Ein Bräutigam fürs Leben - Marchesa Colombi - E-Book

Ein Bräutigam fürs Leben E-Book

Marchesa Colombi

4,8

Beschreibung

Mitte der 1970er entdeckte Natalia Ginzburg dieses literarische Kleinod von 1885 wieder, das mit schnörkelloser Raffi­nesse und feiner Ironie die lakonische Geschichte eines Entkommens erzählt: Nichts wünscht Denza sich sehnlicher als der ereignislosen Tristesse im Elternhaus zu entkommen. Im Piemont des 19. Jahrhunderts gibt es nur einen Weg: Heiraten. Und so verliebt sich Denza in einen Verehrer, den sie gar nicht kennt. Schon bevor sie ihm endlich begegnet, weiß sie, es ist Liebe. Wann wird er ihr endlich den ersehnten Antrag machen?

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Band 14 der

Marchesa Colombi

Ein Bräutigam fürs Leben

Roman

Aus dem Italienischen von Christine GräbeMit einer Einführung von Natalia Ginzburg

Illustrationen von Kathleen Bernsdorf

 

© 2012 Verlag Silke Weniger, Gräfelfing /Hamburgherausgegeben von Karen Nölle

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehaltenÜbersetzung: Christine Gräbe

Titel der italienischen Originalausgabe: Un Matrimonio in Provincia, Ersterscheinung 1885. Die Einführung von Natalia Ginzburg »Nota introduttiva« wurde übersetzt nach der Ausgabe von 1973 – mit freundlicher Genehmigung von Giulio Einaudi Editore, Turin. Auf Deutsch erschienen Roman und Einführung erstmals unter dem Titel Eine Provinzheirat 1976 im Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig.© 1973 Giulio Einaudi Editore s.p.a Turin

Illustration, Gestaltung und Satz Kathleen Bernsdorf, Berlin

ISBN 978-3-942374-58-3

www.editionfuenf.de

EinführungNatalia Ginzburg

Ich habe diesen Roman vor sehr langer Zeit gelesen. Meine Mutter entdeckte ihn zufällig an einem Stand mit alten Büchern. Sie wollte ihn mir schenken, weil ich oft jammerte, ich hätte nichts zu lesen. Das Exemplar, das sie erwarb, war in dunkelblaues Packpapier eingeschlagen, auf dem der Name der Autorin sowie der Titel in Tinte geschrieben standen, in schiefer, krummer Krakelschrift. Ich war damals etwa sieben Jahre alt.

