Ein betörendes Versprechen - Celeste Bradley - E-Book

Ein betörendes Versprechen E-Book

Celeste Bradley

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Beschreibung

Sie zu lieben, könnte ihn alles kosten, was er hat – doch er kann ihr nicht widerstehen ...

Dass Elektra Worthington wegen ihrer ausnehmenden Schönheit von allen Seiten bewundert wird, könnte sie nicht weniger kümmern. Die ehrgeizige junge Frau hat sich vor allem eines in den Kopf gesetzt: dem Namen ihrer verarmten Familie wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Deshalb muss sie schnellstens einen geeigneten Ehemann finden. Lord Arbogast kehrt nach einer langen Abwesenheit nach England zurück. Als er Elektra trifft, ahnt er nicht, wen er da vor sich hat. Doch Elektra ist sofort von dem Lord angetan – er ist der ideale Heiratskandidat. Damit bei ihrem Plan nichts schiefgehen kann, entführt sie ihn kurzerhand …

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Buch

Elektra ist die liebreizende mittlere Tochter der exzentrischen und verarmten Familie Worthington. Sie wird von vielen wegen ihrer ausnehmenden Schönheit bewundert, doch die junge Frau kennt nur ein Ziel: dem Namen ihrer Familie wieder zu dem Glanz und Status zu verhelfen, den er einst in den Ballsälen Englands innehatte. Nichts wird sie von diesem Plan abhalten, schon gar nicht ein reicher Lord – selbst wenn sie ihn dafür kidnappen muss.

Lord Aaron Arbogast betritt seit zehn Jahren erstmals wieder englischen Boden – ein Skandal zwang ihn einst, seiner Heimat den Rücken zu kehren. Um das Erbe seiner Familie antreten zu können, muss er seinem Großvater beweisen, dass er sich geändert hat. Doch sich in eine Frau wie Elektra Worthington zu verlieben könnte ihn alles kosten, was er hat …

Autorin

Celeste Bradley, 1964 in Virginia geboren, lebt am Fuße der Sierra Nevada in Nordkalifornien. Sie ist mit einem Journalisten verheiratet und hat zwei Töchter. Bevor sie 1999 ihren ersten Roman veröffentlichte, arbeitete sie als Schauspielerin, doch ihre wahre Leidenschaft ist das Schreiben. Preisgekrönt, u. a. mit dem RITA Award für besonders herausragende Liebesromane, gehört die New York Times-Bestsellerautorin inzwischen zu den heiß geliebten Stars des Genres.

Von Celeste Bradley bei Blanvalet lieferbar:

Ein sinnlicher SchuftEin verruchter LordEin teuflisches AngebotEine lustvolle Versuchung

Celeste Bradley

Ein betörendesVersprechen

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Jutta Nickel

Die Originalausgabe erschien 2014unter dem Titel With this Ringbei St. Martin’s Press, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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1. AuflageDeutsche Erstveröffentlichung Mai 2016bei Blanvalet, einem Unternehmen der VerlagsgruppeRandom House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenCopyright © der Originalausgabe 2014 by Celeste BradleyCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2016by Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenDieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press LLCdurch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,30827 Garbsen, vermittelt.Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesignUmschlagmotiv: © John EnnisRedaktion: Melike KaramustafaBS · Herstellung: samSatz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-10402-3V001www.Blanvalet.de.Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet und www.twitter.com/BlanvaletVerlag.

Prolog

England 1818

Heute serviert Ihnen die Voice einen ganz pikanten Leckerbissen, verehrte Leser! Eine vertrauliche Quelle hat uns mitgeteilt, dass Lord Aaron Arbogast, der bald den Titel des Earl of Arbodean tragen wird und heute triumphierend von einem vermögensbildenden, zehnjährigen Aufenthalt auf den Bahamas zurückkehren wird, einen bisher geheim gehaltenen Anlass für seine Rückkehr hat. In Wahrheit kommt er nach Hause, um sich eine echte englische Countess zu angeln!

Im Innern der eleganten Kutsche, die so dunkelgrün lackiert war, dass es schon fast wie schwarz wirkte, und die von einem perfekt passenden Zweiergespann in entschlossenem Schritt die Bond Street hinuntergezogen wurde, reichte ein Mann seinem Begleiter die aufgeschlagene Klatschseite der Zeitung. »Das dürfte reichen, oder was meinst du?«

Der zweite Mann linste auf den Artikel. »Hm. Vermögensbildender Aufenthalt?«

Der erste Mann zuckte mit den Schultern. »Der Ausdruck ›Verbannung‹ sollte einstweilen vermieden werden.«

Der zweite Mann lachte leise. »Willkommen zu Hause, Lord Aaron Arbogast!«

In der damenhaften und zugleich vornehm-schäbigen Kammer eines Hauses, das in einer einst eleganten, inzwischen aber längst heruntergekommenen Gegend Londons lag, tippte eine zierliche Fingerspitze nachdenklich auf einen Artikel in der Klatschspalte. Dann griff die mädchenhafte Hand nach einer Feder und tunkte sie in das Tintenfass auf ihrem Sekretär. Auf dem Schreibtisch lag Kanzleipapier, das mit einer sehr kurzen Namensliste beschrieben war – wohlhabende, betitelte, begehrte Namen. Sie ließ das Schreibgerät einen Augenblick am unteren Ende der Liste ruhen, bevor sie den Federkiel langsam und bedächtig nach oben führte und einen neuen Namen auf die Liste schrieb, den sie doppelt unterstrich: Lord Aaron Arbogast, Erbe des Earl of Arbodean.

In einem ganz in der Nähe gelegenen Frühstückszimmer, das von adligem Gepräge meilenweit entfernt war, schaufelte sich zur gleichen Zeit ein Mann Eier in den Mund, während er schläfrig und gelangweilt eine Zeitung überflog. Entsetzt und ungläubig riss er plötzlich die bisher nur halb geöffneten Lider auf. Die Gabel klirrte auf den zarten Porzellanteller und spritzte gelblich wabbliges Dotter auf das schneeweiße Tischtuch. Die Hand, welche die Zeitung hielt, verwandelte sich in eine Faust mit weißen Knöcheln. »Lord Aaron Arbogast!«

Kapitel 1

»Kein Grund zur Beunruhigung, Zander«, hatte Elektra Worthington ihrem Bruder Lysander versichert, der gegen ihre Strategie stummen Protest eingelegt hatte. »Was soll schon schiefgehen?«

Sie hätte es sich lieber verkneifen sollen, ihr Vorhaben mit einem Fluch zu belegen. Denn die Worthingtons mochten ihre Pläne noch so klug austüfteln – was auch immer sie sich vornahmen, drohte früher oder später ein ganz klein wenig aus dem Ruder zu laufen.

