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Gloria Rosen

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Beschreibung

Die Familie ist ein Hort der Liebe, Geborgenheit und Zärtlichkeit. Wir alle sehnen uns nach diesem Flucht- und Orientierungspunkt, der unsere persönliche Welt zusammenhält und schön macht. Das wichtigste Bindeglied der Familie ist Mami. In diesen herzenswarmen Romanen wird davon mit meisterhafter Einfühlung erzählt. Die Romanreihe Mami setzt einen unerschütterlichen Wert der Liebe, begeistert die Menschen und lässt sie in unruhigen Zeiten Mut und Hoffnung schöpfen. Kinderglück und Elternfreuden sind durch nichts auf der Welt zu ersetzen. Genau davon kündet Mami. E-Book 1798: 5 Kinder brauchen einen Vater E-Book 1799: Kevin, wo bist du? E-Book 1800: Um ihres Kindes willen zu jedem Opfer bereit E-Book 1801: Gnade für Laura! E-Book 1802: Ein eigenwilliges Kind E-Book 1803: Eine schwierige Liebe E-Book 1804: Der Erwachsenenschreck E-Book 1805: Alles für Dario E-Book 1806: Die Wege der Liebe E-Book 1807: Ein kleines Herz sucht Elternliebe E-Book 1: 5 Kinder brauchen einen Vater E-Book 2: Kevin, wo bist du? E-Book 3: Um ihres Kindes willen zu jedem Opfer bereit E-Book 4: Gnade für Laura! E-Book 5: Ein eigenwilliges Kind E-Book 6: Nur Mutter für sein Kind? E-Book 7: Ein kleiner Engel? Von wegen… E-Book 8: Blümchen für die beste Mami der Welt E-Book 9: Das Vermächtnis einer großen Liebe E-Book 10: Ein kleines Herz sucht Elternliebe

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Inhalt

5 Kinder brauchen einen Vater

Kevin, wo bist du?

Um ihres Kindes willen zu jedem Opfer bereit

Gnade für Laura!

Ein eigenwilliges Kind

Nur Mutter für sein Kind?

Ein kleiner Engel? Von wegen…

Blümchen für die beste Mami der Welt

Das Vermächtnis einer großen Liebe

Ein kleines Herz sucht Elternliebe

Mami – Staffel 8–

E-Book 1798-1807

Gloria Rosen Eva-Maria Horn Lisa Simon Isabell Rohde Myra Myrenburg Christine Weyden Edna Meare Rosa Lindberg

5 Kinder brauchen einen Vater

Fünf Kinder - na und?

Roman von Horn, Eva-Maria

  Jonathan Nolde schnaufte vor Behagen. Es war wirklich eine brillante Idee von ihm gewesen, das Sommerhäuschen zu mieten. Hier störte ihn niemand. Das nächste Dorf war eine gute Fußstunde entfernt. Kaum jemals verirrte sich ein Feriengast hierher, dafür war der Weg über die Dünen viel zu beschwerlich. Außerdem hatte er Schilder anbringen lassen:

  Privatgelände. Kein Zugang zum Strand.

  Jonathan, von seinen Freunden wurde er nur Jo genannt, öffnete das Fenster. Es störte ihn nicht, daß es ein wenig schief in den Angeln hing. Alles in diesem Häuschen war reparaturbedürftig. Er wollte nichts weiter, als hier in Ruhe sein Manuskript zu Ende schreiben. Darum hatte er seine behagliche Wohnung in der Stadt verlassen, hatte sich von einem Freund dieses Haus besorgen lassen. Hier konnte er in Ruhe arbeiten, hier wurde er nicht von lästigen Besuchern, vom Telefon und vom Lärm der Straße gestört.

  Er hielt sein Gesicht der Sonne entgegen. Sie strahlte von einem tiefblauen Himmel. Verspielte kleine Wölkchen segelten wie weiße Schiffe über die bizarre Dünenlandschaft. Wenn er den Kopf ein wenig reckte, konnte er das Meer sehen. Aber er hörte es immer, auch wenn er an dem weißgescheuerten Tisch saß und schrieb. Das monotone Geräusch der Wellen unterstrich die köstliche Stille, war in seinen Ohren wie Musik. Das Kreischen der Möwen mischte sich darunter.

  Mit geschlossenen Augen atmete er den würzigen Duft in sich hinein. Er schmeckte das Salz des Meeres auf der Zunge, er glaubte den Duft des Sanddorns, der winzigen Blumen, zu riechen.

  Ja, er war glücklich. Vollkommen glücklich, er vermißte nichts. Warum belastete sich der Mann eigentlich mit so viel Unnützem, dachte er, während er seine Schreibmaschine zurecht schob und ein Blatt einspannte. Was brauchte der Mensch eigentlich zum Leben? Doch nur das, was er hier besaß. Ein Bett zu schlafen, ein Herd, ein Kühlschrank war nicht unbedingt Luxus. Aber all das andere Zeug war nur Ballast. Beinahe verächtlich dachte er an seinen gefüllten Kleiderschrank, in dem Garderobe für jede Gelegenheit hing. Hier trug er nur die bequeme Cordhose, die an den Knien schon ausgebeult und glänzend war. Aber bequem war sie.

  Er scheuchte die Gedanken aus seinem Kopf. Willig machten sie sich davon, um Platz für seine Phantasiegestalten zu schaffen.

  Wenn du dein Pensum geschafft hast, Jo, versprach er sich, dann kannst du schwimmen gehen. Es war ein köstliches Gefühl, mit den Wellen zu kämpfen, sich von ihnen tragen und wiegen lassen. Später kannst du vor deiner Hütte bei einem Glas Rotwein sitzen, lesen und die Stille genießen.

  Es war einfach köstlich, nicht gestört zu werden.

  Jo arbeitete intensiv. Es war, als lebten die Figuren seines Romanes, längst hatten sie Gestalt angenommen, er hörte sogar ihre Stimmen.

  »Der Kinderlärm war für Roberts geschwächte Nerven unerträglich«, schrieb er.

  Jo hörte den Lärm so deutlich, daß er gequält die Stirn runzelte. Unter den Lärm mischte sich Hundegekläff, die Luft schien erfüllt davon zu sein. Jetzt endlich begriff Jo, daß der Kinderlärm und das Hundebellen Wirklichkeit waren. Der Lärm hatte nichts mit seiner Phantasie zu tun.

  Einen Moment blieb er wie betäubt sitzen, aber dann sprang er auf, getrieben von einer Wut, die ihn selbst erschreckte.

  Er wollte gerade aus dem Haus stürmen, um den Störenfrieden eine geharnischte Predigt zu halten, als er das Quietschen des Gartentörchens hörte.

  Bevor Herr Karsten die Tür öffnen konnte, hatte Jo sie schon aufgerissen. Herr Karsten war der Bauer, dem das Ferienhäuschen gehörte. Zweimal in der Woche kam er zu Jo und brachte ihm das, was er bei ihm bestellt hatte.

  »Grüß Gott…«, mehr konnte der Bauer nicht sagen, da schnitt Jo ihm schon das Wort ab.

  »Haben Sie die Leute gesehen?« wollte er wütend wissen.

  »Welche Leute?« Heimlich schüttelte der Bauer über den aufgebrachten Städter den Kopf. Der Mann hatte doch überhaupt keine Nerven. Das kam davon, wenn man de ganzen Tag nicht arbeitete und nur am Schreibtisch hockte und auf der Maschine herumhämmerte.

  »Hören Sie denn den Lärm nicht? Sie sind doch nicht taub? Sollte der Wind etwa das Schild umgeworfen haben?«

  »Welches Schild?«

  »Herrgott, Mann. Sind Sie so begriffsstutzig oder tun Sie nur so? Das Schild, das ich aufstellen ließ. Privatgelände. Wenn die Feriengäste einmal den Weg hierhergefunden haben, wird eine Invasion dieser lärmenden Menschen einsetzen.«

  »Den Herrgott lassen Sie man aus dem Spiel.« Karsten nahm seelenruhig den Rucksack vom Rükken, schob die Blätter zur Seite und legte ihn auf den Tisch. Jo hatte das Gefühl, er müßte platzen. Die Ruhe des Bauern war ihm ebenso unerträglich wie der Lärm der Kinder, der die Luft füllte. Nur dem Hund war offensichtlich sein eigenes Bellen zuviel geworden.

  »Das sind keine Gäste aus dem Ort. Das sind Feriengäste, die das Häuschen dort drüben gemietet haben.«

  Jo starrte den Mann aus seinen braunen Augen an, als verstehe er kein Wort.

  »Das Häuschen gemietet«, murmelte er tonlos.

  »Ja, sie haben das Häuschen gemietet.« Dem Bauern wurde es bei dem Gesicht des Mannes, den er ja sowieso für verrückt hielt, unbehaglich. »Es ist eine junge Frau mit fünf Kindern. Sie haben das Haus für den ganzen Sommer gemietet.«

  Jo hatte ein Gefühl, als wäre ein Stein auf seinen Kopf gefallen.

  »Fünf Kinder. Für den ganzen Sommer.«

  Warum sprach der Kerl denn alles nach? Er war doch kein Papagei.

  »Ja. Es sind sehr nette Kinder und eine angenehme junge Frau«, glaubte er, den Mann beruhigen zu können.

  Jetzt endlich kam Leben in Jo. Er sprang auf, stand breitbeinig vor dem Mann, dem der Schrecken bei diesem Anblick in die Glieder fuhr. Blitzschnell maß er die Entfernung zur Tür. Er hatte nur den einen Wunsch, sich vor diesem Verrückten in Sicherheit zu bringen.

