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Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. E-Book 81: Entscheidung in der Klinik E-Book 82: Ihr Leben hing an einem seidenen Faden E-Book 83: Rettung in letzter Minute E-Book 84: Ist Stefan Roland schuldig? E-Book 85: Was geschieht mit Daniela? E-Book 86: Ein Wunder heilte Isabell E-Book 87: Die Patientin mit dem falschen Namen E-Book 88: Die Stunde der Wahrheit E-Book 89: Ein weiter Weg zum Glück E-Book 90: Junges Herz in Nöten E-Book 1: Entscheidung in der Klinik E-Book 2: Ihr Leben hing an einem seidenen Faden E-Book 3: Rettung in letzter Minute E-Book 4: Ist Stefan Roland schuldig? E-Book 5: Was geschieht mit Daniela? E-Book 6: Ein Wunder heilte Isabell E-Book 7: Die Patientin mit dem falschen Namen E-Book 8: Die Stunde der Wahrheit E-Book 9: Ein weiter Weg zum Glück E-Book 10: Junges Herz in Nöten

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Inhalt

Entscheidung in der Klinik

Ihr Leben hing an einem seidenen Faden

Rettung in letzter Minute

Ist Stefan Roland schuldig?

Was geschieht mit Daniela?

Ein Wunder heilte Isabell

Die Patientin mit dem falschen Namen

Die Stunde der Wahrheit

Ein weiter Weg zum Glück

Junges Herz in Nöten

Dr. Norden Bestseller – Staffel 9 –

E-Book: 81-90

Patricia Vandenberg

Entscheidung in der Klinik

Roman von Patricia Vandenberg

Beatrice und Markus Trentow sind ein glücklich verheiratetes Paar, das sich unsagbar auf das zu erwartende Baby freut. Dr. Norden ist auch mit dem Gesundheitszustand der jungen sympathischen Frau sehr zufrieden und hegt keinen Zweifel daran, daß sie eine komplikationslose Schwangerschaft haben wird. Was er nicht weiß, worüber sich aber Beatrices Schwiegermutter Sorgen macht, sind die oft auftretenden Kopfschmerzen, unter denen ihre Schwiegertochter leidet. Durch einen Zufall erfährt die Familie, daß Beatrice einen Tumor hat, sie muß operiert werden. Eine schlimme Zeit steht dem jungen Paar bevor, denn es muß eine Entscheidung getroffen werden…

Melanie Trentow war eine schwierige Patientin, das wußte Dr. Norden schon einige Zeit. Richtig krank war sie in ihrem fünfzigjährigen Leben nur zweimal gewesen, aber seit ihr einziger Sohn Markus geheiratet hatte, kam sie regelmäßig in die Praxis. Nicht ihretwegen, wie sie immer wieder betonte. Sie machte sich Sorgen wegen ihrer Schwiegertochter, die ja leider nicht sehr widerstandsfähig sei.

Sie gab dies sehr dezent zu verstehen, doch Dr. Daniel Norden entgingen die anzüglichen Untertöne doch nicht.

Melanie Trentow war mit der Heirat ihres Sohnes nicht einverstanden gewesen. Sie hatte schon eine andere Partnerin für ihn im Auge gehabt, ein Mädchen aus sehr vermögendem Hause, ein hübsches Mädchen! Linda Ringeis war zwar nicht so anmutig wie Beatrice und auch nicht gerade mit großen geistigen Gaben gesegnet, aber doch eine blendende Partie.

Dabei hatten es die Trentows wahrhaftig nicht nötig, nach einer solchen Ausschau zu halten, denn sie waren mehr als gut betucht, bewohnten ein prächtiges Haus und besaßen zu diesem noch eine ganze Anzahl anderer, die ihnen horrende Mieten einbrachten. Aber Hilmar Trentow war ein Pfennigfuchser, und selbst seinem einzigen Sohn räumte er keine Sonderrechte ein. Markus hatte studiert und war nun für seinen Vater tätig, der sein Kapital in den verschiedensten Unternehmungen angelegt hatte. Bezahlt wurde er wie ein mittlerer Angestellter, und immer wieder hatte er zu hören bekommen, daß er erst unter Beweis stellen solle, was er zu leisten vermöge, bevor ihm mehr Entscheidungsfreiheit eingeräumt würde.

Markus war ein toleranter junger Mann. Er war auf ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern bedacht, und er war seinem Vater dankbar, daß er keine Einwände gegen seine Heirat erhoben hatte, wie es seine Mutter getan hatte.

Beatrice war als Auslandskorrespondentin in einer Exportfirma, die Hilmar Trentow ebenfalls gehörte, tätig. Sie galt als eine tüchtige Kraft, fleißig und zuverlässig, und deshalb wurde sie von Hilmar Trentow geschätzt. Markus hatte sie im Büro seines Vaters kennengelernt. Kennen und lieben, mußte man sagen, denn bei beiden war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Und als Markus erklärt hatte, daß er niemals eine andere als Beatrice heiraten würde, hatte Melanie Trentow in den sauren Apfel gebissen, weil ihr Mann sofort seine Zustimmung gegeben hatte.

Zur Bedingung hatte er allerdings gemacht, daß das junge Paar in seinem Hause leben solle. Beatrice erhob keine Einwände. Sie war eine selbstbewußte, moderne junge Frau. Sie litt nicht unter Minderwertigkeitskomplexen, weil sie kein Bankkonto im Rücken hatte. Sie hätte Markus auch geheiratet, wenn er ein ganz armer Bursche gewesen wäre. Dann hätte sie halt für den Lebensunterhalt gesorgt.

Das war ihr Standpunkt, dem sie ihrem Schwiegervater gegenüber auch vertreten hatte. Ihm gefiel ihre Einstellung. Melanie gefiel es weniger, daß ihr Mann stets Beatrices Partei ergriff, wenn sie etwas auszusetzen fand.

Auch an diesem Tag, als sie sich beschwerte, daß Beatrice schon wieder unter Kopfschmerzen leide.

»Wenn du dauernd herummeckerst, bekomme ich auch Kopfschmerzen«, erklärte er unverblümt. »Laß das Mädchen in Ruhe. Sie arbeitet tagsüber im Büro und läßt sich nichts schenken. Ihren Haushalt versorgt sie außerdem auch noch sehr ordentlich, und bei diesem dämlichen Wetter ist es nicht verwunderlich, wenn man Kopfschmerzen bekommt. Jeder hat eben nicht solche Pferdenatur wie du.«

So etwas hörte Melanie nun gar nicht gern. Sie hatte im Laufe ihrer nun bereits achtundzwanzig Jahre währenden Ehe manches schlucken müssen, was sie nicht gern hörte, auch das, daß sie nie berufstätig gewesen sei und sie schließlich auch nicht mit Gold beladen in die Ehe gekommen wäre. Das aber sagte Hilmar Trentow nur, wenn sie gewisse Privilegien hervorhob. Man mußte es ihm lassen, daß er für sich solche nicht beanspruchte. Sparsamkeit war ihm mit der Muttermilch eingeflößt worden, obgleich es in seiner Familie niemals Notzeiten gegeben hatte, auch im Krieg nicht. Aber es wurde nach eisernen Grundsätzen gelebt. Es war gehütet worden, was man ererbt hatte. Schulden waren bei den Trentows ebenso verpönt gewesen wie ein aufwendiges Leben. Am eigenen Heim war nicht gespart worden, auch nicht am Essen, aber pompöse Parties, wie sie mehr und mehr in diesen Kreisen gang und gäbe geworden waren, hatte es bei ihnen nicht gegeben.

Hilmar Trentow tangierte es nicht, wenn man ihn deshalb einen Greizkragen nannte. Ihm lagen die Menschen nicht, die sich am liebsten Tag für Tag an irgendeinem kalten Büfett den Magen füllten. War es für ihn unumgänglich, an solchen Zusammenkünften teilzunehmen, hielt er sich vornehm zurück, im wahrsten Sinne des Wortes. Für ihn zählte immer noch das alte Sprichwort: »Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.« Aber gegen Schmarotzer hatte er etwas.

Dies alles wußte Dr. Daniel Norden schon längst, als Melanie Trentow wieder einmal in seiner Praxis erschien.

Sie war keine unsympathische Frau. Sie hatte eben ihre Eigenheiten, und der tolerante Dr. Norden billigte jedem Mitmenschen seine Eigenheiten zu, sofern diese anderen Menschen keinen Schaden zufügten.

Melanie war von herbem Typ, aber eine recht gut aussehende Frau. Sie hatte eine auffallend schöne, reine Haut, auf die sie immer sehr stolz gewesen war. Vielleicht war sie auch deshalb etwas eifersüchtig auf ihre Schwiegertochter, weil Beatrice mit dem gleichen Vorzug aufwarten konnte, aber alles in allem doch noch bedeutend reizvoller war, als Melanie es je gewesen war.

Dr. Norden hatte sich freilich schon seine Gedanken darüber gemacht, denn er war objektiv und sah in Beatrice Trentow nicht nur ein ganz besonders reizendes, liebenswertes Geschöpf, schön vor allem durch innere Werte, die ihr eine faszinierende Ausstrahlung verliehen.

»Lieber Herr Dr. Norden, bitte seien Sie mir nicht böse, daß ich Sie schon wieder überfalle, aber ich möchte Sie jetzt doch bitten, Beatrice einmal gründlich zu untersuchen. Sie ist neuerdings immer so müde. Sie zieht sich dann immer früh zurück, auch wenn ein interessantes Fernsehspiel ist.«

»Vielleicht hat sie fürs Fernsehen überhaupt nichts übrig«, sagte Dr. Norden freundlich.

