Echte Hasen mögens wild - Joy Wixxxx - E-Book

Echte Hasen mögens wild E-Book

Joy Wixxxx

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Beschreibung

Heiße Kurzgeschichten rund um frivole Fantasien, heißen Begierden und lustvollen Begegnungen. Es wird heiß! Die erotischen und abwechslungsreichen Kurzgeschichten entführen den Leser in die Welt der frivolen Fantasien, zu heißen Begierden und lustvollen Begegnungen. Lassen Sie sich mitnehmen, wenn "Agenten heimlich lieben", eine Konditorin erleben muss, wie ihr exklusives Cafe zu einer "Vernaschbar" wird oder es einen "Heiratsantrag zuviel gibt". Verführerisch wird es auch mit einem wirklich unerwarteten Geburtstagsgeschenk und verboten sinnliche Träume wollen in "Traumspringer" ausgelebt werden – in der Fantasie und im wahren Leben.

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Seitenzahl: 273

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Agenten lieben heimlich
VernaschBar
Ein verführerisches Geburtstagsgeschenk
Ein Heiratsantrag zu viel
Traumspringer

Echte Hasen mögens wild

Joy Wixxx

ELYSION-BOOKS TASCHENBUCH

1. Auflage: März 2018 (als »Heißer«)

2. Auflage: Mai 2023

VOLLSTÄNDIGE TASCHENBUCHAUSGABE

ORIGINALAUSGABE

© 2018 BY ELYSION BOOKS, LEIPZIG

ALL RIGHTS RESERVED

UMSCHLAGGESTALTUNG:

PRINTED IN GERMANY

ISBN 978-3-942602-01-3

www.Elysion-Books.com

Echte Hasen mögens wild

Joy Wixxx

Agenten lieben heimlich

Dee hielt sich das linke Ohr zu, um den Lärm auszusperren und sich voll und ganz auf die Schimpftirade ihres Chefs konzentrieren zu können. Seine Stimme war so laut, dass sogar die zwei nahestehenden Einsatzkräfte der Polizei etwas von den Flüchen hatten. Da konnte der kleine Mann im Ohr noch so modern und regulierbar sein, gegen Big Mick kam auch der High-Tech-Clip nicht an.

»Wenn ich jetzt auf Verstärkung warte, entkommen sie mit der ganzen Ladung«, versprach Dee in ihrem ruhigsten Tonfall und sah zu der umstellten Bank. Die meisten der Polizisten hatten Stellung bezogen. Nur eine kleine Gruppe stand bei ihrem Partner Henry und erhielt Instruktionen.

»Sie werden nicht entkommen, wir haben alle möglichen Fluchtwege gesichert«, behauptete Mick.

»Klar und die zwanzig Leute, die sich entgegen des Plans im Gebäude befinden, haben dann was?« Sie verstummte eine Sekunde und zählte stumm bis zwanzig, weil ihr Chef diese Kleinigkeit nicht berücksichtigt hatte. Zumindest versuchte sie es, platzte aber schon bei vier mit der Antwort heraus: »Keine noch so winzige Überlebenschance?!«

»Dee, es geht hier um weit Wichtigeres.« In den Worten ihres Chefs schwang alles mit, was sie vorher bei der Teamsitzung durchgegangen waren: Sichern, nicht auffallen, den Verbrechern nicht im Weg stehen, bis sie gestellt werden konnten. Lebend. Und ohne, dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekam. Denn sie brauchten Informationen. Hintermänner. Details.

Trotzdem hätte Dee nun, da sich die Umstände von normal zu desaströs aufgeflogen geändert hatten, versucht, mit Mick zu verhandeln, oder einige Informationen an Journalisten durchsickern lassen, um wenigstens die Geiselnahme ohne Opfer über die Bühne zu bringen. Sie warf dem Gebäude, vor dem sie Stellung bezogen hatten, einen finsteren Blick zu. So, als könnte der Steinbau etwas für ihr aktuelles Dilemma. Denn diese Situation war trotz des professionellen Auftretens ihres Teams und der Polizei alles andere als normal – und weit mehr als nur desaströs.

Das Ganze war eine einzige Katastrophe!

Und wenn sie jetzt nicht handelte, würde ihre Familie sterben. Nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Und Dee würde schuld sein, weil ihre Falle aufgeflogen war, bevor die Gangster ihre Beute ohne Kollateralschäden fortgebracht hatten.

Sie fluchte leise.

»Dee, hören Sie. Sie sind eine tolle Agentin. Aber auch tolle Agenten kommen in dumme Situationen. Es kann immer zu zivilen Opfern kommen. Aber das ist nicht unsere Schuld.«

»Zivile Opfer?«, echote sie ungläubig und sah zu, wie ihr Team näher um Henry zusammenrückte. So als hätten sie tatsächlich mehr Angst vor ihr und ihrer Laune als vor Big Mick.»Der Helikopter steht bereit, wir können alle Forderungen der Geiselnehmer erfüllen.«

»Wir werden sie nicht mit den Unterlagen entkommen lassen.«

»Sir?« Sie räusperte sich. »Bis sie und die Verstärkung eintreffen, werden Geiseln sterben.«

Dee konnte förmlich spüren, wie Mick gleichgültig mit den Schultern zuckte. Die Geiseln waren nur ein geringer Schaden, wenn man bedachte, was passieren konnte, wenn die Verbrecher mit den Unterlagen entkamen.

