Echte Wurst hat kein Gesicht - Annette Sabersky - E-Book

Echte Wurst hat kein Gesicht E-Book

Annette Sabersky

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  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Zurück zum echten Geschmack

Die Werbung für industrielle Kindernahrung verspricht praktische, leckere, schnelle Mahlzeiten. Mit fatalen Folgen: Künstliche Aromen, Zusatzstoffe und Fett führen bei vielen Kindern zu Übergewicht, Allergien und Essstörungen. Annette Sabersky und Jörg Zittlau klären auf, was von den rund 1500 Produkten speziell für Kinder zu halten ist, und zeigen, wie man Kinder ganz einfach zurück zum Geschmack führt, wie Eltern gute Lebensmittel erkennen, wo man sie einkaufen sollte und wie man sie zubereitet.

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Seitenzahl: 248

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Über die Autoren:

Annette Sabersky ist Ernährungswissenschaftlerin und Journalistin. Sie arbeitete jahrelang für Öko-Test und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Qualität von Lebensmitteln. In Ihrem Blog bio-food-tester.de nimmt sie wöchentlich Bioprodukte unter die Lupe. Sie lebt mit ihren zwei Kindern in Hamburg.

Der Soziologe und Sportmediziner Dr. Jörg Zittlau arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist mit dem Schwerpunkt Ernährung und Naturheilverfahren. Er lebt mit seiner Familie in Bremen.

Annette Sabersky

Dr. Jörg Zittlau

Echte Wurst hat kein Gesicht

Wie Kinder wieder Spaß an gutem Essen finden

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe 2/2014

Copyright © 2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion: Sabine Jürgens

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-09829-2V002

Inhalt

Vorwort: Nehmen Sie die Ernährung Ihrer Kinder selber in die Hand!

Kapitel 1: Von klein auf Gourmet: Der menschliche Geschmack ist eine Wundertüte

Kapitel 2: Sweet Temptation: Warum Kinder scharf auf Süßes sind

Kapitel 3: Radieschen, rück ein Stück: Wo ist all das Bittere hin?

Kapitel 4: Die Bunten ins Wägelchen: Wie Eltern und Kinder zum Kaufen verführt werden – und wie man dem widersteht

Kapitel 5: Currywurst oder Gratin? Was Kinder wirklich brauchen – und was nicht!

Kapitel 6: Bio-Klasse statt Masse: Wie man gute Lebensmittel erkennt

Kapitel 7: Ja, meine Suppe ess’ ich: Die besten Rezepte für die schnelle Küche

Kapitel 8: Fühlen wie’s schmeckt. Wie Kinder genussvoll essen lernen

Kapitel 9: Lexikon der gesunden und ungesunden Kinderernährung: Von A wie Abziehbildchen bis Z wie Zutatenliste

Anhang. Mit Briefe und Siegel: Übersicht der seriösen Biozertifizierungen

Vorwort: Nehmen Sie die Ernährung Ihrer Kinder selber in die Hand!

Grandioser PR-Effekt

Achtung, Achtung: Die Lebensmittelfirmen tun was für die Gesundheit unserer Kinder! Kraft Foods sponsert seit Jahren einen Spendenlauf, bei dem Schüler sich schön austoben und zugleich Geld einsammeln– für SOS-Kinderdörfer. Drum herum gibt es eine Aktionswoche, in der die Schüler etwas über gesunde Ernährung lernen. Nestlé hat zusammen mit der Stiftung Lesen die Aktion »Klasse isst Klasse« ins Leben gerufen. Bei diesem Wettbewerb können Schüler Punkte sammeln für gesundheitsförderndes Verhalten, eben gesundes Essen und Bewegung. Dr. Oetker stellt Unterrichtsmaterialien für Schüler zum Thema Backen, Desserts und Selbstgemachtes bereit, veranstaltet Backkurse und spendiert auch die dazu passenden Rezepte. Die Flockenfirma Kölln hat eine Unterrichtsmappe für Grundschulen zusammengestellt, in der Kinder alles über ein gesundes Frühstück lernen. Und die Sisi-Werke, Hersteller der »Capri-Sonne«, bietet Unterrichtsmaterial unter dem Titel »Fit, fair und schlau« an, das die Themen Ernährung, Bewegung und soziale Kompetenz behandelt.

Doch warum tun sie das? Das Engagement kommt an: 4600-mal wurden die Oetker-Rezepthefte per Post angefordert und 13 000-mal im Internet runtergeladen. 75 000 Schüler nahmen bisher an der Aktion von Nestlé und der Stiftung Lesen zum gesunden Essen teil, 75 Prozent würden dies auch wieder tun. Und 420 000 Kinder sind in den vergangenen zehn Jahren für Kraft Foods joggen gegangen und nahmen die Ess-Infos rund ums Thema Ernährung mit nach Hause. All diese Aktionen haben jedoch nichts mit Schulbildung zu tun. Sie sind grandiose PR. Denn ganz nebenbei, ob beim Laufen, Backen oder Bilderausmalen, wird kräftig Appetit auf die Marke gemacht. Die Shirts, die Kraft Foods den Läufern zur Verfügung stellte, ziert das Firmenlogo. Das begleitende Unterrichtsmaterial leuchtet den Kindern in Milka-Lila entgegen. Auch das Back- und Rezeptmaterial von Dr. Oetker trägt ein fettes Logo. In den Unterrichtsblättern von Kölln-Flocken zum Thema gesundes Frühstück, stößt man beim Sichten der einzelnen Arbeitsblätter auf Bilder von Haferflocken und »Flecks«, allesamt Kölln-Produkte. Und bereits auf dem Cover des Sisi-Materials prangt das »Capri-Sonne«-Label.

