Ein Freund an deiner Seite - Pia Wiltgrupp - E-Book

Ein Freund an deiner Seite E-Book

Pia Wiltgrupp

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Beschreibung

Hey du! Danke. Danke, dass du dieses Buch ausgewählt hast und gerade diese Zeilen liest. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Pia und ich bin 15 Jahre alt, als ich an Krebs erkranke. Lymphknotenkrebs. Im zweiten Stadium. Diese Diagnose erschüttert mich zutiefst. Die Krankheit reißt mich aus meinem gewohnten Leben und schubst mich in eine Welt lauter Untersuchungen und Ängste. Ich durchlebe vier Monate Chemotherapie voller Furcht und Unsicherheit. Um all das zu verarbeiten, schreibe ich meine Gedanken und Erlebnisse auf - und schon bald entsteht das Buch, das du gerade in den Händen hältst. Es ist gedacht für Betroffene und ihre Familie, Freunde und Umfeld. Es soll unterstützen, Trost spenden, Fragen beantworten und Hoffnung schenken. Möge es allen Gesunden restlos und ehrlich die Seiten von Krebs aufzeigen und allen Kranken ein Begleiter und Freund während der schweren Zeit sein.

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Seitenzahl: 165

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Für Christine. Möge dieses Buch für andere ein Licht der Hoffnung sein, wie deine Worte es für mich waren.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort :)

Anmerkungen :)

Die Diagnose :(

Der Moment der Wahrheit :/

Von Herzenswünschen :)

Warum ich? :/

Gift, das mein Leben rettet :(

Hilflosigkeit, Frustration und Schmach :(

Trotzreaktion :)

Zweifel :(

Das Halbwissen der Neunmalklugen :)

Brief aus der Zukunft :)

Die Artenvielfalt der Untersuchungen :)

Emotions-Explosionen :/

Eine Ode an die Floskeln :)

Von Kunst-, Musik- & Sporttherapie :)

Konfrontation und Aussprache :(

Akzeptanz :)

Panik und Angst :(

K...R...E...B...S :/

Veränderungen :/

Schnipp, Schnapp – Haare ab! :(

Alltag :)

Trugbild am Morgen :)

Blicke auf den Straßen :)

DIY: Wie man mit Kranken spricht :)

Ein kleiner Sonnenstrahl :)

Die Schönheit von Narben :)

Stigmata und Totgeschwiegenes :/

An meine kleine Schwester :)

Wahre Freunde :)

Abrechnung mit dem Schicksal :(

Von Kälte, Übelkeit und Schmerz :(

Zombieapokalypse ahoi! :)

Nachrichten vom PET-CT :)

Das Grauen einer Kinder-Krebs-Station :(

Wie geht es dir? :)

Spieglein, Spieglein an der Wand :/

Krankenhausgeschichten :)

Prioritäten :)

Melde mich gesund! :)

Nachkontrollen-Fieber :(

Eine wohlverdiente Auszeit :)

Weisheiten und Allerlei :)

Das Leben ist schön :)

Ende gut, alles gut? :/

Nachwort :)

Danksagung :)

VORWORT : )

Hey du!

Danke. Danke, dass du dieses Buch aufgeschlagen hast. Danke, dass du mich etwas erzählen lässt. Ich könnte mir vorstellen, dass es dich einiges an Überwindung gekostet hat. Schließlich ist das Ganze hier kein Zuckerschlecken. Aber bevor wir damit beginnen, musst du etwas für mich tun. Kannst du dich vor einen Spiegel stellen? Sieh dich an. Du bist absolut wundervoll. Ich wollte dir nur einmal zeigen, welch ein Glück ich habe, dass ausgerechnet DU dieses Buch lesen willst! Kannst du bitte noch eine Sache für mich tun? (Ich weiß, es ist äußerst unverschämt von mir, aber ich brauche wirklich deine Hilfe dabei!) Lächle. Zieh die Mundwinkel nach oben und zeige mir dein schönstes Lächeln, auch wenn dir vielleicht gerade nicht danach ist. Glaub mir, es hilft wirklich.

