Eine lustvolle Versuchung - Celeste Bradley - E-Book

Eine lustvolle Versuchung E-Book

Celeste Bradley

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Beschreibung

Zwei Brüder im Wettstreit um die Liebe einer Frau. Wer wird am Ende ihr Herz erobern?

Jahrelang war Miranda Talbot eine brave und pflichtbewusste Ehefrau. Nun, da sie verwitwet ist, kann sie endlich tun und lassen, was sie will. Sie ist schön, finanziell unabhängig, und alle Männer der Stadt liegen ihr zu Füßen. Als sie den attraktiven Castor Worthington kennenlernt, ist sie hingerissen von seiner Leidenschaft. Doch Castor hat einen Zwillingsbruder, von dem Miranda nichts weiß. Als dieser beginnt, um Miranda zu werben, entspinnt sich zwischen den beiden Brüdern ein ehrgeiziger und hitziger Kampf um Mirandas Gunst. Für wen wird sie sich entscheiden?

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Seitenzahl: 501

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Buch

Zwölf Jahre lang war Miranda Talbot mit einem Mann verheiratet, der sie kaum beachtete und dessen unausstehliche Schwester ihr das Leben zur Hölle machte. Nun ist sie verwitwet und genießt ihre neugewonnene Freiheit. Und zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie richtig verliebt – in einen mysteriösen Fremden, von dem sie nichts weiter weiß als seinen Nachnamen.

Die eineiigen Zwillinge Castor und Pollux Worthington sehen blendend aus und haben mit ihrem unvergleichlichen Charme schon viele Frauenherzen zum Schmelzen gebracht. Als Castor Miranda das Leben rettet, ist er von der schönen Witwe sofort fasziniert. Und Miranda genießt nach Jahren der Zurückhaltung die Nähe eines attraktiven und starken Mannes. Doch ist er wirklich derjenige, nach dem sie sucht? Auch Castors Zwillingsbruder Pollux zeigt unverhohlen sein Interesse an Miranda und verfolgt ganz eigene Pläne. Ein Wettstreit um Mirandas Gunst beginnt – wem wird sie am Ende ihr Herz schenken?

Autorin

Celeste Bradley, 1964 in Virginia geboren, lebt am Fuße der Sierra Nevada in Nordkalifornien. Sie ist mit einem Journalisten verheiratet und hat zwei Töchter. Bevor sie 1999 ihren ersten Roman veröffentlichte, arbeitete sie als Schauspielerin, doch ihre wahre Leidenschaft ist das Schreiben. Preisgekrönt, u. a. mit dem RITA Award für besonders herausragende Liebesromane, gehört die New York Times-Bestsellerautorin inzwischen zu den heiß geliebten Stars des Genres.

Von Celeste Bradley bei Blanvalet lieferbar:

Ein sinnlicher SchuftEin verruchter LordEin teuflisches Angebot

Celeste Bradley

Eine lustvolleVersuchung

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Jutta Nickel

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel And Then Comes Marriagebei St. Martin’s Press, New York.

1. AuflageDeutsche Erstveröffentlichung November 2015bei Blanvalet, einem Unternehmen der VerlagsgruppeRandom House GmbH, MünchenCopyright © der Originalausgabe 2013 by Celeste BradleyCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015by Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenDieses Werk wurde im Auftrag von St. Martin’s Press LLCdurch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH,30827 Garbsen, vermittelt.Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesignUmschlagmotiv: Chris CocozzaRedaktion: Melike KaramustafaBS · Herstellung: samSatz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-10366-8www.blanvalet.deBesuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet und www.twitter.com/BlanvaletVerlag.

Kapitel 1

England, 1818

Wenn ich nur den Mut fände, könnte ich zu den glückseligsten Frauen weit und breit gehören – wenn doch nur dieser lästige gesunde Menschenverstand mir nicht gleich eilig versichern würde, dass ich ebenso gut zu den unglückseligsten gehören könnte und dass ein Leben voller Gewissensbisse vor mir liegt, hinter mir dagegen nur süße Erinnerungen.

Ich glaube, ich würde mich lieber für die Zukunft entscheiden, egal für welche, als auch nur einen einzigen Tag länger in diesem zermürbenden Zustand von »ungeliebt« oder »übersehen« ausharren zu müssen.

Wenn ich nur den Mut fände …

Gemächlich schlenderte Mrs. Gideon Talbot über den Bürgersteig. Miranda war heute ohne ihre Zofe unterwegs, denn die arme Tildy hatte sich eine schlimme Erkältung eingefangen und mit einem heißen Tee und einer Tasse Hühnerbrühe in ihr Bett gekuschelt. Miranda schätzte es sehr, frei und ohne Begleitung unterwegs zu sein. Warum war es eigentlich nötig, dass eine Lady stets von ihrer Zofe begleitet wurde? Im Ernstfall könnte die zarte Tildy sie doch ohnehin kaum beschützen. Genauso wenig wurde sie gebraucht, um Pakete zu schleppen, denn kaum dass Miranda in einem Laden ihre Anschrift genannt hatte, wurden ihre Einkäufe garantiert und unverzüglich geliefert. Es sah danach aus, als richtete sich alle Welt nach den Wünschen einer wohlhabenden, respektablen Witwe – ehrlich gesagt ein recht erfrischender Zustand. Anstatt also die übliche Runde durch die Läden zu drehen und bei den Lieferanten vorbeizuschauen, hatte Miranda ihre Mietkutsche in eine Gegend dirigiert, die ihr weniger vertraut war. Dabei hatte sie gar nicht erwartet, ihn dort zu sehen. Nein, sie war einfach nur neugierig; sie wusste, dass er ganz in der Nähe residierte, und wünschte, ein wenig mehr über diesen Mann zu erfahren, den sie sich nicht mehr aus dem Kopf schlagen konnte. Und als ob sie ihn durch ihre Gedanken herbeigerufen hätte, trat im selben Moment ein großer dunkelhaariger Bursche aus einer Gasse, rannte quer über die Straße und wich dabei Karren, Reitern und Pferdeäpfeln aus. Miranda kannte diesen Mann. Sie wusste, wie breit seine Schultern waren und wie sein Haar sich über den Kragen kringelte. Ganz besonders gut kannte sie den harten, muskulösen Hintern des Reiters. Denn an den meisten Nachmittagen in den vergangenen vier Wochen hatte dieser Hintern auf ihrem Sofa gesessen, während sie den zugehörigen Mann mit Tee und Konversation versorgt hatte. Mr. Pollux Worthington. Mr. Worthington war wirklich ein attraktiver Bursche, auch wenn Miranda sich hauptsächlich für das lässige Lächeln und seinen verschmitzten Humor interessierte. Nachdem ihre trockene, lieb- und leblose Ehe in eine stille, verstaubte Witwenschaft übergegangen war, waren die Hitze und das Licht der Besuche von Mr. Worthington zum Höhepunkt ihrer Tage avanciert. Es ging vollkommen in Ordnung, dass ein oder zwei ehrenwerte Gentlemen sie ab und zu aufsuchten, und sie erinnerte sich an die harsche Stimme der Vergangenheit, die ihr immer wieder durch den Kopf hallte. Die Hälfte ihrer Trauerzeit hatte sie bereits hinter sich gebracht und nicht mehr als zwei ganz und gar respektablen Burschen den Schritt über ihre ganz und gar respektable Schwelle erlaubt. Die Aufwartungen hatten am helllichten Nachmittag stattgefunden und selten länger als eine angenehme halbe Stunde gedauert. Zugegeben, manchmal wanderten ihre Gedanken zu Mr. Worthingtons großen, geschickten Händen. Oder ihr Blick hing an seinen Lippen. Oder sie gab sich schwärmerisch der Einbildung hin, wie sein muskulöser Hintern sich wohl in ihren Händen anfühlen mochte … Aber es brauchte doch schließlich niemand zu wissen, was sich hinter ihren züchtig niedergeschlagenen Lidern abspielte, oder?