»Sir, wir haben einen Zugang und eine Möglichkeit vorher zu handeln«, erklärte Dee und gab Henry und ihren Kameraden ein Zeichen weiterzumachen. Ungeachtet der Stimme in ihrem Ohr.

»Sie warten und das ist ein Befehl.«

»Sir? Sir, ich kann Sie nicht verstehen.« Dee klopfte gegen den Lautsprecher.

»Dee, machen Sie nichts Dummes.«

»Sir? Ich glaube, die benutzen einen Störsender.« Abermals klopfte sie gegen das kleine Gerät und entfernte es bei der Gelegenheit auch gleich aus ihrem Ohr.

»Deeee….«, scholl aus ihrer Hand, bevor sie entschlossen auf »Aus« drückte. Sie konnte sich nicht um Politik kümmern, um die Regierung oder um die Pläne anderer Organisationen. Das hier zählte viel mehr, zählte alles!

Und während die Welt stillzustehen schien, gab sie den Einsatzbefehl.

Ein letztes Mal, denn später würde jemand die Konsequenzen tragen müssen. Sie.

***

»Sie gottverdammtes, ignorantes ...« Big Mick verstummte. Es war aber auch gar nicht notwendig, die Verfluchung zu beenden. Dass da kein freundliches Wort mehr kam, konnte man sich nicht nur denken, sondern auch überdeutlich an seinem Gesichtsausdruck erkennen.

»Anderthalb Jahre Arbeit umsonst, weil sie die Heldin spielen wollten.«

»Wir haben alle gerettet und die Unterlagen sind ebenfalls wieder in unseren Händen«, presste Dee hervor und hielt dem Blick ihres Chefs stand.

»Ach?!« Er baute sich vor ihr auf und nutzte den Umstand, dass er einen beeindruckenden Kopf größer war als sie, um sie von oben herab anzufunkeln. »Dann ist ja alles wieder gut? Und die Informationen, um unser Land zu schützen, bekommen wir sicherlich zusammen mit der Belobigung vom Präsidenten? Gleich als Geschenk zu dem widerrechtlich beschlagnahmten Hubschrauber, der jetzt auf unserem Dach steht?« Mick schob sich ein Stückchen weiter vor und schaffte es, durch seine Nähe noch einschüchternder zu wirken. Als Dee nicht zurückwich, lachte er freudlos auf. »Hab ich ja ganz vergessen: Es gibt gar keine Belobigung, weil wir weder die Drahtzieher haben, noch die Informationen.«

Er trat zurück und musterte Dee wie etwas, was man normalerweise unter seinem Schuh fand – oder unter einem Stein. »Ich hoffe, Sie können noch etwas anderes, als wild schießend Gebäude zu stürmen – am besten irgendetwas, wo Sie allein arbeiten und Ihren Autoritätsproblemen freien Lauf lassen können.«

»Was soll das heißen, Sir?« Dee trat von einem Bein auf das andere und ließ zum ersten Mal ihre Nervosität nach außen strahlen.

»Sparen Sie sich das Scheiß-Sir! Wer nicht auf mich hört, ist raus und braucht mir dann auch nicht mehr mit Freundlichkeit zu kommen!«, polterte Mick. »Geben Sie mir ihre Marke und ihre Dienstwaffe!«

»Sir?« Dee warf ihrem Chef einen unsicheren Blick zu, aber er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.

»Hören Sie auch noch schlecht?« Unbarmherzig sah Mick zu, wie Dee die genannten Sachen auf seinen Schreibtisch legte.

»Wir haben das Richtige getan, Sir!«, behauptete Dee, die sich ihrer Sache ebenfalls sehr sicher war. »Und wir haben unser Land beschützt.«

»Sie haben Ihre Familie beschützt!«, betonte Mick, warf aber zum ersten Mal einen Blick auf die zwei Stahlkassetten, die Dee gerettet hatte.

»Natürlich ha...«

Der Alarm unterbrach Dee mitten im Satz. Sie hatte noch die Chance, sich nach dem Ursprung des Geräuschs zu drehen – und das rettete ihr vermutlich das Leben.

Eine Sekunde nach ihrer Drehung explodierte die Tür zum Büro und einige Stahlteile fetzten nur Millimeter entfernt an Dees Kopf vorbei und bohrten sich in die gegenüberliegende Wand. Eine weitere Sekunde später wurde Mick von der Wucht eines Schusses ebenfalls gegen die Wand geschleudert.

»Kugelsichere Westen sind ein großer Vorteil, nicht wahr?«

Dee blinzelte, war sich aber nicht sicher, wann der schlanke Asiate aus dem Rauch der Explosion getreten war oder ob sie ihn sich nur einbildete. Niemand konnte so ungerührt sein, während um ihn herum das Chaos ausbrach und Leute aus den Büros flohen. Niemand so ruhig wirken, wenn er gerade den Chef des FBI niedergestreckt hatte.

»Auf die Beine!« Der Fremde zog Big Mick mit einer Leichtigkeit hoch, die Dee überraschte und fast davon ablenkte, was sie zu tun hatte.

