Ein dritter Ort des Lernens: Lernbereich Training & Transfer - Gudrun Mörzinger - E-Book

Ein dritter Ort des Lernens: Lernbereich Training & Transfer E-Book

Gudrun Mörzinger

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Beschreibung

Der dritte Lernort ist wesentlicher Bestandteil der Ausbildung für Pflegeassistenzberufe. Die Umsetzung erfordert jedoch Veränderungsprozesse sowie zeitliche, finanzielle, materielle und personelle Ressourcen. Dieser Leitfaden zeigt Methoden und Ziele auf, erläutert Rahmenbedingungen zur Konzeption und beschreibt die mögliche Implementierung vom Skills Training bis zur Simulation. Inkl. praktischer Prüfungsmethoden. Zielgruppe: Lehrgangsleitung und Lehrende der Gesundheits- und Krankenpflege, PflegepädagogInnen und -managerInnen, Praxisanleitung.

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Gudrun MörzingerEin dritter Ort des Lernens: Lernbereich Training & TransferEin Leitfaden zur Konzeption und Implementierung des LTT in der Pflegeausbildung

Gudrun Mörzinger, M.A., BScN

Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin. Studium der Pflegewissenschaft sowie des Gesundheitsmanagements, Sonderausbildungen für Lehr- und Führungsaufgaben. Lehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege, Skills-Lab-Trainerin für den dritten Lernort, CRM-Simulations-Instruktorin, Tutorin für Problem-based Learning, Kontinenz- und Stomaberaterin i. A.

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.

2. Auflage 2021

Copyright © 2018 Facultas Verlags- und Buchhandels AG

Umschlaggestaltung: facultas nach einem Motiv von GiDesign (fotolia.com)

Fotos S. 64, 66, 71: Stefan Zauner, Ordensklinikum Linz Elisabethinen

Satz: Wandl Multimedia-Agentur

Druck: Facultas Verlags- und Buchhandels AG

Printed in Austria

ISBN 978-3-7089-2083-2

eISBN 978-3-99111-228-0

Vorwort

Lernen ist ein Prozess, der auf Erfahrungen aufbaut. Nicht, was uns gesagt, sondern was als relevant und integrierbar angesehen wird, führt zu Lernprozessen (vgl. Siebert, 2009, 30). Lernen erfolgt auf der Basis biografisch geprägter Muster. Lernanstöße können zwar stimuliert, für Einzelne jedoch nie reguliert werden. Erwachsene lernen selbstgesteuert. Was das Individuum nicht als wichtig wahrnimmt, wird vergessen oder verbleibt als träges Wissen. Wir benötigen Anknüpfungspunkte und Zusammenhänge, um neues Wissen zu generieren (vgl. Siebert, 2009, 33 f.). Lehrende sind gefordert, „mit dem Lehren aufzuhören“ (Brecht, 1965, zit. nach Arnold, 2012, 79) und „situatives Lehrhandeln“ umzusetzen (vgl. Arnold, 2012, 79).

Duale Bildungssysteme wie die der Pflegeausbildung haben den Charakter, dass der Fokus der schulischen Lerninhalte zumeist auf der Fachsystematik liegt, während sich die praktische Bildungsstätte auf die Bewältigung betrieblicher Herausforderungen verlegt, ohne dass ein Verständnis für die Handlung erzielt wird (vgl. Landwehr, 2002, 38). Es fehlt häufig an der Vernetzung dieser beiden Lernorte, wodurch die Transferleistung, nämlich die Übertragung von der Lern- auf die Anwendungssituation, weitgehend gering bleibt. Ein zusätzlicher Lernort soll diesem Wissenstransfer gerecht werden (vgl. Landwehr, 2002, 46).

Patient*innen sind keine Versuchsobjekte. Mit Lernkonzepten wie dem Lernbereich Training und Transfer (LTT), die als Antwort auf die Forderung nach berufsorientiertem Lernen in dem von Goetze et al. (2002) beschriebenen dritten Lernort anzusehen sind, soll Raum für eine offene Fehlerkultur in geschützten Lernbereichen und beim Erlernen komplexer Handlungen gegeben werden (vgl. Meyer-Hänel/Umbescheidt, 2006, 284). Mit der gesetzlich festgehaltenen Forderung einer möglichst effizienten Leistungserbringung unter Einhaltung optimaler medizinischer und pflegerischer Qualität (vgl. Gesundheits-Zielsteuerungsgesetz, 2017) ist eine prozessorientierte Arbeitsweise, die eine Kongruenz von Theorie und Praxis aufweist, unabdingbar (vgl. Hegeholz, 2008, 67).

