Mit Vorsicht zu genießen - Annette Sabersky - E-Book

Mit Vorsicht zu genießen E-Book

Annette Sabersky

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  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Was steht drauf, was ist drin?

Die Produkte im Supermarkt werden anscheinend immer gesünder: „natürlich“, „reich an wichtigen Nährstoffen“ und „ohne künstliche Zusatzstoffe“. Doch beim täglichen Einkauf werden wir nicht selten über den Ladentisch gezogen: Der vermeintlich gesunde Babybrei ist eine vitaminarme Konserve, die Fruchtlimonade angereichert mit Benzol und das "natürliche Aroma" kommt aus dem Labor.

Doch Aufklärung naht: Erfahren Sie, welche Nährstoffe wir wirklich brauchen und wo uns die Lebensmittelbranche das Geld aus der Tasche zieht – auf Kosten unserer Gesundheit!

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Seitenzahl: 316

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ANNETTE SABERSKY ist Ernährungswissenschaftlerin, Journalistin und Autorin. Seit mehr als 15 Jahren ist sie als selbstständige Journalistin unter anderem für das Greenpeace-Magazin, Öko-Test und Bild am Sonntag tätig. Seit 2013 veröffentlicht sie wöchentlich auf Bio-Food-Tester.de eigene Testergebnisse und prüft für Magazine die Qualität von Biolebensmitteln. Annette Sabersky lebt und arbeitet in Hamburg und hat zwei Kinder.

JÖRG ZITTLAU studierte Philosophie, Biologie und Sportmedizin. Er arbeitete in Lehre und Forschung, bis er 1992 zum Wissenschaftsjournalismus wechselte. Von ihm erschienen zahlreiche Bestseller zu Naturheilverfahren, Psychologie und Ernährung. Er lebt mit seiner Familie in Bremen.

ANNETTE SABERSKY

JÖRG ZITTLAU

MIT VORSICHTZU GENIESSEN

Die neuen Lügender Lebensmittelindustrie

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Taschenbucherstausgabe 06/2015

Copyright © 2015 by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung und Motiv:

Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Redaktion: Sabine Jürgens

Satz: Schaber Datentechnik, Wels

ISBN: 978-3-641-15416-5

www.heyne.de

Inhaltsverzeichnis

Vorspeise

KAPITEL 1

Die Wahrheiten zu grünen Lebensmitteln

1. Greenwashing: So färbt die Lebensmittelindustrie minderwertiges Essen grün

2. Ganz groß in Mode: »gluten- und Laktosefrei«

3. Funktionelle Lebensmittel: Was haben Fischöl im Brot und Cholesterinsenker in der Margarine zu suchen?

4. Vegane Lebensmittel: Wenn Soja und Tofu nach Fleisch schmecken sollen

5. Die neuen Superbrote: Low Carb – aber auch weniger Kalorien?

KAPITEL 2

Die Wahrheiten zu traditionellen Lebensmitteln

1. Im Trommelfeuer der Meinungen

2. Entbehrlich: Wie viel Fleisch tut uns gut?

3. Back to the roots: Warum Fisch so gesund ist

4. Nüsse: oft unterschätzt und diffamiert

5. Zwischen Vitamin- und Zuckerbombe: Warum Obst gut für uns ist – und Fruchtsäfte eher nicht

6. Freispruch für Omas Suppe: Warum Gemüse gut für uns ist – und wir es auch mal kochen sollten

7. Eier: Vitaminbomben mit Imageproblem

8. Brot: Ein Steinzeitlebensmittel unter Beschuss

9. Kaffee: Baldrianersatz oder harntreibender Muntermacher?

10. Milch: Als Joghurt ist sie besser

KAPITEL 3

Die Wahrheit zu Bio- und Regiokost

1. Bio ist nicht gleich bio. Ein Wegweiser durch den Biodschungel

2. Bioirrtum (1): Bio ist stets besser

3. Bioirrtum (2): Bio schmeckt stets besser

4. Biofertigkost ist oft nicht das bessere Fast Food

5. »Von Hier«-Regio-Kost ist oft weit gereist

KAPITEL 4

Die Wahrheiten zur Kinderernährung

1. Fingerfood & Babybrei

2. Ein heißes Thema: vegane Kinderkost

3. Zucker- und Salzbomben zum Frühstück: der Cerealien-Schummel

4. »Kinderlebensmittel« braucht kein Kind

KAPITEL 5

Die Wahrheit zu unseren Nährstoffen

1. Ballaststoffe: gut für Darm, Lunge und Seele – und Fettdepots

2. Rettet die Bitterstoffe!

3. Eiweiße: Wie viel Wert hat ein Steak?

4. Fette: reif für die Rehabilitierung

5. Kann man ohne Kohlenhydrate leben?

6. Vitamine: überschätzte Allrounder

7. Kochsalz: weißes Gold oder weißes Gift?

KAPITEL 6

Die Wahrheit zu Diäten, Fasten und Veganern

1. Vom Überfluss zum Überdruss

2. Rund und trotzdem gesund

3. Diäten: je härter, desto besser

4. Wo sind all die Schlacken hin? Was Heilfasten wirklich bringt

5. Veganer leben gesund – trotz Nährstoffmangel!

Vorspeise

Wir verhehlen nicht, dass wir eine gewisse Sympathie für ihn hegen: für Michael Pollan, Professor für Journalistik an der Universität of California in Berkeley und einer der größten Nahrungsmittelkritiker in den USA. Er sagt so simple Dinge wie: »Essen Sie echte Lebensmittel statt weiterverarbeitete Nahrungsmittelprodukte. Nichts mit unaussprechlichen Zusatzstoffen oder mehr als fünf Zutaten.« Das klingt natürlich ein wenig rückschrittlich in Zeiten übervoller Regale im Supermarkt und Discounter, ganzer Batterien an Tütensuppen und Fixprodukten, Müslis, Fruchtjoghurts mit Knicksecke und Kunststoffschälchen mit geschnippeltem Salat oder, alternativ, mit Currywurst. Sie alle rufen: »Kauf mich, ich bin lecker, gesund und billig.«

Aber es ist ein handfester Tipp. Und er zeigt: Pollan ist kein rückwärtsgewandter Meckerer, er blickt nach vorn. Er informiert, deckt auf und plädiert dafür, sich nicht für dumm verkaufen zu lassen. Als taz-Redakteur Peter Unfried ihn in einem Interview mit einer Aussage der SPD konfrontierte, die da lautet: »Die Currywurst ist das ehrliche Essen für ehrliche Leute – wie früher«, da antwortet er erst einmal bedächtig und sagt: »Na ja.« Dann erläutert er: Die Wurst sehe zwar aus wie früher, aber sie sei eben nicht mehr wie früher. Sie komme von Tieren, die anders gehalten werden, die anders essen und die mit Antibiotika vollgestopft werden. Doch diese Dinge seien für die Konsumentinnen und Konsumenten nicht sichtbar. Die Currywurst sei ein ideales Beispiel für die Strategie der Industrie: »Man kann verstecken, was man wirklich macht. Keiner sieht es der Wurst an.« Und auch der Politik könnte man ergänzen.