  »Sie haben den Vertrag gebrochen«, brüllte der Mann. Seine Stimme mußte weithin zu hören sein. »Ich habe das Häuschen von Ihnen gemietet, um meine Ruhe zu haben. Ich will hier arbeiten, verstehen Sie?«

  »Ich bin ja nicht taub«, knurrte Karsten gekränkt. Hätte er doch nur seinen Hund mitgenommen.

  »Fünf Kinder, sagen Sie? Sie werden von morgens bis abends herumlärmen. Ich will arbeiten. Ich brauche meine Ruhe. Ich reise noch heute ab.«

  Karsten fuhr der Schrecken in die Glieder. Aber jetzt nicht, weil er sich vor dem Mann fürchtete. Er dachte an das Geld, das der von ihm zurückfordern würde. Es wurde ihm ganz heiß.

  »Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal«, riet er ihm väterlich. Er öffnete den Rucksack, schnell ging das nicht, weil seine Hände so zitterten. Wenn das so weiterging, war er bald genauso ein Nervenbündel wie dieser Mann. Er holte aus dem Rucksack eine dickbauchige Flasche, hielt sie hoch und versuchte seinen Mund zu einem Lächeln zu verziehen.

  »Die Flasche haben Sie zwar nicht bestellt, aber ich habe sie trotzdem mitgebracht. Es ist Jenever. Ein vorzüglicher Magentrunk. Hilft immer. Ist nicht nur für den Magen gut, beruhigt auch die Nerven. Ich hol mal rasch Gläser aus der Küche.«

  Die Küche war genauso groß wie die Stube. An der spartanischen Einrichtung hatte der Mann, der mit einem tollen Sportwagen angefahren kam, nichts auszusetzen gehabt.

  Karsten füllte die Gläser, der Mann war ihm in die Küche gefolgt und ließ sich auf die Eckbank fallen.

  Nachdem Jo das Glas mit einem Zug ausgetrunken hatte, goß Karsten nach und bemühte sich um einen beruhigenden Ton, als spreche er mit einem kranke Kind.

  »Es sind wirklich nette Kinder. Sie sind doch gerade erst angekommen, da sind sie natürlich außer Rand und Band. Sie leben in Berlin, mitten in der Großstadt. In einem Haus, das ohne Sonne ist. Überlegen sie mal. Die Kinder müssen bei dieser Hitze irgendwo auf eiem Hinterhof spielen. Außerdem ist es nicht mein Häuschen, das vermietet wurde. Sie können mich also nicht dafür bestrafen, daß mein Nachbar sein Ferienhaus vermietet.«

  Jo trank auch das zweite Glas leer. Der Bauer musterte ihn ängstlich. Dachte er noch immer daran, sofort abzufahren? Sein Wagen stand in der Scheune und wurde von seinen Kindern mehrmals am Tag bestaunt.

  »Ich bin ganz sicher, daß die junge Frau mit sich reden läßt. Sie ist ausgesprochen liebenswürdig. Sie wird ganz sicher dafür sorgen, daß die Kinder ruhig sind. Lärm machen und sich austoben können sie am Strand. Außerdem steht heute der Wind ungünstig; bei Westwind werden Sie von dem Häuschen drüben überhaupt nichts hören, Westwind haben wir doch beinahe immer.« Auf eine kleine Notlüge kam es dem Bauern nicht an. »Sie dürfen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen«, mahnte er ihn.

  »Sie verstehen das nicht.« Jo strich erschöpft über sein Gesicht. »Ich glaube, Sie verstehen es nicht.« Jos Stimme klang mutlos. »Wie sollten Sie auch? Ich bin hierher gekommen, um ungestört zu arbeiten. Mich lenkt jedes Geräusch ab, ich kann mich nicht in meine Arbeit vertiefen, wenn Lärm um mich ist.«

  Er sah in das wettergegerbte Gesicht des Bauern und seufzte resigniert. »Wahrscheinlich halten Sie mich für verrückt.«

  Herr Karsten erschrak. Sah man ihm wirklich so deutlich seine Gedanken an?

  »Wer denkt denn so was?« wehrte er entrüstet ab. »Ich stelle es mir entsetzlich schwer vor, Bücher zu schreiben. Nicht, daß ich viel lese, dafür habe ich keine Zeit. Aber meine Frau steckt ständig ihre Nase in ein Buch.« Er hütete sich zu sagen, daß er oft ärgerlich darüber war und von Zeitverschwendung murrte. »Sie werden Ihre Ruhe haben, das verspreche ich Ihnen. Ich gehe gleich zu der Frau rüber und spreche mit ihr. Ich zeige ihr sogar den kleinen Tümpel zwischen den Felsen, wo die Kinder toben und baden können, ohne daß es gefährlich für sie ist. Ihnen würde so ein Tag unten am Strand auch gut tun«, setzte er mit einem mitleidigen Blick auf Jo hinzu. »Als Sie herkamen, sahen Sie viel frischer aus.«

  Jo erhob sich. Der Kerl hat ’ne gute Figur, stellte Karsten bei sich fest. Mit den breiten Schultern müßte er einen guten Arbeiter abgeben. Nach einem Tag auf dem Feld würde er abends müde ins Bett fallen, und nach wenigen Tagen wären seine Nerven besser beieinander.

  Jetzt begann der Hund wieder zu kläffen, ohrenbetäubend laut klang es. Jo hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten.

  »Es ist ein Boxer«, glaubte Karsten erklären zu müssen. »Der arme Kerl wird vor Freude, endlich über einen weichen Boden laufen zu können, außer sich sein. Hören Sie nur, wie glücklich sein Bellen klingt.«

  »Für meine Ohren klingt es wie eine nervtötende Sirene. Ich kann es nicht ertragen.«

  Kinderstimmen jauchzten, überschlugen sich vor Übermut und übertönten das beruhigende Geräusch der Wellen.

  Jo ging ins Zimmer zurück und knallte das Fenster zu. Das hätte er nicht tun dürfen, so eine Behandlung duldeten die Fensterrahmen nicht, die schon Jahrzehnte dem Wetter getrotzt hatten.

  Verdutzt starrte er auf den Flügel, den er in der Hand hielt, und sah anklagend auf den Bauern, der tadelnd seinen Kopf schüttelte.

  »Das geht aber nicht, daß Sie Ihren Ärger an den Fenstern auslassen. Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben. Jetzt kann ich eine Zeit damit vertun, die Sache wieder zu reparieren. Dabei hätte ich wirklich wichtigeres zu tun.«

  Jo floh aus dem Zimmer. Er riß eine Jacke vom Haken, der als Garderobe diente, und stürmte hinaus. Für den verwilderten Garten hatte er nicht einen Blick, er rannte über den Weg zu den Dünen hinunter, zertrat die strohigen Gräser. Nachdem er eine halbe Stunde gerannt war, war er nicht nur außer Atem, er wurde auch ruhiger. »Es bringt nichts, sich aufzuregen, alter Knabe«, redete er sich zu, »abwarten. Wenn du nicht arbeiten kannst, suchst du dir einfach etwas anderes.«

  Aber es graute ihm davor. Noch einmal in eine fremde Umgebung eintauchen zu müssen, erschien ihm als schreckliche Zeitverschwendung.

  Er hatte den Strand erreicht, er setzte sich auf einen großen Stein, streckte die Beine über den Sand und hielt das Gesicht der Sonne entgegen. Ruhe umfing ihn. Er hörte den Wellen zu, sie liefen über die Steine, flossen zurück, der monotone Gesang streichelte seine Nerven. Er sah einer Möwe zu, die eifrig zwischen den Steinen pickte, den Kopf hob und schrille Schreie ausstieß, als kreischte sie dem Himmel ihre Beschwerde entgegen.

*

  »Hast du schon mal geangelt?« Jo war so in Gedanken vertieft gewesen, daß er das Kind nicht wahr genommen hatte. Er zuckte zusammen und starrte auf das kleine Wesen.

  »Was hast du denn? Du zuckst ja zusammen, als hätte ich einen Schuß abgefeuert. Du siehst mich richtig komisch an.«

  Ich muß mich wirklich mehr zusammennehmen, rief Jonathan sich zur Ordnung.

  »Entschudlige«, bat er das Kind, »ich habe dich nicht kommen gehört.«

  »Nee? Das kommt sicher daher, weil ich keine Schuhe anhabe. Aber ich kann dir sagen, die Steine picken ganz erbärmlich. Wie die Indianer das machen, ständig barfuß herumzulaufen, das kapier ich nicht.«

  »Sie sind es einfach gewohnt«, erklärte Jo dem Kind. War es ein Junge oder ein Mädchen? Das Wesen trug winzige, verwaschene Shorts, ein buntes Hemd und hatte so zerkratzte Beine, wie Fridolin sie noch nie gesehen hatte.

  »Ich heiße Lea«, erklärte das Kind, als könnte es Gedanken lesen. »Ich will angeln. Ich habe nämlich zum Geburtstag eine Angel geschenkt bekommen. Ich dachte, es ist ganz leicht, ich dachte, hier gibt es haufenweise Fische. Aber es beißt keiner an. Irgendwas muß ich falsch machen. Darum frage ich dich, ob du schon mal geangelt hast. Ich stelle es mir Spitze vor, wenn wir zum Mittagessen selbst gefangenen Fisch braten können.«

  Er sah in das unglückliche Gesichtchen, das von großen braunen Augen beherrscht wurde. Etwas in diesem Gesicht rührte ihn an; was es war, hätte er nicht zu sagen gewußt.