Doch gerade diese Firmen sind es auch, die all die ungesunden Lebensmittel mit viel Werbebrimborium auf den Markt werfen. Ob Smacks, Quark zum Quetschen, Fleckenpudding oder Joghurt mit Knisterperlen, Bärchenwurst oder Kinderchips, viele Produkte, die für Kinder gedacht sind, enthalten zu viel Fett, Zucker oder Salz– und bereiten damit den Boden für Übergewicht und Fettsucht. Schon 15 Prozent der Kinder wiegen zu viel. Ein Teil ist sogar fettsüchtig.

Kinder sollen von ihren Eltern lernen

Wir sollten also nicht Nestlé, Kraft, Kölln und all den anderen Foodmakern überlassen, was Kinder über gutes Essen und Trinken lernen. Dies gehört in die Hände der Eltern. Sie und nicht Lebensmittelfirmen sollten ihnen zeigen, wie gesundes und genussvolles Essen geht. Nicht bei Dr. Oetker, sondern bei Mama und Papa oder auch bei Oma sollte der Nachwuchs lernen, mit Töpfen, Pfannen und Backformen zu hantieren. Später können Kindergärten und Schulen dazukommen, vorausgesetzt sie arbeiten nicht mit gesponserten Materialien. So lässt sich ein guter Grundstein für ein gesundes Essverhalten legen.

Es ist gar nicht so schwer, Kinder von klein auf an gutes Essen und Trinken jenseits von Fertigpackungen, Tiefkühlpizza und Gläschenkost heranzuführen. Und sie profitieren gleich mehrfach. Das beginnt schon mit dem Stillen. Kinder, die Muttermilch erhalten, werden nicht nur mit allem versorgt, was sie zum Wachsen und Gedeihen benötigen. Sie werden auch viel offener gegenüber neuen und ungewohnten Geschmackserlebnissen. Denn die Aromen, die die Mutter über Gemüse und Obst, Fisch, Fleisch und Joghurt zu sich nimmt, gehen in die Muttermilch über und werden somit ans Baby weitergeben. Darum sind gestillte Kinder oft die besseren Esser, denn sie akzeptieren auch herzhafte, bittere, saure und scharfe Lebensmittel. Später, mit der ersten Beikost, ist der selbst gekochte Brei das Essen der Wahl. Denn er schmeckt frischer, aromatischer und urtümlicher als die Mahlzeit aus dem Gläschen. Das wird schließlich wie eine normale Konservendose stundenlang gegart, damit es ewig und drei Tage haltbar ist. In der Schule sind Pausenbrot und Obst die bessere Wahl gegenüber Kids-Frühstückskeksen, Milchschnitte und »Bifi«. Denn Stulle und Obst liefern genügend Vitamine und Nährstoffe für einen Fünf-Stunden-Schultag.

Schmecken lernen macht schlau & Kochenmacht Spaß

Wenn Kinder natürlich essen und schmecken lernen, dann ist das eine Bereicherung fürs ganze Leben. Sie akzeptieren unverfälschte Lebensmittel viel besser und können sie genießen– und so dem Knistern der Chipstüte und dem »Ratsch« beim Aufreißen einer eingeschweißten Wurst leichter widerstehen.

Doch gutes Essen kann noch viel mehr: Es macht schlau. Werden die Aromen und Geschmacksstoffe mit der Zunge erfühlt und erfasst, dann wird auch das Gehirn ständig gefordert. Denn es muss alle Geschmackseindrücke erkennen, zuordnen und verarbeiten. Die Kindergehirne werden also dauerhaft herausgefordert, trainiert und geschult.

Kinder auf diesem sinnlichen Weg zu begleiten macht Spaß– und ist wichtig. Aber aufwendig ist es nicht. Selbst wenn der Tag randvoll mit Terminen ist, lässt sich das Essen- und Schmeckenlernen in den Alltag einbauen. Aber bitte veranstalten Sie keine großen Kochevents! Es reicht schon, wenn man den Nachwuchs mit auf den Wochenmarkt nimmt und ihn an allem Möglichen schnuppern, einen Apfel, eine Karotte oder ein knackfrisches Bauernbrötchen probieren lässt. Man sollte einfach einen festen Kochtag einplanen, an dem das Kind mit einem der Elternteile Zeit in der Küche verbringt, empfiehlt der Familientherapeut Jesper Juul. Oft genügt es auch, wenn das Kind beim Zusammentragen der Zutaten hilft, wenn es Tomaten schneidet oder auch einfach nur dabeisitzt und ein Bild malt, während Mama und/oder Papa köcheln. Hauptsache, es ist mit von der Partie– und bekommt den Duft des Essens mit auf seinen (Lebens-)Weg.