Dass uns heute jede Menge Lebensmittel verkauft werden, die nach außen hin gesund, clean und lecker aussehen, nach innen aber pfui sind, dabei hilft auch die Werbung. Sie garniert die Wurst und all die anderen Lebensmittel mit tollen Versprechen, mit Natur pur, Gesundheit satt und wunderbarem Geschmack. Die Kinderwurst wird gesund durch einen Zusatz an Kalzium und Vitamin C – angeblich. Auf dem Joghurtbecher steht, er sei nur »mit natürlichen Aromen« versehen, das Frühstücksei und wahlweise auch das Brot seien herzgesund durch Omega-3-Fettsäuren.

Zugleich werden diese Produkte dreist in den Markt gedrückt. Nehmen wir die glutenfreien Lebensmittel. Der Markt boomt. Der Jahresumsatz 2013 liegt schon bei 60 Millionen Euro. Gekauft werden die Diätprodukte nicht etwa nur von Menschen, die unter Zöliakie leiden. Das ist etwa einer von 500 Bürgern. Sie vertragen das Gluten (den Kleber) aus einigen Getreidearten wie z. B. Weizen nicht und müssen es gänzlich meiden. Doch glutenfreie Lebensmittel wie Kuchen, Brot und Brötchen, Nudeln und Knabberkram landen heute weniger in ihrem Einkaufskorb als in dem von Menschen, die diffuse Verdauungsbeschwerden haben. Jene also, die nach dem Essen Bauchschmerzen bekommen und meinen, es liege am Weizentoast oder an den Nudeln. Dass nicht unbedingt das Toast oder die Nudeln schuld sind, wissen auch die Firmen, z. B. Nestlé. Das schweizerische Unternehmen schreibt in der Lebensmittelzeitung (LZ): »Viele Konsumenten, die glutenfreie Produkte kaufen, haben keine Glutenunverträglichkeit, verzichten aber bewusst darauf, da sie sich damit besser fühlen.« Das passende Produkt bietet das Unternehmen auch gleich mit an: GlutenFree Corn Flakes. In der LZ werdensieals echte Innovation gefeiert (»Neu«, »Trendbewusst«). Dabei ist Mais – das Getreide, aus dem Flakes hergestellt werden – von Natur aus glutenfrei. Das war immer schon so und wird auch so bleiben.

Doch Verbraucher müssen dem nicht hilflos zusehen. Sie können etwas tun. Erst einmal: sich informieren. Und dabei hilft dieses Buch. Es entlarvt die aktuellen Lügen der Lebensmittelindustrie, seien es die von Nestlé, Mars und Unilever. Es beleuchtet aber auch das Treiben der Biobranche und ihrer Bio-Fix-Produkte, die oft besser, aber auch nicht immer das Gelbe vom Ei sind. Hinzu kommen sogenannte Regionalprodukte. Neben immer neuen Gesundprodukten machen Bio und Regional schon rund zehn Prozent der Lebensmittel im Regal aus. Auch hier lohnt der Blick hinter die Kulissen.

Und schließlich mischt sich dieses Buch auch in die aktuelle Diskussion unserer Nährstoffe ein. Denn die Fragen »Sind Kohlenhydrate ungesund?« und »Sollte man auf Eiweiß oder Fett setzen?« sind noch nicht beantwortet. Und auch die Frage, welche Ernährungsform tatsächlich die gesündeste ist, »vegan, vegetarisch oder wie gehabt?«, wird von uns ausgiebig diskutiert.

Wem das alles auf den Magen schlägt, der sollte sich die Schürze umbinden und loskochen. Dass Kochen Spaß macht und gut tut, ist nicht so neu. Doch es bietet auch eine einfache Lösung, um sich gegen die Macht der Lebensmittelindustrie zu stemmen. Es ist, wie es Michael Pollan sagt, »der schnellste Weg, Industriekonzerne rund um die Essenfrage wieder aus dem eigenen Haus zu bekommen, in das sie sich reingedrängt haben«.

Wir verhehlen bei allem nicht, dass wir eine gewisse Sympathie für ganz normale Grundnahrungsmittel hegen, also für Brot, Käse, Fisch und Joghurt, Hülsenfrüchte und Obst. Sie haben Menschen seit Jahrtausenden begleitet und schon allein deshalb einen gewissen Anspruch auf ihre Existenz in unserem Speiseplan.

Das bedeutet aber nicht, dass wir mit festem Ergebnis an die Recherchen gegangen sind. Dazu ist das Angebot viel zu bunt und groß – und auch neue Produkte haben ihre Berechtigung. Das objektive Herangehen hat den schönen Vorteil, dass man auf Überraschendes stößt. So wird immer wieder behauptet, das heutige Obst und Gemüse sei vitaminarm, und darum sei es nötig, Säfte und Wurst mit Vitaminen anzureichern. Tatsache ist aber, dass unser Grünzeug noch nie so vor Vitaminen und Mineralstoffen strotzte wie heute. Das liegt daran, dass sie durch Düngemittel mit Mineralien und Vitaminen versorgt werden, die auch jeder Mensch braucht. Zudem wurden die Transportzeiten durch verbesserte Logistik verkürzt.

Damit wollen wir weder dem leicht löslichen, umweltschädlichen Mineraliendünger noch dem Lebensmitteltourismus das Wort reden. Das Beispiel zeigt aber, dass es gut ist, sich dem Essen und Trinken unvoreingenommen zu nähern. Wir sehen also weder im Frühstücksei noch in der Bratwurst das Gute oder Böse an und für sich, sondern Lebensmittel, die sich im Laufe ihrer langen Geschichte den Anspruch verdient haben, dass man fair mit ihnen umgeht und die tatsächlichen Vor- und Nachteile zu ermitteln versucht. Wir haben also nichts gegen die Currywurst aus Biofleisch vom Demeter- oder Biolandhof mit Biocurry, wohl aber gegen die Industriewurst aus Schlachtabfällen, die mit Ketchup und Curry zugekleistert wird.

Dazu gehört aber auch, mit den Erkenntnissen zu leben – und sie im Alltag umzusetzen. Darum haben wir vielen Kapiteln konkrete Ratschläge nachgestellt, die helfen sollen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Einen weiteren Rat Pollans wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Er sagt: »Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte.« Was hätte die alte Dame wohl gesagt, wenn sie in den Plastikbecher mit der Fünf-Minuten-Terrine hineingeschaut und dort nichts außer ein paar Krümel gefunden hätte?