»Ich würde nicht einmal daran denken«, warnte der Fremde, der sie noch nicht einmal angesehen hatte, und nahm ihre Waffe vom Schreibtisch und an sich, bevor sie überhaupt reagieren konnte. Dann deutete er ihr, die Stahlkassetten zu nehmen und voranzugehen. Immer noch hing Big Mick wie betäubt im Griff des unbekannten Angreifers wie ein Schutzschild, kaum in der Lage sich zu bewegen oder sich gar zu widersetzen – und kam erst wieder vollständig zu sich, als sie den Eingangsbereich vor dem Treppenhaus erreichten.

»Waffen und Handys fallen lassen!«, befahl der Angreifer den FBI-Agenten, die verwirrt vor dem abgeschirmten Bereich standen und noch gar nicht begriffen hatten, dass die Bedrohung schon längst im Inneren der Zentrale war. Ihr eigenes Sicherheitssystem war ihnen zur Falle geworden.

»Fallen lassen!«, wiederholte der Geiselnehmer. Bei seinen Worten wanderte seine Waffe, die bisher auf Micks Brustkorb gezielt hatte, weiter nach oben, verlieh dem Befehl Nachdruck.

»Fessel sie!«, befahl er Dee, nachdem die Agenten sich von ihren Waffen getrennt hatten, und sah zu, wie sie ihre Kollegen mit Kabelbindern unschädlich machte. Dabei gab seine Miene keine Anzeichen von seinen Gedanken preis – aber Dee erkannte etwas ganz anderes: Er war aufmerksam. Aufmerksamer als jeder Mensch, dem sie bisher begegnet war.

Und er wusste es. Seine ganze Haltung strahlte eine Überheblichkeit aus, die ihresgleichen suchte. Sicher, er war ein schlauer Mann, da er ins Gebäude gekommen war, ein mutiger Mann, weil er sich getraut hatte, Bundesagenten als Geiseln zu nehmen und ganz sicher war er auch ein attraktiver Mann. Aber auch ein kalter. Eiskalt und berechnend.

Dee biss sich auf die Zunge, weil ihr klar wurde, dass ein Mann wie er mit Sicherheit auch einen Weg aus dem Gebäude kannte. Mit den Unterlagen, die sie gerade erst in Sicherheit gebracht hatte.

Ein kleines Lächeln schlich sich auf die Lippen ihres Gegners, so als lese er ihre Gedanken und freue sich darüber, weil sie ihm endlich intellektuell folgen konnte.

»Sie werden mich jetzt mit dem Hubschrauber hier rausfliegen«, stimmte er ihrem unausgesprochenen Gedankengang zu.

»Werde ich nicht.« Dee versuchte Haltung zu wahren. Woher wusste er, dass der Hubschrauber, den sie für die vorangegangene Geiselnahme benötigt hatte, noch auf dem Dach des FBI-Gebäudes stand? Unmöglich, dass er ihn gesehen hatte, denn sie befanden sich auf dem höchsten Gebäude des Bezirks.

»Dann werde ich Geiseln erschießen. Eine nach der anderen.« Der Asiate bewegte seine Waffe zur Seite, zielte von Mick fort und auf einen der höheren Büroangestellten, den Dee nur flüchtig kannte.

»Ich habe eben gelernt, dass die Unterlagen, die Sie versuchen zu stehlen, wichtiger sind als Menschen – und dass Kollateralschäden durchaus in Ordnung sind«, murmelte sie, als versuche sie ihrem Vorgesetzten die Schuld zu geben.

»Du verdammtes, krankes ...« Mick verstummte, als er Dees Blick einfing. Doch es war zu spät. Die Mündung der Waffe war wieder auf ihn gerichtet.

»So, wie ich das sehe, bin ich hier die einzige Person, die den Hubschrauber fliegen kann«, warnte Dee den Asiaten und musterte ihn. Er wirkte durchtrainiert, war erstaunlich groß und obwohl seine asiatischen Züge unleugbar waren, wirkte er ... anders. Seine Nase war schmaler, seine Lippen ausgeprägter und seine Augen ... Dee hätte ihr Leben darauf verwettet, dass ein Elternteil von ihm europäisch war. Und genauso hätte sie darauf gesetzt, dass er nicht zum ersten Mal in einer dermaßen heiklen Situation war. Freiwillig.

»Und deswegen wirst du ihn fliegen!« Noch immer wirkte der Verbrecher ruhig. Aber in seine Augen hatte sich eine Härte geschlichen, die keine andere Alternative anbot und die die meisten Menschen hätte vermutlich allein deswegen klein beigeben lassen. Doch Dee zuckte nicht einmal zusammen, als er schoss. Die Kugel verfehlte ihren Chef nur um Zentimeter.

»Verdammte Scheiße, mach schon, was er sagt!« Big Mick warf ihr einen bösen Blick zu, aber sein Antlitz zeigte seine Angst nur zu deutlich. Und endlich fiel ihr ein, wo sie den Gangster schon einmal gesehen hatte: Während ihrer Ausbildungszeit und auf dem einzigen Bild, was von ihm existierte. Er war ein Geist, ein Verdacht, der sich noch nicht erhärtet hatte, jemand, der schier unfassbar war und nur auf dem Papier existierte. Ein Fakt, der sehr deutlich machte, wie gefährlich ihr Gegenüber tatsächlich war – und wie er mit Menschen verfuhr, die ihn zu Gesicht bekommen hatten.

