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Alles in London erinnert Aoife an ihrem Mann und ihre kleine Tochter, die bei einem Autounfall ums Leben kamen. Kurzerhand kehrt sie der Großstadt den Rücken und zieht mit ihrem vierjährigen Sohn Liam zurück nach Dublin, dem Ort ihrer Kindheit. Eines Tages trifft sie auf die siebzigjährige Mrs. Prendergast, eine distanzierte und distinguierte Dame, über die man sich allerhand in der Nachbarschaft erzählt. Hat sie wirklich ihren Mann ermordet und in ihrem Garten vergraben? Aoife glaubt den Gerüchten kein Wort, sondern entdeckt stattdessen einen wahren Schatz: der große, verwilderte und überaus geheimnisvolle Garten von Mrs. Prendergast. Ein vernachlässigter, aber doch wunderschöner und zauberhafter Ort. Aoife fasst einen Entschluss: Dieser wunderbare Garten muss wieder zu neuem Leben erblühen!
Zusammen mit vier sehr unterschiedlichen Helfern macht sie sich begeistert ans Werk. Und während der Garten nach und nach zu seiner früheren Schönheit zurückfindet, werden aus vier Fremden enge Freunde, die ihre Geschichten, Freude und Leid teilen und die Aoife schließlich helfen zurück ins Leben zu finden - und zur Liebe ...
Ein verwunschener Garten, eine bezaubernde Heldin und eine neue Chance zum Glücklichsein.
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Alles in London erinnert Aoife an ihrem Mann und ihre kleine Tochter, die bei einem Autounfall ums Leben kamen. Kurzerhand kehrt sie der Großstadt den Rücken und zieht mit ihrem vierjährigen Sohn Liam zurück nach Dublin, dem Ort ihrer Kindheit. Eines Tages trifft sie auf die siebzigjährige Mrs. Prendergast, eine distanzierte und distinguierte Dame, über die man sich allerhand in der Nachbarschaft erzählt. Hat sie wirklich ihren Mann ermordet und in ihrem Garten vergraben?
Aoife glaubt den Gerüchten kein Wort, sondern entdeckt stattdessen einen wahren Schatz: der große, verwilderte und überaus geheimnisvolle Garten von Mrs. Prendergast. Ein vernachlässigter, aber doch wunderschöner und zauberhafter Ort. Aoife fasst einen Entschluss: Dieser wunderbare Garten muss wieder zu neuem Leben erblühen!
Zusammen mit vier sehr unterschiedlichen Helfern macht sie sich begeistert ans Werk. Und während der Garten nach und nach zu seiner früheren Schönheit zurückfindet, werden aus vier Fremden enge Freunde, die ihre Geschichten, Freude und Leid teilen und die Aoife schließlich helfen zurück ins Leben zu finden – und zur Liebe …
Ein verwunschener Garten, eine bezaubernde Heldin und eine neue Chance zum Glücklichsein.
Über Tara Heavey
Tara Heavey, geboren und aufgewachsen in London, zog mit fünf Jahren nach Dublin und besuchte dort die Greendayle Community School, wo sie unter anderem von Roddy Doyle unterrichtet wurde. Fünf Jahre arbeitete sie als Rechtsanwältin, bevor sie sich der Schriftstellerei zuwandte. Die Autorin lebt mittlerweile in County Kilkenny auf dem Land.
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Tara Heavey
Ein Garten voller Liebe
Roman
Aus dem Englischenvon Andrea Brandl
Inhaltsübersicht
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Der Wintergarten
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Der Frühlingsgarten
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Der Sommergarten
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Ernte
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Nachwort
Danksagung
Impressum
Für meine Eltern
Und die Bäume waren so froh, die Kinder endlich wieder bei sich zu haben, dass sie sich mit Blüten schmückten und ihre Zweige schützenden Händen gleich über den Köpfen der Kinder auf und ab bewegten. Die Vögel flogen umher und zwitscherten vor Vergnügen, und die Blumen schauten lachend aus dem frischen grünen Gras heraus.
Oscar Wilde, Der selbstsüchtige Riese
Ich war schon einmal hier. Früher, in meinen Träumen. An diesem magischen Ort, wo die mit Rosen bewachsenen Arkaden endlos scheinen. Rosen in jeder erdenklichen Farbe und Schattierung, mit jedem vorstellbaren Duft, den eine menschliche Nase wahrzunehmen vermag.
Die Roten. Tief und satt. So vertraut wie der Anblick meines eigenen Blutes. Ich beuge mich vor und atme den Duft in meine Lungen, vergrabe meine Nase in den samtigen Falten. Die Vergangenheit umhüllt mich, während der Duft meine Sinne betört – das Aroma der Süßigkeiten, die Cola-Fläschchen meiner Jugend, die mir auf der Zunge zergehen, der Geschmack von Zucker und Nostalgie in meinem Mund.
Ich gehe weiter zu den Gelben, lege die Hände um eine davon. Farben, die sich entfalten, mich umgarnen, mir schmeicheln und mich verzücken. Ich pflücke die Blütenblätter und stecke sie mir in den Mund, eines nach dem anderen, genieße den Nektar der Götter.
Als Nächstes trete ich zu den Rosafarbenen mit ihren seidig glatten, weichen Blättern. Ihr Duft ist weniger intensiv, dafür umso süßer, unschuldiger, nicht ganz so flüchtig. Behutsam streiche ich mit den Fingerspitzen darüber; es ist, als berühre man die zarten Wangen eines Neugeborenen. Ein Gefühl bittersüßen Glücks durchströmt mich, und ich kann die Finger nicht von ihnen lösen, muss sie immer weiter berühren.
Dann die köstlichen, bezaubernden Weißen, feiner im Duft, doch nicht minder betörend. Meine wunderschönen blumigen Mädchen, die ich nicht zu berühren vermag, weil die Bilder vor meinen Augen zu verblassen beginnen, allmählich zerbröckeln, als sich die Realität in mein Bewusstsein schiebt. Das wahre Leben löscht alles aus. Ich wache auf, ein weiteres Mal leer, verlassen und beraubt.
Es war ein sonniger Samstagmorgen. Freiheit. Über ihnen spannte sich ein eisig blauer Himmel. Liam hüpfte neben Aoife her, vor Lebensfreude förmlich vibrierend, als er, übers ganze Gesicht strahlend, zu ihr aufsah. Sie musterte ihren Sohn, den leuchtend roten Schal, den er mehrmals um seinen mageren Kinderhals geschlungen hatte, und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war ein ganz besonderer Tag, und Liam war ein ganz besonderer Junge. Instinktiv schien seine kindliche Wahrnehmung die Schwingungen ihres neu gewonnenen Optimismus aufzufangen. Ein gutes Gefühl. Sie wusste nicht mehr, wann sie es zuletzt empfunden hatte, aber ganz bestimmt erst nach ihrem Umzug nach Dublin.
Die Loslösung hatte sich als schwierig entpuppt, schwieriger, als sie vermutet hatte und als sie jemals zugeben würde. Wann immer sie mit ihrer Mutter telefonierte, setzte sie ein strahlendes Lächeln auf und legte den »Ich bin glücklich«-Schmelz in ihre Stimme. Doch es gab Zeiten, in denen sie die Einsamkeit zu überwältigen drohte. In diesen Momenten war es, als betrachte sie die Welt durch eine meterdicke Glasscheibe.
Die Nachbarn kennenzulernen schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Sie begegnete ihnen so gut wie nie; es war fast, als verschanzten sie sich hinter ihren Eingangstüren. Vielleicht lag es auch an der Jahreszeit – es war Ende Oktober, früh wurde es dunkel, und über der Stadt hing die trübe Trostlosigkeit des Herbstes.
Aber heute fühlte es sich irgendwie anders an.
Heute lag Hoffnung in der Luft.
»Da wären wir.« Sie bedeutete Liam stehen zu bleiben.
»Aber das ist ja gar nicht der Süßigkeitenladen.«
»Doch, nur eben eine andere Art. Ein ganz besonderer.«
Offenbar beruhigt, ließ er sich in den schwach beleuchteten Laden führen. Die Frau begrüßte Aoife mit einem Nicken, das deren Zuversicht weiter wachsen ließ.
Einen Laden wie diesen würde man eher im Zentrum Barcelonas erwarten. Einer, auf den man rein zufällig stößt, weil man sich im Gewirr der engen, verwinkelten Gassen verlaufen hat. Möglicherweise hätte man ihn sogar übersehen, hätte man nicht einen Sprung zur Seite gemacht, um einem ungestümen Mopedfahrer auszuweichen. Was hätte man verpasst! Am Rand des Stadtzentrums hätte Aoife so ein Juwel jedenfalls nicht erwartet. Doch mit jedem Tag stellte sie aufs Neue fest, wie sehr sich Dublin seit ihren Besuchen als Kind verändert hatte. Und wie viel dieser Stadt von ihrem Herzen herausgerissen worden war. Prächtige georgianische Häuser waren Fastfood-Lokalen und Coffeeshop-Filialen gewichen, gesichtslose Glasfronten hatten anmutig geschwungene Torbogen und Hauseingänge vertrieben.
Fortschritt.
Doch dieser Laden hier bildete eine angenehme Ausnahme.
