Ein Bisschen zur Abendstunde 2 - Sissi Kaipurgay - E-Book

Ein Bisschen zur Abendstunde 2 E-Book

Sissi Kaipurgay

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Beschreibung

Fahr doch in den Odenwald. Da gibt’s massig frische Luft und viel Landschaft. Genau richtig, um die Seele baumeln zu lassen, hatte Davids Kollegin Dörte geschwärmt. Schön ist es wirklich in dem beschaulichen Örtchen, in dem er ein Pensionszimmer angemietet hat. Auf einer Wandertour, die länger als gedacht ausfällt, stellt er außerdem fest, dass im Wald ein unhöflicher Mann wohnt. Dessen ungeachtet ist Rasputin, sofern man auf Holzfällertypen steht, wahnsinnig sexy.

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Inhaltsverzeichnis

Ein Bisschen zur Abendstunde 2

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

Epilog – einige Monate später

Ein Bisschen zur Abendstunde 2

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Copyright Texte: Sissi Kaipurgay/Kaiserlos

Fotos: shutterstock_33264934

Cover-Design: Lars Rogmann

Korrektur: Aschure, dankeschön!

Kontakt:

Sissi Kaiserlos/Kaipurgay

c/o Karin Rogmann

Kohlmeisenstieg 19

22399 Hamburg

Ein Bisschen zur Abendstunde 2

Fahr doch in den Odenwald. Da gibt’s massig frische Luft und viel Landschaft. Genau richtig, um die Seele baumeln zu lassen, hatte Davids Kollegin Dörte geschwärmt. Schön ist es wirklich in dem beschaulichen Örtchen, in dem er ein Pensionszimmer angemietet hat. Auf einer Wandertour, die länger als gedacht ausfällt, stellt er außerdem fest, dass im Wald ein unhöflicher Mann wohnt. Dessen ungeachtet ist Rasputin, sofern man auf Holzfällertypen steht, wahnsinnig sexy.

1.

Davids Handy hatte keinen Empfang. Entsprechend konnte er keine Karte aufrufen, noch nicht mal die Uhrzeit checken. Dem Sonnenstand nach zu urteilen – sehen konnte er sie wegen der hohen Wipfel nicht, nur erahnen – dürfte es ungefähr acht sein. Er hatte das Gefühl, seit Stunden im Kreis zu wandern. Immer wieder kamen ihm Stellen bekannt vor, aber das konnte täuschen.

Seine Füße taten weh. Eigentlich wollte er schon lange zurück in seiner Pension sein. Warum hatte er sich auf sein Scheiß Smartphone verlassen und weder Karte noch Kompass eingesteckt? Weil du doof bist, gab er sich im Geist selbst die Antwort. Proviant trug er auch keinen nennenswerten bei sich. Den Müsliriegel hatte er schon vorhin verspeist und die halbe Flasche Mineralwasser getrunken.

Mit einem resignierten Seufzer ließ er sich auf einem umgefallenen Baumstamm nieder, genehmigte sich einen kleinen Schluck Wasser und überlegte, ob er umkehren sollte. Dann kommst du in ein paar Stunden genau hier wieder an, flüsterte eine spöttische Stimme in seinem Kopf.

Er hätte vorhin nicht vom ausgeschilderten Weg abweichen und dem Trampelpfad folgen sollen. Hätte-hätte ... Wieso konnte man sich mitten in Deutschland im Wald verlaufen? Wenn man die Fläche von oben anguckte, gab es alle paar Kilometer ein Dorf oder eine Stadt. Er war mehr als ein paar Kilometer gewandert.

Warum hatte er bloß auf seine Kollegin Dörte gehört? „Fahr doch in den Odenwald. Da kann man sich prima erholen. Viel frische Luft und Landschaft, soweit das Auge reicht“, lauteten ihre Worte. Tja, und da saß er nun, in der weiten Landschaft, beziehungsweise im Wald.

Soweit er das beurteilen konnte lag die Pension, in der er sich eingemietet hatte, von ihm aus gesehen im Westen. Eigentlich müsste er doch auf direktem Weg dorthin zurückkommen, wenn er sich nach der Sonne richtete. Das versuchte er allerdings schon die ganze Zeit. Irgendwas stimmte mit seiner Orientierung nicht.

Er stand auf und schulterte seinen Rucksack. Bestimmt lichtete sich der Wald nach der nächsten Baumreihe. Durchhalten hieß die Devise, dann würde er schon ans Ziel kommen. Schließlich befand er sich im dichtbesiedelten Deutschland. Hier ging niemand verloren.

