Ein Kapitän im Hafen der Liebe - Anika Bischoff-Borrmann - E-Book

Ein Kapitän im Hafen der Liebe E-Book

Anika Bischoff-Borrmann

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Beschreibung

Robert Meuer ist 46 Jahre alt, Dauersingle aus Überzeugung und Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes in der Karibik. Wenn er nicht über die Meere schippert, wohnt er in Berlin bei seinem besten Freund Finn. Sein Leben kann er sich kaum perfekter vorstellen, bis zu dem Tag, als sein geliebter Vater plötzlich stirbt und er sich seither die Frage stellt, ob sein Leben eigentlich so weiter gehen soll. Besser macht das auch nicht die Bekanntschaft mit Anna, die charmante Bedienung einer Strandbar auf Grenada, zu der er sofort einen guten Draht hat und sich - weit weg von Zuhause - sogar in seiner Muttersprache unterhalten kann. Seit ihrer ersten Begegnung kann Robert nur noch an die hübsche Blondine mit den ozeanblauen Augen denken. Obwohl alles dagegenspricht, muss er sie einfach wiedersehen und steckt fortan bis zum Hals in Gefühlen und Drama.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Playlist

~ Anika Bischoff-Borrmann ~

Ein Kapitän im Hafen der Liebe

Eine Kapitänsliebesgeschichte

Impressum

© 2023

Anika Bischoff-Borrmann

Berlin

[email protected]

veröffentlicht über tolino media

ISBN: 9783757970956

Alle Rechte vorbehalten.

Text; Inhalt: Anika Bischoff-Borrmann

Covererstellung: canva.com

Coverbild: Black and White Modern Empty Boat Book

Coverschriftart: Rubik One; Montserrat Classic

Korrektur: privat, Duden Mentor Premium

Alle Personen in diesem Buch sind frei erfunden.

Diese Liebesgeschichte hat ein Mensch geschrieben.