Patientensicherheit stellt ein entscheidendes politisches Thema dar (Slawomirski et al., 2017, 5). Nach einer aktuellen OECD-Studie stehen Patientenschäden in der Liste der häufigsten Ursachen globaler Erkrankungen und Todesfälle an 14. Stelle (vgl. Jha et al., 2013, zit. nach Slawomirski et al., 2017, 11). Die wirtschaftlichen Schäden der OECD-Länder liegen in Billionenhöhe (Dollar) (vgl. Slawomirski et al., 2017, 10). Der finanzielle Aufwand für Präventionsmaßnahmen ist im Gegensatz zu fehlerverursachten Aufwendungen vergleichsweise gering (vgl. Slawomirski et al., 2017, 9).

Mit den gesetzlichen Vorgaben wie der Umsetzung eines LTT in der Ausbildung zu Pflegeassistenzberufen in Österreich sind Rahmenbedingungen und methodische Inhalte zu entwickeln und umzusetzen, was die Unternehmen oft vor große Herausforderungen stellt. Neben den Rahmenbedingungen wie zeitlichen, finanziellen, materiellen oder personellen Anforderungen sind es vor allem die beteiligten Stakeholder, die an einem gemeinsamen Strang ziehen müssen. Pädagog*innen sind zumeist keine Manager*innen bzw. Personalentwickler*innen und umgekehrt. Dies erfordert gravierende Perspektivenwechsel und vor allem gegenseitiges Verständnis.

Die Kennzahlen sprechen für sich. Mehr denn je bedarf es daher einer Strategie zur Konzeption und Implementierung dieses innovativen und relevanten Lehr- und Lernkonzeptes.

Linz, im Januar 2021 Gudrun Moerzinger

Inhaltsverzeichnis

1.  Einleitung

2.  Zur Geschichte und Definition des dritten Lernortes

2.1 Der dritte Lernort – mehr als nur ein Skills Lab?

2.2 Lernbereich Training & Transfer – ein weiterer Begriff rund um den dritten Lernort?

3.  Performanz als messbares Ergebnis einer konkreten Handlung

4.  Benötigt die duale Pflegeausbildung einen dritten Lernort?

5.  Gesetzliche Regelung in Österreich

6.  Von der Idee zur Umsetzung

7.  Rahmenbedingungen für die Konzeption

7.1 Finanzielle und personelle Anforderungen

7.2 Materielle Anforderungen für die Implementierung

7.3 Räumliche Anforderungen für die Implementierung

8.  Methodische Bestandteile des dritten Lernortes

8.1 Skills-Trainings

8.2 Fertigkeiten nach dem Cognitive-Apprenticeship (CAS)-Modell

8.3 Problem Based Learning (PBL)

8.4 Die praktische Prüfung – „Objective Structured Clinical Examination“

8.5 Die Simulation

8.5.1 CRM

8.5.2 „Double Loop Learning“ im Debriefing

9.  Schauspiel- bzw. Simulationspatient*innen

9.1 Rollenskripte zur Erstellung von Simulationsszenarien

9.2 Das Rollentraining

9.3 Das Feedback

10. Conclusio

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

1.Einleitung

„Lernen ist Erfahrung. Alles andere ist einfach nur Information.“

A. Einstein

Mit dem Informationszeitalter haben sich auch die Form der Wissensaneignung und vor allem die Geschwindigkeit der Aktualisierung und des Zerfalls von Wissensinhalten verändert. Es gilt, permanent auf dem aktuellsten Stand zu sein und Evidenzbasiertes zu implementieren, Neues zu lernen, gewohnte Handlungsmuster zu verändern oder überhaupt nicht mehr umzusetzen. Es braucht die Bereitschaft, dem Paradigmenwechsel vom gewohnten „Wissenslernen“ zum „selbstorganisierten Lernen“ gerecht zu werden (Sittner, 2006, zit. nach Ihle, 2011, 12).

Allerdings agieren Theorie und Praxis stark regelgeleitet und handeln auf der Basis voneinander abweichender Werturteile. Probleme der Praxis können nicht direkt in ein Problem der Wissenschaft transferiert werden – die Herausforderung lautet „anwendungsorientierte Wissenschaft“. Es bedarf einer Festlegung konkreter Erwartungen an die Wissenschaft, was eine tatsächliche Problembeschreibung und Lösungsprozesse der Praxis erfordert (vgl. Becker, 2013, 25).