  »Hast du einen Köder an den Haken gemacht?«

  »Eine Köder?« Der Mund blieb vor Erstaunen geöffnet. Ein Schneidezahn fehlte. »Was ist das denn?«

  »Würmer. Würmer, die du hier suchen kannst. Wenn das Wasser zurückgeht, kannst du nach Wattwürmern graben. Du kannst natürlich auch Mehlwürmer in der Zoohandlung kaufen, ich weiß aber nicht, ob es so ein Geschäft hier im Dorf gibt.«

  »Was meinst du mit Watt? Was meinst du damit, wenn das Wasser zurückgeht?«

  »Hast du noch nie etwas von Ebbe und Flut gehört?«

  Jo saß entspannt auf seinem Stein, für den Augenblick hatte er seinen Ärger vergessen. Die Kleine war zu drollig. Etwas rührend Schutzbedürftiges strahlte sie aus. Wie erwartungsvoll, ja gläubig ihn die braunen Augen ansahen.

  »Nee. Doch, warte mal«, ein Finger wurde gegen die Stupsnase gedrückt, als ließe es sich so besser denken. »Irgendwer hat mal was davon erzählt. Aber ich hab’s vergessen. Erzähl du es mir.« Die Kleine lächelte ihn treuherzig an, ließ sich einfach auf den Sand fallen, hockte da im Schneidersitz und sah zu ihm auf. Nicht eine Spur Scheu oder Zurückhaltung legte die Kleine an den Tag, sie sprach mit ihm, als wären sie längst vertraut.

  »Ebbe und Flut nennt man auch Gezeiten, oder Tiden«, erklärte er dem Kind und merkte gar nicht, daß er mit dem Mädchen sprach, als wäre es erwachsen. »Infolge der Anziehungskraft von Mond und Sonne, verursacht durch rhythmische Schwankungen des Meeresspiegels, der Atmosphäre und der festen Erdoberfläche mit einer Periode von 12 bis 13 Sonnenstunden. Die Gezeiten werden in den Pegeln beobachtet…«

  »Ich verstehe nur Bahnhof«, unterbrach ihn Lea. Sie hatte die Kinderstirn gekraust und schüttelte ein über das andere Mal den Kopf. »Ich bin bestimmt nicht schwer von Begriff, aber das kapier ich nicht. Nicht mal die Hälfte.«

  Er stutzte und lachte dann reuevoll.

  »Du hast recht. Wie solltest du das auch verstehen? Du bist hier an der Nordssee, hier sind Ebbe und Flut sehr stark. Bei Ebbe geht das Wasser zurück, bei Flut kommt es. Es ist nie ratsam, bei Ebbe ins Wasser zu gehen«, glaubte er noch mahnend sagen zu müssen. »Und was haben der Mond und die Sonne damit zu tun? Das kapier ich nicht. Mond und Sonne sind doch am Himmel und das Meer ist auf der Erde.«

  »Das eben ist die Anziehungskraft des Mondes. Bei der Bildung der Gezeiten überwiegt die Anziehungskraft des Mondes. Das ersieht man aus der regelmäßigen Wiederkehr der Gezeiten innerhalb von 24 Stunden und 50 Minuten. Der Einfluß der Sonne macht sich vorwiegend in dem Gezeitenhub bemerkbar.«

  »Hör auf«, die Kleine hielt sich kopfschüttelnd die Ohren zu. »Ich kapiere es einfach nicht. Aber wenn du es sagst, wird es schon stimmen. Das beste ist, ich frag Susanne heute abend. Wenn Susanne was erklärt, kann es sogar unser Stöpsel verstehen, und der ist erst drei Jahre alt. Du machst ein Gesicht, als wenn du sauer bist. Das darfst du nicht. Vielleicht hast du keine Kinder, dann kannst du natürlich auch nicht so sprechen, daß man es kapiert. Wenn man nur mit Erwachsenen zusammen ist, spricht man ganz anders, das ist ja klar.«

  Es war zu drollig, wie die Kleine versuchte, ihn zu trösten. »Wichtig ist ja eigentlich nur, daß das Wasser wiederkommt, wenn es wegläuft.«

  Mit gekraustem Näschen starrte das Kind auf das Meer. Die Wellen hatten lustige kleine Schaumkrönchen, sie trugen ein Brett heran. Immer wenn Lea glaubte, jetzt würde es an den Strand gespült, nahmen sie es wieder mit sich.

  »Die Wellen spielen mit dem Brett wie eine Katze mit einer Maus«, rief das Kind und schüttelte die blonden Haare, die naß und strähnig das Gesicht umtanzten. »Bei dem Wasser sieht das lustig aus, wenn eine Katze das macht, finde ich es grauselig.«

  »Ich auch«, nickte der Mann und studierte das Kind, als wollte er es zeichnen. Bisher war er selten mit Kindern zusammen gekommen. Er fand sie laut und lästig, unberechenbar, und man ging ihnen besser aus dem Weg. Aber dieses Kind interessierte ihn einfach. Wahrscheinlich war es in einem kritischen Moment in sein Leben gehüpft.

  »Jetzt ist also Flut, weil das Wasser kommt«, überlegte Lea und bohrte die nacken Zehen in den steinigen Sand. »Jetzt kann ich also keine Würmer finden. Da muß ich warten, bis Ebbe ist.«

  »Du hast es ja doch verstanden«, freute Jo sich und lachte auf das Kind hinunter. Lea grinste, zog den Mund auseinander, daß er noch eine weitere Zahnlücke sehen konnte.

  »Toll. Na, die werden gleich staunen, wenn ich den anderen einen Vortrag halte. Mensch, denen werden die Augen aus dem Kopf fallen.«

  Jo kam sehr unsanft in die Wirklichkeit zurück.

  »Du wohnst in dem Ferienhaus oben am Weg?«

  »Klar, da wohnen wir seit heute. Ich und meine Geschwister und Susanne.«

  Sein Interesse für das Kind hatte einen argen Dämpfer bekommen. »Nennst du deine Mutter Susanne? Sie ist doch deine Mutter, oder seid ihr ohne Mutter hier?«

  Das Kind zögerte nur einen Augenblick.

  »Nee, nee. Wir sagen Susanne zu ihr. Du glaubst doch nicht, daß Kinder allein ein Ferienhaus mieten könnten. Nee, das geht nicht. Wenn du willst, kannst du ja mitkommen. Wir sind fünf und mit Susanne sechs. Das Haus ist nur klein, aber wir finden es super. Wir werden bestimmt viel Spaß haben, das kannst du mir glauben. Susanne hat versprochen, daß wir abends grillen, und der Bauer hat uns erlaubt, ein Feuer in dem Gärtchen zu machen, das werden wir tun und dann singen wir und Susanne spielt auf ihrer Laute. O Mensch, ich könnte platzen, so freu ich mich. Und du, wohnst du im Dorf? Das Dorf ist ja ganz hübsch, aber es ist viel zu weit vom Wasser entfernt, da könnten wir ja nie allein zum Meer hinkommen.«

  Warum fiel es ihm denn so lächerlich schwer, auf diese normale Fragen zu antworten? Er brauchte doch keine Angst zu haben, daß die Kinder zu ihm kamen, der Bauer würde schon dafür sorgen, daß man Abstand hielt und ihn nicht belästigte.

  »Ich wohne nicht im Dorf. Da ist es mir viel zu eng und viel zu laut. Ich wohne eurem Häuschen direkt gegenüber.«

  Weiter kam er nicht. Die Kinderaugen strahlten ihn an. Goldene Pünktchen glitzerten darin.

  »Wirklich? Das ist ja super. Wir haben das Haus gesehen, es sieht genauso drollig aus wie unser Haus. Nur hast du grüne Fensterläden und wir blaue. O Mann, das ist wirklich Spitze. Dann können wir uns ja immerzu besuchen, und wenn Susanne was extra Gutes gekocht hat, dann winken wir dich einfach rüber. Ich kann laut schreien, du hörst das bestimmt.«

  Darauf legte er nun wirklich nicht den geringsten Wert.

  »Weißt du, Lea, ich habe wenig Zeit«, erklärte er behutsam. Das Kind hatte eine Art, ihn anzublicken! »Ich schreibe an einem Buch, und da brauche ich sehr viel Ruhe.«

  Die Kinderaugen staunten ihn ehrfürchtig an. »Wird es ein dickes Buch? Mensch, das ist ja, das ist ja wahnsinnig. Ein richtiges Buch! Dann bist du wohl ein Dichter? Aber Dichter sind doch auch Menschen und müssen essen und sich mal ausruhen.«

  »Natürlich. Aber in erster Linie brauchen sie Ruhe. Und ich esse, wenn ich Hunger habe, und halte mich nicht an eine Zeit.«

  »Aber das ist sehr ungesund«, mahnte ihn das Kind. »Vielleicht rauchst du sogar.« Die braunen Augen musterten ihn altklug.

  »Nur Pfeife. Aber meistens kaue ich auf dem kalten Pfeifenstiel herum.«

*

  »Lea, wo bleibst du denn? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

  Sofort sprang das Kind auf die Füße und rief schuldbewußt: »Sei nicht sauer, Susanne. Ich hab einfach die Zeit vergessen.«

  Jonathan drehte den Kopf, und vor Staunen vergaß er, den Mund zu schließen. Das sollte eine Mutter von fünf Kindern sein? Unmöglich. Dieses Wesen war gertenschlank, hochgewachsen und wirkte mit ihren blonden Haaren, die bis zu ihrer Schulter reichten, wie ein junges Mädchen.

  Blaue Augen, so blau wie der Himmel, musterten ihn abwartend. Jonathan erinnerte sich an seine gute Manieren und erhob sich langsam, wie in Zeitlupe.