»Nein!« Dee schüttelte den Kopf. Keiner ihrer Kollegen würde überleben, wenn sie sich erpressen ließ! Oder wenn jemand ihn erkannte.

»Dee?!«

»Leck mich, Mick!« Sie verzog ihre Lippen zu einem bösen Grinsen, wusste aber selbst nicht, ob sie damit den Verbrecher provozieren wollte oder ob sich ein kleiner Teil von ihr nicht doch an Micks Angst ergötzte.

Mick schrie auf, als ihn der nächste Schuss ohne erneute Vorwarnung in den Oberschenkel traf.

»Verdammt!« Der Büromensch, der eben noch so viel Glück gehabt hatte, sah sie an, als sei sie an der ganzen Situation schuld. Aber Dees Aufmerksamkeit hing an dem Mann, der nur als »der Drache« bezeichnet wurde. Killer. Spion. Waffenschmuggler. Drogenhändler.

Angeblich gab es keine illegalen Geschäfte, an denen er nicht beteiligt war. Er war ein Mörder und ein Mann ohne Skrupel. Ein Mann, der gut genug aussah, um ein Engel zu sein, aber definitiv für die andere Liga spielte. Ein Soziopath, der mit niemandem lange genug arbeitete, um greifbar zu werden, und der keine Spuren hinterließ.

Dee zuckte mit den Schultern und behielt ihr Lächeln bei. »Meinetwegen kannst du alle erschießen – aber dann hast du ein Problem: Womit willst du mich erpressen?«

Sie sah langsam, aber demonstrativ auf die Uhr, die über den Fahrstühlen hing. »Außerdem hast du ohnehin ein Problem, in ungefähr fünf Minuten sind die Schneidbrenner durch die Metallabsperrung.« Ihr Grinsen wurde breiter. »Und ich bin mir ziemlich sicher, dass du länger brauchst, um mich durch Folter dazu zu bekommen, dich zu fliegen.«

»Dee!« Big Mick klang flehend, obwohl jeder von ihnen inzwischen die Geräusche von der anderen Seite der Absperrung genauso identifizieren konnte, wie sie.

»Hättest mich halt nicht feuern sollen«, erklärte Dee möglichst unbeteiligt. So als wäre sie mindestens so kalt wie der Mann, dem sie gegenüberstand. Und es wirkte, denn er musterte sie zum ersten Mal mit echtem Interesse – so, als sähe er sie zum ersten Mal nicht nur als Mittel zum Zweck.

»Biete mir etwas, was ich will«, schlug Dee deshalb vor und nickte in Richtung der Geiseln.

»Ich werde sie nicht gehen lassen!« Der Gesichtsausdruck des Asiaten war determiniert und die Kälte in seinen Augen ließ keinen Spielraum für Verhandlungen in dieser Richtung.

Dees Lächeln wuchs in die Breite. »Hat auch keiner verlangt, oder?«

Sie schwieg und hielt dem Blick des Drachen stand. »Vier Minuten.«

Der Drache sah auf die Uhr und Dee wusste, sie hatte gewonnen. Zumindest vorerst.

»Sperr sie ein«, schlug sie vor und deutete in Richtung einer unauffälligen Wand, hinter der sich aber der Sicherheitsraum befand. »Wir zerstören die Kommunikationseinheit und ändern den Code ... dann können sie nicht sagen, wie du entkommen bist, und du gewinnst mindestens eine Stunde.«

Er starrte sie an, genau wie alle anderen. Einige der Angestellten wirkte entsetzt, andere empört. Nur Big Mick schaffte es, verächtlich zu wirken. Immerhin ... sie lebten immer noch alle, auch wenn sie den Ausdruck auf dem Gesicht des Drachen nicht deuten konnte.

Er nickte langsam und nachdenklich und für Sekunden schien die Zeit stillzustehen.

»Ich bringe dich ohne einen Betrugsversuch meinerseits hier raus und dorthin, wo du hinwillst … allerdings wirst du nur einen der Koffer mitnehmen«, vervollständigte sie ihr Angebot.

Ihr attraktives Gegenüber lachte freudlos auf und für einen Moment strahlte er eine Herablassung aus, die ihr deutlich machte, wie wenig sie – und mit ihr alle anderen Menschen – ihm bedeutete.

»Das ist der Deal. Nimm ihn oder lass es!«, fügte Dee hinzu und meinte: »Drei Minuten.«

»Hast du einen Todeswunsch?«, fauchte der Drache und dieses Mal gelang es Dee nur mit Mühe, seinem Blick standzuhalten. Denn spätestens jetzt war jedem der Anwesenden klar, dass der Drache Dee für den Deal bluten lassen würde. Mindestens. Trotzdem behielt sie ihre gespielte Gelassenheit bei und fragte zurück: »Nein, du?«

Zu ihrer Überraschung zuckte ein kurzes Lächeln um seinen Mund, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte. Eine weitere Überraschung erlebte sie, als er den Geiseln deutete, sich zu dem Sicherheitsraum zu begeben, und nach nur einer der beiden Stahlkassetten griff.

