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E-Book: 91-100 E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. E-Book 91: Wer rettet Monika? E-Book 92: Es ist noch nicht zu spät E-Book 93: Niemand ist frei von Schuld E-Book 94: Ich gehe meinen Weg allein E-Book 95: Gebt diesem Mädchen eine Chance E-Book 96: Der Tag, an dem er von ihr ging E-Book 97: Was geschah mit Katja Linden? E-Book 98: Sybil kennt die Wahrheit E-Book 99: Sie trug sein Bild in ihrem Herzen E-Book 100: Ein Mann mit Charakter E-Book 1: Wer rettet Monika? E-Book 2: Es ist noch nicht zu spät E-Book 3: Niemand ist frei von Schuld E-Book 4: Ich gehe meinen Weg allein E-Book 5: Gebt diesem Mädchen eine Chance E-Book 6: Der Tag, an dem er von ihr ging E-Book 7: Was geschah mit Katja Linden? E-Book 8: Sybil kennt die Wahrheit E-Book 9: Sie trug sein Bild in ihrem Herzen E-Book 10: Ein Mann mit Charakter

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Inhalt

Wer rettet Monika?

Es ist noch nicht zu spät

Niemand ist frei von Schuld

Ich gehe meinen Weg allein

Gebt diesem Mädchen eine Chance

Der Tag, an dem er von ihr ging

Was geschah mit Katja Linden?

Sybil kennt die Wahrheit

Sie trug sein Bild in ihrem Herzen

Ein Mann mit Charakter

Dr. Norden Bestseller – Staffel 10 –

E-Book: 91-100

Patricia Vandenberg

Wer rettet Monika?

Roman von Patricia Vandenberg

Dr. Norden ist erstaunt, als Karin Denhard in seiner Praxis erscheint und ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen will. Sie beabsichtigt wieder zu heiraten und berichtet das in einem ausgesprochen aggressiven Ton. Dr. Norden ahnt, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Schon bald weiß er, daß Karins Tochter Monika gegen diese Heirat ist und auch ihre Freundin Charlott, mit der sie sich eigentlich immer gut verstanden hatte. Die beiden halten

Joachim Lippert für nicht vertrauenswürdig. Aber mit Karin ist nicht zu reden. Die Ereignisse überschlagen sich, und Monika gerät in Gefahr. Wer kann ihr helfen?

Dr. Daniel Norden war erstaunt, als Karin Denhard in seiner Praxis erschien, denn sie machte einen sehr gesunden Eindruck. Trotz ihrer vierzig Jahre war sie eine sehr attraktive Frau mit mädchenhaft schlanker Figur, einem ebenmäßigen, glatten Gesicht und so reiner Haut, daß

sie für eine Kosmetikfirma hätte Reklame machen können.

Vor drei Jahren, als ihr Mann gestorben war, hatte sie nicht so jung und schön ausgesehen, doch nun schien sie den Kummer endgültig überwunden zu haben.

Der Anlaß ihres Besuches war jedoch ernster Natur. Es ging nicht um sie, wie Dr. Norden erfahren sollte, sondern um den Kompagnon ihres verstorbenen Mannes, um Dr. Ellbrecht.

»Ich bin gestern erst von einer Reise zurückgekommen und habe erfahren, daß Dr. Ellbrecht plötzlich operiert werden mußte.«

»Ja, es war nötig, der Blinddarm war schon fast am Durchbruch.«

»Das tut mir leid. Hoffentlich ist er bald über den Berg. Ich habe nämlich über unaufschiebbare Dinge mit ihm zu sprechen.«

Dr. Norden war betroffen. Es paßte so gar nicht zu ihr, so gleichmütig über die schwere Erkrankung Dr. Ellbrechts hinwegzugehen, der doch nicht nur der Teilhaber ihres Mannes, sondern auch sein bester Freund gewesen war. Jedenfalls paßte dies nicht zu dem Bild, das er sich früher schon von Katrin Denhard gemacht hatte.

»Wenn es unangenehme Dinge sind, würde ich es tunlichst hinausschieben«, sagte er. »Er wird noch einige Tage brauchen, bis er aufnahmefähig ist.«

Nun war sie doch erschrocken. »So schlimm ist es? Ja, dann muß es wohl warten, aber ich dachte, es wäre wichtig, daß die Stelle des Verkaufsdirektors besetzt wird.«

Seit wann zeigt sie Interesse fürs Geschäft? fragte sich Dr. Norden. Aber die Erklärung dafür sollte er schnell bekommen.

»Ich habe einen guten Bekannten, der für diese Stellung sehr geeignet wäre. Er muß sich aber rasch entscheiden können, da er eine längere Kündigungsfrist hat.«

Sie sprach jetzt so hektisch, daß Dr. Norden sich seine Gedanken machte.

»Natürlich will ich nicht, daß Dr. Ellbrecht meint, ich will ihm die Entscheidung vorwegnehmen«, fuhr sie errötend fort, »aber immerhin handelt es sich um meinen zukünftigen Mann. Ja, Herr Dr. Norden, ich habe die Absicht, wieder zu heiraten. Hoffentlich werden Sie jetzt nicht auch so böse wie meine Tochter.«

So ist das also, dachte er nun. »Es ist Ihre Privatangelegenheit, Frau Denhard«, erwiderte er zurückhaltend.

»Ja, natürlich ist es das«, erklärte sie mit dem Tonfall eines trotzigen Kindes, »aber Moni hat nicht das geringste Verständnis für mich. Ich war siebenunddreißig, als mein Mann starb, und Sie wissen, daß ich schwere Monate durchstehen mußte. Ich möchte meinen Lebensabend nicht allein verbringen.«

Wozu verteidigte sie ihren Entschluß? Ihm war sie doch schon gar keine Rechenschaft schuldig. Nun war er ganz reserviert.

»Ich würde Ihnen empfehlen, mit Dr. Behnisch zu sprechen. Er weiß besser als ich, wann Dr. Ellbrecht ansprechbar ist. Ich kann Ihnen nur alles Gute wünschen, Frau Denhard.«

Sie verabschiedete sich rasch, sichtlich betroffen, da sie ihn als einen sehr verständnisvollen Arzt kannte. Und sie fand sich von ihrer Tochter Monika, von ihrer Freundin Charlott, nun auch von Dr. Norden unverstanden.

Sie hatte sich in den um fünf Jahre jüngeren Joachim Lippert verliebt, und zumindest bei Charlott war es bestimmt nur der Neid, daß dieser charmante, gutaussehende Mann ihr keine Beachtung geschenkt hatte.

Ein eigensinniger Zug legte sich um Karins Mund. Niemand würde sie hindern, Joachim zu heiraten, und wenn Ellbrecht hartnäckig darauf bestand, selbst die Entscheidungen über die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle zu treffen, würde sie sich mit Joachim eben eine andere Existenz aufbauen. Dann würde sie sich ihr Erbteil auszahlen lassen.

Sie fuhr zur Behnisch-Klinik. Dr. Behnisch konnte sie nicht sprechen, da er sich im Operationssaal befand, aber Dr. Jenny Behnisch, die Frau des bekannten Chirurgen, gab ihr Auskunft.

»Einen kurzen Besuch können Sie Dr. Ellbrecht machen, aber er ist noch sehr geschwächt. Er soll so wenig wie möglich reden.«

Karin Denhard betrat das Krankenzimmer und erschrak. Dr. Ellbrecht war kaum wiederzuerkennen, so bleich und eingefallen war sein Gesicht, so trübe seine Augen, in die jetzt ein Schimmer von Freude kam, als sie an sein Bett trat und seine Hand ergriff.

»Wie lieb, daß du kommst, Karin«, flüsterte er.

»Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt«, brachte sie stockend über die Lippen. »Kaum ist man mal fort, dann passiert etwas.«

»Es ging alles so schnell. Was einem so alles passieren kann.«

Erschöpft schloß er die Augen. Sie spürte, daß ihm das Sprechen schwerfiel. Sie vergaß ihre Probleme.

Leo Ellbrecht war sechsundvierzig, und unwillkürlich mußte sie daran denken, daß ihr Mann ein Jahr jünger gewesen war, als er starb.

»Es wird schon wieder«, murmelte der Kranke. »Hoffentlich geht im Geschäft alles gut. Ich konnte den Neuen gar nicht einarbeiten.«

Den Neuen! Karin erschrak. Er hatte schon einen neuen Verkaufsdirektor eingestellt!

»Du meinst den Verkaufsdirektor?« fragte sie tonlos.

»Ja, es ging auch schnell. Ein erstklassiger Mann.«

Sie konnte nichts mehr sagen. Er hätte es auch nicht gehört. Er war fast unter dem Reden wieder eingeschlafen.

Er hatte also entschieden, ohne sie zu fragen. Aber sie wollte nicht ungerecht sein, denn wann hatte sie sich schon mal darum gekümmert, wer eingestellt wurde oder wer die Firma verließ.

Jedenfalls mußte sie Joachim jetzt sagen, daß es mit dieser Stellung nichts würde.

Und das wollte sie gleich tun.

Sie suchte ihn in dem Hotel auf, in dem er wohnte, seit sie von der gemeinsamen Reise nach Holland zurückgekommen waren.

Er kam ihr mit strahlender Miene entgegen, groß, schlank, sehr elegant gekleidet. Er küßte ihr die Hand und dann die Wange, versicherte ihr, wie bezaubernd sie aussähe und erklärte, daß sie an diesem schönen Tag doch einen Ausflug an den Tegernsee machen könnten.

»Mußt du denn nicht nach Mailand zurück?« fragte sie überrascht.