Uff, und wie das hilft! Hättest mich ja ruhig mal vorwarnen können. Du strahlst ja förmlich! Hast du dir gemerkt, wie dein Lächeln aussieht? Ich werde dich, wenn wir am Ziel angekommen sind, noch einmal danach fragen. Bis dahin ist es deine Aufgabe, gut auf dein Lächeln aufzupassen und es unter keinen Umständen zu verlieren, okay?

Denn … machen wir uns nichts vor: Es gibt einen bestimmten Grund, weshalb du das hier gerade liest. Ich weiß natürlich nicht, ob es dich selbst erwischt hat oder einen deiner Lieben, aber wie auch immer du auf mich und meine Geschichte gestoßen bist: Es tut mir wirklich leid. Krebs (ich kann das Wort nicht leiden, wie du bald feststellen wirst) ist eine erschütternde Diagnose, die selbst den Stärksten von uns den Boden unter den Füßen wegreißt. Er klopft nicht an und fragt, ob es gerade passt – er kommt einfach angestürmt, reißt dich wie ein Hurrikan aus Alltag und gewohnter Umgebung, setzt dich in eine ganz andere, unbekannte Welt voller Untersuchungen und gruseliger Krankenhaus-Geräte, sorgt dafür, dass dich die Leute ganz anders, fast schon komisch behandeln – und dann hat er nicht einmal den Anstand, sich für das ganze Chaos entschuldigen, das er auf seinem Weg hinterlässt. Tja, du siehst: Krebs ist ziemlich unhöflich.

Aber genau deswegen ist es so wichtig, dein Lächeln zu behalten und es vor dem Krebs zu beschützen! Du darfst ihm nicht auch noch die Macht geben, dich zu kontrollieren. Er darf niemals die Genugtuung bekommen, zu denken, er sei stärker als du – er ist nämlich nicht nur unhöflich, sondern auch arrogant und würde sich unglaublich viel darauf einbilden. Lass bitte nicht zu, dass er dich kleinkriegt – steh auf, schrei ihn an oder lache ihn aus, aber lass ihn nicht gewinnen!

Bis wir am Ziel sind und den Krebs besiegt haben, wird sicherlich einige Zeit vergehen. Es wird nicht einfach werden, aber denke daran: Du hast immer dein Lächeln bei dir und das allein kann dir so viele Türen öffnen. Es begleitet dich überall hin.

Außerdem hast du ja jetzt mich! Lass mich dir von meinen Erfahrungen berichten und meine Gedanken erklären, kurz gesagt: Lass mich dir eine Geschichte erzählen. Meine Geschichte. Vielleicht kann ich dir ja etwas auf deinen Weg mitgeben. Gestatten, mein Name ist Pia und ich bin – zum Zeitpunkt meiner Diagnose – 15 Jahre alt.

ANMERKUNGEN :)

Bevor wir beginnen, gibt es noch einige kleine Hinweise von meiner Seite:

Da dieses Buch sowohl für Betroffene als auch für Laien geschrieben wurde, sind die Texte an einigen Stellen ziemlich düster – denn so sieht die Realität nun einmal aus. Deshalb werden die Kapitel immer mit einem Smiley gekennzeichnet sein.

:) steht für überwiegend positive und zuversichtliche Inhalte, die deshalb zu jedem Zeitpunkt gelesen werden können.

:/ steht für gemischte Gefühle innerhalb des Kapitels. Es ist ein Mittelmaß zwischen den anderen Smileys und behandelt sowohl fröhliche als auch traurige Gefühle.

:( steht für ein eher trauriges und negatives Leseempfinden.

Natürlich sind dies meine subjektiven Empfindungen. Alleine du entscheidest, ob du dich für ein bestimmtes Thema bereit hältst oder nicht. Es liegt keine Schande darin, ein Kapitel zu überspringen. Die Smileys dienen nur als Orientierung, falls du einen schlechten Tag hast und dann nicht unbedingt ein trauriges Kapitel lesen möchtest.

Die Kapitel sind aus diesem Grund auch unabhängig voneinander aufgebaut, sie können also durcheinander gelesen werden. Es ist allerdings sinnvoll, sich möglichst an die gegebene Reihenfolge zu halten, da die Kapitel chronologisch geordnet sind. Es ist aber nicht schlimm, ein oder zwei Kapitel auszulassen.

