Alexandras Rückkehr nach St. Johann - Toni Waidacher - E-Book

Alexandras Rückkehr nach St. Johann E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Dunkelheit umgab den Hof, als Alexandra Bacher sich am späten Abend langsam in ihrem Wagen näherte, doch das war kein Problem für die junge Frau. Obwohl sie viele Jahre nicht mehr hier gewesen war, hätte sie den Weg noch mit verbundenen Augen gefunden. Sie fuhr die schmale Auffahrt hinauf und hielt vor dem Wohnhaus an. Kurz schloss sie die Augen. Die Fahrt war anstrengend gewesen, was aber wohl vor allem daran lag, dass sie sich nach allem, was in der vergangenen Zeit in ihrem Leben passiert war, ohnehin noch erschöpft fühlte. Ein Krankenhausaufenthalt lag hinter ihr, zudem eine tiefe Enttäuschung. So etwas hinterließ seine Spuren. Noch einmal atmete sie tief durch, dann zog sie den Schlüssel ab und stieg aus. Kühle Luft schlug ihr entgegen, herrlich würzig und klar. Das Zuschlagen der Autotür hallte wie ein Knall durch die Nacht. Danach waren das leise Rauschen des Windes in den Blättern und das Zirpen der Grillen die einzigen Laute, die noch zu hören waren. Alexandra überraschte das nicht. Früher hatte sie die Stille nicht gemocht, doch heute kam sie ihr wie ein Segen vor, und die Ruhe und der Frieden taten gut. Hinter den Fenstern des Wohnhauses gingen Lichter an, eine Gardine bewegte sich, und es dauerte nicht lange, bis sich die Tür öffnete. Im selben Moment zog die große graue Wolke, die sich vor den vollen Mond gelegt hatte, weiter, und Alexandra konnte die Frau, die in der Tür stand, in vollem Schein sehen. Sie war klein, schlank, hatte graues Haar und trug einen geblümten Morgenmantel. »Tante

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Seitenzahl: 127

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Der Bergpfarrer – 416 –Alexandras Rückkehr nach St. Johann

Toni Waidacher

Dunkelheit umgab den Hof, als Alexandra Bacher sich am späten Abend langsam in ihrem Wagen näherte, doch das war kein Problem für die junge Frau. Obwohl sie viele Jahre nicht mehr hier gewesen war, hätte sie den Weg noch mit verbundenen Augen gefunden.

Sie fuhr die schmale Auffahrt hinauf und hielt vor dem Wohnhaus an. Kurz schloss sie die Augen. Die Fahrt war anstrengend gewesen, was aber wohl vor allem daran lag, dass sie sich nach allem, was in der vergangenen Zeit in ihrem Leben passiert war, ohnehin noch erschöpft fühlte. Ein Krankenhausaufenthalt lag hinter ihr, zudem eine tiefe Enttäuschung. So etwas hinterließ seine Spuren.

Noch einmal atmete sie tief durch, dann zog sie den Schlüssel ab und stieg aus. Kühle Luft schlug ihr entgegen, herrlich würzig und klar.

Das Zuschlagen der Autotür hallte wie ein Knall durch die Nacht. Danach waren das leise Rauschen des Windes in den Blättern und das Zirpen der Grillen die einzigen Laute, die noch zu hören waren.

Alexandra überraschte das nicht. Früher hatte sie die Stille nicht gemocht, doch heute kam sie ihr wie ein Segen vor, und die Ruhe und der Frieden taten gut.

Hinter den Fenstern des Wohnhauses gingen Lichter an, eine Gardine bewegte sich, und es dauerte nicht lange, bis sich die Tür öffnete.

Im selben Moment zog die große graue Wolke, die sich vor den vollen Mond gelegt hatte, weiter, und Alexandra konnte die Frau, die in der Tür stand, in vollem Schein sehen. Sie war klein, schlank, hatte graues Haar und trug einen geblümten Morgenmantel.

»Tante Margarethe«, stieß Alexandra heiser hervor.

Die ältere Frau winkte aufgeregt. »Komm herein, oder willst du da draußen festwachsen? Deine Sachen holt der Friedhelm später herein.«

Alexandra tat, wie ihr geheißen, und folgte ihrer Tante ins Haus.