Dee atmete tief durch, bevor sie den Raum öffnete, den Code änderte und von innen die Kontrolleinheit zerstörte. Der Drache sah ihr scheinbar unbeteiligt, in Wirklichkeit aber sehr aufmerksam zu und Dee war sich sicher, dass jeder Betrugsversuch ihren Tod bedeuten würde. Der Mann würde sich eher einsperren lassen – in der sicheren Gewissheit, früher oder später ausbrechen zu können, als jemanden am Leben zu lassen, der ihn betrog.

Sie schloss die Tür hinter den Geiseln und sah ihn mit flatternden Nerven an. Ob sie überleben würde?

»Zwei Minuten«, meinte er nonchalant und offenbarte damit mehr Humor, als sie ihm zugetraut hätte.

Sie nickte stumm und übernahm die Führung in Richtung Helikopter-Landeplatz, sich sicher, dass die Waffe des Drachen ohne Unterlass auf ihren Rücken gerichtet war.

***

Noch vor Ablauf der Zeit waren sie in der Luft und flogen in die Richtung, die der Drache Dee gezeigt hatte. Und obwohl sie hochkonzentriert war, wurde die Stille hinter ihrem Ohrschutz nahezu ohrenbetäubend. Selbst ihr Herzschlag schien verstummt zu sein, obwohl sie spüren konnte, wie das Blut durch ihre Adern raste. Viel zu schnell. Schneller als die Zeit selbst. Sekunden zogen sich, wurden zu Minuten. Schienen stillzustehen, während sie über die Stadt hinwegflogen, über Vororte und schließlich die Randbezirke hinter sich ließen. Immer darauf bedacht, nicht aufzufallen – ganz, wie sie es versprochen hatte.

»Ein kluger Schachzug, den Hubschrauber eines Fernsehsenders zu nehmen.« Die Worte schnitten durch die Ruhe und frästen sich in ihren Kopf, bis Dee schmerzerfüllt die Lippen verzog. Wann genau hatte sie denn Kopfschmerzen bekommen?

»Wodurch sind wir aufgefallen?«, erkundigte sie sich. Hauptsächlich, weil das der erste Gedanke war, den sie im wirren Wust der verzwirbelten Gefühle, Ideen und Erinnerungsbruchstücke zu fassen bekam. Und mehr als verzweifelt hielt sie sich an ihm fest. Vertraute auf ihren Instinkt.

Der Drache sah sie verständnislos an. So, dass sie sich gezwungen fühlte zu erklären: »In der Bank. Bei der ersten Geiselnahme – durch die anderen.«

Der Mann auf dem Nebensitz verzog seine Lippen zu der Parodie eines Lächelns. »Sie haben einen Tipp bekommen.«

»Von dir?«, riet Dee mit einer Sicherheit, die sie selbst überraschte. Natürlich. Das ergab als Einziges einen Sinn. Deswegen hatte er auch von dem Hubschrauber gewusst.

»Ich wollte die Unterlagen. Es war leichter, sie vom FBI zu stehlen.«

Dee schürzte die Lippen, verkniff sich aber jeden weiteren Kommentar. Schließlich war immer noch eine Waffe auf sie gerichtet. Und so wie die Chancen standen, würde er sie benutzen. Sie hatte keine Chance zu überleben.

Abermals verknoteten sich ihre Gedanken und wieder konnte sie spüren, wie ihr Herz zu rasen begann. Doch dieses Mal breitete sich eine bislang unbekannte Kälte in ihrem Inneren aus und schien jedes Gefühl lähmen zu wollen.

»Wie alt bist du?«, erkundigte sich der Drache und wechselte so abrupt das Thema, dass Dee aufhorchte.

»Du bist nicht der Typ für Small-Talk«, urteilte sie und wich damit einer direkten Angabe aus. Hauptsächlich, weil sie keine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte.

»Was für ein Typ bin ich denn?«

Selbst aus dem Augenwinkel konnte Dee sehen, wie angespannt der Drache auf eine Antwort wartete.

»Ein Soziopath«, riet sie knapp und mit neutraler Stimme.

Genauso neutral wirkte auch der Drache, auch wenn er eine Geste machte, als interessierte ihn das Urteil nur bedingt – oder als stimmte er zu.

»Noch fünf Minuten, dann hast du es überstanden«, meinte er und wechselte abermals das Thema.

Dee nickte und starrte auf den Wald, der sich ausbreitete, soweit das Auge reichte. Die Worte hatten sie beschwichtigen sollen – hatten aber den gegenteiligen Effekt. Vor allem, weil seine Waffe immer noch auf sie gerichtet war.

»Warten Freunde auf dich und erwarten Pünktlichkeit?«, bemühte sie sich, das Gespräch am Laufen zu halten. Vielleicht ... wenn sie ihn persönlich an den Haken bekam, einen Angelpunkt fand, an den sie sich klammern konnte ...

»Ich habe keine Freunde«, gab der Asiate zurück. Es klang wie eine Warnung. »Ich habe nach deinem Alter gefragt, weil ich wissen wollte, wie lange deine Ausbildung her ist.«

Dee nickte abermals, schwieg aber, weil sie immer noch nicht wusste, worauf er hinauswollte. Sie ahnte aber, dass es nichts Gutes für sie war.

»Gibt es das Bild von dem Anschlag in New York noch?«

»Welches Bild?«, hakte sie nach und gab sich Mühe, unschuldig zu wirken, obwohl sich ihre Kehle zusammenzog.