»Ich habe gerade ein langes Telefongespräch geführt und erklärt, daß ich noch wichtige geschäftliche Besprechungen habe, cara mia. Es ist alles in Ordnung. Wir haben ja auch unsere Pläne für die Zukunft.«

Er war so lässig, so überlegen, so ganz anders als Hermann, ihr Mann, der besonnen, ruhig und vorsichtig in allen Geschäften gewesen war. Aber ohne Leo hätte er es wohl auch nie so weit gebracht, ging es Karin jetzt durch den Sinn.

»Mein Pläne liegen vorerst auf Eis«, gestand sie zögernd ein.

Seine Augenbrauen rückten leicht empor. »Aber wieso denn?«

»Dr. Ellbrecht ist kranker, als ich dachte. Ich habe ihn eben besucht. Ich konnte nicht viel mit ihm sprechen, aber er sagte mir, daß der Posten des Verkaufsdirektors bereits besetzt ist.«

»Na und«, meinte Joachim Lippert sorglos, »vielleicht ist es besser so. Ein neues Leben, eine neue Umgebung, cara mia. Mir ist es lieber, wenn mir nicht ein alter Freund deines Mannes vor die Nase gesetzt wird und an mir herumnörgelt, weil ich eben anders bin als dein Mann. Ich habe Größeres vor. Und jetzt fahren wir hinaus und genießen den schönen Tag.«

»Du bist einmalig«, sagte sie erleichtert.

Er lächelte. »Ich hoffe es, daß ich für dich einmalig bin. Für mich bist du einmalig.«

*

Monika Denhard stieg die Treppe zu Charlott Kirchners Wohnung empor. Seit Hermann Denhard gestorben war, lebte Charlott in dem großen Haus. Für zwei Personen wäre es viel zu groß gewesen. Charlott, Monikas Patin, war schon zu ihnen gezogen, als Hermann krank geworden war, um Monika zu betreuen.

Charlott war Bühnenbildnerin, und nach einer mißglückten Verlobung hatte sie sich nie wieder an einen Mann gebunden.

Ihre Tür stand wie immer offen. Charlott hatte verschlossene Türen.

»Störe ich?« fragte Monika, als sie eintrat.

Charlott blickte von einem Entwurf auf und lächelte. »Du störst nie, Kleines. Komm, setz dich. Ist Kai mal wieder nicht zu Hause?«

Charlott nannte ihre Freundin Kai. Sie war eine Frau, die am liebsten alles kurz und klar sagte. Graumeliertes Haar paßte zu dem interessanten herben Gesicht, das durch gütige graue Augen in seinem strengen Ausdruck gemildert wurde. Liebevoll ruhte ihr Blick auf dem zarten Mädchengesicht, das von übergroßen dunklen Augen beherrscht wurde.

»Sie ist sicher wieder mit diesem Heini unterwegs«, sagte Monika bitter. »Ich verstehe Mama nicht.«

»Ich auch nicht, aber was nützt das, Kleines. In dem Alter spinnen die Frauen manchmal.«

»Du nicht, Charlott«, sagte Monika. Tante hatte sie nie gesagt. Für sie war Charlott eine Freundin, ein Kumpel, und jetzt war sie ihr ganzer Halt.

»Sie wird zu sich kommen, Moni. Sie wird diesen aalglatten Beau durchschauen. Sie ist doch nicht dumm. Sie fühlt sich nur geschmeichelt.«

»Sie will ihn heiraten, Charlott.«

»Ach was, das denkst du bloß.«

»Sie hat es mir heute morgen gesagt, bevor sie wegging, und sie wird ihn zum Verkaufsdirektor machen.«

»Geht doch gar nicht. Die Stellung ist besetzt. Leo hat es mir gesagt.« Eine steile Falte war zwischen Charlotts schöngeschwungenen Augenbrauen erschienen. »Leo würde dieses Spielchen auch gar nicht mitmachen.«

»Dann denkt Mama sich was anderes aus. Sie ist völlig chloroformiert, gibt ein irres Geld für diese Modellagen aus, damit ihr Gesicht schön glatt und jung bleibt.«

»Das ist auch so eine Marotte«, sagte Charlott. »Aber solange sie das Geld nur für sich verbraucht, soll es uns egal sein.«

»Das sagst du nur so. Dir ist es gar nicht egal.«

»Was soll ich tun, Moni? Auf mich hört sie doch auch nicht mehr, seit ihr dieses Mannsbild über den Weg gelaufen ist. Und ich muß jetzt einen Riesenauftrag erfüllen. Du kannst mit mir nach Paris kommen, wenn du willst. Übermorgen muß ich fliegen. Ich bleibe zwei Wochen dort. Du brauchst auch mal Tapetenwechsel.«

»Ich kann doch nicht den Vorlesungen fernbleiben.«

»So klug wie du bist, schon. Du holst das wieder auf.«

»Ich kann nicht weg, Charlott. Dann nistet er sich hier ein. Das muß ich verhindern. Schließlich gehört das Haus mir zur Hälfte. Nein, ich werde nicht einfach zuschauen, wie er sich hier breitmacht, das bin ich Papa schuldig. Ich werde meine Interessen wahrnehmen, und wenn es dadurch zum Bruch mit Mama kommen sollte.«

Soweit ist es schon gekommen, dachte Charlott beklommen. Alles wegen so einem Mannsbild. Sie konnte ihn schon deshalb nicht ausstehen, weil er sie an jenen Mann erinnerte, an den sie ihr Herz gehängt hatte und der sie dann so schmählich hintergangen hatte. Aber jetzt dachte sie vor allem an Moni, denn an das Mädchen hatte sie all ihre ungenutzten Muttergefühle verschwendet. Es gefiel ihr gar nicht, daß sie für zwei Wochen kein wachsames Auge auf Moni haben konnte.

»Ich werde heute nachmittag Leo besuchen, kommst du mit?« fragte sie.

»Es wird zuviel für ihn. Frau Dr. Behnisch hat gesagt, wir sollen ihn nur in Zeitabständen und abwechselnd besuchen. Und mir würde er gleich anmerken, daß etwas nicht im Lot ist.«

»Du bist ein kluges Mädchen, Moni. Verhalte dich auch klug Kai gegenüber.«

»Ich finde Lippert widerwärtig, und ich kann mich nicht verstellen«, sagte Moni. »Ich bin froh, daß ich dich habe. Du würdest solche Dummheiten niemals begehen.«

»Ich habe sie hinter mir, mein Liebes«, sagte Charlott trocken, »aber da war ich nicht viel älter als du, und ich bin darüber hinweggekommen.«

*

Charlott fuhr gegen drei Uhr zur Behnisch-Klinik. Vorher hatte sie schnell für Moni und sich ein schmackhaftes Mittagsmahl zubereitet. Sie machte alles mit leichter Hand, aber alles gelang ihr, was sie anfaßte.

Sie war eine tüchtige Frau und konnte sehr gut ohne Mann auskommen, was aber nicht ausschloß, daß Leo Ellbrecht doch einen Platz in ihrem Herzen einnahm. Er war ihr bester Freund, ohne daß sie je ein Wort darüber verloren hätte.

Sie hatte nach der Operation die ganze Nacht an seinem Bett gesessen, doch davon wußte nicht einmal Moni etwas.

Sie wußte, daß es für Leo ein harter Schlag sein würde, wenn er von Karins Heiratsplänen erfuhr. Das wenigstens mußte sie verhindern, wenn sonst auch nichts mehr verhindert werden konnte. Er mußte erst gesund werden.

Am liebsten hätte sie die Reise nach Paris verschoben, aber das konnte sie nicht. Eine solche Chance konnte sie sich nicht entgehen lassen, die wurde einem nur alle paar Jahre mal geboten, und sie mußte schließlich auch an ihr Alter denken, für das sie allein sorgen mußte.

Leo Ellbrecht schlief noch, als sie kam. Sie brauchte nicht erst um Erlaubnis zu fragen, ob sie zu ihm dürfe. Die Behnischs wußten, daß Dr. Ellbrecht von dieser Frau nichts zu befürchten und nur Gutes zu erwarten hatte.

Mit Jenny Behnisch hatte sich Charlott auf Anhieb blendend verstanden. Im Charakter lagen sie ganz auf einer Linie.

Und als Charlott den Kranken jetzt betrachtete, wußte sie, daß es ihm schon etwas besser ging. Hoffnung und Freude erfüllte sie und zeigte sich in ihrem Gesicht, als er dann die Augen aufschlug.

»Meine treue Charlott«, sagte er leise. »Ich habe gut geschlafen. Karin hat mich besucht.«

Ein Hauch von Wehmut ergriff Charlotts Herz, aber sie ließ sich davon nicht hinreißen.

»Sie wird dich sicher öfter besuchen. Ich muß übermorgen nach Paris, aber Moni wird dich auch besuchen, Leo. Und wenn ich zurückkomme, bist du wieder gesund.«

»Hoffentlich, ich werde dich vermissen«, murmelte er.

»Ich hätte den Auftrag nicht angenommen, wenn ich gewußt hätte, daß du in die Klinik mußt«, sagte sie ungewollt, und dann erschrak sie, als sie es ausgesprochen hatte.

Er lächelte flüchtig. »Dir ist es zuzutrauen, daß du die besten Geschäfte fahren läßt, um einem alten Esel beizustehen.«

»Du bist kein alter Esel. Du bist mein bester Freund.«

»Schön, daß du das sagst. Wenn Karin doch auch so empfinden würde, aber sie ist mir fremd geworden in den letzten Wochen. Ich kann es nicht erklären, aber findest du nicht auch, daß sie sich verändert hat?«

»Sie tut halt was für ihre Schönheit«, sagte Charlott.

