Eidgenossen contra Genossen - Andreas Förster - E-Book

Eidgenossen contra Genossen E-Book

Andreas Förster

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Beschreibung

Die neutrale Schweiz, über Jahrzehnte hinweg sicherer Hort für illegale Vermögen und Geschäftsabschlüsse, spielte auch im Überlebenskampf der maroden DDR eine zentrale Rolle. Im Auftrag der SED-Führung organisierten Stasi-Agenten und Kaufleute zusammen mit westlichen Partnern in der Schweiz Technologieschmuggel, Embargohandel, Schwarzmarktgeschäfte und Finanzdeals. Bislang unzugängliche Akten der Schweizer eidgenössischen Bundesanwaltschaft und des dortigen Nachrichtendienstes dokumentieren bis ins Jahr 1990 die Beobachtung ostdeutscher Geschäftsleute und Stasi-Mitarbeiter. Zusammen mit Akten aus dem Stasi-Archiv zeigt sich zugleich, welche DDR-Machenschaften verborgen blieben. Der Band beleuchtet die enge Zusammenarbeit westlicher Geheimdienste und wirft die Frage auf, warum trotz des umfangreichen Wissens um illegale DDR-Geschäfte niemand eingriff – eine Frage, die auch heute angesichts von Wirtschaftsbeziehungen mit zweifelhaften Regimes hochaktuell ist.

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Andreas Förster

Eidgenossen contra Genossen

Andreas Förster

EIDGENOSSENcontraGENOSSEN

Wie der Schweizer NachrichtendienstDDR-Händler und Stasi-Agentenüberwachte

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überwww.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, August 2016

entspricht der 1. Druckauflage vom Juli 2016

© Christoph Links Verlag GmbHSchönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected]: Stephanie Raubach, Ch. Links Verlagunter Verwendung eines Fotos von savoilic/iStock/Thinkstock (533209435)

ISBN 978-3-86284-328-2

Inhalt

Einleitung

Vom Westen lernen …

König der Schmuggler

Der Schattenmann

»Techno-Bandit Nr. 1«

Dicker Fisch

Der Fichenskandal

Stille Banken, schwarze Gelder

Geld, Gold und Leiterplatten

Kollegiale Hilfe

»Schönheitsspioninnen« und eine geheimnisvolle Stiefschwester

Spionageziel Schweiz. Spionageziel Schweiz?

»Gamma 13«

Eisblume und die Katze

Das Funkgerät in der Zimmerwand

Legale und Illegale

Quelle »Max«

Operation »Maximilian«

Ein Züricher »Rubin«

Epilog

Anhang

Anmerkungen

Abkürzungen

Literaturverzeichnis

Dank

Abbildungsnachweis

Personenregister

Über den Autor

Einleitung

Im Februar 1990 gingen die Menschen auf die Straße. »Die Schnüffelakten gehören uns«, skandierten sie, und »Auf den Misthaufen der Geschichte mit der Stasi«. Sie schwenkten Transparente mit Aufschriften wie »Akteneinsicht jetzt« und »Schluss mit dem Schnüffelstaat«. Diese Demonstrationen aber spielten sich nicht in Ost-Berlin, Leipzig oder Dresden ab, sondern mitten in der Schweizer Bundeshauptstadt Bern – vor der Zentrale der Bundespolizei in der Taubenstraße.