Er war ein Schatzkästchen für Köstlichkeiten aller Art. Hier gab es Gourmetwürstchen, knusprige Bauernbrötchen, Bio-Lachs, heimischen Käse, handgefertigte Schokolade, Konfitüren aus eigener Herstellung und Shortbread. Ihre Mutter wäre begeistert von dem Porterkuchen. Mit einem Päckchen irischen Breakfast Tea im Präsentkorb. Und sie selbst träumte von den Erdbeeren in belgischer Schokolade. Schon jetzt lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
Und dann all die Süßigkeiten. Glas an Glas, Reihe um Reihe pure Nostalgie: alle möglichen Bonbonsorten, saure Apfelringe, Lakritzschlangen, Schokomäuse, Eiskonfekt, gefüllte Süßwaffeln, Zuckerkugeln mit Anissamen, Seidenkracher, Minzkugeln, Goldnüsse, Fouree-Bonbons, saure Drops. Nur die Schokoladenzigaretten fehlten. Wahrscheinlich durften sie heutzutage nicht mehr verkauft werden.
Liam stand mit offenem Mund da. »Und ich darf mir etwas aussuchen, egal was?«
»Du bekommst fünf Sachen. Was willst du als Erstes?«
»Nur fünf! Aber ich will –«
»Willst du nun etwas haben oder nicht?«
»Ja, klar.« Liam klammerte sich an Aoifes Oberschenkel und trat von einem Fuß auf den anderen. »Die da.« Ohne zu zögern zeigte er auf die Schokomäuse.
»Nur die? Sonst nichts?«
Er nickte heftig und hob eine Hand mit gespreizten Fingern. »Fünf.«
»Fünf Mäuse.«
»Fünf Mäuse und was?«
»Bitte.«
Eine andere Kundin war zwischen sie und den Tresen getreten, eine ältere Frau von vielleicht siebzig. Aoife fiel auf, wie gepflegt sie wirkte. So elegant. Und gediegen. Beschämt sah sie an sich hinunter, an ihrem marineblauen Fleecepulli und ihren Jeans. Die Frau kaufte Earl Grey Tee und teure Kekse. Wie passend. Sie betrachtete das Profil der Frau. Ihre Haut sah aus wie Reispapier, doch ihre Kinnlinie war noch immer straff. »Gut in Schuss«, hätte Aoifes Vater gesagt.
Die Frau bezahlte und ging, woraufhin sich die Verkäuferin an Aoife wandte. Auf ihrem Gesicht lag ein verschmitzter Ausdruck, wie bei einem Kind, das ein Geheimnis hatte. Sie beugte sich leicht vor. »Man würde nie im Leben draufkommen, dass sie ihren Ehemann ermordet hat.«
»Wie bitte?« Vielleicht hatte sie sich verhört.
Die Frau nickte in Richtung Tür. »Mrs Prendergast. Darauf würde man nie im Leben kommen.«
»Sie meinen die alte Dame, die gerade hier war?«
»Genau die.«
»Sie meinen, mit Verurteilung und allem Drum und Dran?«
»Na ja, nein, das nicht.« Hier hatte die Geschichte offenbar einen Haken. »Die Leiche wurde nie gefunden. Und ohne Leiche kann man keine Anklage erheben. Aber alle hier wissen, dass sie es war.«
»Woher denn?«
»Tja, erstens ist da mal ihr Garten. Seit dem Tag vor vierzig Jahren, als er verschwunden ist, hat dort keiner mehr einen Finger gerührt.«
Aoife lachte. »Das würde ich kaum als Beweis bezeichnen.«
Die Miene der anderen Frau verschloss sich, und Aoife bereute ihre Worte. Sie hatte Gefallen an dem spontanen Schwätzchen gefunden.
»Was darf’s sein?«, fragte die Frau, plötzlich geschäftsmäßig.
»Fünf Schokomäuse, bitte. Und zwei gefüllte Waffeln, um der alten Zeiten willen.«
An diesem Abend konnte Liam nicht einschlafen, also erlaubte sie ihm, zu ihr ins Bett zu kommen. Sie wusste, dass sie es eigentlich nicht tun sollte, weil er es sonst immer wieder versuchen würde, aber einem Teil von ihr war das egal – jenem Teil, der sich einsam, leer und entwurzelt fühlte. Sie brauchte seine Nähe ebenso wie er ihre.
Obwohl sie ein Doppelbett besaß, in dem sie sich ausbreiten könnten, suchte er im Schlaf unweigerlich ihre Nähe. Sie lag auf dem Rücken, starrte in die Dunkelheit, als –
»Mummy.«
Sie hatte gedacht, er schlafe. »Ja, Liam?«
»Wenn Daddy noch hier wäre, dürfte ich dann auch bei dir schlafen?«
»Natürlich. Erinnerst du dich nicht mehr, wie du zu mir und Daddy gekrochen bist, wenn du schlecht geträumt hast oder krank warst?«
»Nein.«
»Tja, genau das hast du aber getan. Die ganze Zeit.«
»Oh.«
Eine Zeit lang schwiegen sie.
»Nacht, Mummy.«
»Nacht, Liam.«
Wenige Atemzüge später war er eingeschlafen, und seine Knie drückten gegen ihr Hinterteil. Als versuche er, in ihren Bauch zurückzukriechen.
Montagmorgen und um neun Uhr Vorlesung. Keine gute Kombination. Als Aoife ihre Studenten um zehn nach neun gähnend hereinschlurfen sah, hätte sie sie am liebsten angeschrien. Sie brauchte sie, schließlich konnte sie ihre Vorlesung nicht vor leeren Bankreihen halten. Genau das sagte sie ihnen auch. Danach saßen sie schweigend auf ihren Plätzen. Wie Zombies.
Iren kamen grundsätzlich zu spät, zu allem, das wusste sie. Trotzdem brachte es sie immer noch auf die Palme. Vielleicht war sie einfach zu englisch.
Na endlich. Wenigstens hatte inzwischen eine halbwegs vernünftige Zahl Studenten den Weg gefunden, so dass sie anfangen konnte. Sie räusperte sich, in der Hoffnung, dass sie dann zu schwatzen aufhörten. »Also. Heute werden wir unsere Erörterungen über die Dichter der Romantik fortsetzen.« Sie spürte, wie sich einige schon jetzt geistig verabschiedeten. »John Keats. Ich bin sicher, viele von Ihnen sind mit seinen Oden vertraut.«
Falls dem so war, behielten sie es für sich.
»Ode an eine Nachtigall und Ode auf eine griechische Urne sind natürlich seine berühmtesten Werke, aber jetzt wollen wir uns erst einmal der Ode an Psyche zuwenden.«
Die Aussicht löste kollektive Begeisterung aus.
»Kann mir jemand etwas über die Legende von Amor und Psyche erzählen?« Sie ließ den Blick über das Meer junger Gesichter schweifen. Manche starrten konzentriert auf die leeren Seiten vor ihnen, aus Angst, sie könnte sie aufrufen. Andere starrten blicklos ins Leere, die Gesichter grau von zu viel Alkohol und zu wenig Schlaf. »Irgendjemand?«
Niemand. Sie stieß einen Seufzer aus.
»Venus, die Göttin der Liebe, wird rasend eifersüchtig auf diese irdische Frau namens Psyche, die Gerüchten zufolge schöner ist als sie. Also befiehlt sie ihrem Sohn, Amor, einen seiner goldenen Pfeile auf Psyche abzuschießen, damit diese sich in die widerwärtigste Kreatur des gesamten Planeten verliebt. Das Problem ist nur, dass Amor sich selber Hals über Kopf in Psyche verliebt, als er sie das erste Mal sieht. Also entführt er sie und hält sie in seinem von einer Mauer umgebenen Garten gefangen. Was sie allerdings nicht sonderlich schlimm findet, immerhin ist er der attraktivste geflügelte Mann in der Mythologie.«
Diese Bemerkung brachte ihr immerhin das eine oder andere Lächeln unter den Mädchen ein.
»Das Bild des von einer Mauer eingefriedeten Gartens ist sehr interessant, weil er während der gesamten viktorianischen Ära – eine Ära, in der die Legende von Amor und Psyche auf vielerlei Weise verarbeitet wurde – als Sinnbild für die weibliche Sexualität stand.«
Einige der Jungs schienen amüsiert zu sein – oder eher verlegen? Als wäre sie zu alt, um sich mit derartigen Dingen zu befassen. Vermutlich könnte sie theoretisch ihre Mutter sein – wenn auch eine sehr junge. Eine ziemlich erschreckende Vorstellung, wenn man bedachte, dass Liam praktisch noch ein Baby war.
Ein neues Geräusch drang von den Rängen des Hörsaals – unmissverständlich in seinem Rhythmus.
Jemand hatte zu schnarchen begonnen.
Bei einer ihrer Wochenenderkundungstouren durch ihr neues Wohnviertel wurde Aoife Zeuge von etwas, das ihr in ihrer gesamten Zeit in London nie passiert war.
»Mummy, was macht der Mann da mit der Frau?«
»Oh, lieber Gott! Hey!«, schrie sie aus Leibeskräften und setzte sich in Bewegung.
Eine Frau wurde von einem jungen Mann über den Bürgersteig gezerrt – besser gesagt, versuchte er ihr die Handtasche zu entreißen, doch sie klammerte sich daran, als hinge ihr Leben davon ab. Der Mann, unübersehbar erschrocken über Aoifes Einmischung, ließ los und sprintete davon. Aoife ging neben der Frau in die Hocke. »Geht es Ihnen gut?«
»Sehe ich so aus?« Die Frau hievte sich mühsam hoch.