Prolog

~ Robert ~

Mein Name ist Robert Meuer. Ich bin 46 Jahre alt und mein Leben ist der Hammer. So oder so ähnlich müsste meine Biografie beginnen, sollte jemals jemand über mich schreiben. Ich bin Kapitän auf einem Kreuzfahrtschiff, genauer gesagt auf der Majestic Mermaid, der majestätischen Meerjungfrau. Oder auch Nixe, wie ich dieses Schiff nenne. Ein Transatlantikliner der gehobenen Klasse, auf dem knapp 3000 Passagiere es sich gut gehen lassen können. Der Pott wurde einst für die Atlantiküberfahrt konzipiert. Gefühlt habe ich den Dampfer schon überall hingefahren. Seit einiger Zeit lenke ich die Nixe durch das Karibische Meer und so schön das auch klingen mag, für mich ist es Arbeit und kein Urlaub. Ich bin Berliner und lebe, wenn ich nicht 300 Tage im Jahr unterwegs bin, bei meinem besten Freund Finn in Berlin-Spandau. Finn ist seit über sechs Jahren geschieden und war damals so nett, mir ein Zimmer in seiner Männerhöhle anzubieten, da ich eh kaum zu Hause bin und somit nicht gezwungen war, eine eigene Wohnung zu finanzieren. Natürlich könnte ich mir diese leisten, aber es wäre auch irgendwo Quatsch, wenn ich das täte. Ich bin eh selten zu Hause. Finns 16-jähriger Sohn Benjamin, ein guter Junge, lebt bei seiner Mutter, hat aber selbstverständlich auch ein Zimmer bei seinem Vater. Finn und ich kennen uns seit der Grundschule. Tatsächlich könnten unsere Leben kaum unterschiedlicher sein. Er ist nicht nur Vater, sondern obendrein auch noch Bestatter von Beruf. Und er mag es sehr! Für mich ist beides schwer vorstellbar. Meine Mutter starb bereits, als ich ein Kind war. Mein Vater Uwe war fortan alles, was ich noch hatte. Geschwister habe ich keine. Stolz war mein Vater auf mich. Von jeder Insel wollte er immer eine Postkarte bekommen. Wir verstanden uns gut, ich liebte ihn abgöttisch. Vor einigen Wochen starb er bei einem Verkehrsunfall. Mein außerplanmäßiger Besuch in der Heimat, dazu kurz vor Weihnachten, hatte mir den Boden unter den Füßen entzogen. Mein Freund Finn half mir, wo er nur konnte. Es gibt niemanden, den ich mehr vertraue als ihm. Finn hat seit Kurzem eine Freundin, was mich sehr für ihn freut. Denn er ist - anders als ich - durch und durch ein Beziehungsmensch. Doch Finn war seit seiner Scheidung irgendwie fertig mit den Frauen, zwar nicht sexuell, aber beziehungstechnisch. Zum Glück änderte sich das, als er Marina Taube kennenlernte. Er und Täubchen brauchten zwar ein wenig Anlaufzeit, was hauptsächlich an Finn lag. Auch ich habe ihn ein wenig unter Druck gesetzt, indem ich ankündigte, mir Marina zu schnappen, sollte er es nicht auf die Reihe bekommen. Natürlich wollte ich meinen besten Freund nur aus der Reserve locken. Täubchen ist süß, keine Frage, aber niemals würde ich Finn eine Frau stehlen. Bruder kommt schließlich vor Luder! Mittlerweile sind die beiden fest zusammen, verliebt bis über beide Ohren und Finn hat Marina sogar gebeten, bei ihm einzuziehen. Was soll ich sagen? Täubchen war einverstanden. Finn hat zwar noch nichts gesagt, aber mein zukünftiger Auszug aus unserer kleinen Männer-WG steht damit außer Frage. Ich liebe Finn wie einen Bruder, auch ist er nicht nur mein einziger wahrer Freund, sondern nach dem Tod meines Vaters auch der einzige Bezug nach Berlin und vermittelt mir das Gefühl von Familie und das, obwohl wir nicht