»Findest du? Meinst du nicht, daß ihr Gesicht leer ist?«

»Du hast sie durch einen Schleier gesehen, Leo«, sagte Charlott etwas zu forciert. »Du hättest lieber auf dich schauen sollen.«

»Ich bin es Hermann schuldig, daß ich auf sie schaue, Charlott. Ich habe es ihm versprochen. Sie ist nicht wie du. Sie ist nicht so selbständig.«

Hoffentlich bekommt er keinen Schock, wenn er erfährt, wie selbständig sie plötzlich ist, dachte Charlott. Und sie nahm sich vor, ein ganz ernstes Wort mit Karin zu sprechen.

Sie brachte den Kranken auf andere Gedanken. Sie war ein Musterbeispiel an Selbstbeherrschung, und sich selbst hatte sie stets nur im Beruf wichtig genommen.

»Plöner ist ein guter Mann«, sagte Leo plötzlich. »Ich denke, daß ich mich auf ihn verlassen kann, wenn er sich auch gerade erst bei uns einarbeitet. Er hat Erfahrung. Ich halte nichts von den jungen Hüpfern, die sich selbst überschätzen und dann nur Schwierigkeiten machen.«

»Du warst gerade dreißig, als du dich mit Hermann zusammengetan hast«, sagte Charlott lächelnd, »auch ein junger Hüpfer.«

»Aber für mich war die Arbeit mein Leben. Heutzutage geht es doch nur ums Geldverdienen.«

»Nicht bei allen. Man darf nichts verallgemeinern, Leo«, sagte Charlott. »Schau auf Moni. Sie nimmt das Leben auch nicht leicht.«

»Sie nimmt es wieder zu schwer. Sie ist so schön wie ihre Mutter, aber so ernsthaft wie ihr Vater. Ich liebe sie wie eine Tochter.«

»Ich auch, Leo, wenigstens das haben wir gemeinsam.«

»Wir haben viel mehr gemeinsam, Charlott. Wir sind doch zwei, die ganz allein ihren Weg gegangen sind.« Er nahm ihre Hand und zog sie an seine schmalen trockenen Lippen. Seine Stimme war wieder sehr müde geworden.

Sie beugte sich herab und küßte ihn auf die Stirn. Auch das geschah unbewußt.

»Werd bald gesund, Leo«, sagte sie leise und sehr innig. Und für sich dachte sie: Wir brauchen dich so nötig, ich, Moni und vielleicht auch Karin. Aber selbst wenn Karin ihn noch mehr brauchen sollte als sie, eines Tages vielleicht, wollte sie nicht hadern. Sie hatte verzichten gelernt. Sie wollte nur festhalten, was ihr in diesem Leben wert war, und zu ihrem großen Schmerz entglitt ihr Karin ja nun mehr und mehr. Es wuchsen Barrieren zwischen ihnen, Mauern, die fast unüberbrückbar schienen. Für eine Frau wie Charlott war das sehr schlimm, denn ihre Freundschaft zu Karin war bereits in Kindheitstagen entstanden. Ihre Eltern waren befreundet gewesen. Beide Väter waren im Krieg gefallen. Beide Mütter hatten sich gemeinsam durch schwere Zeiten hindurchgeboxt, um ihren Einzelkindern dennoch eine schöne Jugend zu bereiten.

Karin und Charlott hatten die Schulzeit von Anfang bis zum Abschluß gemeinsam bewältigt, und Charlott war die treibende Kraft gewesen, daß Karin durchgehalten hatte und auch niemals sitzengeblieben war.

All diesen Gedanken hing Charlott nach, als sie die Klinik verließ. Sie hatte gewartet, bis Leo wieder fest schlief.

Und sie ließ ihre Gedanken noch in der Vergangenheit verweilen. Karin hatte Hermann Denhard schon während der Schulzeit kennengelernt. Er studierte, war neun Jahre älter als sie und bereits fertiger Betriebswirt, als die Mädchen das Abitur machten.

Die Verlobung folgte schnell und die Hochzeit dann auch bald, als Hermann die Firma seines Onkels übernahm, der ohne Erben gestorben war. Monika wurde geboren, als Karin knapp einundzwanzig Jahre alt war. Es ging ihr einige Wochen gar nicht gut, und Charlott hatte ihr Patenkind liebevoll versorgt. Mit Hermann hatte sie sich prächtig verstanden. Es war alles so geblieben, bis Hermann starb, und auch danach noch, bis Karin vor drei Monaten diesen Joachim Lippert kennenlernte. Und jetzt soll das alles aus sein, wegen so einem Kerl, dachte Charlott. Nein. Moni hat recht, wenn sie ihm die Stirn bietet.

Aber so klug Charlott auch war, sie dachte nicht an die Folgen, die das noch nach sich ziehen könnte, denn sie hatte damals kurzen Prozeß gemacht mit jenem Hans Sebering.

Sie hatte nicht gezögert, einen Schlußstrich zu ziehen, als sie merkte, daß er sich auf ihre Kosten ein angenehmes Leben bereiten wollte, als er ihr sagte, sie sei nicht die einzige Frau auf der Welt, und so schön wäre sie nun auch wieder nicht, daß sie sich etwas darauf einbilden könnte.

Charlott verkaufte sich nicht unter ihrem Wert. Und ihres Wertes war sie sich schon bewußt, denn sie brauchte niemanden, der für sie zahlte. Sie hatte sehr schnell ihren eigenen Weg gefunden, während Karin die verwöhnte Frau von Hermann Denhard geworden war.

Nein, Neid war es bestimmt nicht, was Charlott so aggressiv stimmte. Ihre Gefühle für Karin und Monika waren zu tief, zu echt, als daß sie niedriger Empfindungen fähig gewesen wäre.

Sie hatte Angst, eine Beklemmung, die ihr den Atem raubte, die sich dann aber legte, als sie Moni vor der Gartentür im Gespräch mit Wolf Erdmann antraf, diesem jungen Mann, der vor zwei Monaten im Nachbarhaus die Mansardenwohnung bezogen hatte.

Der junge Mann gefiel Charlott. Sie hatte schon des öfteren bemerkt, daß Moni mit ihm sprach.

Er machte jetzt eine höfliche Verbeugung, als Charlott aus dem Wagen stieg.

Er war mittelgroß, immerhin noch einen halben Kopf größer als die zierliche Moni, sehr schlank und tadellos gekleidet. Er hatte fast schwarzes Haar und dunkle Augen, ein fast romanischer Typ. Monika wurde sehr verlegen, als Charlott ihm ungezwungen die Hand reichte.

»Habt ihr Lust, eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken?« fragte sie leichthin. »Mir ist nach Gesellschaft. Wie ist es, Herr Erdmann? Es ist doch schon ziemlich kühl hier draußen.«

»Wenn es dir nichts ausmacht, Charlott«, sagte Monika.

»Im Gegenteil. Leo geht es schon etwas besser. Herein mit euch.«

»Und wenn Mama kommt?« fragte Monika.

»Na, wenn schon, ich kann doch einladen, wen ich will.«

*

Karin hatte vergessen, wie spät es schon war. Die Landschaft, die so romantisch war, hatte sie nur kurz genießen können. Joachim Lippert schien für die Schönheit der Natur ohnehin nicht viel übrig zu haben. Er entschuldigte sich damit, daß es doch schon empfindlich kühl sei und er keinen Mantel mitgenommen hätte.

Sie hatten in einem sehr schönen, exklusiven Restaurant gespeist. Recht gut, wie Karin feststellte, nicht dem Preis entsprechend, wie Joachim Lippert ungehalten bemerkte. Und dann hatte er sie zum Spielcasino gezogen. Um drei Uhr wurde es geöffnet. Zehn Minuten später war Karin von dieser ihr noch so fremden Welt eingefangen worden.

Die Roulette-Tische waren schnell belagert, und Karin staunte, welch unscheinbare Leute da mit großen Geldscheinen um sich warfen.

Joachim hatte einen Fünfhundertmarkschein lässig in Jetons umgewechselt. Und was er auch setzte, er gewann.

»Du bringst mir Glück, cara mia«, sagte er lachend. »Glück in der Liebe und Glück im Spiel.« Und sie war selig.

Doch wenig später schlug das Glück in Pech um. Joachim Lippert wurde nervös, als Karin sagte, er solle doch besser aufhören.

»Geh doch zu den einarmigen Banditen«, sagte er.

Sie starrte ihn bestürzt an. »Was soll das?« fragte sie heftig.

»Das sind Spielautomaten, an denen sich vor allem Frauen vergnügen können«, erwiderte er. »Du wirst deinen Spaß haben. Und wenn du nichts gewinnst, sagst du adieu. Ich zeige es dir.«

Sie hatte das Gefühl, daß er bei diesem aufregenden Roulette allein sein wollte. Sie hatte sein Gesicht gesehen, ein verändertes Gesicht, als er verlor. Und sie sah die fanatischen Mienen der anderen Spieler, auch der Frauen, die völlig abwesend nur auf die Zahlen und die rollende Kugel starrten, als könnten sie beides hypnotisieren.

Sie atmete auf, als sie etwas frischere Luft atmete, doch dann führte Joachim sie zu einem Raum, in dem es viel lauter zuging.