Jetzt hockte sie um Mitternacht in einer tropfenden Ruine, im Schoß die ältliche Pistole, die aber noch funktionierte – meistens jedenfalls – und starrte auf den sonnengebräunten, attraktiven, wenn auch ein bisschen heruntergekommenen, entschlossen dreinblickenden, zornigen Kerl hinunter, für den sie ihren Ruf, ihre Tugend und sämtliche Chancen unter dem Himmel, ihre Familie jemals aus ihrer Not zu befreien, aufs Spiel gesetzt hatte. Zum ersten Mal in ihrem entschlossen und zielstrebig gelebten Dasein fühlte sie sich völlig verloren.

Zum Teufel noch mal! Ich habe den falschen Mann entführt.

Vierundzwanzig Stunden zuvor …

Dreckiges Wasser spritzte hoch auf den zerkratzten Lack an der Außenseite der Kutsche, doch der Furcht einflößende Regen spülte den größten Teil sofort wieder auf die durchweichte, aufgewühlte Straße. Obwohl die Sonne jetzt, ein paar Stunden nach Mittag, eigentlich hoch am Himmel stand, konnte niemand die Zeit erraten, weil kaum Tageslicht durch die schweren, schwarzen Wolken drang.

Lord Aaron Arbogast, Enkel und Erbe des Earl of Arbodean, lenkte die Kutsche mit tüchtigen, schwieligen Händen durch den Sturm. Seltsam war die Erinnerung daran, dass er sich, als er England nahezu zehn Jahre zuvor verlassen hatte, niemals anders als in einer rasanten Kutsche fortbewegt hatte. Und ganz bestimmt hatte er es sich niemals träumen lassen, seine faule, hochwohlgeborene Haut dabei echtem Wind und Wetter auszusetzen. Doch jetzt kümmerte er sich nicht um die Flut, die ihm auf den schlaffen Hut stürzte, welchen er sich von seinem Kammerdiener Hastings geliehen hatte, wenn er nur die wehmütige Erinnerung daran verdrängte, dass das Regenwasser auf den Bahamas nie so kalt gewesen war. Auch den Kutscherumhang aus Ölzeug hatte er sich von Hastings geliehen, denn seine prächtige Wollkleidung war um seinen zitternden, fiebrigen Diener gewickelt, der warm und trocken im Innern der einst luxuriösen, mittlerweile aber etwas heruntergekommen aussehenden Kutsche saß.

Als Lord Aaron das Gefährt in London erstanden hatte, hatte er viel zu viel von seinen Ersparnissen dafür ausgeben müssen. Aber er hatte, sobald das Schiff im Hafen festgemacht hatte, sich gewünscht, aus der Stadt seines jugendlichen Untergangs so schnell und so heimlich wie möglich zu flüchten. Alles hatte ihn mehr gekostet, als es hätte kosten dürfen – die zwei Passagen auf dem nicht unbedingt besonders bequemen Frachtschiff für ihn selbst und Hastings, dazu die noble Kluft, in welche am Ende der dürre Diener gewickelt worden war, um ihn warm zu halten, außerdem die in die Jahre gekommene Kutsche und das nicht unbedingt passende oder gar glanzvolle Zweiergespann, das die Kutsche zog. Hinter dem Gefährt trottete sogar noch ein Zusatzpferd, ein hochgewachsener, brauner Wallach von zweifelhafter Abstammung und mürrischem Temperament, dafür aber mit langen Beinen und einem überraschend eleganten Gang. Wegen seiner schlechten Aussichten, der Menschheit noch weitere Dienste leisten zu dürfen, hatte das Tier ihn wenig mehr als nur die Münze für die Abdeckerei gekostet. Buchstäblich. Denn das Ungeheuer hatte den Weg in den Schlachthof bereits angetreten, als Aaron den aristokratischen Schwung im Schritt des Pferdes erkannt hatte. Er hatte gerade einmal ein paar Viertelpennys hinlegen müssen, um den Preis des Schlachters zu überbieten.

In den letzten zehn Jahren war Aaron zum Glauben an die erneuernde Kraft der zweiten Chance bekehrt worden. All das war einzig und allein in der Absicht geschehen, einen guten Eindruck auf seinen Großvater zu machen, den er lange nicht mehr gesehen hatte – nicht seit jenem Tag vor Jahren, an dem das Fehlurteil »Black Aaron« ihn aus England verbannt hatte.

Fehlurteil? Heißt das heutzutage so? Das Mädchen ist schließlich gestorben!

Aaron zuckte zusammen, als die vorwurfsvolle Stimme in seinem Kopf ertönte. In den vergangenen zehn Jahren hatte er für diesen schrecklichen Fehler bezahlt, doch auch die tropische Bruthitze hatte Amelia natürlich nicht wieder lebendig machen können. Das verschärfte Exil war das Einzige gewesen, woran sein Großvater sich hatte klammern können, das war Aaron klar. Das Verbrechen, welches seine Familie veranlasst hatte, ihn über Kontinente hinweg fortzuschicken, war so unverzeihlich gewesen, dass es ihn jeden einzelnen Tag jener zehn Jahre gekostet hatte, sein persönliches Ehrgefühl langsam, aber sicher wieder aufzubauen. Seine Reputation jedoch war rettungslos verloren. Wenn der alte Earl nicht so krank wäre, hätte Aaron vielleicht nicht einmal jetzt den Mut zur Rückkehr aufgebracht.

Wenn sein Großvater tatsächlich auf dem Sterbebett lag, wie es in der Nachricht von Aarons Tante behauptet wurde, bot sich ihm jetzt zum letzten Mal die Gelegenheit, seinen Fall vorzutragen und endlich seinen Anspruch auf das Erbe in vollem Umfang durchzusetzen, zu dem auch der Titel und die Ländereien zählten. Niemand konnte sie ihm streitig machen, gleichgültig, ob die Gesellschaft über ihn die Nase rümpfte oder nicht. Aber sollte er unter all diesen Widrigkeiten wirklich versuchen, seinen Ruf wiederherzustellen, ohne den Reichtum oder den Rückhalt, den die Vergebung seines Großvaters ihm gewähren würde? Wenn er es rechtzeitig nach Derbyshire schaffte, konnte es ihm unter Umständen – ganz vielleicht – gelingen, dem alten Mann zu beweisen, dass aus ihm ein anderer Mensch geworden war. Er hatte Empfehlungen von ehrenwerten Gentlemen dabei, dem Verwalter seines Großvaters auf den Inseln sowie dem Magistrat vor Ort. Diese Sendschreiben, die sicher in Ölzeug eingeschlagen und tief unten in Aarons Gepäck verstaut waren, dienten ihm gleichzeitig als Beweis seiner Ehrbarkeit und als Talisman. Vielleicht war die harte Arbeit an seiner Erlösung doch nicht vergeblich gewesen.