»Aber wir sitzen dann doch immer so gemütlich zusammen«, sagte Melanie irritiert. »Ich empfinde es sehr betrüblich, wenn diese Gemeinsamkeit zerstört wird.«

Lieber Himmel, die jungen Leute wollen halt auch einmal für sich sein, dachte Dr. Norden, aber er sagte es nicht. Er wollte gewiß keine größeren Konflikte verursachen, als sich ohnehin schon anzubahnen schienen. Er hatte Verständnis für Mütter, die sich nur schwer daran gewöhnen konnten, daß ihre Kinder erwachsen wurden und ihr eigenes Leben leben wollten, er hatte aber noch mehr Verständnis für die jungen Paare, die ihre Freizeit für sich nutzen wollten. Bei allem Familiensinn, den er selbst besaß, hätte er sich nicht vorstellen können, jeden Abend mit der ganzen Familie zu verbringen und auf ein trauliches Beisammensein mit seiner Frau Fee verzichten zu müssen.

»Ich kann doch nicht einfach ins Haus schneien, Frau Trentow«, sagte er lächelnd. »Vielleicht sind Sie zu besorgt um Ihre Schwiegertochter.«

»Ich bin ehrlich besorgt, Herr Doktor. Diese Kopfschmerzen müssen doch eine Ursache haben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Beatrice sie als Ausrede benutzt, um nicht mit uns beisammenzusitzen. Nein, so ist sie nicht. Mit meinem Mann versteht sie sich doch sogar besonders gut, was mich immer wieder erstaunt, denn Hilmar ist ja nun nicht gerade ein einfach zu nehmender Mensch. Ich habe auch schon gesagt, daß Beatrice nicht mehr jeden Tag ins Büro zu gehen bräuchte. Die Leute reden schon darüber, daß unsere Schwiegertochter noch im Betrieb arbeitet.«

»Lassen Sie die Leute doch reden, wenn es ihr Spaß macht«, sagte Dr. Norden. »Ich fürchte fast, Sie machen sich zuviel Gedanken um das Gerede, Frau Trentow.«

Sie blickte zu Boden. »Nun ja, man weiß in unserem Bekanntenkreis, daß ich es gern gesehen hätte, wenn Markus Linda Ringeis geheiratet hätte, aber jetzt weiß ich, daß Beatrice ihm alles bedeutet, ich habe auch nichts gegen sie, sie ist eine sehr tüchtige Frau, aber sie müßte sich doch mehr schonen. Das ist meine ernsthafte Überzeugung.«

Dr. Norden sah Melanie Trentow überrascht an. Es klang so aufrichtig, daß er daran nicht zweifeln konnte.

Nun schimmerten ihre Augen sogar feucht. »Es könnte doch auch sein, daß sie ein Baby erwartet. Es sieht mir fast danach aus. Wenn sie schon nicht an sich denkt, dann muß ich es doch tun.«

»Das ist eine sehr vernünftige Einstellung«, sagte Dr. Norden.

»Ich will doch auch für meinen Jungen alles Glück«, fuhr sie leise fort. »Vielleicht haben Sie manchmal den Eindruck gewonnen, daß ich nur an Beatrice herummäkele. Mein Mann denkt ähnlich. Nun, vielleicht habe ich auch so dahergeredet, daß man diesen Eindruck gewinnen konnte. Aber ich bin tatsächlich ernsthaft besorgt um Beatrice.«

»Und was kann ich tun, um Ihnen diese Sorgen zu nehmen?«

»Ich möchte Sie bitten, einmal nachmittags zu uns zu kommen, wenn Sie ein bißchen Zeit haben. Ich werde dann einmal Magenschmerzen vorschützen.« Sie lächelte verlegen. »Wenn ich zu Beatrice sage, daß sie zu Ihnen gehen soll, wird sie das vielleicht falsch auffassen, nachdem ich oft gesagt habe, daß ich nicht verstehe, warum sie so häufig unter Kopfschmerzen leidet. Irgendwie werden Sie schon mit ihr ins Gespräch kommen.«

»Ich komme gern«, erwiderte er. Es freute ihn, daß sie ihre Einstellung geändert hatte. Er war überzeugt, daß sie es ehrlich meinte.

»Ich rufe Sie dann an, wenn Beatrice nachmittags daheim ist«, sagte Melanie, bevor sie sich verabschiedete.

Doch dazu brauchte es nicht zu kommen, denn an diesem Nachmittag erschien Beatrice Trentow selbst in der Praxis, ein sehr anmutiges Persönchen, schlicht, aber geschmackvoll gekleidet. Doch ihre Schwiegermutter hatte nicht übertrieben, wenn sie sagte, daß Beatrice durchsichtig wirkte.

Sie lächelte ein bißchen verlegen, aber das machte sie noch jünger und reizender. Wer wollte es Markus Trentow verdenken, daß er gar nicht schnell genug hatte heiraten können.

»Was führt Sie zu mir, Frau Trentow?« fragte Dr. Norden aufmunternd.

Sie sah ihn an, errötete, schöpfte tief Atem und sagte dann leise: »Ich glaube, ich bekomme ein Baby.«

»Das hört man aber gern. Die Freude wird groß sein.«

Sie nickte. »Markus freut sich ganz bestimmt. Wenn ich nur nicht so oft diese dummen Kopfschmerzen hätte.«

»Nun, dagegen wird sich doch etwas machen lassen«, meinte er zuversichtlich. »Ich schlage vor, daß Sie sich von Dr. Leitner gründlich untersuchen lassen, und dann werde ich mich mit ihm beraten, was man gegen alle eventuellen Beschwerden unternehmen kann, die nichts mit der Schwangerschaft zu tun haben.«

»Ich möchte keine Tabletten nehmen. Die könnten dem Baby doch schaden.«

»Es gibt auch Mittel, die dem Baby nicht schaden. Haben Sie Vertrauen, Frau Trentow.«

»Das habe ich ja, und ich bin auch nicht wehleidig, wie Mama wohl denkt. Ich bin manchmal so müde. Seit ein paar Wochen ist das ganz schlimm geworden. Aber durchschlafen kann ich auch nicht. Das muß doch einen Grund haben.«

Einen seelischen, sagte sich Dr. Norden, aber er behielt diesen Gedanken noch für sich. Er wollte hören, was sein Kollege und Freund, der Gynäkologe Dr. Hans-Georg Leitner, feststellte, der von seinen Freunden schlicht Schorsch genannt wurde. Er selbst beließ es dabei, Beatrice noch einige aufmunternde Worte zu sagen, um dann Dr. Leitner anzurufen.

»Sie können gleich zu ihm fahren«, sagte er dann zu der jungen Frau Trentow. »Nur nicht ängstlich sein.«

»Ich bin nicht ängstlich. Ich mache mir nur Gedanken«, erwiderte sie ernsthaft. »Ich suche ständig nach einer Erklärung für die Kopfschmerzen und die Müdigkeit.«

Dafür wollte Dr. Norden auch eine Erklärung haben. Dr. Leitner konnte ihm am Abend jedoch vorerst nur sagen, daß Beatrice Trentow den zweiten Monat der Schwangerschaft schon hinter sich hätte, daß sie an einer leichten Anämie leiden würde, die jedoch nicht bedenklich sei und der man wohl mit konzentrierten Vitamingaben beikommen könne. Es bestünde Aussicht, daß sich dann auch die Kopfschmerzen beheben ließen.

*

Beatrice hatte die Leitner-Klinik zuversichtlich verlassen. Sie war glücklich, und jetzt fühlte sie sich wohl. Sie wußte, daß auch ihre Schwiegereltern sich freuen würden, vor allem ihr Schwiegervater, mit dem sie sich wirklich ausnehmend gut verstand.

Als ihren Chef hatte sie ihn gut kennen und schätzen gelernt. Er war nicht der Mann, der große Worte machte, der Gefühle zu Markte tragen konnte. Er war ein überaus korrekter Geschäftsmann, und sie verübelte ihm keineswegs, daß er das Geld zusammenhielt, war sie doch selbst zur Sparsamkeit erzogen worden. Es gab gar so viele, die das Geld, das sie eigentlich gar nicht besaßen, zum Fenster hinauswarfen und mit einem Berg von Schulden noch ein aufwendiges Leben zu führen vermochten. Das war nicht Hilmar Trentows Stil. Beatrice dankte es ihm, daß er keinen Einspruch gegen die Heirat erhoben hatte, daß er ihr seine Zuneigung dadurch bewies, daß er ihre Partei ergriff, wann immer es nötig erschien. Sie wußte aber auch, daß ihre Schwiegermutter es gern gesehen hätte, wenn Markus Linda Ringeis geheiratet hätte.

Ich werde Mama Blumen mitnehmen, dachte sie. Und als sie nun auf das Blumengeschäft zusteuerte, lief ihr jemand in den Weg, den sie gar nicht mochte. Lutz Ringeis!

Es war nicht so, daß der Name Ringeis allein Beatrice Antipathie einflößte, es war vor allem Lutz, der Zwanzigjährige, ein hübscher Junge, mittelgroß, dunkelhaarig und dunkeläugig, mit den Allüren eines Playboys.

Mit einem unverschämten Grinsen betrachtete er Beatrice. »Sieh da, die jungey Frau Trentow«, sagte er anzüglich. »Wie geht es denn so?«

»Gut«, erwiderte Beatrice kurz, dann ließ sie ihn stehen. Sie sah nicht mehr, wie sich seine dichten Augenbrauen zusammenschoben, wie sein erst unverschämtes Grinsen nun ein böses wurde, wie er sie durch das Schaufenster des Blumengeschäftes noch beobachtete.

Sie ließ sich ein hübsches Arrangement zusammenstellen, und als sie das Geschäft dann verließ, war Lutz verschwunden. Beatrice ging zu ihrem kleinen Wagen, der beim Anfahren einen ganz gehörigen Lärm verursachte, aber wenn sie daheim ankam, hörte man ihn kaum.

An diesem Tag hielt Markus schon nach ihr Ausschau, ängstlich besorgt, wie sie sogleich feststellen konnte.

