Ein Junge namens Pechvogel - Patricia Vandenberg - E-Book

Ein Junge namens Pechvogel E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Gold Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. »Um vierzehn Uhr dreißig kommt der Chef der Firma Seghers und möchte ein neues Projekt mit Ihnen besprechen. Um fünfzehn Uhr fünfzehn erwartet Sie der Vorstand zum Strategie-Meeting. Um siebzehn Uhr ist dann jour fixe mit den Abteilungsleitern.« »Und danach kann ich mich endlich den Aufgaben widmen, für die ich eingestellt worden bin«, vollendete Vincent Holst seufzend die Aufzählung seiner Sekretärin Ella und schenkte ihr einen verzweifelten Blick. »Sie machen das schon, da bin ich ganz sicher«, bemühte sich die unscheinbare junge Frau mit den brünetten Haaren, ihrem Chef Mut zu machen. Vincent lachte erheitert. »Ihr Vertrauen ehrt mich. Ich werde mich bemühen, es nicht zu enttäuschen. Aber jetzt muß ich die Akten hinüber zu Janson bringen. Er hat mich schon zwei Mal daran erinnert.« »Kann ich das für Sie übernehmen?« bot Ella bereitwillig an. Doch der Revisor hob abwehrend die Hand. »Schon gut. Ich muß ihm noch ein paar Informationen über unsere Außendienstmitarbeiter geben. Das erledige ich am besten persönlich. Sonst fühlt er sich wieder vernachlässigt«, erklärte er augenzwinkernd, raffte die Unterlagen zusammen und erhob sich.

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Dr. Norden Gold – 59 –

Ein Junge namens Pechvogel

Unveröffentlichter Roman

Patricia Vandenberg

»Um vierzehn Uhr dreißig kommt der Chef der Firma Seghers und möchte ein neues Projekt mit Ihnen besprechen. Um fünfzehn Uhr fünfzehn erwartet Sie der Vorstand zum Strategie-Meeting. Um siebzehn Uhr ist dann jour fixe mit den Abteilungsleitern.«

»Und danach kann ich mich endlich den Aufgaben widmen, für die ich eingestellt worden bin«, vollendete Vincent Holst seufzend die Aufzählung seiner Sekretärin Ella und schenkte ihr einen verzweifelten Blick.

»Sie machen das schon, da bin ich ganz sicher«, bemühte sich die unscheinbare junge Frau mit den brünetten Haaren, ihrem Chef Mut zu machen.

Vincent lachte erheitert.

»Ihr Vertrauen ehrt mich. Ich werde mich bemühen, es nicht zu enttäuschen. Aber jetzt muß ich die Akten hinüber zu Janson bringen. Er hat mich schon zwei Mal daran erinnert.«

»Kann ich das für Sie übernehmen?« bot Ella bereitwillig an.

Doch der Revisor hob abwehrend die Hand.

»Schon gut. Ich muß ihm noch ein paar Informationen über unsere Außendienstmitarbeiter geben. Das erledige ich am besten persönlich. Sonst fühlt er sich wieder vernachlässigt«, erklärte er augenzwinkernd, raffte die Unterlagen zusammen und erhob sich.

»Soll ich Sie nicht doch wenigstens bis zu seinem Büro begleiten und Ihnen tragen helfen? Sie sehen ja kaum noch etwas«, rief Ella ihm nach, doch da war Vincent Holst schon zur Tür hinaus. Sie wollte ihm eben folgen, als das Telefon klingelte. »Keller Versicherungen, Sie sprechen mit dem Büro von Vincent Holst, was kann ich für Sie tun?« sagte sie den Spruch auf, den sie beinahe im Schlaf kannte. Geduldig hörte sie den Wunsch des Anrufers an, notierte seine Nummer und beendete das Gespräch mit dem Versprechen, Herr Holst werde sich demnächst melden. Ella hatte kaum aufgelegt, als der Apparat erneut klingelte. Diesmal war es der Chef, der einige Punkte zur Strategie-Sitzung besprechen wollte. Auch ihn vertröstete Ella freundlich aber bestimmt und versprach einen Rückruf, als draußen auf dem Flur das Unvermeidliche geschah.

