera Severin konnte Fee nicht entdecken, aber das Ehepaar Ferring mit seinen drei Kindern saß wieder am selben Tisch, recht unauffällig, eigentlich fielen sie Fee nur auf, weil sie einen so harmonischen Eindruck machten, wie Fee sich eben eine Familie wünschte.

Dann sagte Lady Corner zu Fee und Daniel: »Darf ich Sie zum Tee in meinen Salon bitten? Ich möchte Sie gern mit meinem Neffen Marc und seiner Frau Lavinia bekannt machen.«

Obgleich Fee lieber einen geruhsamen Nachmittag mit ihrem Mann verbracht hätte, nickte sie zustimmend, und dem wollte Daniel nicht widersprechen.

»Nun wird es aber sehr spannend«, meinte Fee. »Vorerst wird uns eine Siesta guttun, mein Schatz.«

Ausgeruht und frisch erschienen sie um siebzehn Uhr zum Tee bei Lady Corner. Ein runder Tisch war für sechs Personen festlich gedeckt. Lavinia und Marc Corren waren schon anwesend. Lavinia sah nicht so traurig aus wie am vorherigen Abend. Das stellte Fee gleich erfreut fest, denn sie lernte eine besonders aparte, feinsinnige junge Frau kennen. Und mit den stets wachsamen Augen der Ärztin stellte sie auch sogleich fest, dass das hübsche Flatterkleid leicht gerundete Linien verdecken sollte, die aber wirklich nur aufmerksamen Beschauern erkenntlich waren.

»Eigentlich heißen die beiden auch Corner«, sagte Meggi lässig, »aber wir haben eine kleine Umstellung der Buchstaben vorgenommen …«

»Die hast du vorgenommen, Tante Meggi«, warf Marc ein. »Aber wenn ich es recht überdenke, mit dem Namen Norden haben wir auch vier Buchstaben gemeinsam, und das sollten wir als ein gutes Omen nehmen, umso mehr Lavinia Frau Norden gestern als Einzige, dich und Jill ausgenommen, angenehm aufgefallen ist.«

»Sie mir auch, Lavinia«, sagte Fee spontan.

Die schönen topasfarbenen Augen der jungen Frau leuchteten auf. Fee schätzte, dass sie sicher ein Dutzend Jahre jünger sein müsse, als ihr Mann, aber als sie dann erfuhr, dass Lavinia bereits dreißig Jahre war und seit sechs Jahren mit Marc verheiratet, war sie doch überrascht, so mädchenhaft wirkte sie noch.

Marc war achtunddreißig und der Sohn des jüngeren Bruders von Meggis Mann, den diese geheiratet hatte, als seine Tochter Wilma acht Jahre war.

Meggi erzählte im Plauderton die Familiengeschichte. In erster Ehe hatte Lord Corner die Tochter eines schwerreichen englischen Herzogs geheiratet. Der Stammhalter und Titelerbe war im jugendlichen Alter gestorben. Die Tochter Wilma hatte den Reeder Fredrik Vanderhoven geheiratet, der zwar nicht von Adel, aber noch reicher war, als ihre leibliche verstorbene Mutter.

Meggi dagegen hatte nichts als einen glanzvollen Namen in die Ehe eingebracht, die dann allerdings sehr glücklich verlaufen war, wenn sie auch nur fünfzehn Jahre währte, bis Lord Corner durch einen Herzinfarkt hinweggerafft wurde. Sein jüngerer Bruder war allerdings noch früher gestorben, und der Titel sollte auf dessen Sohn Marc übergehen, der darauf jedoch verzichtete, da seine Heirat mit Lavinia, der Tochter eines mittellosen Kaufmanns, von der Familie nicht akzeptiert wurde. Wilma war dabei der treibende Teil gewesen, obgleich sie selbst einen Bürgerlichen geehelicht hatte. Aber er hatte natürlich ein immenses Vermögen, und außer dem Titel sollte nichts an Marc fallen, der sich dann fortan Corren nannte, um nicht mit der Familie Vanderhoven in einem Atemzug genannt zu werden. – Erst Meggi hatte Kontakte zu ihm und seiner jungen Frau gesucht, und diese hatten sich schließlich auch so weit gefestigt, dass Marc und Lavinia Meggis Einladung zu dieser Schiffsreise angenommen hatten.

»Du hättest uns aber sagen müssen, dass auch Fredrik und Wilma an Bord sein werden, Tante Meggi«, sagte Marc mit sanftem Vorwurf.

