Ein Geheimnis - Philippe Grimbert - E-Book

Ein Geheimnis E-Book

Philippe Grimbert

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Beschreibung

Philippe ist fünfzehn, als ihm Louise, eine Freundin der Familie, ein über Jahre gehütetes Geheimnis enthüllt. Die Grimberts sind Juden und haben das Leben im besetzten Paris keineswegs so unbeschadet überstanden, wie sie Philippe bislang glauben machen wollten. Der als Einzelkind aufgewachsene Philippe wird an eine von allen verdrängte Vergangenheit seiner Familie herangeführt, in der es den großen Bruder seiner Phantasie tatsächlich gegeben hat.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2010

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Philippe Grimbert

Ein Geheimnis

Roman

Aus dem Französischen von

Holger Fock und Sabine Müller

Suhrkamp

Titel der französischen Originalausgabe: Un secret

Umschlagfoto: Thurston Hopkins/

Hulton Archives/getty images

ebook Suhrkamp Verlag Berlin 2010

© Editions Grasset & Fasquelle, 2004

© der deutschen Übersetzung

Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2005

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das

der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

www.suhrkamp.de

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN: 978-3-518-73560-2

Für Tania und Maxime,

für Simon.

I

Als Einzelkind hatte ich lange Zeit einen Bruder. Meine Ferienbekanntschaften, meine Spielgefährten mußten mir aufs Wort glauben, wenn ich ihnen dieses Märchen auftischte. Ich hatte einen Bruder. Schöner als ich, stärker als ich. Einen älteren Bruder, erfolgreich und unsichtbar.

War ich bei einem Freund zu Besuch, wurde ich immer neidisch, wenn die Tür aufging und ein anderer erschien, der ihm ein wenig ähnelte. Zerzaustes Haar, ein spöttisches Lächeln, mit zwei Worten wurde er mir vorgestellt: »Mein Bruder.« Ein Rätsel, dieser Eindringling, mit dem alles geteilt werden mußte, sogar die Liebe. Ein echter Bruder. Einer, dem man ähnlich sah, in dessen Gesicht man gemeinsame Züge entdeckte, eine widerspenstige Strähne oder einen Wolfszahn, ein Zimmergenosse, den man in- und auswendig kannte, dessen Stimmungen, Vorlieben, Schwächen, Gerüche einem vertraut waren. Für mich, der ich allein über das Reich unserer Vier-Zimmer-Wohnung herrschte, ein wunderliches Wesen.

Obwohl ich die Liebe und Zärtlichkeit meiner Eltern mit niemandem teilen mußte, schlief ich unruhig, wälzte mich mit schlimmen Träumen im Bett. Ich weinte, sobald die Lampe ausgeknipst wurde, ich wußte nicht, wem die Tränen galten, die über mein Kopfkissen liefen und in der Nacht versanken. Da ich mich schämte, ohne die Ursache dafür zu kennen, mich oft grundlos schuldig fühlte, zögerte ich den Augenblick des Einschlafens hinaus. Meine Kinderwelt lieferte mir täglich Anlässe zu Traurigkeit und Ängsten, die ich in meiner Einsamkeit hegte. Es mußte jemand her, der diese Tränen mit mir teilte.

Eines Tages war ich dann nicht mehr allein. Ich hatte mich nicht davon abbringen lassen, meine Mutter in das alte Dienstmädchenzimmer unter dem Dach zu begleiten, das wir als Abstellkammer benutzten und wo sie ein wenig aufräumen wollte. Ich entdeckte dieses unbekannte Zimmer mit seinem muffigen Geruch, seinen wackligen Möbeln und Stapeln von Koffern mit rostigen Schlössern. Sie hatte den Deckel eines Koffers angehoben, in dem sie alte Modemagazine zu finden hoffte, die früher ihre Zeichnungen veröffentlicht hatten. Als sie dort auf einem Stapel Decken einen kleinen Hund mit Bakelitaugen liegen sah, zuckte sie kurz zusammen. Der Plüsch war abgewetzt, die Schnauze staubig, und er trug ein gestricktes Hundedeckchen. Ich hatte ihn mir sofort geschnappt und an die Brust gedrückt; als ich aber das Unbehagen meiner Mutter spürte, verzichtete ich darauf, ihn in mein Zimmer mitzunehmen, und legte ihn wieder zurück.

In der darauffolgenden Nacht preßte ich zum ersten Mal meine nasse Wange an die Brust eines Bruders. So war er in mein Leben getreten, und ich würde ihn nie mehr allein lassen.

Seit jenem Tag lebte ich in seinem Schatten, wandelte ich auf seinen Spuren wie in einem zu großen Anzug. Er begleitete mich zum Spielplatz, in die Schule, und jedem, den ich traf, erzählte ich von ihm. Zu Hause erfand ich sogar ein Spiel, damit er an unserem Familienleben teilhaben konnte: Ich bat darum, auf ihn zu warten, bevor wir uns zu Tisch setzten, ihm einzuschenken, bevor man mir einschenkte, seine Feriensachen einzupacken, bevor meine gepackt wurden. Ich hatte mir einen Bruder geschaffen, hinter dem ich mich verstecken konnte, einen Bruder, dessen Last ich mit ihrem ganzen Gewicht trug.