Während einer Flaute zwischen strömendem Regen und heranrollendem Donner hatte Aaron ein weiteres explosionsartiges Niesen von seinem leidenden Diener gehört. Er schlug die Dachluke auf und schaute von seinem Hochsitz hinunter ins Innere der Kutsche. Hastings blinzelte elendig zu ihm hinauf. Fieberflecken leuchteten auf seinen Wangen, und im schaukelnden Licht der Laterne im Innern des Gefährts war die knallrote Nase im blassen Gesicht gut zu erkennen. Hastings schniefte bemitleidenswert.

»Ich brauche Suppe, du mieser feiner Pinkel«, befahl Hastings seinem Dienstherrn Aaron in starkem Cockney-Akzent. »Suppe und ein Bett, mit echten Decken und allem Drum und Dran!«

Lord Aaron Arbogast – der Mann, der einst in seiner verkommenen Jugend einen Lakaien wegen eines kaum hörbaren Glucksens bewusstlos geschlagen hatte –, nickte dem ehemaligen Dieb, der inzwischen sein treuer Diener war, voller Mitgefühl zu. »Bekommst du alles, mein Freund, sobald wir dieses Gasthaus gefunden haben. Bist du sicher, dass es irgendwo hier an der Straße liegt?«

»Aye!« Der nachdrückliche Ausruf löste einen Hustenanfall aus, und Hastings verlor sich in launischem Gemurmel. »Gut, dass er so ein feiner Pinkel ist, denn zu arbeiten würde er keine Sekunde durchhalten!«

Aaron ließ die Dachluke zuklappen. Der Regen war wieder stärker geworden, und er wollte nicht, dass der arme Hastings nasser oder kälter wurde, als er ohnehin schon war. Er nahm die Zügel fester in die Hand, schenkte der atemberaubenden Kälte des auf ihn einprasselnden Regens keine Beachtung und drängte die erschöpften Pferde, noch ein bisschen schneller zu traben.

Als das Gasthaus, dessen Fenster gelb und einladend in der blauen englischen Abenddämmerung aufglommen, endlich auftauchte, schrie Aaron vor Freude auf und klatschte den Pferden ein letztes Mal die Zügel auf den Rücken. Das Gespann brauchte den Schlag eigentlich nicht mehr, denn es wusste sehr wohl, wo Hafer und warmes Heu warteten. Ratternd bog die Kutsche auf das Kopfsteinpflaster im Hof des Gasthauses ein, und Aaron war dankbar, dass der Stallbursche bereits in den Regen hinausgerannt kam, um das Abspannen der Pferde zu übernehmen.

Mit einer Handbewegung in Richtung eines stämmigen Mannes, den er für den Wirt hielt, holte Aaron sich die Unterstützung, die er brauchte, um Hastings aus der Kutsche zu holen.

Kopfschüttelnd betrachtete der Gastwirt den kranken Mann. »Dein armer Herr sieht wirklich schlecht aus, Junge. Soll ich nach dem Doktor im Dorf schicken? Er ist ein Scharlatan, kann eigentlich nur Zähne ziehen, wirklich, nicht annähernd gut genug für einen feinen Lord, aber mit Fieber kennt er sich ziemlich gut aus.«

Aaron zögerte zunächst, weil der Mann offenbar einem Irrtum erlag, um wen es sich jeweils bei den beiden handelte. Aber dann nickte er und zupfte respektvoll an der Krempe seines tropfenden Hutes. »Aye, Sir. Ich wäre dankbar, wenn Sie das tun würden.«

In Aarons Umhang aus eleganter, dunkler Wolle, abgesetzt mit Goldkordeln, die an den Hof des Prinzregenten gepasst hätten, sah Hastings aus wie der Inbegriff eines kranken Edelmannes. Aarons Stiefel waren feiner, aber da beide Männer bis zu den Knien mit Schlamm verdreckt waren, würde das wahrscheinlich niemand bemerken. Die beste Versorgung würde die Dienerschaft des Gasthauses Hastings zukommen lassen, wenn sie ihn für einen wohlhabenden Gentleman hielt.

Der Bursche und der Gastwirt trugen den schlaffen, zitternden Kammerdiener ins Haus, während Aaron tief seufzte, als er sehnsuchtsvoll die matschige Straße hinaufschaute. So nahe. Das Anwesen der Arbodeans lag gerade eine halbe Tagesreise Richtung Norden. Aber es half nichts. Er durfte Hastings erst alleine lassen, wenn er sich überzeugt hatte, dass sein Kammerdiener gut versorgt war. Nachdem sie ihre Zimmer bezogen hatten, musste er seine Tante benachrichtigen, dass er sich verspäten würde.

Aaron ging zur Kutsche zurück, um das wenige Gepäck zu holen. Als er sich mit den Koffern in der Hand wieder dem Gasthaus zuwandte, blickte er in die schönsten grünblauen Augen, die er je gesehen hatte.

Elektra Worthington schaute von ihrem Roman auf, als ihr Bruder Lysander das abseits gelegene Esszimmer betrat, welches sie im Green Donkey Inn für sich beanspruchten. Der Gastwirt hatte es ihnen nicht angeboten, und wahrscheinlich war ihm nicht einmal klar, dass sie es nutzten. Aber aus langjähriger Erfahrung wusste Ellie, dass ein Lächeln und ein wenig Selbstbewusstsein, etwas einfach für gegeben zu nehmen, ebenso gute Dienste leisten konnten wie eine ausdrückliche Erlaubnis. Ganz besonders hier draußen in Shropshire, wo sie sich – im Vergleich mit London – sozusagen in der Wildnis aufhielten.