»Ich habe es nicht gewusst«, erwiderte die alte Dame. »Fredrik hat sich von diesem dämlichen Clark beschwatzen lassen, seinen Sohn mit Jill zusammenzubringen, und Wilma wollte ihre Frühgeburt nicht allein mit mir reisen lassen.«

»Jill ist eine recht attraktive Frühgeburt«, sagte Marc lächelnd.

»Sie ist reizend, und ich danke ihr, dass sie so nett zu mir ist«, warf nun Lavinia mit einer zarten, weichen Stimme ein.

»Und ich konnte nicht umhin, euch mit den nettesten Gästen an Bord bekannt zu machen, die uns eine Lotterie glücklicherweise bescherte«, sagte Meggi, »Daniel und Fee Norden. Ich hatte diese Reise für zwei Personen einer Tombola gespendet, die früher einmal unter der Schirmherrschaft meines Vaters lag. Ich wagte nicht zu hoffen, dass sie so liebenswerten Menschen zufallen würde. Im kleinen Kreis darf ich das wohl sagen, liebe Fee, lieber Dr. Norden.«

»Sie dürfen es, Meggi«, erwiderte Fee, »und wir wissen nun, dass wir diese Reise einem sehr gütigen Menschen verdanken.«

»Nur einem Glückslos«, sagte Meggi herzlich, »aber ich verdanke diesem die Anwesenheit einer reizenden Fee, die mir sehr hilft. Ohne Sie hätte ich tatsächlich allen Mut verloren, weil diese Reise schon mit Jills Stolperer begann. Ich bin nämlich abergläubisch.«

»Man kann aber auch ins Glück stolpern«, sagte Fee lächelnd.

»So sehe ich es auch«, sagte Jill nachdenklich. »Jedenfalls läuft für mich alles viel besser, als ich dachte. Hoffentlich kommt Mama nicht auf den Gedanken, hier einzubrechen.«

Meggi lachte leise. »Ich habe wohlweislich schon das Schild an die Tür hängen lassen, dass ich nicht gestört werden will. Und der größte Vorteil dieses Schiffes ist, dass die Kabinen absolut schalldicht sind. Dann darf ich meine lieben Gäste bitten, Platz zu nehmen, damit der Tee die richtige Temperatur hat.«

Die hatte er. Der Samowar sorgte dafür. Das Gebäck war köstlich. Lavinia aß es mit besonderem Genuss.

»Ich hatte immer nur Appetit auf pikante Speisen«, sagte Fee mit einem schelmischen Lächeln zu ihr.

»Und ich auf Sahne und Süßigkeiten«, erwiderte Lavinia mit einem zauberhaften Lächeln. »Wie viel Kinder haben Sie, Fee?«

»Drei.«

»Was, drei?«, rief Jill aus. »Das haben Sie noch nicht gesagt, und das traut man Ihnen auch nicht zu. Wie heißen sie?«

»Daniel, Felix und Anneka«, erwiderte Fee, und ihre Augen bekamen einen sehnsüchtigen Ausdruck.

»Sie sind sechs, vier und zwei Jahre«, warf Daniel ein, »und befinden sich bei den Großeltern auf der Insel der Hoffnung.«

»Auf der ich meinen nächsten Urlaub verbringen werde«, sagte Lady Corner.

»Sie wissen von der Insel?«, fragte Daniel erstaunt.

»Bisher wusste ich nichts, aber ich habe die Eigenart, mich genau über die Menschen zu informieren, die ich an meinen Teetisch bitte«, erwiderte die alte Dame. »Ich bitte, mir dies zu verzeihen, aber ich habe schon zu viele Enttäuschungen in meinem Leben erlebt. Man kann Menschen treffen und nett mit ihnen plaudern, bis man auseinandergeht, aber wenn man sie gern wiedersehen will, will man schließlich auch wissen, mit wem man es zu tun hat. Und so habe ich mir über das Funkgerät einige Informationen verschafft. Sehr erfreuliche, was Sie betrifft, Dr. Norden, andere, die mich nachdenklich stimmen, darüber möchte ich später mit Ihnen sprechen.«

»Unsere Finanzen sind in Ordnung«, warf Fee mit leisem Lachen ein.

»Es handelt sich auch nicht um Sie«, sagte Lady Corner.

»Um die Severins?«, fragte Marc. »Die Auskünfte kann ich dir geben, Meggi.«

»Gib sie«, sagte Meggi.

»Dr. Norden werden sie kaum interessieren«, meinte Marc.

»Was mich betrifft, schon«, warf Daniel ein. »Der kleine André Severin leidet an einer schweren Mittelohreiterung.«

»Was ist mit seinem Vater?«, fragte Meggi.