In den letzten Tagen hatte Mr. Worthington ihr keinen Besuch mehr abgestattet. Miranda redete sich ein, sie wünschte sich nur zu überzeugen, dass es ihm gut ginge … Obwohl ein bis drei gebrochene Knochen seine merkwürdige und plötzliche Abwesenheit nach all der Aufmerksamkeit, die er ihr geschenkt hatte, höchst zufriedenstellend erklären würden! Es lag also an nichts anderem als an freundschaftlicher Besorgnis, dass sie sich jetzt in der Nachbarschaft seines Hauses herumtrieb. Nein, nicht dass sie ihm dorthin gefolgt war, wirklich nicht. Aber da er sich nun einmal dort aufhielt und, was für ein glücklicher Zufall, sie sich auch, und da sie nun einmal über dieselbe Straße bummelten … Ja, sie konnte sich natürlich auch den ganzen Tag über damit beschäftigen sich einzureden, dass sie dem Mann nicht gefolgt war wie der Hund einer Fährte, obwohl es eine Tatsache blieb, dass sie ebengerade nichts anderes tat. Und obwohl sie nur ganz kurze Zeit getrennt gewesen waren, musste sie lächeln, als sie ihn jetzt erblickte.

Ich glaube, mir wird schwindlig. Nicht zu fassen! Ich bin viel zu erwachsen und viel zu respektabel, als dass mir schwindlig werden dürfte.

Einunddreißig Jahre alt und obendrein noch Witwe! Wie konnte es sein, dass der bloße Anblick eines bestimmten Mannes sie in ein schwärmerisches Schulmädchen verwandelte?

Es ist unerträglich. Nein, das mache ich nicht mit, ich weigere mich … auch nur einen einzigen Augenblick länger in diesem lächerlichen Zustand zu verharren!

Sah er nicht wunderschön aus, mit der frühsommerlichen Sonne, die sich wie goldener Honig über ihn ergoss und seinem hellbraunen Haar Glanz verlieh und diesen faszinierenden Schatten genau unter seinem kantigen Wangenknochen zeichnete? Er sah so unglaublich gut aus.

Schwindlig! Und verträumt! Unausstehlich!

Panik keimte in ihr auf. Was sollte sie tun? Sollte sie sich lässig und selbstsicher geben und ihn unverbindlich grüßen? Sollte sie wie eine hohlköpfige Säule dort stehen bleiben und hoffen, dass er sie erspähte? Miranda biss sich auf die Lippe, als sie über ihr Dilemma nachdachte. Oder dachte sie etwa an Mr. Worthingtons Hintern? Dieser Hintern war muskulös und hart, gekleidet in enge Reithosen, und hatte genau die richtige Form für einen Mann. Denn schließlich war es so, dass der Rücken des Mannes, wenn der Hintern zu klein war, direkt in seine Beine überging, so als ob Regen an einer Rinne heruntertropfte. War der Hintern zu groß, weckte der Bursche unglückliche Vergleiche mit einer Ente, eingeschlossen der Neigung zum Watscheln. Nein, das fragliche Gesäß war zweifellos ein ganz außerordentliches Exemplar. Und es gehörte ihr. Oder könnte ihr jedenfalls gehören, wenn sie nur den Mut finden würde. Besagter Hintern hatte an vielen Nachmittagen der vergangenen Wochen in ihrem Salon auf dem Sofa gesessen … einen Besuch nach dem anderen und viele Tassen Tee samt erfreulich geistreicher Konversation. Gute Gespräche waren für Miranda berauschender als Wein. Ihr verstorbener Ehemann war nie ein großer Redner gewesen, vom Zuhören ganz zu schweigen. Gideon war ein hochangesehener Gentleman gewesen und ein echter Fang für ein unscheinbares Mädchen wie sie – mit ihren ungelenken Ellbogen und Knien und ihrer unglücklichen Neigung zu einem flachen Busen. Es lag nicht an Gideon, dass er nicht merkte, wie sehr sie sich Gespräche wünschte. Denn während er ihr den Hof gemacht hatte, war sie von ihrer Großmutter praktisch zum Schweigen verdonnert worden. Noch einmal drang deren harsche Stimme durch den Nebel der Vergangenheit zu ihr herauf. »Du bleibst still sitzen, du bewahrst Haltung, und du nickst, aber nicht zu sehr! Denk dran, dass du lächelst, aber nicht zu breit!« Lebhaft wie immer echote ihr das Gezeter durch den Kopf. »Du wirst mir keine Schande machen wie deine Mutter, dieses wilde Luder! Dass mein erbärmlicher Sohn sich wegen ihr entehrt hat …« Nun, an den Rest verschwendete man besser keinen weiteren Gedanken.

Zeit und Reife hatten Miranda schließlich doch noch ein wenig Busen geschenkt, und sie hatte gelernt, Ellbogen und Knie elegant zu zügeln – meistens dadurch, dass sie sich um langsame und fließende Bewegungen bemühte. Allerdings war es ihr niemals gelungen, diese merkwürdigen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen; sie hatte lediglich gelernt, ihre Zunge im Zaum zu halten und nicht alles auszusprechen.

Das Gesäß – äh, der Mann, den sie beobachtet hatte – verließ gerade das Gebäude, das er kurz zuvor betreten hatte, nur um sofort hastig die Straße zu überqueren und die Gasse in entgegengesetzter Richtung entlangzueilen.

Neugier – eigentlich unkleidsam für eine gesetzte, gereifte Witwe von einunddreißig Jahren – nagte erbarmungslos an ihr und verlangte Einlass in ihr Inneres. Miranda hatte die Stirn in zarte Falten gelegt und konnte nicht widerstehen, in ihrem vollkommen unschuldigen und keineswegs ungehörigen Bummel innezuhalten und in ebendiese Gasse zu starren, an der sie gerade vorbeikam. Mehr als schäbiges Kopfsteinpflaster und verschmierte Mülleimer konnte sie kaum erkennen. Die Vormittagssonne half auch nicht, den schmalen Weg zwischen den großen Backsteingebäuden zu erhellen. Miranda neigte den Kopf und lauschte sorgfältig, hörte aber nur ein paar seltsame Klopfgeräusche, die durch die enge Passage verstärkt wurden. Ladys ließen sich nicht dazu herab, in dunklen Gassen Männern nachzuspionieren – und schon gar nicht gesetzte Witwen eines gewissen Alters. Und doch war es so, dass die bisher gehemmten Empfindungen, die durch die Abwesenheit der pflichtbewussten Tildy in Miranda geweckt worden waren, einen freiheitlichen Schimmer auf ihre Gedanken warfen – einen Schimmer, der viele, viele Jahre lang nicht auf ihnen gelegen hatte.

Ich kann machen, was ich will. Ich bin niemandes Ehefrau oder Mündel.