verwandt miteinander sind. Ich gönne ihm sein Glück mit Täubchen von Herzen. Die beiden fehlen mir sehr. Und schon sind wir bei meiner aktuellen Verfassung. Seit des Todes meines Vaters fühle ich mich ruhelos und spüre, wie Zweifel mich im Alltag begleiten, die ich früher niemals hatte. Ich vermisse die Freundschaft zu Finn, obwohl wir so oft wie möglich per Videochat miteinander sprechen, ist das nicht dasselbe, wie sich im realen Leben zu begegnen. Aber nun zurück zu den Wurzeln. Ich genieße das Leben, was ich führen darf, es ist geil! Beziehungen habe ich nicht. Verliebt war ich nie gewesen. Eine Familie gründen? Das war nie etwas, was mich interessierte. Wozu auch? Ich bin nicht wie Finn, ich bin kein Beziehungstyp, ich bin keine Vaterfigur. Wenn ich Sehnsucht nach Nähe verspüre, dann suche ich mir eine Frau für eine Nacht, doch ich bin kein Schwein. Vorher werden alle Bedingungen geklärt. Oder ich gehe in den Puff. Geld gegen Dienstleistung. Einfacher gehts kaum. Hatte ich nicht gesagt, dass mein Leben geil ist? Moment. Anna … Fast hätte ich Anna vergessen. Obwohl, Anna ist eigentlich niemand. Nur eine Kellnerin aus einer Bar. Was für ein Klischee! Sie hat eine reizende Figur, helle Haut, üppige Brüste, lange, blonde Haare und Augen, so blau wie der verdammte Ozean. Und sogar Sommersprossen. Zugegeben, sie ist ein heißes Teil. Als sie mir bei unserer ersten Begegnung vor ein paar Wochen in einer Bar auf Grenada ihre Telefonnummer gab, dachte ich daran, sie flach zu legen. Allerdings wollte sie nur sicherstellen, dass ich in Zukunft - als Kapitän - einen Tisch bekommen würde in der vollen Strandbar. Doch es kam anders. Nach ihrer Schicht in der Bar, wo ich die halbe Nacht nur Flaschencola trank und Erdnüsse aß, brachte ich sie nach Hause und wir unterhielten uns draußen auf ihrer Hollywoodschaukel. Ihr Lächeln steckte an und was das Tollste war, sie sprach tatsächlich Deutsch. Gibts denn so was? Deutsch kann ich so gut wie nie jenseits der Heimat sprechen. Klar sind auch mal Deutsche unter den Passagieren, jedoch habe ich mit den Gästen wenig zu tun. Und untereinander in der Crew wird ausschließlich in Englisch kommuniziert. Angeblich hat Anna Deutsch von den Touristen gelernt, aber so ganz kaufe ich ihr das nicht ab. Sich am anderen Ende der Welt in seiner Muttersprache unterhalten zu können, ist einfach grandios. Anna ist süß, charmant, lacht gern und redete über das Wetter. Sie erzählte aber auch ernste Sachen. Ihre Eltern hat sie bereits verloren. Eine traurige Sache, die wir gemeinsam haben. Weiter nachzufragen, vermied ich allerdings. Gespannt erklärte sie mir Dinge über den Mond und Sternformationen. Irgendwie verrückt, kitschig und doch reizend. Seither tauschen wir hin und wieder kurze Textnachrichten aus. Doch mehr ist da nicht und wird auch nicht zwischen uns passieren. Schließlich kellnert sie auf dieser gottverdammten Insel im Nirgendwo, ich bin als Pirat der Karibik, wie Finn mich gern nennt, stets unterwegs und binde mich obendrein an keine Frau. Wozu auch? Das Fick-Fenster habe ich aufgrund unserer Unterhaltung irgendwie auch verpasst und ist mittlerweile geschlossen. Doch das juckt mich nicht, schließlich bin ich Robert Meuer. Die meisten nennen mich Robbi. International auch gern mal Rob. Mein Leben ist unkompliziert und obendrein der Hammer.