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen und guten Appetit!

Annette Sabersky und Jörg Zittlau

Hamburg und Bremen, Februar 2015

KAPITEL 1

Die Wahrheiten zu grünen Lebensmitteln

Die Produkte in den Regalen der Supermärkte werden grün und grüner. Ob Tütensuppe oder Saft, Brot oder Frühstücksflakes, viele Lebensmittel sind heute »mit wichtigen Vitaminen und Mineralien« und »ohne Gluten« oder auch »ohne Laktose«. Natur pur könnte man meinen. Doch von Natur bleibt oft nicht mal eine Spur. Der Inhalt ist weder grün noch gesund. Die Industrieprodukte werden zwar aufgepeppt, doch was tatsächlich in die Tüte kommt, können Verbraucher nicht nachvollziehen. Denn die Industrie versteht es, sie durch vollmundige Formulierungen oder Weglassen von Informationen im Ungewissen zu lassen.

1. Greenwashing: So färbt die Lebensmittelindustrie minderwertiges Essen grün

Was isst der Mensch morgen und wie kauft er ein? Diese Frage interessiert die Lebensmittelmacher brennend. Denn nur so können sie maßgeschneiderte Produkte kreieren und präsentieren, die die Kasse klingeln lassen. Mithilfe von Studien versuchen sie herauszufinden, wie die Kunden ticken, was sie sich wünschen und wollen. Dabei geht es gar nicht so sehr um Geschmacksvorlieben, ob gerade süß, salzig oder sauer gegessen wird, ob asiatisch, mediterran oder deutsche Küche angesagt ist. Es geht eher um Stimmungen und Gefühle beim Essen. Denn die hat jeder. Und sie wiederum wirken sich direkt auf das Essverhalten aus.

Wie also fühlt sich Ernährung heute für Menschen an? Das herauszufinden war Auftrag der Marktforscher des Kölner Rheingold Instituts. Gemeinsam mit dem Fachblatt Lebensmittelzeitung (LZ) führte es eine Studie durch, die den Bedürfnissen und Gefühlen der Menschen beim Essen auf den Grund geht. Dazu muss man wissen, dass die LZdie Zeitung für den Lebensmittelhandel ist. Sie ist fast so dick wie die Zeit, erscheint wöchentlich und ist ein »must have« für alle, die in der Lebensmittelbranche arbeiten. Was in der LZ steht, ist von Wichtigkeit.

Mithilfe von Interviews wurde ermittelt, welche Sorgen und Ängste Verbraucher haben, welche Bedürfnisse und was sie sich fürs Essen wünschen. Fazit: Die Menschen sind verunsichert. Es kriselt im Makrokosmos, man fühle sich hilflos in der großen, immer globaler werdenden Welt, auch der des Essens. Lebensmittelskandale, Spekulationen mit Rohstoffen und Nahrungsüberfluss bedrohen das eigene Essverhalten. Ein Ei ist nicht einfach ein Ei von einem Huhn, sondern ein Produkt, das in Massen unter unwürdigen Bedingungen für das Tier erzeugt wird.

Hinzu kommt der Wunsch nach Transparenz. Man möchte gern wissen, wo das Essen herkommt. Wie es hergestellt, geerntet und transportiert wird. Das Steak liefert nicht der Bauer von nebenan an den Discounter, sondern es ist aus einer Agrarfabrik im nächsten Bundesland – oder auch aus Argentinien.

Doch mit derart vielen Vorbehalten lassen sich keine Geschäfte machen. Die Teilnehmer der Studie wurden darum gefragt, was ihnen helfen und Sicherheit geben könnte. Sie hatten eine einfache Antwort: die Natur. Sie sei ein zentrales Element. Natur symbolisiere die Sehnsucht nach einer friedlichen und unversehrten Welt, sie biete Beruhigung.

So ist zu erklären, dass die Lebensmittelbranche auf Natur pur setzt. Dass sie Kühe, saftige Wiesen und Bauernhöfe auf Verpackungen druckt, dass sie Nummern vergibt, mit deren Hilfe die Herkunft des Lebensmittels rückverfolgt werden kann, und Life-Video-Schaltungen auf Felder zur Ernte ins Internet stellt. Sie will Vertrauen und Sicherheit schaffen. So rückt sie die Kunden näher ran an die Natur und damit ans Essen und an die Nahrung. Auf diese Weise soll die Sehnsucht der Verbraucher nach Natur in einer globalisierten Welt gestillt werden.

Doch damit erscheinen die Produkte nur in einem anderen Licht. Ob Nestlé, Mars oder Kraft Foods, keiner der Global Player bietet wirklich natürliche Lebensmittel an; Milch, Fleisch und Wurst also, die von der Pike auf nachhaltig erzeugt werden, aus biologischen Rohstoffen sind und auch ohne unnötige Zusätze auskommen. Der grüne Relaunch beginnt bei der Verpackung. Knackige Früchte, buntes Gemüse oder ein saftiges Stück Fleisch sind darauf zu sehen, selbst wenn der Inhalt derselbe bleibt. Das Portal www.Lebensmittelklarheit.de macht solche von Verbrauchern mitgeteilten Industrielügen öffentlich und geht ihnen nach. So wurde vor einiger Zeit eine Verpackung kritisiert, die ein saftiges Stück Entenfleisch zeigt, appetitlich in Scheiben geschnitten und mit knuspriger Kruste. Versprochen wurden Nudeln à la Thai Chef Ente. In die Packung aber kamen lediglich Mehl, Öl, Zucker, Geschmacksverstärker und Aroma, von Entenfleisch keine Spur. Nur mit der Lupe war zu erkennen, dass es sich bei dem Bild um einen »Serviervorschlag« handelt. Der Hinweis muss immer dann auf der Verpackung stehen, wenn das Foto wenig mit dem Inhalt zu tun hat. »Hier drängt sich der Verdacht auf, dass einige Firmen die Angabe ›Serviervorschlag‹ als Freibrief für Mogeleien nutzen: So werden frische, qualitativ hochwertige Zutaten auf der Verpackung gezeigt, die mit dem Produkt nie in Berührung kamen«, so Lebensmittelklarheit.

Eine andere beliebte Methode des Greenwashings ist das »Umfruchten« mit Apfelsaft.

Weil Obst und Gemüse Naturprodukte sind, werden sie gerne genutzt, um eine hohe Produktqualität vorzutäuschen. So kritisierte Lebensmittelklarheit Fruchtgummis, auf deren Verpackung saftig-fruchtige Cranberrys zu sehen sind sowie der Hinweis »mit natürlichem Fruchtsaft«. Drin waren dann aber gar keine Fruchtgummis aus dem Vitamin-C-reichen Cranberrysaft, sondern die süßen Gummis enthielten vor allem Apfelsaft aus Konzentrat. In der Fachsprache heißt dies Umfruchten. Geworben wird also mit einer als gesund geltenden eher teuren Fruchtsorte, drin ist aber schnöder Apfelsaft. In diesem Fall kamen noch Aroma und der rote Farbstoff Karmin dazu. Die Firma wurde abgemahnt und versprach, die Packung zu ändern.