»Amüsier dich, nachher hole ich dich ab und wir essen im Restaurant. Man kann da sehr gut essen. Keine Angst, Karina, ich ruiniere mich nicht.«

Er war wieder die Treppe hinauf, bevor sie noch etwas sagen konnte. Sie stand da und blickte sich um. Es waren nicht nur Frauen in dem Raum, auch Männer, und sie waren genauso fasziniert wie die da droben am Roulette. Aber Karin sah, wie immer wieder Geld aus den Automaten klapperte, einmal mehr, einmal weniger.

Sie ging von einem zum andern, amüsiert, interessiert, weil sie so etwas noch nie kennengelernt hatte. Sie sah, daß man in manche Automaten nur eine Mark hineinzuwerfen brauchte, in andere Zweimarkstücke, in die wenigeren Fünfmarkstücke.

Sie nahm ihr Portemonnaie heraus, in dem sich ziemlich viel Kleingeld befand. Fasziniert betrachtete sie eine alte Frau, die bescheiden gekleidet war und neben der ein Körbchen mit Markstücken stand, in das sie immer wieder hineingriff, einwarf, den Hebel drückte, aber es kam nichts mehr, bis sie auch das letzte Markstück hineingefüttert hatte.

»Wie gewonnen, so zerronnen«, sagte die alte Frau tonlos und sah Karin an. »Ich habe kein Geld mehr, aber wenn Sie Geduld haben und Geld genug, müssen Sie gewinnen.«

»Ich weiß gar nicht, wie das läuft«, sagte Karin.

»Das kriegen Sie bald heraus. Einwerfen, drücken, dann sieht man schon, wie es läuft. Sie könnten auch mehrere Markstücke einwerfen, zwei oder drei, dann gibt es doppelten oder dreifachen Gewinn.«

»Lustig«, sagte Karin.

»Lustig ist es nicht mehr, wenn man verliert«, sagte die alte Frau, »und wenn man es nicht mehr lassen kann, aber Sie sehen so aus, als täte es Ihnen nicht weh, wenn Sie verlieren.«

»Ich werde mich auf die Probe stellen, aber so viel Kleingeld habe ich gar nicht.«

»Sie können es eintauschen an der Kasse«, sagte die Frau.

Karin warf schon ein Geldstück ein und zog den Hebel. Das fiel ihr gar nicht so leicht. Aber gleich darauf begann es zu klappern, und staunend sah sie, daß mindestens zehn Markstücke herausgefallen waren. Sie lachte auf und fütterte den Automaten, und immer mehr Geld kam heraus. Aber dann trat eine Stockung ein.

Die alte Frau stand immer noch neben ihr. »Sie müssen es riskieren. Er muß alles herausspucken. Er ist fällig.«

Karin wurde das Gerede lästig. Sie drückte der Frau zehn Markstücke in die Hand. »Versuchen Sie es doch an einem andern Automaten«, sagte sie.

Dann merkte sie nicht mehr, daß manche Blicke auf

ihr ruhten, so fasziniert war sie, und plötzlich hörte es nicht mehr auf zu rasseln. Das Geld fiel ihr nur so entgegen.

Starr vor Staunen stand sie da. »Ist der Apparat kaputt?« fragte sie den Mann, der neben sie trat und ihr einen Korb hinhielt.

»Sie haben den Jackpot«, sagte der.

»Was ist das?« fragte Karin verwirrt.

»Sie haben alles gewonnen, was in dem Automaten war«, erklärte er.

»Wieviel?« fragte sie.

»Das können wir zählen, oder wollen Sie die Markstücke mitnehmen?«

»Das wäre mir zu schwer«, lachte sie übermütig. »Das finde ich toll. Wenn ich das meiner Tochter erzähle ...«, sie kam nicht weiter, denn eine feste Hand griff nach ihrem Arm.

»Das tust du besser nicht, Karin«, sagte Joachim Lippert. »Du hast Glück. Tauschen wir das Geld um.«

Plötzlich war er wieder da, und sie fühlte sich nicht mehr frei und unbeschwert. Sie konnte nicht mehr fröhlich lachen, denn seine Miene war düster.

Sie bekam fast achthundert Mark. »Ich habe jetzt fast das Doppelte verspielt«, sagte Joachim grimmig.

»Du kannst meins haben. Ich habe nichts verloren«, erwiderte sie.

Er trat einen Schritt zurück. »Meinst du, ich will dein Geld?« fragte er verdrossen. »Du hast eine komische Einstellung.«

»So habe ich es doch nicht gemeint, Joachim. Wir wollten essen gehen. Ich lade dich ein, aber zuerst muß ich mir die Hände waschen. Und schau mal, wie meine Nägel gelitten haben. Einmal und nicht wieder.«

»Du solltest lieber Roulette spielen, da macht man sich die Hände nicht so schmutzig«, sagte er.

»Vorhin hast du mich zu den einarmigen Banditen geschickt«, lächelte sie. »Ich habe gewonnen und habe genug von dem Spaß.«

»Du hast eine Glücksträhne«, sagte er.

»Du hattest vorhin auch eine, und du hast alles wieder verspielt. Wie gewonnen, so zerronnen. Ich mache das nicht. Ich finde es lustig, daß ich gewonnen habe.«

»Fahren wir lieber gleich zurück. Wir können in der Taverne essen«, sagte er. »Monika wird auf dich warten. Ich denke, wir sollten sie abholen.«

Karin machte ein schuldbewußtes Gesicht. »Lieb, daß du daran denkst. Ich habe gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist.«

»Es ist sieben Uhr vorbei. Bis wir in München sind, wird es acht.«

»Lieber Himmel!« rief sie aus. »Da wird Moni freilich warten. Ich werde sie schnell anrufen.«

»Laß das lieber. Sie freut sich, wenn wir kommen.«

Davon war Karin nicht überzeugt, aber sie wollte Joachim nicht sagen, wie feindselig Moni ihm gegenüber eingestellt war.

»Sei besonders nett zu ihr«, sagte sie, »ich habe ein ganz schlechtes Gewissen.«

*

Moni hatte mit Charlott und Wolf Erdmann zwei gemütliche Stunden verbracht, dann hatte er sich höflich dankend verabschiedet.

»Es wäre nett, wenn Sie sich ein bißchen um Moni kümmern würden, Herr Erdmann«, sagte Charlott. »Ich muß übermorgen für vierzehn Tage nach Paris.«

»Das werde ich sehr gern tun, gnädige Frau«, sagte Wolf. »Aber leider bin ich immer erst nach fünf Uhr zurück.«

»Wo sind Sie eigentlich beschäftigt?« fragte Charlott.

»In einem Forschungsinstitut«, erwiderte Wolf. »Ich bin Elektroingenieur.«

»Sie sind doch aber noch ziemlich jung«, sagte Charlott erstaunt, »ich dachte, Sie studieren noch.«

»Ich hatte Glück. Studium beendet und gleich eine ausbaufähige Stellung. Da muß man froh sein.«

»Die Leistung macht’s«, sagte Charlott. »Es war nett. Sie näher kennengelernt zu haben.«

»Ich bedanke mich«, sagte Wolf.

Monika hatte ihn hinausbegleitet. »Habe ich zuviel versprochen«, sagte sie zu Wolf. »Ist Charlott nicht eine tolle Frau?«

»Eine sehr kluge Frau«, erwiderte er. »Es waren erlebnisreiche Stunden. Sehen wir uns morgen wieder, Monika, oder haben Sie etwas anderes vor?«,

»Ich komme ungefähr gegen vier Uhr aus der Stadt und gehe schnell noch zum Friseur. Spitzen schneiden. Dann besuche ich noch Dr. Ellbrecht in der Behnisch-Klinik.«

»Da müßte ich auch einen Besuch machen. Ein Kollege hat sich das Bein gebrochen. Wir könnten uns dort treffen«, sagte er.

»Gern«, erwiderte sie errötend.

Charlott wußte nicht, daß die beiden jungen Menschen sich erst an diesem Tag nähergekommen waren und daß sie mit dazu beigetragen hatte.

Sie konnte auch nicht mit Moni über Wolf Erdmann sprechen, denn als Moni wieder die Treppe emporsteigen wollte, hielt ein Auto.

»Es wird Mama sein!« rief Moni hinauf.

»Dann red erst mit ihr«, sagte Charlott. Aber sie vernahm neben Karins auch Joachim Lipperts Stimme.

»Wir sind ein wenig spät, Monika«, sagte er, »aber Sie werden sicher noch nicht gegessen haben. Sind Sie startbereit?«

»Nein«, erwiderte Monika kalt. »Ich habe gegessen und wollte früh zu Bett gehen.«

»Kannst du nicht mal eine Ausnahme machen, Moni?« fragte Karin.

»Nein, Mama. Ich möchte nicht ewig studieren. Und ich würde ja doch nur stören.«

»Aber Moni, so dürfen Sie doch nicht denken«, sagte Lippert.

»Ich habe Ihnen nicht gestattet, mich Moni zu nennen. Viel Vergnügen, Mama.«

Charlott hörte, wie sie die Tür ihres Zimmers zuschlug.

»Da kann man nichts machen, Joachim«, sagte Karin, und Charlott ertappte sich dabei, daß sie noch immer lauschte. »Gehen wir also, das Kind wird schon noch zur Vernunft kommen.«

Karin wollte jetzt und gerade an diesem Tag auf keinen Fall eine Szene mit Monika heraufbeschwören, denn ihr lag daran, mit Joachim über die Zukunft zu sprechen.

*

Sie waren weggefahren. Monika kam wieder zu Charlott.