Nachdem sie Fleisch und Gemüse verzehrt hatten, war ihr Bruder Lysander wie üblich unruhig geworden. Zander konnte nicht stillhalten, außer wenn er aß oder schlief, und selbst dann wurde der gesamte Worthington-Haushalt manchmal von seinen Albträumen aus dem Schlaf gerissen. Inzwischen natürlich nicht mehr so oft. Es ging ihm schon viel besser als dem größtenteils schweigenden, manchmal heulenden menschlichen Gerippe, das aus dem Krieg gegen Napoleon heimgekehrt war. Längst war er nicht mehr so dürr, auch wenn seine Ruhelosigkeit nach wie vor dafür sorgte, dass er äußerst schlank blieb. Und er sprach auch wieder – nun, manchmal zumindest.

In diesem Moment schaute Lysander seine Schwester jedoch nur bedeutungsschwer an. Aber als eine echte Worthington war Elektra die geborene Wortführerin des Klubs der Argwöhnischen. »Gibt es etwas, was ich wissen sollte?« Ellie steckte ein Lesezeichen zwischen zwei Seiten, legte das Buch zur Seite und schenkte ihrem geliebten älteren Bruder ihre volle Aufmerksamkeit, ganz so, als habe er darum gebeten, was er selbstverständlich niemals tun würde.

Lysander ließ den Blick aus seinen dunklen Augen zum Drehflügelfenster schweifen, das auf den Hof des Gasthauses zeigte.

Ellie erhob sich, durchquerte das Zimmer und stützte sich mit einer Hand auf den Fensterrahmen, um hinauszusehen. Durch schmale, diamantförmige, durch Mittelsprossen voneinander getrennte Scheiben sah sie auf den verregneten, matschigen Hof hinaus, denselben, in den sie früher am Tag eingefahren waren – wegen dieser lächerlichen Aufgabe, die zu umgehen sie einfach alles geben hätte …

»Gute Güte!« Ellie lehnte sich dichter an die Scheibe und linste auf eine schlaffe Gestalt hinunter, die aus einer dunklen Kutsche gehoben wurde, an deren Türen kein Hinweis auf den Eigentümer angebracht war. »Ist der Mann etwa tot?« Sie drehte sich um, gerade rechtzeitig, um Zanders Kopfschütteln zu bemerken. Ellie stellte sich auf Zehenspitzen, presste die Stirn an das kühle Glas und schaute zu, wie die Männer direkt unter ihr den Weg ins Haus antraten. Erleichtert stieß sie den Atem aus, als sie feststellte, wie der waagerecht liegende Gentleman den Kopf in fiebrigem Protest hin- und herrollte. Dann bemerkte sie den anderen Mann, der immer noch im Regen stand und zwei Ranzen aus der Kutsche zerrte. Ihr war nicht ganz klar, warum sie sich so unweigerlich zu ihm hingezogen fühlte.

Genau in diesem Moment drehte der Kerl sich um, schaute hoch und begegnete ihrem Blick, fast so, als habe er gewusst, dass sie dort oben stand und ihn beobachtete. Ein erregender Blitz schoss durch sie hindurch und nistete sich mit einem warmen Gefühl in ihrem Bauch ein. Erstaunt schnappte Elektra nach Luft und kniff gleich darauf, erschrocken ob ihrer Reaktion, die Augen zusammen. Als sie wieder hinsah, tippte sich der Fremde mit einer Hand an den tropfenden Hut. Die ganze Zeit starrte er sie unverwandt an. Frecher Kerl!

Mit eindringlichem Blick nahm sie die Eigenschaften des neugierigen Mannes in sich auf. Jahrelang übte sie sich nun schon darin, die Erscheinung anderer Menschen in wenigen Augenblicken zu erfassen, weshalb sie inzwischen blitzschnell jeden, der ihr begegnete, haargenau nach Wohlstand und Reichtum einsortieren konnte.

Er war groß und gut gebaut, zumindest sofern sie es trotz des weiten Umhangs aus Ölzeug erkennen konnte. Er bewegte sich wie ein Mann, der auf alles vorbereitet war. Ein wenig wie der alte Fechtmeister der Worthington-Geschwister, der die entschlossene Absicht eines Boxers mit der Prise hellwachen Bewusstseins eines … Wegelagerers? … kombinierte. Seine Kleidung gab ihn als Diener oder Kutscher zu erkennen. Wegen der welligen und durch Regentropfen verschmierten Scheibe konnte sie sein Gesicht nicht klar erkennen, aber er sah durch die Reise erschöpft und unrasiert und viel zu verrufen aus, um sie so aufdringlich anstarren zu dürfen, als wäre sie nichts als ein Barmädchen.

Sehe ich etwa aus wie ein Barmädchen?

Nun, das wellige Glas brach das Licht doch sicherlich in beide Richtungen, nicht wahr? Wahrscheinlich sah er sie gar nicht an. Das Kribbeln in ihrem Bauch erzählte eine andere Geschichte, aber sie achtete nicht darauf. Warum auch dem Kutscher Aufmerksamkeit schenken. Und überhaupt, was war mit dem ersten Mann, dem kranken? Elektra tippte sich mit der Fingerspitze auf die Unterlippe und rief sich seinen Anblick ins Gedächtnis. »Der Mantel war elegant«, grübelte sie laut, »wenn auch schon seit einigen Saisons nicht mehr modern … Vom Schimmer her echte Goldtressen würde ich sagen … Saß ein bisschen locker, aber wenn er krank ist …« Sie warf einen abschätzenden Blick auf die Kutsche, die der Stallbursche gerade zusammen mit dem Zweiergespann aus dem Regen führte. »Die Kutsche ist gut gearbeitet, wenn auch fast so alt wie die in unserem Stall. Kann daran liegen, dass er sich keine neue anschaffen konnte. Oder an der Genügsamkeit, mit der Wohlhabende gute Dinge kaufen und pflegen.« Ellie versuchte, durch die Regentropfen einen Blick auf die verschwindenden Pferde zu erhaschen. »Das Gespann passt dazu. Aber die Tiere sind zu stark verschmutzt, als dass ich einschätzen könnte, wie reinrassig sie sind.«

Seufzend setzte Ellie sich auf die Fersen zurück. Es war, als würde die Neugierde in ihr zappeln wie ein Fisch am Angelhaken. »Ich hätte gerne sein Gesicht gesehen. Aber es wäre nicht anständig, wenn ich nach draußen laufen und ihn anglotzen würde.« Obwohl sie sich doch einen ausgiebigen Blick auf den Kutscher gegönnt hatte, oder etwa nicht? Sie drehte sich zu Zander um. »Sag schon, liegt er im Sterben? Ist er alt oder jung? Frag den Gastwirt … oder versuch irgendwie, seinen Namen aufzuschnappen.«

Zander nickte gleichgültig und verließ das Zimmer.