Außerdem war Mr. Worthington ein freundlicher, ehrenwerter Bursche, sehr empfänglich für amüsante Gespräche über Bücher und die jüngsten Ereignisse. Vielleicht gab es einen sehr guten Grund dafür, dass er sich morgens an einem Wochentag an einem solch merkwürdigen Ort herumtrieb. Im übertragenen Sinne öffnete sie also die Tür, ließ die Neugier in ihr Inneres schwappen, den aufmerksam hochgereckten Schwanz am Ende gekrümmt wie ein Fragezeichen. Ohne sich zu gestatten, sich gründlicher mit zweifelnden Fragen zu beschäftigen, setzte sie ihren Fuß in die dämmrige, schmale Gasse. Sorgfältig achtete sie darauf, sich nicht den Saum ihres Kleides an den vielen Pfützen aus namenlosem Dreck auf dem feuchten, glitschigen Kopfsteinpflaster zu verschmutzen – Dreck, über den man gar nicht mehr erfahren wollte. Mit einer Hand raffte sie ihre Röcke, die andere nutzte sie, um sich an der rechten Backsteinmauer entlangzutasten, als ob sie verhindern könnte, dass ihre eigene Neugier sie fortspülte, wenn sie mit ein paar Fingerspitzen nur etwas Festes berührte. Sie hielt sich dicht an der Mauer, die sie nur kurz verließ, wenn es galt, etwas besonders Ungesundem am Boden auszuweichen. Die entfernten Klopfgeräusche wurden lauter und schneller. Mittlerweile klang es, als ob eine Schleifmaschine arbeitete; sie konnte eindeutig unterscheiden zwischen dem Schleifgetriebe, pumpenden Kolben und pfeifendem Dampf. Die Neugier in ihrem Innern spitzte förmlich die Ohren. Was um alles in der Welt war da vorne los?

Feixend wandte Pollux Worthington sich an seine Begleitung. »Siehst du, ich habe dir doch gesagt, dass es funktioniert!« Seine grünen Augen strahlten.

Castor Worthington, der fast genauso aussah wie Poll – schließlich waren sie eineiige Zwillinge – zog nur die Stirn kraus, während er den gigantischen, neumodischen Apparat betrachtete, der fast die gesamte Breite an dieser Krümmung der Gasse beanspruchte.

Der Apparat war so mächtig, dass sie den größten Teil der geheimen Montage hier hatten erledigen müssen, in dieser Schlucht aus Backstein und Mauerwerk, bei schlechtem Licht und in der beständigen Gefahr, entdeckt zu werden. Sein Herzstück war eine Dampfmaschine. Die zahlreichen anderen Teile und Funktionen waren hinzugefügt worden, um Polls Gerätschaft weiterzuentwickeln. Jetzt sollte es eine Dampfmaschine, eine Wasserpumpe, einen Druckkessel, eine Gerätschaft für Hauswärme und natürlich auch ein Kunstwerk vereinen, das für nichts weniger als den Palast des Prinzregenten eine Zierde wäre!

Cas legte die Stirn noch stärker in Falten. Selbst Polls allerschlimmsten Einfälle klangen immer auch höchst interessant. Mittlerweile fragte Cas sich, wie lange dieser Probelauf wohl dauern würde, denn dringliche Angelegenheiten warteten auf ihn. »Nun, es läuft … sozusagen. Aber ob es auch wirklich arbeitet …«

Poll verdrehte die Augen. »Du zweifelst noch immer an mir?«, rief er so laut, dass er den Maschinenlärm übertönte. »Habe ich nicht alles durch diese schmale Gasse geschafft, nachdem du behauptet hattest, dass der Karren nicht dadurch passen würde?«

»Ja, schon … aber …«

»Und habe ich nicht das Feuer angefacht, obwohl du gesagt hattest, dass die Kohle zu feucht ist?«

Cas schüttelte den Kopf. »Feucht habe ich nicht gesagt …«

»Und läuft die Maschine nicht genau in diesem Moment spitzenmäßig?«

Einmal mehr starrte Cas auf die schaukelnde, klopfende und, wir wollen doch ehrlich sein, ziemlich hässliche Erfindung. »Ich bin immer noch der Meinung, dass Kohle eine schlechte Wahl ist. Sie brennt zu heiß. Der Dampfdruck …«

»Holzhitze kann den Druck niemals hoch genug treiben! Warte nur ab!« Genau in diesem Augenblick ertönte ein schriller Pfiff aus der Pfeife, die sie am Messgerät befestigt hatten. Poll grinste triumphierend, als eine ordentliche Dampffahne ausgestoßen wurde, solange es trillerte. »Ha! Hör dir das an!«

Cas lauschte, während die Pfeife quietschte. Dann kreischte sie. Dann knallte sie durch eine Kerbe, löste sich, flog durch das Auspuffrohr und segelte durch die Gasse, während der Triller abrupt zu einem erbärmlichen Wimmern verklang.

Polls Grinsen verflüchtigte sich. »Oh, verdammt.«

Die Zwillinge traten gleichzeitig zurück, Cas auf der einen und Poll auf der anderen Seite des schmalen Durchgangs. Nach einem kurzen, alarmierten Blick auf die wachsenden Dampfwolken, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, traten sie noch einen Schritt zurück. Und noch einen. Aus den Augenwinkeln nahm Castor eine Bewegung an der Ecke wahr. Er drehte den Kopf und linste in die dämmrige Gasse, die sich vor ihm erstreckte. Eine Frau? Wer …

Der Druck, der sich im Innern der Maschine aufbaute, ließ sogar das Auspuffrohr erbeben. Die Nieten, die das Rohr in seiner schlauchförmigen Form hielten, knallten abrupt und so schnell los wie Gewehrkugeln. Die Zwillinge stürzten von der Maschine fort und stolperten förmlich über das Kopfsteinpflaster in der Absicht, sich so weit wie möglich von ihrem unmittelbar bevorstehenden Tod zu entfernen.

Dann fiel Cas die Frau ein. Er drehte sich halb um und stellte fest, dass sie sich genähert und ihren entsetzten Blick auf die heulende, kreischende, zerbeulte Maschine gerichtet hatte.

Gegenüber legte Poll sich einen Arm über das Gesicht. »Wir müssen hier raus!«

Cas zeigte Poll die Tür, die ins sichere Innere des Gebäudes führte. »Lauf!« Er selbst drehte sich zurück in die Richtung, in der die Frau stand, mit blassem Gesicht und ausgestreckten Händen. Endlich ging sie langsam rückwärts, denn mittlerweile war nicht mehr zu übersehen, dass die Maschine jeden Moment in die Luft gehen konnte wie ein chinesisches Feuerwerk … nur dass sie sich nicht schnell genug bewegte. Cas sprintete los, hechtete auf sie zu, schloss die Arme um sie und riss sie mit sich zusammen in die schmale, abgewinkelte Sicherheit der Straßenmündung. Genau in dem Moment, als sie auf den harten, glitschigen Kopfsteinen auftrafen, explodierte das ächzende Monster hinter ihnen mit lautem Getöse.