»Wo warst du so lange, Trixi?« fragte er erregt.

Sie fiel ihm um den Hals. »Bei Dr. Leitner, Liebling. Wir werden ein Baby haben«, flüsterte sie.

»Ein Baby«, murmelte er, nachdem er sie ganz behutsam geküßt hatte, »du bist ja selbst noch ein kleines Mädchen.«

Sie schenkte ihm ein zauberhaftes Lächeln. »Immerhin wirst du auch ein ziemlich junger Papa sein, und das ist doch gut. Jetzt werden wir die künftigen Großeltern vorbereiten. Warte einen Augenblick, ich habe Blumen für Mama gekauft.«

»Meinst du etwa, daß sie sich nicht freuen wird? Sie ist nicht so, wie es den Anschein hat, Trixi.«

Sie lachte leise. »Ich sage doch gar nichts, Markus. Sie ist deine Mutter, deshalb muß ich sie doch lieben.«

Es gab ihm einen feinen Stich. Er wußte, daß Beatrice nichts sagte, was sie nicht auch fühlte, aber insgeheim wünschte er so sehr, daß seine Mutter ihr die gleichen Gefühle entgegenbringen würde. Und diesbezüglich mußte er doch einige Zweifel hegen.

Allerdings wurde an diesem Abend die freudige Stimmung durch nichts gestört. Melanies Augenbrauen hatten sich nur leicht gehoben, als Beatrice ihr die Blumen brachte, aber als sie und ihr Mann dann die Neuigkeit erfuhren, waren sie beide tief gerührt. Da konnte kein Zweifel aufkommen.

»Ich habe es ja vermutet«, sagte Melanie leise. »Ich war heute schon bei Dr. Norden, weil ich mir Sorgen um dich machte, Beatrice.«

»Davon hat er mir nichts gesagt, aber das gehört wohl zu seiner ärztlichen Schweigepflicht«, sagte Beatrice lächelnd. »Er hat mich zu Dr. Leitner geschickt. Es ist alles in Ordnung. Ein paar Vitamingaben werden mir schon über die Flaute hinweghelfen. Es tut mir leid, daß ich dir Sorgen bereitet habe, Mama.«

»Jetzt wirst du dich schonen«, sagte Hilmar Trentow. »Nichts mehr mit Büro und so, und einen anderen Wagen bekommst du auch. In der Kutsche bekommst du ja eine Gehirnerschütterung. Vielleicht ist der Wagen auch mit an den Kopfschmerzen schuld.«

So drückte er seine Freude aus, aber sein väterlich-gütiger Blick, mit dem er Beatrice umfaßte, verriet mehr von den Gefühlen, die ihn bewegten.

»Was hat Dr. Leitner noch gesagt?« fragte Melanie. »Er soll ja ein sehr guter Frauenarzt sein.«

»Ich soll Schwangerschaftsgymnastik betreiben, und natürlich werde ich auch einen Kursus für Kinderpflege mitmachen. Da kommt man auch mit anderen werdenden Müttern zusammen und kann Erfahrungen austauschen.« Sie warf Melanie einen fragenden Blick zu. »Du hast doch nichts dagegen, Mama?«

»Natürlich nicht. Ich habe auch einen Säuglingskursus mitgemacht, als Markus sich ankündigte. Sonst steht man schon ein bißchen dumm da.« Melanies sonst so blasse Wangen hatten sich gerötet. »Heute ist ja auch alles schon viel fortschrittlicher als damals. Wie fühlt sich der werdende Vater?« fragte sie verschmitzt.

»Ich muß mich seelisch vorbereiten«, sagte Markus beklommen.

»Das erging mir nicht anders, mein Sohn, und immerhin war ich einige Jährchen älter als du«, warf Hilmar Trentow ein. »Aber es sollte uns nicht hindern, eine Flasche Champagner zu leeren. Melanie ist der sehr gut bekommen, als sich das freudige Ereignis ankündigte.«

Beatrice bekam er auch. Sie war in beschwingter Stimmung, und sie wurde an diesem Abend auch gar nicht so schnell müde.

»Vielleicht hatte sie Angst, daß sie keine Kinder bekommen könnte«, meinte Melanie, als sie mit ihrem Mann allein war.

»Vielleicht hatte sie bloß Hemmungen, weil du sie nicht akzeptiert hast«, sagte Hilmar.

Da senkte sie beschämt den Kopf. »Es tut mir leid, daß man es so auslegen konnte.«

»Es war doch so«, brummte er, »aber jetzt bist du ja schon bedeutend vernünftiger.«

»Mama war sehr nett«, sagte Beatrice zu ihrem Mann. »Ich habe ja so sehr gehofft, daß unser Baby sie mit unserer Heirat versöhnen würde.«

Was ja nun auch der Fall zu sein scheint, dachte Markus zufrieden, dann nahm er seine Trixi zärtlich in die Arme. »Wenn es dir nur gutgeht, mein Liebstes. Das ist mir am wichtigsten.«

»Es geht mir gut, Herzensmann. Ich bin überglücklich.«

In dieser Nacht schlief sie tatsächlich wundervoll.

*

Ab und zu spürte sie auch in den folgenden Wochen die Kopfschmerzen, aber sie wollte davon keine Notiz nehmen. Zweimal in der Woche besuchte sie den Säuglingskursus, und dort hatte sie eine junge Frau kennengelernt, mit der sie sich angefreundet hatte. Ingrid Ammer litt auch an Schwangerschaftsbeschwerden, an Übelkeit und Erbrechen, von denen Beatrice verschont blieb. Ihr Mann war Zahnarzt. Diese Freundschaft wurde auch von Melanie akzeptiert. Die Ammers bewohnten ein hübsches Haus, das etwa zehn Minuten von dem Haus der Trentows entfernt lag.

Auch Markus und Bernhard Ammer freundeten sich an. Man besuchte sich gegenseitig. Beatrice und Ingrid gingen gemeinsam zu Dr. Leitner zur Kontrolluntersuchung, und da sie ihre Babys zur etwa gleichen Zeit erwarteten, hofften sie auch, in der Leitner-Klinik in einem Zimmer die ersten Tage ihrer Mutterschaft gemeinsam erleben zu können. Es schien alles in bester Ordnung.

Obgleich Hilmar Trentow seiner Schwiegertochter schon bald einen neuen Wagen hatte vor das Haus stellen lassen, ging Beatrice nun meistens zu Fuß. Bewegung tat gut, das hatten Dr. Leitner und Dr. Norden betont. Auch darin widersprach Melanie nicht.

Herumgesprochen hatte es sich allerdings, daß im Hause Trentow Nachwuchs erwartet wurde, und so manche, die die Hoffnung hegten, daß die junge Ehe nicht halten würde, sahen sich bitter enttäuscht, allen voran Linda Ringeis.

Sie zeigte es nicht, als sie zufällig mit Melanie zusammentraf. Mit dem freundlichsten Lächeln fragte sie, wie man sich dann als werdende Großmutter fühle.

Melanie hatte Linda gegenüber Hemmungen. Sie hatte es ihr doch einstmals recht deutlich zu verstehen gegeben, daß sie ihr als Schwiegertochter sehr willkommen gewesen wäre. Und als Markus dann Beatrice geheiratet hatte, lockerten sich auch die freundschaftlichen Beziehungen zur Familie Ringeis, worüber Hilmar Trentow allerdings nicht enttäuscht gewesen war.

»Ich fühle mich recht gut«, erwiderte Melanie auf Lindas Frage zögernd.

»Meine Mutter wäre entsetzt, wenn ich sie so bald zur Großmutter machen würde«, sagte Linda ironisch. »Also ist es doch ganz gut, daß Markus sich anderweitig entschieden hat. Eine starke Persönlichkeit war er ja nie, und das wird er auch nicht werden. Ich habe andere Vorstellungen von meinem zukünftigen Mann. In Kürze wird übrigens meine Verlobung mit Alex Kerst bekanntgegeben werden. Wir würden uns selbstverständlich freuen, Sie dann wieder einmal zu unseren Gästen zählen zu dürfen.«

Es klang gekünstelt und vor allem sehr geschraubt. Aber es war eine Neuigkeit, die Melanie doch nachdenklich stimmte, denn Alex Kerst hatte einen klangvollen Namen. Er war eine Persönlichkeit und auf einigen Gebieten eine starke Konkurrenz für Hilmar. Er galt als eingefleischter Junggeselle. Nicht mehr ganz jung, aber auf dem Parkett der großen Welt zu Hause, mit den allerbesten Verbindungen und ein Mann, der sich teure Ambitionen leisten konnte. Melanie war in ihrem Herzen eine bürgerliche Frau, aber eben auch mit den Schwächen einer solchen ausgestattet. Sie dachte doch daran, wie man in ihren Kreisen darüber reden würde, daß Linda nun eine viel bessere Partie machte, während ihr Sohn ein Mädchen aus dem Volk geheiratet hatte, eine Angestellte seines Vaters.

Es gab Melanie einen Stich, aber sie konnte sich beherrschen.

»Da kann man ja nur gratulieren«, sagte sie.

»Ja, das kann man«, erwiderte Linda spöttisch. »Wir werden ein großes Haus führen. Natürlich sind Sie uns immer willkommen, aber Ihre Schwiegertochter würde sich wohl doch etwas deplaciert vorkommen.«

Das schluckte Melanie nicht so einfach. »Beatrice kann sich sehen lassen«, erwiderte sie, »aber sie legt so wenig Wert auf Geselligkeiten wie Markus und wir auch.«

Ein gehässiger Zug legte sich um Lindas Mund. »Aber sie läßt sich wohl doch gern den Hof machen, zumindest von meinem Bruder«, sagte sie anzüglich.