Elektra richtete den Blick wieder auf die regenverschmierten Scheiben, aber die Kutsche war inzwischen aus dem Hof verschwunden – genauso wie der unverschämte Kutscher.

Mit einem Hauch Ungeduld stampfte sie zu ihrem Stuhl zurück und ließ sich frustriert nieder. Es war so unendlich langweilig, hier im Zimmer gefangen zu sein, um auf eine Cousine zu warten, Bliss Worthington, die sie bisher noch nicht kennengelernt hatte. Noch nicht einmal ihre Eltern verloren kaum je ein Wort über sie, du lieber Himmel! Sie wollten sich auf halber Strecke in Shropshire treffen, dem Stammsitz der Worthingtons, wo sie anscheinend weit von London entfernt für lange Zeit bei einer Pflegefamilie gelebt hatte. Im Grunde genommen lautete ihr Auftrag, Miss Bliss Worthington nach London zu bringen, damit sie Elektra durch ihre hart erarbeitete erste Saison begleiten konnte.

Wie man sich vorstellen kann, finde ich die Aussicht wenig erregend.

Nicht dass Elektra sich besonders auf die Rückreise nach London freute. Es war eine langsame, eintönige Fahrt gewesen, bei der sie die meiste Zeit alleine im Wagen gesessen hatte. Da Lysander noch immer nicht in der Lage war, sich in einem engen Raum aufzuhalten, war er auf seinem Pferd neben der Kutsche geritten. In der Familie wusste niemand, was Lysander in jenen Monaten zugestoßen war, als die Welt ihn tot hinter den feindlichen Linien vermutet hatte. Aber der angespannte Fremde, als der er nach Hause zurückgekehrt war, wurde ganz genauso geliebt wie der lachende Junge, der einst als Soldat in den Krieg gezogen war. Nur dass man ihn nicht mehr ganz so gut verstand.

Bliss würde wohl mit ihnen zusammen in der Kutsche nach London fahren, und zweifellos würde sie mit reichlich Gepäck ausgestattet sein. Das schlechte Wetter, das Elektras und Lysanders Reise so langsam und zäh gemacht hatte, musste die Ankunft ihrer Cousine ebenfalls verzögern. Außer dem Anblick des toten Mannes – nun, des beinahe toten – war in den letzten zähen Stunden des Wartens nichts Interessantes geschehen.

Elektra verlor sich in Grübeleien über die Möglichkeiten, die sie jetzt hatte. Ihr war unbehaglich zumute, als sie merkte, dass sie sich recht herzlos benahm. Aber nun, ein Mädchen in ihrer Lage konnte sich schließlich kein Herz leisten, oder? Mit verschränkten Armen rutschte sie ein wenig auf dem Stuhl nach unten und ließ den Blick durch ihr kleines Refugium schweifen. Wenn der eingetroffene Gentleman überhaupt irgendeinen Rang bekleidete, würde er das Zimmer wahrscheinlich für sich selbst beanspruchen. Natürlich nur, falls er seine Krankheit überlebte. Der Name der Worthingtons war alt und verfügte über gute Verbindungen, stand in der Rangfolge aber nicht besonders weit oben – und der Gastwirt würde es zweifellos vorziehen, mit wertvollerer Münze bezahlt zu werden als mit Elektras strahlendem Lächeln. Es gab nur noch eins, was langweiliger war, als in diesem armseligen Esszimmer eingesperrt zu sein: in ihrer eigenen Schlafkammer herumlungern zu müssen, die kaum größer war als ein Schrank. Noch nicht einmal mit ihrem besten Lächeln und einem züchtigen Knicks mit Einblick in ihren Ausschnitt war es ihr gelungen, sich in einem weiter oben gelegenen Stockwerk unterbringen zu lassen. Zumindest logierten sie in getrennten Zimmern. Sie liebte ihren Bruder mit tiefem, fast schrecklichem Erbarmen, aber seine nächtliche Ruhelosigkeit konnte sie nicht lange ertragen.

Wenn ihre verdammte Cousine doch nur endlich käme! Elektra schnaubte leicht, als sie sich an die Anfrage ihrer Eltern vor drei Tagen erinnerte.

Papa hatte sich aufgeführt, als würde er ihr eine ganz besondere Leckerei anbieten. »Es wird zauberhaft, meine Liebste! Sie ist ein wundervolles Mädchen, einfach nur wundervoll. Zumindest war sie das bei unserer letzten Begegnung …«

»Archie, da hast du das edelmütige Ross gespielt, und sie ist auf deinen Schultern geritten!« Iris, wie die Worthington-Geschwister ihre Mutter riefen, hatte ihrem Ehemann mit wehendem Taschentuch kokett zugewinkt. »Und sie hat dich ›Onkel Artsy‹ genannt. Es war anbetungswürdig. Einfach wundervoll.«

Elektra hatte ihre Eltern angestarrt. »Nur dass ich euch nicht falsch verstehe. Es ist euer Wunsch, dass ich Lord Orwells ausgelassenes Fest verpasse, auf das ich mich seit Wochen vorbereite, um stattdessen durch die Landschaft zu kutschieren und eine Cousine einzusammeln, von der ich noch nie etwas gehört habe, damit ich sie nach London bringen und sie mich bei meiner Saison begleiten kann?«

Ihre Saison, die erste und höchstwahrscheinlich einzige. Das gesellschaftliche Ereignis, für das sie gelogen und gekatzbuckelt und ihre Seele verkauft hatte. Wenn sie an die endlose Arbeit dachte, an die lange Zeit der Vorbereitungen für dieses eine Jahr, die Tanzstunden, die sie mit dem Eiergeld von den Gartenhühnern bezahlt hatte, die Bettelei um Kleider bei einem Freund der Familie, das endlose Ändern und nochmalige Umarbeiten der Kleider, sodass sie niemals gleich, aber immer umwerfend aussahen, die gefälschte Korrespondenz ihrer »Mutter«, die jeden, der etwas darstellte, um Einladungen bat, und den unumwundenen Diebstahl von Einladungen von den überbordenden Beistelltischchen ihrer wohlhabenderen Freundinnen … Als ihr der Verlust so drohend vor Augen stand, hatte ihr Magen sich in einen Eisklumpen verwandelt. »Nein, das mache ich nicht! Ich nicht! Falls dieses Bliss-Geschöpf glaubt, dass sie sich in meine Saison drängeln kann, dann soll sie verdammt noch mal …«

Elektra hatte nicht weitersprechen können, als ihre lieben, verrückten Eltern sich ihr zugewandt hatten, verletztes Unverständnis im Blick. Ihr war klar, dass Iris und Archie sie liebten. Es mochte sein, dass die beiden sonst zu nichts zu gebrauchen waren, aber ihre Zuneigung war bedingungslos, warm und echt. Verborgen hinter ihrem Sarkasmus und Pragmatismus, tief drinnen in ihrem zynischen Herzen verehrte Elektra die beiden heftig und ertrug es nicht, sie zu enttäuschen. Sie hatte nicht anders gekonnt, als sich einverstanden zu erklären, und grimmig das Gesicht verzogen. »Aber von meinen Sachen werde ich ihr nichts ausborgen. Niemals.« Ihre Saison. Ihre einzige Chance, mit einer glänzenden Partie all das wieder in Ordnung zu bringen, was ihnen genommen worden war. Die größte und einzige Hoffnung für die Zukunft ihrer Familie.