  »Das ist der Mann, der unserem Haus gegenüber wohnt«, sprudelte Lea hervor, sie lief auf Susanne zu, umklammerte ihre Hand und strahlte sie an. »Ist das nicht toll? Weißt du, daß er ein Dichter ist? Einer, der ein dickes Buch schreibt.«

  Jonathan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, es blitzte in seinen Augen, als er zu Susanne hinübersah. Natürlich war sie nicht die Mutter der fünf Kinder, vermutlich hatte er Lea falsch verstanden.

  »Nolde«, stellte er sich vor und senkte eine Winzigkeit den Kopf.

  »Jetzt muß du auch deinen Namen sagen, Susanne. Nein, das mach’ ich für dich. Sie heißt Susanne Schöne, wie wir auch, weil sie ja unsere Mutter ist.«

  Susanne verzog nur ein wenig den Mund, vielleicht sollte es ein Lächeln sein. Jo musterte sie unverwandt, er dachte gar nicht daran, daß es sehr unhöflich war, jemanden so anzustarren.

  Sie war nicht nur schlank und jung, sie war auch von einer besonderen Schönheit. Es war keine Schönheit, die grell ins Auge fiel. Es war eine Schönheit, die man entdecken mußte. Nichts an diesem Wesen wirkte aufdringlich.

  »Sie haben einen berühmten Namen.« Ihre Stimme klang ein wenig heiser. Sie hatte den Arm um Leas Schultern gelegt, das Kind schmiegte sich zärtlich an sie.

  Jonathan war enttäuscht. Sie strahlte so eine Natürlichkeit aus, aber sie war nicht anders als die jungen Damen, über die er ständig stolperte.

  Gleich würde sie ihm sagen, daß sie all seine Bücher gelesen hatte und von ihnen begeistert wäre. Er kannte diese Art der verlogenen Konservation.

  »Ach ja?« Er musterte sie abwartend.

  »Ich denke an den Maler und Graphiker Emil Nolde.« Irrte er sich, oder schwang Spott in ihrer Stimme mit? »Sie wissen doch sicher, daß er der Hauptmeister des deutschen Expressionismus war. Von einem Schriftsteller dieses Namens habe ich noch nie gehört.«

  Einen Augenblick verschlug es ihm die Sprache.

  Sie wollte ihn ärgern, er wußte nur nicht warum. Er mochte Frauen mit spitzen Zungen nicht, er liebte sie sanft und anschmiegsam, und wenn sie ihm lästig wurden, dann machte er sich davon. Jonathan war anständig genug, den Damen das sofort, gleich zu Anfang der Beziehung, zu sagen. Keine Bindung, meine Liebe. Wenn es anfängt, eheähnlich zu werden, mach ich mich aus dem Staub. Und keine Tränen.

  »Ich schreibe nicht unter dem Namen Nolde«, erklärte er ihr gekränkt.

  »Das interessiert mich nicht.« Sie war wirklich abscheulich. Besaß das Gesicht eines Engels und die Zunge eines Teufels. Er haßte rechthaberische Frauen.

  »Herr Karsten war soeben bei uns…« Ach, daher wehte der Wind. Ihre Augen funkelten ihn herausfordernd an. Trotz seines Ärgers begeisterte ihn ihr sprechendes, temperamentvolles Gesicht.

  »Ach ja?«

  »Fällt Ihnen keine andere Bemerkung ein?« fuhr sie ihn böse an. »Ach ja ist nicht sehr viel. Herr Karsten erzählte mir, daß Sie wegen des übermütigen Lachens der Kinder einen Tobsuchtsanfall bekommen haben, und als Sie hörten, daß fünf Kinder Ihre Nachbarn sind, sollen Sie einen Nervenzusammenbruch gespielt haben.«

  »Vergessen Sie das Bellen des Hundes nicht.« Er schob die Hände in die Taschen seiner ausgebeulten Hose, er war sich gar nicht bewußt, daß er mit den Füßen wippte. Für Susanne war er der arroganteste, schlecht erzogenste Mensch, dem sie je begegnet war. Wie unverschämt er sie musterte.

  »Meint er Charlie?« fragte das Kind ängstlich und sah von Susanne auf den Mann, den sie eben noch so nett gefunden hatte.

  »Ja, Lea. Er meint unseren Charlie. Er ist ihm zu laut, und euer Lachen stört ihn auch.« Es klang, als knirschte sie bei den Worten mit den Zähnen.

  »Wir haben das Haus gemietet, es war mühsam genug, ein Haus zu finden, in dem wir uns alle wohl fühlen und mit Lärm und Lachen niemanden stören«, fuhr sie ihn mit blitzenden Augen an. »Die Kinder haben diese unbeschwerten Ferien bitter nötig.« Einen Moment brach ihre Stimme, sie schluckte, fuhr aber kampfbereit fort: »Wir lassen uns nicht vertreiben, wenn mir Herr Karsten auch von einem Häuschen im Dorf erzählte. Wir bleiben. Wenn Kinderlachen sie dermaßen stört, dann… dann müssen Sie sich eben etwas anderes suchen.«

  Er hielt dem Blick ihrer wütenden Augen stand. Der Ärger auf dieses unverschämte Wesen wurde übermächtig.

  »Ich danke gar nicht daran, mein Domizil aufzugeben. Ich sitze mitten in einer schwierigen Arbeit und brauche meine Ruhe. Darum kam ich hierher, um in Ruhe und Frieden meine Arbeit zu vollenden.«

  »Das klingt ja, als ob Sie schon mit einem Fuß im Grab stehen«, höhnte sie. »Wenn Sie ein solches Nervenbündel sind, dann sollten Sie sich irgendwo im Wald verkriechen. Aber vielleicht stört Sie da das Zwitschern der Vögel, und wenn der Wind durch die Zweige fegt, fühlen sie sich vermutlich persönlich gekärnkt.«

  »Meint er, wir sind zu laut, und meckert er genauso über uns wie Frau Winter? Die sich sogar über unseren Krach beschwert, wenn wir gar nicht im Garten sind?«

  Sie strich der Kleinen mit einer zärtlichen Geste das Haar aus der Stirn.

  »Hören Sie«, erklärte er gereizt, bevor sie dem Mädchen antworten konnte. »Ich habe nichts gegen Kinder, schon gar nichts gegen Hunde. Aber als ich heute morgen den unerwarteten Lärm hörte, war ich natürlich außer mir. Ich steckte mitten in der Arbeit und hatte das Gefühl gut voranzukommen. Aber vielleicht verstehen Sie das nicht.«

  »Ich gebe mir auch keine Mühe«, war ihre patzige Antwort, und ihre Augen wurden nicht eine Spur freundlicher. Daß er ihr einen Friedenszweig geboten hatte, nahm sie einfach nicht zur Kenntnis. »Die Kinder haben den Urlaub bitter nötig. Sie sollen sich austoben, sie sollen sich wohlfühlen. Ich kann auch Charlie nicht das Maul zubinden.«

  »Bloß nicht«, warf Lea erschrocken ein. Unglücklich sah das Kind von einem zum anderen und begriff nicht, warum sie redeten als wären sie verfeindet. Das sah Susanne doch überhaupt nicht ähnlich.

  »Susanne, uns predigst du immer, wir sollen uns vertragen«, murmelte das Kind vorwurfsvoll.

  »Halte bitte den Mund, Lea. Das verstehst du nicht. Wir haben nicht die beschwerliche Reise hinter uns gebracht, um eine zweite Frau Winter ertragen zu müssen.«

  »Können Sie einmal einen Moment still sein?« fuhr Jo sie an. Sie zuckte zusammen, aber dann funkelte sie ihn an, ihre Augen schossen Blitze. Und wie ein wütendes Kind stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden.

  »Nein. Und tausend Mal nein. Wir haben das Haus gemietet, wir wollen hier unbeschwerte Ferien genießen. Sie verstehen ja gar nichts«, fuhr sie aufgebracht auf ihn los. Einen Moment glaubte er, Tränen in ihren Augen zu sehen. »Ich werde den Teufel tun und Ihnen versprechen, daß wir uns bemühen, leise zu lachen, ich denke gar nicht daran. Sie müssen sehen, wie Sie mit uns zurecht kommen. Ich verspreche Ihnen, daß uns Ihr Schreibmaschinengeklapper, und wenn es mitten in der Nacht ist, nicht stört. Ich bin nicht schuld, daß hier die Geräusche meilenweit zu hören sind. – Komm, Lea.«

  »Sie sind sehr unhöflich«, brauste er aufgebracht los. »Hat man Ihnen nicht beigebracht, daß man den anderen ausreden lassen muß?«

  Sie warf einen spöttischen Blick zurück. Mit dem Kind an der Seite schritt sie davon.

  »Offensichtlich nicht. Es ist gut, daß Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Keineswegs mit einer Frau, die vor einem Schriftsteller vor Ehrfurcht in die Knie sinkt, sondern mit einer Frau, die sich ihrer Rechte sehr bewußt ist.«

  Das Kind lief nur zögernd neben ihr. Aber sie ging mit weit ausholenden Schritten, ihr Haar wehte im Wind. Er starrte ihr nach, er war wahnsinnig wütend auf sie. Am liebsten wäre er ihr nachgerannt und hätte sie geschüttelt.

  Und doch war er sich ihrer Anmut bewußt. Sogar von hinten strömte sie Charme aus. Dabei hielt sie den Rücken gerade, den Kopf gereckt, deutlicher konnte man nicht zeigen, wie unversöhnlich man war.

  Zum Teufel mit dieser Person. Mußte ihm das passieren? Er war doch nun wirklich ein friedfertiger Mensch. Und ausgerechnet er mußte einer solchen Xanthippe begegnen.