Wie dem geschulten Leser vielleicht ins Auge springt, wechselt die Sichtweise zwischen den Kapiteln. Ist der Text in der Ich-Form geschrieben, habe ich die Situation genauso erlebt, ist er in der dritten Person Singular (sie) geschrieben, habe ich mich von meinen Erfahrungen nur inspirieren lassen und daraus den Text geformt. Ich hoffe, das ist nicht zu verwirrend für dich.

Wie auch immer. Nun viel … Freude mit dem Buch? Oder lieber Spaß? Das klingt irgendwie alles etwas heuchlerisch. Weißt du was? Ich wünsche dir einfach viel Kraft und Gesundheit.

DIE DIAGNOSE :(

„Alles wird gut.“ Immer und immer wieder flüstere ich diese Worte in der naiven Hoffnung, sie würden mich beruhigen … und ganz, ganz vielleicht auch wahr sein.

Nervosität, Sorge, Angst, Panik, Hoffnung. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als ich den stilvollen, aber kühl eingerichteten Raum betrete. Die Gefühle schwirren mir quer durch den Kopf, drehen sich schneller und schneller, vermischen sich zu einem Ballett aus Optimismus und Pessimismus. Wie beiläufig registriert mein Gehirn – trotz des wilden Gedankentanzes – den großen Stuhlkreis aus sieben Stühlen, in dessen Mitte sich ein kleiner weißer Tisch befindet. Darauf Blumen und – wie unglaublich ermutigend – Taschentücher. Einen plötzlichen Fluchtreflex bekämpfend nehme ich zwischen meinen Eltern und gegenüber den Ärzten und den Krankenschwestern Platz. Ich will nicht hier sein. Hier sein müssen. Ich will nach Hause. Verdammt, überall ist es besser als hier! Ich will in die Schule und diesen blöden Biologie-Test über Mitose und Meiose nachschreibe n, für den ich in der letzten Woche über fünf Stunden gelernt habe! Aber nein, stattdessen sitze ich nun hier, schweige und höre, wie sich Optimismus und Pessimismus in meinem Kopf ein wortreiches Duell liefern .

Optimismus lehnt sich etwas vor und fragt ungläubig: „So viel Aufwand, nur um uns zu sagen, dass wir gesund sind?“ Pessimismus lacht sarkastisch auf, tätschelt den Arm seines Gegenspielers und höhnt: „Ja, klar, rede dir das ruhig ein.“ Ich habe Angst. Wenn ich daran denke, was genau dieser dumme geschwollene Lymphknoten an meinem Hals alles sein könnte, dreht sich mir der Magen um und ich bekomme Herzrasen. Mein Hals schnürt sich zu, ich habe das Gefühl zu ersticken. Meine Nackenhaare stellen sich auf und es läuft mir eiskalt den Rücken herunter. Optimismus legt mir besorgt einen Arm um die Schulter. „Beruhige dich. Bleib einfach locker. Das wird schon! Du hast die Ärzte doch gehört: Es gibt einen ganz breiten Fächer von Dingen, die einen Lymphknoten zum Schwellen bringen können. Das, woran du denkst, ist nur eine böse im Vergleich zu vielen harmlosen Möglichkeiten, ja?“ Optimismus lächelt mich aufmunternd an, als Pessimismus ihm auf die Schulter tippt:

„Ähm, ich will ja wirklich nicht unhöflich sein, aber erstens kann irgendetwas nicht in Ordnung sein, denn ansonsten würden wir nicht in diesem pseudo-gemütlichen Raum sitzen. Und zweitens: Guckt euch mal bitte die Blicke der vier Spezialisten da an! Seht ihr die zusammengezogenen Augenbrauen? Die traurigen Augen? Die schmalen Lippen? Die hängenden Schultern? Du rühmst dich doch sonst mit deiner emotionalen Intelligenz, Pia. Hindert dich deine Naivität gerade daran, Gefühle zu lesen?“ Leider muss ich Pessimismus zustimmen. Die Traurigkeit und das Bedauern springen mir geradezu ins Gesicht. Ich atme einmal tief durch und stelle dann Blickkontakt mit einem der Ärzte her, um zu signalisieren, dass ich bereit bin. Okay. Es geht los. Ich schicke ein letztes Stoßgebet gen Himmel. Lass es das nicht sein. Lass es das nicht sein.

