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Kleine und große Helden erleben Abenteuer nah und fern. Wieso geht der Plan nicht auf? Kann eine Büroklammersammlung ein Leben verändern? Gibt es Sommer im November und was hat es mit den verschiedenen Spaziergängen auf sich? Bei wem piept es und gehören Seebären an Land? Und kann man einen Freund fast vergessen? In 12 Erzählungen erhält der Leser Antwort auf diese Fragen. Manches ist wahr, Einiges der Fantasie der Autorin entsprungen. Die Geschichten sind zum Schmunzeln und zum Nachdenken. Ein Buch für alle, die Kurzgeschichten mögen.
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Seitenzahl: 51
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Für meinen Mann und unsere drei wundervollen Kinder, die inzwischen schon erwachsen sind.
Gerhild Littek, *1967 in Köln, ist Erzieherin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Bergisch Gladbach. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich gerne mit Literatur.
Bisher von ihr veröffentlichte Kinderbücher:
Charlies Abenteuer
Charlie und Flocke
Wo ist Ole?
Der Schnappschuss
Der Seebär
Der Plan
Sommer im November
Spaziergang in die Kindheit
Kleine Helden
Engiabi
Marianne
Die Einsamkeit des Läufers
Signale
Die Büroklammersammlung
Ein fast vergessener Freund
Dies ist eine wahre Geschichte. So wahr, dass ich sie heute manchmal selbst nicht mehr glauben kann. Es war Mitte der neunziger Jahre. Damals waren wir noch jung und steckten voller Abenteuerlust. Wir machten Urlaub in Kanada. Die Lagerfeuer auf den Campingplätzen ließen uns den wilden Westen erleben. Mein Mann liebte, es Holz zu hacken. Die Steaks, die er grillte, hätten für eine fünfköpfige Familie gereicht, denn frische Luft macht ja bekanntlich hungrig.
Die atemberaubende Landschaft der Rocky Mountains hatte uns verzaubert. Bei unseren Wanderungen hatten wir viele Schneeziegen, Wapiti-Hirsche, Murmeltiere, springende Lachse und sogar einen Elch entdeckt. Nur einem Bären waren wir nicht begegnet.
Am Ende unserer Ferien besuchten wir die Verwandten meines Mannes, die in einem kleinen Ort zwischen Vancouver und Whistler lebten. John war ein großer, kräftiger Mann von Mitte sechzig. Die wachen, blauen Augen lachten jedem entgegen. Bei seinem Anblick musste ich immer an einen Bären denken. Da war sein tiefer, melodischer Bass, dazu strahlte er eine solche Ruhe aus.
„Ich glaube, Bären gibt es hier gar nicht!“, hatte ich noch beim Frühstück gewitzelt. Johns Angebot, später am Tag zur Müllhalde zu fahren und die dort lebenden „rubbish bears“, also die Müllbären, anzusehen, lehnte ich dankend ab.
Ich wollte lieber einen Bären in freier Wildbahn entdecken, am besten aus dem Auto ein nettes Erinnerungsfoto machen und fertig.
„Warte mal!“, unterbrach mein Mann unser Gespräch. Wir wanderten grade durch einen kleinen Provinzial Park am Brohm Lake und unterhielten uns über die vielen Urlaubseindrücke. Es war nicht mehr so heiß wie in den letzten Tagen. Nachts hatte Regen die Luft abgekühlt. Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Eine unheimliche Stimmung lag in der trüben Luft. Seit Stunden waren wir keiner Menschenseele begegnet.
Mein Mann stoppte meinen Redefluss und zupfte mich am Ärmel.
„Guck mal, da!“
Ich guckte und erstarrte.
Genaugenommen schlug mein Herz bis zum Hals.
Da war er, der Bär, den ich unbedingt hatte sehen wollen. Nur ein paar Meter vor uns auf dem Weg.
„Deutsches Ehepaar von Bären zerfleischt!“
„Ob diese Schlagzeile morgen in der ‚Vancouver Sun‘ steht?“, ging es mir durch den Kopf.
Drei Bärenjunge tapsten hinterher. Die Bärenmutter sah riesig aus, wie sie fast vor uns stand. Man nennt diese Braunbären-Art aufgrund ihrer Farbe „cinnamon bear“, also „Zimtbär“, erfuhren wir später.
Das war mir in diesem Moment völlig egal. Mir war heiß und kalt und außerdem richtig schlecht. Kennen Sie diesen Cartoon?
Zwei Wanderer unterhalten sich. „Es gibt hier Bären. Aber keine Sorge, Tiere greifen niemals grundlos Menschen an.“ In der Nähe sitzt ein Bär hinter einem Felsen und liest die Zeitung mit dem Inhalt: „Bären wehrt euch! Der Mensch zerstört euren Lebensraum und vergiftet eure Lachsgewässer!“
Mir war nicht zum Lachen zu Mute. Vielmehr spürte ich Panik in mir aufsteigen.
Im Geiste ging ich die Ratschläge in unserem Reiseführer durch:
„Nicht weglaufen, der Bär ist sowieso schneller!“-Na, klasse!
„Nicht auf einen Baum klettern, er kann es besser!“
- Na, prima!
„Am besten, flach auf den Boden legen und sich totstellen, wenn der Bär angreift!“
– Was??? Auf gar keinen Fall!
Immer noch starrte ich auf die Bärenfamilie. Was passierte als Nächstes? Wann kam der Angriff? Ich hatte Angst, wollte einfach nur weg. Und was machte mein Mann? In aller Seelenruhe zückte er die Kamera, trat sogar noch einen Schritt auf die Bären zu, um einen Schnappschuss zu machen. War er jetzt völlig übergeschnappt? Mir blieb fast das Herz stehen.
„Ich will nach Hause!“ jammerte ich so, dass er, aber hoffentlich nicht der Bär es mitbekam.
Können Bären eigentlich gut hören? Vermutlich schon. Bisher hatte unser Gegenüber jedenfalls von uns keinerlei Notiz genommen. Von mir aus konnte das ruhig so bleiben.
„Der Bär interessiert sich doch gar nicht für uns“, sagte mein Mann. „Guck, er spaziert den Hügel hinauf und die Jungen hinterher! Mist, ich glaube, die Bilder sind verwackelt!“
„Na und! Ist das deine einzige Sorge? Wer weiß wie viele Bären hier gleich noch auftauchen!“, regte ich mich auf.
„Komm schon, da ist kein anderer Bär. Wir gehen weiter zum Biber-Bau!“
„Ich will keinen Biber-Bau ansehen!“
„Wir singen einfach, dann traut sich kein Bär mehr in unsere Nähe. Du weißt doch, ich wollte dich immer schon bei „Wetten, dass?“ anmelden, weil du 24 Stunden am Stück Kinderlieder singen kannst, ohne dich zu wiederholen!“
Haha, sehr witzig… Aber ich musste tatsächlich schmunzeln.
Das liebte ich so an meinem Mann. Niemand konnte mich so leicht zum Lachen bringen wie mein „Bär“.
Inzwischen war die echte Bärenfamilie im Wald verschwunden. Mein Mann drückte mich an sich. Schließlich wanderten wir Hand in Hand weiter. Unsere Bärenglöckchen, die „bear bells“ am Rucksack, bimmelten lustig im Takt zu unserer Musik. Wir sangen und sangen, alles was uns so in den Sinn kam, Hauptsache laut. Besonders bei Karnevalsliedern sind wir erstaunlich textsicher. Ich achtete nun ganz genau auf den Weg und auf jedes noch so kleine Geräusch. Da, ein Schatten. Nicht schon wieder, dachte ich. Aber diesmal war es kein wilder Bär, der uns entgegenkam. Es war John, der fröhlich in unseren Gesang einstimmte. Übrigens ist keiner unserer Schnappschüsse etwas geworden. Damals gab es noch keine Digitalkameras. Wir mussten uns überraschen lassen, was bei der Filmentwicklung herauskam. Mein Mann hatte vor lauter Aufregung nur zweimal auf den Auslöser gedrückt. Die Fotos waren tatsächlich völlig unscharf und verwackelt. Nur mit viel Fantasie konnte man aus dem undeutlichen Schatten einen Bären erkennen.
Ich dachte mir eine neue Schlagzeile für die „Vancouver Sun“ aus: „Deutsches Ehepaar ging Zimtbären am A… vorbei!“
Dieser Morgen war sonnig und klar.