Kapitel 2

Miranda spürte, dass ein schweres Gewicht auf ihr lag und eine harte, kalte, klumpige Oberfläche unter ihr. In ihren Ohren dröhnte lautes Geklingel, und weil es so laut schepperte, konnte sie die Sorge aus Mr. Worthingtons selbstgefälligem Tonfall kaum heraushören. Ihr Herz raste, und mit jeder Sekunde, mit der die Feuchtigkeit des Erdbodens durch ihr Kleid sickerte, wurde ihr Hintern kälter. Allerdings spürte sie keine einzige Verletzung. Er hatte sie so umschlungen, dass nur ein kleiner Teil ihres Körpers mit voller Wucht auf das Kopfsteinpflaster geprallt war. Seine große Hand wölbte sich um ihren Hinterkopf; sogar jetzt noch schützte er sie vor den Steinen. Miranda erinnerte sich, dass er ihr Gesicht zwischen Hals und Schulter geborgen und sie während des Sturzes, wie eingewickelt in seine Umarmung, gedreht hatte. Und was für eine herrlich athletische Bewegung es gewesen war … eine wahrlich ritterliche Rettung! Er hielt sie noch immer umschlungen, lag in voller Länge auf ihr und drückte ihre Schenkel mit seinen auseinander. Ihr Puls schlug noch schneller, sofern das überhaupt möglich war.

Dann löste er sich von ihr und hockte sich neben sie. »Verdammt, ich habe sie umgebracht!«

Miranda schlug die Augen auf und musste unwillkürlich lächeln, als er besorgt auf sie hinunterschaute. »Wirklich eine höchst elegante Rettung, Sir. Vielleicht sollte ich Sie für alle künftigen Explosionen an meiner Seite behalten.«

Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und lächelte kläglich zurück. »Künftige Explosionen wird es nicht geben. Versprochen! Vielleicht sollten wir sogar so tun, als ob es diesen Vorfall niemals gegeben hätte!« Mühelos stand er auf, verbeugte sich und streckte ihr die Hand entgegen. Er ergriff ihre, zog sie hoch, bis sie wieder auf beiden Beinen stand, und balancierte sie aus, als sie schwankte. Er hatte starke Arme. Es fiel ihm nicht schwer, dafür zu sorgen, dass sie stehen blieb. Mit beiden Händen ergriff er ihre Schultern und trat zurück, glich dabei aber immer noch ihren wankenden Stand aus. »Ich bitte inständig um Entschuldigung! Sind Sie auch ganz bestimmt nicht verletzt?«

Miranda schüttelte den Kopf und blinzelte die plötzliche Hitzewelle fort, die sie offenbar deshalb durchflutete, weil sie den eisenharten Körper von Mr. Worthington berührt hatte. Gute Güte, er mochte zwar eine Vorliebe für schreckliche, geckenhafte Westen haben, aber trotzdem war er alles andere als ein weicher, verzärtelter Dandy! Ihre weibliche Manie für seinen Hintern erweiterte sich unverzüglich zu einer neuen Begeisterung für diese muskulöse Brust.

Ich bin unverbesserlich!

Der Gedanke gefiel ihr auch dann noch, als sie atemlos zu Mr. Worthington aufschaute. Man stelle sich nur vor – die schüchterne, unbeholfene Miranda Talbot – unverbesserlich!

Mr. Worthington verbeugte sich über ihrer Hand. »Liebenswerte Lady, darf ich mein Heldentum als Grund vorbringen, dieses eine Mal die Regeln des Anstands außer Acht zu lassen? Mein Name ist Worthington.«

Miranda lächelte vollkommen hingerissen.

Vielleicht sollten wir sogar so tun, als ob es diesen Vorfall niemals gegeben hätte.

Er hatte also tatsächlich vor, noch einmal ganz von vorn anzufangen, denn genau dies waren doch die Worte gewesen, die er an dem Tag gesprochen hatte, an dem sie sich kennengelernt hatten! An jenem Nachmittag vor einem Monat hatte Miranda eine geschäftige Straße in Mayfair überquert und war mit dem Absatz zwischen zwei Kopfsteinen stecken geblieben. Tildy hatte Pakete geschleppt und war ein paar Schritte zurückgefallen. Miranda war klar, dass es dumm gewesen war, den heranrollenden Verkehr aus Sorge um einen Schuh aus dem Blick zu verlieren. Aber dankenswerterweise war ein attraktiver Mann – Mr. Worthington! – einfach auf die Straße gestürmt, hatte den Arm um ihre Taille geschlungen und sie, mitsamt dem ärgerlichen Schuh, der Gefahr entrissen! Miranda knickste, genauso, wie sie es damals getan hatte. »Tapferkeit birgt ihren Lohn stets in sich, Sir«, sagte sie, »aber Sie haben ausgesprochen heldenhaft gehandelt. Dass Sie sich selbst vorgestellt haben – wie erschütternd und aufdringlich Sie doch sind! –, mag unter den gegebenen Umständen der gerechte und angemessene Lohn für Ihren Heldenmut sein.« Als sie ihn wieder ansah, fand sie ihren Lohn in der Wärme seines Lächelns. Gute Güte, noch nie war ihr aufgefallen, dass er sie so anstrahlte! Waren seine Augen vormals warm und freundlich gewesen wie die Frühlingssonne auf grünem Gras, so versprachen sie jetzt Hitze und Licht und Schatten und unanständige Spielereien in sämtlichen Variationen! Es musste daran liegen, dass ihre kurze Vertraulichkeit auf dem Kopfstein auch ihn berührt hatte. Mirandas Puls schlug schneller. Sie liebte die Frühlingssonne, aber die Flamme eines Freudenfeuers zur Mittsommernacht konnte doch doppelt so gut wärmen, nicht wahr? Sie rang ihre Schüchternheit nieder, hielt seinem Blick stand und setzte das Spiel fort. »Ich bin Mrs. Gideon Talbot, Mr. Worthington. Mein Ritter mag mich jedoch mit Miranda ansprechen.« Würde er es wieder sagen? Würde er noch einmal die Worte über die Lippen bringen, die in einer äußerst vorsichtigen Witwe, welche als der Inbegriff des Anstands galt, die Erinnerung daran aufkeimen ließen, dass sie doch auch eine Frau aus Fleisch und Blut war?

Er zog die Mundwinkel hoch. »Miranda, die zauberhafte Tochter des Prospero … ›doch Ihr, oh, Ihr, so ohnegleichen, so vollkommen, seid. Vom besten jeglichen Geschöpfs erschaffen‹.«

Miranda stand kaum merklich der Mund offen.

Oh, du lieber Himmel.

»›Den Augenblick, da ich Euch sah, flog mein Herz in Euern Dienst‹«, hatte er beim ersten Mal mit spöttischem Lächeln deklamiert. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, sein eilfertiges Shakespeare-Kompliment hatte sie beeindruckt, während sie seine entspannte Unverfrorenheit ganz bezaubernd gefunden hatte. Und jetzt, als seine blattgrünen Augen vor verruchten Versprechen glitzerten und seine geschmeidige, breitschultrige Gestalt sich dicht über sie beugte, fand sie es schier erregend, dass sie in den Augen eines solchen Mannes »so ohnegleichen, so vollkommen« war. Sie bemühte sich um ein helles Lachen. »Sie haben an Ihrem Sturm gearbeitet! Ausgezeichnet! Aber sind Sie mein Ferdinand oder lediglich Caliban?« Miranda täuschte spitzbübische Gleichgültigkeit vor. »Das bleibt abzuwarten, nicht wahr?«