Einige Zeit später – die langen Schatten der Bäume waren der Dämmerung gewichen – schwand seine Zuversicht so schnell wie das Tageslicht. Wenigstens hatte er, statt der neuen Wanderschuhe, seine alten Sneakers angezogen. Garantiert hätte er sich sonst Blasen gelaufen. Immer das Positive sehen, lautete Dörtes Parole. Verdammte Kollegin! Sie war schuld, dass er in diesem Scheißwald verhungern würde!

Er torkelte inzwischen mehr als dass er ging. Seine Füße brannten und seine Beine waren vor Überanstrengung weich. Das würde einen erstklassigen Muskelkater geben. Den du nicht mehr erleben wirst, weil du dann schon tot bist, machte er sich im Geiste Mut. Galgenhumor war seine Stärke.

Plötzlich raschelte etwas im Unterholz. David erstarrte. Nach Stunden der Stille, abgesehen von dem einen oder anderen Vogelzwitschern, hörte sich das Geräusch sehr laut an; so, als ob da ein großes Tier herumschlich. Gab es hier Bären? Wölfe? Wildschweine? Warum hatte er kein Pfefferspray mitgenommen? Weil du so ungeschickt bist, dass du es dir selbst ins Gesicht sprühen würdest, beantwortete er sich selbst die Frage. Dennoch würde er sich besser fühlen, wenn er irgendetwas dabeihätte.

Als kein weiteres Rascheln zu hören war, setzte er seinen Weg fort. Die Dämmerung ging rasend schnell in Dunkelheit über. Zumindest funktionierte die Taschenlampe seines Handys, aber wie lange?

Der Wald, im Hellen ein harmloser, freundlicher Ort, wurde mehr und mehr zum Gruselkabinett. Mal glaubte er, das Heulen eines Wolfes zu vernehmen, mal meinte er, gelbe Augen, die ihn beobachteten, im Dickicht zu sehen. Auch knackten ständig Zweige oder etwas sauste durch die Luft. Wahrscheinlich Fledermäuse. Generell fand er die Tiere putzig, so lange er sie auf dem Monitor seines Computers betrachtete. Begegnen wollte er ihnen lieber nicht. Vielleicht befand sich ein blutsaugendes Exemplar darunter.

Wieder sah er etwas Gelbes zwischen den Bäumen scheinen, doch wirkte es größer als die Augen eines Bären/Wolfs/Wildschweins. Entweder lauerte dort ein Drachen, oder er hatte ein bewohntes Haus gefunden.

Er hielt darauf zu und atmete auf, als sich die zweite Vermutung bestätigte. Es handelte sich tatsächlich um eine Hütte, aus deren Fenstern warmer Lichtschein fiel.

Die letzten Meter überwand er stolpernd und klopfte an die Tür. Schwere Schritte, dann wurde sie aufgerissen. Ein Hüne mit Bart stand ihm gegenüber.

„Guten ...“ Sein Hals war so trocken, dass er nur krächzen konnte. Er räusperte sich und begann von vorn: „Guten Abend. Ich hab mich verlaufen.“

Stumm starrte der Typ ihn an.

„Gibt es in der Nähe eine Bushaltestelle? Oder darf ich bei Ihnen telefonieren, um mir ein Taxi zu rufen?“

Der Mann schüttelte den Kopf.

„Könnten Sie mir dann bitte ein Taxi rufen?“

„Sehen Sie hier irgendwo eine Straße?“, erwiderte der Typ.

„Nein, aber vielleicht ist ja eine in der Nähe.“

„Ungefähr zwei Stunden Fußmarsch in diese Richtung ...“ Vage winkte der Mann nach links. „... finden Sie eine.“

Zwei Stunden im Dunkeln? Dazu noch marschieren, wo er doch kaum noch schleichen konnte? „Ich bin hungrig, durstig und müde.“

Schweigend glotzte der Typ ihn an.

Erschöpfung untergrub seine anerzogene Höflichkeit. „Hätten Sie die Güte, mich in Ihre Hütte einzuladen?“

Wortlos trat der Mann beiseite. David stolzierte, so gut es sein Zustand zuließ, an dem Arschloch vorbei und blieb mitten im Raum stehen. Anscheinend bestand das Haus nur aus diesem Zimmer, abgesehen von einer Tür, die vermutlich das Klo verbarg. In einer Ecke gab es eine Küchenzeile, daneben einen Tisch mit zwei Stühlen. Gegenüber standen ein Bett, Nachtschrank und eine Kommode. Vorm Fenster: Ein Schreibtisch, hell erleuchtet von zwei Strahlern.