Meine Mutter las das Buch als Erste. Sie fand es »drollig, unterhaltsam und sehr schön«. Alle bei mir zu Hause lasen es, und alle fanden es schön und unterhaltsam. Sie sprachen und lachten viel darüber. Sie meinten, ich würde es bestimmt langweilig finden. Ich könne es lesen, wenn ich wolle, aber es werde mir nicht gefallen. Es sei ein Roman über die Liebe, sagten sie, und es gehe nicht um Kinder. Ich mochte keine Liebesgeschichten und wollte, dass in den Büchern, die man mir zu lesen gab, mindestens ein Kind vorkam. Meine Geschwister waren älter als ich, und ich hielt immer nach anderen Kindern Ausschau, in Büchern und überall sonst auch. Da ich aber nicht wusste, was ich lesen sollte, las ich dieses Buch. Die ersten Seiten langweilten mich furchtbar, sie enthielten nämlich, was ich am meisten an Büchern hasste, eine »Beschreibung«. Diese schien mir besonders lang. Es war eine minutiöse Auflistung von Hausrat und Zimmern. »Ein Haus hatten wir … Himmel, was für ein Haus!« Was mich hingegen faszinierte, war die Figur der Stiefmutter, die bei ihrem ersten Auftritt einen lila Mantel trägt und Sternanis kaut. Ich erhoffte sie mir böse. Ich steckte voller Geschichten, in denen die Stiefmütter böse waren und die wunderschönen Stieftöchter gut. Aber ich erkannte, dass man von den Figuren in dieser Geschichte nicht sagen konnte, ob sie gut oder böse waren, sondern dass sie von einem anderen, für mich neuen Gefüge getragen wurden. Außerdem fiel mir auf, dass sich mir alles, was ich hier las und als langweilig bezeichnete, fest ins Gedächtnis prägte: die Säcke voll Kartoffeln und Kastanien im Salon, die acht roten und die acht grünen Stühle, die vergilbten Handschuhe im gläsernen Kasten, die Weihwasserschalen. Das Mädchen, das erzählte, hieß Denza, ein Name, den ich sehr hässlich fand wie sie selbst ja auch. Die Mutter dieser Denza war tot, und ich rechnete mit Trauer und Tränen, aber stattdessen wurde sie in wenigen Worten abgehandelt, und es war nie wieder die Rede von ihr. Ein Kind kam zur Welt, der Sohn der Stiefmutter, aber man überschüttete den Kleinen nicht mit Zärtlichkeiten, wie ich es erwartet hatte, sondern er wurde nur beiläufig »das Gör« genannt und sonst kaum erwähnt. Mich befremdete die Art, wie Figuren und Szenen hier, ohne sie schönzufärben oder in höhere Sphären zu rücken, auf eine unverblümte, fröhliche und beiläufige Art dargestellt wurden, wie ich sie nicht gewöhnt war, da die Bücher, die ich sonst las, vor Honig trieften. Und ich gab sogar noch mehr Honig dazu, ja behielt ihn insgeheim den Büchern vor, weil ich es so schwer über mich brachte, ihn über die Meinen zu geben, die mir zerstreut und brüsk erschienen und deren Gesten und Erwiderungen für mich immer grob und unvorhersehbar waren. Bei der Lektüre dieses Buches also kam es mir vor, als wäre ich von Personen umgeben, die denen bei mir zu Hause sehr ähnelten, und ich hatte das Gefühl, in kaltes Wasser gefallen zu sein, während ich es bisher aus Büchern doch nur lauwarm und duftend kannte. Das beschriebene Zuhause fand ich weder schön noch hässlich, genau wie mein eigenes, und es erschien mir meinem sehr ähnlich, auch wenn es bei uns weder Stiefmütter noch Weihwasserschalen gab. Wenn ich sonst Romane las, hielt ich von Zeit zu Zeit inne, um mich in die Orte und Figuren, die darin vorkamen, zu versenken. Sorgfältig versetzte ich mich mitten in sie hinein, hüllte sie in kostbare Stoffe, tauchte sie in leuchtende Farben, ergötzte mich an ihrem und an meinem Honig, zelebrierte ihre und meine Pracht. Doch hier kam es mir gar nicht in den Sinn, etwas auszuschmücken oder zu zelebrieren. Die Orte und Personen waren klar umrissen, mit festen Konturen, und so hielt ich mich aus allem heraus. An ihnen war einfach kein Honig, und ich konnte mich nicht dafür begeistern, sie zu bewundern oder zu feiern. Die Farbe war die eines verschneiten, nebligen Wintertages, die gleiche Farbe, die ich draußen vor meinem Fenster hätte sehen können, wenn ich aufgeblickt hätte.

 