»Du bist eine bemerkenswert schlechte Lügnerin«, urteilte der Drache und seine Waffe bewegte sich leicht. So, als suchte er den besten Winkel, um sie mit einem einzigen Schuss zu töten.

Dee schluckte und musste sich zusammenreißen, um nicht die Augen zu schließen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihre Wut – und den Wunsch zu überleben.

»Na ja, es hat gereicht, um meine Arbeitskollegen zu retten.«

Der Drache schnaubte. »Ich glaube, du hast nicht geblufft. Auch wenn du es dir jetzt einreden willst – ich hätte alle erschießen können und du hättest nicht nachgegeben.«

Dee starrte ihn an und fühlte neben der inneren Kälte auch eine nervöse Unruhe, die im Takt ihres Herzschlags durch ihre Adern brannte: Ihre Zeit lief ab.

»Ich könnte das Bild vernichten«, schlug sie vor, da sie inzwischen exakt wusste, worauf der Drache hinauswollte. Er wusste genau, dass sie ihn erkannt hatte!

»Könntest du«, stimmte er gleichmütig zu.

»Soll ich?« Dee hielt die Luft an und wagte nicht zu hoffen.

»Es wird keinen neuen Deal geben«, meinte der Drache ohne den Hauch einer Emotion. Dee biss sich auf die Zunge, um zu verhindern, dass ihr Tränen in die Augen schossen. Sie wusste, was seine Aussage bedeutete: Ihr Todesurteil.

Und plötzlich war sie da: die Idee!

Langsam und unauffällig lenkte sie den Hubschrauber höher. Höher als trotz der hügeligen Berglandschaft notwendig gewesen wäre.

»Zum Berg!«, befahl der Drache und deutete in die Richtung.

Dee folgte seinem Befehl und erhöhte den höheren Abstand zum Boden noch ein wenig mehr. Und endlich sah sie es: Nicht nur die menschenleere Straße, sondern auch die Aussichtsplattform, die sich beinahe auf dem höchsten Punkt des Berges befand. Dort stand ein Auto. Sein Auto.

Sie drehte ein wenig ab, bis sie sich wieder über dem Wald befand. »Wirf die Waffe aus dem Hubschrauber!«

»Wieso sollte ich das tun?«, erkundigte sich der Asiate mit mildem Interesse.

»Weil ich uns sonst abstürzen lasse.« Dee musste sich keine Mühe geben, ruhig zu klingen, seriös.

»War der Deal nicht, du bringst mich heil dorthin, wohin ich will?« Wieder klang der Drache nur ein wenig amüsiert. So als habe er seine Emotionen wirklich extrem gut unter Kontrolle.

»Von heil war nie die Rede – außerdem würden wir direkt ins Auto stürzen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich halte also mein Wort.« Sie drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite, damit er ihren Gesichtsausdruck sehen konnte. »Sag du mir, ob ich bluffe.«

»Woher soll ich wissen, dass du uns nicht trotzdem abstürzen lässt?« Inzwischen wirkte der Verbrecher nicht mehr amüsiert, sondern kalkulierend. So, als versuchte er, sie zu durchschauen.

»Tue ich nicht, ich mag mein Leben sehr gerne«, versicherte Dee mit einem müden Lächeln, was ihn dazu brachte, missmutig das Gesicht zu verziehen, bevor er antwortete: »Außerdem bist du eine von den Guten, nicht wahr? Auf dein Wort ist Verlass.«

»Zumindest die letzte Aussage kann ich unterschreiben«, gab Dee zu und dieses Mal legte sich ein feines Lächeln auf den Mund des Drachen. Ein Lächeln, das ihr wieder deutlich machte, wie attraktiv er war – gefährlich attraktiv, wenn er nicht gerade vorhatte, jemanden zu töten ... sie zu töten.

Noch bevor er das Fenster öffnete, wusste Dee, dass sie abermals gewonnen hatte. Er warf die Waffe aus dem Hubschrauber!

»Die andere auch.«

Der Drache hielt ihrem Blick nur kurz stand, dann beugte er sich vor und zog seine zweite Waffe aus dem Knöchelhalfter, bevor er sie ebenfalls hinauswarf.

»Das Messer«, ergänzte Dee ihre Forderung und abermals folgte der Drache und gab ihrem Willen statt. Dee schürzte die Lippen. »Das war eigentlich nur geraten.« Sie schwieg einen Moment, bevor sie verlangte: »Zieh dich aus.«

Und zum ersten Mal erhielt sie eine authentische Reaktion. »Was?«

Er starrte sie entgeistert an. Aber nur einen Herzschlag lang, dann gefror seine Miene, noch bevor Dee wiederholte: »Ausziehen!«

»Soll ich meine Hose auch aus dem Fenster werfen?«, fragte ihr Fluggefährte und klang angepisst. Sehr angepisst.

»Bitte!«, erwiderte Dee. Schließlich konnte man allerhand Waffen im Futter verbergen. Von den Taschen ganz zu schweigen.

Seine Lippen fast zu einem Strich zusammengepresst, folgte der Drache ihrer Aufforderung und zog sich langsam aus – auch wenn er dabei wirkte, als würde er ihr lieber jetzt als gleich den Hals umdrehen.

Kurz darauf saß er nur noch in schwarzen Boxershorts bekleidet neben ihr. Etwas, was jeden anderen Mann hätte lächerlich wirken lassen. Er allerdings wirkte womöglich noch gefährlicher als zuvor.