In der Küche deutete Margarethe auf die Essecke. »Da setz dich schon. Ich mache uns einen Tee. Dein Onkel schläft, ich wecke ihn gleich.«

»Aber lass ihn doch ruhig schlafen«, wandte Alexandra ein. »Meine Sachen kann ich auch selbst aus dem Wagen holen …«

»Mit deiner Hand?«, erwiderte ihre Tante, während sie den Wasserkessel auf den Herd stellte.

Alexandra hob den rechten Arm an. An der Hand trug sie einen elastischen Verband, doch sie konnte die Finger bewegen. »Für einfache Tätigkeiten kann ich meine Hand ganz normal benutzen«, erklärte sie.

»Trotzdem… Dein Onkel hat ausdrücklich verlangt, dass ich ihn wecke, wenn du kommst.« Margarethe Gruber schüttelte den Kopf. »Aber musste es denn so spät sein? Du liebe Güte, es ist ja längst stockdunkel draußen.«

Alexandra seufzte. »Ich wollte halt net, dass mich jemand aus dem Ort sieht. Ich hab dir doch schon am Telefon gesagt, dass meine Rückkehr vorerst geheim bleiben soll.«

»Aber wie lange denn? So lange, bis du wieder auftreten kannst? Darauf warten schließlich alle. Dass die berühmte Geigenspielerin Alexandra Bacher nach ihrem Unfall wieder auf die Bühne tritt und die Leute wieder mit ihrer Musik begeistert, so wie vor dem Unfall.«

»Aber das wird net passieren«, murmelte Alexandra Bacher.

»Wie, das wird net passieren?« Ihre Tante zog die Brauen zusammen. »Wie meinst du denn das? Du hattest doch schon gesagt, dass deine Hand wohl wieder in Ordnung kommt?«

Sie nickte. »Das stimmt ja auch. Zwar kann man net sagen, wann, dass es aber so kommen wird, steht außer Frage. Aber ich … Ich kann das alles einfach net mehr.«

»Das verstehe ich net. Warum denn nur?«

»Ach, net jetzt, Tantchen. Ich bin erschöpft von der Fahrt. Lass uns später darüber reden, ja?«

»Wie du meinst.« Margarete Gruber nahm den Kessel vom Herd und goss den Tee auf. Augenblicklich wurde die Luft in der kleinen, rustikal eingerichteten Küche vom Duft von wilden Kräutern erfüllt. »Jetzt trink erst mal deinen Tee, ich geh derweil deinen Onkel wecken.«

Alexandra nickte und legte beide Hände um die heiße Tasse. Dabei schaute sah sie sich um. Hier in der Küche hatte sich in all den Jahren ihrer Abwesenheit nichts verändert, alles war noch genauso wie früher: Der wuchtige Tisch, an dem sie saß, die aus dunklem Holz bestehende Küchenzeile mit den Glasvitrinen, der knarrende Holzfußboden, die Fenstergardinen mit dem hübschen Blumenmuster, sogar die Tischdecke kannte sie noch. Ihre Mutter hatte sie bestickt, kurz bevor sie …

Alexandra wollte jetzt nicht daran denken. Sie nippte an ihrem heißen Tee und stieß ein leises Seufzen aus. Nun war sie also wieder daheim. Nach so vielen Jahren.

Aber war es die richtige Entscheidung gewesen, zurückzukehren?

*

»Hast du das von der Alexandra gehört?«, fragte Max Trenker, der seine Mittagspause wieder mal bei seinem Bruder verbrachte. Die beiden Männer saßen im Garten des Pfarrhauses – was nicht weiter verwunderte, denn das Wetter war einfach herrlich. Hoch stand die Sonne am strahlendblauen Himmel, an dem weit und breit kein Wölkchen zu sehen war. Ein angenehm frischer Wind wehte von den Bergen her, Vögel zwitscherten, und über allem lag ein herrlicher Frieden. Das lud einfach dazu ein, sich Sophie Tapperts gute Küche im Freien schmecken zu lassen.

Heute hatte die Haushälterin des Pfarrhauses eine leichte Mahlzeit gezaubert: Ein bunt gemischter Salat mit einem Dressing aus Joghurt und mildem Honig, garniert mit zarten Hähnchenbruststreifen, die durch einen Hauch Pfeffer eine würzige Note erhielten. Dazu hatte sie warmes Baguette gereicht.

