Ferdinand Hodler - Ulf Küster - E-Book

Ferdinand Hodler E-Book

Ulf Küster

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Beschreibung

Schweizer Historienmaler, Symbolist, Vorläufer der Moderne? Hier die Wandbilder identitätsstiftender Momente der schweizerischen Geschichte, dort lyrisch entrückte Alpenlandschaften und einfühlsame Menschendarstellungen: Ferdinand Hodlers Leben und seine Kunst sind voller Facetten. Der Mann, der sich als viriles Kraftgenie inszenierte, kam aus sozial schwierigsten Verhältnissen und wurde einer der berühmtesten Künstler seiner Zeit. Mit vierzehn Jahren Vollwaise, bestimmte das Erlebnis des Todes sein ganzes Werk. Hodler, dessen Lebensmotto »Cherchez la femme!« gewesen sein soll, hat einen der radikalsten und berührendsten Bildzyklen der Kunstgeschichte geschaffen: das Leiden und den Tod seiner Geliebten Valentine Godé-Darel. Ulf Küster lässt in sieben Skizzen ein Bild dieser faszinierenden Persönlichkeit entstehen und gibt eine Einführung in sein Werk.

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Seitenzahl: 93

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Selbstbildnis, 1900, Öl auf Leinwand, 41 × 28,8 cm, Staatsgalerie Stuttgart

Ferdinand Hodler

Von Ulf Küster

Inhalt

Mein Hodler

Vevey, 25. Januar 1915

Frau und Tod

Der Gang nach Genf

Symbolismus, Parallelismus

Empfindung und Unendlichkeit

Genf, 18. Mai 1918

Anmerkungen

Dank

Biografie

Mein Hodler

Bern, auf der Fahrt aus der Innenstadt Richtung Süden. Plötzlich dieser erhabene Anblick, wenn man die Kirchenfeldbrücke überquert: die Bergkette von Eiger, Mönch und Jungfrau, darüber die Mondsichel.

Szenenwechsel: Kurz vor Thun auf der Autobahn. Direkt vorne der majestätisch regelmäßige Kegel des Niesen, rechts das zerklüftet-wilde Stockhornmassiv.

Szenenwechsel: Zugfahrt von Bern nach Lausanne. Nach Puidoux der Tunnel und dann die weite Sicht hinunter über die Rebberge und über den Genfer See in leichtem Dunst, drüben die Savoyer Berge.

Diese atemberaubenden Blicke, diese großartige Schönheit der Schweizer Landschaften: Niemand hat es besser als Ferdinand Hodler vermocht, die Faszination des Landes in Bildern darzustellen. Seine alpinen Landschaften haben das kulturelle Gedächtnis der Moderne geprägt und zwar so, dass man sich manchmal fragt, ob Hodler durch seine Gemälde die Alpensicht nicht eigentlich erst »erfunden« oder zumindest so stark beeinflusst hat, dass er zu einer Art Lehrer im Anschauen der Alpen geworden ist.

Meine erste Begegnung mit dem Werk Hodlers liegt lange zurück, und immer waren es die Berglandschaften, die mich besonders beeindruckten. Dass ich lange Zeit die Alpen weniger als Realität denn als Erscheinung wahrnahm, hängt wohl damit zusammen, dass man vom Haus meiner Eltern im Schwarzwald bei klarer Luft eine schöne Alpensicht hat, die immer wieder die Sehnsucht nach reiner Natur hervorruft. Die Alpen als Symbol einer unverfälschten Natur findet man auch in den Alpengemälden Hodlers. Seine Berge sind, vor allem in seinem Spätwerk, wie entrückte Monumente inszeniert, die in den Wohnzimmern seiner Sammler und in den Museumsräumen dem Betrachter ein Gefühl von der unbeherrschbaren Größe und Allmacht der Natur vermitteln.