Das schluckte Melanie nicht. »Das glaube ich denn doch nicht«, sagte sie eisig. »Alles Gute, Linda.«

Und dann ging sie. Aus schmalen Augen blickte Linda ihr nach. So ganz zufrieden konnte sie nicht sein. Sie hatte sich von dieser Begegnung einen größeren Triumph erhofft.

*

Beatrice betätigte sich in der Küche, und das tat sie sehr erfolgreich. Da sie nicht mehr ins Büro gehen durfte, suchte sie sich überall zu betätigen. Melanie hatte wahrhaftig keinen Grund, sich über ihre Schwiegertochter zu beklagen, und das tat sie nie mehr.

Von ihren Einkäufen kam sie an diesem Tag sehr nachdenklich nach Hause, und auch mit einem ein wenig schlechten Gewissen. Deshalb begrüßte sie Beatrice besonders herzlich.

»Es duftet ja ganz verführerisch«, sagte sie. »Probierst du wieder ein neues Rezept aus?«

»Kalbslendchen à là Markus«, erwiderte Beatrice lächelnd. »Wir haben sie in der Taverne gegessen, bevor er mir den Heiratsantrag machte.«

»Es scheint ein anregendes Menü gewesen zu sein«, scherzte Melanie. »Hoffentlich kommen unsere Männer bald. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen.«

Beatrice war immer ganz froh, wenn Melanie so mit ihr sprach. Was sie dann sagte, versetzte sie jedoch in Verlegenheit.

»Wie findest du eigentlich Lutz Ringeis, Beatrice?« fragte Melanie.

»Wie kommst du darauf?« fragte Beatrice bestürzt zurück.

»Nur so. Ich habe Linda getroffen. Sie wird sich mit Alex Kerst verloben, und wir werden wohl eingeladen werden.«

Beatrices Gesicht verschloß sich. »Ich habe ja einen guten Grund, mich entschuldigen zu lassen«, sagte sie leise.

»Warum eigentlich? Du brauchst dich nicht zu verstecken.«

»Um auf deine Frage zurückzukommen, Mama, mir ist Lutz Ringeis sehr unsympathisch, und Linda kann sich verloben, mit wem sie will.« Das klang ziemlich aggressiv.

»Warum ist dir Lutz unsympathisch?« fragte Melanie.

»Weil er ein arroganter Lümmel ist, um es ganz deutlich zu sagen.«

»Macht er dir den Hof? Linda deutete so etwas an, um es auch deutlich zu sagen.«

»Ich weiß nicht, was er darunter versteht, aber dieser Bursche bildet sich etwas zuviel ein. Ich bin ihm neulich einmal begegnet, als ich die Blumen für dich kaufte. Ich muß schon sagen, daß er ein ungezogenes Benehmen an den Tag legt. Ich mag so etwas nicht. Sei mir bitte nicht böse, wenn ich das sage.«

»Warum sollte ich böse sein, wenn du sagst, was du denkst, mein Kind.«

Beatrice hielt den Atem an. »Mein Kind«, hatte Melanie gesagt.

»Es würde mir leid tun, wenn ich schuld bin, daß eure freundschaftliche Bindung sich gelockert hat«, sagte sie leise, aber ihre Augen leuchteten hell, als sie Melanie anblickte.

»Dir braucht es gewiß nicht leid zu tun«, erwiderte Melanie. »Ich höre unsere Männer kommen. Jetzt wollen wir doch einmal sehen, was du uns auf den Tisch zauberst.«

Ein bißchen wunderte sie sich selbst, daß sie sich gerade heute Beatrice so eng verbunden fühlte. Bei Tisch wurde nicht über die Ringeis’ gesprochen. Es schmeckte allen vorzüglich. Beatrice wurde gelobt. Und als Melanie später ihrem Mann die Neuigkeit von der bevorstehenden Verlobung verkündete, lächelte der nur sarkastisch und sagte: »Wenn es gewiß ist!«

»Aber wenn es nicht gewiß ist, würde es Linda doch nicht ausposaunen«, sagte Melanie.

»Kerst war schon öfter einmal verlobt«, brummte ihr Mann, »und es wurde nie eine Heirat daraus. Vielleicht braucht er einmal wieder eine Rückversicherung für eine gewagte Spekulation.«

»Na, hör einmal, er hat doch wirklich genug Geld, Hilmar!«

»Sagt man, glaubt man, und solange man noch glaubt, mag alles okay sein. Aber glauben ist gut, überzeugen ist besser, Melanie. Linda ist ein einfältiges Mädchen, sie bildet sich wer weiß was ein. Ich wünsche ihr gewiß nicht, daß es einmal ein böses Erwachen für sie gibt, aber ich bin froh, daß unser Markus seinem Herzen gefolgt ist, und du solltest auch froh sein, meine Liebe. Geld allein macht auch nicht glücklich.«

»Ich weiß, daß Beatrice die richtige Frau für Markus ist, tüchtig und anständig.«

»Und dazu ganz besonders schön, was neiderregend sein mag. Außerdem fehlt sie mir im Büro, damit du es weißt. Solange sie da war, lief alles perfekt.«

»Du wirst sie doch nicht zurückholen wollen?«

»Gott bewahre. Wichtiger ist mir, daß sie mich zu einem glücklichen Großvater macht, ich habe lange genug geschuftet. Wenn ich einen Enkel habe, soll sich Markus herumärgern.«

»Du willst dich zur Ruhe setzen?« fragte Melanie atemlos.

»Zur Ruhe? Liebe Güte, was meinst du, wieviel Leben so ein kleiner Krabbel in diese Bude bringt.«

»Bude nennst du das?« fragte sie pikiert.

»Na, dann eben in unsere Luxusbehausung«, schmunzelte er, »aber krieg bloß keine hysterischen Anfälle, wenn einmal etwas kaputtgeht. Mein Enkel braucht nicht so pingelig aufzuwachsen wie Markus. Die Zeiten haben sich geändert.«

»Und du hast deine Ansichten auch geändert«, sagte Melanie mit leisem Vorwurf.

»Gott sei Dank, du hoffentlich auch. Wenn immer noch nicht, fang damit an, meine Liebe.«

*

Dr. Norden freute sich, daß das Familienleben bei den Trentows nun einen so harmonischen Verlauf nahm. Beatrice hatte es ihm berichtet, und sie zeigte sich sehr optimistisch.

»Meine kleinen Wehwehchen nehme ich nicht tragisch«, erklärte sie froh. »Ingrid Ammer hatte viel größere Beschwerden, aber jetzt geht es ihr auch besser.«

Man sah es Beatrice an, daß sie sich auch sehr freute, eine Freundin gefunden zu haben, und Dr. Norden freute sich darüber auch, denn gerade werdende Mütter brauchten Gedankenaustausch. Diese beiden jungen Frauen ergänzten sich in wahrhaft erfreulicher Weise.

Auch Frau Ringeis zählte zu seinen Patientinnen, und dabei zu jenen, die nicht so ganz auf seiner Linie lagen. Sie betonte die Privatpatientin zu sehr, erhob sich selbst über die anderen. Sie redete viel und laut und scheute sich nicht, ihn auch mit Klatsch zu füttern.

Sie kam, um sich Rezepte zu holen, Mittel zum Einschlafen, Mittel zur Beruhigung und welche zur Aufmunterung. Sie schmollte, wenn er ihr erklärte, daß ihr solche Gewöhnung nur schaden könnte, aber sie drohte doch nicht, einen anderen Arzt aufzusuchen, wenn er ihr ein Medikament verweigerte, von dem sie gerade wieder einmal eine Wunderwirkung erwartete, da ihr dies von irgend jemandem erzählt worden war.

Er war es auch schon gewohnt, daß sie ihn nach dieser oder jener Patientin ausfragen wollte, von der sie wußte, daß er diese behandelte. Sie fing das nicht ungeschickt an, denn sie hatte Übung darin. Nur kam sie bei ihm nicht an die richtige Adresse, erst recht nicht, wenn es um Beatrice Trentow ging.

Sie machte an diesem Dienstag einen übernervösen Eindruck, als sie zu ihm in die Praxis kam. Loni, die

Arzthelferin, hatte sie schon mit einem abgrundtiefen Seufzer angekündigt.

Die bevorstehende Verlobung ihrer Tochter mit Alex Kerst würde sie in Atem halten, verkündete sie. Es sei doch recht schwierig, hundert Gäste unter einen Hut zu bringen.

»Man muß ja so sehr darauf achten, daß sich niemand übergangen fühlt.«

Dr. Norden war nicht darauf erpicht, die Einzelheiten zu hören. Seine Zeit war ihm für solche Nichtigkeiten zu kostbar, und insgeheim dachte er, daß verlobt noch lange nicht verheiratet war.

Dann kam Frau Ringeis plötzlich auf Beatrice zu sprechen. Auf den Nachwuchs, den man im Hause Trentow erwarte.

»Das wird ja versöhnlich stimmen«, meinte sie hintergründig. »Es war ja so etwas, was wir als Mesalliance bezeichnen.«

»Tatsächlich?« fragte er ironisch. Das konnte er sich nicht verkneifen. »Die junge Frau Trentow kann sich sehen lassen, sie ist sehr apart und sehr gebildet.«

Frau Ringeis setzte eine verdrossene Miene auf. »Aber immerhin war sie eine Angestellte ihres Schwiegervaters. Nun, ich muß sagen, daß wir sehr froh sind, daß unsere Linda eine so glänzende Partie macht.«

Dr. Norden lächelte sarkastisch. »Deshalb halte ich es auch für überflüssig, daß Sie Beruhigungsmittel nehmen, Frau Ringeis. Es ist doch eine Beruhigung, wenn Sie den erwünschten Schwiegersohn bekommen.«

Sie sah ihn leicht verwirrt an. »Ein Traumschwiegersohn«, sagte sie, »aber eine solche Verbindung muß auch gebührend gefeiert werden. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Es würde uns natürlich auch sehr freuen, wenn Sie und Ihre Frau kommen würden.«

Du lieber Himmel, das fehlte gerade noch, dachte er, aber er sagte, daß ihm die Zeit für Festlichkeiten fehle.