Zwischen meinem siebten und vierzehnten Lebensjahr las ich den Roman unzählige Male, immer und immer wieder. Der Vater und die Stiefmutter; die frömmelnde Tante, die heiter dahinschwand; Titina, die farblose Schwester; Denza, mit ihrem runden, mondweißen Gesicht, die wie ein »treudoofes Schaf« aussah und Frostbeulen an den Händen hatte; die eleganten Kusinen in ihren Wollmäntelchen; der reiche, geheimnisvolle Onorato Mazzucchetti im grauen Überrock, der behäbig und schwer wie ein Elefant vorbeizog; und schließlich der Warzenmann mit seiner höflichen monotonen Stimme. Diese Personen hatte ich all die Jahre immerzu vor Augen und beobachtete sie sehr aufmerksam. Und darauf beschränkte ich mich. Es gelang mir nicht, mich in ihr Leben einzumischen, wie ich es sonst bei Romanfiguren tat. Ich konnte mir für sie nichts anderes oder Besseres ausdenken, denn hier waren die Dinge, wie sie waren, und ich konnte keinen Deut davon abrücken. Ich konnte ihnen kein abenteuerliches, schillerndes Leben schenken, weil sie wirkten, als würden sie gar keine Geschenke annehmen, und weil sie mir in der ernsten und unveränderlichen Deutlichkeit alles Wahren vor Augen standen. Ich war mir nicht sicher, ob mir das gefiel, vielleicht tat es das nicht, aber es beseelte mich mit Neugier. Ich habe, denke ich, meinen Blick mit dem strengen Ernst und dem hingebungsvollen Staunen auf die Seiten dieses Buches gerichtet, mit dem wir als Kinder die Gesichter von Erwachsenen betrachten, die sich über uns beugen.

Ich fand das Buch nicht besonders schön. Dass es den anderen so gut gefallen hatte, schien mir eine Überspanntheit der Meinigen zu sein, die inzwischen gar nicht mehr darüber sprachen und es vergessen hatten. Ich ging davon aus, dass ihnen die schroffe, honigfreie Art, mit den Figuren, Gegenständen und Ereignissen umzugehen, gefallen hatte. Von den anderen Büchern, die ich las, erwartete ich auch weiterhin einen behutsamen und zurückhaltenden Umgang mit den Dingen, das Gefühl, sie nach Belieben manipulieren zu können und in angenehm lauwarmer Umgebung zu Gast zu sein. Es waren Bücher, die ich wunderschön fand, obwohl ich nichts oder fast nichts von ihnen behielt, nachdem ich sie zugeklappt hatte, und in Wahrheit nur den Titel und die letzten paar Worte erinnerte. Der Titel dieses Buches gefiel mir gar nicht. Und die letzten Worte gefielen mir auch nicht: »Tatsache ist, dass ich dick werde«. Ich verstand einfach nicht, ob Denza mit dem Warzenmann im Reisfeld nun glücklich war oder nicht. Dennoch kannte ich diesen Roman, den ich nicht besonders schön fand, den ich sogar heimlich las, weil man mir vorwarf, ich würde aus lauter Faulheit immerzu die gleichen Bücher lesen, bis ins letzte Detail und wusste ganze Sätze daraus auswendig. Dass ich alles so genau erinnerte, geschah für mich ganz unfreiwillig, ich rühmte mich damit weder vor den anderen noch vor mir selbst, es beschämte mich sogar ein wenig. Wenn ich ihn noch einmal las oder an ihn dachte, fühlte ich mich in winterliches Licht getaucht, das mir wirklicher und grauer vorkam als der echte Winter. Ich meinte, dieses winterliche Licht vor den anderen geheim halten zu müssen, meinte, es gehöre mir wie kaum etwas anderes auf der Welt.

Ich wollte nach Novara, in diese Stadt, die ich nicht kannte und von der ich hier zum ersten Mal gehört hatte. Sie schien mir fern und unerreichbar, wie Afrika oder Sibirien, wie uns alle Orte fern und unerreichbar scheinen, von denen in Büchern die Rede ist. Ich wusste, dass ich in Novara Straßen und Menschen gesehen hätte, die mir nichts bedeuteten: Und doch konnte ich mir nicht vorstellen, dort nicht sofort auf das Haarteil der Stiefmutter zu stoßen, auf den Paravent der Tante, die acht roten und die acht grünen Stühle, den auf dem feuchten Rindfleisch klebenden Liebesbrief, die zwei auf fünf kleine Teller verteilten Portionen Eis; ich konnte mir nicht vorstellen, auf den Straßen nicht die Sätze zu hören, die ich auswendig kannte: »Wie schön du bist, Denza!« »Am Sonntag komme ich in den Dom.« »Nun, heute Abend, scheint mir, ist er ein Vulkan.« »Ach, der Antrag von Mazzucchetti! Dein ewiges Geisterschiff!« »Er heiratet die Borani.« »Er heiratet die Borani!«