Wir möchten dabei helfen, dass Kinder von Anfang an einen sinnlichen Umgang mit Essen und Trinken lernen. Deshalb ist es wichtig zu verstehen, wie der menschliche Geschmacksinn überhaupt funktioniert und wie man ihn frühzeitig trainieren kann (Kapitel 1).

Wir enttarnen aber auch die Raffinessen und Tricks, mit denen die Lebensmittelindustrie versucht, die Geschmacksknospen schon jüngster Kinder zu dirigieren– und wir zeigen Ihnen, wie man verhindern kann, dass die Kinder diesen Rattenfängerstrategien auf den Leim gehen (Kapitel 4).

Doch unser Buch wendet sich nicht nur an Eltern mit kleinen Kindern. Die Frage ist, was sich machen lässt, wenn das Kind bereits, oft ganz unwissentlich, in den Brunnen gefallen ist. Denn auch das ist möglich: dem Fertigessen wieder abzusprechen. Gerade Kindern fällt dies viel leichter als Erwachsenen, schließlich sind sie noch nicht so eingefahren und festgelegt, und es besteht eher die Möglichkeit, ungünstige Ernährungsgewohnheiten zu korrigieren. Ein schöner Weg ist, zu fühlen, wie es schmeckt (Kapitel 8).

Wir zeigen Ihnen außerdem, mit welchen Lebensmitteln sich ein gesundes und leckeres Essen zubereiten lässt, wo man sie kaufen kann und wie man sie erkennt (Kapitel 6).

Und schließlich gibt es Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die Kinderernährung– sowie einfache und gesunde Rezepte, die schnell auf dem Tisch stehen, lecker sind und auch Suppenkaspern schmecken (Kapitel 7).

Denn wie sagte schon der deutsche Schriftsteller Karl von Holtai: »Die Theorie träumt, die Praxis belehrt.«

Annette Sabersky und Jörg Zittlau

Kapitel 1: Von klein auf Gourmet: Dermenschliche Geschmack ist eine Wundertüte

Schmecken findet nicht nur auf der Zunge statt

»Es ist einem jeden vergönnt, seinen eigenen Geschmack zu haben.« So schrieb Gotthold Ephraim Lessing. Und auch der Volksmund sagt, dass »alles Geschmackssache« sei und sich »über Geschmack trefflich streiten« ließe.

Wir sind uns weitgehend einig, dass unsere Vorlieben und Antipathien beim Essen und Trinken eine sehr individuelle Angelegenheit sind, und ein Blick in den Alltag scheint dies zu bestätigen. Bei Kindern variiert die Offenheit für einzelne Speisen und Getränke mit dem Alter. Sie durchlaufen ein bestimmtes Programm, in dem sich Phasen, in denen quasi alles akzeptiert wird, mit solchen abwechseln, in denen der Mund einfach geschlossen bleibt. Ab dem vierten Lebensmonat bis etwa zum sechsten Monat probieren Säuglinge noch (fast) alles aus, was man ihnen anbietet. Selbst wenn sie es wieder ausspucken, ist die Neugier grundsätzlich da. Mit eineinhalb Jahren bis zum Kindergartenalter werden Kinder immer kritischer und stopfen nur noch gezielt genehmes Essen in den Mund. Oftmals bleibt er auch ganz zu. Bittere Lebensmittel werden dann in den meisten Fällen komplett abgelehnt.

Im Grundschulalter, ab etwa acht Jahren, werden Kinder wieder offener und probieren auch Ungewöhnliches wie stärker gewürzten Reis, Pilze und pikanten Käse. Man sollte also nicht zu schnell aufgeben und nur noch Nudeln mit Tomatensauce kochen oder ständig eine Extrawurst braten. Nach Phasen der Abneigung kommen auch wieder bessere, genussvollere Zeiten. Gut Ding will nun einmal Weile haben. Nicht jeder ist eben von klein auf Gourmet, vielmehr ist der menschliche Geschmack eine echte Wundertüte. So gibt es Kinder, die partout kein Stück Fleisch herunterkriegen, während andere bevorzugt die Kruste vom Braten abnagen. Dem einen kann es in der Konditorei gar nicht süß genug zugehen, während der andere lieber in der Imbissbude oder unter dem großem »M« Pommes in sich reinschaufelt.

Kinder können also im Geschmack sehr unterschiedlich sein. Doch woher kommt das? Sind wir wirklich frei in unserem Geschmack? Oder werden wir nicht vielmehr darin geprägt? Etwa durch unsere Gene, unsere Eltern, die gesellschaftlichen Rollenverteilungen– oder die Lebensmittelindustrie?

Für die Antwort empfiehlt sich, zunächst einmal bei den physiologischen Grundlagen des Schmeckens anzusetzen. Was etwa passiert in unserem Körper, wenn wir genüsslich ein Stück Schokolade auf der Zunge zergehen lassen? Wie lässt sich dieses Festival der Sinne erklären?