Während hier »umgefruchtet« wurde, verzichten andere Firmen ganz auf Früchte – und verwenden stattdessen Aromen. So locken insbesondere Früchtetees gerne mit saftigem Obst und dem Hinweis »nur natürliche Zutaten«. Früchte finden sich im Teebeutel meist aber nur in sehr geringer Menge. Stattdessen wird der Tee mit »natürlichen Aromen« auf Frucht getrimmt. Das ist von Gesetzes wegen auch erlaubt. Die »Leitsätze für Tee und Tee-Erzeugnisse« fordern auf der Packung nur einen Hinweis auf die Geschmacksrichtung der Sorte. Die bildliche Darstellung muss nicht mit der tatsächlichen Zusammensetzung übereinstimmen.

Damit nicht genug. Die Angabe »Natürliches Aroma« bedeutet nicht, dass der Tee tatsächlich den Geschmack von Mirabellen und Birnen oder gar Fruchtstücke enthält. Die europäische Aromenverordnung erlaubt, dass aus natürlichen Rohstoffen aller Art gewonnene Geschmacksstoffe als »natürlicher Aromastoff« bezeichnet werden. Dabei ist es unerheblich, ob der Geschmack aus einem Kohlblatt oder Baumstamm gewonnen wird, Hauptsache es ist die Natur im Spiel. Maßgabe ist also allein die natürliche Herkunft des Rohstoffs. Selbst wenn das Ananasaroma im Labor von Schimmelpilzen aus Kohlresten gewonnen wird, ist dies »natürlich«. Erst wenn auf dem Etikett »natürliches Ananasaroma« steht, hat man die Sicherheit, dass der Ananasanteil mindestens 95 Prozent beträgt.

Das Gefühl von Natürlichkeit soll den Kunden auch durch den Verzicht auf Zusatzstoffe gegeben werden. Denn die haben einen schlechten Ruf. Rund 70 Prozent der Verbraucher wollen keine Zusatzstoffe im Essen, ergab eine Umfrage von TNS Infratest. Darum werden Lebensmittel vor allem damit beworben, was nicht drin ist – und wirken damit grüner.

Man nennt es Clean Labeling und das bedeutet: sauber etikettieren. Sauber werden Zutatenlisten, indem man Zusatzstoffe aus den Rezepturen eliminiert und durch gesünder und natürlich klingende Substanzen ersetzt. Also: Zusatzstoffe raus, Ersatzstoffe rein. Die Ersatzstoffe haben den Vorteil, dass sie nicht als Zusatzstoffe und damit auch ohne E-Nummer deklariert werden können. Sie wirken dann wie ganz normale Zutaten. Auf dem Etikett steht dann z. B. »Rosmarinextrakt« oder »Eiweißkonzentrat«. Mittlerweile soll es weltweit mehr als 20000 Lebensmittel geben, die mit einem Clean Label versehen sind, so der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV).

Doch besser als das Original sind die Ersatzstoffe nicht unbedingt. So wird der umstrittene Geschmacksverstärker Glutamat (E 620) heute zwar kaum noch eingesetzt. Er enthält Glutaminsäure, die den Appetit anregen und zum Vielessen verführen kann. Ob Maggi, Knorr oder Iglo, ob Tütensuppe, Ravioli in der Dose oder TK-Gemüsepfanne, häufig findet sich auf den Packungen der Hinweis: »ohne geschmacksverstärkende Zusatzstoffe«. Stattdessen kommen aber Hefeextrakt oder auch andere, den Geschmack verstärkende Zutaten in die Tüte, etwa Tomaten- oder Eiweißkonzentrat. Eine Studie des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen ergab: 92 Prozent der Produkte, die laut Etikett »ohne Geschmacksverstärker« sind, enthalten Hefeextrakt & Co. Wie Glutamat enthalten sie reichlich appetitanregende Glutaminsäure.

Eiweißstoffe sollen auch Emulgatoren und Stabilisatoren ersetzen. Und sorgen somit für ein Clean Label. Emulgatoren verbinden wasser- und fetthaltige Zutaten zu einer Emulsion, Stabilisatoren verleihen dem Pudding Stabilität und sorgen dafür, dass sich Zutaten mit der Zeit nicht entmischen. Doch obwohl »Eiweiß« schön natürlich klingt, irgendwie nach Milch oder Frühstücksei, handelt es sich um einen stark verarbeiteten Zusatz: Aus Magermilch wird die Eiweißfraktion Casein mithilfe von Salzsäure oder Schwefelsäure ausgefällt. Dann kommt Natronlauge dazu, um das geronnene Casein zu lösen. Schließlich entfernt man noch das Kalzium aus dem Eiweiß – und erhält so den Emulgator. In Mayonnaise sorgt er für einen cremigen Mix, in Wurst verhindert er unschöne Fettfilme. In der Zutatenliste steht lediglich: »Milcheiweiß«.

Auch Antioxidationsmittel, künstliche Aromen, Farb- und Konservierungsstoffe verschwinden von den Etiketten vieler Produkte. Sie werden mit dem Hinweis »Ohne Konservierungsstoffe« oder »Ohne künstliche Aromastoffe« beworben. »Vielen Kunden vermitteln die Botschaften ein gutes Gefühl. Sie brauchen nicht mehr das Zutatenverzeichnis abzusuchen nach Stoffen, die sie wie Konservierungsstoffe ablehnen«, so die Stiftung Warentest.

Dabei sind diese Aussagen Selbstverständlichkeiten. So ist der Hinweis »Ohne Konservierungsstoffe lt. Gesetz« ein beliebter Schwindel. Er findet sich oft auf Lebensmitteln, die von Gesetzes wegen gar keine Konservierungsstoffe enthalten dürfen. Oder der Einsatz ist nicht üblich. Tiefkühlkost wird allein durch Kälte haltbar gemacht, Tütensuppen enthalten nur trockene Zutaten, die nicht anfällig sind für Verderb, und Knabbersachen wie z. B. Chips werden gebacken und somit haltbar.

Insbesondere Kinderprodukte werden gerne mit dem Hinweis »Ohne Farbstoffe« versehen. Doch ein Blick aufs Etikett zeigt, dass darin sehr oft rot färbende Rote Bete oder grünes Spinatpulver zu finden ist. Zwar sind die Ersatzstoffe harmlos, die Deklaration ist aber so nicht korrekt und führt in die Irre. Korrekt müsste der Hinweis »Mit färbendem Rote-Bete-Saft« lauten.

Und immer mehr Lebensmittel sind »ohne künstliche Aromen«. Die Verbraucherzentralen nahmen rund 150 Fertigprodukte ins Visier, die mit »Ohne«-Auslobungen warben, also »clean« waren. Bei jedem dritten Produkt fanden die Verbraucherschützer einen Hinweis auf den Aromen-Verzicht, insbesondere auf »künstliche Aromen«. Vor allem Erfrischungsgetränke, Pizza, Süßes und Knabbersachen waren »ohne Aromastoffe«. Die Werbung ist irreführend, denn künstliche Aromen werden heute so gut wie nicht mehr eingesetzt. Die Verwendung von künstlichen Aromastoffen ist nur für einige wenige Lebensmittelgruppen überhaupt gestattet. Und die Angabe »natürliches Aroma« macht sich in der Zutatenliste einfach besser. Dennoch wirbt das Unternehmen Mars in einer Broschüre zum Thema Gesundheit und Ernährung damit, dass bei allen Schokoladenriegeln auf künstliche Farb- und Konservierungsstoffe sowie Aromen verzichtet werde. Also in Mars, Snickers, Milky way und Balisto.

Ein weiterer Trick, Lebensmittel gesünder erscheinen zu lassen, sind die Nährwerte. Also der Gehalt an Fett, Eiweiß und Kalorien. »Mit Hochdruck« werde bei den Firmen daran gearbeitet, den Gehalt an Zucker, Fett und ungünstigen, gesättigten Fettsäuren sowie die Kalorienmenge zu vermindern, berichtet die Lebensmittelzeitung. Das scheint nötig. Denn die Deutschen sind zu dick. 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen haben Übergewicht, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Jeder Vierte ist sogar stark übergewichtig, also adipös.

Nestlé habe in den vergangenen Jahren den Salzgehalt vieler Fertigmischungen gesenkt, um zehn bis 15 Prozent, schreibt das Unternehmen in einer Pressemitteilung. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, denn viele Lebensmittel sind wirklich viel zu salzig. Mit einer Portion Tütensuppe oder Pizza wird oft schon die Hälfte der von Ernährungsgesellschaften akzeptierten Salzmenge von sechs Gramm täglich gegessen. Doch darüber wird gern vergessen, dass Tütensuppen, Fertig-Fix für Lasagne oder die fertige Saucenmischung für das Pasta-Gratin nach wie vor hoch verarbeitete und vitaminarme Produkte sind, deren Rohstoffe aus aller Welt kommen. Gesundes Essen sieht anders aus.

Und noch ein beliebter Trick:

Auf Fertigprodukten findet sich zunehmend ein kleiner farbig unterlegter Kasten mit einer Nährwertinfo – die sogenannte GDA-Kennzeichnung (Guideline Daily Amount). Grundlage für die Angaben sind die Richtwerte für die tägliche Zufuhr an Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten, Zucker, gesättigten Fetten, Ballaststoffen, Natrium, Salz und Kalorien. Bezogen auf eine Portion wird also ausgewiesen, wie viele Kalorien oder Zucker mit der jeweiligen Portion gegessen werden – bezogen auf den Tagesbedarf. So liefert eine 30-Gramm-Portion Flakes laut Deklaration nur drei Prozent des Zuckerbedarfs, weniger als ein Prozent Fett und nur sechs Prozent der Tageskalorien. Klingt doch gut, oder? Die Angaben sind reine Augenwischerei. Denn die zugrunde gelegten Portionsgrößen sind viel zu klein. Wer wird schon von 30 Gramm Flakes satt? Milch, Obst und Joghurt sind auch noch nicht mit eingerechnet.

Mit Rat zur Tat

Gehen Sie mit offenen Augen einkaufen. Sind Lebensmittel »ohne …«, prüfen Sie in der Zutatenliste, was stattdessen drin ist. Nicht zu empfehlen sind Ersatzstoffe wie Hefeextrakt, natürliche Aromen oder Eiweißkonzentrate.

Beachten Sie bei der Nährwertinfo immer die angegebene Portionsgröße.

Auf der Website www.Lebensmittelklarheit.de finden sich viele Beispiele für derartige Täuschungsmanöver. Sie helfen dabei, Etiketten zu verstehen.

Es gibt konventionelle Firmen, die tatsächlich Lebensmittel »ohne Zusatzstoffe« anbieten, etwa Frosta-Tiefkühlkost. Das ist keine Schleichwerbung, sondern ein schönes Beispiel, dass auch Industrieküchen so kochen können, wie man es zu Hause machen würde.

2. Ganz groß in Mode: »gluten- und Laktosefrei«

Ab sofort lässt es sich »glutenfrei« urlauben. Unter www.GlutenfreeRoats.com finden sich mehr als 40000 Adressen für Hotels, Restaurants, Supermärkte und Reformhäuser, in denen es glutenfreies Essen gibt. Weltweit. Ob Pizza in Rom oder Flammkuchen im Elsass, Mandelhörnchen in Flensburg oder Aufbackbrötchen in Münster, für jeden Appetit gibt es die passende Adresse. Einfach Postleitzahl eingeben und die Suche beginnen.

Das Angebot hat die Firma Dr. Schär initiiert. Der Marktführer für glutenfreie Lebensmittel will darüber natürlich die eigenen Produkte lancieren. Er kann damit aber auch Menschen mit der Krankheit Zöliakie ein bisschen das Leben erleichtern. Ihr Dünndarm kann das Gluten aus Getreide nicht verarbeiten. Sie müssen ein Leben lang auf Produkte verzichten, die den Eiweißstoff Gluten und die Unterfraktion Gliadin enthalten. Weizen, Roggen und Gerste, aber auch in den Ur-Getreiden Dinkel, Einkorn und Emmer ist Gluten enthalten. Schon kleinste Mengen sind für die Betroffenen gefährlich. Ihre Darmschleimhaut entzündet sich und sie bekommen starke Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall. Zugleich bilden sich die Zotten im Darm, über die Nährstoffe und Vitamine aufgenommen werden, zurück. Vitamine und Nährstoffe können also nicht richtig ausgenutzt werden. Die Folge: schwere Mangelerscheinungen. Nach Angaben der Deutschen Zöliakie Gesellschaft ist hierzulande einer von 270 bis 500 Menschen betroffen.

Doch die Internetseite wird nicht nur von Zöliakie-Patienten genutzt. Immer mehr Menschen verzichten auf Gluten. »Glutenfrei ist das neue Porentief-Rein«, beobachtet die Inhaberin eines Naturkostfachgeschäfts. In Zeiten, in denen die Zutatenlisten immer länger werden und Etikettenschwindel alltäglich ist, sehnen sich Verbraucher nach »Reinheit und Transparenz«. Doch tatsächlich werden hier Gesunde mit Diätkost von den Firmen abgezockt.

Dazu passt ein Trend aus den USA, der das Thema puscht: Der Verzicht auf Gluten und Weizen führe zu Gesundheit, Fitness und innerer Reinheit, wird behauptet. Eine gluten- und weizenfreie Ernährung mache schlank. Ob Lady Gaga, Miley Cyrus oder Gwyneth Paltrow, viele Promis schwören auf glutenfreies Essen, weil es (angeblich!) schlank und fit hält.

Doch davon kann nicht die Rede sein. »Es gibt keinerlei Evidenz dafür, dass eine glutenfreie Diät beim Abnehmen hilft oder Übergewicht vorbeugt, so wie es manche Diät-Coaches oder Prominente in den Medien verkünden«, stellt der Gastroenterologe Wolfgang Holtmeier aus Porz am Rhein klar. Auch der Verzicht auf Weizen, also auf Toastbrot, Brötchen und Nudeln, eine Ernährung, wie sie in dem Bestseller Weizenwampe propagiert wird, führt nicht zur Traumfigur oder mehr Gesundheit. »Obwohl er (Weizen) sowohl an Übergewicht als auch an Herz-Kreislauf-Erkrankungen schuld sein soll, hat sich die Herzinfarktrate in den letzten 20 Jahren bei uns fast halbiert«, so Holtmeier. Der Verzehr von Getreideprodukten ist zugleich kontinuierlich gestiegen, so Holtmeier im Fachmagazin UGB-Forum.

Dennoch boomt das Glutenfrei-Geschäft. Betrug der Umsatz von glutenfreiem Brot, Kuchen, Gebäck und Müsli, von Backmischungen, Nudeln, Fertiggerichten und Tiefkühlkost ohne Gluten laut der Lebensmittelzeitung hierzulande vor wenigen Jahren noch 39 Millionen Euro jährlich, so lag er 2013 schon bei 60 Millionen Euro. Tendenz: weiter steigend. Cerealien-Anbieter Nestlé weiß auch warum: »Viele Konsumenten, die glutenfreie Produkte kaufen, haben keine Glutenunverträglichkeit, verzichten aber darauf, da sie sich damit besser fühlen«, schreibt der Nahrungsmittelgigant in einer Anzeige in der Lebensmittelzeitung.

Glutenfreie Produkte erfreuen sich eines rasanten Absatzes, weil laut Angaben in einschlägigen Ratgebern oder auch auf Web-Seiten von Heilpraktikern, Ernährungsberatern und naturheilkundlichen Ärzten etwa jeder Zwanzigste unter einer Glutenunverträglichkeit leidet. Wissenschaftliche Belege für diese Zahlen sind jedoch Mangelware. Eigentlich ist sogar noch nicht einmal klar, ob es Glutenunverträglichkeit überhaupt gibt. Denn bisher lässt sie sich nur indirekt feststellen. Dazu schließt der Arzt Zöliakie und eine Weizenallergie durch Tests aus, und wenn es dem Patienten dann trotzdem besser geht, wenn er auf Gluten in seiner Ernährung verzichtet, schließt man von diesem Befund auf eine Glutensensitivität. Ein Beweis ist das jedoch nicht. »Denn allein die Tatsache, dass die Ernährung umgestellt wird, kann schon dazu führen, dass man sich besser fühlt«, erklärt Stephanie Baas von der Deutschen Zöliakiegesellschaft (DZG).

Glutenfreie Produkte werden also nicht mehr nur von Menschen mit Zöliakie gegessen, sondern auch von denjenigen, die meinen, an einer Weizen- oder Glutensensitivität leiden. Die Darmschleimhaut der Betroffenen ist gesund, sie können Nährstoffe also bestens resorbieren. Dennoch bekommen sie nach dem Verzehr von Hartweizennudeln oder Toastbrot Bauchschmerzen, Blähungen und Durchfall, aber auch Kopfschmerzen und Muskelbeschwerden.

Eine Studie unter der Leitung von Detlef Schuppan von der Harvard Medical School in Boston ergab Hinweise darauf, dass Gluten wohl gar nicht der Hauptschuldige für die Probleme der angeblichen glutensensitiven Menschen ist. Das internationale Forscherteam verglich die Reaktion des Immunsystems auf alte und exotische Getreidesorten mit der Reaktion auf moderne Hochleistungsgetreide, und dabei entdeckte man, dass statt Gluten sogenannte Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI) die typischen Reaktionskaskaden einer Glutenunverträglichkeit verursachen können. Diese Stoffe treten oft gemeinsam mit Gluten im Getreide auf, weshalb sich ihre Wirkungen bisher schlecht auseinanderhalten ließen. »ATI wirken im Körper wie krankmachende Keime. Sie aktivieren das Immunsystem und initiieren im Körper heftige Entzündungen«, erklärt Schuppan. Die ATI könnten neben Darmproblemen auch andere Erkrankungen verursachen, beispielsweise Diabetes oder multiple Sklerose.

Wenn aber die ATI das Immunsystem überaktivieren, hätte man auch eine Erklärung, warum die angebliche Glutenunverträglichkeit in den vergangenen Jahren immer häufiger geworden ist. Denn diese Stoffe sind ein Produkt der modernen Landwirtschaft, die in den letzten Jahren eine Weizenvariante herangezüchtet hat, die sich dem Insektenfraß widersetzen kann. Wesentliches Merkmal dieses Hochleistungsweizens ist, dass er viel mehr – nachgewiesenermaßen insektizide – ATI enthält als die klassischen Getreidesorten. Es spricht also vieles dafür, dass es sich bei der grassierenden Glutenunverträglichkeit in Wahrheit um eine ATI-Unverträglichkeit handelt, die wiederum das Produkt einer Agrarindustrie ist, die in ihrem Bemühen um steigende Erträge ein Lebensmittel geschaffen hat, auf das unsere Immunabwehr nicht eingestellt ist. Das Brot an sich ist also gar nicht das Problem, sondern der Rohstoff, aus dem es mittlerweile oft hergestellt wird.

Der Verzicht auf glutenfreie Lebensmittel ist also bei einer Glutensensitivität, anders als bei Zöliakie, meist nicht nötig. »Wenn man medizinisch eine Zöliakie ausgeschlossen hat, und die Patienten positiv auf eine Diät ansprechen, dann müssen sie diese auf Dauer (aber) meist nicht ganz so streng einhalten«, sagt Wolfgang Holtmeier. Das bedeute, sie brauchen nicht immer und überall auf jeden »Krümel« zu achten, wie Zöliakiepatienten dies tun müssen. Die Schwelle, bis zu der Getreide vertragen wird, müsse individuell ausgetestet werden. Möglicherweise vertragen die Betroffenen also kein Ciabatta und auch keine Nudeln, aber geringe Zusätze an Weizenmehl in Lebensmitteln.

Wer glutenfreie Lebensmittel kaufen muss oder will, sollte sich nicht übers Ohr hauen lassen. So fand die »Stiftung Warentest« in einem Marktcheck auf einer Flasche Rapsöl und auch auf einem Frischkäse den Hinweis »Glutenfrei« – obwohl beide Lebensmittel naturgemäß kein Getreide enthalten. Glutenfreien Schinkenspeck und Tiefkühlerbsen fand die Verbraucherzentrale Hamburg. Beide haben von Natur aus kein Gluten in sich.

»Porentief rein« sind glutenfreie Lebensmittel meist auch nicht. Sie enthalten oft mehr Zusatzstoffe als die vergleichbaren »normalen« Produkte. Gluten, auch Kleber genannt, hält Mehl und Wasser in Brot und Backwaren zusammen. Fehlt er, müssen Dickungsmittel her. So enthalten glutenfreie Brotbackmischungen neben Reis- und Maismehl meist auch noch die Verdickungsmittel Johannisbrotkernmehl und Xanthan. Sie schaden zwar nicht, »porentief rein« sieht aber anders aus.

Von Rechts wegen dürfen Produkte, die mit dem Hinweis »glutenfrei« werben, nicht mehr als 20 Milligramm Gluten je Kilo enthalten. Ab Juli 2016 können Lebensmittel zudem den Hinweis tragen »sehr geringer Glutengehalt«, wenn das Endprodukt maximal 100 Milligramm je Kilo aufweist. Auch wenn Hafer oftmals besser vertragen wird, so muss der Anbieter, der mit »glutenfrei« oder »geringer Glutengehalt« wirbt, sicherstellen, dass der Hafer nicht mit glutenhaltigem Weizen, Roggen, Gerste oder auch Kreuzungen aus diesen Getreidesorten kontaminiert wurde. Der Hafer selbst darf nur 20 Milligramm Gluten je Kilo enthalten.

Mit Rat zur Tat

Stellt sich nach dem Verzehr von Milch und Weizen Bauchgrummeln und Durchfall ein, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Er kann die Unverträglichkeit überprüfen.

Wer unter Zöliakie leidet, muss in jedem Fall auf glutenhaltige Getreide und daraus hergestellte Produkte verzichten. Eine Ernährungsberaterin kann helfen, einen Speiseplan zusammenzustellen.

Wer »nur« empfindlich auf Weizen reagiert, muss auf das Getreide meist nicht komplett verzichten. Kleine Mengen an Weizen werden oft gut vertragen. Nur geballte Ladungen wie sie in Pizza und Nudeln stecken, sollten nicht verzehrt werden. Probieren Sie aus, ob andere Getreide verträglich sind. Es ist auch einen Versuch wert, ob Biogetreide vertragen wird. Für die Herstellung von Biobrot und Co. werden meist keine Hochleistungssorten verwendet.

Wer nachweislich unter einer Weizenallergie leidet, muss Weizen meiden bzw. prüfen, was bekommt.

Checken Sie die Angaben zum Glutengehalt auf der Packung: Glutenfrei: nicht mehr als 20 mg pro Kilo. Sehr geringer Glutengehalt: max. 100 mg pro Kilo.

Prüfen Sie, ob Produkte mit »Glutenfrei«-Werbung üblicherweise überhaupt Gluten enthalten. Glutenfrei sind in der Regel Fleisch, Fisch und Wurst, Gemüse und Obst.

Glutenfreie Lebensmittel enthalten oftmals Zusatzstoffe wie Dickungs- und Bindemittel, damit sie eine bestimmte Form und Konsistenz erhalten, etwa Brot und Brötchen. Die Zutatenliste gibt Auskunft.

Der höhere Preis ist dann gerechtfertigt, wenn es sich um ein echtes glutenfreies Produkt handelt. Die Kontrollen, die dies sicherstellen, kosten Geld, und es ist aufwendig, ein glutenfreies Brot oder Baguette zu entwickeln.

Umsatz bescheren Handel und Herstellern auch Lebensmittel »ohne Laktose«. Sie sind für alle gedacht, die keine Laktose, also Milchzucker, verdauen können. Laktose ist vor allem in Milch enthalten, aber in geringer Menge auch in Joghurt, Quark und Käse. Rund 15 Prozent der Bevölkerung sind laut des Verbandes für unabhängige Gesundheitsberatung von der sogenannten Laktoseintoleranz betroffen. Das Enzym, das den Milchzucker, die Laktase, aufspaltet, arbeitet bei ihnen nur eingeschränkt oder gar nicht. Nach dem Verzehr von Milch bekommen sie Bauchschmerzen, Durchfall, Kopfschmerzen und Kreislaufbeschwerden. Bei Laktasemangel ist Milch, ob von der Kuh oder der Ziege, meist tabu. Jedoch wird Käse, der wie Parmesan, Gruyère und Allgäuer Emmentaler lange reift, oft gut vertragen, weil bei deren langwieriger Herstellung die Laktose mit der Zeit abgebaut wird. Ob man Quark und Joghurt verträgt, muss ausprobiert werden. Sie enthalten zwar auch Laktose, die darin enthaltenen Milchsäurebakterien bauen sie aber ab. Das gilt insbesondere für probiotische Joghurts mit Laktobazillus (LB) delbrueckii, LB bulgaricus und LB streptococcus. Jedoch wird der Typ des LB nicht immer deklariert.

Für Menschen mit Laktoseintoleranz bietet die Industrie Lebensmittel an, die »ohne Laktose« oder auch »laktosefrei« sind. Die Herstellung ist nicht so aufwendig wie bei einem glutenfreien Produkt. Der Milch wird einfach das Enzym Laktase zugesetzt, das Milchzucker in die Bausteine Glukose und Galaktose aufspaltet. Fertig. Trotzdem sind sie meist viel teurer als das Original.

Das Geschäft mit »ohne Laktose« boomt. »Laktosefreie Milchprodukte (ohne Käse) haben im vergangenen Jahr schon ein Volumen erreicht, dem das Etikett ›wertschöpfende Nischenprodukte‹ nicht mehr gerecht wird«, erklärt Enrico Krien vom Marktforschungsinstitut Nielsen in der Lebensmittelzeitung. Ein Renner sei laktosefreie H-Milch, die allein zwischen 2013 und 2014 ein zweistelliges Umsatzwachstum verbuchte. 120 Millionen Liter wurden getrunken, der Umsatz betrug 117 Millionen Euro. Das ist ein Plus von 25 Prozent zum Vorjahr. Schon 7,2 Prozent der gesamten verkauften H-Milch sind heute laktosefrei. Der Konsumforscher weiß, woran das liegt: »Nicht nur die von Laktoseunverträglichkeit betroffenen Konsumenten, sondern auch viele ›Normalverbraucher‹ greifen zu den teureren Ersatzprodukten.«

Doch nötig ist das nicht. Die meisten Menschen vertragen Milchzucker prima. Dennoch führen sie allgemeine Beschwerden nach dem Essen auf die Milch zurück, weiß Andreas Wagner, Chefarzt des St.-Marien-Krankenhaus Ratingen. Sie greifen zu L-Minus-Milch – oder streichen Milch gleich ganz vom Speiseplan.