***

Dee ließ die Landung härter als normal ausfallen. Dadurch gelang es ihr, dem Schlag ihres Fluggefährten auszuweichen und gleichzeitig ihren Ellbogen in die Seite des Drachen zu stoßen. Fest genug, um die Sekunden zu gewinnen, die sie benötigte, um die Tür aufzumachen und aus dem Helikopter zu gleiten.

Trotzdem erwischte er sie, da er von seinem Platz ebenfalls durch ihre Tür hechtete. Tief genug, um nicht von einem Rotorblatt erwischt zu werden und schnell genug, um sie von den Füßen zu reißen. Mit einem Fluch ging sie zu Boden. Im letzten Moment gelang es ihr, ihren Schwung zu nutzen und die Bewegung ihres Angreifers zu unterstützen – und ihn so über sich zu werfen. Beinahe zeitgleich wie er war sie wieder auf den Beinen. Und dieses Mal war sie diejenige, die ihn überrumpelte, indem sie angriff statt zu fliehen.

Sie war gut, normalerweise brauchte er nicht lange, um jemanden auszuschalten. Aber sie war schnell. Wirklich schnell und wirklich kräftig, auch wenn sie ein Fliegengewicht war.

Allerdings wirkte sie noch ein wenig ungelenk. Wie jemand, der gelernt hatte zu kämpfen, aber im Ernstfall noch nicht gut genug reagieren konnte, um dem anderen ernsthaft zu schaden. So als hätte sie noch eine Hemmschwelle. Er dagegen konnte voll auf seine Instinkte setzen und reagierte teilweise schon, bevor sie ihre Bewegung angefangen hatte. Nichtsdestotrotz gelangen ihr einige gute Treffer. Treffer, die seine Wut noch mehr anstachelten.

Und endlich machte sie den entscheidenden Fehler: Mit einer Drehung beförderte er sie auf die Erde, heftig genug, um ihr die Luft zu nehmen und wertvolle Sekunden zu gewinnen. Sekunden, die er nutzte, um sie mit Hilfe seines Gewichts auf den Boden zu drücken und anschließend ihre Hände über ihrem Kopf zu fixieren. Auf ihre blonden Haare, die sich wie ein seidiger Fächer auf der Erde ausgebreitet hatten und ihr Gesicht umrahmten. Erst dann versuchte er, ihre Arme mit einer Hand zu greifen, um seine Rechte freizubekommen und sie anschließend um ihren Hals zu legen und ... er sah die Veränderung in ihrem Mienenspiel, aber dort spiegelte sich nicht nur Angst ob der Tatsache, dass sie verloren hatte und verloren war. Und es war auch nicht ihre Panik, die ihn sekundenlang zögern ließ – es war etwas anderes. Etwas Primitiveres. Eine Ebene des Lebens, auf der sich bei ihm so gut wie nie etwas abspielte – zumindest nicht intensiv genug, um etwas anderes als reiner Triebabbau zu sein.

Aber jetzt, unter diesen Umständen, vom Adrenalin gepuscht, halbnackt und mit einer kämpferischen Frau unter sich, legte sich bei ihm durch ihre Reaktion, vielleicht durch ihr tiefes Einatmen – so, als erwarte sie den vernichtenden Schlag ... oder den Auftakt eines Liebesspiels – ebenfalls instinktiv ein Schalter um. Ein Schalter, der ihm plötzlich die kompromittierende Situation verdeutlichte, in der sie sich befand. Es war, als hätte sie sich direkt vor seinen Augen von einem Objekt in ein Subjekt verwandelt. Ein sehr junges, unschuldiges Subjekt. Eines, dessen Kurven ihn einluden und dessen Geruch ihm die Sinne vernebelte.

Außerdem erkannte er in ihren Augen, dass sie das plötzlich in ihm aufflammende Verlangen nicht nur ebenfalls spürte – sondern auch begriffen hatte, dass er es als das erkannte, was es wahr: Gier.

Für einen Augenblick gestattete er sich den Gedanken, einfach nachzugeben und die Situation auszunutzen.

Der Moment konnte nicht lange gedauert haben, vielleicht zwei oder drei Atemzüge. Aber er reichte. Dee ließ ihren Kopf nach vorne schnellen, benutzte ihn als Schlaginstrument und traf sein Gesicht. Der Schmerz sorgte dafür, dass sich sein Griff genug lockerte und noch bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte, war sie unter ihm entwischt und floh in Richtung Waldgrenze – bergab.

Ohne zu zögern, und wie mechanisch ging der Drache zur Beifahrerseite seines Autos, öffnete sie und zog ein verstecktes Gewehr unter dem Sitz hervor. Einen Augenblick später hatte er angelegt und zielte auf den Rücken der Fliehenden. Er hatte sie genau im Visier. Ihre blonden Haare wehten hinter ihr her, wie eine schmückende Fahne, in die er doch eben noch seine Hände vergraben hatte. Noch zwei Schritte, bevor sie verschwunden sein würde. Sie war in der Mitte des Fadenkreuzes. Ein einziger, tödlicher Schuss von hinten ins Herz war mehr als leicht. Es war natürlich. Für ihn selbstverständlich.

Aber er konnte sich einfach nicht dazu bringen abzudrücken.