Da ist erst einmal die Komposition der verschiedenen Empfindungen im Mund: der süße Zucker– Hauptnahrung unseres Gehirns– verführt, der bittere Kakao liefert den pikanten Gegensatz. Hinzu kommt die sahnige Konsistenz: Würde das Stückchen Schokolade im Mund zerbröseln, wäre es nur der halbe Genuss. Auch schmeckt sie warm ganz anders als kalt. Nicht zu vergessen der Geruch. Würde die Schokolade riechen wie ein alter Waschlappen, könnte sie noch so gut schmecken– wir würden sie nicht bis auf unsere Zunge vorlassen. Denn ohne Geruch gibt es keinen vollständigen Geschmack. Jeder Schnupfen belegt aufs Neue, wie fade ein Essen mit verstopfter Nase schmecken kann.

Bis heute kennt man rund 10 000 flüchtige und damit prinzipiell riechbare Verbindungen in den Lebensmitteln, etwa drei viertel der Geschmackseindrücke sind in Wirklichkeit Geruchswahrnehmungen. Forscher teilen sie gemeinhin in sieben Klassen ein: blumig, ätherisch, moschusartig, kampferartig, schweißig, faulig und stechend. Manche Gerüche, etwa von überlagertem Fisch oder ranzigem Fett, lassen uns ekeln; andere, wie etwa von einer stechenden Säure, schrecken uns ab. Solche Gefühle sollen uns davor schützen, unserem Körper irgendetwas Schädliches zuzuführen.

Wie wichtig der Geruchssinn für die Menge der aufgenommenen Nahrung ist, belegt ein Test der englischen Wissenschaftler Kimberley Welbeck und Lorenzo Stafford. Sie erfassten mit Hilfe sogenannter »Sniff Sticks« (Schnüffelstäbchen) die individuellen Geruchsschwellen ihrer 64 Probanden, und zwar einmal, wenn sie satt waren, und einmal im ungesättigten, aber nicht hungrigen Zustand. Das Besondere an ihren Testpersonen war aber, dass deren eine Hälfte normal-, und deren andere Hälfte übergewichtig waren. Das Ergebnis der Tests: Beide Gruppen waren im satten Zustand deutlich sensibler und somit empfänglicher für Essensgerüche. Das scheint auf den ersten Blick paradox, entpuppt sich aber auf den zweiten als durchaus logisch: »Der Körper soll auf diese Weise zum sorgfältigen Abwägen dessen gebracht werden, was er sich wirklich noch zumuten will«, so die Erklärung des Forscherteams. Das Problem ist nur, dass bei satten Übergewichtigen die Sensibilität für Essensgerüche so weit gesteigert wird, dass sie nun auch auf kulinarische Geruchsnuancen aufmerksam werden, die sie sonst ignoriert hätten. Mit der Folge, dass sie noch einmal »nachlegen« und mehr essen, als ihnen eigentlich guttut.

Fraglich ist, ob die extrem essensempfindliche Nase im satten Zustand eine Ursache, oder aber eine Folge des Übergewichts ist. Ein Zusammenhang besteht in jedem Falle. Er bedeutet für alle Menschen mit Gewichtsproblemen, dass sie sich nach dem Essen in einem Restaurant dort nicht zu lange aufhalten sollten. Und für die Eltern übergewichtiger Kinder bedeutet er, dass sie auf eine gute Durchlüftung oder eine gut funktionierende Dunstabzugshaube in der Küche achten sollten, damit sich die Essensgerüche nicht überall in der Wohnung verbreiten können.

Doch nicht nur oben in der Nase, auch tief unten im Bauch sitzen Sinneszellen, die schmecken können. So fanden US-Forscher im Dünndarm den Rezeptor T1R3, der normalerweise auf der Zunge süße Geschmackserlebnisse vermittelt. Sein physiologischer Sinn besteht darin, den Stoffwechsel auf das bevorstehende Eintreffen von Zucker vorzubereiten. Dass er nun auch im Dünndarm gefunden wurde, zeigt nach Ansicht von Studienleiter Robert Margolskee von der Mount Sinai School in New York, dass der Körper den komplexen Signalen von der Zunge nicht hundertprozentig vertraut und »weiter hinten« noch eine geschmackliche Sicherheitskontrolle für den Zuckerhaushalt eingeführt hat. Problematisch ist jedoch, dass der Darmrezeptor auch durch Süßstoff stimuliert wird. In der Folge kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Insulin und dadurch zum Heißhunger auf Süßes. »Dieser Mechanismus erklärt, warum der Ersatz von Zucker durch Süßstoff nicht immer den erwünschten Effekt erzielt, sondern Übergewicht sogar fördern könnte«, so Margolskee.