Ein weiterer Grund ist das allgemeine Unbehagen gegenüber Kuhmilch. Ob Allergien, Turbokühe oder Genfutter für Kühe, um den Ruf der Milch ist es nicht gut bestellt. So wird versucht, dem Unbehagen mit dem Trinken von L-Minus-Milch zu begegnen. Das ist irrational. Denn L-Minus-Milch ist weder weniger allergen noch von glücklichen Kühen, und die Tiere bekommen auch oft Genfutter. Aber die Sondermilch vermittelt zumindest das gute Gefühl, anders als herkömmliche Milch zu sein.

Für Menschen, die keine Laktose vertragen, ist L-Minus-Milch eine gute Möglichkeit, Milch zu konsumieren. Jedoch sollte vom Arzt vorher die Diagnose »Laktoseintoleranz« gestellt werden. Er macht einen Atemtest, eine einfache Blutabnahme reicht nicht. Sich selbst die Diagnose Laktoseintoleranz zu stellen, sei eine Art »Modeerscheinung«, meint Professor Hahn im Öko-Test-Magazin: »Leichter als der Weg in die Arztpraxis ist eben manchmal der Weg in den Supermarkt.« Er rät, auch bei positiver Diagnose auszuprobieren, wo die eigene Verträglichkeitsgrenze liegt. Oft werden kleine Mengen an Laktose, wie sie in Naturjoghurt, Butter oder Hartkäse enthalten sind, gut vertragen.

Beim Einkauf lohnt es sich, aus mehreren Gründen die Augen offen zu halten. Denn wie bei den glutenfreien Produkten wird auch bei Lebensmitteln mit »laktosefrei« Schindluder getrieben. Zum einen verwenden die Hersteller mehrere Begriffe, da es keine verbindlichen Vorgaben gibt. Die Lebensmittelchemische Gesellschaft hat folgende Definitionen aufgestellt. »Laktosefrei«: Das Produkt muss weniger als 0,01 g/100 g Laktose enthalten. Ist es »streng laktosearm«: unter 0,1 g/100 g, ist es »laktosearm«: unter 1 g/100 g.

Zum anderen wird der Begriff gerne überstrapaziert: Die Verbraucherzentrale Hamburg prüfte vor einiger Zeit 24 als »laktosefrei« gekennzeichnete Lebensmittel. Dabei stieß sie auf jede Menge Unsinn. So waren Produkte, die wie Butter und Naturjoghurt von Natur aus kaum Laktose enthalten, mit dem Label »laktosefrei« gekennzeichnet. Aber auch auf einem Mehrkornbrot von Dr. Schär und einem Knäckebrot von Wasa fand die Verbraucherzentrale den Hinweis. Dabei enthalten Brot und Knäckebrot üblicherweise keinen Milchzucker. Selbst Schinkenspeck von »Gutfleisch« und der Mühlen-Schinken von »Rügenwalder Mühle« trugen das Label, obwohl Fleisch und Wurst meist keinen Milchzucker enthalten. Kommt er tatsächlich in die Wurst, dann handelt es sich um sehr geringe Mengen, die wiederum meist vertragen werden. Eine Auslobung vorn auf der Packung sei nicht gerechtfertigt. Von den Verbraucherschützern wurde die »Werbung mit Selbstverständlichkeiten« kritisiert. Zumal Produkte mit dem Hinweis »laktosefrei« immer etwas teurer sind als das vergleichbare normale Produkt, ergab der Markttest der Verbraucherzentrale Hamburg. Dasselbe gilt auch für Lebensmittel mit der Werbung »glutenfrei«. Im Schnitt lag der Preisaufschlag für »laktosefrei« oder »glutenfrei« bei plus 140 Prozent. Wurst mit der Werbung »laktosefrei« kostete im Schnitt 95 Prozent mehr, Käse im Mittel 122 Prozent mehr und das laktosefreie Mehrkorn- und Knäckebrot 217 Prozent mehr. Auf das Minus L Schwarzbrot vom Marktführer Omira wurden gleich 383 Prozent aufgeschlagen – im Vergleich zu einem normalen Vollkornbrot aus der Tüte.

Es gibt Ärzte, die zu Recht betonen, es sei geradezu kontraproduktiv, Laktose ganz vom Speisezettel zu streichen. Wird laktosefrei gegessen, stellt der Körper mit der Zeit die Bildung des Enzyms Laktase ein. Das bedeutet: Auch kleine Mengen an Milchzucker können vom Körper nicht verwertet werden und lassen den Bauch grummeln. Es geht also nicht darum, ganz auf Laktose zu verzichten, sondern individuell zu prüfen, was bekommt.

Eine gute Nachricht gibt es aber doch. Bei einem »Öko-Test laktosefreie Spezialprodukte« kamen Milch, Joghurt, Quark, Butter und Schokoladeneis auf den Prüfstand. Alle Lebensmittel waren mit einem Gehalt von weniger als 0,1 Prozent tatsächlich frei von Laktose.

Mit Rat zur Tat

Verzichten Sie nur auf Milchprodukte, wenn ein Laktasemangel vom Arzt (Internist, Allergologe oder Gastroenterologe) festgestellt wurde.

Auch bei Laktoseintoleranz ist eine Ernährungsberatung hilfreich.

Testen Sie bei einer diagnostizierten Laktoseintoleranz die individuelle Verträglichkeit. Bei Laktasemangel ist Milch, ob von der Kuh oder der Ziege, meist tabu. Parmesan, Gruyère und Allgäuer Emmentaler werden jedoch oft gut vertragen.

Prüfen Sie, ob ein Produkt die Aufschrift »laktosefrei« verdient. Wurst, Brot, Eier, Mineralwasser, Gemüse und Obst, Nüsse und Samen, Pflanzenöl und die meisten Getränke sind von Natur aus laktosefrei. Die oft sehr teure L-minus-Butter kann man sich getrost sparen. Butter enthält naturgemäß nur etwa 0,6 Gramm Laktose je 100 g – und wird nur dünn aufgetragen.

Höhere Preise bei Laktosefrei-Produkten sind hingegen Geldschneiderei. Sie sind unkompliziert herzustellen.

3. Funktionelle Lebensmittel: Was haben Fischöl im Brot und Cholesterinsenker in der Margarine zu suchen?