„Oder könnten Sie mich ins nächste Dorf bringen?“, wandte er sich an den Hausbewohner, der gerade die Tür schloss.

„Nein.“

„Haben Sie keinen fahrbaren Untersatz oder ist das eine generelle Weigerung?“

„Kein Fahrzeug.“ Der Typ ging zum Schreibtisch, setzte sich in den davorstehenden Sessel und griff nach einer Pinzette.

„Darf ich Ihr Bad benutzen?“ Seit Einbruch der Dunkelheit hatte er sich gescheut, seinen Schwanz zu entblößen, um am Wegesrand seine Notdurft zu verrichten. Die Angst, ein wildes Tier könnte aus dem Dickicht springen und ihn entmannen, war übermächtig gewesen.

Der Mann zeigte auf die Tür, hinter der er bereits die Örtlichkeit vermutet hatte.

„Herzlichen Dank.“ Er verschanzte sich in dem Raum, der sich als vollständiges Bad entpuppte. Es gab, neben dem Klo, ein hölzerner Kasten, ein Waschbecken und eine Duschkabine. Allerdings fehlte die Klospülung. Als David den Deckel hochklappte, schlug ihm beißender Gestank entgegen. Anscheinend streute man über große Geschäfte eine Schaufel der Erde, die in einem Eimer neben der viereckigen Kloschüssel stand. Versetzte der Typ die gesamte Hütte an eine andere Stelle, wenn die Schüssel vollgeschissen war?

Der schräge Gedanke hob seine Laune ein bisschen. Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, kehrte er in den Hauptraum zurück.

„Haben Sie etwas zu essen und zu trinken für mich?“, wandte er sich an den Typen, der, wie er nun erkannte, etwas aus Streichhölzern konstruierte. Es sah nach einem Schiffsrumpf aus.

„Gucken Sie da nach.“ Ohne von der Arbeit aufzusehen, wies der Mann auf die Küchenzeile.

Sie bestand aus einer Arbeitsplatte, auf der ein zweiflammiger Gaskocher stand. Darunter und darüber befanden sich Schränke. In den unteren lagerten, neben Töpfen und einigen Tellern, hauptsächlich Konserven, in den oberen Becher, Marmelade, Honig, Gewürze und ein halber Laib Brot. Außerdem gab es einen Mini-Kühlschrank, der Milch, Butter, diverse Wurstsorten und einige Flaschen Mineralwasser beinhaltete.

Mit zwei Scheiben Brot, belegt mit Salami und einem Glas Wasser ließ sich David am Esstisch nieder. Die Vorstellung, zwei Stunden durch den dunklen Wald zu marschieren, wurde mit jeder still vergehenden Minute verlockender. Alles war besser, als mit diesem missmutigen Typen in einem Raum zu sein. Seine Füße waren anderer Meinung: Sie wollten keinen Schritt mehr gehen.

„Wird das ein Schiff?“, fragte er.

Der Mann brummelte: „Das ist jedenfalls der Plan.“

„Ich finde, es sieht schon ganz danach aus.“

„Hm-hm.“ Der Typ klebte ein weiteres Streichholz fest, lehnte sich zurück und beäugte das Werk.

Täuschte das, oder zeichnete sich Stolz auf der verschlossenen Miene ab? Das war schwer zu erkennen, weil die Hälfte des Gesichts vom Bart verdeckt wurde.

„Ich mache Urlaub in Beuchen. Bin da in einer kleinen Pension“, erzählte David.

„Mhm. Das Nest kenne ich.“

„Mein Name ist übrigens David.“

„Rasputin.“ Selbiger beugte sich wieder über das Modell.

Der Name passte wie die Faust aufs Auge. Jedenfalls hatte er sich einen Rasputin immer so vorgestellt, bärtig, im rotkarierten Holzfällerhemd, Jeans und derben Stiefeln.

Weil es unhöflich wäre, seinen Gastgeber weiter bei der Arbeit zu stören, versuchte David nicht, die Unterhaltung fortzuführen. Er schaute sich genauer um und entdeckte einen altmodischen Wecker auf dem Nachtschrank. Zehn vor elf. Nach dem Mittagessen war er aufgebrochen, also ungefähr neun Stunden unterwegs gewesen. Kein Wunder, dass ihm jeder Knochen wehtat.

Bei dem Bett handelte es sich um ein französisches Modell, also circa eins vierzig breit. Zu zweit würde das eng werden. Rasputin auf die Pelle zu rücken, wäre ihm eh unangenehm.