***

Mit gemischten Gefühlen trat Dee nach vorne auf die Bühne, nachdem ihr Chef sie über den grünen Klee gelobt und ihr die besten Wünsche des Präsidenten ausgerichtet hatte. Sie galt als Heldin, als jemand, der an einem Tag zwei Geiselnahmen beendet hatte, ohne Todesopfer. Jemand, der Staatsgeheimnisse mit seinem Leben verteidigt hatte.

Aber sie konnte in Big Micks Augen lesen, dass er auch sein eigenes Leben mit in die Waagschale geworfen hatte: Und sie in seinem Verständnis eine Verräterin war. Jemand, an dem er sich rächen würde – denn früher oder später würde sie einen Fehler machen und dann wäre er zur Stelle und würde sie bluten lassen.

Weil sie ihn gerettet hatte oder weil sie bereit gewesen war, ihn zu opfern? Sie zögerte, die Medaille anzunehmen, und suchte in Micks Augen nach einer Antwort. Als er vortrat, um ihr Zögern zu überbrücken, und ihr die Medaille ein wenig zu ruppig ansteckte, blieb sie still stehen. Wie erstarrt. Und plötzlich war er wieder da: Der Flashback von dem Moment, als die Zeit stillgestanden hatte.

Noch nie zuvor hatte sie sich so gefühlt ... ausgeliefert ... wie ein Opfer ... unfähig sich zu wehren und ... sie biss sich auf die Unterlippe und verbot sich jeden weiteren Gedanken an ihre Emotionen.

Sie hatte die Sekunde, in der sich alles geändert hatte, sofort bemerkt. Es war etwas in der Körperspannung des Drachen gewesen, die Art zu atmen, ein größer werden der Pupillen.

Verdammt! Nicht daran denken! Er hatte auf sie reagiert – sie hatte auf ihn reagiert. So einfach war das! Keine Magie und kein sinnlicher Moment, einfach eine Körperreaktion auf den vorangegangenen Kampf und das Adrenalin, welches durch ihre Adern floss. Hätte sie auch nur eine Sekunde länger gewartet, hätte er sie getötet. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Sie schüttelte den Kopf, bevor ihr einfiel, wo sie war. Schnell setzte sie hinzu: »Ich danke Ihnen, Ihnen allen. Denn wir alle gemeinsam haben diese Auszeichnung erhalten ... die Ehre gebührt allen, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Welt zu einem sicheren Ort zu machen.«

Sie räusperte sich, als Applaus aufbrandete und sah an Big Mick vorbei. Selbst die Agenten, deren Leben sie mit ihren Forderungen aufs Spiel gesetzt hatte, applaudierten. Wieso konnte Mick nicht ein wenig dankbarer sein? Er musste doch wissen, dass der Drache sie alle getötet hätte, wenn sie sofort mit ihm gegangen wäre – selbst wenn Mick nicht wusste, um wen es sich bei dem Geiselnehmer gehandelt hatte.

Dee hielt den Kopf gesenkt, als sie von der Bühne ging. Es war ihr sicherer erschienen, nichts über die Identität des Asiaten preiszugeben. Einen Teil ihrer selbst hielt sie für paranoid – ein anderer glaubte fest daran, dass er sonst alle, die von ihm wussten, getötet hätte.

Und warum lebe ich dann noch? Eine Frage, die sich Dee seit ihrer Flucht ständig stellte. Vielleicht sollte sie umziehen oder eine andere Identität annehmen? Sie seufzte leise. Keine Chance. Jemand wie der Drache würde sie finden, wenn sie untertauchte – weil sie es niemals von ganzem Herzen tun konnte. Dafür liebte sie ihren Job, ihre Familie, das Leben, welches sie führte, zu sehr. Außerdem widersprach es ihren Prinzipien. Wenn er sie wollte, sollte er es versuchen! Sie würde nicht fliehen und ein Leben in Angst führen!

Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare und flocht sich im Gehen einen Zopf, den sie mit dem Band befestigte, das sie als Armschmuck getragen hatte. Trotzdem wären ein wenig Ruhe und Schlaf und Sicherheit wirklich schön ...

Sie bog um die Ecke, obwohl sie die Schritte von Big Mick hinter sich hören konnte. Wenn er sie mit neuen Vorwürfen belästigen wollte, musste er sich wenigstens anstrengen. Dee öffnete die Tür zu ihrem Büro und erstarrte.

»Was ist los?«, erkundigte sich ihr Boss und bewies zum ersten Mal seit Langem, dass er doch nicht ganz von ungefähr der Chef war. Er trat näher und spähte über ihre Schulter, während Dee keine Bewegung machte – ja, sich nicht einmal traute, laut zu atmen.

»Das Paket und die Blumen waren eben noch nicht da«, flüsterte sie und starrte weiterhin auf dem braunen Karton.

»Vielleicht eine Überraschung zur Belobigung?«, schlug Mick vor, ließ sich aber von Dees Nervosität anstecken und trat wieder einen Schritt zurück.

»Ich bin nicht hier, weil ich an den Weihnachtsmann glaube«, flüsterte Dee.

»Soll ich das Sprengstoffteam holen?« Auch Mick sprach nun deutlich leiser als zuvor und zog Dee ein Stückchen zurück. Fort von dem Paket.

»Hei, Dee!«