»Er hatte einen schweren Unfall, und Vera hat die Gelegenheit benutzt, sich die Bordkarte anzueignen. Er wollte mit dem Jungen zu seinen Eltern.«

»Er?«, fragte Meggi.

»Die Ehe ist doch nicht zu retten, aber sie will rausholen was möglich ist. André ist ihr Faustpfand.«

»Woher weißt du das, Marc?«, fragte Meggi.

»Sie wollte mich ködern. Sie hat mir Märchen erzählt, aber ich habe ihr ins Gesicht gesagt, dass ich ihr kein Wort glaube. Ich habe John bereits ein Telegramm geschickt. Ich wusste ja, dass er mit André diese Reise machen wollte und war entsetzt, als ich Vera sah.« Er sah Daniel und Fee an. »Ich muss Ihnen wohl erklären, dass ich mit John Severin befreundet bin.«

»Loni soll noch einmal stöhnen, was bei uns jeden Tag in der Praxis zu hören ist«, sagte Daniel am Ende dieses Tages zu Fee. »Hier passiert viel mehr.«

»Wir wollen es mal so sagen, mein Schatz, die meisten amüsieren sich sorglos, aber wir werden wieder mal mit den seltsamsten Schicksalen konfrontiert. Aber wie dem auch sei, ich bin müde, mir steht der Sinn nicht nach Amüsement. Ich will schlafen.«

»Ich auch«, sagte Daniel, »auf das Souper kann ich verzichten, aber schau mal, Fee, was sie uns da für ein Tischlein deck dich gebracht haben.«

»Danke, ich verzichte. Ich platze schon bald, und mit zu vollem Magen träume ich nur schlecht.«

Er labte sich noch, und als er ins Bett sank, schlief Fee schon. So was passierte daheim nie.

*

An Kapitän Willemsens Tisch hatte vorerst nur Jill Platz genommen. Selbst Lady Corner kapitulierte an diesem Abend. Marc und Lavinia hatten sich ihren Imbiss auch in die Kabine bringen lassen. Aber Jill war bei Dr. Neff gewesen, um den Fuß nachschauen zu lassen, und er hatte gesagt, dass er zum Souper kommen würde.

Aber dann kam Neal, und ihr Gesicht wurde starr. »Ganz allein?«, fragte er näselnd.

»Der Kapitän ist doch wohl nicht zu übersehen«, erwiderte sie, diesen Hilfe heischend anblickend.

»Unser Doc kommt schon«, sagte der gemächlich.

Dr. Neff begrüßte Jill mit einer höflichen Verbeugung. Für Neal Clark hatte er nur ein kurzes Nicken übrig, das dieser aber gar nicht zur Kenntnis nahm, weil er sich jetzt bereits den Hummercocktail einverleibte. Dr. Neff nahm Jill gegenüber Platz. Er sah blass und abgespannt aus.

»Sie dürfen mal wieder kräftig zugreifen, Doc«, sagte der Kapitän. »Was ist denn eigentlich los? Frau Mack verlässt die Kabine gar nicht mehr, wurde mir berichtet.«

»Sie ist sehr erschöpft«, sagte Dr. Neff.

»Hoffentlich nicht ernsthaft krank«, brummte der Kapitän. »Das würde mir auf der Jungfernreise fehlen. Seekrankheit lasse ich mir ja noch gefallen, aber kritische Fälle, auf die kann ich gern verzichten.«

»Der kleine Severin hat eine Mittelohreiterung, schon sehr verschleppt«, sagte Dr. Neff. »Ich hoffe, dass wir ihn hinkriegen.«

»Ist Mabel bei ihm?«, fragte der Kapitän.

»Ja, und sie wird von Louise abgelöst. Ich bin nur gekommen, damit nicht angenommen wird, dass ich die Öffentlichkeit meide.«

»Gibt es Gründe, dies anzunehmen?«, fragte Neal Clark anzüglich.

Jill ließ ihr Besteck fallen. In ihren Augen flammte es auf. »Du kannst natürlich nicht verstehen, dass es an Bord Menschen gibt, die hart arbeiten, Neal«, sagte sie scharf.

»Dr. Neff wird schon wissen, was ich meine«, näselte Neal. »Ich lebe nicht hinter dem Mond. Ich habe ein gutes Gedächtnis. Es ist schließlich nicht ganz zwei Jahre her, dass er Kroener-Neff hieß. Aber essen Sie doch, Doc, man kann Sie ja nicht ins Meer werfen.«

Dr. Neff stand auf, kreidebleich. »Sie entschuldigen mich, gnädige Frau«, sagte er, sich zum Gehen anschickend.