»Hast du es mitgekriegt?« fragte sie tonlos. »Sie ist

unrettbar verloren, und dieser Kerl ist so mies, daß ich ihn anspucken könnte. Schleimig ist er, aber warum merkt Mama das nicht, sie ist doch doppelt so alt wie ich?«

»Ha, das ist das Übel, mein Kleines, wenn man früh schlechte Erfahrungen macht, wird man schnell klüger, aber Karin hatte einen Mann, der untadelig war, und sie glaubt nicht, daß andere so übel sein können. Sie hat eben noch keine schlechten Erfahrungen gemacht.«

Monika wußte von den schlechten Erfahrungen, die Charlott gemacht hatte. Alles, was sie über zwischenmenschliche Beziehungen wußte, hatte sie von Charlott mitgeteilt bekommen.

Problemen war Karin immer gern aus dem Weg gegangen. Als ihr Mann dann erkrankte, hätte sie alle Probleme ohne Charlotts Hilfe nicht bewältigt, und Monika war da gerade in einem schwierigen Stadium der Pubertät gewesen. Zu Charlott hatte sie immer kommen können.

»Mama müssen doch die Augen einmal aufgehen«, sagte Monika niedergeschlagen. »Warum vertraut sie diesem Mann so blindlings, warum zieht sie nicht erst Erkundigungen über ihn ein, wie Leo es tun würde. Wie er es bestimmt getan hätte, wenn er wüßte, daß Mama diesen Lippert als Verkaufsdirektor anstellen wollte.«

Ja, Erkundigungen müßte man einziehen über ihn, dachte Charlott, aber wo sollte man da ansetzen? Sie wußten ja fast nichts über diesen Mann.

»Was weißt du über ihn?« fragte sie vorsichtig.

»Daß er im Rosenhof wohnt und einen Chevrolet fährt«, erwiderte Monika. »Und daß er nach Mamas Worten ein ungeheuer interessanter, weitgereister und tüchtiger Mann ist.«

»Ja, die Sprüche kenne ich auch«, sagte Charlott ironisch.

»Er bringt Mama soweit, daß sie für ihn alles aufgibt, auch mich.«

»Aber er wird einiges erwarten, mein Kleines. Wenn sie nichts hätte, wäre Karin nicht interessant für ihn.«

»Das habe ich ihr gesagt, aber sie hat mich ausgelacht und ist wütend geworden. Wenn Papa das wüßte!«

Ja, wenn der gute Hermann das wüßte, dachte Charlott, aber sie wollte Monika das Herz nicht noch schwerer machen.

»Leo darf es vorerst jedenfalls nicht erfahren«, sagte sie. »Er würde das nicht verkraften.«

*

Karin dachte bei all ihren Zukunftsplänen auch an Leos Gesundheit. Und es berührte sie doch sehr eigenartig, als Joachim Lippert sagte, daß alle Schwierigkeiten mit einem Schlag beseitigt sein würden, wenn Dr. Ellbrecht nicht wieder gesund würde.

»Bitte, sag so was nicht«, murmelte sie.

»Er braucht ja nicht gleich zu sterben. Nimm es nicht so wörtlich, Karin. Aber ich kann einfach nicht einsehen, daß du dich geschäftlich so völlig von ihm abhängig gemacht hast. Er kann dich doch übers Ohr hauen, wie es ihm paßt.«

»Nein, das tut er nicht, und ich verstehe überhaupt nichts von Geschäften«, sagte sie. »Leo ist ein Ehrenmann.«

»Warum hast du ihn dann nicht geheiratet?« fragte er spöttisch.

Bestürzt blickte sie ihn an. »Daran haben wir beide nicht gedacht. Du sollst so nicht reden, Joachim.«

»Ich bin eben eifersüchtig, kannst du das nicht verstehen? Du nimmst auf alle und jeden Rücksicht, auf deine Tochter, auf deine Freundin, auf deinen Leo, und ich komme mir blöd vor.«

»Ich habe dich nicht im unklaren gelassen, daß ich gewisse Rücksichten nehmen muß. Meine Verhältnisse werden geklärt werden, wenn Leo gesund ist. Wenn wir verheiratet sind, wird er mir mein Vermögen auszahlen, wenigstens einen Teil. Was hast du eigentlich vor?«

Er kniff die Augen zusammen. »Ich muß erst wissen, über wieviel Kapital ich verfügen kann. Ich will mich nicht verschlechtern, Karin«, erklärte er arrogant. »Das kannst du nicht von mir erwarten.«

»Du brauchst doch deine Position nicht gleich aufzugeben«, sagte sie.

Wie töricht sie doch ist, dachte er, aber er lächelte.

»Das habe ich nicht vor, meine Liebe!«

»Ich würde gern mit nach Mailand kommen.«

Er runzelte leicht die Stirn. »Das eben hat einen Haken. Mein Chef möchte, daß ich seine Tochter heirate, und es käme gleich zum Bruch, wenn ich meine Frau mitbringen würde.«

Daß er eine andere heiraten sollte, regte Karin auf.

»Sie ist sicher noch jung«, sagte sie.

»Ja, sie ist jung, aber ich würde meine Zeit nicht mit dir verbringen, wenn ich etwas für sie übrig hätte. Ich habe mich deinetwegen schon ziemlich in die Nesseln gesetzt. Peruzzi will mir meine Provision erst auszahlen, wenn ich wieder in Mailand bin. Verstehst du, er will mich festnageln. Er will mich keinesfalls verlieren. Da sich deine Angelegenheiten so schnell nicht klären lassen, werde ich also nach Mailand zurückkehren.«

»Du kannst doch kündigen, Joachim. Über hunderttausend Mark kann ich verfügen. Damit kannst du doch vorerst disponieren.«

»Damit deine Tochter sagen kann, ich hätte es auf dein Geld abgesehen? Kommt nicht in Frage!«

»Moni braucht es nicht zu wissen. Sie hat ihr eigenes Konto, und eines Tages wird sie bedeutend reicher sein als ich.«

»Wie das?« fragte er.

»Mein Mann hatte für sie Aktien gekauft, als sie fünfzehn wurde. Er war da schon nicht mehr gesund, und er wollte Moni wohl nach allen Richtungen absichern. Diese Aktien sind inzwischen immens gestiegen.«

Sie hätte das wohl besser nicht sagen sollen, aber sie war arglos und vielleicht sogar töricht.

»Aktien können ebenso schnell wieder fallen«, sagte Lippert leichthin, als sei er völlig desinteressiert und noch ahnte Karin nicht, was sie mit dieser unbedachten Bemerkung angerichtet hatte.

»Ich werde mir alles durch den Kopf gehen lassen Karin. Wenn ich meine Aktien abstoße, bringe ich vorerst auch hunderttausend zusammen. Mit zweihunderttausend läßt sich schon etwas anfangen. Ein paar Tage brauche ich Zeit bis ich alles durchdacht habe. Ich bin ein vorsichtiger Mann, und schließlich geht es auch um dein Geld. Aber ich danke dir für dein Vertrauen.«

»Vertrauen gehört zur Liebe«, sagte Karin, als er ihr die Hand küßte.

»Du bist eine wundervolle Frau.«

»Wirst du es nicht bereuen eines Tages, eine ältere Frau geheiratet zu haben, Joachim?«

»Das will ich nicht hören. Mit diesen albernen jungen Dingern bin ich nie zurechtgekommen.«

Und das war nicht gelogen, aber Karin wurde sich der Hintergründigkeit dieser Bemerkung nicht bewußt.

*

Es war einundzwanzig Uhr vorbei, als bei Dr. Norden das Telefon läutete.

»Es wäre ja auch zu schon gewesen«, seufzte er, als er das kurze Gespräch entgegengenommen hatte. »Ich muß noch zu Frau Jacobi, Fee.«

Er hätte sich gern die Rundfunkübertragung des Konzertes seines Schwagers David Delorme zu Ende angehört, denn der berühmte Pianist spielte Beethovensonaten. Aber die alte Frau Jacobi war wichtiger.

Sie bewohnte das Haus neben den Denhards, in dem Wolf Erdmann dann schließlich die Mansardenwohnung bezogen hatte.

Die fast achtzigjährige Frau hatte sich lange nicht entschließen können, einen Untermieter hineinzunehmen. Sie war überaus mißtrauisch und seit einiger Zeit kränkelte sie ständig.

Dr. Norden hatte ihr dann zugeredet, Wolf Erdmann die Mansardenwohnung zu geben. Der junge Diplomingenieur war bei ihr wegen einer hartnäckigen Bronchitis in Behandlung gewesen. Dr. Norden hatte herausbekommen, daß er in einem feuchten möblierten Zimmer wohnte. Das sollte eine Übergangslösung sein, da Wolf Erdmann keine passende Junggesellenwohnung finden konnte, die in der Nähe seines Forschungsinstitutes lag. Es war sehr schwierig geworden, überhaupt eine passende Wohnung zu finden, die finanziell tragbar war.

Dann hatte Frau Jacobi einmal erwähnt, daß sie doch bereit sein würde, einen Untermieter aufzunehmen, einen Mann, wenn sie nur wüßte, daß er zuverlässig sein würde. Es passierten in letzter Zeit so viel Einbrüche in dem Villenviertel, daß sie es doch mit der Angst bekommen hätte.