»Sie gönnen sich zu wenig Privatleben«, meinte sie gönnerhaft, aber da er so wenig Interesse an dem bevorstehenden Ereignis bekundet hatte, war sie doch gekränkt und sprach nicht mehr davon. Er war froh, als sie endlich entschwand, und auch Loni atmete hörbar auf.

»Na, ich bin gespannt, wie lange diese Verlobung hält«, sagte sie spöttisch.

»Das soll nicht unsere Sorge sein, Loni.«

Sie errötete. »Freilich nicht, aber Kerst ist ja schließlich bekannt für seine Launen.«

»Ein ergiebiges Objekt für Boulevardzeitungen, doch was da geschrieben wird, darf man auch nicht für bare Münze nehmen.«

»Wenn ich eine Tochter hätte und so viel Geld wie die Ringeis’, würde ich jedenfalls einen solideren Mann vorziehen.«

»Aber Sie haben keine Tochter und zum Glück auch nicht so viel Geld, sonst müßte ich auf meine tüchtige Loni verzichten! Also, dann werden wir einmal wieder brav an die Arbeit gehen.«

*

»Alex Kerst und Linda Ringeis, das wird so ein Pärchen abgeben«, spottete auch Fee Norden, als sie nach dem Mittagessen auf dieses Thema kamen.

»Seit wann befaßt du dich mit Gesellschaftstratsch, Feelein?« fragte Daniel neckend.

»Ich muß nur an die Verlobung von Kerst mit Tanja von Siebach denken. Die große Liebe! Das Paar des Jahres! Das war vor knapp zwei Jahren, soweit ich mich erinnere. Dann war es plötzlich aus, weil er sich in Paris mit einer dunkelhäutigen Tänzerin amüsierte und recht eindeutige Fotos veröffentlicht wurden.«

»Du bist sehr gut informiert und hast auch ein blendendes Gedächtnis, mein Schatz.«

»Tanja war schließlich auf der Insel der Hoffnung, um sich von ihrem Schock kurieren zu lassen. Und dort hat sie Piet Schaeffer kennengelernt und ihn geheiratet. Die Ehe soll sehr glücklich sein.«

»Wenn Linda Ringeis ihrer Mutter ähnlich ist, wird sie nicht so sensibel sein wie Tanja«, sagte Daniel Norden nachdenklich.

»Und wenn die Verlobung wieder auseinandergeht, wird sie mit einem handfesten Skandal enden«, bemerkte Fee.

»Alle reden davon, daß die Verlobung auseinandergeht, dabei hat sie noch nicht einmal stattgefunden. Lassen wir das Thema, Fee. Es gibt erfreulichere.«

Bei den Trentows war das Thema noch nicht beendet. Die Einladung war gekommen. Es wurde darüber diskutiert, ob man sie annehmen solle. Beatrice und Markus waren bereits zur Absage entschlossen.

»Wenn wir alle absagen, werden sie sich die Mäuler zerreißen«, gab Melanie zu bedenken.

»Ach was, ich habe für diese Festivitäten nie etwas übrig gehabt«, war Hilmar Trentows Meinung. »Es ist absoluter Blödsinn, eine Verlobung so großartig zu feiern, nichts als Angabe. Meinetwegen kannst du gehen, Melanie. Ich bleibe auch zu Hause.«

»Damit sie uns nachsagen, daß es bei uns hinten und vorn nicht stimmt«, ereiferte sie sich.

»Was gehen uns die Leute an? Wir wissen, daß es bei uns stimmt.« Er grinste verschmitzt. »Außerdem sind es noch zehn Tage bis dahin, und in dieser Zeit kann viel passieren. Meinetwegen sag zu. Eine Ausrede finden wir dann immer noch.«

Auch er wollte das Thema beendet wissen, er wollte seine Ruhe haben.

Beatrice hatte an diesem Abend ihren Säuglingskursus. Markus hatte sich deshalb bereitgefunden, mit einem ausländischen Geschäftsfreund in die Oper zu gehen. Vorher wollte er Beatrice noch zum Kursus bringen. Bernhard wollte Ingrid und Beatrice dann abholen. So hatten sie es verabredet.

Aber auch bei Bernhard sollte etwas dazwischenkommen. Er mußte einem Patienten, der eine längere Reise antreten mußte, ein paar Zahnkronen einpassen.

»Wir nehmen ein Taxi«, schlug Ingrid vor.

»Ach was, es ist ein schöner Abend. Wir können noch einen Spaziergang machen«, meinte Beatrice.

»Werden sich deine Schwiegereltern nicht ängstigen, wenn du später kommst?«

»So viel später wird es nicht. Außerdem werden sie denken, daß ich noch bei euch bin. Mir tut es ganz gut, wenn ich noch ein bißchen laufe. Ich habe heute wieder diese blöden Kopfschmerzen.«

An diesem Abend empfand Beatrice diese wieder als besonders schlimm.

Sie gingen langsam. »Ich bringe dich noch heim«, sagte Ingrid.

»Das ist doch ein Umweg. Wir trennen uns an der Kreuzung. Das Stück kann ich dann auch noch allein gehen«, sagte Beatrice. »Ich bin nicht ängstlich.«

Ein Auto fuhr an ihnen vorbei, als sie sich voneinander verabschiedeten.

»War das nicht der junge Ringeis?« fragte Ingrid.

»Könnte sein. Er hat so einen Wagen«, sagte Beatrice gleichmütig.

»Um die Verlobung wird ja ein irrer Wirbel gemacht. Ich möchte nicht wissen, was die kostet. Hoffentlich bezahlt Kerst auch einmal seine Rechnung bei uns. Das sind immerhin auch ein paar tausend Mark.«

»Er hat es doch nicht nötig, eine Rechnung schuldig zu bleiben«, meinte Beatrice erstaunt.

»Nötig vielleicht nicht, aber die, die das meiste Geld haben, lassen einen am längsten warten. Das ist der vornehme Stil«, sagte Ingrid spöttisch. »Sei froh, daß die Trentows nicht zu dieser Kategorie gehören.«

»Bin ich auch. Also, dann tschüß, Ingrid.«

»Ich rufe dich nachher noch einmal an, ob du auch gut heimgekommen bist.«

»Wenn es dich beruhigt«, lachte Beatrice. »In zehn Minuten bin ich zu Hause. Ich kann dich auch anrufen.«

»Ich bin in fünf Minuten daheim. Morgen sehen wir uns ja sowieso. Unsere Männer wollen doch Tennis spielen.«

»Und dann essen wir bei uns zu Abend«, sagte Beatrice.

Es sollte jedoch ganz anders kommen. Mittlerweile war es dunkel geworden. Beatrice ging schneller. Sie hatte keine Angst, aber unruhig wurde sie doch, als ihr Schritte folgten. Sie wagte nicht, sich umzuschauen. Sie beschleunigte ihre Schritte noch mehr. Aber da bekam sie wieder den stechenden Schmerz im Kopf, diesen Schmerz, der durch ihren ganzen Körper fuhr und ihr jetzt noch mehr Angst einflößte als sonst. Und dann war ein Schatten da, keuchender Atem, eine Hand, die sich auf ihren Mund preßte, sie am Schreien hinderte. Sie hätte auch gar nicht schreien können, so heftig betäubt war sie von dem Schlag, der dann ihren Kopf traf und ihr das Bewußtsein raubte.

*

»Beatrice bleibt lange aus«, sagte Melanie.

»Sie wird noch bei den Ammers sein«, meinte Hilmar Trentow. Da läutete das Telefon. Es war Ingrid.

Ob sie Beatrice sprechen könne, fragte sie. Sie wolle sich nur erkundigen, ob sie gut heimgekommen sei.

»Sie ist noch nicht da«, sagte Hilmar Trentow rauh. »Wir dachten, Ihr Mann bringt sie heim.«

Ingrid erklärte ihm rasch, warum das nicht möglich gewesen war, sie war völlig aufgelöst. Auch Hilmar Trentow geriet in Erregung.

»Ich gehe ihr entgegen«, sagte er.

»Was ist?« fragte Melanie aufgeregt dazwischen.

»Nachher«, sagte er kurz und stürmte aus dem Haus.

Währenddessen war die bewußtlose Beatrice bereits von einem jungen Ehepaar gefunden worden, das mit seinem Dackel noch einen Abendspaziergang machen wollte. Geistesgegenwärtig hatten sie Dr. Norden angerufen, weil auch sie ihn kannten und er am schnellsten zu erreichen war.

Dr. Norden kniete schon bei Beatrice nieder, als Hilmar Trentow im Sturmschritt des Weges kam. Momentan sah es so aus, als würde auch ihn ein Schlag in die Knie zwingen.

»Was ist?« fragte er tonlos, mühsam nach Fassung ringend.

»Anscheinend ein Überfall«, erwiderte Dr. Norden heiser. »Der Rettungswagen wird gleich kommen.«

Da kam er auch schon, und ein paar Fenster öffneten sich. Jetzt kam Leben in die stille Straße.

»Ich lasse Ihre Schwiegertochter in die Behnisch-Klinik bringen«, sagte Dr. Norden. Hilmar Trentow nickte automatisch. »Ich kann doch mitfahren?« fragte er tonlos. »Mein Gott, oh, mein Gott…«, aber mehr brachte er nicht über die Lippen.

In der Behnisch-Klinik war man es schon gewohnt, daß Dr. Norden mit Überraschungen aufwartete, aber da wurden auch nicht erst Fragen gestellt. Es wurde gehandelt.

Inzwischen geriet Melanie Trentow in immer größere Erregung, weil nun auch ihr Mann nicht zurückkam. Und dann bekam sie den Anruf aus der Behnisch-Klinik. Ihr wurde ganz schwindelig.