Verblüfft starrte Cas auf die hübsche Witwe hinunter. Eigentlich sollten ihre Knie zittern und sie ein albernes Gelächter ausstoßen, anstatt ihn so unbarmherzig zu verspotten; denn er war ziemlich stolz darauf, das griffige Miranda-Zitat so rasch aus seiner Erinnerung gekramt zu haben. Sein Vater, der Shakespeare-Gelehrte Archimedes Worthington, war natürlich monatelang durch das Haus geschlendert und hatte das verdammte Stück aufgesagt. Nichts konnte jemandem Shakespeare so sicher verleiden wie ein älterer Mann, der um Mitternacht in sackartiger Unterhose durch das Haus wanderte und schallend die Verse Ferdinands aus Der Sturm rezitierte! Mr. Castor Worthington, eingefleischter Junggeselle, der alles Weibliche schätzte, trat einen Schritt zurück, um einen genaueren Blick auf das erfreulich weiche Objekt seines plötzlichen Zusammenstoßes zu werfen. Sie schien sehr gefasst. Handelte es sich wirklich um dieselbe Frau, die er gerade überwältigt und zu Boden geworfen hatte, nachdem sie beinahe in die Luft gejagt worden war? Ehrlich gesagt, sie sah ziemlich zerrauft aus. Ihr hübscher Strohhut, passend zu ihrer Jacke eingefärbt, war verschmiert und verdorben. Das Kleid unter ihrer kurzen Jacke war mit noch mehr Straßendreck besudelt, besonders an ihrem, äh … Hintern. Der feuchte Stoff schmiegte sich eng an die schöne Wölbung, und Cas gönnte sich einen Moment, die herrliche Rundung zu betrachten. Dann wandte er den Blick entschlossen wieder ihr zu und stellte fest, dass sie ihn erwartungsvoll anschaute. Hmm. Sein Lächeln wurde wärmer. Hübsch. Vielleicht sogar schön, angemessen gekleidet in etwas, was den wunderbar geformten Busen und die Alabasterhaut betonte. Nicht dass sie schlecht gekleidet war, nur ein wenig unauffällig. Witwe? Wer sonst trug dieses ermüdende Lavendelgrau? Eine hübsche Witwe mit einem wachen Sinn für Abenteuer, wenn ihn nicht alles täuschte. Was ihm am liebsten war. Cas erwiderte das Lächeln, ein langsames, träges Lächeln, mit dem er schon viele Frauen auf der Stelle bis auf die Unterwäsche entkleidet hatte. Es mochte sein, dass er den Tatort in den nächsten Sekunden flüchten musste – was aber nicht zu bedeuten hatte, dass er sich die Gelegenheit zu einem Flirt mit einer vorlauten jungen Witwe entgehen lassen würde! Immerhin lebte er ja noch.

Miranda sog die Luft tief ein. Ihr Mund wurde trocken. Warum um alles in der Welt lächelte er sie so an, als sei sie ein Geschenk, das er nur allzu gern auswickeln würde?

Oh, ja … bitte, wickle mich aus …

Miranda schloss die Augen und besänftigte die Hitze, die ihr bei diesem verwegenen Gedanken durch den Kopf geschossen war – und auch angesichts der verschwommenen, verstörenden und köstlichen Bilder, die noch folgten.

»Mrs. Talbot, ich glaube, ich sollte Sie …«

Miranda riss die Augen auf und teilte die Lippen. Außerdem wurden ihre Finger vollkommen taub vor Schreck. Mit dem Retikül in den Händen streckte sie die Arme aus. Prompt plumpste es auf den verschmutzten Boden.

»… nach Hause bringen. Vielleicht wollen Sie diese, äh … feuchten Kleider ausziehen.«

Ihr dieses abscheuliche Kleid auszuziehen, wäre …

»Großartig«, stieß sie atemlos aus und versuchte sich zu sammeln. Ja. Nach Hause. Sich etwas anziehen, was nicht nach etwas stank, wonach man sich lieber nicht erkundigte! Gute Idee. Unbeholfen streckte sie die Hand aus und schüttelte seine. »Das war wunderbar, Sie … nun, eigentlich nicht, aber …«

Rede kein dummes Zeug, Mädchen!

Sie straffte sich und knickste ernst. »Nach Hause. Ja. Ich muss wirklich schnell nach Hause. Es gefällt mir gar nicht, wenn es zu spät wird, denn langsam wird es frisch, finden Sie nicht auch?«

Er lächelte zu ihr hinunter. Was für ein keckes kleines Ding! »Ach, wirklich?« Er bot ihr den Arm; seinen Plan für diesen geschäftigen Tag hatte er sich vollständig aus dem Kopf geschlagen. »Dann muss ich wohl weiterhin ritterlich sein und Sie nach Hause begleiten.« Er schob die hübsche Hand der schönen Witwe in seinen Arm und erlaubte der Lady, ihre Schritte wieder in Richtung der Straße, der Mietkutsche und ihrer spannenden Bestimmung zu lenken. Mit ihren seegrünen Augen und den bezaubernden Lippen, ganz zu schweigen von ihrer umwerfenden Figur, war sie wunderbar, heißblütig und von Kopf bis Fuß verführerisch. Was für eine prächtige Möglichkeit, den Nachmittag zu verbringen.

In der Mietkutsche stellte Miranda fest, dass sie in der Gegenwart des Mannes, den sie für seine sprühende Konversation geschätzt hatte, beinahe sprachlos gewesen war. Irgendetwas war anders als sonst gewesen. Ein neues Element, eine Spannung hatte sich eingeschlichen, die vielleicht daher rührte, wie ihr Körper auf seinen geprallt war und sie beide einander gewärmt hatten. Und wenn er sie mit diesem spöttischen, anerkennenden Glitzern in den Augen ansah?

Ich fühle mich beinahe … verführerisch.