Arnold hat bereits 1993 darauf verwiesen, dass Wissen nicht fremderzeugt, sondern nur selbstständig erschlossen und angeeignet werden kann (Arnold, 1993, zit. nach Siebert, 2009, 32). Lernen ist ein spontaner Prozess, der auf biografischen Mustern und Erfahrungen basiert. Diese können zwar stimuliert, aber nicht reguliert werden. Somit erfolgt Lernen immer als selbstgesteuerter Prozess (vgl. Siebert, 2009, 33).

Effektivität im selbstgesteuerten Lernen wird maßgeblich durch die Lernumgebung beeinflusst. Authentizität und Realitätsnähe, multipler Perspektiveneinsatz, Verknüpfung von Wissen und Handeln, Förderung der Kooperation zwischen den Lernenden oder der Einsatz von Medien, die die Bearbeitung komplexer Situationen unterstützen (Friedrich/Mandl, 1997, zit. nach Siebert, 2009, 118) – das sind nur einige der Anforderungen an eine Umgebung, die Lernen anregt. Lernvorgänge erfolgen „ganzheitlich“ (vgl. Siebert, 2009, 30) und knüpfen an vorhandene Erinnerungen an (vgl. Siebert, 2009, 34). Erst subjektives Relevanzempfinden verhindert, dass Wissen vergessen wird (ebd.).

Gerade die praktische Ausbildung ist mit besonderen didaktischen Rahmenbedingungen konfrontiert und hat in der Gesundheitsversorgung keinen hohen Stellenwert. Die Patientenversorgung zählt auch bei Pädagog*innen der Praxis zu deren Kernaufgaben. Der Auftrag zur Bildung in der Praxis ist zweitrangig und somit auch der schulischen Wissensaneignung untergeordnet (vgl. Ihle, 2011, 13).

Für eine systematische Einführung in berufliche Fähigkeiten und Fertigkeiten mangelt es oft an zeitlichen Ressourcen; andererseits kann dem Lernbedarf praxisorientierter Tätigkeiten in der schulischen Bildung kein adäquater Rahmen geboten werden. Erst eine enge Vernetzung von theoretischem und praktischem Lernen ermöglicht die Generierung von nachhaltigem Wissen und Handlungsfähigkeit (vgl. Landwehr, 2002, 41–43).

Mit dem gesundheitlichen Versorgungsauftrag ist es vor allem die Sicherheitskultur, der es Folge zu leisten gilt. Rall (2011) vergleicht dies treffend mit der Begrüßung eines Piloten seiner 300 Passagier*innen: „Willkommen an Bord! 30–50 von Ihnen werden während des Fluges verletzt oder geschädigt. 10–15 davon schwer. Bei jedem 2. Flug stirbt auch einer von Ihnen. 60–70 % dieser Schäden könnten wir vermeiden, ist aber zu teuer … Guten Flug und viel Glück!“ (Rall, 2011, 3)

„Fehler sind normal.“ Sie passieren häufig und verbreitet, wobei die Anzahl der Fehler an Patient*innen nach wie vor nicht rückläufig ist. So werden 18 % der Patienten tatsächlich durch Behandlungsfehler geschädigt, wobei 60 % der Schäden als vermeidbar angesehen werden. 1,5–2,4 % der schädlichen Ereignisse führen zu einem ursächlichen oder beitragenden Ausgang. Andererseits können durch Simulationstrainings Fehler an Patient*innen um ein Zehnfaches reduziert werden (vgl. Rall, 2011, 4). Ohne Teamtrainings kann einem Fehlermanagement nicht Rechnung getragen werden – „Dream Teams are made, not born“. Die Ursache von Fehlern findet sich zu 70 % beim human factor. Es liegt nicht am mangelnden Fachwissen, sondern an der Schwierigkeit, das Wissen unter realen Bedingungen umzusetzen. Tatsächlich fehlt es an Bewältigungsstrategien für komplexe Herausforderungen, an funktionierendem Teamwork und an Kommunikation (vgl. Rall, 2011, 4).