„Darf ich hier übernachten?“, erkundigte er sich.

Rasputin zuckte mit den Achseln. „Kann dich ja schlecht rausjagen.“

„Ist es okay, wenn ich mir eine der Decken nehme und mich auf den Fußboden lege?“

Sein Gastgeber erhob sich, holte einen Blasebalg sowie eine zusammengefaltete Luftmatratze unter dem Bett hervor und begann, sie aufzupumpen. Erleichtert, seinen geschundenen Körper nicht dem harten Boden aussetzen zu müssen, bot David an: „Lass mich das machen.“

Rasputin winkte ab und pumpte weiter.

Ehrlich gesagt war er froh darüber. Mit vollem Magen fühlte er sich noch angeschlagener als vorher. Wahrscheinlich, weil sein Körper die letzte Energie zur Verdauung aufbrauchte.

Als das Notbett fertig war, warf Rasputin ein Kissen und eine Decke auf die Luftmatratze und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Gähnend streifte David seine Schuhe von den Füßen, schob sie neben den Rucksack, den er neben den Tisch gestellt hatte und zog sich bis auf Pants und T-Shirt aus. Trotz seiner Müdigkeit bemerkte er, dass Rasputin ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Ein schwuler Holzfäller? Sein feuchter Traum. Was für eine Schande, dass er zu erledigt war, um die Chance zu nutzen.

Kaum lag er, fielen ihm die Augen zu.

David wachte auf und blinzelte ins Morgenlicht. Wo war er? Im nächsten Moment erinnerte er sich an alles. Leise ächzend – seine Beine taten höllisch weh – drehte er sich auf die andere Seite. Von seinem Standort beziehungsweise Liegeort aus sah er nur einen Riesenberg Decken auf dem Bett.

Vorsichtig richtete er sich auf. Seine Blase war voll, weshalb er seinen Körper zur Kooperation zwingen musste. Wie ein Greis humpelte er ins Bad.

Bei seiner Rückkehr bot sich das gleiche Bild wie vorher. Seine Hoffnung, dass Rasputin Kaffee kochte, war also vergebens gewesen.

Er zog seine Hose an, was ihm so manchen Schmerzenslaut entlockte. Der Deckenberg rührte sich nicht. Auf der Suche nach einem geeigneten Topf veranstaltete er ebenfalls Krach, diesmal mit Erfolg.

„Scheißlärm“, brummelte Rasputin, tauchte aus der Deckenburg auf und gähnte ausgiebig.

Der Mann besaß ein Gebiss, das eines Filmstars würdig wäre: schneeweiß und ebenmäßig.

Rasputin stand auf und trottete zum Bad. Das bot David den Anblick einer prächtigen Kehrseite. In der engen Pants wirkten Rasputins Arschbacken wie gemeißelt. Lange, muskulöse Beine, überzogen von dunklem Flaum. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen.

Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich seines Vorhabens wieder bewusst wurde: Kaffee kochen. Er stellte einen Topf auf den Herd und beäugte den Kanister, der auf der Fensterbank stand. War das Trink- oder Brauchwasser? Er nahm an, dass Rasputin Regenwasser sammelte. Sowas wollte er keinesfalls verwenden. Es war ja allgemein bekannt, wie schadstoffbelastet es sein konnte.

Da er warten musste, bis Rasputin ihm half, ging er zum Schreibtisch und betrachtete die Bastelarbeit. Welch filigranes Werk. Hätte er es nicht mit eigenen Augen gesehen, würde er niemals vermuten, dass es von Rasputin stammte. Dem traute man eher zu, aus Baumstämmen Blockhütten zu bauen, statt aus Streichhölzern Modelle zu konstruieren.

Die Badtür schwang auf. Rasputin trat in den Raum und zog sich in aller Gemütsruhe an. David guckte sich weiterhin das Modell an, weil er sonst gegafft hätte. Der Mann war echt eine Augenweide.

Endlich war Rasputin fertig und begab sich in die Küchenecke. David ließ sich am Esstisch nieder und schaute zu, wie sein Gastgeber den Topf mit Wasser aus einer der Flaschen, die im Kühlschrank lagerten, füllte. Anschließend kippte Rasputin Kaffeepulver hinein und zündete die Gasflamme an.

„Machst du auch Urlaub?“, erkundigte sich David.

Ihn traf ein strenger Blick. „Kein Gelaber vorm ersten Kaffee.“

Aha, ein Morgenmuffel.

Rasputin setzte sich an den Schreibtisch und starrte das Modell tatenlos an, bis die Wasser-Kaffee-Mischung kochte.