Es missfiel mir sehr, dass dieser unergründliche Elefant, nachdem er Denza jahrelang mit glühenden Blicken bedacht hatte, plötzlich eine andere heiraten sollte. »Er heiratet die Borani.« Jedes Mal, wenn ich diesen Satz las oder an ihn dachte, überkam mich eisige Enttäuschung. Doch hielt sie nicht sehr lange an. Ich hatte den Eindruck, dass hier gar kein Raum für Enttäuschungen und Schwermut war, dass die Ereignisse mit ähnlich gutmütiger und biederer Härte vorangetrieben wurden, wie sie die Stiefmutter den Dingen des Lebens entgegenbrachte. Der Elefant verschwand. Der Warzenmann tauchte auf. Man verstand nicht, ob das nun viel besser oder viel schlechter war, fest stand nur, dass Denza keine Zeit blieb, ihn in einen Traum zu verwandeln, so wie es ihr mit einiger Anstrengung bei dem Elefanten im grauen Überrock gelungen war. Was die Warze betraf, so blieb Denza nur ein kurzer Blick, um zu entscheiden, ob sie damit leben konnte. Im Grunde, schien mir, ähnelten sich der Elefant und der Warzenmann. Beide waren mysteriös, beherrscht und ernst, beide geizten mit Worten. Hinter beider Geheimnis verbarg sich, so stand zu vermuten, trostlose Banalität. Außerdem hatten beide einen »Makel«: der eine seine Fettleibigkeit, der andere die Warze. Aber vielleicht war es in Wahrheit das Leben, das einen Makel hatte: einen Makel, der es prosaisch, schlicht und lächerlich machte, nur unter Mühen in einen Traum zu verwandeln, so farblos und seicht, dass das Resultat schon fast komisch war. Wenn ich an die Jahre dachte, die Denza damit zugebracht hatte, auf den Heiratsantrag zu warten, schien es mir, als läge über diesen langen Jahren der Leere und Monotonie, als läge über der alles andere als rosigen Heirat am Ende nicht Schwermut und Enttäuschung, sondern eine sonderbare, bittere, schroffe und graue Fröhlichkeit.

Dann ging das in Packpapier eingeschlagene Exemplar verloren. Ich las andere Bücher, die ich wunderschön fand, und während ich heranwuchs, wuchs auch meine rigorose Abscheu gegenüber allem, was hinter mir lag. Noch immer schleifte ich in meiner Erinnerung Sätze mit mir herum, die mich amüsierten und die mich ärgerten. »Er heiratet die Borani.« Rückblickend fand ich Onorato wirklich viel zu dick, und ich war froh, dass Denza ihn nicht geheiratet hatte, denn im Grunde war er ein eingebildeter Halunke. Manchmal kam es vor, dass ich, immer umsonst, in Buchhandlungen und an Ständen nach Un matrimonio in provincia von der Marchesa Colombi fragte, und immer wieder stellte sich heraus, dass niemand den Titel oder den Namen kannte, die ich selbst lächerlich fand, so dass ich mich schämte, sie auszusprechen.

Sehr viel später erfuhr ich, dass man alte, unauffindbare Bücher in der Biblioteca Viesseux ausleihen konnte. Und so kam es, dass ich Ein Bräutigam fürs Leben irgendwann erneut in Händen hielt. Ich war inzwischen erwachsen geworden. Als ich es nun wieder las, stieß ich bei jedem Wort auf meine Kindheit. Außerdem fiel mir auf, dass ich, wenn ich daran gedacht hatte, eigene Romane zu schreiben, diese ziemlich oft in ein winterliches Licht getaucht und gehofft hatte, den Schauplätzen und Figuren die gleichen bitterfrohen Züge zu verleihen, wie ich sie hier vorfand. Aber ich war mir dessen nicht bewusst gewesen: Ich hatte diesen Roman zwar immer im Gedächtnis behalten, ihm aber von irgendwann an keinerlei bewusste Aufmerksamkeit mehr geschenkt.