»Nein«, sagte Jill. »Sie bleiben, aber Mr Clark wird sich an einen anderen Tisch setzen.« Aber dann gewahrte sie Kapitän Willemsens Blick. »Aber noch besser wäre es, wenn wir bei Lady Corner speisen. Sie freut sich bestimmt, wenn wir ihr Gesellschaft leisten.«

Kapitän Willemsen erhob sich ebenfalls. Er hatte blitzschnell überlegt, doch in seinem Leben hatte er sich schon in vielen kritischen Situationen bewähren müssen. Von ihm und Dr. Neff eingerahmt, verließ die zierliche Jill nun den Speisesaal, doch davon nahm kaum jemand Notiz, denn man stärkte sich an den Genüssen, um sich auf den darauffolgenden Bordball vorzubereiten, der ebenfalls auf dem Programm stand.

»Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken, liebe Jill«, sagte der Kapitän.

»Wenn Sie Clark damit meinen«, lachte Jill blechern auf, »der ist doch nicht mal ein Kater.«

Über diesen Vergleich mussten beide Männer lachen, wenn es bei Karlheinz Neff auch nur bei einem lautlosen Lachen blieb.

»Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig«, sagte er zu Jill.

»Immer langsam, Doc«, sagte der Kapitän, »schuldig sind Sie niemanden etwas, und den jungen Clark werde ich mir vorknöpfen. Auf ihn können wir eher verzichten als auf Sie.«

»Aber über Bord können wir ihn nicht werfen«, sagte Jill. »Aber wie stopfen wir ihm den Mund?«

»Da hätte ich schon eine Idee«, sagte der Kapitän. »Können Sie Lady Corner einfach so überfallen, Miss Jill?«

»Zu jeder Zeit«, erwiderte Jill.

»Ich ziehe mich zurück«, sagte Dr. Neff.

»Das werden Sie nicht tun«, sagte Jill. »Wir müssen uns schon noch unterhalten. Einen Augenblick!« Und schon betrat sie Lady Corners Kabine. Doch dort fand sie ihren Vater vor.

»Verzeihung«, sagte sie verlegen, »ich komme später, Granny.«

»Du kannst ruhig bleiben«, sagte die alte Dame. »Dein Vater wollte gerade gehen. Willst du mit mir essen?«

»Gern, aber ich wollte dich bitten, Dr. Neff einzuladen.«

»Was soll das?«, fragte Fredrik Vanderhoven rau.

»Ich möchte, dass Granny ihn näher kennenlernt.«

»Das wäre doch beim gemeinsamen Essen im Speisesaal möglich«, sagte Fredrik unwillig. »Aber jeder von euch scheint ja seinen Kopf für sich zu haben.«

Jill legte ihren Kopf in den Nacken. »Ich werde mich nicht mehr an einen Tisch setzen, unter den auch Neal Clark seine Füße steckt, Dad«, sagte sie. »Aber du kannst ihm gern Gesellschaft leisten. Er sitzt jetzt allein am Kapitänstisch.«

»Und wo ist der Kapitän?«, fragte ihr Vater.

»Draußen, vor dieser Tür.«

»Sehr ungewöhnlich«, brummte Fredrik Vanderhoven.

»Es ist eine sehr ungewöhnliche Reise, das habe ich dir schon gesagt, lieber Fredrik«, ließ sich Lady Corner vernehmen. »Ich habe dir ja eben schon gesagt, dass ich die Anwesenheit des jungen Clark als störend empfinde. Dr. Neff soll mir willkommen sein, Jill.«

»Wir reden noch darüber«, sagte Fredrik gereizt. »Ich möchte jedenfalls, dass unsere Passagiere mit der Fahrt zufrieden sind.«

»Das werden sie, mein Lieber«, sagte Lady Corner, »sie essen, trinken und tanzen und denken an nichts anderes, als an ihr Vergnügen. Sie haben deine Sorgen nicht, und auch nicht meine. Und Kapitän Willemsen tut gut daran, wenn er jeden Tag andere Gäste an seinen Tisch bittet, die darauf versessen sind. Ich denke, es sollte sich keiner bevorzugt fühlen.«

Als Jill dann hinausging, war Dr. Neff nicht mehr zu sehen. »Wo ist er?«, fragte sie den Kapitän.

»Im Krankenzimmer«, erwiderte er. »Mabel hat ihn gerufen. Kann ich mit der Lady sprechen?«

»Bitte«, erwiderte Jill. »Ist der Doc bei dem Jungen?«

Der Kapitän nickte. Und Jill eilte davon. Ein wenig verblüfft blickte er ihr nach.