Die Antwort verblüffte Aoife ebenso sehr wie der vornehme Akzent der Frau. Und noch verblüffter war sie, als sie feststellte, dass es sich um die Frau handelte, die sie in der Woche zuvor im Good Food Store gesehen hatte. Mrs Prendergast, oder? Sie streckte ihr die Hand hin, doch die ältere Frau ignorierte sie und stand auf. Sie war unverletzt, trotzdem hatte der Vorfall sie sichtlich mitgenommen.
»Kommen Sie, ich begleite Sie nach Hause. Wo wohnen Sie denn?«
»Das ist definitiv nicht nötig.«
»Aber ich bestehe darauf.« Aoife nahm Mrs Prendergast beim Ellbogen, doch in die Augen der Frau trat ein Ausdruck von so ungezügelter Wildheit, dass sie sie abrupt losließ. Kein Wunder, dass ihr die Nachbarn einen Mord zutrauten.
»Ich bin durchaus in der Lage, allein zu gehen, vielen Dank.«
»In Ordnung. Aber dann rufe ich wenigstens die Polizei.« Aoife zog ihr Handy heraus.
»Das werden Sie nicht tun. Ich habe keinerlei Bedürfnis danach, dass eine Horde Polizisten durch mein Wohnzimmer trampelt. Ich habe meine Handtasche wieder, es fehlt nichts, und ich will diesen leidigen Vorfall so schnell wie möglich vergessen, mehr nicht. Wenn Sie also nichts dagegen haben …«
»Doch, habe ich. Ich werde Sie nach Hause begleiten. Ende der Diskussion.«
Diesmal ließ Aoife sich nicht beirren, als Mrs Prendergast ihre ungewöhnlich hellen Augen auf sie richtete und sie eindringlich anstarrte. Schließlich stieß die ältere Frau ein Schnauben aus und machte Anstalten, die Straße zu überqueren. Aoife folgte ihr, den erschrocken dreinblickenden Liam an der Hand.
»Wohin gehen wir, Mummy?«
»Wir begleiten diese Dame nach Hause.«
»Wieso?«
»Um sicher zu sein, dass ihr nichts passiert.«
»Wo wohnt sie?«
»Das weiß ich nicht.«
»Gibt es da auch kleine Jungen?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Liam, aber wohl eher nicht.«
»Aber wieso …«
»Hier, iss ein Bonbon.«
Inzwischen war Mrs Prendergast in die Einfahrt eines eleganten alten Ziegelbaus an der Straßenecke gebogen.
Aoife zog Liam hinter sich her zu der pflaumenfarbenen Eingangstür und blieb hinter der schlanken Gestalt stehen, die mit durchgedrücktem Rücken dastand. Sie malte sich aus, wie sie in sich zusammensinken würde, sobald sie allein war und sich die Tür hinter ihr schloss.
Mrs Prendergast trat in die Diele und wandte sich um. »Wie Sie sehen, bin ich heil zu Hause angekommen.« Sie schluckte. »Danke.«
»Gern geschehen. Möchten Sie, dass ich einen Arzt rufe?«
»Nein, das möchte ich nicht. Auf Wiedersehen.«
Die Tür schloss sich bereits, als Liam anfing, von einem Fuß auf den anderen zu springen. »Pipi, Mummy, ich muss Pipi.«
Mist. Sie sah Mrs Prendergast an. »Er könnte wohl nicht …«
Mrs Prendergast verdrehte theatralisch die Augen und öffnete die Tür gerade weit genug, dass Liam hineinschlüpfen konnte.
Sie würde Aoife doch nicht allen Ernstes hier stehen lassen? Diese unhöfliche alte Kuh.
»Ich möchte Sie eindringlich bitten, mich auch hereinzulassen, wenn Sie nicht wollen, dass ich auf Ihre Türschwelle pinkle.«
Mrs Prendergast warf ihr einen finsteren Blick zu und öffnete die Tür.
»Danke. Wo …?«
»Die Treppe hinauf und dann links.« Ihre Stimme war dünn wie hauchzartes Porzellan.
Als Aoife mit Liam im Schlepptau, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben lief, spürte sie den Anflug von Gewissensbissen. Diese arme alte Dame war gerade überfallen worden, und sie war so gemein zu ihr. Aber, du meine Güte, warum war sie dermaßen feindselig?
Das Haus war wunderschön – vom anmutigen Schwung des Mahagonigeländers bis zu den Mustern, die das durch die Buntglasfenster einfallende Licht auf den auf Hochglanz polierten Holzboden warf. Aoife stand im Badezimmer und starrte geistesabwesend auf das weiße Rollo, während Liam pinkelte. Sie schob es ein Stück beiseite und blickte zu ihrem Erstaunen auf die Überreste eines von einer Mauer umfriedeten Gartens. Längst überwucherte Pfade verliefen am Rand und unterteilten ihn in der Mitte, dazwischen standen uralte Apfelbäume, die unter dichtem Efeugestrüpp zu ersticken drohten, und ein halb zerfallener Torbogen. Aoife malte sich aus, wie er in seiner Blütezeit ausgesehen haben mochte – voller duftender Rosen. Blassrosa, dachte sie. Und die Leiche von Mr Prendergast, die in ihrem Grab dicht unter der Erde verrottete.
»Mummy, ich komme nicht ans Klopapier ran.«
Sie reichte es ihm und versuchte es danach genau an dieselbe Stelle zurückzulegen, was sich als unmöglich erwies.
Mrs Prendergast erwartete sie bereits neben der Haustür. Ihr Wunsch, sie loszuwerden, war unübersehbar. Aoife hätte sich nur zu gern im Haus umgesehen. Eine Tür in der Diele war angelehnt und bot einen verlockenden Blick in ein mit Antiquitäten vollgestopftes Zimmer. Doch Mrs Prendergast machte keinerlei Anstalten sie herumzuführen, sondern hielt ihnen die Tür auf – einladend und weit.
»Vielen Dank, Mrs Prendergast. Bitte entschuldigen Sie die Umstände. Was sagt man, Liam?«
»Sie haben sich das Knie aufgeschürft«, erklärte Liam und blickte zu Mrs Prendergast auf. »Sie sollten sich von Ihrer Mummy ein Pflaster draufkleben lassen.«
»Danke, das werde ich. Wenn es Sie nicht stört …«
»Ja, natürlich. Auf Wiedersehen.«
Die Tür schloss sich hinter ihnen, noch bevor sie auf der obersten Stufe standen.
Sie schlugen den Weg nach Hause ein, trotzdem konnte Aoife sich nicht verkneifen, einen Blick auf den Garten zu werfen. Ohne auf Liams Maulen zu achten, ging sie an der Mauer entlang, die den rund viertausend Quadratmeter großen Garten umgab, bis zu einem schmiedeeisernen Tor, dessen schwarze Farbe bereits abblätterte. Natürlich war es verschlossen; mit einem Schloss, das aussah, als könne es auch notfalls eine Armee aufhalten, und einer schweren, mehrmals darumgeschlungenen Eisenkette.
Ohne auf die Passanten zu achten, presste Aoife ihre rechte Wange gegen das kalte Eisen und spähte hinein. Bestimmt bot sie von der anderen Seite einen urkomischen Anblick, doch es war niemand da. Der Garten bestand aus kaum mehr als dichtem Gestrüpp. Und natürlich der Mauer aus hübschem bräunlichen Ziegel, die von dichtem Efeu bedeckt war – zwei Farben, die einander perfekt ergänzten und einen wunderschönen Anblick boten. Auf den zweiten Blick konnte sie eine Anordnung der Bepflanzung erkennen, wenn auch nur, weil Winter und der Garten nahezu kahl war.
Es gab zwei Reihen überwucherter Büsche, die zur Mitte hin verliefen und sich an einem Teich trafen. Zumindest nahm sie an, dass es sich um einen Teich handelte; die Oberfläche war nämlich von so dichtem Wasserlinsengestrüpp bedeckt, dass es wie eine undurchlässige grüne Fläche wirkte.
Umfriedete Gärten hatten etwas Magisches, etwas Romantisches. Aoife hatte sie schon immer geliebt. Doch sie hätte nicht erwartet, so nahe bei ihrem neuen Dubliner Zuhause einen zu finden. Noch dazu einen intakten,wenn er auch leicht mitgenommen aussah. Ein verborgener Schatz. Es kam ihr vor, als sei sie der erste Mensch, der diesen Garten je zu Gesicht bekommen hatte. Ihn wirklich sah. Oder zumindest der erste Mensch seit langer, langer Zeit.
Sie ging nach Hause. Doch der Garten ließ sie nicht mehr los.
Myrtle drehte den Schlüssel im Schloss um, worauf es ihr in die Hände fiel. Das Tor, gerade erst eingebaut, schwang in einer flüssigen Bewegung auf. Entzücken durchströmte sie. Überall wuchs etwas, willkürlich und ungezähmt. Wo andere Frauen Unordnung und Chaos gesehen hätten, sah sie nur Möglichkeiten. Sie lächelte und drehte sich im Kreis. Zu Hause.
Es war exakt eine Woche später, fast auf die Stunde genau.