  Er würde sich nicht mit dieser Person anlegen, dazu hatte er weder Lust noch Zeit. Wer war sie überhaupt, daß sie einen solchen Ton anschlagen konnte? So sprach niemand mit ihm.

  Sah aus wie 20 Jahre. Keinen Tag älter, und hatte fünf Kinder. Und von einem Mann war nicht die Rede gewesen!

  Ein nettes Früchtchen war sie. Jawohl. Mädchen, die so hübsch waren wie sie, waren entweder strohdumm oder unverschämt, wie sie es war. Jawohl.

  Er setzte sich wieder auf den Stein und starrte auf das Meer. Aber er sah nicht, daß das Wasser eine andere Farbe angenommen hatte. Es schillerte jetzt nicht mehr silbern mit lustigen weißen Krönchen auf den Wellen. Es wirkte schwarz, und dunkel wurde auch der Himmel. Es paßte zu seiner Stimmung.

*

  »Erzähl’ das noch mal«, forderte Johann seine Schwester auf. »Aber hör auf, so ein Gesicht zu ziehen, als ob du Zahnschmerzen hast.« Johann war der Älteste der fünf Schönekinder. Bei allen Streichen war er der Anführer, mit seinen neun Jahren wußte er sich bei seinen Geschwistern Respekt zu verschaffen. Wenn es nicht mit Worten ging, dann hatte er andere Mittel. Aber trotz seiner rauhen Schale liebte er seine Geschwister, aber noch mehr liebte er Susanne. Er fühlte sich für alle verantwortlich, schließlich war er nicht umsonst der Älteste.

  »Ich hab doch schon alles gesagt.« Lea fühlte sich sehr unglücklich. »Sie war furchtbar wütend auf ihn. Aber zu mir war er sehr nett, er hat mir gesagt, wo ich Wattwürmer suchen kann.«

  »Hör auf mit deinen Würmern, das hätte ich dir auch sagen können. Er beschwert sich also über uns, er will uns vielleicht sogar von hier vertreiben. Er will uns loswerden. Aber da ist er schief gewickelt.« Johanns Bubengesicht verzog sich angriffslustig. Er war der Einzige, der seinem verstorbenen Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sein schmales Gesicht mit den dunklen Haaren und den braunen Augen vergaß man nicht so schnell. Er war lang aufgeschossen und wirkte älter, als er war.

  »Der wird sich wundern«, knirschte er rachsüchtig. »Was fällt dem denn ein, Susanne zu ärgern? Gleich am ersten Tag.«

  Sie hockten in dem Schlafzimmer, saßen auf dem Bett, zwei hockten auf dem Fußboden. Sie hörten Susanne in der winzigen Küche hantieren. Sie hatte ihnen zum Abendessen Hefeklöße versprochen.

  Wieviel Arbeit das machte, war den Kindern nicht klar. Ihnen war nur wichtig, daß Susanne lachte und nicht traurig war. Traurig waren sie viel zu lange gewesen. Als die Koffer gepackt waren und Susanne das Auto aus der Garage holte, hatte Johann seinen Geschwistern eingeschärft:

  »Geheult wird nicht mehr. Verstanden? Wenn einer wieder einen Rappel kriegt, soll er das gefälligst so machen, daß Susanne es nicht sieht. Sonst kriegt ihr es mit mir zu tun.«

  Draußen regnete es, nachmittags war ein heftiges Gewitter losgebrochen. Susanne hatte mit ihnen in dem Zimmer gesessen, das jetzt ihr Wohnzimmer war. Susanne verstand es, mit wenigen Mitteln Behaglichkeit zu zaubern, das spürten sogar die Kinder. Sie hatte ihnen vorgelesen, sie hatte ihnen erklärt, wie ein Gewitter entstand. Sie hatte es geschafft, daß nicht einmal der dreijährige Fridolin, der Benjamin, Angst hatte. Er saß auf ihrem Schoß, den Daumen im Mund und hörte zu.

  Nur Charlie hatte sich unter den Tisch verkrochen, und bei jedem Donner stieß er ein angstvolles Heulen aus.

  »Er ist dumm«, hatte die fünfjährige Laura nachsichtig erklärt. »Er kapiert nicht, daß man vor dem Donner überhaupt keine Angst haben muß. Dafür ist er schließlich auch nur ein Hund.«

  Jetzt hielten die fünf Kriegsrat, wie sie es nannten, und Johann führte das Wort.

  »Das ist klar wie Kloßbrühe«, erklärte Johann großspurig. Er streckte seine langen Beine über den Flickenteppich, Fridolin lag bäuchlings darauf, seinen Teddy im Arm und flüsterte etwas in das angenagte Ohr. Er war der einzige, der nicht zuhörte.

  »Also, wir werden uns Dinge ausdenken, die hinhauen müssen. Wir werden ihm Streiche spielen und ihn vergraulen, das ist ja klar. Aber es darf nie herauskommen, daß wir es waren, wir wollen ja nicht, daß Susanne Ärger kriegt.«

  »Aber er ist nett, wirklich.« Lea rückte von Johann ab. »Susanne ist eine Erwachsene und er auch, manchmal können Erwachsene furchtbar dumm sein.«

  »Quatsch keine Opern«, fuhr Thomas sie an. »Er ist unser Feind. Basta. Wir haben ihm hiermit den Krieg erklärt. Aber kein Wort zu Susanne, kapiert? Sonst setzt es was.«

  Sie streckte ihm die Zunge heraus, war aber froh, daß Thomas nicht neben ihr saß. Er war schon acht Jahre, er war so alt, wie Lea schrecklich gern wäre. Mit acht Jahren durfte man eine halbe Stunde am Abend länger aufbleiben. Es war hart, daß Susanne alle Regeln der Eltern übernommen hatte.

  »Jeder denkt nach«, bestimmte Johann, »wie wir ihn ärgern können. Heute nacht habt Ihr alle Zeit genug dafür. Wir müssen schon morgen mit unserer Arbeit beginnen. Schließlich haben wir nur fünf Wochen Ferien. Fünf Wochen gehen viel zu schnell herum.«

  Bis auf Fridolin und Lea waren sie alle Feuer und Flamme. Nur für Johann war es kein übermütiger Spaß, ihm war es ernst. Er mußte diese kleine zusammengeschrumpfte Familie verteidigen. Er durfte nicht zulassen, daß jemand Susanne ärgerte oder ihr auch nur ein Haar krümmte. Er wußte, wie dankbar sie sein mußten, daß Susanne jetzt ihre Mutter war.

  Johann würgte an dem Elend, das sein Herz schwer machte. Aber weinen durfte er erst, wenn er in seinem Bett lag, niemand es hörte und er allein war. Allein mit seinem großen Kummer. Es gab nur einen Trost: Susanne war da.

*

  Eigentlich konnte Jonathan bei Gewitter sehr gut arbeiten. Überhaupt störte ihn nicht der Lärm, den die Natur verursachte. Aber anstatt zu arbeiten, stand er am Fenster, das Herr Karsten notdürftig und unter Brummen repariert hatte, und genoß das Schauspiel. Blitze zuckten im grellen Zickzack über den Himmel und landeten im Meer, Donner füllte die Luft.

  Immer wieder spähte Jonathan zu dem kleinen Häuschen hinüber, das im unheimlichen Licht beklagenswert aussah, so, als könnte der Wind es umblassen und davontragen.

  Die Kinder kamen aus der Stadt, so ein Naturschauspiel hatten sie gewiß noch nie gesehen. Er holte sein Fernglas vom Bord und spähte hinüber. Nichts war von ihnen zu sehen. Natürlich fürchteten die Kinder sich, wahrscheinlich hockten sie angstvoll im dunklen Zimmer.

  Eine irrsinnige Idee von dieser Mutter, mit fünf Kindern in diese unwirtliche Gegend zu ziehen. Aber was konnte man auch schon von einer Mutter, die wie ein junges Ding aussah, erwarten?«

  Jonathan wußte, daß beide Häuschen einmal von Vogelwarten bewohnt gewesen waren. Aber auf für Menschen unerklärliche Weise hatten die Möwen ihre Brutstätten verlassen und bewohnte jetzt die Dünen hinter dem Wall. Auch das Meer konnte hier dem Land nicht mehr gefährlich werden. Vor ungefähr hundert Jahren war gerade diese Dünenlandschaft häufig überschwemmt worden, ja, das Wasser war sogar bis zum Dorf gekommen, Tafeln an Hausmauern erzählten noch davon.

  Jetzt kam das Wasser nicht einmal mehr bei Springflut bis zu den Höhlen im Felsen, bei Ebbe lief es weit zurück.

  Jonathan ertappte sich bei dem Gedanken, daß er der kleinen Lea gern davon erzählen würde. Er erinnerte sich an die großen, wißbegierigen Augen. Er sah sogar das Lachen darin.

  Das Gewitter hatte sich verzogen, jetzt strömte der Regen aus dunklen, tiefhängenden Wolken, als wollte er das Land überschwemmen. Seufzend setzte sich Jonathan an den Tisch. Natürlich gab er dem Drang nicht nach, der ihn vom Schreiben abhielt. Auf keinen Fall ging er zu den Kindern hinüber. Ja, wenn sie allein wären, dann wäre es ja sogar seine Christenpflicht gewesen. Dann müßte er sich um sie kümmern.

  Die Hände lagen auf den Tasten der Schreibmaschine. Er hatte das Licht angezündet, wie gut, daß die Häuschen wenigstens Strom besaßen. Jetzt konzentriere dich, Jonathan Nolde.

  Wie spöttisch diese Person gesagt hatte: ein Schriftsteller dieses Namens ist mir nicht bekannt…

  Aber wie zärtlich hatte sie den Arm um die Kleine gelegt und ihr das Haar aus dem Gesicht gestrichen.