Verdammt seist du, Bliss.

Miss-Bliss-einfach-nur-wundervoll-Worthington. Ellie konnte sie jetzt schon nicht ausstehen. Was für ein alberner Name. Was sich manche Eltern nur dachten. An den Fingerspitzen zählte sie ab, welche großartigen klassischen Namen ihre Familie trug: Daedalus, Calliope, Orion, Lysander, Castor, Pollux, Atalanta, und natürlich Elektra. Aber immerhin war es ihnen gelungen, diese Extravaganzen auf Dade, Callie, Rion, Zander, Cas, Poll, Attie und Ellie einzudampfen. Wie in drei Teufels Namen sollte sie ihre Cousine bloß nennen? Bly? Lissy? »Bliss, steck deine Haube fest«, sang Ellie scherzhaft durch das Zimmer. »Bliss, dein Unterrock ist zu sehen!«Bliss, gib mir meine verdammte Saison zurück!

Elektra fragte sich träge, ob ihre Cousine wohl hübsch war. Das ließ sich von den Worthingtons allgemein behaupten. Iris war immer noch eine strahlende Schönheit, auch wenn sie inzwischen ein wenig fülliger war und dazu neigte, ihr langes, silbriges Haar zu einem seltsamen Knoten zu binden, den sie an der Seite des Kopfes mit Malpinseln feststeckte. Auch Elektras ältere und bereits verheiratete Schwester Callie war sehr attraktiv. Die kleine Attie mochte mit ihren dreizehn Jahren noch ein wenig unreif sein, versprach aber, sie alle auszustechen. Sofern es jemals gelingen sollte, sie zu überreden, eine Haube zu tragen oder sich ein wenig Zitronensaft auf die Sommersprossen zu träufeln.

Die symmetrischen Gesichtszüge und die wohlproportionierte Figur waren Elektra angeboren. Außerdem hatte sie sich ein feines Gespür für Mode und ein kühnes Selbstvertrauen in ihren Wert erarbeitet, was sie hübscher wirken ließ, als es tatsächlich der Fall war; aber nicht wegen ihrer Eitelkeit, wie die meisten Leute glaubten. Sie betrachtete ihr Aussehen vielmehr wie manch andere Menschen ihr Bankkonto. Schonungslos und berechnend. Es war die einzige echte Währung, mit der sie zahlen konnte, und sie hatte die Absicht, das Meiste daraus zu machen. Ein Mann mit Titel war unabdingbar, und zwar keinesfalls ein verarmter. Sie hatte vor, ihren einzigen Vorteil klug zu nutzen, und mit ihrer Eroberung würde die vormalige Herrlichkeit der Familie Worthington endlich wiederhergestellt werden. Mit der weitverbreiteten Reputation ihrer eigenartigen, wahnsinnigen Sippe brauchte sie allerdings mindestens einen wahnsinnig wohlhabenden Earl, und einen makellosen noch dazu, wahrhaft ohne Fehl und Tadel.

Ihre Keuschheit hütete Elektra mit Eifer und Sorgfalt, denn die brachte zusätzliche Punkte. Trotzdem war sie kein ahnungsloses Schulmädchen. Schon im zarten Kindesalter war ihr klar gewesen, welche Mechanismen dafür sorgten, dass die Welt sich um ihre Achse drehte, und sie hatte sich vorgenommen, dieses Triebwerk in Gang zu setzen, um ihre Familie zu retten. So viel war sicher. Nach ihrer eigenen Auffassung war sie die einzige Worthington, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen stand. Ihre Familie scherte sich nicht um den ewigen Strudel aus kleinlichen Klatschgeschichten und Mitgliedern der Gesellschaft, die ihnen in den Rücken fielen. Fröhlich und unbekümmert marschierten die Worthingtons voran. Inmitten ihres gewichtigen Freundeskreises und ihres alten Namens fühlten sie sich sicher. »Älter als Stonehenge«, pflegte Archie beherzt zu behaupten. Doch leider hüllte sich dieser mächtige Steinwall in hartnäckiges Schweigen, wenn es darum ging, wer die Metzgerrechnung oder Reparaturen am Anwesen der Vorfahren bezahlen oder eine anständige Mitgift für Attie zur Verfügung stellen sollte. Solche unbedeutenden Sorgen wurden offenkundig Elektra aufgebürdet.

Zander trat ins Zimmer und riss sie aus ihren Gedanken. »Lord Aaron Arbogast«, stieß er knapp aus. »Fieber. Liegt nicht im Sterben. Noch nicht.« Dann drehte er sich um und verließ sie ohne ein weiteres Wort.

Elektra richtete sich kerzengerade auf. Rasch rief sie sich die Klatschspalte der Zeitung ins Gedächtnis. Lord Aaron Arbogast … vermögensbildender Aufenthalt … Titel tragen wird … und, das Beste hob sie sich bis zum Schluss auf, genoss die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, und sprach sie schließlich laut aus: »… um sich eine echte englische Countess zu angeln!«

Elektra zuckte vor Freude, als könne sie es kaum erwarten, solch einen Kerl zwischen die Finger zu bekommen. Das war perfekt. Der vertrauliche Rahmen des Gasthauses, der kranke Lord … Zander hatte nicht erwähnt, ob der Mann alt oder jung war, aber das spielte keine Rolle, nein, wirklich nicht. Und das Beste von allem: Er war gerade eben erst aus dem Ausland zurückgekehrt. Sollte sie tatsächlich auf einen Mann gestoßen sein, der noch nie etwas über die Worthingtons gehört hatte? In der Tat ein einzigartiges Geschöpf, ein echtes Einhorn. Und sie war die Jungfrau, die es einfangen würde. Durch ihre Anwesenheit an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt war ihr in dem Spiel, dessen Waagschale sich für gewöhnlich ungerecht zur Seite der Reichen und Mächtigen neigte, endlich ein Vorteil in die Hand gespielt worden.