Die Jungfrau über dem Nebelmeer, 1908, Öl auf Leinwand, 92 × 67,5 cm, Musée d’art et d’histoire, Genf

Um 1980 hatte mein Vater von seinem Arbeitgeber in Stuttgart den Auftrag erhalten, das oberhalb von Solothurn in Oberdorf gelegene Seminarhaus seiner Firma mit Werken von Schweizer Künstlern der Moderne auszustatten. Die in wenigen Jahren entstandene Sammlung, die sich heute als Depositum im Kunstmuseum Solothurn befindet und unter anderem Werke von Cuno Amiet, Félix Vallotton, Giovanni Giacometti, Paul Klee und dem heute zu Unrecht vergessenen Otto Morach umfasst, besitzt nur eine Farblithografie von Hodler, die Schlacht bei Murten von 1917.

Es gibt aber in der Sammlung ein Bild Cuno Amiets von 1926, eine Art Hommage an Ferdinand Hodler, die mich, schon als ich sie zum ersten Mal sah, sehr beeindruckt hat. Amiets Beziehung zu Hodler war zunächst von Bewunderung und Freundschaft, später von zunehmender Kritik geprägt. Das Bild hat den Titel Hodler beim Malen einer Einzelfigur zum »Auszug der Jenenser«, gemeint ist das monumentale Gemälde Auszug deutscher Studenten in den Freiheitskrieg von 1813 in der Aula der Universität Jena. Durch die malerische Verbindung der Figur des sitzenden Hodler mit der Figur des Freiwilligen auf der rechten Seite der Darstellung in Jena, für die sich eine Einzelstudie in der Staatsgalerie Stuttgart befindet, wollte Amiet wohl an Hodlers große Fähigkeit erinnern, Pathos durch die Darstellung von expressiver Körperhaltung auszudrücken. Amiets Bild ist auch ein Dokument für die übermächtige Wirkung, die Hodlers Kunst entfaltete und die es anderen Schweizer Künstlern, darunter Amiet selbst, schwer machte, sich dagegen zu behaupten und eigenständig zu entwickeln.

Hodler hat in seinen Bildern Pathosformeln gefunden, die bis heute nachwirken, auch wenn sie schon zu seinen Lebzeiten kritisiert wurden, weil sie fast zu einfach wirken, zu leicht verständlich zu sein scheinen. So ist bis heute der Holzfäller von 1910, der in mindestens 15 Fassungen existiert und aus einem Entwurf Hodlers für die Schweizer 50-Franken-Banknote entwickelt wurde, ein Symbol für männliche Dynamik und Durchsetzungskraft.1 Aber ich erinnere mich gut an die Diskussion mit meinem Vater, ob man, wenn man eine Axt in dieser Weise anfasst und ausholt, wirklich den Baum trifft oder ob nicht die Gefahr besteht, dass man sich in den Fuß haut? Ist diese scheinbare Fehlhaltung im Bewegungsablauf zugunsten eines gesteigerten Ausdrucks von Hodler bewusst kalkuliert worden?

Auch der Tell im Kunstmuseum Solothurn interessierte mich damals wie heute: Wie er, der unverkennbar die Gesichtszüge Hodlers trägt, in kurzen Hosen und Kapuzenhemd barfuß in leichten Sandalen gewaltigen Schrittes den Berg herunterkommt (oder in Solothurn die große Treppe des Museums), in der Linken die Armbrust und den rechten Arm warnend erhoben, wobei er den Betrachter anzurufen scheint.

Wilhelm Tell, 1896/97, Öl auf Leinwand, 256 × 196 cm, Kunstmuseum Solothurn

Was wird er wohl sagen? Wahrscheinlich das, was er im vierten Akt von Friedrich Schillers Drama Wilhelm Tell ruft, nachdem er den Landvogt Gessler tödlich getroffen hat:

»Du kennst den Schützen, suche keinen andern!