Denn auch die Schweiz hatte damals ihren Geheimdienstskandal: Im Zuge einer Affäre um die damalige Ministerin des Justiz- und Polizeidepartements Elisabeth Kopp war 1989 bekannt geworden, dass die politische Polizei des Landes seit Jahren Zehntausende Schweizer Bürger überwacht hatte. Erst die Ermittlungen einer parlamentarischen Untersuchungskommission aber enthüllten die ganze Dimension dieses Skandals: Über Jahrzehnte hinweg hatte der Polizeidienst der Bundesanwaltschaft rund 900 000 Karteikarten, sogenannte Fichen, über Schweizer und ausländische Bürger, über Parteien und politische Organisationen, Firmen und Banken angelegt. Unter den rund 142 000 Schweizer Staatsbürgern, die vom Staatsschutz ausgeforscht worden waren, befanden sich überwiegend linke, liberale und pazifistische Kräfte. Ihre politischen Aktivitäten in der Friedensbewegung, in Anti-Kernkraft-Initiativen, sozialen Hilfsorganisationen und Jugendgruppen hatten den Argwohn der Sicherheitsbehörden geweckt.1

Der Kampf gegen die »rote Gefahr« war der Schweizer Bundesanwaltschaft, wenn man so will, vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck in die Wiege gelegt worden. Bismarck hatte 1878 das Sozialistengesetz erlassen, mit dem er rigoros gegen die erstarkende sozialdemokratische Bewegung im Deutschen Reich vorging. In dem Zusammenhang forderte der Eiserne Kanzler explizit auch die Schweiz auf, das Land nicht zu einem Rückzugsgebiet der SPD und einer Basis von deren Widerstandsaktionen gegen Deutschland zu machen. Bei der Umsetzung dieser Forderung zeigte der kaiserliche Polizeibeamte August Wohlgemuth besondere Eigeninitiative. 1898 hatte der deutsche Beamte von der Kreisdirektion Mülhausen versucht, Spitzel in der Schweiz anzuwerben, um die Aktivitäten dorthin geflohener deutscher Sozialdemokraten auszukundschaften. Allerdings stellte er sich dabei nicht recht geschickt an, und so tappte er zu Ostern 1898 bei einem vermeintlichen Agententreff im Kanton Aargau in die Falle und wurde verhaftet. Die Festnahme veranlasste Bismarck, unterstützt von Russland und Österreich-Ungarn, zu massiven verbalen Angriffen und Drohungen gegen die Schweiz. Nach zehn Tagen wurde der deutsche Polizeibeamte schließlich wieder aus dem Schweizer Bezirksgefängnis entlassen.2

In der Folge der Wohlgemuth-Affäre schuf die Schweiz mit dem Bundesgesetz von 1898 die Stelle eines ständigen Bundesanwalts mit der dazugehörigen Behörde. Dieser Bundesanwalt erhielt eine Doppelfunktion zugewiesen, die das Amt bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts prägen sollte: Einerseits war er staatlicher Ankläger; andererseits leitete er die von den kantonalen Behörden ausgeführten Maßnahmen des Staatsschutzes, die sich nicht nur gegen Ausländer, sondern auch gegen Schweizer Bürger richteten.3 Dabei legte die Behörde von Anfang an ganz im Bismarck’schen Sinne den Schwerpunkt ihrer Überwachungsaktionen auf politisch links stehende Personen und Organisationen.

Die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft für die Spionageabwehr sowie die Verfolgung und Überwachung politischer Aktivisten und Gruppen wurde in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich ausgebaut. Nachdem die Behörde 1929 das Zentralpolizeibüro übernommen hatte, wurde ihr 1935 die neugeschaffene Bundespolizei unterstellt. Die Bundespolizei sollte als eidgenössischer Polizeidienst die kantonalen Polizeidienste ergänzen, ohne allerdings Weisungsbefugnis über sie zu erhalten. 1958 wurden Bundesanwaltschaft und Bundespolizei teilweise entflochten, arbeiteten aber weiter eng zusammen. Dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zugeordnet, waren beide fortan die verantwortlichen Behörden für alle Angelegenheiten des Staatsschutzes. Dazu verfügte die Bundesanwaltschaft über einen eigenen Polizeidienst, der unter anderem für Ermittlungsverfahren – die in der Schweiz gerichtspolizeiliche Verfahren genannt werden – und Beobachtungen im Vorfeld staatsgefährdender Handlungen zuständig war.