Nur dass sie das Wort niemals verwenden würde, um sich selbst zu beschreiben. Niemals. Sie war Witwe, einigermaßen attraktiv, aber keine umwerfende Schönheit. Mr. Worthington war groß, breitschultrig, gesund und in Form wie ein Reiter es sein sollte. Sein Gesicht war auf attraktive Weise kantig, seine Augen glitzerten grün, die braunen Locken hingen ihm eigensinnig charmant in den Nacken, und er besaß ein teuflisches Lächeln – und einen wirklich außerordentlichen Hintern. Es juckte sie geradezu überwältigend in den Fingern, diesen Körperteil näher zu erkunden. Miranda seufzte. Nie hatte sie einen Gedanken daran verschwendet, mit den Händen über Gideons Hintern zu fahren. Nie hatte sie ihren Ehemann, diesen Gelehrten mit gebückten Schultern, anders gesehen als im Gehrock oder im Nachtgewand. Selbst der Vollzug der Ehe in der Hochzeitsnacht hatte sich höchst züchtig abgespielt – im Dunkeln, das Musselinhemd nur so weit hochgerafft, wie es für den Akt unbedingt notwendig war. Sie hatte Gideon gegenüber stets ihre Pflicht getan, was von Constance, Gideons strenger, älterer und stets anwesender Schwester, überwacht worden war, aber geliebt hatte sie ihn nicht. Was auch umgekehrt galt. Er hatte sie versorgt. Ja, sie hatte ihre Pflicht getan, außer dass sie ihm ein Kind geschenkt hatte. Dieser Makel an seinem Plan hatte Gideon ein klein wenig verstört. Aber schließlich hatte er zugestanden, dass Kinder in einem Haushalt, in dem geistige Arbeit geleistet wurde, ihrerseits störend sein konnten, also hatte er ihr großmütig verziehen. In ihrer Unfruchtbarkeit hatte Miranda sich mit dem Gedanken getröstet, dass ein Haus voller kleiner Gideons vielleicht mehr sein mochte, als eine Frau, die noch einigermaßen bei Verstand war, verkraften konnte. Sie hatte den Haushalt ihres Mannes in Ordnung gehalten und dafür gesorgt, dass er seine geistige Arbeit ununterbrochen fortsetzen konnte. Im Gegenzug hatte er ihr so viel Geld überlassen, dass sie sich ein respektables Aussehen zulegen konnte – mit Kleidern, die Constances Auffassung von Respektabilität entsprachen, das hieß, schlicht und prüde wie bei den Quäkern waren. Sie hatte keinen Hunger leiden müssen, war nicht geschlagen worden und hatte auch sonst rein körperlich nichts entbehren müssen. Nur die kleinen Köstlichkeiten des Lebens waren ihr verweigert worden. Und irgendwann hatte sie feststellen müssen, dass sich das Verlangen nach diesen Köstlichkeiten in ihr verflüchtigte. Wie Farbe an einem vernachlässigten Haus abblätterte, so waren Splitter ihres Geistes und ihrer Seele unsichtbar auf den Teppich gesegelt, Tag für Tag, ein Jahr nach dem anderen. Dann war Gideon gestorben, und kurz danach hatte sich die herrische Constance wie durch ein Wunder in den Ruhestand zurückgezogen. Miranda war höchst zufrieden, dass sie nun allein zurechtkommen musste. Merkwürdig, dass es so viel weniger mühsam war, mit sich selbst allein zu sein als mit anderen. Das eigentliche Trauerjahr war längst verstrichen; die Halbtrauer war vor einem Monat zu Ende gegangen. Ihre graue und lavendelfarbene Kleidung trug sie immer noch, aber nur aus Gewohnheit.

Die Kutsche fuhr auf den Square. Miranda war nicht in der Lage gewesen, Mr. Worthingtons Blicke während der Fahrt zu erwidern, und betrachtete nun erleichtert die gepflegte Fassade des Hauses, in dem sie wohnte. Die Zufriedenheit, die sich bei diesem Anblick in ihr ausbreitete, sorgte dafür, dass auch ihr Puls sich beruhigte. Das Haus gehörte ihr ganz allein, darin konnte sie schalten und walten, wie sie wollte. Sie ging davon aus, dass der Besitz wieder an Gideons Familie zurückfallen würde, wenn sie starb – sofern es dann noch Talbots gab. Constance war kinderlos und zwanzig Jahre älter als Miranda. Ihre strenge Jungfernschaft hatte sie mit Stolz gehütet, ganz so, als ob Einsamkeit eine Tugend sei. Miranda glaubte nicht daran, dass Einsamkeit tugendhaft war. Sie hielt es für eine verdammte Verschwendung ihrer Existenz, einsam zu sein, wenn die Welt strahlend vor ihr lag und jeden, der nur tapfer genug war, einlud, sie zu erobern. Mit ein paar verstohlenen Blicken musterte sie den Mann neben sich.

Wenn ich nur den Mut fände.

Nein, sie war nicht verwegen. Wirklich nicht. Gideon hatte sie gewählt, weil sie schüchtern war, das hatte er an ihr bevorzugt. Trotzdem wollte sie nicht schüchtern sein, nicht in ihren Träumen, nicht in ihrem Geist – und schon gar nicht in der gegenwärtigen reizenden Gesellschaft von Mr. Worthington. Entschlossen schlug Miranda die Tür hinter ihrer vergangenen Ehe zu. Gelassen und sogar mit einem gewissen Eifer dachte sie über ihre neue Freiheit nach. Sie gehörte niemandem. Ihre Eltern waren nicht mehr als eine flüchtige Erinnerung, ihre harsche, überfürsorgliche Großmutter hatte sich in den lang ersehnten Ruhestand zurückgezogen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

Ich bin eine wohlhabende Witwe. Ich kann tun und lassen, was mir gefällt. Und mir gefällt Mr. Worthington.

Kapitel 3

Es war zweifellos das schnellste Bad, das Miranda jemals genommen hatte. Ohne dass Tildy sie beaufsichtigte, dass sie sich in der richtigen Reihenfolge einseifte und abschrubbte, brauchte Miranda nur wenige Minuten, bis sie in die Wanne hinein- und wieder hinausgestiegen war. Das Ankleiden war auch keine Herausforderung, hatte sie sich doch ihr ganzes Leben lang allein angezogen – bis vor Kurzem jedenfalls. Ein paar Sekunden lang schwankte sie zwischen einem düsteren Halbtrauerkleid und einem anderen, beschloss aber, dass beide gleich schrecklich waren, und entschied sich für das, welches ihren Busen am besten zur Geltung brachte. Das immer noch feuchte Haar band sie sich zu einem lockeren Knoten hoch, schob ein paar Nadeln aus Schildpatt hinein und beschloss, dass das gut genug war. Als sie in Höchstgeschwindigkeit zur Treppe rannte, mahnte sie sich, dass Ladys nicht über Flure rannten, nicht die Treppen hinunterpolterten und, ganz wichtig, nicht atemlos und mit gerötetem Gesicht an der Salontür auftauchten. Sie setzte ein sittsames Lächeln auf, während sie versuchte, ihren keuchenden Atem zu beruhigen, öffnete die Tür und stellte fest, dass Mr. Worthington auf sie gewartet hatte.

Nach ihrer Ankunft im Haus war ihr Butler Twigg ihm zur Hand gegangen. Miranda bemerkte, dass Umhang und Hose abgewischt und ausgebürstet worden waren, die Haare kringelten sich feucht über seinen Hemdkragen. Dabei hatte sie geglaubt, dass sie ihr Bad rasch hinter sich gebracht hatte! Als sie eintrat, betrachtete er gerade die wahrlich schreckliche Sammlung von Porzellanhunden auf dem Kaminsims, drehte sich zu ihr und schenkte ihr ein warmes Lächeln.

Cas war überrascht, wie hübsch die junge Witwe aussah, die frisch geschrubbt und rosig aus dem Bad kam. Schon in der Kutsche auf dem Weg nach Hause schien sie sich innerlich abgeschottet zu haben, und er fragte sich, ob sie es insgeheim wohl bedauerte, dass sie ihm erlaubt hatte, sie nach Hause zu begleiten. Gleichzeitig war er ein wenig erstaunt, dass er sich sogar gewünscht hatte, sie zu begleiten, anstatt einfach nur die Pflicht zu empfinden, sich von ihrem Wohlergehen zu überzeugen. Außerdem war ihm aufgefallen, dass er bleiben und abwarten wollte, bis sie gebadet und sich umgezogen hatte. Als er sie nun erblickte, ihre strahlenden Augen und die rosigen Wangen sah und bemerkte, dass sie sich unverhohlen über seine Anwesenheit freute, spürte er umgekehrt ebenfalls ein seltsames Gefühl in sich aufkeimen. Offenbar war sie ein verwegenes Geschöpf, denn schließlich hatte sie einen fremden Mann zu sich nach Hause eingeladen – obwohl sie in Cas’ ausgedehntem Bekanntenkreis nicht die einzige Witwe war –, und so hatte er halbwegs beschlossen, ihr einen Besuch abzustatten, obwohl die Gründe sowohl auf seiner als auch auf ihrer Seite ruchlos sein mochten.