Kekse müssen knacken

Dennoch: Das Fundament des Geschmackssinns, der Ort, an dem über seinen grundsätzlichen Charakter entschieden wird, steckt weder im Darm noch in der Nase, sondern im Mund. Über 10 000 Geschmacksknospen bevölkern den Gaumen und vor allem den Zungenrücken, weit mehr als bei Hunden (1700) und Katzen (etwa 500), die dem Menschen sonst in allen anderen Sinnen überlegen sind. Gruppiert sind die Knospen in sogenannten Papillen, die man auch mit bloßem Auge sehen kann. »Sie verleihen der Zunge ihr typisch samtiges Aussehen«, erklärt Neurophysiologe David Smith von der University im amerikanischen Maryland. Nicht alle Papillen besitzen allerdings Geschmacksfühler im eigentlichen Sinne. So sind die besonders häufigen Fadenpapillen nur für Berührungsreize zuständig, was deutlich macht, wie wichtig die Konsistenz eines Nahrungsmittels für den geschmacklichen Gesamteindruck ist. »Ein ekelhafter Schleim schmeckt auch deshalb ekelhaft, weil er schleimig ist«, betont Smith.

Die Lebensmittelindustrie beschäftigt mittlerweile ganze Abteilungen, in denen man am gaumenfreundlichen Feeling ihrer Produkte feilt. Kekse müssen auf eine andere Weise knackig sein als eine rohe Möhre, und die Bärchenwurst für Kinder darf nicht annähernd die ledrig-harte Konsistenz einer luftgetrockneten Salami haben, mit der sich ihre Eltern vergnügen. Auch Fruchtjoghurt liegt viel sahniger im Löffel als der fettarme Naturjoghurt, und die kleinen Cherrytomaten wurden mittlerweile so auf Kirsche getrimmt, dass sie nicht nur im Geschmack, sondern auch im Reinbeiß- und Kaugefühl an ihre fernen Verwandten vom Obstteller erinnern.

Viel mehr als vier Geschmacksrichtungen

Die Mehrheit der Zungenknospen beschäftigt sich jedoch hauptsächlich mit dem Geschmack. Die traditionelle Vorstellung, wonach sie sich nach einem bestimmten Flächenplan auf der Zunge verteilen– mit der süßen Wahrnehmung vorne und der bitteren weiter hinten–, gilt allerdings mittlerweile als überholt. Die unterschiedlichen Rezeptoren verteilen sich vielmehr, wenn auch nicht ganz gleichmäßig, über die komplette Zunge. Es macht also keinen Sinn, wenn man Kinder nötigt, gaaaaanz langsam zu essen, damit sie mit Muße den vollen Geschmack des Hähnchenbeins oder der Pizza erfassen. Gierig herunterschlingen sollten sie das Essen allerdings auch nicht, denn dann würden viele der Rezeptoren einfach keinen Stimulus bekommen.

Überholt ist mittlerweile auch die Vorstellung, wonach der Mensch nur vier Geschmacksrichtungen unterscheiden könnte. Wir erkennen nämlich weitaus mehr als süß, salzig, sauer und bitter. Allein fürs Bittere gibt es 25 Rezeptoren, die unterschiedliche Nuancen wahrnehmen können. Zudem gibt es noch eine Geschmacksrichtung namens »umami« fürs Würzig-Fleischige, sie wird besonders vom Geschmacksverstärker Glutamat bedient. Und es gibt Hinweise darauf, dass wir noch einen sechsten Sinn fürs Fett besitzen. Ein Forscherteam um Fabienne Laugerette von der französischen Université de Bourgogne entdeckte ein Glykoprotein namens CD36, das sich in unmittelbarer Nähe der Geschmacksrezeptoren befindet und sensibel für Fette ist. Dies könnte, wie Laugerette findet, »durchaus klinische Bedeutung haben«. Denn Labortiere, denen die CD36-Proteine im Mund fehlten, verzehrten deutlich weniger Fette und Kalorien als ihre Artgenossen.

Auch einige Mineralien lassen sich schmecken. Vom Kochsalz Natriumchlorid weiß man das schon lange. Doch damit nicht genug. Wissenschaftler des Monell Chemical Senses Center in Philadelphia entdeckten auf Rattenzungen einen Rezeptor, der auf Kalzium reagiert. »Und im Erbgut des Menschen sind die Gene für diesen Rezeptor ebenfalls vorhanden«, erklärt Studienleiter Michael Tordoff. Wahrscheinlich also, dass auch der Homo sapiens Kalzium schmecken kann. Dies würde beispielsweise erklären, warum einige von uns »hartes«, kalziumreiches Wasser als unangenehm empfinden. Doch der evolutionäre Sinn dieser Empfindung bleibt im Dunkeln: Denn insofern Kalzium für den Knochenaufbau benötigt wird, sollte es eigentlich angenehm schmecken.

Der Geschmackseindruck »scharf« verdankt seine Existenz der Tatsache, dass auf der Zunge auch Schmerzrezeptoren sitzen. Die werden normalerweise von einer Fettschicht zugedeckt. Doch bestimmte Substanzen, wie etwa das Capsaicin aus Pfeffer, lösen diese Blockade. Die Sinneszellen stehen dann quasi nackt im Wind und übermitteln dem Gehirn einen Schmerzreiz, den die einen als unangenehm, die anderen als angenehm empfinden– je nach genetischer Veranlagung.