Geprägt wurde die Arbeit der Schweizer Sicherheitsbehörden stets von der Vorstellung einer »Fünften Kolonne«, die die Schweiz unterwandere. Vermutete man im Zweiten Weltkrieg den Nationalsozialismus dahinter, wurde nach 1945 die Arbeitsthese von der Unterwanderung auf den Kommunismus übertragen. Zu den zentralen Beobachtungsobjekten zählten daher auch einreisende Außenhändler und Firmenvertreter aus den Warschauer-Pakt-Staaten, deren Geschäftspartner in der Schweiz und aus dem westlichen Ausland sowie Handelsfirmen, die in geschäftlicher Verbindung mit dem Ostblock standen.

Anders als in Deutschland, wo es seit der Zeit des Nationalsozialismus eine strikte Trennung von Polizei und Nachrichtendienst gibt, sind in der Schweiz die Grenzen fließend. So unterhalten die Polizeidienste auch eigene Nachrichtendienst-Abteilungen, vergleichbar etwa mit dem Staatsschutz der deutschen Polizeien, aber mit zum Teil weitergehenden Kompetenzen.

Die Bundespolizei, die anfangs noch der Bundesanwaltschaft unterstand, unterhielt für den Informationsaustausch mit dem In- und Ausland eine eigene Abteilung, das Kommissariat IV. Diese Abteilung war das Verbindungsglied der Ermittlungsbehörde zu den Nachrichtendiensten befreundeter Staaten, also den Ländern des westlichen Nato-Bündnisses. Wenn sich etwa der BND, der deutsche Verfassungsschutz oder die CIA mit der Bitte um Informationen und Unterstützung operativer Maßnahmen an die Schweiz wandten, liefen diese Anfragen über das Kommissariat IV.

Daneben arbeitete die Bundespolizei im Inland eng mit der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA) zusammen. Die UNA war der einzige Auslandsnachrichtendienst der Schweiz und unterstand dem Eidgenössischen Militärdepartement (EMD). Der gegenseitige Informationsaustausch war bis zum Ende des Kalten Krieges durch die seit 1969 bestehende Personalunion zwischen dem Chef der Bundespolizei und dem Chef der UNA-Abteilung Abwehr begünstigt.

Nach Feststellungen einer Parlamentarischen Untersuchungskommission bestand bis Februar 1990 auch ein Auftrag zur Informationsbeschaffung durch die UNA im Inland. Dieser betraf insbesondere sogenannte Front- oder Einwirkungsorganisationen, von denen subversive Aktivitäten gegen die Schweiz befürchtet wurden. Unter solchen Vereinigungen verstand die UNA laut ihrem Chef »von Moskau ferngesteuerte, für die Realisation sowjetischer Ziele nutzbare Organisationen«.4 Dazu zählten etwa Friedenskomitees, Bürgerinitiativen, ökologische Gruppen, religiöse Kreise und bestimmte Medien.

Neben langjährigen Kontakten zur französischen Auslandsaufklärung pflegte die UNA auch stets die Beziehungen zum Bundesnachrichtendienst (BND). Ein erstes Spitzentreffen zwischen leitenden Mitarbeitern des BND und dem Chef der UNA fand allerdings erst Mitte der 1970er Jahre in Form einer Bergwanderung in den Alpen statt.

Neben einem offiziellen Austausch von Informationen bestanden aber schon früher konspirative Kanäle zwischen einzelnen leitenden Mitarbeitern beider Dienste. Laut einem parlamentarischen Untersuchungsbericht von 1980 traf einmal wöchentlich ein Schweizer Nachrichtenoffizier den als Attaché der BRD-Botschaft getarnten BND-Residenten. Bei der Gelegenheit übergab er dem Deutschen ausgewählte nachrichtendienstliche Rohinformationen, vor allem über osteuropäische Staaten. Sie steckten in einem Umschlag, der mit dem Stempelaufdruck einer schwarzen Hand versehen war. Auf dem gleichen Weg soll sich auch der BND mit Material revanchiert haben.5