Nach dem Frühstück, bestehend aus einer Scheibe Wurstbrot, – mehr traute er sich nicht zu essen, damit Rasputin genug hatte – brach er auf.

2.

„Warum hast du ihn nicht weggeschickt?“, schimpfte Felix. „Ich hab mir die Pfoten wundgelaufen, um mit dir den Mond anzuheulen!“

„Ja, ja“, murmelte Rasputin, der sich das schon gestern Nacht, allerdings in gedämpfter Lautstärke, anhören musste.

„Vor Frust hab ich eine halbe Flasche Whisky geleert.“

„Das tust du auch dann, wenn du keinen Frust hast.“

„Ich fand’s trotzdem scheiße. Der Typ hätte den Weg schon noch gefunden, wenn du ihn nicht aufgenommen hättest.“

„Der war völlig fertig.“

Felix trank einen Schluck Kaffee und streckte die Beine aus. Sein Freund, zugleich Geschäftspartner, war kurz nach Davids Verschwinden aufgetaucht. Wahrscheinlich hatte Felix darauf gelauert, dass sein Übernachtungsgast ging.

Rasputin war Inhaber einer Kette von Hundesalons und Tierbedarf/Tiernahrungsshops, die sich in Darmstadt und Umkreis befanden. Als ihm das Ganze zu groß wurde, hatte er Felix als Partner aufgenommen. Sein Kumpel kümmerte sich um den städtischen Bezirk, er um den ländlichen. Eine prima Aufteilung, weil er Städte nicht mochte.

Er war in Boxbrunn, einem Dorf mit rund hundertdreißig Einwohnern, aufgewachsen. Sein Vater war Alpha des dort ansässigen Rudels. Eigentlich hätte Rasputin irgendwann die Nachfolge antreten sollen, aber das Rudelgebumse, wie er die Vereinsmeierei abfällig nannte, ging ihm auf den Sack. Es war schlimmer als jeder Schützenverein.

Nachdem er in Frankfurt Betriebswirtschaft studiert hatte, eröffnete er den ersten Hundesalon. Sobald sich dieser amortisiert hatte, kaufte er zwei dazu. Auf diese Weise war er in den Besitz von zehn Salons und fünf Tierbedarfsmärkten gekommen.

„Holen wir heute Nacht unseren Mondscheinspaziergang nach?“, wollte Felix wissen.

„Klar.“

„Wunderbar.“ Felix leerte den Becher und stellte ihn auf den Tisch. „Dann mach ich mich wieder vom Acker. Hab ein Date mit meinen Eltern.“

Im Gegensatz zu ihm liebte Felix die Rudelbumserei. Sein Freund hatte ihm mal anvertraut, – obwohl er das gar nicht wissen wollte – ganz heiß darauf zu sein, dominiert zu werden. Also, nicht mit Peitsche und so. Es reichte Felix, ein bisschen rumkommandiert zu werden. Als Omega waren, sofern man sich in die Rudelrangordnung fügen wollte, solche Gelüste nützlich. Bedauerlich war jedoch, dass es an schwulen Alphas mangelte. Abgesehen von Rasputin, gab es keinen in der Umgebung.

Manchmal sinnierte Felix, nach Amerika auszuwandern. Er hätte gehört, dass es da vor Kandidaten nur so wimmelte. Ganze Rudel wären dort schwul. Vermutlich hatte Felix den Unsinn in Groschenromanen gelesen. Sowas konsumierte sein Freund heimlich – auch etwas, das Rasputin nicht wissen wollte und trotzdem erfahren hatte.

Als Felix gegangen war, setzte er sich an seinen Schreibtisch. Jeder Mensch, auch Wandler, brauchte ein Hobby. Okay, ausgenommen die Artgenossen, denen es reichte, in Tiergestalt durch die Wälder zu hüpfen und Beute zu jagen. Er hatte schon alles Mögliche ausprobiert, sogar Stricken. Letztendlich war Holz sein Lieblingsmaterial, weshalb er auf Modellbau mit Streichhölzern verfallen war. Eine knifflige Sache, die hohe Konzentration und Präzision verlangte. Genau richtig, um sie in der Abgeschiedenheit seiner Hütte auszuleben - wenn sich nicht gerade Leute hierher verirrten.

Er besaß sein Domizil, das er von einem Naturliebhaber erworben hatte, seit rund fünf Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums hatte sich noch nie ein Wanderer bei ihm blicken lassen. Es lag fernab der üblichen Routen.

---ENDE DER LESEPROBE---