Das Erbgut legt die Basis…

Es ist also ein außerordentlich komplexes Signalgemisch, das beim Schmecken zu den Wahrnehmungszentren im Gehirn geleitet und dort zu einem abschließenden Geschmacksurteil verarbeitet wird. Und dort wird die Angelegenheit keineswegs weniger komplex. So erreichen Japaner beim Frühstück mit Fischsud und Meeresalgen eine Salzkonzentration, die man in Mitteleuropa als ekelhaft empfindet, und ein Inuit aus Grönland schaut fassungslos, wenn wir in einen sauren Apfel beißen.

Ursprünglich dachte man, dass solche Unterschiede hauptsächlich durch kulturelle Umgebung und Erziehung geprägt werden. Doch die Gene spielen dabei wohl auch eine große Rolle, wie eine Studie des King’s College in London ermittelte. Die englischen Forscher analysierten das Essverhalten von 3262 Zwillingen, und dabei zeigte sich, dass eineiige Zwillinge viel eher ähnliche Vorlieben wie etwa für Kaffee und Knoblauch haben als ihre zweieiigen Pendants. Insgesamt seien zwischen 41 und 48 Prozent der Geschmacksvorlieben durch das Erbgut beeinflusst, so Studienleiter Tim Spector. »Unsere Forschungsergebnisse beweisen, dass der genetische Aufbau oft entscheidet, welche Art der Ernährung wir bevorzugen.«

… und das Lernen prägt bereits im Mutterleib

Der Geschmack besitzt aber auch eine starke pädagogische Komponente. Wie bei allem im Leben wird zwar seine Basis durch die Gene gelegt, aber seine Ausprägung, das endgültige Ausbilden der gustatorischen Vorlieben und Aversionen, wird erlernt. Und das geht schon im Mutterleib los. Denn das Ungeborene schluckt mit dem Fruchtwasser diverse Geschmacks- und Aromastoffe aus dem Essen der werdenden Mutter. Dadurch sammelt es seine ersten Erfahrungen, sodass es frühzeitig auf die typischen Speisen seines Kulturkreises vorbereitet wird. Den zweiten Kick bekommt das kindliche Geschmackstuning beim Stillen. Denn auch mit der Muttermilch gelangen Geschmacks- und Aromastoffe zum Kind. Daher akzeptieren gestillte Kinder neue Speisen leichter, wenn diese von der Mutter während der Stillzeit regelmäßig gegessen wurden. Es schmeckt ihnen, weil sie die neuen Geschmäcker bereits kennen und davon ausgehen, dass die entsprechenden Speisen offenbar gesund und nahrhaft sind. Denn sonst, so glaubt das Baby zumindest, hätte sie die Mutter ja nicht verzehrt– auf die Idee, dass sie möglicherweise auch etwas völlig Ungesundes essen könnte, kann es ja noch gar nicht kommen.

Von der ersten Beikost zum Salz-Junkie

Die erste Beikost im Leben eines Kindes sorgt dann für eine weitere nachhaltige Prägung des Ernährungsstils. So ermittelte man am Monell Chemical Senses Center in Philadelphia, dass Kinder, denen bereits im Alter von sechs Monaten die erste salzhaltige Beikost verabreicht wurde, später im Vorschulalter 55 Prozent mehr Salz vertilgen als diejenigen, die in ihrem sechsten Lebensmonat entweder weiter gestillt wurden oder allenfalls zusätzlich rohe Obst- und Gemüsestücke zum Daraufherumlutschen bekamen. Man muss davon ausgehen, dass sie diese Vorliebe für Salziges in den meisten Fällen bis ins Erwachsenenalter beibehalten werden– und das hat diverse gesundheitliche Nachteile. Denn der hohe Salzkonsum ist nicht nur ein Risikofaktor für Bluthochdruck, sondern auch für Übergewicht. Laut einer englischen Studie führt er dazu, dass man seinen Durst oft mit zuckerreichen Softdrinks löscht. Vermutlich deshalb, weil der Salzgeschmack auf der Zunge im Gehirn den Wunsch nach einer süßen Gegenbewegung weckt. Und davon später wieder loszukommen, ist kein Kinderspiel. Forscher der University of Iowa konnten bei Ratten ernsthafte Entzugserscheinungen auslösen, indem sie den Salzgehalt ihrer Nahrung reduzierten. »Die Symptome waren durchaus mit dem Entzug eines Drogensüchtigen zu vergleichen«, erklärt Studienleiter Kim Johnson, und er geht davon aus, dass man dergleichen auch beim Menschen beobachten könnte. Mit anderen Worten: Mütter sollten ihren Nachwuchs so lange wie möglich stillen und die erste Beikost ohne Salz zubereiten (siehe Beikostrezepte in Kapitel 7). Denn andernfalls provozieren Eltern, dass aus ihren Kindern Salz-Junkies werden, die sich, selbst wenn sie von den gesundheitlichen Nachteilen ihres Ernährungsstils wissen, zu übergewichtigen Hypertonikern vollfressen.