Mrs Prendergasts Vorgarten bestand vorwiegend aus Kies, gesäumt von unkomplizierten, aber sehr sorgfältig platzierten und gestutzten Büschen. Die gepflegte Hausfront ließ nicht einmal ansatzweise ahnen, welche Wildheit sich dahinter verbarg. Breite dunkle Steinstufen führten hinauf zu der eindrucksvollen Haustür mit Buntglasfenstern.
Aoife blieb vor der Tür stehen. Es fühlte sich an, als hätten ihre Füße sie ohne ihr Zutun hierhergeführt. Sie betrachtete den angelaufenen Messingklopfer. Keine Klingel. Wie kam sie hierher? Das war doch sonst nicht ihre Art. Vielleicht lag es daran, dass sie gerade ein neues Leben anfing. Dass ganz neue Möglichkeiten in ihr zum Leben erwachten.
»Darf ich klopfen, Mummy?«
Sie hob Liam hoch, so dass er den Messingklopfer gegen das Holz fallen lassen konnte. Nichts geschah. Nach einer angemessenen Wartezeit forderte sie ihn auf, noch einmal zu klopfen.
Wieder nichts.
»Darf ich nochmal versuchen, Mummy?«
»Nein. Sie ist nicht zu Hause. Gehen wir.«
Sie kam sich wie eine Idiotin vor, als sie die Treppe hinabstieg und entschlossen die gekieste Einfahrt durchquerte, getrieben von dem Wunsch, so schnell wie möglich wegzukommen, nur fort von dieser schwachsinnigen Idee, und in der Gewissheit, dass Mrs Prendergast ihr oben am Fenster mit höhnischer Miene hinterherblickte.
Doch genau in diesem Moment öffnete sich hinter ihr die Tür. Liam hörte es ebenfalls. »Sieh nur, Mummy, sie ist ja doch da.«
Die Feindseligkeit auf Mrs Prendergasts Zügen war deutlicher denn je zuvor. Schon jetzt bereute Aoife, überhaupt hergekommen zu sein. Trotzdem machte sie kehrt und ging die Stufen hinauf, bis sie, ein weiteres Mal, vor der Haustür stand. Mrs Prendergast hob fragend eine Braue. »Besteht wieder einmal Bedarf an meiner Toilette?«
Aoife lächelte nervös. »Wir sind hergekommen, um zu sehen, wie es Ihnen geht.«
»Es könnte mir nicht besser gehen.«
Verlegene Stille breitete sich aus.
»War’s das?«
»Sieh mal, Mummy, ein Hündchen.«
Eine feuchte Schnauze drängte sich an Mrs Prendergasts Bein vorbei, gefolgt von einem Hundegesicht, dessen Freundlichkeit in krassem Gegensatz zu der Miene seiner Besitzerin stand. Schließlich erschienen ein rundlicher Hundeleib und ein wild wedelnder Schwanz. Das Gesicht einer nicht mehr ganz jungen Hündin. Ein Golden Retriever. Hechelnd blickte sie Liam an und hieß ihn wie einen lange vermissten Freund willkommen, während ihr Atem in heißen, stinkenden Wolken ihrem Maul entströmte.
»Wie heißt er?«, fragte Liam.
»Harriet.«
»Und ist er ein Junge oder ein Mädchen?«
»Natürlich eine Hündin. Harriet ist ein weiblicher Name.«
Aoife warf Mrs Prendergast einen strengen Blick zu. Woher um alles in der Welt sollte ein vierjähriger Junge das wissen? Doch sie riss sich zusammen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Maßregelungen. »Was für ein schöner Tag, nicht?«, sagte sie stattdessen.
»Hmmpf«, machte Mrs Prendergast – zumindest hörte es sich so an.
»Okay, Mrs Prendergast, da Sie offenbar nicht in der Stimmung für eine Unterhaltung sind, komme ich direkt zur Sache.«
»Sie wollen also etwas.«
»Es geht um Ihren Garten.«
»Was ist damit?« Ihre Haltung war unnachgiebig, ihre Miene verriet Argwohn und Wachsamkeit.
»Es muss doch schwer für Sie sein, sich allein um ein so großes Grundstück zu kümmern.«
Mrs Prendergast musterte Aoife mit halb geschlossenen Lidern, als wäre sie ein Käfer, den sie am liebsten zertreten würde.
»Ich will damit nur sagen, dass er wunderschön sein könnte.«
»Worauf wollen Sie hinaus, meine Liebe?«
Aoife vermutete, dass diese Anrede ironisch gemeint war.
Die beiden Frauen waren so beschäftigt, dass sie nicht mitbekamen, wie Liam und Harriet immer weiter in der Diele verschwanden.
»Ich könnte Ihnen dabei helfen.«
»Nein, danke. Harriet!« Mrs Prendergast sah sich um.
»Ich meine damit nicht, dass Sie und ich ein bisschen Unkraut jäten. Sondern wir könnten ein paar Leute engagieren, die sich darum kümmern.«
»Was für Leute?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich habe mir überlegt, eine Annonce aufzugeben.«
»Kommt überhaupt nicht in Frage. Harriet!« Mrs Prendergast spähte an Aoife vorbei.
»Ich glaube, sie sind dort hineingegangen«, bemerkte Aoife und zeigte auf den Hausflur. Mrs Prendergast wandte sich um und verschwand durch eine Tür, die von der Diele abging. Liams hohes Kichern drang an Aoifes Ohren. Sollte sie … Eigentlich war sie ja nicht hereingebeten worden … sie war zu überhaupt nichts gebeten worden … Aber wenn Mrs Prendergast Liam aus dem Haus haben wollte, nun ja, dann würde Aoife das wohl übernehmen müssen.
Sie trat über die Schwelle und schaute hinter Mrs Prendergast in das Zimmer. Liam hockte neben Harriet auf dem Boden, die sich auf den Rücken geworfen hatte und die Nase in die Luft reckte. Er kraulte ihren Bauch, während sie sich wälzte und mit den Beinen strampelte, als sitze sie auf einem unsichtbaren Fahrrad. Aoife sah Mrs Prendergast an, die nicht mehr ganz so streng dreinblickte. Und da hieß es immer, man solle nie mit Kindern oder Tieren arbeiten.
»Was stinkt da so?« Liam hob den Kopf und schnüffelte.
»Liam!«
»Oh, das war bestimmt Harriet. Sie furzt recht oft.«
Liam warf sich neben dem Hund auf den Boden und wurde von einem heftigen, ansteckenden Lachanfall geschüttelt. Mrs Prendergasts Mundwinkel zuckten. Aoife erkannte eine Gelegenheit, wenn sie eine vor sich hatte. »Ich wünschte, Sie würden sich meinen Vorschlag noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Es könnte ganz wunderbar werden. Stellen Sie sich nur vor – der Garten, wie er in seinem alten Glanz erstrahlt. Wir könnten Obstbäume anpflanzen, Gemüse, Kräuter.«
»Wie heißen Sie?«
»Wie bitte? O Gott, bitte entschuldigen Sie. Ich bin Aoife. Aoife Madigan. Und das ist Liam.«
»Sie sind Engländerin.« Und ausnahmsweise war es kein Vorwurf.
»Ja, das stimmt.«
»Woher stammen Sie?«
»Aus London. Wie ich schon –«
»Sind Sie verheiratet?«
»Ich war es. Aber ich nehme an, das wissen Sie bereits.«
Aoife spürte, wie sie rot wurde, doch Mrs Prendergast schien es nicht mitzubekommen.
»Gehören Sie der Anglikanischen Kirche an?«
»Nein, ich bin katholisch.«
»Oh. Wie schade. Die anglikanische Frauenorganisation, die Mothers’ Union, sucht immer frisches Blut. Die sind wie eine Horde Vampire.«
»Nein, tut mir leid.«
Leid? Wieso entschuldigte sie sich für ihre Konfession?
»Und ich gehe recht in der Annahme, dass Sie viel Erfahrung mit Gartenarbeit haben.«
»Oh ja, sehr viel.« Sie beschränkte sich darauf, dass sie mit neun Jahren Sonnenblumen in ihrem Garten in Upper Norwood angepflanzt hatte.
»Ich habe vor, ihn zu verkaufen.«
»Was?«
»Den Garten. Ich verkaufe ihn als Bauland.«
»Das können Sie nicht machen.«
»Wie bitte?«
»Ich meine … ich meine …«
»Ich denke doch, es steht mir zu, mit meinem eigenen Grund und Boden zu tun, was ich gern tun möchte.«
»Ich weiß, ich weiß. Natürlich. Ich habe nur das Gefühl, dass es eine solche Schande ist. Der Garten könnte so wunderschön sein. Ich bin sicher, früher war er das.« Sie blickte fragend in Mrs Prendergasts Gesicht, konnte jedoch nichts erkennen. Nicht einmal mit der Wimper zuckte die alte Dame.
Aoife seufzte. »Komm, Liam.«
Liam richtete sich auf. »Bitte, könnten ich und meine Mummy den Garten nicht haben?«, fragte er Mrs Prendergast. »Ich möchte, dass sie Blumen pflanzt.«
Das Schweigen war ebenso betreten wie ohrenbetäubend.
»Gehen wir.« Aoife hob ihren Sohn hoch, bevor er Gelegenheit hatte, noch etwas zu sagen, und ging zur Tür hinaus. Auf der Treppe drehte sie sich noch einmal um, doch die Tür war bereits geschlossen. Sie fühlte sich am Boden zerstört, ohne sagen zu können, weshalb.