Wie eng die Schweizer Polizei, Justiz und Nachrichtendienste im Kalten Krieg mit den Nato-Staaten kooperierten und damit die Grundsätze der politischen Neutralität ihres Staates konterkarierten, kann man heute im Berner Bundesarchiv nachlesen. Denn ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Blockkonfrontation lässt sich die Schweiz als erstes westliches Land in die Akten schauen, die sie über östliche Nachrichtendienstler, Firmen und Geschäftsleute sowie deren Kontakt- und Geschäftspartner aus dem Westen zum Teil über Jahrzehnte hinweg geführt hat. Dabei handelt sich nicht nur um die aus der Fichenaffäre zu trauriger Berühmtheit gelangten Karteikarten, sondern auch um umfangreiche Aktenvorgänge der Schweizer Bundesanwaltschaft, die diverse Berichte eidgenössischer Polizeidienststellen, Ermittlungsvorgänge, Zeugenbefragungen und Material westlicher Nachrichtendienste, insbesondere aus der Bundesrepublik und den USA, enthalten.

In den Sammelordnern über Ost-Spionage und Embargohandel, auf den Hunderttausenden Fichen und in zahllosen Personendossiers sind die Erkenntnisse des Schweizer Staatsschutzes, sind die Aktivitäten gegen die vermeintliche »rote Gefahr« aus dem Osten gebündelt. Diese Unterlagen, die oftmals bis in das Jahr 1989/90 reichen, sind noch nicht ohne Weiteres offen zugänglich, eine Einsicht bedarf der Genehmigung des Eidgenössischen Justizdepartements. Aber auch wenn man eine solche Genehmigung erhält, kann man nicht davon ausgehen, dass die bereitgestellten Akten vollständig sind – immer wieder stößt man darin auf Vorgänge, die plötzlich abbrechen oder auf andere Archivsignaturen verweisen, die für eine Einsicht jedoch noch gesperrt sind.

Dennoch ermöglichen die Unterlagen einen erstaunlichen Einblick in den Überwachungswahn der Schweizer Sicherheitsbehörden, die im Kalten Krieg von einem strikten Antikommunismus und eben der Furcht vor einer vermeintlichen Unterwanderung des Landes durch den kommunistischen Machtblock geprägt waren. Daher schlugen sich die Schweizer Staatsschutzbehörden lieber auf die Seite der Nato-Staaten als die Grundsätze der politischen Neutralität ihres Landes zu wahren. Das wird in den Akten immer dann deutlich, wenn etwa beim Kommissariat IV der Bundespolizei Anfragen des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes oder von FBI und CIA aus den USA eingingen. In diesen Anfragen drehte es sich um Informationen zu bestimmten Personen oder Firmen aus dem Ostblock sowie deren Partnern in der Schweiz. Und fast immer wenn eine solche Anfrage eintraf wurden die Behörden aktiv: Bundespolizei und die Nachrichtendienste der kantonalen Polizeibehörden observierten auf Wunsch der Partnerdienste eingereiste Reisekader aus dem Osten, stellten Informationen über Firmen und Geschäftsleute zusammen, informierten über Visumsanträge und sicherten Operationen westlicher Nachrichtendienste auf Schweizer Boden ab. Im Gegenzug erhielten die Eidgenossen von ihren Partnern regelmäßig umfangreiche – wenn auch nicht immer vollständige – Hintergrundinformationen über östliche Spionageaktivitäten und die in den Technologieschmuggel verwickelten Schweizer Tarnfirmen.