»Du mußt zu Hause bleiben, Melanie«, sagte ihr Mann. »Jemand muß doch da sein, wenn Markus kommt. Nimm dich zusammen. Dr. Norden sagt, daß keine unmittelbare Lebensgefahr besteht.«

»Aber wer kann das getan haben?« murmelte sie schluchzend.

»Wenn ich das herausbringe, dann…«, aber mehr sagte Hilmar Trentow nicht. Ihn bewegten mörderische Gedanken, die diesem ruhigen Mann niemand zugetraut hätte.

*

Es stand fest, daß Beatrice niedergeschlagen und beraubt worden war. Ihre Handtasche war verschwunden, das Armband, das sie von ihrem Schwiegervater als Glücksbringer bekommen hatte, nachdem er von der Schwangerschaft erfahren hatte, der Brillantring, den Markus ihr aus dem gleichen Anlaß geschenkt hatte. Das wurde von Hilmar Trentow festgestellt. Was in der Handtasche war, konnte er nicht sagen. Viel Geld trug Beatrice bestimmt nicht mit sich herum.

Aber all das war jetzt auch nebensächlich. Es ging allein um Beatrices Leben.

Dr. Behnisch hatten eine Röntgenaufnahme gemacht. Er hängte sie nun an den Lichtkasten.

Kopfschüttelnd stand er davor. »Der Schlag war nicht heftig, Daniel«, sagte er bedächtig. »Unter anderen Umständen hätte er nur eine kurze Betäubung herbeigeführt. Aber da, dieser Punkt gibt mir zu denken. Es ist eine Geschwulst. Eine kleine zwar, aber an einer bedenklichen Stelle.«

Daniel starrte auf den Punkt. »Ein Tumor?«

»Ich möchte es ein Gliom nennen, um es nicht zu dramatisieren.«

»Frau Trentow hat lange unter starken Kopfschmerzen gelitten«, sagte Dr. Norden heiser.

»Die dadurch hervorgerufen worden sind«, nickte Dieter Behnisch. »Der Druck auf das Nervensystem muß ziemlich stark gewesen sein. Es genügte so auch ein nicht sehr heftiger Schlag, um diese tiefe Bewußtlosigkeit herbeizuführen.«

»Und wenn der Schlag nun heftiger gewesen wäre?«

»Es ist nicht auszuschließen, daß er auch tödlich hätte gewesen sein können«, sagte Dr. Behnisch. »Aber das ist glücklicherweise nicht der Fall. Immerhin muß man eine Operation in Betracht ziehen.«

»Sie erwartet ein Baby, Dieter. Mittlerweile ist sie im vierten Monat.«

Dr. Behnisch runzelte die Stirn und blickte zu Boden.

»Wir sind uns klar darüber, daß eine Schwangerschaft eine hormonelle Umstellung mit sich bringt, Daniel. Und eine solche kann das Wachstum einer Geschwulst, mag sie an sich auch durchaus nicht bösartig sein, so beschleunigen, daß die Folgen unabsehbar sind. Wir müssen auch den Angehörigen Klarheit darüber verschaffen, ebenso der Patientin. Ich ziehe gern einen Experten hinzu, aber ich glaube kaum, daß er anders urteilen würde. Ich möchte in diesem Fall sogar so weit gehen zu sagen, daß dieser Schlag möglicherweise diese Diagnose erst ermöglichte. Durch Tasten war diese Geschwulst nicht auszumachen. Wenn sie jedoch weiter nach innen wächst – nun, darüber möchte ich noch keine Prognose äußern. Jetzt könnte eine Operation das Übel noch beseitigen.«

»Wir werden mit Frau Trentow sprechen, wenn sie bei Bewußtsein ist«, sagte Daniel Norden.

Melanie Trentow blieb es vorbehalten, ihren Sohn von dem dramatischen Geschehen in Kenntnis zu setzen, da ihr Mann bei Beatrice in der Klinik geblieben war. Es waren schwere Minuten für sie, denn so verzweifelt hatte sie ihren Sohn noch nie gesehen, und nie zuvor war es ihr so bewußt geworden, wie tief er Beatrice liebte.

In der Machtlosigkeit, tröstende Worte zu finden, beschuldigte sie Ingrid und Bernhard Ammer, mitschuldig zu sein.

Dabei jedoch war Ingrid selbst so verzweifelt, daß ihr Mann sie vorsichtshalber in die Leitner-Klinik brachte, weil in diesem kritischen Stadium der Schwangerschaft eine Fehlgeburt befürchtet werden konnte.

Aber wer hätte dann damit rechnen können, daß solches geschehen würde? Sicher geschahen tagtäglich solche Überfälle, aber in dieser Gegend war es der erste. Und es gab keinen Zeugen! Es war sogar ausgesprochenes Glück im Unglück für Beatrice, daß das junge Ehepaar Körner des Weges gekommen war, denn die meisten Anwohner saßen um diese Zeit vor dem Fernsehapparat, da gerade die Fußballweltmeisterschaft begonnen hatte.

Manch ein Dieb mochte diese Gelegenheit nutzen wollen, und die Polizei hatte davor auch gewarnt, aber Diebe waren auf Einbrüche spezialisiert, bei denen sie sich eine große Beute erhoffen konnten.

Das Wie und Warum interessierte Markus Trentow jetzt überhaupt nicht. Er hatte nur wahnsinnige Angst um seine geliebte Frau, und als er dann in der Behnisch-Klinik eintraf, konnte jeder diese Angst in seinen Augen lesen.

Jetzt konnte ihm wirklich niemand sagen, was nun wirklich mit Beatrice los war. Hilmar Trentow sagte seinem Sohn das, was ihm auch von den Ärzten gesagt worden war.

»Es geht Beatrice schon besser, meine Junge. Sie schläft jetzt.«

Da lag sie, still, blaß, regungslos. Kaum vernehmbar war ihr Atem, und doch hatte Dr. Behnisch gesagt, daß sich der Pulsschlag normalisiere.

»Ich bleibe bei Trixi, Papa«, sagte Markus stockend. »Geh du zu Mama. Sie ist sehr aufgeregt.«

»Es kommt schon alles wieder in Ordnung, mein Junge. Freilich hätte das ja wohl nicht sein müssen. Ich hätte sie doch ganz bestimmt abgeholt, wenn Dr. Ammer verhindert war.«

»Trixi ging gern zu Fuß«, sagte Markus leise. »Wir können Ingrid keinen Vorwurf machen. Es wird auch für sie schlimm genug sein.«

Obgleich sein Kummer groß genug war, hätte Markus keinen ungerechten Vorwurf geäußert.

»Nicht einmal in unserer Gegend ist man mehr sicher«, brummte sein Vater, »aber wenn der Bursche erwischt wird, kann er etwas erleben. Ich setze eine Belohnung aus, vielleicht finden sich doch Zeugen. Die meisten drücken sich ja nur, weil sie Unannehmlichkeiten fürchten.« Er machte eine kleine Pause. »Vielleicht kann Beatrice uns einen Hinweis geben.«

Aber das konnte sie nicht. Sie erwachte kurz nach Mitternacht, und als sich Markus über sie beugte, fehlte ihr jegliche Erinnerung. Sie meinte, daheim in ihrem Bett zu liegen. Markus war ja bei ihr. Sie sah ihn, sie spürte seine Nähe, seine Lippen streichelten ihre Stirn, ihre Wangen.

»Wie war es in der Oper, Liebster?« fragte sie. Er wußte nicht, was er erwidern sollte. Dann wanderte ihr Blick umher.

»Wo bin ich?« Jetzt klang ihre Stimme ängstlich.

»Nicht aufregen, Liebling«, flüsterte er. »Du bist in der Behnisch-Klinik.«

»Ist etwas mit unserem Baby?« fragte sie jetzt schleppend.

»Nein, nein, bitte reg dich nicht auf«, bat er wieder. Unauffällig hatte er auf die Nachtglocke gedrückt. Dr. Behnisch kam sofort selbst herbei. Beatrice wollte sich aufrichten, doch sie griff schon bei dieser Bewegung mit einem Wehlaut nach ihren Kopf, und mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den Arzt an.

»Die Schritte«, flüsterte sie, »jemand hielt mir den Mund zu…«

»Und dann?« fragte Markus bebend.

»Ich weiß nichts mehr«, stöhnte sie auf.

»Du hast ihn nicht gesehen?«

»Nein, nein, mein Baby. Markus, unser Baby!«

»Dem Baby ist nichts geschehen«, sagte Dr. Behnisch beruhigend.

Beatrice befühlte ihre Hände. »Mein Ring, mein Armband…« Ersticktes Schluchzen folgte.

»Das ist alles nicht so wichtig, mein Liebstes«, sagte Markus, »nur du bist wichtig, nur du.«

*

Beatrice war bald wieder eingeschlafen. Markus blieb an ihrem Bett sitzen. Schlaf hätte er sowieso nicht finden können. Aber auch seine Eltern fanden keinen Schlaf.

So erregt Hilmar Trentow auch war, hatte er doch noch zu nächtlicher Stunde alle seine Verbindungen spielen lassen und es erreicht, daß eine Zeitung gleich noch die Anzeige über die Belohung einrückte. Nie zuvor hatte Melanie an ihrem Mann eine so verbissene Entschlossenheit kennengelernt.

Sie konnte sich schon vorstellen, welchen Wirbel diese Annonce verursachen würde, aber das sollte auch sie nicht stören. Ihr war alles recht, was ihr Mann tat. Und so stand es dann am Morgen schon fettgedruckt in der Zeitung zu lesen:

8000 DM Belohung!

Gestern abend wurde Beatrice Trentow, die Schwiegertochter des bekannten Finanziers, auf dem Heimweg überfallen, niedergeschlagen und beraubt. Für Hinweise, die zur Überführung des Täters führen, wird die obengenannte Belohnung ausgesetzt. Volle Diskretion wird zugesichert. Hinweise bitte direkt an Hilmar Trentow.