Als sie ihn schüchtern anlächelte, sich auf dem Sofa niederließ und ihm bedeutete, auf dem Stuhl gegenüber Platz zu nehmen, war er sich da allerdings nicht mehr ganz so sicher. Er schenkte dem Stuhl keine Beachtung und setzte sich neben sie aufs Sofa. Sie warf ihm lediglich einen erschrockenen Blick zu, beugte sich dann vor und kümmerte sich um das verdeckte Teetablett, welches auf dem Tisch auf sie wartete.

Witwen genossen große Freiheiten, solange sie sich einigermaßen diskret verhielten. Cas hatte viele attraktive Frauen verwöhnt, einen Nachmittag hier und einen dort verbracht. Aber dieses Geschöpf war vollkommen anders. Sie schien nicht die geringste Lust auf einen Flirt zu verspüren. Wo blieb das kokette Kichern? Wo die wissenden Blicke, die an ihm auf und ab schweiften? Wo waren die vollen Lippen, die sich teilten, und die aufgerissenen, dunklen Lider?

Mit einer Tasse Tee in der Hand richtete sie sich wieder auf und wollte ihm die Tasse reichen. Als sie aufschaute und seinen eindringlichen Blick bemerkte, teilten sich ihre vollen Lippen, und die dunklen Wimpern schossen hoch.

Aha.

Cas taxierte sie ein wenig, lehnte sich näher und dann noch ein Stückchen näher. Sie rückte nicht ab, sondern blinzelte überrascht. Mit der zarten rosigen Zungenspitze befeuchtete sie ihre Lippen. Ein warmes, zärtliches Gefühl blühte in Cas auf, als er diese verletzliche Bewegung sah. Er zog sich zurück, obwohl er nicht unbedingt dafür bekannt war, Gnade walten zu lassen. Er irrte sich. Sie war nicht verwegen, jedenfalls nicht wirklich. Er musste feststellen, dass er verwirrt war, und das, obwohl es seit seinem fünfzehnten Lebensjahr keinem weiblichen Wesen mehr gelungen war, ihn zu verwirren. Wer war dieses Geschöpf, diese auf so süße Weise verwegene, schüchtern verführerische Göttin in Trauerkleidung? »Mrs. Gideon Talbot«, begann er mit weicher Stimme, »woher stammen Sie?«

Sie blinzelte wieder. »Ich wohne schon lange hier«, erklärte sie zaghaft. »Sind nicht Sie gerade erst eingetroffen?«

Er lachte. Sie war einnehmend, wenn auch ein bisschen neben der Spur. »Ja, das stimmt. Bin ich denn willkommen?«

Kopfschüttelnd lachte sie über sich selbst. »Ich bitte um Verzeihung, Mr. Worthington. Natürlich sind Sie ein willkommener Gast.« Miranda schenkte weiter Tee ein. Schade, dass es nicht zwanzig Tassen zu füllen gab, denn ein paar Sekunden zum Nachdenken konnte sie wirklich gut gebrauchen! Sie fühlte sich, als ob ihr eine Mischung aus Aufregung und Verwirrung durch den Bauch kriechen würde. Mr. Worthington hatte sich immer wie ein echter Gentleman benommen. Ruhig und voller Respekt und wirklich, wahrhaftig und auf geradezu ärgerliche Weise besonnen. Sie glaubte, dass sie ihren Teil dazu beigetragen hatte. Sie hatte immer warm gelächelt. Sie hatte versucht, interessante Dinge mit ihrem Haar anzustellen. Sie hatte dafür gesorgt, dass jeden Nachmittag ein Tellerchen mit Köstlichkeiten zum Tee auf dem Tisch stand. So gewann man doch die Aufmerksamkeit eines Mannes, oder? Was hatte sie heute anders gemacht, dass er sich so vertraulich benahm? Warum lehnte er sich plötzlich so nahe zu ihr, dass sie seine Wärme auf ihrer Wange spüren konnte? Vielleicht lag es einfach daran, dass er sie mittlerweile kennengelernt und beschlossen hatte, dass sie durchaus attraktiv war; und jetzt, wo sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, empfand auch er endlich Sehnsucht nach ihr.

»Ich hätte gern …«

Miranda erschrak so sehr über seine warme Stimme nah an ihrem Ohr, dass sie die Zuckerstückchen unter den Tisch fallen ließ.

»… ein wenig Milch.«

»Oh!« Peinlich berührt schoss sie hoch und wollte den Zucker aufheben – genau in dem Moment, als Mr. Worthington sich bückte, um ihr die Mühe zu ersparen. Um zu verhindern, dass ihre Köpfe zusammenstießen, wich sie rasch zurück, wobei sich der Absatz ihres Stiefels in einer Teppichfalte verfing. Zusammen mit ihrem Gleichgewicht verlor sie auch jegliche Hoffnung, dass Mr. Worthington sie für irgendetwas anderes halten könnte als vollständig vertrottelt. Jeder beschämende, unbeholfene Moment, den sie als kleines Mädchen erlebt hatte, verblasste im Vergleich zu der felsenfesten Überzeugung, dass sie kurz davor war, auf den Teetisch zu segeln und haargenau auf ihrer zertrümmerten Würde zu landen.

Eine starke Hand streckte sich ihr entgegen. Feste Finger schlossen sich um ihren Ellbogen. Miranda fand ihr Gleichgewicht zurück und beruhigte sich wieder. Erleichtert atmete sie aus und begegnete Mr. Worthingtons amüsiertem und mitfühlendem Blick.

Er zwinkerte mit den grünen Augen. »Verfluchte Teppiche. Ständig schlagen sie hoch.«

Sein unbekümmerter Fluch sorgte zwar dafür, dass sie die Stirn runzelte, aber trotzdem musste sie unwillkürlich die Mundwinkel hochziehen. »Sie sind wirklich ungemein ritterlich, Sir. Ich fürchte, auf dem Boden hätte ich ausgesprochen lächerlich ausgesehen!«

Sein Blick schien sich aufzuheizen. »Sie«, stieß er heiser aus, »hätten auf dem Boden ganz zauberhaft ausgesehen.«

Schockierend! Geschmacklos! Und unglaublich fesselnd. Sie starrte ihn an, während alle Luft ihre Lunge verließ und ihr Herz wild pochte. Dann schluckte sie schwer; es gelang ihr, den Blick loszureißen. Miranda nahm wieder Platz und blinzelte die beiden Zuckerstückchen an, die sich in ihrer Hand wieder materialisiert hatten. »Sir, ich …«

Ihr eher kläglich vorgebrachter Protest blieb unausgesprochen, denn er lehnte sich vor und drückte rasch seinen Mund auf ihre geteilten Lippen.

Es war, als würde ihr das Herz stehen bleiben … als würde ihr Körper in einer Dampfexplosion in die Luft gejagt, die jene auf der Straße bei Weitem übertraf. Geküsst zu werden … schließlich und endlich, nachdem sie sich so sehr danach verzehrt hatte!