Das vorliegende Buch beschränkt sich auf die Auswertung von Akten, die die Überwachung von Stasi-Agenten und DDR-Geschäftsreisenden sowie deren Kontaktpartnern in der Schweiz zum Gegenstand haben. Diese Unterlagen liefern einerseits unbekannte Hintergründe und Zusammenhänge von Vorgängen, die sich bislang – entsprechend einseitig – nur aus den zugänglichen Stasi-Akten rekonstruieren lassen. Andererseits zeigen diese Akten aber auch, welche Aktivitäten der östlichen Seite den Schweizer Sicherheitsbehörden verborgen blieben. Das betrifft insbesondere das Vorgehen von Firmen aus dem Schattenwirtschaftsreich Kommerzielle Koordinierung (KoKo) des DDR-Devisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski, aber zum Teil auch Aktionen der Stasi-Auslandsspionageabteilung Hauptverwaltung A (HV A). Auffällig ist dabei allerdings, dass über einige dieser Vorgänge, die insbesondere KoKo-Firmen betrafen, westdeutsche Geheimdienste zwar Kenntnis hatten, aber ihre Schweizer Kollegen darüber nicht informierten. Ob dies aus dem Grund geschah, die geschäftlichen Interessen bundesdeutscher Firmen nicht zu gefährden, kann man nur vermuten – Akten von Verfassungsschutz und BND, die möglicherweise Aufschluss über die Motive dieser speziellen Informationspolitik geben könnten, sind nach wie vor für die historische Forschung gesperrt.

Die Schweizer Akten der Berner Bundesanwaltschaft bergen aber noch weitere Überraschungen. So relativieren sie deutlich das bis heute von konservativen Politikern und Medien des Landes gern gepflegte Bild einer angeblichen Bedrohung oder gar Unterwanderung der Schweiz durch den Ostblock und insbesondere die DDR – eine Gefahr, die real aber nie wirklich bestanden hat. Die Akten zeigen darüber hinaus auch eindrücklich, wie willig Bürger und Institutionen der angeblich so diskreten Schweiz ihrem Staatsschutz bei der Ausspähung von östlichen Geschäftsleuten und deren einheimischen Vertragspartnern zur Hand gingen. Das betraf Banken und Hotels ebenso wie viele eidgenössische Firmenvertreter, die etwa zur Leipziger Messe und für Geschäftsverhandlungen in die DDR gereist waren oder anderweitig Kontakt mit DDR-Geschäftsleuten hatten. Letztere wurden im Rahmen einer sogenannten Aktion Ma von der Bundespolizei befragt. Die Abkürzung Ma stand für den seinerzeitigen Chef der bundespolizeilichen Spionageabwehr, Maurer, der die Aktion ins Leben gerufen hatte. Offiziell eine Art Präventionsprogramm gegen nachrichtendienstliche Angriffe aus dem Osten, diente die »Aktion Ma« aber vor allem zur Informationsgewinnung über DDR-Firmen und -Einzelpersonen sowie über Schweizer Bürger, die mit diesen Unternehmen in Kontakt standen. Die in den Akten vorhandenen »Ma«-Protokolle zeigen, dass die befragten Schweizer nicht zuletzt aus Sorge um ihre Geschäftsinteressen oftmals bereit waren, detailliert Auskunft zu geben über ihre östlichen Ansprechpartner. Viele von ihnen erklärten zudem ihre Bereitschaft, sich bei den Behörden zu melden, sollten sie den Eindruck eines nachrichtendienstlichen Hintergrundes bei ihren Verhandlungspartnern haben. Damit wurde der Denunziation auch von einheimischen Konkurrenten Tür und Tor geöffnet.

Einen breiten Raum bei der Überwachung von DDR-Bürgern in der Schweiz und deren Geschäftspartnern nahm schließlich auch die Telefonkontrolle ein. Dazu wurden insbesondere die Anschlüsse der DDR-Botschaft in Bern abgehört, aber ebenso die Telefone DDR-naher Firmen wie etwa der Intrac S.A. in Lugano. Zwar wurden diese Aktionen stets mit gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren begründet – für die Einleitung eines solchen Verfahrens reichte allerdings bereits ein vage formulierter Spionageverdacht, der sich immer leicht konstruieren ließ.