„Pia, du leidest an dem Hodgkin-Lymphom.“ Oh. Ich bin krank. Aber – aber das ist doch bestimmt besser als die Alternative, die mir im Kopf umherspukt, oder? Die Erklärung, die folgt, ist wie ein Schlag ins Gesicht. „Im Volksmund bezeichnet man das Hodgkin-Lymphom auch als Lymphknotenkrebs.“

Nein. Nein, nein, nein, nein, nein. Das kann nicht sein. Das darf nicht wahr sein. Das ist gar nicht möglich. Das ist einfach lächerlich. Hier muss ein Fehler vorliegen. Ich meine, wie sollte ich …? Was? Wie? Warum? Ich … Hä???

Du erlebst live, wie es sich anhört, wenn eine Welt zusammenbricht. Optimismus springt auf und will sich auf den Arzt stürzen, der mich weiterhin traurig ansieht. „Wie kann er es wagen? Wie? Über so etwas macht man keine Witze!“ Anklagend deutet Optimismus mit dem Finger auf ihn, wird von Pessimismus am Vorstürmen gehindert. „Sie sollten sich schämen! Nehmen Sie das auf der Stelle zurück!“ Als Optimismus eine Pause vom Schreien einlegt, beugt Pessimismus sich vor und flüstert: „Sieh dir seine Augen an. Er lügt nicht.“ Die beiden ehemaligen Gegenspieler in meinem Kopf fallen sich kraftlos in die Arme und ich bemerke, dass ich den Arzt vor mir immer noch schweigend anstarre.

Krebs. Wie Gift sickert das Wort in meinen Kopf, breitet sich aus und betäubt nach und nach alles. Mein Kopf nimmt die alles zerstörende Information zwar auf und erkennt auch die möglicherweise fatalen Folgen („Hättest du den Lymphknoten nicht gefunden, wäre der Krebs tödlich verlaufen!“), aber er leitet die Bedeutung dahinter nicht an mein Herz weiter. Ich fühle nichts außer gähnende, alles verschlingende Leere.

Trotzdem fließen die Tränen in Sturzbächen meine Wangen hinab, als die Anwesenden nach und nach versuchen, mich und meine Eltern zu trösten. Meine Eltern sitzen neben mir und halten je eine meiner Hände. Ich traue mich nicht, in ihre Gesichter zu schauen. Ich will den Schmerz, die Qual nicht sehen. Gefühle, die meine Diagnose,die ICH in ihnen auslöse. „Das Hodgkin-Lymphom ist zwar sehr selten, aber gut behandelbar. In deinem Stadium, Stadium zwei, bekommst du vier Monate Chemotherapie und dann unter Umständen noch zwei Monate Bestrahlung. Über diesen Zeitraum darfst du aber leider nicht zur Schule.“ BAM. Der erste Schlag mit dem Hammer, der mich wieder zurückholt in die kalte, erbarmungslose, schmerzhafte Realität. Wie soll ich sechs Monate lang nicht zur Schule gehen? Ich bin in der zehnten Klasse, die Vorbereitungen fürs Abitur beginnen langsam! Die Ärzte erklären, es sei zu gefährlich, mich den Bakterien und Viren größerer Menschenansammlungen auszusetzen. Die Chemotherapie greife mein Immunsystem an. BAM. Zweiter Schlag. Außerdem tue sie nicht nur das – sie greife alle schnellwachsenden Zellen an, darunter auch Knochen, Muskeln und die Haare. BAM. Schlag, Schlag, Schlag. Ich will nicht mehr. Ich möchte das nicht mehr hören. Ich will aussteigen. Das ist ein ganz blödes Spiel. „Aber genau da liegt das Problem“, flüstert eine kleine gehässige Stimme in meinem Kopf. „Das hier ist kein Spiel. Das ist jetzt dein Leben.“

Dann holen die Ärzte zu ihrem finalen Schlag aus, der mich endgültig wachrüttelt und meinem Herzen einen Tritt versetzt: Die Chancen stehen 50/50, dass ich durch die Chemotherapie keine Kinder bekommen kann. Natürlich. Das hat gerade noch gefehlt. Nicht nur hat die Chemotherapie, die mein Leben retten soll, echt viele scheiß Nebenwirkungen, die ich sofort spüren werde, sie hat dazu auch noch LANGFRISTIGE scheiß Nebenwirkungen! Ich würde mal sagen: Pia, du hast den Jackpot geknackt! Ich könnte heulen. Falsch. Ich tue es bereits. Ich greife nach einem der Taschentücher und lasse mich in meinen Stuhl zurückfallen. Ich fühle mich schwach und ausgelaugt.