Frei sind die Hütten, sicher ist die Unschuld

Vor dir, du wirst dem Lande nicht mehr schaden.«

Hodlers Tell tritt dem Betrachter wehrlos entgegen: Er ist mit der Armbrust bewaffnet, hat aber keinen Pfeil dabei. Mit diesem hat er nämlich soeben die Eidgenossen von der Tyrannei befreit, sein letzter Pfeil war, wie wir aus Schillers Drama wissen, für den Landvogt bestimmt. Diese komplizierte Geschichte ist im Bild enthalten, das nur auf den ersten Blick einfach und holzschnittartig wirkt. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, über welche Möglichkeiten des Ausdrucks Hodler verfügte, wie sehr seine Bilder neben geradezu plakativer Wirkungsmacht komplizierte Inhalte darstellen können, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen, wie sehr er in seinen Bildern mit den Gedanken und Erwartungen des Betrachters spielt.

Hodler hatte schon zu seinen Lebzeiten in Carl Albert Loosli einen ihm wesensverwandten Biografen herangezogen, der nach seinem Tod eine vierbändige Biografie veröffentlicht hat, die als Pendant zur Monumentalität von Hodlers Bildern gesehen werden kann. Sie ist aber keineswegs eine definitive Lebensbeschreibung. Von den Versuchen, Looslis Sicht zu korrigieren, ist die 1942 erschienene Biografie von Hans Mühlestein und Georg Schmidt mit Abstand die beste. Weil Mühlestein und Schmidt in mancher Hinsicht das bis dahin verbreitete Hodlerbild infrage stellten, durfte ihr Buch auf Betreiben der Erben nur ohne Abbildungen publiziert werden. In jüngerer Zeit erschienen und bis heute maßgeblich ist die etwa 130 Seiten starke Zusammenstellung der Lebensfakten durch den Hodlerspezialisten Jura Brüschweiler im mehrfach nachgedruckten Katalog der Hodler-Ausstellung von 1983 in Zürich, Paris und Berlin.2 Das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft, das gerade dabei ist, unter Leitung von Oskar Bätschmann und Paul Müller den Catalogue raisonné der Werke Hodlers zu erstellen, wird im letzten Band, der 2016 erscheinen soll, eine Biografie vorlegen, die durchgehend auf nachprüfbaren Dokumenten beruht.

Dieses Buch ist anlässlich einer Ausstellung zu Hodlers Spätwerk in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel geschrieben worden; es entstand aus meiner Begeisterung für das Werk Hod­lers. Den Anspruch, eine umfassende Biografie zu sein, erhebt diese Schrift nicht; es geht vielmehr um persönlich geprägte Skizzen zu Aspekten von Hodlers reichhaltigem Leben und Werk und um eine Annäherung an seinen schwierigen Charakter.

Vevey, 25. Januar 1915

Vevey, Avenue de la Prairie 12: Hier steht das Haus, in dem Valentine Godé-Darel ihre letzten Lebensmonate verbracht hat. Hier ist sie am 25. Januar 1915 nachmittags um 17 Uhr gestorben. Drei Wohnungen befinden sich heute im Gebäude; das war damals wahrscheinlich genauso. Man weiß nicht, in welcher Valentine lebte; hoffentlich war es die Wohnung im ersten Stock mit dem schönen Balkon: Von dort muss man einen wunderbaren Blick nach Westen über den Genfer See und nach Südosten auf die Silhouette der Berge über Montreux gehabt haben. Heute ist die Aussicht verbaut.

Im September 1914 war Valentine Godé-Darel mit ihrer Haushälterin Anna Schmidli in diese Wohnung gezogen, die ihr wohl von Ferdinand Hodler finanziert wurde. Er war der Vater ihrer Tochter Pauline-Valentine, genannt Paulette oder – wie ihre Mutter – Titine. Paulette war im Jahr zuvor, am ­13. Oktober 1913, in Lausanne zur Welt gekommen. Schon vor ihrer Schwangerschaft war es Valentine nicht gut gegangen. Im Frühjahr 1912 war in Lausanne ihre Mutter gestorben, die sie immer begleitet hatte, und im November desselben Jahres war sie so schwach, dass Ferdinand Hodler vermutete, sie habe Tuberkulose, wie er in einem Brief schrieb.3 Hodler kannte sich aus; er hatte seine ganze Familie durch Tuberkulose verloren.