»Welche Alexandra?« Sebastian Trenker zog die Brauen zusammen. Er wusste nicht, von wem sein Bruder sprach.

»Bacher. Du weißt schon, die berühmte Musikerin.«

Nun nickte der Bergpfarrer. »Ach, jetzt weiß ich natürlich, wen du meinst. Die Geigenvirtuosin. Aber was ist denn mit ihr? Hält sie sich wieder in St. Johann auf?«

»Sie hatte einen schweren Autounfall und musste ihre Auftritte und Tourneen erst einmal absagen.«

»Das ist ja furchtbar!«, stieß Sophie Tappert hervor, die gerade noch etwas Baguette brachte.

»Was genau ist denn passiert?«, erkundigte Sebastian sich. Er erinnerte sich gut an Alexandra, die in St. Johann aufgewachsen war. Schon als Kind hatte sie ein großes musikalisches Talent besessen und mit Begeisterung das Geigespielen erlernt. Sie war acht Jahre alt gewesen, als ihre Eltern bei einem tragischen Wanderunfall ums Leben gekommen waren. Onkel und Tante hatten das Kind anschließend bei sich aufgenommen. Kaum dass Alexandra die Volljährigkeit erreicht hatte, war sie in die große weite Welt hinausgezogen, um ihren Traum, eine bekannte Geigeninterpretin zu werden, zu verwirklichen – mit Erfolg.

Sie hatte zahlreiche CDs veröffentlicht, Konzerte in ganz Europa gegeben und war zu Gast in Fernsehsendungen gewesen. In der letzten Zeit war es jedoch ruhig um sie geworden, nun kannte Sebastian auch den Grund.

»Es ist wohl schon eine ganze Weile her«, erklärte sein Bruder, er brach sich ein Stück Baguette ab und tupfte damit die Reste des Dressings von seinem ansonsten gut geleerten Teller ab. Genussvoll aß er, ehe er weiter sprach: »Ungefähr ein halbes Jahr wohl. Alexandra hat damals erklären lassen, dass sie aus persönlichen Gründen eine Karrierepause einlegt. Den Unfall verschwieg sie da noch. Nun ist die Sache aber bekannt geworden. Sie hat sich dabei wohl eine Verletzung an der rechten Hand zugezogen, und es ist ungewiss, ob und wie es mit ihrer Karriere weitergeht. Es heißt, sie will in den nächsten Wochen eine Entscheidung treffen.«

»Weiß man denn, wie schlimm die Verletzung ihrer Hand ist?«, wollte der Bergpfarrer wissen.

»Nicht wirklich. Die Presse wüsste gerne mehr, aber Alexandra Bacher gibt vorerst keine weiteren Erklärungen ab.«

»Na, da kann man nur für sie hoffen, dass diese Meute von Journalisten die arme Frau in Ruhe lässt«, sagte Sophie Tappert abfällig. »Man weiß ja, wie die sein können…«

Sebastian nickte. Das stimmte in der Tat, oft genug erfuhr man schließlich aus der Presse Dinge, die absolut nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Zwar konnte er durchaus verstehen, dass die Leute ein Interesse am Privatleben von Stars und Sternchen hatten, aber seiner Meinung nach gab es da gewisse Grenzen. Und Paparazzi, die sich auf Anwesen von Prominenten schlichen und heimlich durch die Fenster spähten, um Fotos zu machen, deren Hausmüll durchwühlten oder sie sogar auf der Autobahn noch verfolgten, überschritten diese Grenzen des menschlichen Miteinanders ganz eindeutig.

»Mich wundert es, dass von der Presse noch niemand hier war«, sagte er nachdenklich. »Wo ihr Onkel und ihre Tante doch noch hier leben …«

»Ach, daran erinnert sich doch niemand mehr«, winkte Max Trenker ab. »Falls es überhaupt jemand je wirklich wusste. Alexandra hat öffentlich nie viel über ihre Heimat gesprochen, sie ist damals ja net grad unter den besten Umständen von hier weggegangen.«

Auch daran erinnerte der gute Hirte von St. Johann sich. Margarethe und Friedhelm Gruber, Alexandras Tante und Onkel, waren nicht wirklich einverstanden mit den Plänen ihrer Nichte gewesen, milde ausgedrückt. Sie hatten für ihre Ziehtochter eine andere Zukunft vorgesehen, nämlich auf ihrem Hof. Dort hätte Alexandra weiter leben und arbeiten sollen. Nach ihrem Fortgang hatten die Grubers zunächst einmal kaum ein Wort über ihre Nichte verloren und waren sehr eigenbrötlerisch geworden.