Kapitel 1

Dominikanische Republik

~ Robert ~

Aus den Schiffslautsprechern plärrte Mobys „Lift me up“, während meine Crew und ich in der Kommandozentrale die Majestic Mermaid hoch konzentriert aus dem Hafen manövrierten. Zugegeben, ein geiler Auslaufsong. Doch irgendwie musste der Sänger doch von mir reden. Plain Talking. I am feeling so old. Nachdem ich vor knapp zwei Monaten, als ich vom Tod meines Vaters erfuhr, den Transatlantikliner völlig überstürzt verlassen hatte, war ich nun seit etwa zwei Wochen wieder an Bord und übernahm in der neuen Runde auch wieder die Position des ersten Kapitäns. Ja, erst jetzt. Schließlich konnten meine Kollegen wegen mir nicht ständig alles neuplanen. In Barbados war ich wieder an Bord gekommen und hatte seither zusätzlich in port manning, also quasi Innendienst und war nicht an Land gegangen. Was mich früher überhaupt nicht gestört hatte. Früher, das hieß, bevor ich Anna traf. Mit einer Textnachricht hatte ich sie vertröstet, dass ich nicht an Land kommen würde, als wir in Grenada halt machten. Sie hatte mit einem lapidaren „Kein Problem“ geantwortet. Seither war Funkstille, was mich natürlich nicht störte. Schließlich wollte ich nichts von ihr. Vermutlich hatte mich der Tod meines Vaters nur völlig aus der Bahn geworfen. Ich fühlte mich nicht nur alt, seit ich Papa beerdigt hatte, auch zogen immer mehr Zweifel in meinen Kopf ein. Nun startete eine erneute Schiffstour durch die Karibik, während meine Freunde in Berlin lebten und ich weiterhin mein Leben mit einem Haufen Ausländer verbrachte, wo absolut niemand meine Sprache konnte. Englisch war die Sprache, die wir hier sprachen. Es waren alles tolle Charaktere, keine Frage. Aber mein Vater war nun tot. War ich der Nächste? Gut, ich war 46 Jahre alt, gesund, rauchte nicht, trank so gut wie nie Alkohol. Wenn ich auf Reisen war, sowieso nicht, auch wenn das viele überraschte. Aber ich war der Kapitän, ich konnte nicht achtlos trinken und feiern. Im Gegenteil. Mein Vater Uwe starb im Straßenverkehr. Er fuhr im Berliner Winter ohne Licht und Helm auf seinem Fahrrad. Seither nagte die Was-wäre-wenn-Frage an mir. Doch das spielte keine Rolle. Genauso wenig wie Anna eine Rolle spielte. Da hatte ich also eine Frau kennengelernt, die zufällig Deutsch sprach. Mit der ich mich zufällig auf Deutsch unterhalten konnte, wenn ich in Grenada an Land ging. Die Betonung lag auf: Wenn ich an Land ging. Mehr war da nicht. Rund eine Woche würde nun unsere Runde durchs Karibische Meer bis nach Barbados dauern. In ein paar Tagen würde ich sie wiedersehen. Vermutlich. Was das mit meinen Gefühlen anstellte? Natürlich nichts! Denn sie brauchte mich nicht. Und ich brauchte sie erst recht nicht.