Den Winter und den Frühling 1912/13 verbrachte Valentine in Hilterfingen am Thuner See, um sich zu erholen. Dort wurde sie von Ferdinand Hodler besucht, er hielt den winterlichen Blick auf die Stockhornkette in einer Serie von Gemälden fest. Eines davon widmete er seiner Geliebten.4 Im Mai 1913 ließ er Valentine mit einem Krankenwagen nach Lausanne transportieren. Ob er dies nur wegen ihres Gesundheitszustandes tat oder weil sie schwanger war und ein Ortswechsel aus dem Kurort in die anonymere Stadt aus moralischen Gründen nötig schien, bleibt offen. Jedenfalls war Hodler, der am 18. März 1913 in Genf seinen 60. Geburtstag gefeiert hatte und seit Jahren mit Berthe verheiratet war, einer der bekanntesten Künstler seiner Zeit und in seiner Heimat eine Art Nationalheld, dem man wohl bis zu einem gewissen Grad einen exzentrischen Lebenswandel nachsah; aber schließlich führte er ein großbürgerliches Leben, wofür seine Ehefrau sorgte, die mit ihrem Mann eine feudale, vom Wiener Secessionisten Josef Hoffmann eingerichtete Wohnung in bester Lage am Quai du Mont-Blanc in Genf bewohnte.

Wie sehr die außereheliche Beziehung zu Valentine Godé-Darel und ihre gemeinsame Tochter damals ein Problem waren, wurde noch Jahrzehnte später deutlich, als Hodlers Willensvollstrecker Ernst Ramseyer sich 1941 bemüßigt fühlte, in einem offenen Brief und mit eidesstattlichen Erklärungen gegen Hans Mühlestein vorzugehen, der in einem Aufsatz von Hodlers Beziehung zu Valentine Godé-Darel berichtet hatte. Allerdings konnte auch Ramseyer nicht verheimlichen, dass Hodler kein Kind von Traurigkeit war: Er habe sich eben »in seiner Eigenschaft als Maler oft weiblicher Modelle bedienen« müssen, so seien »seine näheren Beziehungen zu einzelnen von ihnen wohl verständlich« gewesen: »Hodler war eben nicht von Eisen«.5 Zu dieser Auffassung passt, dass Ramseyer mit keinem Wort die Existenz von Paulette erwähnt hat.

Valentine Godé-Darel stammte aus gutbürgerlichem Milieu, sie war 1873 in Laon geboren worden, war also 20 Jahre jünger als Ferdinand Hodler. Offensichtlich war sie künstlerisch begabt und hatte wohl eine Schauspielausbildung genossen; jedenfalls berichtet ihre Tochter Paulette, Hodler habe sie im Genfer Kursaal kennengelernt, als sie in einer Operette für eine Freundin eingesprungen war. Nach Genf war sie gekommen, nachdem 1907 ihre Ehe mit Abel Georges Darel, einem Professor an der Sorbonne, wegen Kinderlosigkeit geschieden worden war. Seit 1908 war sie Hodlers Modell, der sie, fasziniert von ihrem Körper, in einer Serie von Zeichnungen und Gemälden zunächst als Rückenakt darstellte, als »Linienherrlichkeit«, wie er diese Bilder nannte.6

Ob damals schon ihre Liebesbeziehung begann? Ihr wohl umfangreicher Briefwechsel ist wahrscheinlich vernichtet worden, mit Ausnahme zweier Briefe, einem von ihr, einem von ihm.7