Von all diesen lang zurückliegenden Eindrücken habe ich erzählt, weil sie untrennbar dazugehören, wenn ich über diesen Roman spreche. Ich glaube für jeden von uns gibt es im Leben ein Buch, das wir als Kinder nicht nur gelesen, sondern wie ein Zimmer erkundet und bis in den letzten Winkel durchstöbert haben. Ein solches Buch, das wir auf diese Weise erkundet haben, in dem wir geforscht haben wie in einem Gesicht, in allen Zügen, in jeder Falte, können wir nicht mehr beurteilen wie andere Bücher, weil es für uns aus dem Reich der Literatur herausgetreten ist, um im Raum unserer Erinnerungen und Gefühle zu leben.

Über Jahre hoffte ich, man würde Ein Bräutigam fürs Leben neu auflegen. Als man mich vor ein paar Tagen bat, ein Vorwort für eben diese Neuauflage zu schreiben, nahm ich an, ich müsste seine besonderen Qualitäten analysieren und erläutern. Ich kenne sie ebenso wenig wie man den Wert von Büchern kennt, die man selbst geschrieben hat. Sie sind, vergöttert und verabscheut, in den tiefsten Winkeln unseres Selbst zu finden.

Als ich also vor ein paar Tagen erfuhr, dass das Buch neu aufgelegt wird, dachte ich, wenn ich es bei heutigem Licht betrachte, wenn es von anderen gekauft, gelesen und beurteilt wird, dann kann ich endlich herausfinden, ob die Sätze »Am Sonntag komme ich den Dom« und »Er heiratet die Borani« nur in meiner Erinnerung so kostbar sind und nur für mich unauslöschlich.

Eine eintönigere, ödere und freudlosere Jugend als meine kann man sich eigentlich kaum vorstellen. Denke ich nach all den Jahren daran zurück, lastet sofort wieder die triste Stille auf mir, die bei uns herrschte, eine Grabesstille, von nichts unterbrochen, in der ganzen langen Zeit nicht, die zwischen dem Wenigen, was sich in unserer Familie zutrug, verging.

An meine Mutter habe ich keine Erinnerung, sie war im ersten Jahr nach meiner Geburt gestorben. Zur Familie gehörten mein Vater, der Notar Pietro Dellara; eine Tante meines Vaters, ein altes Jüngferlein, klein und dürr wie ein Hering, die in der Küche schlief, wo sie ihr Bett hinter einen Paravent gestellt hatte und ihr Leben dahinter im Dunklen verbrachte; meine ältere Schwester Caterina, Titina genannt; und ich, die ich von meinem Patenonkel den unseligen Namen Gaudenzia geerbt hatte, von der Familie zu einem lächerlichen Denza verkürzt.

Ein Haus hatten wir … Himmel, was für ein Haus! Das Vorzimmer war von eindrucksvoller Größe, aber so hell, dass es blendete, und es war vollkommen leer. Nicht einmal seinen Hut konnte man dort irgendwo ablegen. Hier und da ein paar Kübel mit trockenen Erdresten und Stummeln vertrockneter Pflanzen, die eingegangen waren, weil sich niemand darum gekümmert hatte, sie zu gießen; bei Bedarf dienten sie manchmal dazu, die Tür zum Salon aufzuhalten.