Sie versuchte, den Vorfall aus ihren Gedanken zu verbannen, denn … na ja, was sollte das Ganze eigentlich?
Eines Tages, nicht allzu lange danach, stand sie wieder einmal im Good Food Store auf der Suche nach etwas, was wie hausgemacht schmeckte, ohne es zu sein, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Vor Schreck fuhr sie zusammen. Sie kannte nicht genug Leute hier, um mit so etwas zu rechnen. »Oh, hallo, Mrs Prendergast.«
»Sie können den Garten haben.«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, Sie können den Garten haben. Machen Sie damit, was Sie wollen, es ist mir egal. Natürlich gehört er immer noch mir.«
»Natürlich.«
»Sagen Sie einfach Bescheid, wenn Sie anfangen wollen.«
»Das werde ich. Danke.«
Die ältere Frau nickte kurz. Augenblicke später war sie verschwunden.
Wie auf Wolken schwebte Aoife nach Hause. Erst als sie in ihrer Küche stand, merkte sie, dass sie ihre Einkäufe im Laden stehen gelassen hatte.
Sie hatte keine Ahnung, weshalb ihr der Garten so viel bedeutete. Vielleicht weil er das perfekte Spiegelbild ihrer selbst war – desolat, brachliegend nach einem langen kalten Winter und jahrelanger Vernachlässigung, ausgezehrt von strengen Frösten, eisigen Winden und Monaten der Dunkelheit, wo einst alles grün und üppig gewesen war, und dennoch überquellend vor verheißungsvollem Wachstum und Optimismus. Trotz allem.
Trotz allem.
Unmittelbar unter der Oberfläche wartete neues Leben darauf, aus der Dunkelheit ans Licht zu drängen. Sie hatte es schon immer gewusst, tief in ihrem Innern, einem Teil ihres Selbst, den sie längst vergessen hatte. Könnte sie doch nur helfen, es wieder gedeihen zu lassen – wenn ihr das gelänge, würde es sich anfühlen, als wäre alles möglich.
Genau in dieser Stimmung machte sie sich an einem stürmischen Morgen Mitte Dezember auf den Weg zum Good FoodStore. In der Tasche hatte sie ein auf die Hälfte gefaltetes dickes weißes Blatt Papier. Erleichtert bemerkte sie, dass an diesem Tag eine andere Verkäuferin hinterm Tresen stand, genauer gesagt, ein Mädchen, das nicht älter als zwanzig sein konnte. Schlank und mit schulterlangem dunklen Haar – eines jener Geschöpfe, die das Licht eher absorbierten, statt zu leuchten. Für einen Menschen, der den ganzen Tag von all den wunderbaren Köstlichkeiten umgeben war, wirkte sie reichlich unglücklich, doch Aoife war wohl die Letzte, die sich ein Urteil darüber erlauben sollte.
»Darf ich hier eine Anzeige aufhängen?«, fragte Aoife und deutete auf die Anschlagtafel.
Das Mädchen, das gedankenverloren in die Ferne geblickt hatte, kehrte ins Hier und Jetzt zurück. »Machen Sie ruhig.« Sie starrte weiter.
Aoife hätte zu gern gewusst, was sie sah. Sie nahm eine Reißzwecke von einem Pilates-Poster und hängte ihre Annonce an die Stelle, von der sie glaubte, dass sie am meisten Beachtung finden würde. Dann trat sie einen Schritt zurück, um die Worte zum wohl fünfzigsten Mal zu lesen.
Garten braucht dringend Pflege und Aufmerksamkeit.
Gemeinschaftsarbeit erwünscht.
Interessenten mit grünem Daumen treffen sich
Montagabend, 16. Dezember, um 20.30 Uhr bei…
Sie notierte ihre Anschrift und betrachtete das Blatt noch einmal. In die obere rechte Ecke hatte sie sogar ein paar Blumen gemalt. Was für ein Unsinn. Hatte sie ernsthaft vor, das durchzuziehen? Ja. Genau das würde sie tun. Sie wandte sich ab, ehe sie es sich noch einmal anders überlegen konnte. Und richtete ihre Gedanken auf alltäglichere Dinge – das Abendessen. Sie ließ den Blick über die übersichtliche Gemüseabteilung schweifen. »Haben Sie grüne Bohnen?« Sie hatte beinahe Gewissensbisse, das Mädchen in die Realität zurückzureißen, wo es unübersehbar nicht gern sein wollte.
»Grüne Bohnen aus Irland kriegen wir nicht. Die stammen alle aus Kenia, deshalb nehmen wir sie überhaupt nicht mehr.«
Aoife nickte und verließ den Laden. Sie zog sich die Wollmütze ein Stück tiefer über die Ohren, als wolle sie all die Gedanken festhalten, die in ihrem Kopf umherwirbelten. Man bekam hier also keine grünen Bohnen aus Irland. Interessant. Sie schlüpfte in ihre Handschuhe und lächelte. Wüsste sie es nicht besser, hätte sie glatt geglaubt, sie sei glücklich.
Es war der 16. Dezember, 20.31 Uhr. So. Wo waren sie, die Heerscharen an Interessenten? Hatte all das Kissenaufschütteln, Krümelwegwischen, Kaffeekochen, Kekskaufen und Zettelaufhängen am Ende nichts genützt? Sie hatte sogar ein paar Topfpflanzen besorgt, um den Anschein zu erwecken, als sei sie vom Fach.
Es läutete. Ihr Herz machte einen Satz. Sie eilte aus der Küche, drosselte jedoch ihre Schritte, als sie sich der Eingangstür näherte. Nur die Ruhe. Sie öffnete die Tür. Ein Mann stand davor.
»Hallo.«
»Hallo.« Er zog den Hut, eine Geste, die sie verblüffte und zugleich freute.
»Sind Sie wegen des Gartens hier?«
»Ja.«
»Kommen Sie doch bitte herein.«
Jemand war hier. Jemand war gekommen.
Sie trat beiseite. Er war kleiner als sie, adrett und sauber gekleidet mit einem sorgsam gestutzten Bart – dunkel, obwohl er bereits über siebzig sein musste.
Mit knappen, entschlossenen Bewegungen zog er seinen Mantel aus, unter dem ein makelloser grauer Nadelstreifenanzug zum Vorschein kam. Sie kam sich unordentlich und schmuddelig neben ihm vor. Sie hatte viel zu viel Augenmerk auf das Haus gelegt und vergessen, sich um ihr Haar zu kümmern, das sie am Morgen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Zu ihrer eigenen Beruhigung hatte sie sich eingeredet, die losen Strähnen seien hübsche Locken, die ihre Züge weicher machten. In Wahrheit waren sie nichts als zerzauste Flusen. Sie nahm ihm den Mantel ab und bedeutete ihm, zum Wohnzimmer durchzugehen.
»Sie sind der Erste.« Sie kam sich dumm vor, war nervös, wie immer wenn Smalltalk gefragt war. »Kaffee?«
»Das wäre reizend.«
Sie glaubte den Hauch eines Akzents in seiner Stimme zu hören. Eilig ging sie in die Küche, setzte den Kessel auf, arrangierte Kekse auf einem Teller und stellte Milchkännchen und Zuckerdose auf ein Tablett – etwas Solides, etwas zum Festhalten an einem Abend, dessen Verlauf sie nicht in der Hand hatte.
Sie trug die Sachen auf einem großen Tablett ins Wohnzimmer. Der Mann erhob sich, als sie eintrat, nahm es ihr aus der Hand und stellte es auf dem Kaffeetisch ab.
»Danke.«
»Uri.«
»Danke, Uri. Ich bin Aoife. Entschuldigen Sie, natürlich hätte ich mich vorhin schon vorstellen müssen.«
Wieder ging die Türglocke. Noch jemand! Sie lief hinaus, um aufzumachen.
Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. Es war das traurige Mädchen aus dem Laden.
»Hallo.«
»Hallo.«
»Kommen Sie rein. Soll ich Ihnen die Jacke abnehmen?« Sie führte sie ins Wohnzimmer. »Ich bin Aoife.«
»Emily.« Ein angedeutetes Lächeln trat auf ihre Züge.
»Kaffee?«
»Ja. Bitte.«
»Mummy.«
O verdammt. Liam war noch wach. Und nicht nur das – er stand am oberen Treppenabsatz.
»Geh wieder ins Bett.«
»Wer ist da?«
»Nur jemand, der Mummy besuchen möchte.«
»Wer?«
»Niemand, den du kennst. Leg dich wieder schlafen.«
»Aber ich habe noch gar nicht geschlafen.«
»Dann tu es eben jetzt.«
»Ich hab Hunger.«
In ihrer Verzweiflung schloss sie die Wohnzimmertür. Immer dieselbe Masche. Uri goss gerade Milch in Emilys Tasse. Die beiden sahen sie erwartungsvoll an. Sie lächelte knapp und sah auf die Uhr. Viertel vor neun. »Ich denke, wir sollten anfangen.« Sie setzte sich in einen Sessel. »Notfalls erkläre ich eben alles noch einmal, falls noch jemand kommt.«
Aber es kam niemand mehr. Abgesehen von Liam, den Aoife die Treppe herunterkommen hörte. Sekunden später ging die Tür auf, und da stand er, in der vollen Pracht seines Spiderman-Schlafanzugs. Sein Selbstvertrauen verflog schlagartig beim Anblick der beiden Fremden. Er rannte zu seiner Mutter, kletterte ihr auf den Schoß, schlang die Beinchen um sie und vergrub das Gesicht in der weichen, warmen Kuhle zwischen ihrer Schulter und ihrem Hals. Statt der Verärgerung, die sie erwartet hatte, spürte Aoife, wie die Anspannung von ihr abfiel.