Da Dr. Norden ihr gesagt hatte, daß Wolf Erdmann zuverlässig und anständig sei, hatte sich die alte Frau entschlossen, ihn in ihrem hübschen kleinen Haus aufzunehmen, das nach außen hin nicht aussagte, wieviel Werte in ihm versteckt waren. Frau Jacobi war eigen. Sie sprach nicht über ihr Vermögen. Ihr Mann und ihre beiden Söhne waren vor ihr gestorben. Sie hatte keine Angehörigen mehr, die sie beerben konnten. Sie hatte alles, was sie besaß, bereits einem Waisenhaus vermacht, und solange sie noch rüstig genug war, hatte sie sich auch selbst um dieses Waisenhaus gekümmert. Da sie nie das Glück genießen konnte, für Enkelkinder zu sorgen, hatte sie sich ehrlich bemüht, anderen armen Kindern zu helfen. Schon deshalb war Dr. Norden immer zur Stelle, wenn sie ihn rief, wenn es auch manchmal nur ihr Wunsch war, mit ihm zu sprechen.

Doch diesmal litt sie unter einem heftigen Herzanfall. Wolf Erdmann war bei ihr. Er schaute jeden Abend noch mal bei der alten Dame herein um zu fragen, ob sie irgendwelche Wünsche hätte. Er machte ihr in letzter Zeit auch alle Besorgungen. Und er war es auch gewesen, der Dr. Norden angerufen hatte, weil Frau Jacobi kaum noch sprechen konnte.

Dr. Norden gab Frau Jacobi eine Spritze. Sie wirkte rasch. Die Schmerzen ließen nach, und schon umspielte wieder ein Lächeln ihre Lippen, doch es war ein wehmütiges Lächeln.

»Haben Sie ein bißchen Zeit für mich, lieber Dr. Norden?« fragte sie.

»Soviel Sie wollen, Frau Jacobi«, erwiderte er.

»Sie und der Wolfi sind die nettesten Männer, die ich kennengelernt habe, seit mein Mann und meine Söhne nicht mehr da sind«, sagte sie leise. »Manchmal habe ich mit dem Schicksal gehadert, daß ich sie überleben mußte, aber vielleicht sollte es so sein. Mein Testament ist ja gemacht, aber jetzt würde ich gern etwas geändert wissen. Meinen Sie, daß ich noch so lange lebe, bis das geschehen ist?«

»Ruhe bewahren, Frau Jacobi, das war mal wieder ein Anfall, aber morgen fühlen Sie sich bestimmt schon besser.«

»Weiß man es?« fragte sie. »Es gilt doch, wenn man selbst etwas aufschreibt, so als letzten Willen, und wenn es dann noch von einem Zeugen unterzeichnet wird? Da braucht der Notar doch nicht dabei zu sein?«

»Nein, das braucht er nicht«, erwiderte Dr. Norden, »aber Sie dürfen sich jetzt nicht anstrengen.«

»Es ist ja nicht viel, was ich aufschreiben will«, sagte sie, »aber ich will es gleich tun. Jetzt, wo Sie da sind. Ihnen kann man nichts nachsagen. Ich will doch nur, daß Wolfi seine Wohnung behält. Er ist so ein lieber Bub.

Das Waisenhaus bekommt genug. Für mich habe ich doch kaum noch was gebraucht. Sie haben mir den Jungen

ins Haus gebracht. Sie wissen, daß er gut und anständig ist. Einen solchen Enkel hätte ich so gern haben mögen.«

»Sie sollten jetzt keine Entscheidungen treffen, sondern schlafen«, sagte Dr. Norden.

»Ich kann nicht schlafen, wenn ich das nicht hinter mich gebracht habe. Da drüben, in meinem Sekretär, ist Papier und Schreibzeug. Würden Sie mir das bringen? Sie dürfen mir diese Bitte nicht abschlagen. Es kann mal schnell zu Ende sein, wenn der Wolfi nicht im Haus ist und Sie rufen kann.«

»Sie könnten einige Zeit in der Klinik betreut werden, Frau Jacobi«, sagte Dr. Norden.

»Nein, ich geh’ in keine Klinik. Ich will daheim sterben, hier in meinem Bett«, erklärte sie eigensinnig. »Der Schlüssel steckt. Bitte, bringen Sie mir das Papier.«

Er wollte ihr diese Bitte nicht abschlagen. Er setzte sie auch auf und brachte ihr eine feste Unterlage.

Sie begann zu schreiben und sagte jedes Wort laut vor sich hin. Dr. Norden konnte nur staunen, wie sicher ihre Hand war.

»Ich, Hermine Jacobi, bestimme, daß mein Haus, Parkstraße 10, nach meinem Tode an Wolf Erdmann fällt. Alle anderen ...«, sie blickte auf und sah Dr. Norden mit wachen Augen an, »wie schreibt man das, wenn man ausdrücken will, daß das vorherige Testament in Kraft bleibt?« fragte sie.

»Alle anderen, vorher getroffenen Bestimmungen bleiben davon unberührt«, sagte er nachdenklich. »Sie haben sich das genau überlegt?«

»Ja, genau. Was soll das Waisenhaus mit diesem kleinen Häuschen anfangen? Sie würden es verkaufen, und Wolfi müßte dann ausziehen«, erklärte sie. »Ja, ich habe es mir überlegt. Er kann dann monatlich dreihundert Mark an das Waisenhaus zahlen, so viel, wie er jetzt Miete zahlt.«

Und sie schrieb wieder. Dann blickte sie ihn wieder an.

»Verfaßt im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, das muß ich da wohl hinzufügen«, sagte sie mit einem nahezu verschmitzten Lächeln.

»Das kann ich bestätigen«, erklärte er.

»Dann unterschreiben Sie«, sagte Frau Jacobi.

*

In der kleinen Diele ging Wolf Erdmann auf und ab.

»Wie geht es ihr?« fragte er besorgt, als Dr. Norden herauskam.

»Sie wird jetzt schlafen, aber vielleicht wäre es gut, wenn Sie in der Nähe bleiben würden. In die Klinik will sie nicht.«

»Selbstverständlich«, erwiderte der junge Mann. »Eine Frage, Herr Doktor, geht es Frau Jacobi finanziell schlecht? Ich frage nur, weil sie gar nicht in die Klinik will, und ich möchte auch nicht, daß sie dann, wenn es sein müßte, in der dritten Klasse liegen muß. Ich würde für die Aufzahlung aufkommen.«

Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Dr. Norden lächeln müssen. Der junge Mann schien sich ein gänzlich falsches Bild von der alten Frau gemacht zu haben.

»Schauen Sie sich doch hier einmal um, die Bilder und Teppiche«, sagte er bedächtig. »Ein ziemlicher Wert.«

»Ja, sicher«, sagte Wolf Erdmann verlegen. »Aber ich verstehe auch, daß sie sich von nichts trennen will. Je älter man wird, desto mehr hängt man doch an den Dingen, die einem geblieben sind. Die Menschen, an denen sie hing, hat sie doch verloren.«

»Dafür hat sie jetzt einen netten, fürsorglichen Mieter im Hause«, sagte Dr. Norden, »und ich bin darüber froh. Sie hat sich jetzt schnell erholt. Ihr Herz ist halt müde, und vielleicht hat sie sich mal wieder über etwas aufregen müssen.«

»Über mich gewiß nicht«, sagte Wolf schnell.

»Das weiß ich. Frau Jacobi hat Sie ins Herz geschlossen. Aber es kann ja sein, daß die Putzfrau mal wieder geklatscht hat. Das kann Frau Jacobi gar nicht leiden. Da ist sie ganz anders als die meisten alten Menschen. Also, wenn etwas sein sollte, rufen Sie mich an, ganz gleich, wie spät es ist.«

»Sie können sich darauf verlassen, aber morgen muß ich ja leider ins Institut.«

»Ich schicke eine Pflegerin, das habe ich ihr schon gesagt. Es ist eine zuverlässige Person. Frau Jacobi hat ungern Fremde um sich. Ich kenne sie nun schon einige Jahre.«

»Zu mir war sie bald sehr nett«, sagte Wolf. »Ich habe sie richtig gern. Es ist ja auch schrecklich, wenn man im Alter so allein ist.«

Daran mußte Dr. Norden dann auch denken, als er heimfuhr. Vielleicht hatte Karin Denhard auch schon daran gedacht, wie schrecklich es sein könnte, im Alter allein zu sein. Aber sie hatte immerhin ihre Tochter und ihre Freundin, und in Dr. Ellbrecht hatte sie bestimmt auch einen guten, zuverlässigen Berater. Doch Dr. Norden wußte, daß die Frauen um Vierzig manchmal von Ängsten geplagt wurden und auch Torschlußpanik bekamen, wenn sie sich selbst noch jung fühlten. Und Karin Denhard konnte man noch nicht zur älteren Generation rechnen, ganz gewiß nicht. Dr. Norden rechnete sich auch nicht dazu, und er ging auch so langsam auf die Vierzig zu.

Als er heimkam, war das Konzert gerade beendet. Er vernahm noch die letzten Töne und dann den rauschenden Applaus.

»David wird ja mal wieder tüchtig gefeiert«, sagte er.

»Es war auch phantastisch«, sagte Fee. »Für seine dreißig Jahre hat er eine unvorstellbare Reife. Katja wird wieder strahlen.«

»Anne und Paps dazu«, sagte Daniel. »Aber ich habe auch mal wieder ein bißchen was gelernt.«

»Was?« fragte Fee. »Du kennst doch Frau Jacobi schon gut genug.«

»Ich glaubte sie zu kennen.«

»Wird sie jetzt auch schwierig?« fragte Fee erschrokken.

»Ein bißchen schwierig war sie immer schon, aber ich habe erlebt, wieviel Güte in einem so einsamen Menschen leben kann, wenn er schon so dicht an der Schwelle des Todes steht.«

»Ist es so schlimm? Dann können wir sie doch nicht allein lassen, Daniel«, sagte Fee.