Im Fall der DDR-Botschaft war die Telefonkontrolle dabei nicht nur auf die Dienst- und Privatanschlüsse der Diplomaten beschränkt. Weil die Polizei festgestellt hatte, dass Angehörige des Botschaftspersonals mitunter aus zwei Telefonzellen in der Nähe der Berner Botschaft telefonierten, wurden auch diese öffentlichen Fernsprecher in den 1980er Jahren zeitweise abgehört. Wie viele Gespräche unverdächtiger Schweizer dabei von den Behörden mitgeschnitten wurden, darüber geben die Akten keine Auskunft.

Das vorliegende Buch stützt sich auf mehrere Quellen. Die wichtigste davon sind die bislang weitgehend unveröffentlichten Staatsschutzakten der Schweizerischen Bundesanwaltschaft aus dem Bundesarchiv in Bern (BAR). Hinzu kommen umfangreiche Aktenbestände des MfS über geschäftliche und nachrichtendienstliche Aktivitäten des KoKo-Apparates, der HV A und anderer Stasi-Diensteinheiten, die überwiegend aus dem Bestand des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) stammen, sowie Unterlagen von BND und Verfassungsschutz, die sich im privaten Archiv des Verfassers befinden. Der Autor konnte zudem auf persönliche Gespräche mit Zeitzeugen aus den Jahren 1996 bis 2016 sowie auf persönliche Mitschriften von Sitzungen zweier Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages und deren Abschlussberichte aus den Jahren 1994 und 1998 zurückgreifen.

Im Buch sind die Namen einer Reihe von Akteuren verändert oder abgekürzt worden. Wo dies geschehen ist, wird es entsprechend vermerkt. Abkürzungen und Namensänderungen dienen der Wahrung von Persönlichkeitsrechten in den Fällen, in denen kein überwiegendes öffentliches Interesse oder eine umfangreiche vollständige Berichterstattung in der Vergangenheit eine Nennung des Namens rechtfertigten.

Dieses Buch will neue Perspektiven bei der Aufarbeitung von DDR-Geschichte eröffnen, indem erstmals Akten von Abwehrbehörden eines für die politische und wirtschaftliche Systemauseinandersetzung wichtigen westlichen Landes analysiert und in Bezug gesetzt werden zu entsprechenden Unterlagen aus DDR-Archiven. Dazu werden einzelne Fälle von Spionage, illegalem Technologiehandel und verdeckten Geschäftsaktivitäten von KoKo-Firmen anhand der dazu geführten Akten geschildert.

Die Schweizer Staatsschutz-Akten, die für dieses Buch ausgewertet werden und bis zum Ende des Kalten Krieges reichen, belegen in bislang nicht da gewesener Weise Art und Umfang der Kooperation westlicher Geheimdienste bei der Bekämpfung nachrichtendienstlicher Aktivitäten des Ostens. Gleichwohl müssen viele Fragen offenbleiben, weil sich die Sicherheitsbehörden westlicher Staaten nach wie vor weigern, dem Schweizer Vorbild zu folgen und ihre Unterlagen aus der Zeit des Kalten Krieges Öffentlichkeit und wissenschaftlicher Forschung zur Verfügung zu stellen. Dieses Buch soll deshalb auch als Anstoß verstanden werden, die Diskussion über die Öffnung westlicher Geheimdienstarchive mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Blockkonfrontation wieder in Gang zu bringen.