»Was sagt man dazu«, staunte Benno Ringeis bei dieser Lektüre. »Lies mal, Vera.«

Seine Frau hatte angeblich mal wieder schlecht geschlafen und war mürrisch, aber als sie die Annonce gelesen hatte, war sie hellwach.

»Das macht er doch bloß, um vor Lindas Verlobung zu demonstrieren, daß er mit seiner Schwiegertochter einverstanden ist«, sagte sie wegwerfend. »Er wird es nötig haben.«

Benno Ringeis betrachtete seine Frau kopfschüttelnd. »Manchmal spinnst du wirklich«, sagte er drastisch. »Mach dir lieber Gedanken, ob dir oder Linda so etwas nicht auch passieren kann.«

»Wir gehen nachts nicht spazieren«, begehrte sie heftig auf. »Wer weiß, wo sie sich herumgetrieben hat. Ich finde es jedenfalls sehr merkwürdig, daß sie allein herumläuft. Welche Dummheit, das auch noch an die große Glocke zu hängen. Eigentlich sieht das Trentow doch gar nicht ähnlich, noch dazu, wo er sonst so auf seinem Geldsack sitzt.«

»Während bei uns mehr als genug hinausgeschleudert wird«, sagte Benno Ringeis erbost. »Hast du dir schon überlegt, was diese Verlobungsfeier kosten wird?«

»Wir werden uns doch nicht lumpen lassen! Jetzt fang bloß nicht wieder damit an.«

Lutz kam herein. »Schon wieder das alte Thema«, sagte er gereizt. »Aber wenn ich meine Meinung sagen darf, ich finde es auch übertrieben. Diesen Aufwand hättet ihr euch bis zur Hochzeit aufsparen können, falls es zu solcher kommen wird.«

»Laß diese unverschämten Reden«, fuhr ihn seine Mutter an. »Kommst du etwa zu kurz? Gibst du nicht genug Geld aus? Und nicht einen Finger rührst du dafür.«

Er grinste frech. »Wieviel Finger rührt denn Linda? Sie klappert nur mit den Augen. Ich suche mir auch einmal eine reiche Frau.«

»Du könntest ja eventuell auch einmal etwas tun, bis du einen Studienplatz bekommst«, warf Benno Ringeis ein.

»Damit die Leute auch über uns reden wie über die Trentows, die ihre Schwiegertochter arbeiten lassen? Darüber habt ihr euch doch auch die Mäuler zerrissen.«

»Schlag einen anderen Ton an, Lutz«, sagte Benno Ringeis erbost. »Guck lieber einmal in die Zeitung. Du fährst doch dauernd in der Gegend herum. Vielleicht kannst du dir achttausend Mark verdienen.« Das war natürlich ironisch gemeint, aber Lutz kniff die Augen zusammen, als er die Annonce las.

»Das will sich der Pfennigfuchser etwas kosten lassen«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Warum paßt er denn nicht besser auf das Goldstück auf, warum hält er sie so kurz, daß sie zu Fuß gehen muß? Übrigens habe ich sie gestern abend mit der Frau vom Zahnarzt Ammer gesehen.«

»Wann?« fragte Vera rasch.

»Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Jedenfalls war sie da noch quicklebendig.«

»Willst du das nicht melden?« fragte sein Vater.

»Ich werde mich hüten. Die Polizei hat mich sowieso auf dem Kieker. Dauernd bekomme ich Strafzettel. Warum macht der alte Trentow denn solchen Wind? So schlimm wird es doch nicht sein«, sagte Lutz in wegwerfendem Ton.

Sein Vater warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. An Lutz’ Benehmen war jetzt so manches auszusetzen, war er doch zu nachsichtig mit ihm gewesen?

»Zumindest müssen wir Teilnahme zeigen«, sagte er rauh. »Ich habe immer gut mit Hilmar zusammengearbeitet, und mir wäre es auch bedeutend lieber gewesen, wenn Linda und Markus geheiratet hätten. Aus Alex wird man doch nicht recht schlau.«

»Du lieber Himmel, fang doch jetzt nicht so an«, stöhnte Vera.

»Wieso sollen wir Teilnahme zeigen?« fragte auch Lutz. »Vielleicht hat die schöne Beatrice ein heimliches Rendezvous gehabt. Es könnte auch ein Racheakt sein.«

»Wie kommst du denn auf so etwas?« fragte sein Vater bestürzt.

»Wie kommt man auf so etwas? Meinst du etwa, Markus wäre der erste Mann in ihrem Leben? Das gibt es doch gar nicht mehr. Und mit mir hat sie doch auch kokettiert.«

Eine steile Falte bildete sich auf Benno Ringeis’ Stirn. »Bildest du dir das nicht ein?« fragte er scharf. »Ich würde das an deiner Stelle nicht so laut sagen.«

»Ich kann auch nichts dafür, daß mir die Frauen nachlaufen, lieber Papa«, spottete Lutz. »Würde es dir recht sein, wenn ich zu dem guten Hilmar gehen würde, um ihm zu sagen, daß ich seine holde Schwiegertochter mit einem fremden Mann gesehen habe?«

»Du hast sie gesehen?« fragte Vera schrill.

»Ich werde mich hüten, das laut zu sagen«, erwiderte Lutz lässig. »Ich bin ja Kavalier.« Er schnippte mit den Fingern. »Mit dieser Annonce hat sich Trentow einen schönen Schiefer eingezogen. Was meint ihr, was die Leute für dreitausend Mark alles erfinden und was sie plötzlich alles wahrgenommen zu haben glauben. Wir halten uns da heraus.«

Das sagte er, aber er rechnete nicht mit seiner Mutter. Er beschäftigte sich, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit damit, die Zeitungen genau zu studieren, um festzustellen, ob mehr über diesen Überfall berichtet wurde. Aber er fand nichts.

Dagegen läutete bei Hilmar Trentow das Telefon tatsächlich ununterbrochen, und Melanie hatte das zweifelhafte Vergnügen, den Besuch von Frau Ringeis empfangen zu müssen. Sie kam nicht umhin, da sie ihr direkt in den Weg gelaufen war, als sie das Haus verlassen wollte, um zur Behnisch-Klinik zu fahren, denn sie machte sich jetzt nicht nur Sorgen um Beatrice, sondern auch um Markus, der sich nicht blicken ließ.

*

Markus war in dem bequemen Sessel gegen Morgen doch eingeschlafen. Erquickend war dieser Schlaf nicht, aber er war doch halbwegs aufnahmefähig, als Dr. Behnisch ihn dann zu einem Gespräch bat.

Es fiel ihm gewiß nicht leicht, Markus zu eröffnen, was er festgestellt hatte, aber ihm kam es, in Anbetracht der Umstände darauf an, dies so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Nach einer Rücksprache mit Dr. Leitner, der über die Diagnose sehr erschrocken gewesen war, stand es fest, daß möglichst bald zu einer Operation geschritten werden mußte, wenn das werdende Kind keinen Schaden nehmen sollte. Ein Risiko stellte eine solche Operation immer dar, aber jetzt war das Risiko nicht so groß wie in etwa vier Wochen.

Für Markus war es der zweite entsetzliche Schlag innerhalb weniger Stunden.

»Was ist ein Gliom?« fragte er bebend.

»Eine durchaus gutartige Geschwulst«, erwiderte Dr. Behnisch behutsam. »Leider wächst sie und kann Apfelgröße erreichen.«

»Aber man hat doch gar nichts gemerkt«, sagte Markus deprimiert. »Überhaupt nichts, bis auf die Kopfschmerzen, die Trixi öfter hatte.«

»Und die durch den Druck hervorgerufen wurden. Ich kann nur raten, Herr Trentow, aber ich habe mich auch mit Dr. Leitner beraten. Eine Operation ist unvermeidbar, wenn Ihre Frau nicht Schaden nehmen soll, eine baldige Operation erscheint uns dringlich, damit auch das Kind nicht geschädigt wird.«

»Aber eine solche Operation ist doch bestimmt ungeheuer belastend während der Schwangerschaft«, murmelte Markus.

Er tat Dr. Behnisch entsetzlich leid, der schon einmal einen ähnlichen Fall gehabt hatte, der leider nicht ohne schlimme Folgen geblieben war.

»Durch die Hormonumstellung während der Schwangerschaft kann solch ein Gliom sehr schnell wachsen«, sagte er. »Ich bedauere es sehr, Ihnen keine andere Auskunft geben zu können. Ich muß sogar sagen, daß dieser dramatische Zwischenfall vielleicht gerade noch zur rechten Zeit kam.«

»Ich weiß nicht, wie ich das meiner Frau sagen soll. Sie wird Angst haben, das Kind zu verlieren.« Er atmete schneller. »Ich habe noch mehr Angst, meine Frau zu verlieren, Herr Doktor.«

»Diese Angst brauchen Sie nicht zu haben«, erklärte Dr. Behnisch aufmunternd, obgleich ihm dabei auch nicht ganz geheuer war. »Aber ich werde mit Ihrer Frau sprechen. Ich werde ihr alles erklären. Auch Dr. Leitner wird mit ihr sprechen. Er wird sie betreuen, falls sie der Operation zustimmt. Sie dürfen versichert sein, daß die bestmöglichen Voraussetzungen für diese Operation geschaffen werden.«

Markus nickte mechanisch. »Ich will Trixi nicht verlieren«, sagte er leise. »Ich würde auch auf ein Kind verzichten, um sie behalten zu können, wenn das für meine Eltern auch ein schwerer Schlag wäre. Sie müssen verstehen, Herr Dr. Behnisch. Meine Eltern, vor allem meine Mutter, muß ich sagen, waren sicher nicht ganz einverstanden mit unserer Heirat, aber seit Trixi das Baby erwartet, hat sie auch Mama ganz gewonnen. Alle Probleme waren plötzlich aus der Welt geschafft. Wir durften ganz glücklich sein. Aber für mich bedeutet meine Frau alles Glück.«

»Ich verstehe Sie, Herr Trentow. Wir tun alles für Ihre Frau«, erwiderte Dr. Behnisch.