Das Nebelhorn trötete. Und ich wusste, dass sich die knapp 3000 Passagiere auf diesem Kreuzer der gehobenen Preisklasse alle auf dem Oberdeck versammelt hatten, um diesem Schauspiel beizuwohnen. „Das Baby schwimmt!“, rief Staff-Kapitän Jack Neil neben mir und ließ seine Handflächen aneinander klatschen, während sein Blick weiterhin auf die Monitore gerichtet war. „Erzähl mir was Neues!“, schnaubte ich amüsiert und blickte durch das Panaromafenster auf den türkisfarbigen Ozean.

Grenada

~ Anna ~

Die Majestic Mermaid war ausgelaufen, das zeigte mir die Applikation der Reederei auf meinem Mobiltelefon. Es war noch früh am Morgen. Seufzend schob ich das Handy von mir weg und streckte mich geräuschvoll in meinem Bett. Er ist auf dem Weg hierher. Wie lange hatte ich Robert nicht mehr gesehen? Fast zwei Monate? Viel zu lang. Dabei wusste ich alles noch, als wäre es erst gestern gewesen. Der unauffällige Kapitän war in der völlig überfüllten Strandbar erschienen, wo ich arbeitete. Er war nicht nur in Zivil gekleidet, er hätte glatt als Einheimischer durchgehen können. Er sah weder aus wie ein Kapitän, noch wie ein Tourist. Kein Rucksack, keine Kamera und keine Begleitung. Robert trug ein weißes T-Shirt sowie eine schwarze Sporthose und dunkle Sneakers, alles ohne erkennbare Markenzeichen. Und das war alles. Dazu eine orange Sonnenbrille im Pilotenstil. Der Typ hatte kurz rasierte, hellbraune Haare und hatte eine helle Hautfarbe wie ich. Und das fiel auf Grenada, wo der größte Teil der Einheimischen von Afrikanern abstammte, durchaus auf. Und wenn wir schon beim Thema Auffallen waren, sein Lächeln brachte mich zum Schmelzen. Und ich merkte schnell, dass ihm das sehr bewusst war. Er sah gut aus und wirkte auf Frauen, soviel war klar. Und tatsächlich war er der Kapitän der Majestic Mermaid, wie er mir angesichts der vollen Bar mitteilte, eines der bedeutsamsten Schiffe, die regelmäßig vor der Küste Grenadas Halt machten und zu groß für das direkte Andocken im Hafen war und die Passagiere deshalb mit Booten an Land gebracht wurden. Dass er nicht nur umwerfend aussah, traf mich wie ein Blitz, denn er war tatsächlich Deutscher. Und das zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht und ließ etwas in meiner Brust zucken. Niemand auf dieser Insel sprach Deutsch. Ich schaffte es ihm einen Platz zu organisieren und somit verfielen wir ganz automatisch in ein Gespräch. Mir fiel nicht gleich jedes Wort aus der deutschen Sprache wieder ein, aber meine Zunge hatte sich erstaunlich schnell daran gewöhnt, diese wunderbare Sprache wieder zum Leben zu erwecken. Und ließ mich an früher denken. An meine verstorbene Mutter. Als Robert mich nach meiner Schicht spontan nach Hause begleitete, konnte ich gar nicht anders, als mich mit ihm auf die Veranda zu setzen, um mich noch weitere Stunden in dieser tollen Sprache zu unterhalten. Und wer konnte zu diesem charmanten Lächeln schon Nein sagen? Offensichtlich ich nicht. Auch hatten es mir diese parkettbraunen Augen viel zu schnell angetan. Keine Ahnung, warum er so intensiv auf mich wirkte. So schön dies auch alles gewesen war, es war schon viele Wochen her gewesen. Ich wusste, dass er ungeplant in seine Heimat reisen musste, da sein Vater überraschend gestorben war. Seither schrieben wir uns hin und wieder und auch nur kurz und knapp. Gern hätte ich ihm viel mehr geschrieben. Doch dann saß ich vor meinem Mobiltelefon, hatte minutenlang auf den Bildschirm gestarrt und es frustriert weggepackt. Mir fehlten die Worte. Und überhaupt, wir waren weder ein Paar noch Freunde, höchstens Bekannte. Oft hatte ich an ihn gedacht. Unendlich oft.