»Sie ist nicht allein. Der junge Erdmann paßt auf sie auf. Da habe ich doch mal ein gutes Werk getan.«

»Weil du das so selten tust«, sagte Fee liebevoll.

»Aber in diesem Fall ist zwei Menschen geholfen. Dieser lieben alten Dame und diesem so überaus begabten und netten jungen Mann. Er hat sich die Wohnung schon verdient.«

Doch von dem Testament sagte er nichts. Dazu hatte er nicht das Recht. Nicht mal seiner Frau gegenüber.

»Hoffentlich kann er sie behalten, wenn sie die Augen schließt«, sagte Fee gedankenvoll. »Aber sie ist ja zäh.«

*

So war es. Frau Jacobi rappelte sich wieder auf. Als Dr. Norden am nächsten Tag nach ihr schaute, zwinkerte sie ihm verschmitzt zu.

»Es geht schon wieder, aber jetzt bin ich ja auch innerlich ganz ruhig. Sie haben den Brief doch Dr. Jentsch gebracht?«

»Das ist geschehen. Er wird bei Ihnen vorsprechen, Frau Jacobi.«

»Weil er neugierig ist«, kicherte sie. »Kann ich mir schon vorstellen. Für ihn als Testamentsvollstrecker tröpfelt ja auch ganz schön was ab, wenn ich meine Augen schließe. Aber Sie werden schon aufpassen, daß alles nach meinem Willen geschieht. Auf Sie kann ich mich ja verlassen. Was ein Glück, daß ich mich wenigstens nicht mit einem Griesgram von Arzt herumärgern muß. Na, dann wäre ich schon längst unter der Erde, und dann hätte ich den Wolfi nicht mehr kennengelernt. Der bringt es mal weit. Und so ein Mädchen wie die Moni würde schon gut zu ihm passen.«

»Moni Denhard?« fragte Dr. Norden.

»Natürlich die Moni von nebenan. Zwischen den beiden spinnt sich was an. Ich sage sonst ja nichts, und man steht ja nur auf Grußfuß, aber die Moni habe ich immer gemocht. Ein liebes Dingelchen. Sie winkt ja auch immer zu mir herüber, und früher haben wir uns über den Zaun hinweg auch unterhalten. Nun denken Sie, daß die alte Jacobi auch das Ratschen anfängt.«

»Aber wie werd’ ich denn, Frau Jacobi! Ich kenne Sie sechs Jahre.«

»Sechs Jahre, und mir kommt es wie eine Ewigkeit vor. Oh, ich weiß es noch, wie Ihre liebe, reizende Frau in der Praxis geholfen hat, und wie ich sie dann mit den Kinderchen manchmal traf. Sie haben das Große Los gezogen, lieber Dr. Norden.«

»Das ganz große, es ist mir bewußt«, nickte er.

»Und dem Wolfi wünsch’ ich es auch. Wäre er doch früher zu mir gekommen, er hätte es leichter haben können, der Bub. Aber er ist ja nicht so einer, der es sich leicht machen will. Er ist nicht so einer wie der, der jetzt dauernd zu Frau Denhard kommt. Ja, wenn ich daran denke, was für ein feiner Mensch der Herr Denhard gewesen ist.« Sie schlug sich leicht auf den Mund. »Nicht soviel reden, alte Hermine«, ermahnte sie sich selbst. »Entschuldigen Sie es bitte, Herr Doktor, aber so a bissel schwatzhaft werde ich auf meine letzten Lebenstage doch noch.«

»Sagen Sie nicht die letzten, Frau Jacobi«, munterte er sie auf.

»Ach, was soll es denn schon. Ein Pflegefall möchte ich nicht werden. Ein bissel nett möchte ich schon noch ausschauen, wenn es in die Grube geht. Meine Lieben sollen mich doch im Jenseits wiedererkennen. Ich glaube nämlich ganz fest daran, daß wir uns wiedersehen. Und ich freu’ mich drauf, wenn sie sagen: ›Da bist ja endlich, Mutterl. Jetzt können wir wieder eine Partie Bridge spielen.‹«

Dr. Norden tat darauf etwas, was ganz selten geschah. Er nahm ihre Hände und zog sie an seine Lippen. Es waren feine, zarte Hände.

»Sie sind eine wundervolle Frau«, sagte er leise, und das klang ganz anders als die fast gleichen Worte, die Joachim Lippert zu Karin Denhard gesagt hatte. Sie klangen andächtig und ehrfürchtig.

»Ein Stückerl von meinem Herzen bleibt bei Ihnen zurück, lieber Dr. Norden«, sagte Frau Jacobi leise. »Sie haben es gehegt und gepflegt. Und das andere Stückerl soll dem Wolfi gehören. Sagen Sie es ihm. Ich kann’s ihm nicht sagen. Er soll nicht meinen, daß er mir etwas schuldig wär’. Aber vielleicht braucht er auch mal einen Menschen, und es wäre gut, wenn Sie dann auch für ihn da sein würden. Man weiß ja nie, was kommt. Das Leben ist voller Überraschungen. Ich mag gar nicht zurückblicken. Aufschreiben müßte man alles. Dicke Bücher würde es füllen, was ich so erlebt habe.«

Als Dr. Norden sie diesmal verließ, hielt ein grünmetallischer Chevrolet vor dem Nebenhaus.

Karin Denhard stieg aus.

»Oh, Dr. Norden«, rief sie überrascht, »es ist doch nichts mit Moni?«

»Nein, ich war bei Frau Jacobi.«

»Ist sie wieder mal krank? Na ja, sie muß inzwischen ja uralt sein. Darf ich Ihnen gleich meinen zukünftigen Mann vorstellen? Herr Lippert – Herr Dr. Norden, unser Hausarzt.«

»Sehr erfreut«, sagte Joachim Lippert.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Dr. Norden, »aber ich muß noch Krankenbesuche machen.«

»Reichlich arrogant, und noch ziemlich jung«, stellte Joachim Lippert nach diesem schnellen Abschied pikiert fest.

»Sehr beschäftigt«, sagte Karin. »Keineswegs arrogant, sehr tüchtig und mit einer bildschönen Frau verheiratet.«

»Es gibt keine schönere Frau als dich, Karina«, sagte er.

»Schmeichler«, lächelte sie, »aber Fee Norden ist wirklich bezaubernd.«

»Dann brauche ich wohl wenigstens nicht eifersüchtig zu sein.«

Sie lachte auf. »Ganz bestimmt nicht Dr. Norden ist der beliebteste Arzt im weiten Umkreis, aber als Mann eine uneinnehmbare Festung.«

»Hast du es ausprobiert?«

Ihr Gesicht wurde ernst. »Nein, er hat mir sehr geholfen, als Hermann so krank war. Er war Tag und Nacht zur Stelle, wenn ich ihn brauchte, wenn Hermann ihn brauchte, um es besser zu sagen. Aber ohne ihn hätte ich diese schweren Monate nicht durchgestanden.«

»Ich werde dich für alles entschädigen«, sagte er, »für alles, cara mia.«

Und sie glaubte solchen Worten so gern.

*

Monika war nicht daheim. Sie war jetzt in der Klinik bei Leo.

Sie hatte ihm ein reizend eingebundenes Spruchbüchlein mitgebracht anstelle von Blumen.

»Weisheiten, an denen man sich emporziehen kann, Leo«, sagte sie. »Aber du bist ja selbst schon so weise.«

»Nie genug, mein Kleinchen«, sagte er liebevoll. »Wie geht es daheim?«

»Wie immer«, erwiderte sie ausweichend, denn auch sie war darauf bedacht, ihm keinen Kummer zu bereiten.

»Karin könnte sich doch mal mit Herrn Plöner bekannt machen. Würdest du es ihr sagen, Moni?«

»Mama versteht doch nichts von Geschäften. Sie weiß bestimmt nicht, was sie mit ihm reden soll. Du wirst schon die richtige Wahl getroffen haben, Leo.«

»Er war gerade drei Tage im Geschäft, als mir das passierte. Schließlich ist Karin ja Teilhaberin. Der Form halber sollte sie ihn begrüßen.«

»Ich werde es ihr sagen«, erwiderte Monika. »Jetzt mach dir nicht so viel Gedanken ums Geschäft, Leo.«

»Muß ich doch. Ich muß für euch sorgen. Ich habe es deinem Vater versprochen, Moni. Aber ich frage mich jetzt auch, was passieren würde, wenn ich draufgegangen wäre.«

»Du darfst es nicht sagen, Leo«, flüsterte das Mädchen. »Was wären wir ohne dich?«

»Ich möchte ja auch noch da sein, bis du fertig bist mit dem Studium und vielleicht doch einen gescheiten Mann heiratest, der mal alles übernehmen kann. Das muß gesagt werden, meine Kleine. Es kann plötzlich aus sein. Jetzt habe ich eine Kostprobe bekommen. Es wäre zu schrecklich, wenn ich eines Tages mit meinem Freund Hermann da droben sitzen würde und wir würden nur auf Scherben blicken.«

»Jetzt hörst du aber damit auf. Ich fahre nachher gleich ins Büro und mache mich mit Herrn Plöner bekannt. Und du gibst hier Ruhe. Wie soll Charlott denn ihren Auftrag in Paris ruhig erfüllen können, wenn sie weiß, mit was für Gedanken du dich herumplagst.«

»Meinst du, daß sie an mich denkt?« fragte er verwundert.