Ein zusätzlicher Lernort soll diesen Herausforderungen gerecht werden. Aber was ist ein dritter Lernort, ein dritter Lernbereich, ein Lernbereich Training & Transfer (LTT), ein Skills Lab oder ein Simulationszentrum? Die Begrifflichkeiten sind genauso vielfältig wie ihre Inhalte. Eines sollte vorneweg klar sein – es gibt nicht „die eine Lösung“, sondern mehrere. Um die richtige Lösung für sich, das eigene Unternehmen bzw. die eigene Ausbildungseinrichtung zu finden, muss klar sein, was mit diesem Zusatzangebot erreicht werden soll. Es bedarf daher einer klaren Zielformulierung.

Wenn Sie sich folgende Fragen stellen:

• Was ist ein dritter Lernort, ein Skills Lab, LTT oder ein Simulationszentrum?

• Warum beschäftigen wir uns gerade heute mit der Einführung neuer Lehrund Lernkonzepte in der Erwachsenenbildung?

• Wie kann den gesetzlichen Vorgaben mit der GuKG-Novelle 2016, gerade in Bezug auf den LTT, entsprochen werden?

• Welche Rahmenbedingungen sind zur Konzeption und Umsetzung zu berücksichtigen?

• Was sind die methodischen Bestandteile dieser Konzepte und was bringen sie?

… dann: Nehmen Sie sich Zeit für diesen praxisorientierten und erfahrungsbasierten Leitfaden.

2.Zur Geschichte und Definition des dritten Lernortes

„Wir behalten von unsern Studien am Ende doch nur das, was wir praktisch anwenden.“

J. W. v. Goethe

Die Grundlage für eine qualitativ hochwertige Leistungserbringung in der Pflege bildet die Implementierung einer prozessorientierten Arbeitsweise – aufeinander abgestimmt, in einem interprofessionellen und interdisziplinären Kontext, wobei die Patient*innen im Mittelpunkt stehen. Dies bedarf der Fähigkeit, Informationen und komplexe Vorgänge adäquat zu erfassen und sich dem Gegenüber klar und deutlich mitzuteilen, Fachtermini zu verstehen und sinngemäß einzusetzen (vgl. Hegeholz, 2008, 67–72).

Einerseits braucht es die Förderung der Motivation durch die Nutzung vorhandener Begabungen und Stärken – aber wie mit Schwächen umgehen? Diese zu thematisieren und aufzuarbeiten, führt oftmals zu Konflikten, denn diese praktisch erkennbaren Defizite entstehen zumeist durch nicht vermittelten, vergessenen und veralteten Lernstoff oder eben durch die mangelnde Ausrichtung des Lernstoffs am praktischen Bedarf. Andererseits wird der Anforderung des „lebenslangen Lernens“ zumeist nicht entsprochen: Auszubildende, die als Arbeitskräfte eingesetzt und nicht in ihrer Funktion als Lernende wahrgenommen werden, Praxisanleiter*innen und anleitendes diplomiertes Pflegepersonal, welche kaum über zeitliche Ressourcen und die Motivation zur praktischen Anleitung verfügen (vgl. Hegeholz, 2008, 67–72) – die Liste der Optimierungspotenziale in der Vernetzung von Theorie und Praxis ist lang.

Die Herausforderungen zweier Lernorte ist es, dem funktionierenden Zusammenspiel aller Beteiligten zu entsprechen, wobei der Lernort Praxis den Lernenden zumeist attraktiver erscheint. Schule charakterisiert sich vorwiegend durch starke Regelgeleitetheit und ist nicht in einen sozialen Kontext integriert (vgl. Gonon, 2002, 27 f.).

Da anhand konkreter Situationen gelernt wird, braucht es eine Zielformulierung auf der Basis praxisbezogener Tätigkeiten. Diesem Umstand gilt es in der Lehrtätigkeit gerecht zu werden (Kaiser, 2005, zit. nach Schmid, 2007, 3).

Hier kommt der Begriff des „dritten Lernortes“ ins Spiel.

Tatsächlich ist zumeist von einer mangelnden Vernetzung und eingeschränktem Transfer zwischen den beiden Lernorten Schule und Ausbildungsstätte auszugehen. Dies liegt an der mangelnden Koordination und gegenseitigen Adaption der Lernbereiche. Insbesondere der fehlende Praxisbezug wird von den Auszubildenden oftmals als problematisch empfunden. Andererseits sind es die nicht vorhandene Reflexion und Vertiefung praktischer Tätigkeiten, die einer adäquaten Bewältigung situationsbedingter Variationen entgegenstehen. Offensichtlich wird dies erst mit der zunehmenden Komplexität der erforderlichen Situation, welche eine Vernetzung von theoretischem Wissen und dem Verständnis von Zusammenhängen erfordert (vgl. Landwehr, 2002, 40 f.).