Der geräumige Salon war quadratisch und hell – viel zu hell, vor den Fenstern gab es weder Gardinen noch Vorhänge oder anderen Lichtschutz. Möbliert war er mit einem Sofa, das mit dem Rücken zur großen Fensterwand stand, ferner mit vier Sesseln, die, zwei links, zwei rechts vom Sofa, an der Wand postiert waren, sowie acht Stühlen an den Seitenwänden, vier auf jeder Seite. In der Mitte des Raums stand ein runder Tisch, darauf ein wollener Läufer, und auf einer großen Rose in der Mitte des Läufers lag ein Handschuhkästchen, unter dessen gläsernem Deckel ein Paar weiße, ein wenig schmuddelige Handschuhe zu sehen waren. Das Kästchen war Vaters Hochzeitsgeschenk an seine Braut gewesen, meine arme Mutter hatte die Handschuhe am Tag ihrer Vermählung getragen. Rings um das Kästchen lagen ausgebreitet: zwei mit Serviettenringen bestickte Geschirrtücher mit der Aufschrift Buon appetito; ein mit einem seidenen Stiefmütterchen besticktes Zigarrenetui aus rotem Samt; ein dunkles, mit tiefblauem Satin ausgepolstertes Ledermäppchen, das stets offen stand, um den Blick auf die silberne Schale und das silberne Tellerchen freizugeben, die mein Patenonkel Gaudenzio meiner Mutter zu meiner Geburt geschenkt hatte.

Keiner dieser Gegenstände war jemals zu dem Zweck benutzt worden, der für ihn vorgesehen war, dafür waren sie meinem Vater viel zu kostbar, und so bewahrte er sie im Salon auf, dem Prunkzimmer des Hauses.

Hinter dem Salon lag Vaters Zimmer, das ein großes Ehebett ganz ausfüllte. Am Kopfende befanden sich zwei Weihwasserschalen aus ziseliertem Silber, die im Laufe der Zeit angelaufen und noch schöner geworden waren, zwei weitere Weihwasserschalen aus Porzellan, Engelsfiguren, deren erhobene Röckchen als Schale dienten, und schließlich ein fünftes Weihwasserschälchen aus versilbertem Kupfer, von dem sich jedoch alles Silber gelöst hatte; es war die einzige Schale, die tatsächlich Weihwasser enthielt. Darüber hingen unzählige Olivenzweige und Palmwedel sowie ein Bündel Osterkerzen, an denen man die Jahre hätte abzählen können, seit Vater seinen Hausstand gegründet hatte: Da gab es die fast schon heruntergebrannten Kerzen aus den allerersten Jahren, die nur der Baumwolldocht in ihrer Mitte noch zusammenhielt und an dem alte angeschwärzte Wachsstückchen baumelten wie Würste an der Schnur, dann die Kerzen, die bereits blätterten, bröckelten, sich bogen, unbeschädigte, aber schon schmuddelige Exemplare, deren Farben in allen Abstufungen von Braun bis Gelb verliefen, und schließlich die Kerze vom Vorjahr, unversehrt und fast noch weiß, verziert mit rosa und grünen Blümchen, dass es eine Augenfreude war.

Rechts vom Bett stand ein Schrein, in dem Vater argwöhnisch das Geld und die »Familienreliquien«, wie er sie nannte, hütete: fast schon verblasste Daguerreotypien, Hochzeitsporträts von ihm und meiner Mutter, das Häubchen, in dem wir getauft worden waren, ein Stapel vergilbter Blätter mit den Jugendgedichten meines Vaters und schließlich der Schmuck meiner Mutter.

Auf der anderen Seite des großen Bettes standen acht hohe Lehnstühle, nicht antik, nicht schön, schlicht alt, aufgereiht wie Soldaten. Wenn einer von ihnen sich auch nur einen Fingerbreit von der Wand entfernte oder sich um eine Spur seinem Nachbarn näherte, rückte Vater ihn unverzüglich wieder an seinen Platz und gab sich erst dann zufrieden, wenn er die Stühle hockenderweise wie bei einer Schießübung ins Visier genommen hatte und ganz sicher war, dass alle acht in tadelloser Reihe standen.

Hinter Vaters Zimmer lag die große Küche, in der die Tante sich mit dem Paravent ihren Schlafraum abgeteilt hatte und wo trotzdem noch bequem ein Arbeitstisch und ein größerer Esstisch aus Nussbaum Platz fanden.