Vom Westen lernen …

Seinen Doktortitel hat Alexander Schalck-Golodkowski nie öffentlich geführt. Das war Geheimsache, genau wie seine Dissertation, die er zusammen mit seinem langjährigen Führungsoffizier Oberst Heinz Volpert Ende Mai 1970 an der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam verteidigte. Die rund 150 Seiten lange Arbeit wanderte trotz des Prädikats »magna cum laude« sofort in den Giftschrank.6 Bis zur Öffnung der Stasi-Archive war ihr Inhalt nicht bekannt, aus gutem Grund: Schalck und Volpert hatten in der Arbeit jene zwielichtigen Praktiken skizziert, mit denen der Bereich Kommerzielle Koordinierung in den folgenden zwei Jahrzehnten nicht nur Devisen für die klamme DDR-Volkswirtschaft zu beschaffen vermochte, sondern eben auch Waffen, Maschinen und Technologien, die der Westen den Warschauer-Pakt-Staaten im Kalten Krieg vorzuenthalten versuchte.

Für Schalck und Volpert, die beiden geistigen Väter der KoKo, war der Kalte Krieg vor allem ein heißer Handelskrieg. In dieser Auseinandersetzung musste ihr weltweit agierender Unternehmensapparat aus Handels- und Tarnfirmen nicht nur an der Frontlinie mitkämpfen, sondern eben auch als Partisan im Hinterland des Feindes wirken. Die Devise – festgehalten auf einem während der Dissertationsverteidigung von der Potsdamer Senatskommission gefertigten Notizzettel – lautete: »Vom Kapitalismus holen, was man kann«.7

Dazu empfahlen die beiden in ihrer Dissertationsschrift neben der Gründung abgedeckter Handels- und Produktionsunternehmen, deren DDR-Hintergrund verborgen bleiben sollte, auch die Einrichtung von Tarn- und Briefkastenfirmen. Die Letztgenannten sollten »ausschließlich zur Abdeckung risikovoller Geschäfte und Sonderoperationen eingesetzt werden«, empfahlen die Doktoranden. Solche Schein- und Tarnfirmen, für deren Ansiedlung »sich besonders die Schweiz eignet«, könnten nach der Abwicklung riskanter Geschäfte »ohne finanzielle Verluste und ohne Diskriminierung der DDR wieder liquidiert werden«. Eine »operative Nutzung« dieser Firmen sollte sich auf folgende Schwerpunkte konzentrieren: »Wichtige Forschungsergebnisse bestimmter Industriezweige … sammeln oder aufkaufen. Aufkauf neuentwickelter Spitzenerzeugnisse … Beschaffung von Erzeugnissen und Produkten, die der strengen Embargobestimmung unterliegen und die die DDR offiziell nicht aufkaufen kann.« Diese Ausrichtung könnte »einen großen zusätzlichen ökonomischen, aber auch militärischen Nutzen für die DDR« bringen.8

Alexander Schalck-Golodkowski im September 1991 im Ost-Berliner Domhotel

Für die vom internationalen Devisenhandel weitgehend ausgeschlossenen Ostblockstaaten war die mitten im Nato-Feindesland liegende neutrale Schweiz neben Schweden und – mit Abstrichen – Österreich die wichtigste »Geldinsel« in Westeuropa. Das kleine Land verfügte über eine Vielzahl erfahrener und nach außen seriös wirkender Geldinstitute, die ein weltweit verzweigtes Filial- und Kontennetz unterhielten. Es existierte dort zudem ein (vermeintlich) unauflösbares Bankgeheimnis, und es gab viele willige Helfer, die sich mit einer ansehnlichen Provision ihre Zweifel ob der Legalität von Finanztransaktionen und Bargeldeinzahlungen abkaufen ließen.

Darüber hinaus aber war die Schweiz für den Ostblock auch ein wichtiges Einfallstor in den freien Markt des Westens. Hier ließen sich spezielle Handelsgeschäfte abwickeln, die in den Nato-Ländern – wenn überhaupt – nur deutlich komplizierter zu realisieren waren. Der Grund dafür war, dass die Schweiz aus neutralitätspolitischen Gründen kein Mitglied des 1949 gegründeten Coordinating Committee for Multilateral Export Controls (CoCom) war, des Koordinationskomitees für multilaterale Ausfuhrkontrollen.

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