Stöhnend hievte ich mich aus dem Bett und zog die Gardinen auf. Die Sonne blendete mich unaufhaltsam. Der Raum war sofort erhitzt, doch eine Klimaanlage besaß ich nicht, dafür in jedem Zimmer Deckenventilatoren, die ich augenblicklich anschaltete. Nochmals erwischte ich mich dabei, wie ich die App des Schiffes öffnete, um die Schiffsposition zu prüfen. Mein Gott, Anna! Was versprichst du dir eigentlich davon? Robert hat genug um die Ohren und dich ohnehin längst vergessen.

Kapitel 2

Auf See

~ Robert ~

Döner aus Berlin, das wärs jetzt, dachte ich, als ich zugegeben etwas zerknirscht in der Messe saß, wie man die Kantine für Crew-Mitglieder bezeichnete und in meinem Essen herumstocherte, obwohl es nicht schlecht schmeckte. Na wunderbar, jetzt fehlt mir sogar schon das Essen aus der Heimat. „Schon wieder Nikujaga!“, stöhnte eine weibliche Stimme und setzte sich mit einem Schwung zu mir an den Tisch. Es war Skylar Santiago. Frau Doktor, eine Ärztin aus dem Schiffshospital. Eigentlich sah sie aus wie ein Supermodel. Ein lateinamerikanischer Traum auf zwei Beinen. Und auch wenn wir uns gut verstanden und durchaus schon miteinander geflirtet hatten, würde ich sie niemals ficken. Jedenfalls nicht, solange ich auf der Majestic Kapitän war und sie ebenfalls hier arbeitete. Ich hatte so einige Regeln für mich auf See festgelegt. Nicht nur, dass ich auf Reisen nichts Alkoholisches trank. Sondern auch, dass ich mit niemanden aus der Crew Sex hatte. Und obendrein war sie viel zu jung. „Schmeckt aber gut“, murmelte ich und zwinkerte ihr zu. „Und warum stocherst du dann in deinem Eintopf herum?“ Skylar hob fragend eine Augenbraue. „Nichts weiter, ich habe nur gerade an meinen Vater gedacht“, antwortete ich ausweichend und widmete mich wieder meinem Mahl. Mann war das lahm. Die Tote-Vater-Karte zog ich nun öfter. Das Team wusste selbstverständlich darüber Bescheid, was passiert war. Ein Fakt, den ich zu gern ausnutzte. Dabei ging es ausnahmsweise gerade nicht um Uwe. Zwei Tage noch, dann würde ich Anna wiedersehen. Das war es, was mir gegenwärtig die Konzentration raubte. Gern hätte ich ihr eine Textnachricht geschickt, doch wir waren auf See. Die Nachricht würde sie nicht erreichen. Bis zum nächsten Hafen müsste ich mich gedulden. Morgen Abend würden wir auf Aruba anlegen. Doch was sollte ich ihr schreiben? Ständig sah ich ihr sommersprossiges Gesicht vor mir, was mehr als verrückt war. Sie war nur irgendeine Frau im Nirgendwo. Eine Frau auf einer gottverlassenen Insel, mit der ich mich unterhalten hatte. Die ich nicht einmal gefickt hatte. Vielleicht sollte ich beim nächsten Landgang einen Puff aufsuchen und mir mal wieder ordentlich das Hirn rausvögeln, damit ich mal wieder alle Sinne beisammen hatte. Das war die Lösung! Konnte doch nicht sein, dass diese Frau immer noch in meinem Kopf herumspukte. Und das bereits seit Wochen. „Wie ist der Rindfleischeintopf in Deutschland so?“, fragten mich Santiagos süße Lippen schlagartig und beendeten damit abrupt das Gedankenkarussell in meinem Kopf. „Weniger asiatisch und mehr deutsch“, gab ich zur Antwort. Das herzliche Lachen, was als Antwort aus ihrem Mund ertönte, klang wie ein rhythmischer Sambasong. Kopfschüttelnd zog ich einen Mundwinkel schräg. Die Art, wie sie ihren Kopf vor Lachen in den Nacken legte und ihre Hand auf meinem Unterarm niederließ, hätte andere Männer bereits hart werden lassen. Mich nicht, schnaubte ich im Innern. Ich wollte nicht verstehen, wieso.

Grenada

~ Anna ~

Ich hatte bis zum späten Mittag den Tag am Strand verbracht und mich unter die Touristen gemischt. Die Sonne brannte vom Himmel und der Ozean zeigte sich im schönsten Türkis mit nur geringem Wellengang. Zugegeben, das war das Beste hier auf Grenada. Alles strahlte Ruhe und Besinnlichkeit aus. Doch der paradiesische Frieden färbte leider nicht auf mich ab. Die Nervosität schien in mir immer lauter zu werden. Sandig kam ich zu Hause an, kümmerte mich ums Essen, um die Badesachen, sprang dann unter die Dusche und stand wenig später vor dem Spiegel, um mich fertigzumachen. Später hatte ich noch Schicht und musste in die Bar. Doch ich hatte noch genug Zeit und flocht gedankenverloren meine langen, blonden Haare zu einem Seitenzopf, wie ich es meist während der Arbeit trug. Make-up trug ich keines, bis auf einen roten Lippenstift. Bei der Hitze konnte man Schminke nur schwer ertragen, jedenfalls ging es mir so. Der Lippenstift jedoch brachte mir großzügige Trinkgelder, zumindest war das meine Erfahrung. Als ich mit meiner Flechtfrisur fertig war, setzte ich mich auf mein Rattansofa und wischte planlos durch mein Handy, bis mir die glorreiche Idee kam, nach Robert zu recherchieren. Doch das erste Problem tat sich sogleich auf. Wie war noch mal sein Nachname? Zunächst suchte ich nach dem Schiff, der Majestic Mermaid. Ein riesiges Passagierschiff, welches als Emblem eine goldene Meerjungfrau trug. Ein beeindruckendes Schiff. Es hatte dutzende Restaurants, Einkaufsläden, Diskotheken, Schwimmbäder, Penthäuser, mehrere Spa- und Sportbereiche. Es war ein Traum, ach was, eine schwimmende Traumstadt! Ich hatte keinen blassen Schimmer, warum die Touristen überhaupt das Schiff verließen, um die Inseln zu besichtigen. Schließlich war das Kreuzfahrtschiff das wahre Paradies. Und bestimmt nicht Grenada. Da entdeckte ich ihn schon. Robert Meuer, der deutsche Kapitän. Und sogar mit Foto. Stolz stand er am Steuer, in seiner weißen Uniform gekleidet. Ich fragte mich, warum ich nicht schon eher nach Robert im Internet gesucht hatte, und dann wurde mir mein Denkfehler schlagartig bewusst. Natürlich speicherte ich das Foto sofort, damit ich es auf meinem Handy hatte. Mein Gott, ich würde mich nun vollends verrückt machen und ihn immerzu anstarren. Noch mehr als die verdammte Schiffsposition, die ich schon dutzende Male geprüft hatte. Doch ich fand Weiteres im Internet, eine Traueranzeige aus Deutschland, die mir schlagartig den Trübsinn zurückbrachte. Uwe Meuer war verstorben. In der Anzeige gab es ein Foto zusammen mit Robert. Oh Gott, war das traurig. Doch das bedeutete auch, dass er mir die Wahrheit gesagt hatte. Hatte ich etwa an eine faule Ausrede geglaubt? Ein paar Tage war er schon zurück in der Karibik. Angeblich konnte er das letzte Mal nicht an Land gehen, als das Passagierschiff vor Grenada anlegte. War das die Wahrheit? Oder ging er mir aus dem Weg? Es gab viele Bars. Er hätte schließlich auch woanders hingehen können. Knurrend wischte ich mir mit den Handflächen übers Gesicht. Diese Grübelei brachte doch nichts. Ich beschloss ihm zu schreiben. War ja schließlich alles platonisch und ganz unverfänglich. Vielleicht käme die Textnachricht auch gar nicht bei ihm an. Und was war, wenn sie ankäme?