Zusätzlich gilt es insbesondere in der Pflegeausbildung, den zunehmend wissenschaftlichen Anforderungen und gleichzeitiger Handlungsorientierung gerecht zu werden. Gelingt dies nicht, wirkt sich die mangelnde Koordination der beiden Lernorte auf die Anzahl der Studienabbrecher aus (Pätzold/Walden, 1995, zit. nach Ludwig/Umbescheidt, 2014, 33).

Als Aufgabenbereich und Eigenschaft des dritten Lernortes hebt Gonon (2002) die Einführung in Tätigkeiten hoher Komplexität, hohe Fehlertoleranz sowie Reflexionsmöglichkeit hervor. Er betont die Funktion des dritten Lernortes als Bereich der Vertiefung und Zuordnung betrieblicher Erfahrungen sowie als Bereich des Transfers theoretischer Erkenntnisse in eine explizite Handlung. Somit kann man einer strukturierten Qualifikation in der Praxis gerecht werden. Der „geschützte Rahmen“, in dem praktische Fertigkeiten und Erfahrungen trainiert und reflektiert werden, betont das Potenzial dieses Lernbereiches (vgl. Gonon, 2002, 34 f.).

Gonon (2002) definiert den dritten Lernort folgendermaßen:

„Der dritte Lernort ist ein Reformprojekt, das zwischen informellem Lernen, vornehmlich im Betrieb, und formalem Lernen in der Schule vermitteln soll. Er bestimmt sich negativ aus den Defiziten von Schule und Produktion. Positiv verwendet versucht er, die Vorteile des Lernens am Arbeitsplatz mit den Vorteilen des systematischen Lernens im Unterricht zu kombinieren. Dies beinhaltet eine organisatorische, curriculare und didaktisch-methodische Komponente. Organisatorisch lehnt sich der dritte Lernort an eine Schule oder an einen geschützten Raum ausserhalb der alltäglichen Produktion, z. B. an eine (Lehr-)Werkstätte an. Curricular werden auf Arbeitstätigkeiten bezogene Kenntnisse und Fertigkeiten planmäßig aufbereitet und als Unterweisungsschritte oder Einübungsschritte vorgegeben. Didaktisch-methodisch steht ein anwendungsbezogenes, arbeitsnahes Lernen im Vordergrund, welches Probierhandlungen und Experimenten genügend Raum zur Verfügung stellt“ (Gonon, 2002, 34).

Landwehr (2002) nähert sich in seiner Definition dem dritten Lernort folgendermaßen an:

„Der dritte Lernort ist ein Ort der Integration von theoretischem und praktischem Lernen. Im Vordergrund steht die systematisch gestaltete Interaktion von Theorie und Praxis, von praktischem Handeln und systematischer Reflexion. Wichtigstes Ziel ist es, die Lernimpulse der beiden anderen Lernorte zu einer nachhaltig wirksamen Interaktion zu führen“ (Landwehr, 2002, 43).

Neben der institutionellen Abgrenzung gilt es, eine enge Vernetzung der ersten beiden Lernorte anzustreben. Lernprozesse richten sich an der Praxis aus, insofern gewinnt die betriebliche Ausrichtung an Gewicht. Dem entspricht die individuelle Begleitung der Lernenden in der Gestaltung des Lernprozesses, der sich an Stärken, Schwächen, Bedarf und Interesse der Einzelnen ausrichtet (vgl. Landwehr, 2002, 44, 65).

Landwehr (2002) kommt zu dem Schluss, dass „Lernort“ weniger die Räumlichkeit als vielmehr die institutionelle Zuordnung dieses Ausbildungskonzepts verkörpert. Er betont damit die Eigenständigkeit und Abgrenzung von den anderen beiden Lernorten, wodurch zielorientiertes Lernen in Gruppen, begleitet durch Lernprozessbegleiter*innen oder auch Coaches, ermöglicht wird. Die räumliche Zuordnung lässt er in seiner Definition bewusst offen, betont aber die Ansiedelung an einer Schule oder eben an einem Betrieb (vgl. Landwehr, 2002, 43).