Die Taubheit gegenüber der Realität kehrt zurück und mit ihr ein Nebel, der meine Synapsen blockiert und mich daran hindert, der Unterhaltung noch länger zu folgen. Aber das will ich auch gar nicht. Ich kann nicht mehr. Ich bin dankbar für die Ruhe, die den schmerzhaften Gefühlssturm ablöst. Von den darauffolgenden Worten kriege ich so gut wie nichts mehr mit. Meine Eltern, obgleich sie mindestens genauso schockiert wirken wie ich, schaffen es irgendwie, Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Die Stimme meiner Mutter zittert unkontrolliert. Der Arzt versucht, sie mit den Worten zu trösten: „Das ist das schlimmste, was Eltern überhaupt passieren kann.“ Mein Vater widerspricht. Er klingt unglaublich traurig und wütend: „Nein. Es ist noch nicht das schlimmste.“ Meint er etwa …? Ich kann es gar nicht denken.

Erst, als es wieder Zeit wird, zurück auf mein Zimmer zu gehen, kehren einige Gedanken und Gefühle zurück. Ich laufe den Stationsflur entlang, begegne einigen Schwestern und Patienten. Meine Eltern sind direkt hinter mir. Eine Krankenschwester sagt zu meiner Mama: „Sie sind jetzt Mutter eines krebskranken Kindes.“ Ich bin eine Krebspatientin, realisiere ich langsam. Und dann mit ziemlicher Heftigkeit: Ich bin Krebspatientin.

In meinem Zimmer angekommen, werfe ich mich auf mein verhasstes Krankenbett und beginne lauthals zu schluchzen, denn eines ist sicher: Ich habe Krebs.

Rein gar nichts ist gut.

DER MOMENT DER WAHRHEIT :/

Inzwischen sind drei Stunden vergangen. Drei Stunden, in denen die Worte „Krebs“, „Lymphknoten“ und „Hodgkin-Lymphom“ mein Gehirn wie dickflüssiges Gift verstopft und am klaren Denken gehindert haben. Langsam schiebt sich nun das schlechte Gewissen wie ein Sonnenstrahl durch die verhangenen Regenwolken – ein ziemlich deprimierender Sonnenstrahl, aber immerhin. Ich muss es dir sagen, stelle ich nüchtern fest. Du weißt, dass wir heute Vormittag die Diagnose erhalten sollten – inzwischen wartest du bestimmt schon auf Neuigkeiten.

Gute Neuigkeiten, die ich dir leider nicht geben kann.

Wie soll ich es dir nur sagen? Wie soll ich dir schonend beibringen, dass ich, die du halb im Spaß als deine Seelenverwandte bezeichnet hast, Krebs habe? Hilflos frage ich meine Eltern um Rat, doch auch sie wissen keine Antwort. Also setze ich mich in meinem Krankenbett auf, wische den Fluss aus Tränen unwirsch fort und wähle deine Nummer. Es dauert vier Freizeichen, bis du annimmst. Lächelnd erscheint dein erwartungsvoller Blick auf dem Bildschirm, begierig darauf, beruhigende Nachrichten zu erfahren. „Hey. Wir haben die Diagnose.“ Hoffnung weicht Besorgnis, als ich diese Worte ohne einen Hauch von Freude ausspreche. „Ich … ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll.“ Als sich bei diesen Worten Panik auf deinem Gesicht ausbreitet, beginnen meine Tränen wieder zu fließen. Und dann lasse ich die Bombe fallen: „Ich habe Lymphknoten-Krebs.“

Ich muss mir an der Stelle mal selbst gratulieren. Innerhalb von drei Sätzen habe ich es geschafft, dich völlig sprachlos zu machen – das passiert nicht allzu oft. Volle zehn Sekunden vergehen, in denen die Welt still steht – oder vielleicht ist es auch nur der Bildschirm, denn das W-LAN hier im Krankenhaus ist nicht das Beste. Du starrst mich nur an, und plötzlich kann ich nachvollziehen, wie sich der zuständige Arzt vor einigen Stunden im Gespräch mit mir gefühlt haben muss. Stumm flehen deine Augen mich an, die Worte zurückzunehmen. Kurz bin ich versucht, genau das zu tun – lass uns behaupten, alles wäre Friede, Freude, Eierkuchen. Als hätte ich bloß einen blöden Scherz gemacht! Aber was würde das bringen?