So mager, kränklich und blaß ich auch war, ich wollte unbedingt der Stolz meines Vaters sein. Von meiner Mutter wurde ich abgöttisch geliebt, schließlich war ich der einzige, der unter ihren durchtrainierten Bauchmuskeln herangewachsen, zwischen ihren sportlichen Schenkeln zur Welt gekommen war. Ich war der erste und der einzige. Vor mir, niemand. Bloß eine Nacht, ein Meer von Dunkelheit, ein paar Schwarzweißfotos, auf denen die Begegnung zweier ruhmreicher, in allen Disziplinen der Leichtathletik gestählter Körper festgehalten war, die später den Bund fürs Leben schlossen, um mich zu zeugen, mich zu lieben und mich zu belügen.

Ihren Erzählungen nach hatte ich schon immer diesen in unserem Land sehr gebräuchlichen Namen. Meine Abstammung verurteilte mich nicht mehr zum sicheren Tod, ich war nicht mehr jener dürre Zweig an der Spitze eines Stammbaums, den es zu kappen galt.

Meine Taufe fand so spät statt, daß ich mich noch gut erinnern kann: an die Handbewegung des Priesters, den Abdruck des nassen Kreuzes auf meiner Stirn, das Gefühl, als ich mich an den Priester schmiegte und unter dem bestickten Ende seiner Stola aus der Kirche hinaustrat. Ein Bollwerk, das mich vor dem himmlischen Zorn bewahren würde. Sollte der Sturm von neuem losbrechen, würde mich der Eintrag ins Taufregister schützen. Ich wußte davon nichts; still und gehorsam spielte ich das Spiel mit, bemühte mich wie alle, die mit mir feierten, zu glauben, daß wir nur ein Versäumnis nachholten.

Das unauslöschliche Zeichen, das mein Geschlechtsorgan trug, schrumpfte zur Erinnerung an einen notwendigen chirurgischen Eingriff. Da war nichts mehr von einem Ritual, es war eine ganz normale Entscheidung, getroffen aus rein medizinischen Gründen. Sogar unser Nachname hatte seine Narben: Auf Ersuchen meines Vaters waren zwei Buchstaben amtlich ausgewechselt worden, und durch die andere Schreibweise schlug er tiefe Wurzeln auf französischem Boden.

So setzte sich das Vernichtungswerk im verborgenen fort, das die Schlächter einige Jahre vor meiner Geburt betrieben hatten: Es begrub alles unter sich, was geheimgehalten und verschwiegen wurde, verstümmelte die Familiennamen, erzeugte Lügen, die Scham blieb. Obwohl die Verfolger besiegt waren, triumphierten sie noch immer.

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen kam die Wahrheit zum Vorschein. Es waren Kleinigkeiten: ein paar Scheibchen ungesäuerten Brots, die in goldbraun gebackenes Rührei getaucht wurden, ein Samowar in moderner Gestaltung auf dem Kaminsims im Wohnzimmer und, im Büfett verschlossen, ein Kerzenleuchter zwischen dem Tafelgeschirr. Und immer wieder diese Fragen: Regelmäßig erkundigte man sich nach der Herkunft des Namens Grimbert, machte sich Gedanken über seine richtige Schreibweise; man grub das »n« aus, das durch ein »m« ersetzt worden war, man stöberte das »g« auf, das von einem »t« verdrängt werden sollte, und wenn ich zu Hause von solchen Mutmaßungen berichtete, wischte mein Vater sie mit einer Handbewegung beiseite. Wir hätten immer so geheißen, hämmerte er mir ein, diese Selbstverständlichkeit dulde keinen Widerspruch: Die Spur unseres Familiennamens sei bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen, hieß nicht eine Figur des Roman de Renart* schon Grimbert?

Ein »m« für ein »n«, ein »t« für ein »g«, zwei winzige Veränderungen. Aber das »aime« (liebe) hatte das »haine« (Haß) verdeckt; da ich des »j’ai« (ich habe) beraubt war, gehorchte ich von nun an dem Gebot des »tais« (schweig).* Ich stieß zwar ständig gegen diese schmerzhafte Mauer, hinter der meine Eltern sich verschanzt hatten, aber ich liebte sie zu sehr, um das Wagnis einzugehen, die Grenzen zu überschreiten, an alte Wunden zu rühren. Ich war entschlossen, nichts zu erfahren.

Lange Zeit hat mein Bruder mir bei der Überwindung meiner Ängste geholfen. Ich spürte den Druck seiner Finger an meinem Arm, seine Hand, die durch mein Haar fuhr, und schöpfte daraus die Kraft, Hindernisse zu überwinden. Wenn ich auf der Schulbank seine Schulter an meiner spürte, fühlte ich mich sicher, und wenn ich abgefragt wurde, flüsterte er mir oft die richtige Antwort ins Ohr.

Er trug den Stolz der Rebellen zur Schau, die sich über alles hinwegsetzten, der Pausenhofhelden, die dem Ball hinterherflogen, der Eroberer, die über die Zäune kletterten. Unfähig, mich mit ihnen zu messen, lehnte ich mit dem Rücken an der Wand, bewunderte sie und wartete auf das befreiende Klingeln, um endlich wieder zu meinen Heften zu kommen. Ich hatte mir einen siegreichen Bruder ausgesucht. Niemand konnte ihn übertreffen, er gewann in allen Disziplinen, während ich meinem Vater meine Schwäche zeigte und die Enttäuschung ignorierte, die in seinem Blick lag.

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