»Also. Wir haben die Chance, einen Garten auf Vordermann zu bringen.«
»Tatsächlich?« Uri beugte sich gespannt vor.
»Ja. Die Besitzerin ist so freundlich, uns alles machen zu lassen, was wir wollen.«
»Wo ist dieser Garten denn?«
»Ganz in der Nähe. Nur etwa fünf Minuten zu Fuß.«
»Haben Sie schon einen Plan gezeichnet?«
»Äh. Nein. Noch nicht. Ich wollte zuerst sehen, ob ich überhaupt Interesse wecken kann.«
»Haben Sie Fotos?«
»Nein.«
»Wie groß ist er denn?«
»Etwa viertausend Quadratmeter.«
»Viertausend Quadratmeter in diesem Teil der Stadt! Ein Wunder, dass noch keiner einen Apartmentkomplex hingestellt hat.«
»Stimmt. Die Besitzerin hat überlegt, ihn an einen Grundstücksmakler zu verkaufen, aber offenbar hat sie ihre Meinung geändert.«
»Was schwebt Ihnen vor?« Wieder ergriff Uri das Wort, wohingegen Emily noch gar nichts gesagt hatte.
»Ich sehe das Ganze als Gemeinschaftsprojekt. Jeder, der Interesse hat, kann kommen und helfen. Wir versuchen, den Garten in seinem alten Glanz wiederaufleben zu lassen. Blumen, Gemüse, Kräuter, Obstbäume.«
»Wir könnten Feigen anbauen – ja sogar Weinreben.« Uri lächelte breit.
»Und vielleicht ein Gewächshaus bauen.«
Er wählte seine Worte mit Bedacht. »Na ja, wie Sie ja selbst wissen, ist die Temperatur in einem umfriedeten Garten immer ein wenig höher als in einem offenen, deshalb sollte es möglich sein, an den Mauern Obst anzubauen, wo sich die Hitze speichert.«
Aoife nickte und blickte auf den Teppich vor ihr, während sie spürte, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg.
Wie Sie ja selbst wissen.
Einen kurzen Moment lang begegnete sie Uris Blick. Am liebsten hätte sie sich geohrfeigt, weil sie nicht im Vorfeld recherchiert hatte. Und das passierte ausgerechnet ihr!
»Können wir ihn uns ansehen?« Es war das erste Mal, dass Emily das Wort ergriff.
»Den Garten?«
»Ja.«
»Jetzt?« Darauf war sie nicht gefasst gewesen.
Emily nickte.
»Aber es ist schon dunkel.«
»Ich habe eine Taschenlampe dabei«, warf Uri ein.
Das wundert mich nicht, dachte Aoife mit einem Anflug von Bitterkeit, ehe sie sich rasch zur Ordnung rief. Sie konnte von Glück sagen, jemanden gefunden zu haben, der etwas von alldem verstand. Denn sie tat es nicht, wie man unschwer erkennen konnte.
»Aber was ist, wenn noch jemand kommt …« Ihre Stimme verklang. Ihre beiden Besucher sahen zur Uhr, dann zu ihr herüber. Es war neun Uhr. Keiner brauchte etwas zu sagen.
»Was ist mit Liam?«
»Ich kann mitkommen, Mummy.« Liams Worte fühlten sich feucht an ihrer Halsgrube an.
Wieso nicht?, dachte sie. Er war sowieso hellwach. »Okay.«
»Juhu!«, rief er, sprang von ihrem Schoß und lief hinaus; wahrscheinlich um seine Stiefel zu holen.
Dann fiel ihr etwas ein. »Aber ich habe die Schlüssel noch gar nicht.«
»Könnten wir nicht die Besitzerin fragen?«, meinte Uri.
»Das könnten wir wohl. Aber ich möchte sie nur ungern stören, es ist schon ziemlich spät.«
»Natürlich. Sie haben völlig recht. Kann man hineinsehen?«
»Es gibt ein Eisentor.«
»Na, dann.« Er stand auf.
Sie zogen ihre Mäntel an und gingen nach draußen.
Es fühlte sich merkwürdig an, mit Liam an der Hand neben zwei Wildfremden durch die dunklen Straßen zu gehen. Dichte weiße Atemwölkchen entströmten ihren Mündern. Die meiste Zeit schwiegen sie, nur Liams ununterbrochene Fragerei durchbrach die Stille und löste die Anspannung.
Als sie den Garten fast erreicht hatten, trat Uri neben sie. »Sind Sie Gärtnerin?«
Genau vor dieser Frage hatte sie sich gefürchtet. »Nein, ich bin Dozentin.«
»In Agrarwissenschaft?«
»Nein. Englisch.« Sie sah ihn an. Er hatte den Blick gesenkt. »Und Sie?«
»Ob ich Gärtner bin?«
»Genau.«
»Nein, nur interessierter Laie. Von Beruf bin ich Schneidermeister.«
»Oh.«
Das erklärte sein makelloses Erscheinungsbild. Ob er sah, dass sie ihre Sachen bei Dunnes von der Stange kaufte?
»Hier ist es.«
»Oh, den kenne ich«, sagte Emily.
Sie traten vor das Tor und spähten in die Dunkelheit. Die nächste Straßenlaterne stand ein gutes Stück entfernt. Uri knipste seine Taschenlampe an und richtete den hellen Strahl in den Garten. Sie pressten die Gesichter gegen die Eisenstäbe und folgten mit ihren Blicken dem Lichtkegel, als er die einzelnen Ecken erhellte. Sie betrachteten alles. Waren wie verzaubert. Gut.
»Darf ich auch mal leuchten?«
Uri reichte Liam die Taschenlampe, der ihren Strahl ziellos umherschweifen ließ.
»Tja«, sagte Aoife schließlich, »was denkt ihr?«
»Ich bin dabei«, erklärte Uri.
»Ich auch«, meinte Emily.
Gut.
Gut.
Es geschah tatsächlich. Sie würde es tatsächlich tun. Sie und ihre Armee aus zwei Freiwilligen. Aus diesem Grund stand sie an einem regnerischen Dezembermorgen zum dritten Mal auf Mrs Prendergasts Schwelle. Ihre Finger hatten kaum den Messingklopfer berührt, als die Tür bereits aufging.
»Ich habe mich schon gefragt, wann Sie wieder auftauchen.«
Wie reizend.
»Guten Morgen, Mrs Prendergast. Ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen, dass ich Ihr Angebot annehme. Wir fangen gleich nach Weihnachten an.«
»Wir?«
»Ich und meine freiwilligen Helfer.«
»Viele?«
»Anfangs nur ein paar.«
»Also gut.« Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen.
»Mrs Prendergast?«
»Was?«
»Ich brauche einen Schlüssel.«
Sie nickte und verschwand im Haus. Aoife hörte, wie sie eine Schublade aufzog und darin kramte. Wenig später kehrte sie mit einem großen, rostigen Schlüssel zurück. »Hier. Ich hatte ihn herausgesucht, für den Fall, dass Sie noch einmal kommen. Er ist für das Vorhängeschloss. Ich weiß aber nicht einmal, ob es sich überhaupt noch öffnen lässt.«
Sie reichte ihn Aoife mit einem eigentümlichen Blick, als wisse sie nicht recht, was sie von ihr halten sollte. Dann schloss sie die Tür.
Auf dem Weg die Treppe hinunter spürte Aoife, wie Freude in ihr aufstieg. Am liebsten hätte sie laut gesungen. Mit federnden Schritten bog sie um die Ecke und schlug den Weg zum Tor ein. Der Schlüssel passte. Aber das war es auch schon. Sie zerrte und zog, fummelte und probierte. Nichts. Sie verfluchte ihre schwachen Frauenhände. Michael hätte das Schloss aufbekommen.
Verärgert über diesen Gedanken versuchte sie es noch einmal, diesmal mit mehr Entschlossenheit, wobei sie stöhnte wie ein Wimbledon-Spieler. Gerade als sie aufgeben wollte, spürte sie, wie das Metall nachgab. Wie etwas ineinandergriff. Ein leises Hochgefühl erfasste sie, als sich das Vorhängeschloss öffnete und ihr in die Hände fiel. Sie löste die Kette – einmal, zweimal, dreimal. Das Tor ging mit einem Quietschen auf, das eines Hitchcock-Films würdig gewesen wäre. Wann hatte es wohl jemand das letzte Mal geöffnet? Eilig trat sie hindurch und zog das Tor hinter sich zu.
Wie still es war. Beinahe unheimlich. Mit einem Mal fühlte sie sich völlig vom Rest der Welt abgeschnitten. Fern vom vorbeirauschenden Verkehr, von Passanten. Hier herrschte vollkommene Stille. Die Zeit schien stillzustehen. Seit vierzig Jahren unberührt. Vorsichtig trat sie in die Mitte des Gartens und fühlte sich, als würde sie jeden Moment unsichtbar. Sie beugte sich vor und berührte die Wasserlinsen auf dem Teich, unter denen eine trübe, dunkelgrüne Brühe zum Vorschein kam. Man konnte den Grund nicht erkennen. Aoife schätzte, dass er etwa dreißig Zentimeter tief sein musste, doch er hätte ebenso gut endlos sein können. Die Erde war aufgeweicht vom Regen, und es herrschte Windstille. Der Garten schien zu atmen, rings um sie, die Pflanzen schienen leise und unbemerkt zu wachsen.