Der heiße Blitz, der Cas’ Eingeweide durchbohrt hatte, fand keinen Namen. Es war etwas anderes als Verlangen, etwas anderes als das schlichte männliche Bedürfnis nach einer willigen Gefährtin. Es war das Gefühl ihres weichen, verwundbaren Mundes auf seinem – oder vielmehr das erstaunte Stöhnen, das gegen seine Lippen vibrierte. Nein, es musste daran liegen, wie ihr süßer, mit Tee gewürzter Mund mit seinem verschmolz, als ob er die Antwort auf einen schmerzenden, einsamen Traum sei, der schon ein ganzes Leben lang geträumt wurde. Der Blitz tat weh. Dehnte sich in ihm aus, zuckte wie ein Lauffeuer, bedrohte seine sorgsam aufgerichteten Schutzmauern, die, wie sich herausstellen sollte, gar nicht aus Stein gehauen waren, sondern so rissig wie getrocknetes Treibholz und mehr als bereit, endlich niedergebrannt zu werden. Nein. Ein solcher Übergriff war unerwünscht und unnötig und sollte, rundheraus gesagt, in Zukunft um jeden Preis vermieden werden. Zögernd löste Cas die Lippen von dem erstaunten Mund der ziemlich hübschen, merkwürdig schüchternen und hochgradig verführerischen Witwe. Mit ganzer Willenskraft nahm er seine Hände von ihren Oberarmen, wohin sie irgendwie geglitten waren, um ihre seidige Haut zu streicheln. Abrupt stand er auf, trat zurück und schloss die Fäuste über dem letzten süßen Hauch ihrer Haut, der ihm noch in den Handflächen haftete. »Bitte um Verzeihung, Mrs. Talbot. Ich … Mir ist gerade aufgefallen, dass meine Zeit heute sehr beansprucht ist. Ich muss Ihnen nun wirklich einen guten Tag wünschen.« Es gab noch einen Grund, weshalb er schleunigst aufbrechen sollte. Sofort. Er wollte aus dem Salon stürzen, aber ein Blick auf ihre verwirrte, niedergeschlagene Miene sorgte dafür, dass er noch einen Moment lang an der Tür stehen blieb. »Ich freue mich aufrichtig«, sagte er sanft, »dass Sie heute nicht zu Schaden gekommen sind.« Dann stürmte er fort von der verwirrenden Witwe mit den erstaunlichen Lippen und den großen meergrünen Augen, als gelte es sein Leben.

Reglos saß Miranda auf ihrem Sofa und wunderte sich, warum die Kissen zitterten. An dem ausgestopften Samtpolster konnte es nicht liegen, sondern eher an ihren Händen, ihren Knien – und an ihren Vermutungen. Der Mund war zum Sprechen gedacht. Lippen … nun, Lippen waren doch nur zum Lächeln gut, nicht wahr? Zungen … Zitternd erinnerte sie sich daran, wie Mr. Worthingtons heißer Mund sich geteilt hatte und seine Zunge gerade weit genug herausgekommen war, um am Saum ihrer Lippen entlangzufahren und hauchzart in sie einzutauchen. Nichts war erzwungen. Es war nicht mehr als ein sanftes, glattes und rasches Eindringen gewesen, das sie jedoch erschüttert hatte wie ein Rammbock. Sie presste die zittrigen Fingerspitzen auf die Lippen, die jetzt für so vieles mehr gut waren als nur für schlichtes Sprechen. Erfreulicherweise, denn die Welle flüssiger Hitze, die ihr durch die Adern gerauscht war, als sie ihn schmeckte, hatte ihr ohnehin die Sprache verschlagen. Sogar jetzt noch schien sie förmlich zu glänzen angesichts ihres neuen, süßen Bewusstseins über diesen Mann, den sie zu kennen geglaubt hatte. Wie konnte ein simpler Druck auf ihren Mund so viel preisgeben? Wie war es möglich, dass sie seine verborgene Hitze spürte? Seine geheimen Bedürfnisse? Und, was wirklich schockierend war – zumal geboren aus der Einbildung, die das abgeschiedene Leben in ihr entzündet hatte –, seine verborgene Einsamkeit? War das etwa der wahre Mann – der Mann, der hinter allem steckte? War sie verrückt, weil sie glaubte, jemandes innerste Gedanken begreifen zu können, indem ihr Mund seinen berührte? Eher verzweifelt als fest verschränkte sie die Hände im Schoß.

Reiß dich gefälligst zusammen! Dein ausgesprochen netter Freund hat sich also entschieden, dich endlich als Frau zu betrachten. Was ist schon dabei? Ich stecke wirklich in Schwierigkeiten.

Nein, es war weit mehr als nur unbedeutende Schwierigkeiten. Gefahr. Aber das Versprechen auf eine Katastrophe machte alles nur noch süßer. Gefahr und Risiko und eine süße, köstliche Belohnung, die vielleicht winkte. Ja, es mochte sein, dass sie verrückt geworden war. Oder zumindest zeitweise wahnsinnig. Schließlich war es ihr allererster Kuss gewesen.

Cas wartete in dem für einen Palast recht kleinen Empfangszimmer, in das er von dem weißgolden livrierten Diener, der ihn mit einer einzigen, dafür aber perfekt hochgezogenen Braue von oben bis unten abschätzig musterte, geführt worden war.

Kein Titel. Kein Geld. Politisch unbedeutend. Hat trotzdem einen Termin für einen stillen Augenblick mit dem Prinzregenten. Also alte Bekanntschaft. Wahrscheinlich ein Saufkumpan. Oder sogar schlimmer. Kein Grund, Respekt zu zeigen. Kein Anlass zur Ruppigkeit.

Cas grinste den Mann einfach nur an und blies ihm einen Kuss zu. Als der Diener sich verbeugte und das Zimmer verließ, schalt Cas sich unhörbar für seine Dreistigkeit, schüttelte seine Besorgnis aber sogleich wieder ab. Er war gekommen, weil er mit dem Prinzregenten etwas besprechen wollte, was für ihn so außerordentlich wichtig war, dass er mit keiner Menschenseele bisher darüber geredet hatte. Noch nicht einmal Poll wusste über die Idee Bescheid, die Cas seit Monaten durch den Kopf geisterte. Mit der Zeit war die Sache ins Rollen gekommen. Genug mit dem Spielkram und den Kinkerlitzchen! Wenn Poll und er jemals als Erfinder ernst genommen werden wollten, mussten sie ihre Genialität vereint auf den Weg bringen wie vernünftige – oder zumindest schlüssig denkende – Männer der Wissenschaft. Trotz allem blieb er ein Worthington, und Worthingtons ließen sich nicht einschüchtern. Von niemandem. »Mit einem Stammbaum so alt wie Stonehenge«, wie Archie Worthington immer zu sagen pflegte, »haben wir haufenweise Invasionen und Könige überdauert.«

Als nun der Prinzregent das Zimmer so flink betrat, wie Körpermasse und Alter es zuließen, verbeugte Cas sich zutiefst ironisch, machte sich aber nicht die Mühe, wirklich zu katzbuckeln. Der Prinzregent schnaubte, als Cas sich wieder erhob. Mochte es sich auch nicht um die erwünschte ernste Aufmerksamkeit handeln, so war königliches Amüsement der königlichen Langeweile doch entschieden vorzuziehen. Mit Amüsement konnte er arbeiten. »Nun, was gibt’s, Quadratwurzel? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«

Cas grinste, als er seinen Spitznamen hörte, der von Worthington-hoch-zwei abgeleitet war, was wiederum zu den freundlicheren Beinamen gehörte, welche die Gesellschaft Poll und ihm im Laufe der Jahre verpasst hatte. »Warum so eilig, Eure Hoheit? Ist sie hübsch?«

ENDE DER LESEPROBE