»Au, das hat weh getan! Können Sie nicht aufpassen?« rief Charlotte Krüger empört und rieb sich das schmerzende schlanke Knie, während Vincent vor ihr auf dem Boden hockte und die Akten zusammensammelte.

»Es tut mir wirklich leid. Das wollte ich nicht.«

Als sich der erste Schmerz gelegt hatte, blickte Charlotte schmunzelnd auf den Kollegen hinab.

»Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir dieser Anblick gar nicht schlecht. Es kommt eher selten vor, daß ein Mann vor mir auf den Knien liegt.«

Vincents Blick wanderte von den makellosen Knöcheln über die schlanken Knie und den engen Minirock hinauf bis zu Charlottes Gesicht. Er setzte sich auf, rückte die Brille gerade und glättete seinen Scheitel.

»Leider ist meine Darbietung nicht gerade formvollendet. Das kann ich wirklich besser«, paßte er sich ihrem lockeren Ton an, woraufhin sich Charlotte Krüger bückte und ihm half, die restlichen Akten aufeinanderzustapeln.

»Wirklich?« fragte sie ihn dabei mit einem aufreizenden Lächeln. »Möchten Sie eine Gelegenheit, das zu beweisen?«

Vincent machte eine künstlerische Pause.

»Wenn ich das Drehbuch richtig im Kopf habe, sollte jetzt eine Einladung zum Essen folgen«, erinnerte er sich an die Etikette und betrachtete Charlotte augenzwinkernd.

Die lachte amüsiert.

»Sie sind wohl Cineast?«

»Zumindest gehe ich gerne ins Kino«, gestand Vincent und erhob sich, um Charlotte galant die Hand zu reichen, damit sie bequem aufstehen konnte.

»Tatsächlich? Eigentlich gehört das nicht in die Kategorie meiner favorisierten Freizeitbeschäftigungen«, zierte sich Charlotte, die sich eher eine Einladung in ein Luxusrestaurant denn einen Kinoabend vorgestellt hatte.

Obwohl Vincent nicht gerade das war, was man gewöhnlich unter einem Frauenkenner verstand, ahnte er, worauf Charlotte hinauswollte.

»Nun, vielleicht könnten wir einen Kompromiß schließen, und ich führe Sie nach dem Kino schick zum Essen aus.«

»Wenn wir den Kinobesuch vorher weglassen, bin ich einverstanden«, strahlte Charlotte zufrieden. »Wir sehen uns heute abend um acht bei Manzinis«, legte sie denn auch kurz entschlossen Ort und Zeit fest.

Obwohl Vincent seinen Terminplan nicht im Kopf hatte, nickte er zustimmend. Von einer Verabredung mit der schönen Charlotte Krüger träumte das gesamte Kollegium. Warum ausgerechnet er das große Los gezogen hatte, konnte er nur erahnen und wollte nichts tun, um diesen Glücksfall mit einer Unbedachtheit aufs Spiel zu setzen.

Trotz des schlechten Wetters war Dennis Holst wie meist guter Dinge. Singend und pfeifend schwang er den Besen, so daß die weiße Pracht vor ihm zu allen Seiten davonstob und den Weg freigab zu einem mehrstöckigen Wohnhaus. Der Atem stand ihm in kleinen Wolken vor dem Mund, dunkle Locken quollen unter der grauen Mütze hervor und seine Augen blitzten fröhlich. Doch sein Eifer war nicht von langer Dauer. Immer wieder hielt er inne, stützte sich auf den Stiel seines Besens und blickte sich neugierig um, ob nicht ein Objekt der Begierde des Wegs kam, dem er seine Aufmerksamkeit schenken konnte. Als sich ein Fenster über ihm öffnete, drehte er sich sofort um und lugte hinauf.