Sie sank auf die Knie und begann zu weinen.
Myrtle senkte den Kopf und verriegelte das Schloss. Das war es. Sie würde den Schlüssel irgendwo aufbewahren, wo niemand ihn fand. Durch die Gitterstäbe warf sie einen letzten Blick hinein. Ein Blick hinein oder hinaus? Sie konnte es nicht sagen, sondern wusste nur eins: Sie würde nicht hierher zurückkehren.
Weihnachten lag hinter ihnen. Und je weniger dazu gesagt wurde, umso besser. Es war höchste Zeit für einen Neubeginn. Und im Garten würde er seinen Anfang nehmen.
Aoife hatte ihre Familie gebeten, ihr in diesem Jahr Gartenutensilien zu Weihnachten zu schenken, ohne auf ihre Bemerkungen und schiefen Blicke zu achten – die sich lediglich deshalb im Rahmen hielten, weil sie keine Ahnung hatten, dass Aoife nur einen handtuchgroßen Vorgarten mit ein paar Kübelpflanzen hatte. Also hatte sie einen Spaten, eine große und eine kleine Grabegabel, eine Schaufel, eine Schere zum Stutzen kleinerer Äste sowie eine zweite bekommen, mit der die größeren beschnitten wurden. Sie hatte sich auch mit Fachliteratur eingedeckt, da ihr bewusst geworden war, dass sie allein mit ihren Kenntnissen über die Legende von Amor und Psyche beim Anlegen eines echten Gartens nicht allzu weit kommen würde. Nicht dass sie sich Hoffnung machte, bei Uri damit Eindruck zu schinden. Dieser Zug war wohl abgefahren.
Am ersten Morgen erwarteten sie beide vor dem Tor. Sie sah sie, bevor sie sie bemerkten. Uri hatte die Hände tief in den Manteltaschen vergraben und spähte durch die Gitterstäbe, die bestimmt von einer Reifschicht überzogen waren. Emily hingegen stand in ihrer offenbar typischen Körperhaltung da und starrte ins Leere.
»Tut mir leid, dass ich zu spät komme. Ich habe Liam in den Kindergarten gebracht, er wollte mich aber nicht gehen lassen. Bestimmt spürt er, dass etwas in der Luft ist.« Atemlos und mit rosigen Wangen trat sie vor die beiden. Ihre Nase lief von der kalten Luft, so dass sie sie ununterbrochen mit einem aufgeweichten Zipfel Toilettenpapier abwischen musste. Uri lächelte sie breit an, während Emily knapp nickte. Ihr fiel auf, dass auch sie Gartengerätschaften mitgebracht hatten. Umso besser.
Diesmal musste sie nicht mehr ganz so erbittert kämpfen, um das Schloss aufzubekommen. Schließlich traten sie ein. Emily blieb nach wenigen Schritten stehen und sah sich um. Uri ging bis ans hintere Ende, beugte sich vor und begutachtete alles, während er unablässig vor sich hin murmelte. Aoife ließ ihnen ein paar Minuten Zeit, um sich mit dem Garten vertraut zu machen, ehe sie zu ihr zurückkehrten. Uri schien voller Tatendrang zu sein, während Emily sie erwartungsvoll musterte.
»Wo fangen wir an?«
Dies war ein heikler Moment für Aoife. Uri wusste eindeutig wesentlich mehr über das Gärtnern als sie, trotzdem ordnete er sich ihr unter. Sie war nicht ganz sicher, wie sie reagiert hätte, wenn er versucht hätte, das Ruder zu übernehmen. Vielleicht hätte sie ihn sogar gewähren lassen. Aber er hatte es nicht getan. Also …
»Tja, hier herrscht ja ein ziemliches Chaos, deshalb müsste wohl als Erstes aufgeräumt werden.«
»Allerdings«, stimmte Uri zu und lächelte, als hätte sie etwas wirklich Intelligentes von sich gegeben und nicht etwas, das unübersehbar auf der Hand lag. »Natürlich wäre es besser gewesen, wenn wir damit schon im Herbst angefangen hätten, aber das soll uns jetzt nicht weiter kümmern.«
»Klar«, erwiderte Aoife und spürte, wie sie eine Woge der Aufregung erfasste. Diese Erkenntnis hatte sie bereits im Zuge ihrer Recherchen gewonnen. »Gut. Könnte sein, dass wir ein paar erhaltenswerte Pflanzen finden, deshalb sollten wir vorsichtig vorgehen, was wir herausreißen.« Sie richtete die Worte an Emily, die ebenso ahnungslos zu sein schien wie sie selbst. »Also«, sagte sie, »legen wir los.«
Drei Tage brachten sie damit zu, Unkraut zu jäten, zu stutzen und zu hacken. Am zweiten Tag setzte leichter Schneefall ein. Uri brachte einen Besen mit, um die oberen Äste der winterharten Sträucher und Bäume davon zu befreien.
»Aber es sieht so hübsch aus«, meinte Aoife.
»Wenn wir den Schnee drauflassen, könnten sie Schaden nehmen.«
»Oh.«
»Ich habe mir Gedanken gemacht«, meinte er. »Möglicherweise bekommen wir ja einen Zuschuss aus der öffentlichen Hand bewilligt.«
»Meinen Sie?«
»Wenn wir das Ganze als Gemeindeprojekt laufen lassen. Das könnte helfen, die Kosten für die Pflanzen zu decken. Soll ich mich darum kümmern?«
»Ja, bitte.«
»In der Zwischenzeit könnte ich jede Menge Stecklinge vorbeibringen.«
»Das wäre toll, Uri.«
Und das war es auch. Er war toll – mit seiner albernen und doch bezaubernden Art, sich ihrer Autorität zu unterwerfen. Dabei wäre sie ohne seine Hilfe geliefert, und zwar auf der ganzen Linie. Das war die Wahrheit. Es war, als sei er ihr geschickt worden – geradewegs aus einem Zauber-Versandhauskatalog.
Der Schnee lockte auch Liam nach draußen, wo er auf seinem gelben Spielzeugtraktor auf den halb geräumten Gehsteigen herumfuhr. Aoife hoffte, dass seine Gegenwart die beiden nicht störte. Aber es hatte nicht den Anschein. Ihr war aufgefallen, dass Emily ihn eindringlich musterte, doch sie schien nicht verärgert zu sein, sondern eher neugierig. Uri hingegen erzählte ihm Geschichten. Lange, verworrene Märchen, meistens mit Drachen und Liam als dem unbezwingbaren Helden. Sie redeten nicht viel, die drei Erwachsenen. Abgesehen vom knappen »Könnte ich mal die Gartenschere haben?« und derlei Dingen schien es auch nicht nötig zu sein. Zwischen ihnen herrschte ein Schweigen, das Aoife als eigentümlich behaglich empfand, wenn man bedachte, dass sie einander praktisch nicht kannten. Es musste etwas mit ihrem gemeinsamen Vorhaben zu tun haben.
Am dritten Tag, einem Sonntag, beschlossen sie, bis zum Nachmittag zu bleiben. Ihr Mittagessen bestand aus Ziegenkäse und einem Chutney aus grünen Tomaten, dazu Bio-Äpfel und Mineralwasser mit einem erfrischenden Schuss Holundersaft. Für die Verpflegung hatte Emily gesorgt, deren Tante zufällig der Good Food Store gehörte. Aoife brachte eine Thermoskanne Tee mit, Uri die Becher. Liam bekam die erste Gobstopper-Zuckerkugel seines Lebens, die er unter den strengen Blicken seiner Mutter lutschte. In regelmäßigen Abständen streckte er die Zunge heraus. »Welche Farbe hat sie jetzt?«
»Rot«, antwortete Aoife.
»Grün«, meinte Uri.
»Blau«, sagte Emily.
Es war später Sonntagnachmittag, und das Licht schwand bereits.
»Sollen wir für heute Schluss machen?«, fragte Aoife.
»Ich denke schon«, erwiderte Uri.
Sie traten zurück, um ihr Tagwerk in Augenschein zu nehmen. Allmählich wurde die ursprüngliche Aufteilung des Gartens erkennbar.
»Natürlich«, fuhr Uri fort, »werden wir im Frühling, wenn das Wachstum einsetzt, tüchtig jäten müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Unkraut rauskommt.«
Aoife nickte mit ernster Miene, während sie innerlich beinahe jubilierte. Was kümmerte sie schon ein bisschen Unkraut? Man musste sich nur mal ansehen, was sie in drei Tagen geschafft hatten!
»Kommt her! Schnell.« Emily. Laut rufend. Emily, über deren Lippen normalerweise kaum mehr als ein Flüstern kam. Die beiden liefen zu ihr hinüber, in der Erwartung, sie mindestens mit ausgestrecktem Finger auf etwas zeigen zu sehen. Stattdessen kauerte sie auf dem Boden und strahlte, als sei sie Zeuge einer Erscheinung. »Seht nur.«
Aoife und Uri richteten den Blick auf die Stelle, die Emily freigelegt hatte.