»Vielleicht sollte ich dem Friedhelm und der Margarethe mal einen Besuch abstatten«, überlegte der Bergpfarrer laut. »Ich habe sie schon länger net mehr beim Gottesdienst gesehen und wollte mich ohnehin mal erkundigen, ob es ihnen gut geht. Da kann ich auch gleich mal nachhorchen, wie es ihrer Nichte so geht.«

»Falls sie überhaupt noch Kontakt zu ihr haben«, gab Max zu bedenken.

»Sicher …«

Max rieb sich die Hände. »Jetzt aber wäre ich erst mal bereit für den Nachtisch«, sagte er an die Hausangestellte des Pfarrhauses gewandt. »Was gibt’s denn Gutes, liebe Frau Tappert?«

»Rote Grütze mit Vanillesoße«, lächelte sie. Dieses Rezept hatte sie von einer Freundin, die für einen Pastor in Norddeutschland arbeitete.

»Ah, fantastisch! Für mich bitte eine extra große Portion …«

*

Alexandra schlug die Augen auf, und obwohl schon die ersten Sonnenstrahlen ins Zimmer fielen, brauchte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Einen Moment lang kam ihr alles fremd vor. Dabei war das hier einmal ihr zu Hause gewesen. In diesem Zimmer hier hatte sie einen Teil ihrer Kindheit und ihrer Jugend verbracht. Es war ihr Zuhause gewesen, nachdem sie ihre Eltern bei einem tragischen Unfall verloren hatte.

Doch das war viele Jahre her, und seit sie vor nunmehr zwei Wochen zu ihrer Tante und ihrem Onkel zurückgekehrt war, wollte sich das Gefühl des Heimkommens noch nicht wieder einstellen.

Zudem war da diese bleierne Müdigkeit, die sie seither fest im Griff hatte und es ihr auch am Tage schwermachte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie fühlte sich so ausgelaugt und erschöpft, dass sie fast nur im Bett liegen konnte.

Jetzt aber stand sie auf. Sie schwang die Beine über die Bettkante, blieb dann aber noch einen Moment so sitzen, weil sich gleich wieder das Gefühl der Mattheit bemerkbar machte.

›Was ist denn nur los mit mir?‹, fragte sie sich, doch in Wahrheit kannte sie die Antwort. Nach allem, was ihr in der letzten Zeit widerfahren war, sollte es sie nicht verwundern, dass es ihr nicht gut ging, das sagten auch ihre Tante und ihr Onkel immer wieder.

Die junge Frau hielt sich die Hand vor den Mund und gähnte. Dann stand sie auf und ging hinüber zum Fenster, um es zu öffnen. Die Holzdielen unter ihren nackten Füßen knarrten leicht. Sie umfasste den Griff des Fensters mit der linken Hand und zog es auf. Das hätte sie auch mit der rechten Hand tun können. Anders als noch vor ein paar Wochen, als sie die verletzte Hand nach dem Autounfall gar nicht hatte bewegen können, konnte sie einfache Sachen damit schon erledigen. Doch Alexandra hatte sich in der ganzen Zeit einfach daran gewöhnt, alles mit links zu tun, zudem steckte die rechte Hand noch immer in einem elastischen Stützverband.

Ein Schwall frischer kühler Bergluft schlug ihr entgegen, Vögel zwitscherten ihr Morgenlied, ein Hahn krähte. Tief atmete Alexandra durch. Etwas, das sie schon früher gern getan hatte, wenn es ihr einmal nicht gut gegangen war oder sie sich matt und ausgelaugt gefühlt hatte. Die herrliche Luft, die so wunderbar nach wilden Kräutern und Blumen roch, hatte ihr dann immer neue Energie verliehen, und sie hatte sich jedes Mal gleich viel besser und beschwingter gefühlt.