»Monika, mein Engel«, verzog sich sein voller, hübscher Mund sofort zu einem zufriedenen Lächeln. »Wie geht es dir heute morgen?«

Die Frau, die im Bademantel am Fenster erschienen war, warf ihm einen Handkuß zu.

»Ich habe solche Sehnsucht nach meinem edlen Ritter«, rief sie ihm zu, nachdem sie sich vorsichtig nach etwaigen Zuhörern umgesehen hatte.

Dennis lachte geschmeichelt.

»Das hört der Ritter gerne. Du weißt, daß ich jederzeit zu dir eile, wann immer du nach mir verlangst. Allerdings sollte dein Mann außer Haus sein«, bemerkte er ohne eine Spur schlechten Gewissens.

»Die Luft ist rein«, versprach die Hausmeistersfrau aufgeregt. »Beeil dich, Egon ist vorhin gegangen und wird erst am späten Nachmittag zurück sein.«

Das mußte sich Dennis nicht zweimal sagen lassen. Rasch stellte er den Besen in die Ecke, schon summte der Türöffner und wenig später hielt er die feste, wohlgenährte Hausmeisterfrau in den Armen.

»Mein Vollblutweib«, gurrte Dennis in ihr wohlgeformtes Ohr und drückte sie fest an sich, als ihn ein heiserer Schrei aus seiner Verzückung riß.

»Hab’ ich es mir doch gedacht!« rief Egon Mahler bebend vor Zorn. Er riß seine zu Tode erschrockene Frau aus Dennis’ Armen, schubste sie in eine Ecke, wo sie mit ängstlich aufgerissenen Augen und zitternd stumm stehenblieb.

»Es ist nicht so, wie Sie denken«, versuchte sich Dennis mit einer fadenscheinigen Erklärung aus dieser für ihn so mißlichen Lage zu befreien.

Egon lachte höhnisch.

»Diesen Spruch kenne ich. Zu viele Filme geschaut, was? Ich aber auch. Deshalb habe ich euer böses Spiel schnell durchschaut.«

»Aber du wolltest doch bis Nachmittag fort sein«, wagte Monika aus der Ecke einen leisen, dümmlichen Widerspruch.

Egon beachtete sie gar nicht, sondern starrte unverwandt auf den Kontrahenten, der ihm gegenüberstand, noch immer die Mütze auf dem Kopf.

»Nimm gefälligst die Mütze ab, wenn ich mit dir rede«, brüllte er und steigerte sich immer mehr in seine Rage hinein. »Von Anfang an hatte ich den Verdacht, daß du den Job nur wolltest, um an meine Frau heranzukommen. Jetzt habe ich die Bestätigung.«

»Das ist ein dummes Mißverständnis, ich schwöre es. Ich kann alles erklären«, beteuerte Dennis, der sich über die möglichen Konsequenzen durchaus im klaren war und sich jetzt, wo jegliche romantische Stimmung verflogen war, selbst hätte ohrfeigen mögen über seinen Leichtsinn. »Bitte geben Sie mir noch eine Chance«, flehte er.

Egon lachte.

»Du willst noch eine Chance?« fragte er mit dröhnender Stimme. »Also schön, ich will mal nicht so sein.«

Erleichtert atmete Dennis auf.

»Ich wußte, daß Sie ein vernünftiger, großzügiger Mann sind. Hiermit verspreche ich feierlich, daß ich mich in Zukunft nur noch um meine Arbeit kümmern werde. Sie werden wirklich zufrieden mit mir sein.«

»Ich bin wirklich zufrieden mit dir, wenn du deine Sachen packst und in fünf Minuten von hier verschwunden bist. Laß dich hier nie mehr wieder blicken!« knurrte Egon Mahler und nahm die Hand von Dennis’ schäbiger Winterjacke.

Der starrte den Hausmeister verwirrt an.

»Aber Sie sagten doch gerade, daß ich noch eine Chance bekomme.«

Egons düsteres Gesicht verfinsterte sich noch mehr.