*

Vera Ringeis dachte nicht feindlich über Beatrice, wie Melanie bald feststellen konnte. Zuerst hatte Vera über diese unsicheren Zeiten lamentiert, darüber, daß man nirgendwo mehr sicher sei und sich auch abends gar nicht mehr auf die Straße wagen könne.

Dann ging sie zum Angriff über. »Ich verstehe nicht, daß Beatrice allein in der Dunkelheit herumläuft«, begann sie.

»Sie kam von einer Freundin«, erwiderte Melanie. »Sie besucht mit ihr einen Säuglingskurs.«

Vera lächelte so maliziös, daß Melanie aufmerksam wurde.

»Sie geht ohne Markus aus«, sagte Vera schnell.

»Er bekommt das Baby nicht«, konterte Melanie heftig.

»Meine Liebe, ich will nicht mißverstanden werden, aber ich halte es doch für meine Pflicht, es dir zu sagen. Unser Lutz hat Beatrice nämlich mit einem Mann gesehen. Lutz meint auch, daß es ein Racheakt eines abgewiesenen Verehrers gewesen sein könnte. Wir wollen

Beatrice ja nicht unterstellen, daß sie ein Verhältnis hat, aber in unserem Viertel, schließlich ist es ja ein vornehmes Viertel, ist noch kein solcher Überfall passiert.«

Melanie schnappte nach Luft. »Aber doch einige Einbrüche«, stieß sie erbost hervor, weil ihr das zuviel war. »Und wer Trixi etwas unterstellt, bekommt es mit uns zu tun. Sie war mit Frau Ammer zum Säuglingskurs. Herr Dr. Ammer wollte sie abholen, weil Markus mit einem ausländischen Geschäftsfreund in der Oper war. Er konnte es nicht, weil er einen Patienten versorgen mußte. Leider haben Ingrid Ammer und unsere Trixi auch der Sicherheit in diesem so vornehmen Viertel vertraut und sind zu Fuß gegangen. Und wenn Ihr Sohn Lutz sagt, er hätte Trixi mit einem fremden Mann gesehen, ist das eine infame Unterstellung. Genauso betrachte ich diese, daß Trixi Ihrem Sohn schöne Augen macht. Sie kann ihn nämlich nicht ausstehen. Sie findet ihn widerlich, um es ganz deutlich zu sagen. Sie findet, daß er ein ungezogenes, unverschämtes Benehmen hat, und was Sie eben sagten, Frau Ringeis, finde ich ebenso unverschämt. Ich werde mit meinem Mann darüber sprechen. Belästigen Sie uns künftig bitte nicht mehr.«

Melanie war das Temperament durchgegangen, aber sie fühlte kein Bedauern, als Vera Ringeis bleich das Haus verließ. Melanie kochte. Sie konnte nicht für sich behalten, was sie eben jetzt zu hören bekommen hatte. Sie mußte es ihrem Mann sagen. Sie stürmte in sein Arbeitszimmer, sein Heiligtum, in dem sie ihn sonst nicht zu stören wagte. Er legte gerade wieder einmal den Telefonhörer auf.

Was über ihre Lippen sprudelte, war so zusammenhanglos, daß er keinen Sinn finden konnte, um so mehr er sich in Gedanken mit dem letzten Anruf beschäftigte.

»Ruhig, Melanie«, sagte er energisch. »Erzähle alles der Reihe nach und genau.« Er drückte sie in einen Sessel, aber sie schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte auf. Tröstend legte er den Arm um sie.

»Beruhige dich«, sagte er weich, so weich wie schon lange nicht mehr.

»Du verstehst mich ja doch nicht«, weinte sie auf.

»Doch, ich verstehe dich. Ich fühle, daß du dich um Trixi genauso sorgst wie ich, und das verbindet uns sehr. Es mag manches zwischen uns gestanden haben, mein Liebes, aber jetzt müssen wir zusammenhalten.«

Sie konnte sich an ihn anlehnen und sich alles vom Herzen reden. Und er lauschte, wachsam, auf der Hut, genauso, als ob es um ein wichtiges Geschäft ging. Aber es ging um viel mehr. Es ging um Beatrice.

»Das werden sie bereuen«, sagte er ruhig. »Das werden sie bitter bereuen. Dieser Taugenichts Lutz, dieser Tagedieb wird mir Rede und Antwort stehen. Wir sind von niemandem abhängig, Melanie. Wir brauchen nicht um die Gunst dieser Partygesellschaft zu buhlen. Aber nun sind dir auch die Augen geöffnet. Diese Falschheit, diese Hinterhältigkeit. Diese Klatschsucht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann wie Benno Ringeis das mitmacht. Ich kann ihn vernichten, wenn ich will, Melanie, und ich werde es tun, wenn sie Beatrice nicht kniefällig um Entschuldigung bitten.«

Lutz Ringeis hatte keine Ahnung, welche Lawine er mit seinen Äußerungen ins Rollen gebracht hatte, mit diesen Äußerungen, die einem schlechten Gewissen entsprangen.

*

Beatrice hätte es im Augenblick nicht trösten können, wie leidenschaftlich ihre Schwiegereltern ihre Partei ergriffen. So vorsichtig wie nur möglich hatte ihr Dr. Behnisch erklärt, worauf ihre bohrenden Kopfschmerzen zurückzuführen waren. Mit betonter Zuversicht hatte er ihr gesagt, daß eine Operation sie von diesem Übel befreien würde. Insgeheim zitterte er bei dem Gedanken, zuviel Optimismus zu verbreiten, aber jetzt kam es in erster Linie darauf an, daß Beatrice die Notwendigkeit dieser Operation begriff und bejahte, und daß sie nicht resignierte.

Markus hielt ihre Hand, rang sich ein Lächeln ab und zeigte sich optimistisch. Ihm zuliebe würde sie alles wagen, aber sie dachte auch an ihr Baby.

»Ich will mein Baby behalten«, sagte sie bebend. »Versprechen Sie mir, daß ich es nicht verlieren werde.«

Dr. Behnisch versprach es, von dem heißen Wunsch beseelt, nicht wortbrüchig werden zu müssen.

»Dann operieren Sie bald«, sagte Beatrice leise.

Die Würfel waren gefallen. Markus blieb es nun vorbehalten, seine Eltern zu informieren. Für diese war es der nächste Schock, aber da sie spürten, wie verzweifelt Markus war, behielten sie für sich, was durch Vera Ringeis ausgelöst worden war.

Markus erfuhr nur, daß sein Vater die Belohnung für Hinweise ausgesetzt hatte, aber nach dieser langen, sorgenvollen Nacht geriet er jetzt in einen apathischen Zustand.

Melanie war erleichtert, daß er trotzdem Schlaf fand. Sie nahm alle Kraft zusammen und fuhr zur Klinik.

Ihre Augen waren umschattet. Selbst das zuversichtliche Lächeln, das sie um ihre Lippen zwang, täuschte nicht darüber hinweg, daß auch sie eine schlaflose, sorgenvolle Nacht verbracht hatte.

Beatrice war durch ihre Anteilnahme und Fürsorge tief gerührt.

»Es wird alles nicht so schlimm werden, Mama«, sagte sie tapfer. »Dr. Behnisch hat es mir erklärt. Nun weiß ich wenigstens, was los ist.«

Wieder fühlte sich Melanie schuldbewußt, weil sie

Beatrice für übertrieben empfindlich und wehleidig gehalten hatte.

»Wir halten ganz fest die Daumen, mein Kind«, sagte sie liebevoll. »Ich möchte dir sagen, daß es mir sehr leid tut, daß ich manchmal so ungerecht war. Bitte, verzeih es mir, Trixi. Wir werden sehr froh sein, wenn du wieder gesund bei uns bist.«

»Ich habe euch lieb, Mama«, flüsterte Beatrice. »Ihr seid doch Markus’ Eltern, und ich liebe euren Sohn so sehr.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Melanie nahm sie mütterlich in die Arme. »Wir sind auch deine Eltern, Trixi, und wir wissen, wie sehr Markus dich liebt. Wir haben sehr viel Angst um dich ausgestanden.«

»Aber vielleicht sollte es so sein, daß mich dieser Mann niederschlug, sonst hätte das Gliom noch weiterwachsen können. Ich glaube, diese Schmerzen können einem den Verstand rauben.«

»Sollen wir diesem Kerl etwa noch dankbar sein?« fragte Melanie tonlos. »Wie war das eigentlich, Trixi? Hat er dich vorher angesprochen? Hast du ihn gesehen?«

»Nein, ich hörte nur die Schritte und ging schneller, und deshalb bekam ich wieder diesen stechenden Schmerz. Daran kann ich mich erinnern. Ich konnte nicht schreien, als er mir die Hand auf den Mund preßte.«

»Was war das für eine Hand?« fragte Melanie nachdenklich.

Beatrice blickte sie erstaunt an. Darüber hatte sie noch nicht nachgedacht.

»War es eine große, eine harte Hand?« fragte Melanie.

»Nein. Es ist seltsam, aber wenn ich nachdenke, kommt es mir eher so vor, als wäre es eine Frauenhand gewesen. Ich meine, eine weiche Hand, und noch etwas kommt mir in den Sinn: der Duft!«

»Was für ein Duft?«

Melanie war wie elektrisiert. Wenn Beatrice sich daran erinnern konnte, mochte es ein entscheidender Hinweis sein.

»Erinnerst du dich noch, als du einmal die Probe des Rasierwassers aus der Parfümerie mitbrachtest, das du Papa schenken wolltest?«