  Hatte er nicht doch die Pflicht, sich um die sechs zu kümmern? Die junge Frau war doch diesem rauhen Leben gar nicht gewachsen.

  Aber er ging nicht. Er schob die Maschine von sich, holte seinen Rotwein aus dem Schrank. Er vertiefte sich in sein Lieblingsbuch und hatte Glück, daß der Roman ihn gefangennahm.

  Er schlief nicht sehr gut in dieser Nacht. Einmal glaubte er sogar, Stimmen gehört zu haben, ja, es war ihm, als schlichen Menschen um sein Haus. Wenn ihm seine Nerven einen Streich spielten, dann war das der letzte Kriminalroman, den er schrieb.

  Strahlender Sonnenschein umfing ihn, als Jonathan unausgeschlafen sein Haus verließ. Er reckte gähnend die Arme über den Kopf und blinzelte. Der Himmel war tiefblau, das Meer lag wie ein silbrig blitzendes Tuch darunter. Selbst die Möwen machten weniger Lärm.

  Und überhaupt kein Laut klang vom Häuschen herüber. Die kleinen Fensterscheiben blitzten wie lachende Augen in der Sonne. Es kam auch kein Rauch aus dem Schornstein.

  Unbehagen faßte ihn. Er wollte gerade zu der höheren Düne gehen, um das Haus besser betrachten zu können, als er einen entsetzten Satz zur Seite machte. Er hatte auf etwas getreten, und ein ohrenbetäubender Knall war die Antwort gewesen.

  Er stutzte, machte einen Schritt und wollte das rote Etwas, was unschuldig im Sand lag, in Augenschein nehmen, als noch ein Knall losbrach.

  Knallbonbons, hatten sie als Kinder dazu gesagt. Er bückte sich und betrachtete das Corpus delicti interessiert. Aber anstatt sich zu ärgern, schmunzelte er. Er hockte auf dem Sand, spähte über den Weg und entdeckte noch drei der Dinger. Vorsichtig nahm er sie auf. Vergnügt pfeifend ging er zu seinem Haus zurück.

  Also hatte er sich die flüsternden Stimmen nicht eingebildet. Aber nicht darum war er so vergnügt. Das war also die Antwort der Kinder. Sie spielten ihm Streiche.

  Jonathan fühlte sich wunderbar belebt. Seine Augen funkelten vor Begeisterung. Von ihm aus konnte das Spiel beginnen. Er machte mit.

  Im Grunde war Jonathan, obwohl er ein berühmter Mann war, ein Kind geblieben. Ja, im Grunde seines Herzens war er noch der unternehmungslustige anlehnungsbedürftige Bub, der gern lachte und übermütig war. Nur das Leben, das er führte, gab ihm wenig Gelegenheit dazu. Jonathan war ein begeisterter Bastler. Wäre er nicht Schriftsteller geworden, dann hätte er das Ingenieurstudium ins Auge gefaßt.

  Statt zu arbeiten, bastelte er den ganzen Morgen, und dabei pfiff er begeistert vor sich hin. Aber immer wieder spähte er nach draußen. Einmal war ihm, als lugten zwischen den Dünen Gesichter. Eigentlich sollte er ihnen die Freude machen und vor Wut toben. Aber dazu hatte er keine Lust.

  Sehr auffällig nahm er am Nachmittag sein Handtuch über die Schulter.

  Die Badehose trug er in der einen Hand, in der anderen hielt er einen Beutel, aus dem ein Flaschenhals lugte. Jonathan war sicher, daß die Kinder ihn beobachteten. Sollten sie glauben, er würde den Nachmittag bei einem Picknick am Strand verbringen.

  Aber er dachte gar nicht daran. Als er sicher war, vom Haus nicht gesehen werden zu können, ließ er sich hinter eine Düne fallen. Das harte Gras stach sogar durch seine Cordhose, kratzte über seine Arme. Jonathan achtete nicht darauf. Es war, als hätte ihn das Jagdfieber gepackt.

  Er mußte nicht lange warten. Da waren sie. Geduckt wie Indianer schlichen sie über den Weg. Vermutlich hatte ihre Mutter ihnen eingeimpft, daß man in den Dünen die Wege benutzen mußte. Aber sicherlich wußte sie von den Streichen, die ihre Kinder ihm spielen wollten, nichts.

  Vier waren sie. Wie die Orgelpfeifen sahen sie auf, als sie sich aufrichteten. Sie mußten sich sehr sicher fühlen.

  Das Schauspiel lasse ich mir nicht entgehen, dachte Jonathan schmunzelnd. Gut, daß seine Freunde ihn jetzt nicht sahen. Die hätten vermutlich an seinem Verstand gezweifelt.

  Auf allen vieren kroch er über den Sand, über Steine und Gräser und versuchte, so rasch und lautlos wie nur möglich voran zu kommen. Er duckte sich und spähte zu seinem Haus hinüber.

  Sie hatten das Törchen erreicht. Er hörte ihre Stimmen, obwohl sie sich bemühten leise zu sprechen.

  »Meinst du, er hat einen Hund?« Der lang aufgeschossene Bengel tippte gegen seine Stirn.

  »Der doch nicht. Du bist wohl nicht ganz dicht. Der liebt doch nichts, was Geräusche macht.«

  Lea streckte dem Bruder wütend die Zunge aus. Jonathan fühlte sich lächerlich gerührt.

  »Du kennst ihn ja gar nicht, du hörst mir ja überhaupt nicht zu. Er ist nett, das ist mal sicher.«

  »Ach, halt die Klappe«, zischte der Bub mit den borstigen blonden Haaren. »Wir bringen deinen Freund ja nicht um, wir wollen doch nur, daß er die Nase voll hat und abhaut.«

  »Wahrscheinlich kreuzt er heute abend bei uns auf und beschwert sich bei Susanne über uns«, höhnte die Kleine mit den blonden Zöpfen. »Aber er kann ja nichts beweisen, niemand weiß, daß wir es waren. Es können genauso Kinder aus dem Dorf gewesen sein.«

  »Wehe, du verpetzt uns, Karsten. Dann wirst du was erleben, dann wirst du aus unserem Club rausgeschmissen, das ist mal sicher. Und jetzt hört auf zu quatschen. Wir haben zwar massenhaft Zeit, der Typ wird bestimmt bis abens am Strand bleiben.«

  »Ich glaub aber nicht, daß der ins Wasser geht«, höhnte die Bezopfte . »Menschen die so pingelig sind wie der, sind wasserscheu.«

  »Hier, halt mal den Topf«, befahl der Große dem Blonden und trat auf den Stein. Im selben Moment strömte das Wasser. Es schien aus allen Ecken zu kommen. Die Kinder standen einen Moment wie erstarrt, dann schrien sie vor Schrecken.

  »Es ist nur Wasser«, erklärte Jonathan. Unbemerkt von den Kindern war er herangekommen. Breitbeinig stand er da, Handtuch, Badehose und Tasche in der Hand. »Wenn ihr genug geduscht habt, könnt ihr den Hahn zudrehen. Er ist am Haus.«

  Der Große funkelte ihn wütend an. Aber Jonathan war es, als glitzerte auch ein wenig Überraschung und Respekt in seinen Augen.

  »Wie hast du das denn gemacht«, staunte Lea. Das Wasser versickerte und jetzt sah man den dunklen Schlauch.

  »Das ist keine Hexerei, ich mußte nur ein wenig basteln. Man kann das Ergebnis auch als Rasensprenger benutzen. Aber jetzt hat es auch seinen Dienst getan.«

  Er verbiß sich ein Lachen, beinahe hatte er Mitleid mit den geschlagenen Helden. »Was für einen Streich wolltet ihr mir denn jetzt spielen? Die Sache mit den Knallfröschen ist so alt wie Methusalem. Wir nannten sie früher Knallbonbons.«

  Das Wasser lief dem Mädchen mit den Zöpfen aus den Haaren, und alle hatten keinen trockenen Faden am Körper.

  »Das wollen wir gar nicht wissen«, funkelte ihn der Blonde an, blaue Augen hatte er, die sehr an seine Mutter erinnerten.

  »Wollt ihr ins Haus kommen und euch abtrocknen?«

  »Nee«, die Bezopfte zischte wie eine kleine Schlange. »Glauben Sie ja nicht, daß Sie gewonnen haben. Wenn das jetzt auch schief gegangen ist, was wir vorhatten, ist doch längst noch nicht aller Tage Abend.«

  »Du verfügst über einen außergewöhnlichen Wortschatz«, behauptete der Mann liebenswürdig. Er stand noch immer da und versperrte ihnen den Weg.

  »Sie brauchen sich überhaupt nicht lustig über uns zu machen«, fuhr ihn der Blonde an.

  »Du weißt ja noch nicht, wie meine Geschwister heißen.« Lea machte ein Gesicht, als wollte sie weinen. »Sie sind sonst überhaupt nicht so eklig, das mußt du glauben. Wir sind nur wütend auf dich, weil du Susanne geärgert hast.«

  »Und weil Sie wollen, daß wir ausziehen«, erklärte die Bezopfte.

  »Das ist Johann, und das Thomas, und das Laura. Fridolin ist mit Susanne ins Dorf gefahren.«

  »Das hat ihn gar nicht zu interessieren«, fuhr Thomas die Schwester wütend an. »Bist du noch solch ein Säugling, daß du ihn duzt?«

  »Ich möchte zuerst einmal etwas richtig stellen«, erklärte Jonathan noch immer liebenswürdig. Er sprach mit ihnen, als wären sie erwachsen, selbst Jonathan mußte ihn ganz nett finden, ob er es nun wollte oder nicht. Und er wollte es ganz sicher nicht. Es war so schön, einen Feind in der Nähe zu haben, dem man Streiche spielen konnte. Und der Typ war offensichtlich nicht der Mann, der zu Susanne lief und petzte.

  »Ich will keineswegs, daß ihr auszieht. Ich habe mich nur über den plötzlich aufkommenden Lärm beschwert.«

  »Na also«, erklärte Johann befriedigt. »Jetzt geben Sie es ja zu, daß Sie sich von uns gestört fühlen. Komm, hauen wir ab. Für jetzt räumen wir das Feld.« Er funkelte den Mann wütend an. Braune Augen hatte er. Wenn er erwachsen war, würde er ein markantes Gesicht haben. »Aber glauben Sie nicht, daß Sie gewonnen haben. Uns wird schon was einfallen, verlassen Sie sich darauf.«

  Wenn er geglaubt hatte, daß der Mann wütend wurde, dann hatte Johann sich getäuscht. Der Kerl sah aus, als machte ihm das Vergnügen.

  Er verzog amüsiert den Mund. »In Ordnung, ich nehme eure Kriegserklärung an. Beschwert euch aber nicht, wenn ich Antwort gebe. Aber aufgepaßt«, seine Stimme war härter geworden, und er sah jeden Einzelnen streng an. »Ich bitte mir aus, daß ihr nichts anstellt, was dem Haus oder den Dünen Schaden zufügt. Dann könnte man euch belangen wegen Sachbeschädigung. Und wenn einer von euch ein blaues Auge davonträgt, hat er selbst schuld«, fügte er gewollt grimmig hinzu. »Du als Ältester bist dafür verantwortlich, Johann, daß niemand von euch zu Schaden kommt.«

  »Das brauchen Sie mir nicht aufs Butterbrot zu schmieren«, fuhr Johann den Mann wütend an. Es ärgerte ihn, daß der Kerl ihm imponierte. Genauso wie er hätte auch sein Vater reagiert. Genauso.

  »Kommt«, wie Hühner scheuchte er seine Geschwister davon. Er erlaubte auch Lea nicht, zu dem Mann zurückzuwinken. »Laß das«, drohte er ihr, »oder ich knall dir eine.«

  Jonathan hätte am liebsten vor Vergnügen gepfiffen, aber er unterließ es, die Kinder könnten sich unter Umständen ausgelacht vorkommen.

  Jetzt hatte Jonathan Lust zu arbeiten. Er kochte sich in der Küche, die dringend aufgeräumt werden mußte, einen starken Kaffee, ging ins Zimmer und öffnete weit das Fenster. Er konnte das kleine Häuschen sehen, die Fenster sahen aus, als lachten sie ihm zu.

  Nette Kinder waren es. Sehr nette. Wo sie wohl den Hund gelassen hatten? Er hatte ihn heute noch nicht bellen gehört.

*

  Susanne war ungewöhnlich blaß. Sie saßen am Tisch, den Susanne hübsch gedeckt hatte. Zwar war das Geschirr zusammengesucht und ein Teller sogar angeschlagen, aber das Essen war gut, die Limonade kalt. Auf der karierten Decke standen in einer Vase Gräser, die Lea gepflückt hatte.

  Johann musterte Susannes müdes Gesicht ängstlich.

  »Bist du sauer, Sanne?« wollte er wissen. Bevor er nicht wußte, was sie hatte, schmeckte ihm das Essen nicht.

  »Nein, natürlich nicht. Warum sollte ich?« Sie lächelte dem Jungen zu. Wie konnte sie den Kindern sagen, daß sie den Rechtsanwalt angerufen hatte? Wie konnte sie ihnen sagen: ich werde euch abgeben müssen! Das Jugendamt will es so. Wie konnte sie ihnen diese entsetzliche Mitteilung machen: ihr müßt ins Waisenhaus.

  Sie hatte das Gefühl, als ob jemand ihre Kehle zudrückte. Ihr Herz lag wie ein Stein in ihrer Brust.

  »Darfst du den Wagen am Weg stehen lassen, Sanne?« wollte die praktische Laura wissen und aß genußvoll das knusprige Brot. »Ja. Es stört hier niemanden, sagt der Bauer. Ich habe ihm natürlich versichert, daß wir nicht damit spazierenfahren, sondern das Auto nur benutzen, wenn wir ins Dorf müssen. Schmeckt es dir nicht, Hannes?«

  »Doch«, er aß ohne Appetit, er mahnte nur den Kleinen, nicht herumzumatschen, ganz so, als wäre er der Erzieher.

  »Iß nicht wie ein Ferkel«, fuhr er auch Lea an, die ihre Hände gerade betrachtete und die Finger ableckte. »Mama hätte dich vom Tisch geschickt. Susanne ist viel zu lieb zu euch.«

  »Du sollst nicht von Mama sprechen«, schluchzte Laura, sprang auf und schob geräuschvoll den Stuhl zurück. Charlie, der vor der Tür lag und vor sich hin döste, sprang erschrocken auf und bellte wild. Dabei drehte er sich aufgeregt, als suchte er etwas.

  Thomas machte Anstalten, der Schwester nachzurennen.

  »Laß sie«, bat Susanne lieb und legte einen Moment ihre Hand auf Thomas verkrampfte Finger. »Sie kommt schon zurecht. Wenn ihr nach Weinen zumute ist, wollen wir sie weinen lassen. Tränen können auch erleichtern. Wenn man sie

hinunterschluckt, drückt es aufs Herz.«

  »Aber Hannes sagt, wir sollen nicht heulen.« Lea sah ängstlich auf Susanne. Sie war ebenso empfindlich wie Johann, sie spürte sofort Spannungen. Empfindsam, wie sie war, ängstigte sie sich schnell um Menschen, die sie liebte.

  »Seht euch nur mal Charlie an«, versuchte Thomas, die anderen abzulenken. »Er dreht sich wie ein Kreisel um sich selbst. Ob er glaubt, ein gefährliches Tier hat sich bei uns eingeschlichen? Manchmal ist er doch wirklich zu blöde, ein richtiger blöder Hund.«

  »Selbst ein blöder Hund«, fuhr Lea ihn an.

  »Hört einmal zu.« Susanne brauchte nicht einmal lauter zu sprechen, die Kinder verstummten sofort. »Ich habe eine Überraschung für euch. Eigentlich wollte ich sie euch erst morgen früh sagen. Aber Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste Freude. Herr Karsten erzählte mir, daß hier in der Nähe ein kleines Becken ist, eingefaßt von Felsen. Wir müßten es eigentlich finden, er hat mir den Weg dorthin sehr genau beschrieben. Stellt euch vor, in dem kleinen See ist Süßwasser. Ist das nicht ein Wunder der Natur? Wir werden uns das Wasser natürlich mit vielen Vögeln teilen müssen. Zum Trinken kommen sie alle dorthin.«

  Später, als Susanne Fridolin ins Bett brachte, saßen die Kinder hinter dem Haus, die Mädchen und Thomas schmiedeten Pläne, wie sie den »Feind« ärgern konnten. Hannes sagte nichts, er schnitzte an einem Stock.

  »Mensch, du machst vielleicht ein Gesicht«, fuhr Thomas den Bruder an. Daß ihn Hannes verbissene Miene ängstigte, sagte er natürlich nicht.

  Hannes blies eine Strähne aus seiner Stirn und schnitzte weiter, daß die Späne flogen.

  »Wenn ich nur wüßte, was Susanne hat«, murmelte er mehr für sich selbst. »Irgend etwas ängstigt sie, ich kenne sie doch.«

  Sogar Lea klopfte das Herz vor Angst, aber sie tippte nur gegen ihre Stirn. »Nichts hat sie. Du siehst Gespenster. Vielleicht glaubt sie, sie kann uns nicht richtig erziehen. Du mußtest bei Tisch ja unbedingt so eine dämliche Bemerkung machen. Es wird schon alles recht werden, das sagte Mami immer.« Sie schluckte tapfer die Tränen hinunter. »Überleg lieber mit uns. Wir sollten uns was Lustiges einfallen lassen. Ihr müßt doch zugeben, daß der Mann sich anständig verhalten hat. Er hat weder gemeckert noch hat er sich bei Susanne über uns beschwert. Ich finde, er ist schon in Ordnung.«

  »Wir könnten seine Fenster schwarz anmalen. Wenn er schläft, natürlich erst.«

  Thomas wieherte vor Lachen. »Dann denkt er noch mittags, es ist Nacht.«

  Hannes war einen Moment von seinen Ängsten abgelenkt. »Ich habe eine viel bessere Idee.« Sein Mund zog sich vor Vergnügen in die Breite. »Hört mal zu. Es ist ja eine Tatsache, daß Männer, die am liebsten hinter der Schreibmaschine sitzen, nicht gern laufen.«

  »Woher weißt du das?« fragte Laura verblüfft.

  »Das weiß man eben«, wurde sie von Hannes hochmütig belehrt. »Hört zu.«

*

  Morgens um sechs fuhr Jonathan aus dem Schlaf. Das Bellen von Charlie klang so laut in seinen Ohren, als wäre der Hund bei ihm im Zimmer.

  Jonathan hatte Grund, sich über sich selbst zu wundern. Es ärgerte ihn nicht einmal. Er reckte sich, gähnte ausgiebig, er fühlte sich wunderbar ausgeschlafen, dabei war er eigentlich ein Nachtmensch. Er bildete sich ein, bei Lampenlicht am besten arbeiten zu können. Natürlich schrieb er auch tagsüber, aber ganz sicher hatte er zu dieser Stunde noch nie an der Schreibmaschine gesessen.