»Du kannst von Glück sagen, wenn du die Anlage auf deinen eigenen zwei Beinen verlassen kannst. Das ist die Chance, die ich dir gebe. Und an deiner Stelle würde ich sie ganz schnell nutzen«, stieß er durch die Zähne und starrte Dennis so wütend an, daß der es vorzog, keine Widerworte mehr zu geben.

Ohne seine Geliebte noch eines Blickes zu würdigen, lief er aus der Wohnung ein Stockwerk nach oben. Dort lag sein armseliges Zimmerchen mit ein paar Habseligkeiten. Es war nicht großartig gewesen, aber immerhin ein Dach über dem Kopf, wo er in Ruhe hatte schlafen und malen können.

»Vorbei, alles verspielt, du Idiot!« schalt er sich selbst, während er seine wenigen Sachen in eine alte Sporttasche stopfte. Viel gab es nicht zu packen, und so verließ Dennis Holst wenig später und unter dem drohenden Blick des Hausmeisters ein weiteres Mal eine Wohnung und einen Arbeitsplatz. Ohne Geld, ohne Ziel vor Augen und ohne Hoffnung, je das Durchhaltevermögen zu haben, um ein anständiges Leben zu führen.

Um diese Jahreszeit wurde es schon früh dunkel, und Jana Petzold stand beunruhigt am Fenster der Bauernhofstube und blickte in 
die gespenstische Schneelandschaft hinaus. Als sie endlich eine kleine Gestalt entdeckte, die sich offenbar mühsam einen Weg durch den frisch gefallenen Schnee bahnte, seufzte sie erleichtert auf. Rasch steckte sie den Brief in den Umschlag, den sie die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte, steckte ihn zurück in die Schürzentasche und lief zur Tür.

»Mensch, Benni, wie oft soll ich dir noch sagen, daß du vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein sollst?« rief sie vorwurfsvoll in die Kälte. »Ich hatte schon Angst, dir ist wieder was passiert.«

»Reg dich nicht so auf! Es ist doch erst kurz nach fünf. Im Sommer treff ich mich um diese Zeit erst mit meinen Freunden«, kam eine unwillige Antwort, und Jana zog ihren frechen Sohn am Ohr.

»Es ist aber nicht Sommer. Außerdem weiß man bei dir nie so genau, ob du nicht wieder in irgendeinem Graben liegst oder unter einem Baum«, bemerkte sie vielsagend. »Und wie redest du überhaupt mit mir?«

»Selbstgewähltes Schicksal, du hast mich selbst so erzogen«, grinste Benni vorlaut. Seine Wangen waren von der Kälte knallrot, und als er die Mütze vom Kopf zog und achtlos auf den Boden fallen ließ, standen die feinen, rotblonden Haare ungewöhnlich zu allen Seiten ab.

»Das hab’ ich dir mit Sicherheit nicht beigebracht«, schimpfte Jana. »Los, heb die Sachen auf und leg sie auf den Kachelofen. Sonst hast du morgen keine trockenen Handschuhe, und ich muß deine schlechte Laune wieder ausbaden.«

»Wer hat hier schlechte Laune?« grinste Benni breit und drückte seiner Mama einen dicken Kuß auf die Wange.

So sehr sich Jana auch bemühte, so wenig konnte sie dem Charme des Zwölfjährigen widerstehen. Obwohl sie große Sorgen hatte, zauste sie ihm das ohnehin wirre Haar und lachte.

»Die arme Frau, die du mal heiratest. Hoffentlich erlebe ich das nicht mehr, sonst bekomme ich ordentlich geschimpft. Aber jetzt komm in die Küche. Ich habe uns heißen Kakao gekocht und Plätzchen gebacken.«

»Hmm, gibt’s die Nußmakronen mit der Haselnuß obendrauf?« leckte sich der Bub sofort hungrig die Lippen.

Jana lächelte.

»Wart’s ab. Erst die Sachen aufgeräumt, dann lüfte ich mein Geheimnis.«

Jana Petzold hatte kaum die Küche betreten, als Benni auch schon an ihrer Seite war. Die Aussicht auf eine solche Leckerei hatte ihm Flügel wachsen lassen, und seine Hoffnung wurde nicht enttäuscht. Mutter und Sohn machten es sich auf dem Kanapee in der Küche gemütlich. Der Ofen bullerte, Holzscheite knackten leise und ein köstlicher Duft aus verbrennendem Holz, Kakao und Vanille füllte die Luft. Eine Weile saßen sie schweigend beisammen, als Jana fragte: »Wir haben uns den ganzen Tag nicht gesehen. Wie war es denn überhaupt in der Schule?«

»Ganz gut. Stell dir mal vor, der Vater von Anneka Norden war heute da und hat im Biounterricht was über Erste Hilfe erzählt.«

»Das ist ja spannend. Dr. Norden ist ohnehin so nett. So einen Mann kann sich eine Frau nur wünschen.«

»So einen Papa kann sich ein Kind nur wünschen. Mann, an Annekas Stelle wäre ich superstolz auf ihn. Wir haben noch nie soviel gelernt und gleichzeitig soviel gelacht in einer Unterrichtsstunde wie diesmal. Sogar die Frau Wild hat kein einziges Mal gesagt, wir sollen leiser sein.«

Jana, die wußte, was gleich folgen würde, senkte traurig den Kopf und rührte nachdenklich in ihrer Kakao-tasse. Eine Strähne ihres hellroten, feinen Haares fiel ihr ins Gesicht. Mit den schlanken Fingern schob sie es zurück und sah sinnend aus haselnußbraunen Augen vor sich hin. Wieder waren ihre Gedanken zu ihrem drängenden Problem gewandert, doch Benni holte sie unsanft in die Wirklichkeit zurück. »Warum kann ich keinen Papa haben wie Dr. Norden?« kam prompt die trotzige Frage, auf die die junge Frau nur gewartet hatte.

»Dein Papa war auch ein wunderbarer Mensch, obwohl er ganz anders war als Daniel Norden«, antwortete sie zurückhaltend.

»Das nützt mir gar nichts, wenn er nicht mehr am Leben ist.«

»Tu doch nicht immer als wäre es meine Schuld«, gab Jana heftiger als beabsichtigt zurück. Diese leidigen Diskussionen um den Vater von Benni setzten ihr in letzter Zeit immer mehr zu. Je älter ihr Sohn wurde, desto genauer und bohrender wurden seine Fragen. Sie bewegte sich auf dünnem Eis.

»Es ist deine Schuld, daß du noch nicht mal ein Foto von ihm hast. Oder einen Brief. Oder wenigstens eine Postkarte, irgend was, woran ich sehen kann, daß es ihn wirklich gegeben hat«, machte Benni seiner Mutter bereits einen neuen Vorwurf. »Irgendwie hab’ ich das Gefühl, er war ein Gespenst oder Phantom oder so was«, steigerte er sich immer mehr in seinen Ärger hinein, mit dem er seine Verzweiflung kaschierte.

»Ich kann doch nichts dafür«, setzte Jana hilflos zu einer Verteidigung an.

Aber davon wollte Benni nichts wissen.

»Andere Jungs wachsen auch ohne Vater auf. Der Dad von Peter ist auf Montage und kommt nur alle Jubeljahre mal heim. Der Papa von Anja lebt nicht mehr bei der Familie, aber er telefoniert wenigstens ab und zu mal mit ihr und sie besucht ihn in den Ferien. Und der Vater von Dodo ist auch tot. Aber von dem gibt es massenhaft Bilder und Briefe und Zeichnungen. Persönliche Sachen. Nur ich, ich hab’ gar nichts. Das finde ich gemein.«

Als Benni an diesem Punkt angelangt war, knallte er die Tasse auf den Tisch, so daß der Kakao überschwappte und einen dunklen Fleck auf der gescheuerten, groben Holzplatte hinterließ.