In der Auseinandersetzung mit den Besonderheiten des dritten Lernortes in der Pflegeausbildung beschreiben Auböck (o. J.b) und Ludwig/Umbescheidt (2014) folgende Anforderungen, die im Rahmen einer qualitativen und ganzheitlichen Ausbildung zu erfüllen sind: Diese sind der von Landwehr (2002) beschriebene Wissenstransfer, eine Vernetzung lern- und anwendungsbezogener Situationen, eine adäquate Reflexion der durchgeführten Interventionen, die Verfügbarkeit wissenschaftlicher Literatur für Antworten auf praktische Herausforderungen, eine fundierte Begleitung in der praktischen Ausbildung und eine damit einhergehende fachliche Expertise, umfassende didaktische Fähigkeiten von Praxisanleiter*innen und Kompetenzentwicklung für die Praxis durch systematisches Üben. Dies erfordert, grundsätzliche Prinzipien auf spezifische Fälle zu transferieren, um den Anforderungen der Praxis entsprechen zu können (vgl. Auböck, o. J.a, 6; o. J.b, 4; Ludwig/Umbescheidt, 2014, 34).

Transfer bedeutet nach Kaiser (2005), kontextual gebundene Lösungen in einen anderen Zusammenhang überzuführen. Konkret bedeutet dies, dass Wissen immer von einem Ursprung in ein Ziel der Anwendung übergeführt wird. Lerncoaches können diesen Prozess nur begleiten.

Der Transfer kann auf zwei Arten erfolgen: einerseits durch das Training bestimmter Handlungsabläufe, die anschließend in den praktischen Arbeitsprozess übergeführt werden, und andererseits durch die gezielte Begleitung der Lernenden, die eine bestimmte Handlung zunehmend selbstständig durchführen sollen (vgl. Kaiser, 2005, 183). Transferförderung umfasst die Einübung bestimmter Transfertechniken, um diese in einer späteren Situation bedarfsorientiert umzusetzen, und die Begleitung einzelner Transferschritte unter vollständiger bzw. teilweiser Anleitung. Die Ursache von Transferproblemen liegt demnach in der mangelnden Fähigkeit, situationsgebundenes Wissen zu übertragen oder es in der Anwendungssituation abzurufen. Dem liegt eine übermäßige Differenz von Ursprung und Ziel des angeeigneten Wissens zugrunde (vgl. Kaiser, 2005, 184). Die Ursache liegt im mangelnden Verständnis der Lernenden dafür, zu welchem Zweck bzw. wann dieses Wissen eingesetzt werden soll. Ergo verlangt dies eine konkrete Implementierung von Wissensinhalten in einem adäquaten Umfeld. Nach Kaiser (2005) deklariert sich Transfer durch „Aufbau von neuem Wissen unter bereits vorhandenem Wissen“ (Kaiser, 2005, 185).

Da rund um die Begrifflichkeit „dritter Lernort“ auch andere Interpretationen und didaktische Herangehensweisen existieren, wird nun im folgenden Kapitel auf das Skills Lab und den Lernbereich Training & Transfer (LTT) näher eingegangen.

2.1  Der dritte Lernort – mehr als nur ein Skills Lab?

Skills Labs gibt es bereits seit den 1970er-Jahren. Sie stellen eigene Trainingseinheiten zur Vermittlung von bestimmten, zumeist ärztlichen Tätigkeiten dar (Fichtner, in St. Pierre/Breuer, 2013, 106). Der Begriff leitet sich aus dem Englischen skills – Fähigkeit, Geschicklichkeit – und lab – Laboratorium, Untersuchungsraum – ab (vgl. Cambridge Dictionary, 2014). Skills Labs sind Räumlichkeiten, in denen berufsspezifische Aufgaben demonstriert und beobachtet werden (vgl. VIFSG, 2015). Nach Weber (2000) ist das Skills Lab Bestandteil einer transferorientierten, praxisnahen Ausbildung (Weber, 2000, zit. nach Freese, 2017, 4).

Als Kernaufgabe des Skills Lab gilt die Vermittlung praktischer Fertigkeiten in Kleingruppen. Der Vorteil des Lernens unter Laborbedingungen ist der hohe Standardisierungsgrad, der damit erreicht werden kann, ohne dass andere Störfaktoren darauf einwirken. Somit liegt der Fokus auf dem Erlernen und Üben standardisierter Handlungsabläufe. Zusätzlich finden kommunikative Aspekte der Interaktion mit Patient*innen und eine realitätsnahe Durchführung der Dokumentation statt. Neben Fertigkeiten werden in einem Skills Lab durch den Einsatz von Schauspielpatient*innen (SP) nichtmanuelle Fertigkeiten erlernt (vgl. Fichtner, 2013, 106).