  Nach einem kalten Duschbad, einem ausgiebigen Frühstück, allerdings unrasiert, angetan mit seinen verbeulten Cordhosen, saß er an seiner Schreibmaschine, die Fenster weit geöffnet.

  Seine Phantasiewelt umgab ihn, die Figuren tanzten um ihn herum. Die Ideen flossen aus seinen Fingern auf die Tasten, und er spürte, daß es gute Arbeit war.

  Er hatte schon lange nicht mehr einen solchen Schaffensdrang empfunden.

  Ein Räuspern holte ihn unsanft in die Wirklichkeit zurück.

  »Ich hab’ geklopft«, verteidigte sich Thomas. Einen Augenblick fürchtete Thomas sich vor dem Mann. Komisch sah er aus, die Finger noch auf den Tasten, starrte er ihn an. »Ich bin Thomas.«

  Am liebsten wäre Thomas davon gerannt. Aber jetzt entspannte sich das Gesicht, jetzt sah er wieder normal aus.

  »Entschuldige, aber ich war so in meiner Arbeit vertieft. Nett von dir, daß du mich besuchen kommst.«

  Aber die braunen Augen musterten ihn, als traute er dem Jungen nicht. Er verzog allerdings den Mund dabei, als müßte er ein Lachen unterdrücken.

  »Nee, besuchen wollte ich Sie nicht«, verwahrte sich Thomas. Mit dem Absatz seiner Turnschuhe rieb er über sein Schienbein. Brandrot vor Verlegenheit war er: »Ich muß Ihnen was ausrichten. Es ist im Dorf beim Krämer, wo ja auch die Post ist, für Sie angerufen worden. Aber von wem, den Namen hab’ ich vergessen.«

  Thomas schwitzte Blut und Wasser. Zum Teufel mit seinem Bruder Johann. Der Mann würde sofort den Schwindel durchschauen. Nach einem ängstlichen Blick auf die Muskeln des Mannes, die man deutlich durch das dünne Hemd sah, bekam er es mit der Angst zu tun.

  »Und was hat man mir ausrichten lassen? Warst du heute morgen schon im Dorf?«

  Thomas nickte, die Kehle war ihm eng. Ganz bestimmt stand ihm die Lüge auf der Stirn geschrieben.

  »Sie sollten sofort zurückrufen, es ist wichtig.«

  »Mach dir keine Gedanken, daß du den Namen vergessen hast«, beruhigte ihn der Mann. Mit einem Seufzer schob Jonathan die Maschine zurück. »Es weiß nur ein einziger, wo ich mich versteckt habe. Aber wenn ich anrufen muß, ist es bestimmt sehr wichtig. Nett von dir, daß du mir Bescheid sagst. Kann ich das irgendwie gutmachen? Vielleicht mit einem kleinen Zuschuß für dein Taschengeld?«

  Thomas schwitzte noch mehr, wenn das überhaupt noch möglich war. Das wäre ja ein richtiger Judaslohn.

  »Nee, danke. Das hab ich gern getan.« Thomas strebte zur Tür.

  »Warte einen Augenblick.« Der Mann war aufgestanden. Groß war er. Thomas hatte ihn nicht so breitschultrig in Erinnerung gehabt. Ängstlich sah er zu ihm auf.

  »Hör mal«, der Mann lächelte auf ihn hinunter. Eigentlich hatte Lea recht, so übel war er gar nicht. Sollte er einfach sagen, das stimmt gar nicht? Wir wollten Ihnen nur einen Streich spielen?

  »Du siehst aus, als hättest du Angst vor mir. Glaub’ mir, bitte, mich hat heute morgen nicht mal das Bellen des Hundes gestört. Ich finde es ausgesprochen nett, daß ich Nachbarn habe. Willst du nicht wenigstens einen Saft trinken? Du siehst ganz verschwitzt aus.«

  »Sie sind sehr freundlich«, würgte Thomas heraus. Das war der letzte Streich. Damit war jetzt Schluß, nahm er sich vor. »Wir wollen heute den ganzen Tag am Wasser sein.« Er hörte selbst, wie unnatürlich seine Stimme klang. »Wir wollen zum Süßwassersee, darin kann auch Fridolin plantschen. Ich finde es nett von Herrn Karsten, daß er uns den Tip gegeben hat. Tschau.«

  Thomas stürzte davon, als wäre ihm eine Hundemeute auf den Fersen. Jonathan sah ihm nach, schüttelte resigniert den Kopf. Schade, er konnte den Kindern einfach nicht nahe kommen. Dabei störten sie ihn wirklich nicht mehr.

  Er warf einen bedauernden Blick auf die Blätter, die beschrieben werden wollten. Schade, er war so schön im Zug gewesen. Aber ein Spaziergang konnte auch nicht schaden. Wenn sein Freund nur keine unangenehme Nachricht für ihn hatte!

*

  Sogar Susanne vergaß ihren Kummer. Der Platz war so unvorstellbar schön, daß man einfach nicht traurig sein konnte.

  Ein gutes Stück von ihnen entfernt erstreckte sich das Meer, heute glitzerte es in verschwenderischen Farben, Violett und Lila waren dominierend, aber auch Grüntöne mischten sich darunter. Es wehte ein frischer Wind, der die Wellen aufwühlte. Spielerisch tanzten weiße Schaumkrönchen darauf.

  Aber hier, in der Bucht, spürte man den Wind kaum. Eingebettet zwischen windzerzausten Sträuchern und Steinen, lag ein kleiner See. Himmel und Wolken spiegelten sich darin. Anfangs hatten die Vägel argwöhnisch die Eindringlinge gemustert, jetzt schienen sie sich nicht mehr an ihnen zu stören. Sogar Charlie hatte von dem Wasser geschlabbert, aber erst nach langem Zögern.

  »Er hat noch den Salzgeschmack vom Meer auf der Zunge«, verteidigte Lea den Hund, als Thomas sich über ihn lustig machte. Aber eigentlich fühlte sich Thomas gar nicht gut, immer wieder dachte er an den Mann, der jetzt bei dieser Hitze zum Dorf marschierte, nur um zu hören, daß niemand ihn angerufen hatte. Ganz heiß wurde Thomas bei seinem schlechten Gewissen. Konnte Lea Gedanken lesen? In einem winzigen roten Bikini hockte sie neben ihm und strich über den Seetank, der auf den Steinen lag.

  »Ich finde, wir sollten den Mann in Ruhe lassen. Unsere Lehrerin hat gesagt, daß man Frieden im Kleinen pflegen muß. Immer sind es die Männer, die sich nicht vertragen wollen und Ärger machen. Immer sind es Männer, die Krieg führen.«

  Natürlich erwartete sie Thomas’ empörte Reaktion. Aber er sagte nichts. Manchmal waren Jungens wirklich komisch, auch mit Hannes war heute wenig anzufangen.

  Fridolins Jauchzen klang in Leas Ärger hinein. Sofort lief sie zu dem kleinen Bruder, sie rannte ins Waser, es spritzte nach allen Seiten, aber Fridolin heulte nicht, er wischte sich das Wasser aus den Augen und krähte vor Vergnügen. Bekleidet war er mit einem winzigen roten Höschen, zum Anbeißen süß sah er aus.

  Lea setzte sich zu ihm, plantschte ein wenig mit den Händen auf dem Wasser.

  »Ich finde, er müßte doch langsam richtig sprechen, Susanne, oder?« sorgte Lea sich. Susanne saß auf dem flachen Stein, die Füße im Wasser.

  »Er kann ja sprechen«, beruhigte sie das Kind. »Aber warum soll er sich groß anstrengen? Er braucht ja nur die Hand auszustrecken oder ein Ton auszustoßen, und sofort ist jemand da, der versteht, was er will.«

  »Du bist also ein verwöhnter, fauler junger Mann«, stellte Lea vergnügt fest. »Sanne, du hast doch mächtig viel zum Essen mitgenommen? Ich hab nämlich jetzt schon Hunger.«

  »Aber ich will vorher schwimmen«, erklärte Thomas. »In diesem Tümpel ist das aber wohl unmöglich. – Ich finde ihn toll«, setzte er schnell hinzu, als er Susannes Blick begegnete. »Ja, wirklich. Ich möchte nur so gern schwimmen. Meinst du, daß man das hier im Meer kann? Es ist doch – Flut, oder?«

  Susanne blickte ängstlich auf die bewegten Wellen, die über die Steine liefen und wieder zurückflossen, wie im Spiel.

  »Ich weiß nicht, Thomas.«

  »Aber es ist Flut, Sanne. Und das Wasser ist hier überhaupt nicht tief.«

  »Der Himmel sieht aus, als wenn er ins Meer fallen wollte. Im Märchen würde man sagen, das ist am Ende der Welt.« Laura hatte Gräser gepflückt und ließ sich jetzt neben Fridolin ins Wasser fallen. »Pu, ist mir heiß.«

  »Au ja, Susanne, erzähl’ uns das Märchen von den sieben Raben. Darin geht doch das Mädchen, das ihre Brüder erlösen will, bis ans Ende der Welt.«

  »Ich wollte Thomas gerade fragen, ob wir nicht zusammen schwimmen.« Aber als sie Thomas’ Augen begegnete, lächelte sie schuldbewußt. »Du hast mich natürlich durchschaut, Thomas. Ich muß mich bei dir entschuldigen. Natürlich bist du groß genug, um allein ins Meer zu gehen. Es ist nur, ich weiß über das Gewässer hier zu wenig Bescheid. Ich muß mir unbedingt die ständige Angst um euch abgewöhnen.«