Und ewig lockt das Süße

Dass Kinder überhaupt Salziges mögen, liegt daran, dass ihnen diese Geschmacksrichtung die Anwesenheit von Natriumchlorid signalisiert. Ihr Körper benötigt es für diverse Funktionen, wie etwa für die Arbeit seiner Muskeln. Womit wir bei einem entscheidenden Faktor des Geschmacks sind: Der Mensch soll durch ihn zu Nährstoffen geführt werden, die besonders wichtig für ihn sind. Weswegen Kinder schon recht früh auf Salzstangen und anderes Salzgebäck abfahren. Aber es gibt einen Geschmack, den sie noch viel attraktiver finden und der sie noch anfälliger macht für die entsprechenden Verführungen der Lebensmittelindustrie: das Süße.

Die Ursache dafür liegt darin, dass er vor allem von einem Organ des Menschen benötigt wird: dem Gehirn. Es stellt zwar gerade mal zwei Prozent der gesamten Körpermasse, doch aufgrund seiner nimmermüden Nervenzellen beansprucht es beim Erwachsenen 20 Prozent der zugeführten Nahrungsenergien für sich– und beim Neugeborenen sogar 50 Prozent! Und die müssen als Zucker geliefert werden. Es ist daher kein Wunder, dass sich der Mensch mit dem Beginn seines Lebens in besonderem Maße zu süßen Speisen hingezogen fühlt. Der intensive Wunsch nach Süßem begleitet ihn von seiner Geburt bis zu seinem Tode. Doch seine Ausprägung kann sehr unterschiedlich sein, und das hängt von zahlreichen Faktoren ab. So gilt für den Zucker, wie für den Salzkonsum, dass er sich mit steigender Dosis selbst befeuert und bis zur Sucht hochschaukeln kann: Je früher man ein Kind mit hohen Zuckermengen konfrontiert, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch später extrem hohe Dosierungen brauchen wird, um sein Bedürfnis nach Süßem zu befriedigen. Nicht umsonst liegt der weltweite Zuckerkonsum aktuell bei 167 Millionen Tonnen pro Jahr. Ein besonderes Problem ist zudem, dass der süße und salzige Geschmack schon bei ihrer Empfindung auf der Zunge eine Allianz eingehen. So konnten amerikanische Wissenschaftler nachweisen, dass bestimmte Zuckersensoren auf der Zunge umso besser funktionieren, sobald Salz vorhanden ist. Was konkret bedeutet: Wenn man reichlich Salz in den Keks oder das Kuchenstück einbringt, fördert dies auch das Süßerlebnis. Wenn also Eltern darauf achten, dass sie ihren Kindern möglichst zuckerreduzierte Naschereien kaufen, sollten sie auch deren Salzgehalt ins Visier nehmen. Denn wenn der bei über 100 Milligramm auf 100 Gramm eines Lebensmittels liegt, sorgt er trotzdem für ein nachhaltiges und prägendes Süßerlebnis. Solche Salzmengen sind in Süßigkeiten nicht selten. So enthält beispielsweise ein Krapfen (»Berliner«) knapp 350 Milligramm Kochsalz je 100 Gramm, die zusammen mit 44 Gramm Zucker für ein Süß-Festival sorgen, das die Kinder nie mehr vergessen werden. In Frühstückscerealien können Salz und Zucker sogar in noch größeren Mengen auftauchen– und die kommen, im Unterschied zum »Berliner«, nahezu täglich auf den Tisch. So findet man in 100 Gramm »Frosties« neben stattlichen 88 Gramm Zucker über 1500 Milligramm Kochsalz.

Ekelsuppe und Schokotrost

Der Geschmack wird aber im Laufe eines Menschenlebens auch durch Erfahrungen beeinflusst, die weder mit physiologischen Bedürfnissen noch mit konkreten sensorischen Geschmacksrichtungen zu tun haben. Das meiste davon geschieht unbewusst. So kann eine Aversion gegenüber einem bestimmten Nahrungsmittel dadurch entstehen, dass wir es mit einer schweren Krankheit verbinden, die wir als Kind erlebt haben. Wenn die Eltern beispielsweise dem Nachwuchs immer Zwieback und Hühnersuppe geben, wenn er mit Fieber im Bett liegt, wird er später nur wenig Neigung haben, diese Speisen im gesunden Zustand zu essen. Möglicherweise wird er sich sogar jedes Mal krank fühlen, wenn die intensiven Düfte einer Hühnersuppe durch seine Nasenflügel wehen. Und wenn sich ein Kind unmittelbar nach dem Verzehr von schwarzem Tee übergeben muss, wird der später in seiner Getränkehitliste ganz hinten stehen, auch wenn die Übelkeit dereinst gar nicht durch den Tee, sondern durch eine Mageninfektion zustande kam.

Die Verhaltensforschung nennt so etwas eine »unglückliche Konditionierung«, weil sich zwei Ereignisse, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, in einem unerwünschten Reiz-Reaktions-Muster verbinden. Aber das eigentlich Unglückliche besteht darin, dass gerade diese Konditionierungen– vor allem dann, wenn sie in der lernbereiten Kindheit erfolgen– extrem hartnäckig sind.