Und da, im schwindenden Licht des Tages, so klein und weiß, blühte ein Schneeglöckchen.
Emilys Zukunft erstreckte sich vor ihr wie die Graslandschaft Montanas. Endlos. Grenzenlos in ihren Möglichkeiten. Sie war noch nie in Montana gewesen, hatte aber Der Pferdeflüsterer im Kino gesehen. Trotzdem trug sie genau dieses Bild von sich in ihrem Herzen, seit sie von zu Hause fortgegangen war, um das College zu besuchen.
Vielleicht lag es daran, dass ihre Familie so groß war, so dominant und ihr Zuhause im Vergleich dazu so klein. Sie hatte nie ein eigenes Zimmer gehabt, nie allein sein können. Genau aus diesem Grund hatte sie irgendwann angefangen, sich in die großzügigen, herrlich eingerichteten Räume ihrer Fantasie zurückzuziehen. Und genau aus diesem Grund empfand sie ihr winziges Apartment mit einem einzigen Fenster wie den Palast von Versailles, großzügig, strahlend und voller Pracht. Beim Aufwachen lag sie im Bett und spürte die Sonne auf ihren geschlossenen Lidern, die alles blutrot färbte. Sie krümmte ihre Zehen und legte die Arme hinter den Kopf. Sie malte sich aus, wie ihr dunkles Haar sich wie ein Fächer auf dem weißen Kopfkissen ausbreitete, und genoss das Gefühl des Alleinseins, genoss es, jung und frei zu sein und endlich Raum zu haben, um diejenige zu werden, die sie war.
Emily wusste, dass sie sich selbst belog, wenn sie behauptete, sie hätte sich vom ersten Tag an auf dem College so gefühlt. Ganz im Gegenteil – sie hatte mächtige Angst gehabt. Diese Mädchen aus der Stadt kamen ihr so unglaublich selbstsicher vor und gaben ihr das Gefühl, eine völlige Loserin zu sein. Es ging weniger darum, was sie taten und sagten; vielmehr lag das Problem darin, wie sie waren. Deshalb hatte Emily sich eine Art Strategie zurechtgelegt. Über Wochen hinweg hatte sie die anderen genau beobachtet – wie sie sich bewegten und sich gaben, allem voran aber, wie sie ihre Klamotten trugen. Am Montag der dritten Woche war sie bereit – knabenhafte Frisur, schlicht und ganz glatt. Dazu hellbraune Ugg-Boots, schwarze Strumpfhosen, einen Jeansrock und eine kurze schwarze taillierte Lederjacke. Um den Hals hatte sie einen Schal drapiert, den sie in Temple Bar erstanden hatte. Ihre Tasche und ihr Schmuck waren secondhand; besonders gern mochte sie die langen Ohrringe, die ihr das Gefühl gaben, als wäre sie Nofretete, die ägyptische Königin. Nichts erinnerte mehr an die Bauerntochter, die sie war, und sie war endlich bereit, sich unter ihre Kommilitoninnen zu mischen. Sie beschloss, sich während der Vorlesung neben eines der Mädchen zu setzen, die ähnlich aussahen wie sie, und darauf zu vertrauen, dass sich irgendwann von allein ein Gespräch ergeben würde.
Und die Strategie ging auf. Ehe sie sich‘s versah, war sie Teil eines magischen Zirkels von Mädchen, die ihrem Bestreben nach Individualität gerecht wurden, indem sie identische Sachen trugen und identische Ansichten vertraten. Ein Teil von ihr wusste, dass diese Fassade jederzeit in sich zusammenfallen könnte, aber bislang hatte noch niemand gemerkt, dass sie eigentlich überhaupt nicht cool war. Mission geglückt.
Die Jungs waren etwas anderes. Sie waren überall, in jeder nur erdenklichen Form und Gestalt, ihr Lachen laut vor übersteigertem Selbstwertgefühl. Voller Ehrfurcht beobachtete sie sie. Sie fühlte sich wie damals als kleines Mädchen, als sie davon geträumt hatte, über Nacht in einem Bonbongeschäft eingeschlossen zu sein, obwohl es bislang noch nicht einmal zu einem Kuss gekommen war. Sie wollte keinen Fehler machen und sich für den Falschen entscheiden. Es war viel zu wichtig, die richtige Wahl zu treffen.
Eines Abends, irgendwann zu Beginn des zweiten Semesters, saß sie in der College-Bar. Draußen war es kalt, wohingegen sich die Bar einladend und gemütlich anfühlte. Sie saß inmitten fünf oder sechs rauchender, lachender, plaudernder Kommilitoninnen. Auf der anderen Seite des Raums hatte sich ein Grüppchen Jungs niedergelassen, die Bier tranken und die Coolen spielten.
Einer der Jungs, Joe, hatte Emily bemerkt, noch bevor er ihr aufgefallen war. Sein Freund Niall hatte ihn auf sie aufmerksam gemacht. Er stieß Joe an. »Wie findest du die da?«
»Welche?«
»Die auf zwölf Uhr. Dunkle Haare, Beine übereinandergeschlagen.«
Joe warf einen verstohlenen Blick hinüber, dann wandte er sich wieder seinem Bier zu. »Sieht wie eine Bibliothekarin aus.«
»Ja, aber wie eine echt heiße Bibliothekarin. Als wollte sie sich jeden Moment die Brille runterreißen und es dir auf dem Tisch besorgen.«
»Sie trägt überhaupt keine Brille.«
»Du weißt schon, wie ich es meine.«
»Du siehst dir eindeutig zu viele Pornos an.«
»Zu viele Pornos? Kann gar nicht sein.«
Joe sah erneut hinüber. Sie sah nett aus. Klein und dunkelhaarig und adrett. Auf eine unauffällige Art hübsch. Und so, als wäre sie nicht so ohne weiteres zu knacken. Was das Ganze noch spannender machte.
»Lust sie kennenzulernen?«
»Was? Einfach so?«
»Ich kenne eine ihrer Freundinnen. Sie ging in dieselbe Klasse wie meine Schwester. Die müssen im ersten Jahr sein. Los, komm.«
Und so kam es, dass die beiden Jungen den Raum durchquerten und sich den Mädchen vorstellten. Joe setzte sich so dicht neben Emily, wie er nur konnte. »Hi, ich bin Joe.«
»Emily.«
»Hübscher Name.«
»Danke.«
»Bist du im ersten Jahr, Emily?«
Sie nickte.
»Was studierst du denn?«
»Englisch. Schlicht und einfach.«
Englisch – ein schnörkelloses Fach, das perfekt zu ihr passte, fand Joe. Es unterstrich ihre Klarheit.
»Ich studiere Maschinenbau. Drittes Jahr«, erklärte er, da er, völlig korrekt, vermutete, dass sie ihn höchstwahrscheinlich nicht danach gefragt hätte. Und wie vermutet nickte sie nur knapp. Andere Jungen hätten angesichts ihrer Zurückhaltung zum Rückzug geblasen, Joe hingegen war zutiefst beeindruckt von dieser Eigenschaft, vor allem bei Frauen.
»Tja. Kommst du häufiger hierher?«
»Manchmal.«
»Wieso treffen wir uns nicht am Donnerstagabend?«, schlug er vor. »Nur du und ich«, fügte er hinzu, um eventuelle Missverständnisse auszuräumen.
Emily senkte den Blick und schwieg, was Joes Entschlossenheit noch mehr schürte.
»Um acht?«
»Okay.«
»Sicher?«
»Ja.«
Joe strahlte, und kurz darauf waren er und Niall zu ihren Plätzen zurückgeschlendert.
Emilys Freundin Rebecca – die ehemalige Klassenkameradin von Nialls Schwester – setzte sich auf den Stuhl, von dem Joe gerade aufgestanden war. »Das sah ja recht vertraut aus.«
Emily konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm ausgehe.«
»Was?«
»Nicht so laut – sie sitzen da drüben.«
Die beiden Mädchen sahen zu Joe und Niall hinüber, die sich wieder im Kreis ihrer Rugby-Kumpane befanden.
»Wahrscheinlich reden sie gerade über dich«, vermutete Rebecca.
»Hör auf!«
»Ich ziehe dich doch nur auf! Wohin führt er dich denn aus?«
Emilys Begeisterung schwand sichtlich, als ihr aufging, dass er sie nicht in ein schickes Restaurant eingeladen hatte. »Wir treffen uns hier auf einen Drink.« Sie sah Rebecca an, dass diese genau dasselbe dachte.
»Na ja, immerhin ein Anfang«, meinte sie.
Donnerstagabend. Emily war einem hysterischen Anfall nahe. Nur noch zwanzig Minuten, dachte sie und sah in den Badezimmerspiegel, der unter ihren Atemzügen beschlug. Wenn er sie nun versetzte? Ihr Magen zog sich zusammen. O Gott, was sollte sie dann machen? Ausgerechnet in der College-Bar, vor all ihren Freunden und Kommilitonen. Und selbst wenn nur Wildfremde dort wären, würde sie es ihren Freundinnen beichten müssen. Rebecca hatte Gott und der Welt von ihrem »Date« erzählt – falls es überhaupt eines war. O Gott, sie glaubte nicht, dass sie die Demütigung ertragen würde, wenn er sie versetzte.
Sie musste sich eine Strategie überlegen. Sie würde einfach etwas zu lesen mitnehmen. Jemand hatte ihr gerade Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins