9,99 €
Edvard Munch – Kunst als Spiegel der Seele Edvard Munchs ikonisches Gemälde "Der Schrei" wurde zum Sinnbild existenzieller Ängste und zugleich zur Vorlage für ein populäres Emoji. Doch der norwegische Maler ging weit darüber hinaus: Er schuf ein einzigartiges "Seelentagebuch", das seine psychischen Zustände auf Leinwand festhielt und bis heute fasziniert. In diesem Band aus der Hatje Cantz Reihe A–Z erkundet der renommierte Autor Ulf Küster Munchs Leben und Werk in 26 Themenkapiteln. Von "Angst" bis "Zoo" zeigt das Buch die persönlichen und universellen Dimensionen von Munchs Kunst und seine Bedeutung für die Moderne. Ein packender Zugang zu einem Künstler, der Emotionen wie kein anderer malte. Der Schrei der Moderne: Munchs berühmtestes Werk und seine universelle Bedeutung. Ein Seelentagebuch in Bildern: Kunst als Ausdruck psychischer Verfassung. Neue Zugänge: Überraschende Kapitel zu Munchs Leben und Themen. Hatje Cantz A–Z – Kunstgeschichte kompakt und inspirierend. Die Hatje Cantz Buchreihe A–Z bringt große Künstlerinnen und Künstler der Kunstgeschichte in kompakter, unterhaltsamer Form näher. Jeder Band bietet biografische Einblicke, überraschende Details und spannende Perspektiven auf ihr Schaffen. Mit klarer Struktur und handlichem Format ist die Reihe der ideale Begleiter für Kunstinteressierte, Sammler und Neuentdecker. Edvard Munch (1863-1944) machte als Maler und Grafiker Gefühle und Seelenzustände zum Thema seines Schaffens. In intensiven Farben und einer Formgebung zwischen Abstraktion und Figuration schuf er eine höchst individuelle künstlerische Sprache, die sein Werk bis heute so rätselhaft wie ansprechend macht. Geboren in Norwegen, führten ihn Reisen nach Paris und Berlin, wo er Kontakte zu bedeutenden Literaten, Künstlern und Intellektuellen der Zeit pflegte. Sein Lebensende verbrachte er zurückgezogen in Oslo, wo er 1944 starb. Der Kunsthistoriker Ulf Küster (*1966, Stuttgart) arbeitet seit 2004 bei der Fondation Beyeler in Riehen/Basel. Er kuratiert international beachtete Ausstellungen und verfasst zahlreiche Publikationen. Bei Hatje Cantz erschienen u.a. Bücher zu Edward Hopper und Piet Mondrian (Reihe A–Z) sowie zu Louise Bourgeois (Reihe Kunst zum Lesen).
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 53
Veröffentlichungsjahr: 2025
Munch
A–Z
A–Z
Von Ulf Küster
A → Angst
B → Boheme
C → Christian Munch
D → Dagny Juel
E → Ekely
F → Film, Fotografie
G → Gespenster
H → Häuser
I → Ich, Edvard Munch
J → Jacobson
K → Harry Graf Kessler
L → Lebensfries
M → Der Fall Munch
N → Natur
O → Oslo
P → Pubertät
Q → Quisling
R → Revolver
S → Schrei
T → Tuberkulose
U → Universität
V → Vampir
W → Weimar
X → Xylografie
Y → Yggdrasil
Z → Zoo
Edvard Munch ist immer wieder neu zu entdecken. Er war der absolut moderne Künstler: Aus einer nordischen Tradition der Landschafts- und Genremalerei kommend ging er schon ganz früh seinen völlig eigenen Weg. Trotz aller Anfeindungen machte er unbeirrt »sein Ding«. Das hieß, sein Leben zu malen, seine Gefühle darzustellen und seinen individuellen expressiven Malstil zu entwickeln. Die Intensität seiner Kunst, seine Leidenschaftlichkeit, die scheinbare Atemlosigkeit seines Arbeitens, die sich durch seine Bilder mitteilt, lässt fast niemanden kalt. Dieses A–Z soll dem interessierten Publikum Wege durch das vielfältige Leben des Künstlers und seiner Kunst weisen, es soll bekannte und weniger bekannte Aspekte seiner Biografie vorstellen.
Wer sich weiter mit Munch beschäftigen will, findet seine Bilder in vielen bedeutenden Museen der Welt, vor allem aber in Oslo: Im Nasjonalmuseet werden berühmte Meisterwerke gezeigt, und das Munchmuseet, das seinen umfangreichen Nachlass beherbergt, macht immer wieder Ausstellungen zu seinem Werk und dessen Themen. Für Onlinerecherchen ist die hervorragende Website des Museums zu empfehlen: munchmuseet.no.
Munch hat viele Briefe geschrieben und seine Gedanken umfangreich notiert, teilweise in romanhaften Fragmenten, in denen er von sich in der dritten Person schreibt. Seine Schriften werden unter emunch.no sukzessive zugänglich gemacht. Die Quellenhinweise in diesem Buch beziehen sich auf diese Website.
Dieses Buch hätte nicht ohne die Hilfe und Anregungen der Direktorin des Munchmuseet, Tone Hansen, sowie von Lars Toft-Eriksen, dem Senior Curator des Museums, entstehen können. Besonderer Dank an sie! Ebenso danke ich Lasse Jacobsen, dem Forschungsbibliothekar des Munchmuseet, und Ove Kvavik, dem Fotograf desselbigen Museums. Mein Chef Sam Keller hat mir erlaubt, das Buch neben meiner Tätigkeit als Kurator an der Fondation Beyeler in Riehen/Basel zu schreiben, wofür ich ihm herzlich danke. Besonderer Dank an Angelika Thill für die Produktionsleitung, Torsten Köchlin für die Gestaltung und Iris Seemann für das Lektorat. Großer Dank an die Verlegerin Nicola von Velsen für viele Gespräche und die Anregung, dieses A–Z zu schreiben.
Durch meinen Beruf habe ich das Privileg, viele Künstlerinnen und Künstler kennenzulernen. Für die meisten ist Edvard Munch ein großes Vorbild. Ihnen allen sei dieses Buch gewidmet.
AAbend auf der Karl Johans Gate 1892
Öl auf ungrundierter Leinwand 84,5 × 121,7 cm
Kode Bergen
»Wenn es eine Hölle geben kann, so ist sie ganz gewiss nur eine Zeit namenloser Angst.« Dieses Zitat findet sich in den Gedichten und Reflexionen von Carmen Sylva. Veröffentlicht wurden sie unter dem Titel Geflüsterte Worte und Sylva hieß eigentlich Elisabeth zu Wied und war von 1881 bis 1916 durch Heirat Königin von Rumänien.
Angst war ein Zeitgefühl, das die Menschen am Ende des langen 19. Jahrhunderts umtrieb und das ihr Dasein zur Hölle werden lassen konnte. Zwar gab es viel Fortschritt und auch Wohlstand, die Herrschaft Europas über die Welt schien zementiert, aber all das säte auch den Zweifel und damit eine diffuse Angst, vor allem vor den Abgründen des unteilbaren Selbst. Möglicherweise war nämlich die folgenreichste Entdeckung der Epoche das Unbewusste, das sich jeder Kontrolle entzieht.
Wahrscheinlich wusste Edvard Munch nichts von den Schriften Carmen Sylvas, aber die »Hölle der Angst« war ihm wohlbekannt. Sein Gemälde Angst von 1894 nimmt ein Thema auf, dass er zwei Jahre zuvor schon einmal dargestellt hatte (Abend auf der Karl Johans Gate im Kode Bergen). Eine Gruppe von Menschen, nur die vorderen drei Gesichter sind erkennbar. Sie scheinen dem Maler (und damit den Betrachtenden) auf einer diagonal angeschnittenen Straße entgegenzukommen und blicken ihn an: mit Schrecken, panischer Angst und der höhnischen Reflexion einer Person, die ihre Unruhe zu überspielen versucht. Munch wählte hier die gleiche Landschaftskonstellation wie auf seinem Gemälde Der Schrei→ Schrei von 1893, mit dem Ausblick auf den Fjord und den irisierend bunten Himmelsfarben.
AAngst 1894
Öl auf Leinwand 93,5 × 73 cm
Munchmuseet Oslo
Munchs Gemälde wird mit Kindheitserinnerungen in Verbindung gebracht: Der kleine Edvard wartet auf den heimkehrenden Vater → Christian Munch und hat Mühe, ihn in der Menge der nach Hause strebenden Menschen zu erkennen.
Schließlich gibt es noch eine Notiz von Munch aus einer von ihm unter dem Titel »Baum des Wissens« angelegten Sammlung von Notizen, Zeichnungen und Druckgrafiken. Sie wird mit Angst in Verbindung gebracht (MM T 2547, fol. 060-A41): Er sähe alle Menschen hinter ihren lächelnden Gesichter-Masken als Leichen, die trostlos auf einer gewundenen Straße entlangeilten, »deren Ende das Grab ist«.
AAngst 1896
Lithografie, handkoloriert 57 × 43 cm
Munchmuseet Oslo
BKristiania-Boheme I 1895
Radierung und Kaltnadel 20,8 × 27,7 cm (Motiv)
Munchmuseet Oslo
Mit Anfang 20 knüpfte Edvard Munch Kontakt zu einer Gruppe von Literaten, Künstlern und Künstlerinnen in Kristiania (heute Oslo). Sie lebten einen radikalen Gegenentwurf zum Pietismus der norwegischen Gesellschaft, den sein Vater repräsentierte. Eine Schlüsselfigur in dieser Gruppe war der Schriftsteller Hans Jæger (1854–1910), der 1885 einen Roman mit dem Titel Fra Kristiania-Bohêmen veröffentlichte, was der Gruppe ihren Namen gab. Dieses Buch wurde verboten und gegen den Autor wegen Sittenwidrigkeit eine Gefängnisstrafe verhängt. Jæger war Nihilist, rief zum Selbstmord auf, predigte den Abbruch aller Beziehungen zum Elternhaus und empfahl Edvard, seinen Vater umzubringen. Eine Zeitlang hatte er großen Einfluss auf Munch, der 1889 sein Porträt malte.
Jæger propagierte die freie Liebe und hatte jahrelang eine Affäre mit der Malerin Oda Engel-hart, die wiederum mit ihrem Kollegen Christian Krohg liiert war, den sie 1888 heiratete. Ihre Schwester war die Ehefrau des Malers Frits Thaulow, der Munchs entfernter Cousin und mit Krohg ein Mentor des Künstlers war. Dessen Bruder Carl wiederum war mit der notorisch untreuen Millie Thaulow verheiratet, in die sich Edvard 1885 unsterblich verliebte. Ihre Beziehung endete unglücklich, worunter Munch sein ganzes Leben lang litt.