Umgekehrt, also in Richtung Vorliebe für bestimmte Nahrungsmittel, funktionieren Konditionierungen in der Kindheit natürlich auch. Wenn die Eltern dem Kind, das sich beim Spielen verletzt hat und weint, immer wieder ein Stück Schokolade geben, wird auch das als Konditionierung in dessen Gehirn gespeichert. Mit der Folge, dass für den Schoko-Getrösteten bis ins Erwachsenenalter unverrückbar feststeht, dass es sich bei Schokolade um etwas Angenehmes handeln muss. Daran ist nichts Schlimmes, mit dieser Vorstellung kann man durchaus leben. Es ist aber auch möglich, dass der Betreffende als Erwachsener immer dann zur Schokolade greift, wenn ihm in irgendeiner Weise zum Weinen zumute ist, also beispielsweise auch bei Liebeskummer oder Ärger im Beruf. Die Schokolade muss dann als Trost für jedwede Art von Schmerz herhalten– und das kann natürlich schnell dazu führen, dass man zu viel davon isst. Diese Problematik des übertragenen Schokotrostes trifft vor allem Frauen, weil sie als weinende Mädchen besonders oft mit etwas Süßem besänftigt werden, während man die heulenden Jungen auch schon mal mit dem Satz »Ein Indianer kennt keinen Schmerz« vom elterlichen Schoß herunterscheucht.

Menschen, Essen, Sensationen

Wer Einfluss auf die geschmacklichen Vorlieben seiner Kinder nehmen will, sollte deren Lebensstil frühzeitig in die richtigen Bahnen jenseits überholter Rollenklischees lenken. In den 1960er-Jahren entwickelte der amerikanische Psychologe Marvin Zuckerman einen Fragebogen, mit dem er die Reizsuche bzw. die Sensationslust von Menschen untersuchen wollte. Seine Absicht war also, ein objektives Messverfahren für unsere Neigung zu finden, neue oder zumindest ungewöhnliche Erfahrungen zu suchen. Zuckermans Fragebogen hat bis heute großen Einfluss auf die Psychologie; mittlerweile sind zahlreiche Arbeiten erschienen, die darauf basieren. Einige dieser Arbeiten fanden innige Zusammenhänge zwischen der gemessenen Sensationslust und den Ernährungsvorlieben erwachsener Menschen. Demnach haben Leute, die es nach außergewöhnlichen Erlebnissen wie Bungee-Springen, Autobahnwettrennen oder Spekulieren an der Börse dürstet, eine besondere Vorliebe für scharfes, saures, salziges und knuspriges Essen. Im Unterschied zu den eher friedvollen Homo sapiens, die ihr Leben lieber mit weniger Aufregung gestalten und es mit trauten Familienessen, geruhsamen Spaziergängen, soliden Tatort-Krimis oder entspannten Gesprächen über Bundesschatzbriefe garnieren. Die stehen nämlich auf milde, weiche, saftige und cremig-süße Kost.

»Sensationssucher« neigen also dazu, auch beim Essen das Aufregende oder zumindest Anregende zu suchen. Sie haben aber auch eine verstärkte Tendenz zu ungesundem Essen und Trinken. Sie trinken nämlich mehr Alkohol, und sie essen mehr Fleisch, vorzugsweise in Form von halbrohen Fleischlappen aus dem Steakhaus, angekokelt-knusprigen Entenbrüsten vom Chinesen oder zwiebelbestückten Mettwurstschnitten aus der Kneipe. Wer jedoch einen niedrigen Wert auf seiner Sensationsskala hat, der steht eher auf Gemüseaufläufe, Quarkspeisen und milde Obstsalate, und hier zeigt bereits ein oberflächlicher Blick auf die Speisekarte, dass er deutlich gesünder lebt.

Man muss nicht lange überlegen, bis man feststellt, dass sich die Sensationssucher und damit Scharf- und Salzigesser überwiegend aus dem männlichen Geschlecht rekrutieren. Es sind vorzugsweise Männer, die sich an Gummiseilen in die Tiefe stürzen und sich auf offiziellen oder inoffiziellen Rennstrecken gegenseitig von der Fahrbahn schubsen. Sie sind nun einmal sensationslustiger und risikofreudiger, und diese Eigenschaften werden schon relativ früh in der Kindheit angelegt. Denn als Jungen genießen Männer schon den Bonus des »kleinen Rabauken«, dem nicht nur riskante Aktionen, sondern auch mal kleinere oder größere Übertritte nachgesehen werden, während Mädchen eher auf Risikolosigkeit, Verständnis und Kooperation, und manchmal sogar auf Gehorsam und Unterwürfigkeit geeicht werden. Doch das muss ja nicht so sein. Man kann Jungen und Mädchen auch ohne die alten Geschlechterstereotypen erziehen– und tut ihnen dann auch im Hinblick auf ihr späteres Ernährungsverhalten Gutes.

Die Macht von Farben, Größe und Image

Essen und Trinken sind also ein multisensorisches Erlebnis, bei dem neben Nase, Zunge und Gaumen auch die Augen mitspielen. Somit spielt auch das Aussehen der Speisen eine große Rolle in der Ausprägung des Geschmacks