Es schmerzt wie ein Dolchstoß mitten ins Herz, dir die Wahrheit sagen zu müssen. Schmerzt, dass ich nicht imstande bin, etwas dagegen zu unternehmen, es rückgängig, einfach ungeschehen zu machen, weder für mich noch für dich. Gleichzeitig bin ich überwältigt, dass ich dir so viel bedeute, dass meine Diagnose diese Gefühlsregung auf deinem sonst so gefassten Gesicht auslösen kann. Ich bin plötzlich so unglaublich froh, dich zu haben.

Ich beginne, die positiven Seiten meiner Krankheit aufzuzählen. Ich befinde mich ganz am Anfang des zweiten Stadiums, das heißt, wir haben den Krebs relativ früh entdeckt; Lymphknoten-Krebs ist zwar selten, aber sehr gut behandelbar; die Heilungschancen liegen deutschlandweit bei 85 bis 90 Prozent.

Aber tief in mir weiß ich, dass gerade etwas in uns beiden zerbrochen ist. Ich glaube, es ist diese arrogante Naivität eines jeden Teenagers, die uns gerade genommen wurde. Der feste, unerschütterliche Glaube, dass einem selbst und seinen Freunden schon nichts passieren wird, denn wie KÖNNTE es? Nun, es kann, wie wir beide gerade realisieren.

Nun beweist du mir wieder einmal den wahren Wert unserer Freundschaft. Es scheint geradezu selbstverständlich für dich zu sein, zu mir zu kommen, sobald ich wieder zu Hause bin. Sag jetzt nicht, das sei es auch – nimm das Lob einfach an, okay? Was folgt, sind einige der dunkelsten Stunden meines bisherigen Lebens, aber du bist da. Bist da und bringst Schokolade mit. Wirfst dich mitsamt dieser aufs Bett und wir reden. Ich weine. Du natürlich nicht, denn wie es sich für echte Seelenverwandte gehört, bist du der emotionale Mangel zu meinem Überschuss. Du bist stark für mich, jetzt, wo ich schwach bin. Gemeinsam schaffen wir es sogar, zu lachen.

Ich weiß bis heute nicht, womit ich dich verdient habe. Ohne dich würde ich all das hier nicht durchstehen. Ich weiß ja, dass du das hier sowieso liest, darum: Danke. Für alles, einfach.

VON HERZENSWÜNSCHEN :)

Stell dir vor, in genau diesem Moment würde eine gute Fee vor dir auftauchen und dir einen Wunsch gewähren. Sie schwebt direkt vor deinem Gesicht, du spürst den Wind ihrer zarten, flatternden Flügel und kannst den glitzernden Feenstaub, der sie umgibt, erahnen. Stell dir vor, du wärst der Held in deinem eigenen Märchen – was würdest du dir wünschen? Weltfrieden vielleicht? Deine eigene Gesundheit? Etwas ganz anderes? Ich muss gestehen, ich selbst würde sehr zwischen den beiden ersten Optionen schwanken – und ich könnte auch nicht garantieren, dass ich nicht die eigennützigere Entscheidung treffen würde. Die Gesundheit ist nun einmal eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein glückliches Leben. Leider tendieren wir Menschen dazu, sie erst wertzuschätzen, wenn sie uns genommen wird. Was würde ich dafür geben, auf der Stelle gesund zu werden! Doch leider ist das Leben kein Märchen.

Trotzdem gibt es auf der Welt gute Feen, die einigen von uns einen Herzenswunsch erfüllen wollen. Wir sind zurück in der Realität, sodass meine beiden Träume wohl oder übel ausscheiden müssen – denn auch gute Feen haben in dieser Welt nur einen begrenzten Vorrat an Feenstaub. Doch sie können so einiges scheinbar Unmögliche mit einem Schwung ihrer Zauberstäbe verwirklichen.