Gesegnet seist du, Bliss!

Kapitel 2

Als Aaron später am Abend im Stall den Blick bestürzt über sein Bett im Heu schweifen ließ, kam er zu dem Schluss, dass er mit diesem Opfer seine Schuld gegenüber Hastings fast – fast, es würde niemals ganz vergessen sein – beglichen hatte. Der Mann mochte ihm das Leben gerettet haben, war in diesem Moment aber eingehüllt in ein himmlisch weiches Bett und wurde von den Engeln gehätschelt – nun immerhin von üppigen Zimmermädchen. Aber sie war sicher nicht darunter. Diese Sekunden im Hof des Gasthauses, als er im Regen gestanden und zur Prinzessin im Turm hinaufgeschaut hatte … Die Erinnerung daran ließ ihn ganz unruhig werden. Schlaflos wälzte er sich auf den Heuballen von einer Seite auf die andere. So war es doch immer, oder etwa nicht? Ein Kerl glaubte, dass er endlich den richtigen Weg eingeschlagen, dass er das Richtige getan hatte und sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmerte, bis eine von ihnen ihm in die Quere kam. Ihr Anblick hatte ihn durchbohrt wie ein Pfeil. An der eleganten Wölbung ihres langen Halses hatte er sofort erkannt, dass sie kein Zimmermädchen war; daran, wie ihre Finger kraftlos die Scheibe berührt hatten und an der hochmütigen Neigung ihres Kopfes. Eine englische Lady, das raffinierteste und zarteste Geschöpf auf der ganzen Welt – und das gefährlichste dazu.

Ihm war aufgefallen, dass sie ihn ebenfalls bemerkt hatte, obwohl ihm nicht klar war, was genau sie in ihm gesehen hatte. Wie ein Idiot hatte er dort gestanden, hatte sie praktisch gezwungen, ihn zu betrachten, zu durchschauen und der Welt zu verraten, dass Lord Aaron Arbogast, der schlimmste aller Lumpen, nach England zurückgekehrt war. Auf an die Waffen! Womit ja nur bewiesen war, wie sehr er recht hatte. Frauen wie sie brachten jeden Kerl dazu, den Kopf zu verlieren und seine Seele und alle Ehre noch dazu. Wenn Miss Amelia Masterson doch selbst nur ein klein wenig Ehre im Leib gehabt hätte. Nein. Amy konnte er keinen Vorwurf machen. Sie war ein dummes, überreiztes Mädchen gewesen, anfällig für Melodramatik und weitschweifende Fantasien, aber unschuldig. Sie hätte jemanden gebraucht, der ein achtsames Auge auf sie hat. Was auch immer Amy und diejenigen, die mit ihr Umgang pflegten, getan hatten – Aaron selbst hatte ganz gewiss versagt, seiner Pflicht zu genügen und sie wie ein Gentleman zu beschützen. Doch die Frage, wem der größte Vorwurf wegen des tragischen Endes der Miss Amy Masterson zu machen war, stellte sich nicht mehr, denn das Schicksal hatte ihn für diese Rolle auserkoren. Gleichwohl würde er eines Tages zum Earl of Arbodean ernannt werden und das Erbe der Ländereien antreten. Er musste seinen Großvater überzeugen, dass er sich geändert hatte. Dass er nicht länger der sorglose, verdorbene Junge war, der durch Skandale und öffentlichen Zorn aus dem Haus getrieben worden war. Aus ihm war ein verantwortungsvoller, pflichtbewusster Mann geworden, dem die Verwaltung von Ländereien sehr vertraut war und der ein guter Herr von Arbodean sein würde, falls er denn das Vermögen erben würde, das er brauchte, um sein Haus vor dem Ruin zu retten. Er musste Kurs halten, so aufrecht und geradlinig bleiben, wie er es in den vergangenen zehn Jahren gewesen war. Wenn es ihm doch nur gelänge! Dann würde sein Großvater sich unter Umständen zumindest dazu hinreißen lassen, wenn schon nicht an seine Ehre, so doch an ihn als einen fähigen Lord zu glauben.

Schuld und Verlust rumorten in Aarons Magen und sorgten dafür, dass er sich auf seinem kümmerlichen Heubett krümmte. Manchmal dachte er, dass sein einziges Interesse der Sicherung der Bankkonten galt, die ihm, anders als die Ländereien, nicht unveräußerlich zustanden. Dann wieder durchzuckte die Erinnerung an den schockierten und erschütterten Blick seines Großvaters ihn wie ein Blitz. Wie üblich konnte er im selben Augenblick Hughs flehende Stimme hören. »Du bist der Erbe des Earl of Arbodean. Niemals wird er sich gegen dich wenden. Aber ich habe niemand anderen als dich.«

»He! Kutscher!«

Aaron hob gerade den Kopf, als ihn ein Haufen dicker Wolle im Gesicht traf. Er riss die Augen auf und entdeckte den Jungen des Stallburschen, der ihn vom Dachboden aus angrinste. Er wollte ihn gerade scharf zurechtweisen, als er feststellte, dass er in guter Absicht eine seiner Decken mit ihm teilen wollte. Aaron nickte ernst und sah ihn mit tief empfundener Dankbarkeit an. »Vielen Dank, Junge.«

»Hast auch allen Grund, dich zu bedanken«, schnaubte der sommersprossige junge Mann. »Stellst dich vielleicht an … Es wird dich irgendwann ganz verzärteln, wenn du noch länger die Edelleute durch die Gegend kutschierst.«

Aaron brach unfreiwillig in Gelächter aus. Die ungezwungene Großzügigkeit des Jungen wärmte ihm Herz und Sinne. Grübeln würde hier zu nichts führen. Am Ende war er noch immer lebendig und wusste, dass ein guter Mensch aus ihm geworden war, obwohl er sich in die Tatsache gefügt hatte, dass die Welt dies wohl niemals anerkennen würde. Also rollte er sich in die nach Pferd riechende Decke und ließ sich tief in das goldene, sommerlich duftende Heu sinken. Noch nie im Leben schlief er so gut wie in dieser Nacht.