Doch seit sie wieder bei ihrem Onkel und ihrer Tante wohnte, half auch die Bergluft nichts mehr.

Dabei war hier alles so schön! Wenn sie aus dem Fenster blickte, sah sie nichts als wundervolle Natur. Weite Wiesen und Weiden, soweit das Auge reichte, bunt blühende Wildblumen, grasende Pferde, und ganz weit hinten die gewaltigen Berge mit ihren schneebedeckten Gipfeln.

Wie sehr hatte sie diesen Anblick früher geliebt! Doch heute konnte er sie einfach nicht mehr begeistern. Nichts konnte sie mehr begeistern.

Nicht seit dem tragischen Unglück, das nicht nur in einer Hinsicht schlimme Folgen nach sich gezogen hatte.

Sie schüttelte den Kopf. Wie immer, wenn sie an den Unfall zurückdachte, tauchten sofort die fürchterlichen Bilder von damals vor ihrem geistigen Auge auf, und sie hatte das Gefühl, alles noch einmal zu durchleben. Sie war von einem Konzertabend gekommen, bei dem sie aufgetreten war, hatte ihren Wagen über die regennasse Landstraße gelenkt, als sie plötzlich ins Schlittern geraten war. Sie wusste nicht, wie es hatte passieren können, aber sie war nicht mehr imstande gewesen, ihren Wagen unter Kontrolle zu bringen. Sie war von der Straße abgekommen, hatte die Leitplanke durchbrochen und war im Graben gelandet.

Es war gar kein schwerer Unfall gewesen, sie hatte sich nicht überschlagen, und die Airbags und die Tatsache, dass sie angeschnallt gewesen war, hatten das Schlimmste verhindert.

Bis auf die Sache mit ihrer ­

Hand …

Alexandra hatte das Lenkrad vor Schreck so fest umklammert, dass das Handgelenk beim Aufprall gegen die Leitplanke weggeknickt und gebrochen war, mit verheerenden Folgen für sie.

Im Krankenhaus war sie sofort operiert worden. Doch als sie später aus der Vollnarkose aufwachte, hatten die Ärzte nicht sagen können, ob sie ihre rechte Hand jemals wieder so würde benutzen können wie früher.

Ob sie je wieder Geige spielen konnte …

Als Daniel Hallbacher, ihr Manager, davon hörte, war er tief besorgt gewesen. Zunächst hatte Alexandra geglaubt, seine Sorge galt ihr und ihrem Wohlbefinden, ihrer Gesundheit. Denn Daniel war nicht nur ihr Manager, sondern auch ihr Lebensgefährte, was sie aber vor der Öffentlichkeit stets geheim gehalten hatten. Er hatte immer gesagt, dass es besser wäre, wenn ihre Fans dachten, sie hätte keinen Freund.

Doch dann, als es so aussah, als könnte sie ihren Beruf aufgrund ihrer Handverletzung nie wieder ausüben, erkannte sie, wem seine Sorge wirklich galt: sich selbst.

Daniel betrachtete sie als eine Art sinkendes Schiff und hatte Angst, mit ihr unterzugehen. Also wollte er von da an weder ihr Manager noch weiter ihr Freund sein und ließ sie fallen wie eine heiße Kartoffel.

Zu dem Zeitpunkt stürzte Alexandra richtig in ein tiefes Loch. Den Unfall, so schlimm er auch gewesen sein mochte, hätte sie noch verkraftet. Auch die Tatsache, dass sie vielleicht nie wieder würde Geige spielen können – irgendwie wäre sie damit zurechtgekommen. Sicher, Musik war immer ihr Leben gewesen, schon als kleines Kind war sie fasziniert davon gewesen. Aber irgendeinen Weg hätte sie schon gefunden, irgendetwas hätte sich ergeben. Vielleicht hätte sie angefangen, zu singen oder zu komponieren.

Aber von der Liebe ihres Lebens verlassen zu werden, weil sie nicht mehr so funktionierte, wie sie in Daniel Hallbachers Augen funktionieren musste, war ein schwerer Schlag für sie gewesen.

»Was machst du denn da am Fenster, Kind? Du sollst doch nicht aufstehen, das ist nicht gut für dich. Mei, wie oft muss man dir das denn noch sagen?«