»Und wie. Du hast anscheinend keine Ahnung, wie sehr sie sich um dich sorgt. Bist du eigentlich blind und taub, Leo?«

»Was meinst du damit?«

»Ich sage dir was, was Charlott nicht eingestehen wird. Du bist der einzige Mann, der ihr etwas bedeutet. Sie hadert immer noch mit ihrer Jugendtorheit und will es beileibe nicht zugeben, daß sie ihr Herz doch noch verloren hat. Aber ich sage dir, eine bessere Frau als Charlott kannst du gar nicht finden, du Eigenbrötler. Und wenn du wieder auf den Beinen bist, würde ich an deiner Stelle mal ein paar Tage mit ihr wegfahren.«

»Ich würde sie gar nicht wagen zu fragen«, murmelte er.

»Das ist eben der Fehler. Ihr versteht euch und redet doch aneinander vorbei, edel, wie ihr beide seid. Sie denkt an mich, du denkst daran, daß du für Mama und mich sorgen muß, und an euch selbst denkt ihr beide nicht. Vielleicht denkt Charlott sogar, daß du dein Herz an Mama verloren hast.«

Monika ging aufs Ganze. Sie wollte herausbringen, was Leo wirklich fühlte.

»Charlott kann ihr Leben selbst meistern, aber Karin käme nicht zurecht«, sagte er leise. »Ich habe deinem Vater das Versprechen gegeben, daß ich für euch sorgen werde. Das halte ich.«

»Nun paß mal auf, Leo, nehmen wir mal an, Mama würde sich wieder verheiraten wollen, was würdest du dann sagen?«

»Ich hätte nichts dagegen einzuwenden«, erwiderte er zu ihrer Überraschung.

»Und wenn sie nun darauf bestehen würde, ihr Erbteil ausgezahlt zu bekommen?«

»Dann würde sie es bekommen«, erwiderte er.

»Sie könnte ja einem Mitgiftjäger in die Hände geraten, tastete sich Monika vorsichtig vorwärts.

»Dazu ist sie doch zu erfahren«, sagte er. »Warum schneidest du das Thema an?«

»Nur so. Es geht mir manches durch den Sinn. Mama ist ja noch jung, aber sie ist auch ziemlich naiv. Sie war jetzt sogar auf einer Schönheitsfarm. Sie sieht phantastisch aus, das muß man ihr lassen.«

»Früher gefiel sie mir besser«, sagte Leo. »Sie ist mir ein wenig fremd geworden. Sie hat ihre persönliche Note verloren.«

»Du sagst es, Leo, und ich mache mir meine Gedanken. Ich meine das alles ja nur theoretisch, aber wir müssen Mama doch vor Dummheiten bewahren, wenn der zweite Frühling kommen sollte. Ich kann doch auch gewisse Rechte geltend machen.«

»Wir reden darüber, wenn Karin mal in solche Gefahren kommen sollte, mein Kleinchen. Mit mir geht es aufwärts. Ich behalte die Fäden in der Hand. Und laß dir gesagt sein, wenn du mal dein Herz verlieren solltest, dann werde ich den Auserkorenen auf Herz und Nieren prüfen lassen, bevor ich ja und amen sage. Und bei Karin würde ich es nicht anders handhaben. Zufrieden, mein Kleines?«

»Du bist ein wahrer Freund, Leo. Ich verschwinde jetzt. Charlott wird bald kommen, um sich von dir zu verabschieden. Sei nett zu ihr, sie verdient es.«

»Nett bin ich doch immer zu ihr«, sagte er.

»Dann noch ein bißchen netter, lieber Leo. Vielleicht weißt du gar nicht, welche kostbare Blume da für dich im verborgenen blüht. Aber sag ihr um Himmels willen nichts von meinem poetischen Ausbruch.«

*

Sie hat so viel von Charlott geredet und so wenig von Karin, dachte er, als Monika die Tür hinter sich geschlossen hatte. Und was sie von Karin geredet hat, na – er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, denn nun kam schon Charlott.

»Wir geben uns die Klinke in die Hand«, sagte sie fröhlich. »Hoffentlich wird es dir nicht zuviel, Leo.«

»Ich freue mich. Ich kann ja jetzt die meiste Zeit schlafen, das behagt mir nicht so.«

»Aber du wirst dich schonen«, sagte sie mit gespielter Strenge. »Daß mir ja keine Klagen kommen, wenn ich zurückkomme.«

»Dann bin ich längst wieder daheim, und vielleicht kannst du dir dann auch mal ein paar Tage Ruhe gönnen, und wir könnten mal einen Ausflug in die Berge machen.«

Monis Worte waren auf fruchtbaren Boden gefallen, und ihm fiel es gar nicht schwer, diesen Vorschlag zu machen.

»In die Berge? Nach einer schweren Blinddarmoperation in die Berge«, sagte Charlott kopfschüttelnd. »Ausruhen mußt du dich jetzt. Und eine Kur solltest du machen.«

»Ich langweile mich zu Tode, es sei denn, du würdest mir Gesellschaft leisten.«

»Ich? Ausgerechnet ich? Weißt du niemand anderen?«

»Du willst also nicht«, sagte er.

»Was heißt, ich will nicht. Ich weiß nicht, wie du auf mich kommst. Frag doch Karin«, platzte sie heraus.

»Karin geht sicher lieber auf eine Schönheitsfarm«, sagte er mit einem ironischen Unterton. »Aber warum sollte ich den Wunsch haben, mit Karin wegzufahren?«

»Du magst sie doch.«

»Natürlich mag ich sie. Sie war die Frau meines besten Freundes, und Moni ist jetzt fast wie mein Kind. Ich führe für beide die Geschäfte, damit sie keine Sorgen haben, aber verreisen würde ich lieber mit dir, Charlott.«

Sie war sprachlos und ahnungslos dazu, wie sehr Moni in ihr Herz blicken konnte. Sie schluckte und verschluckte sich fast. Sie mußte husten.

»Bist du nicht gut beieinand’?« fragte Leo besorgt.

»Ich bin bestens beieinand’«, erwiderte sie, »ich überlege nur, was in dich gefahren ist.«

»Ich habe halt Zeit zum Nachdenken, und dabei ist mir aufgefallen, daß wir uns viel zu selten sehen, Charlott. Du hast deine Arbeit, ich habe meine Arbeit, aber das ist doch nicht alles. Ich habe einen Staucher bekommen und komme viel zum Nachdenken. Wir kennen uns schon so lange. Wie lange eigentlich?«

»Fünfzehn Jahre«, erwiderte sie prompt.

»Fünfzehn Jahre«, wiederholte er gedankenvoll. »Und wir sind Einzelgänger geblieben. Ich finde, jetzt könnten wir mal gemeinsam was unternehmen.«

»Hat dir das Moni etwa eingegeben?« fragte Charlott nun doch mißtrauisch.

»Moni? Auf so was würde sie doch gar nicht kommen«, erwiderte er. »Moni hat mit mir über die Theorie gesprochen, daß Karin heiraten könnte.«

»Das darf doch nicht wahr sein! Wie konnte sie das?« fragte Charlott echauffiert.

»Nur mal so. Es kann doch möglich sein, daß Karin auf den Gedanken kommen könnte, wieder heiraten zu wollen. Wozu trimmt sie sich auch auf jung. Da müssen einem ja solche Gedanken kommen. Moni ist ein kluges Mädchen. Sie wird es auch gelassen hinnehmen, wenn es ein annehmbarer Mann ist.«

»Und wenn es kein annehmbarer Mann wäre, Leo?« platzte Charlott heraus

Er sah sie forschend an. »Dann gibt es einige Punkte in Hermanns Testament, die man zu Karins Ungunsten auslegen könnte. Aber darüber wollen wir nicht sprechen. Ich halte Karin für zu besonnen, um eine Dummheit zu begehen.«

Charlott setzte ihr Pokergesicht auf, dem man nichts entnehmen konnte.

»Jedenfalls ist Moni erwachsen, und sie hat Mitbestimmungsrecht«, erklärte Leo. »Und ich bin auch noch da. Immerhin werde ich schleunigst mein Testament machen und dich und Moni zu meinen Erben einsetzen, damit Karin der Gaul nicht durchgeht.«

»Mich laß aus dem Spiel, Leo«, sagte Charlott. »Ich will dich nicht beerben.«

»Du wirst es, ob du willst oder nicht«, sagte er verschmitzt. »Und vielleicht machen wir auch eine schöne Erholungsreise zusammen, wenn du deine Komplexe ablegst.«

»Ich habe keine Komplexe«, protestierte sie.

»Du bist halt nur eine emanzipierte Frau«, meinte er lächelnd, »und wenn ich dir sage, daß du für mich die schönste und klügste Frau bist, die ich je kennenlernte, würdest du sagen, daß ich unter Drogen stehe.«

»Nicht unter Drogen, du bist nur in rührseliger Stimmung«, erwiderte Charlott.

»Aber ich möchte mit dir verreisen, und wenn du jetzt nicht ja sagst, schließe ich die Augen und esse nichts mehr. Dann bin ich in vierzehn Tagen total abgemagert, und du wirst mich wieder bemitleiden. Aber ich will kein Mitleid, Charlott. Ich wünsche mir nur aufrichtige Zuneigung.« Und das sagte er so ernst, daß ihre Augen feucht wurden.

»Du bist mein bester Freund, Leo«, sagte sie leise. »Ich habe dir das doch schon gesagt. Gut, ich mache eine Reise mit dir, wenn es dich beruhigt. Ich will nicht, daß du dir Gedanken machst, wenn ich in Paris bin. Ich werde dich jeden Tag anrufen.«

»Ehrenwort?« fragte er.

»Es ist versprochen, und ich halte meine Versprechen, das solltest du wissen.«