Früh am Morgen kurz nach dem Hahnenschrei erfrischte Aaron sich am Pferdetrog neben den Stalljungen, schrubbte sich das Gesicht mit kaltem, grünlich verfärbtem Wasser, welches tief aus der Erde gepumpt wurde. Auch das war etwas, was er sich als junger, arroganter Kerl niemals hätte vorstellen können. Für die Gäste im Haus war es noch zu früh, weshalb er sich zu den ungestümen Stallburschen setzte, die Brot und Käse frühstückten, das sie mit wässrigem Bier hinunterspülten. Er genoss die fröhliche, raue Gesellschaft. Als sie ihn lachend zu seinen »feinen Leuten« fortschickten, verschwand er mit einem Lächeln auf den Lippen nach drinnen, um seinem Diener einen Besuch abzustatten.

Man hatte Hastings im edelsten Zimmer des ganzen Gasthauses untergebracht, wo es, wie man Aaron unterrichtet hatte, frisch gestopfte Matratzen gab und ein Fenster, das auf die Weiden hinauszeigte statt auf das verdreckte Kopfsteinpflaster im Hof.

»Von dort aus kann man noch nicht mal die Ställe riechen!«, hatte der Gastwirt voller Stolz behauptet.

Aaron hatte die Worte aufgenommen, ohne mit den Zähnen zu knirschen, und sich die Zeit damit vertrieben, einzelne Heuhalme aus seinem Haar zu zupfen. Er war stolz auf sich, es im kalten Stall ausgehalten zu haben.

In Hastings’ Zimmer, das mit massiven Möbeln bestückt war, war es kuschlig warm. Zimmermädchen kümmerten sich mit rührender Aufopferung um ihn. Es dauerte eine Weile, bis er seinen Kammerdiener von all den weiblichen Schönheiten befreit hatte, die »Seine Lordschaft« so zärtlich umsorgten.

Schließlich waren sie allein. Aaron zog sich einen Stuhl an Hastings’ Bett. Der Mann verhielt sich immer noch sehr still. Er war in Aarons letzten ordentlichen Schlafanzug und den verschlissenen Morgenmantel gekleidet, an dem der feine Samt aber immer noch zu erkennen war. Die Decken waren so sorgfältig um ihn gestopft wie eine Kruste um Fleischpastete. Die Pastete eines Lords. Bis auf die zwei Fieberflecken, die ihm auf den Wangen glühten, war sein Gesicht so blass wie Pergament.

Aaron stach ihm mit der Fingerspitze in die Brust. »Du kannst die Augen jetzt öffnen.«

Hastings stieß den angehaltenen Atem aus und spähte hinter immer noch halb geschlossenen Lidern hervor. »Verflucht, die Mädels sind aber auch zudringlich!«

Aaron empfand kein Mitleid. »Du hast doch hoffentlich begriffen, wie das Spiel läuft?«

»Aye.« Hastings nieste. »Obwohl ich beschämt eingestehen muss, dass ich es erst kapiert hatte, als sie mich zum zehnten Mal mit ›Lordschaft‹ angesprochen haben. Mein Hirn ist ganz matschig.«

Aaron lächelte. Ihm war klar, dass sein getreuer Begleiter das Wechselspiel zwischen ihnen nicht verraten würde, noch nicht mal im Fieberwahn. »Dir wird es bald wieder gut gehen. Du brauchst nicht mehr als ein bisschen Ruhe. Aber …« Aaron neigte den Kopf, »du weißt, dass ich ohne dich weiterreisen muss.«

»Aber du hast doch gar nicht …« Hastings versuchte, sich auf die Ellbogen zu stützen, was jedoch nur einen Hustenanfall zur Folge hatte.

Aaron reichte ihm einen Becher mit Wasser, half ihm beim Nippen und ließ ihn dann wieder in die Kissen zurücksinken.

»Du … du kannst noch nicht weiter«, brachte Hastings krächzend hervor. »Ich bin bald wieder auf den B…« Er fing wieder an zu husten.

Aaron schüttelte den Kopf. »Du kannst die Reise so nicht fortsetzen. Du bringst kaum einen Satz zu Ende. Es dauert nicht einmal mehr eine Tagesreise bis Arbodean, es sei denn, die Straße ist unter dem Dreck und Matsch völlig aufgeweicht. Ich fahre hin und bin wieder zurück, ehe es dir überhaupt auffällt.«

Hastings starrte ihn an. Die Worte, die er zum Thema noch sagen wollte, schienen ihm förmlich im Halse stecken zu bleiben. Obwohl Aaron seinem Kammerdiener viele Freiheiten gestattete, wusste Hastings jedoch genau, wer der Herr war und wer der Diener. Es mochte sein, dass Hastings ihn vor dem sicheren Tod gerettet hatte, aber Aaron hatte Hastings auch vor einem Leben hinter Gittern bewahrt. Hastings hätte sicherlich eine gute Antwort darauf, was von den beiden Dingen schlimmer war.

Schulterzuckend richtete Hastings den Blick auf den obersten Knopf seines Nachthemdes. »Hatte mir eingebildet, dass du eines Tages vor mir abkratzt«, murmelte er. »Herzloser Pinkel.«

Aaron versetzte ihm einen sanften Schlag auf die Schulter und lächelte wehmütig. »Nutzlose Memme.« Er stand auf. »Genieß deinen Aufenthalt, ›Lord Aaron‹. Ich hoffe, dass ich bald zurück bin, um den Gastwirt zu bezahlen. Auf jeden Fall solltest du so lange Theater spielen, wie du kannst. Und werde wieder gesund.«

»Hau schon ab.« Hastings nickte. »Ich bin ganz froh, dass ich mich bei diesem verflucht feuchten Wetter nicht draußen rumtreiben muss!«

»Ich werde an dich denken, wenn mir der kalte Regen in den Nacken rinnt.« Gedankenverloren faltete Aaron die Zeitung auf dem Frühstückstablett zusammen.

»Das habe ich gerade gelesen!«, sagte Hastings vorwurfsvoll.

Erschrocken sah Aaron ihn an und ließ die Gazette auf die Bettdecke fallen. »Du kannst lesen?«

Hastings knurrte und hätte am liebsten eine bissige Antwort gegeben, aber seine gewohnte Aufmüpfigkeit löste sich in einem Hustenanfall auf, ehe er ein Wort herausbrachte.

Der Rückfall sorgte dafür, dass eine treue Krankenschwester nach der anderen zurück ins Zimmer stürmte. Aaron trat zurück und überließ seinen Freund ihrer Fürsorge. Als er sah, dass Hastings in guten Händen war, wandte er sich ab, um aufzubrechen. Aber Hastings’ heiserer Ruf hielt ihn zurück.

ENDE DER LESEPROBE