Auf See

~ Robert ~

„Warst du essen?“, fragte mich Staff-Kapitän Jack Neil, als ich zurück auf die Brücke kam. „Ja“, antwortete ich. „Sei nicht zu enttäuscht, es gibt weder Deutsch noch Britisch.“ Mein englischer Kollege schnaubte. Auch er vermisste Speisen aus der Heimat. Verständlich. Gegen Fish & Chips hätte ich auch keine Einwände gehabt. „Hast du Skylar gesehen?“, fragte er weiter und warf mir diesen besonderen Blick zu. „Ja“, antwortete ich knapp und warf ein Auge auf die Windstärke. 3 auf der Beaufortskala, schwache Brise. Zeit für einen Tee. Neil hatte immer eine Kanne mit Earl Grey in greifbarer Nähe. Ich genehmigte mir eine Tasse mit Zucker und Zitrone. Schlürfend nahm ich einen Schluck, genüsslich schloss ich dabei die Augen. Köstlich. „So klug und sexy“, hörte ich Neil seufzen. „Meinst du mich?“, warf ich zurück und mochte es, wie er nun die Augen verdrehte. Das erinnerte mich an Finn. Mein bester Freund und ich foppten uns ständig. „Natürlich meine ich Skylar! Sie ist so attraktiv. Mir wird heiß und kalt bei ihr.“ „Nimm sie dir doch“, sagte ich lapidar. Allmählich ging mir das Thema auf die Nerven. „Sie steht doch auf dich, Kapitän. Mit der Nummer zwei gibt sie sich nicht ab.“ „Schön für sie“, murmelte ich desinteressiert. Das Sonar zeigte mehrere Punkte an. Mit einem Fernglas schaute ich hinaus aufs blaue Nass. In diesen Gewässern wimmelte es von Fischerbooten. „Also hast du kein Interesse an Santiago?“, hakte Jack nach und begann mir nun zielstrebig auf den Sack zu gehen. „Nein, verdammt!“, entfuhr es mir auf Deutsch, was er sehr wohl verstand. Verdammt, nein oder Scheiße waren eines der wenigen Worte, die er auch auf Deutsch verstand. „Okay!“ Er hob beide Hände des Friedenswillens. „Lass mich raten auf, auf wem du stehst.“ Er rieb sich dabei übertrieben das glatt rasierte Kinn. Der Staff-Kapitän grinste süffisant, sein Blick wurde zunehmend schmaler. „Da kannst du lange raten“, versuchte ich ihn abzuwimmeln, spürte jedoch deutlich, wie sein Blick auf mir haftete. Und wie meine Achseln feucht wurden. Die verdammte Klimaanlage war viel zu niedrig eingestellt! „Die kleine Blonde aus der Strandbar aus Grenada“, sagte er siegessicher. Irritierenderweise begann mein Herz einen Satz schneller zu schlagen. Warum auch immer. Ich stürzte den Earl Grey hinunter, hatte Glück, mir dabei nicht die Zunge zu verbrennen, doch es half nichts. Meine Kehle blieb staubtrocken, dafür fühlte sich mein Schädel nun warm an. „Ich wusste es!“ Jack Neil zeigte mit dem Finger auf mich. Scheiße. „Mach dich nicht lächerlich!“, konterte ich. „Ich habe sie seit Wochen nicht gesehen. Und überhaupt, sie hat sicherlich einen Mann.“ Verfickte Scheiße. „Tja, keine Ahnung.“ Neil zuckte mit den Schultern. „Du hast sie doch nach Hause gebracht, scheinbar hat dir keiner ein neues Gesicht verpasst. Also, wer weiß?“ „Ja, wer weiß“, murmelte ich und kontrollierte alles, was ich bereits hundert Mal kontrolliert hatte. Mich wunderte es, dass mich Jack Neil gar nicht fragte, ob ich mit ihr im Bett war. Na ja, vermutlich ging er einfach davon aus. Dass das Fick-Fenster geschlossen war, wollte ich ihm eh nicht erklären. Auch nicht, dass wir auf ihrer Hollywoodschaukel gesessen und uns den Rest der Nacht nur unterhalten hatten. Zumindest hatte mir kein Kerl die Fresse poliert. Ein wenig überraschte mich es, dass Neil oder auch andere Leute aus der Crew mich mit Anna in der Bar gesehen hatten. Doch das Leben in der Crew war wie das Leben auf einem Dorf und die Insel ohnehin übersichtlich. Ein paar Kollegen hatten sicher Platz in der Strandbar gefunden, andere wie ich nur am Tresen und wieder andere mussten sich eine andere Lokalität suchen. Legten wir erstmal an, gab es kein Halten mehr auf der Insel. Schließlich strömten rund 3000 Passagiere an Land und wollten einkaufen, essen und sich amüsieren. Und dass nur, wenn wir mit der Majestic Mermaid anlegten. „Seht ihr euch wieder?“, wollte er wissen. Immerhin laberte Neil nicht mehr über Santiagos Avancen. Dennoch schmeckte mir das Anna-Thema nicht viel besser. Das Hoffentlich lag mir auf der Zunge. „Soll ich für dich etwas einkaufen, wenn wir auf Aruba anlegen?“, fragte ich stattdessen. Was klang, als wäre Aruba das Shoppingparadies. Jedoch würde Neil nicht an Land gehen. Und da ich die Chance bekam, mir die Füße zu vertreten, würde ich in eines der Geschäfte gehen und bei Bedarf etwas für die Crew einkaufen. So machte man das unter Kollegen. „Verstehe schon, Rob“, zwinkerte er mir zu und schlug mir mit seiner Hand aufs Schulterblatt. „Kokosgel und Kokosshampoo“, nannte er mir schließlich und strahlte dabei, als handelte es sich um eine Delikatesse zu essen. „Ja“, nickte ich und behielt es für mich, worauf sich meine Antwort bezog.

Kapitel 3

Aruba

~ Robert ~

Es waren herrliche 30 Grad im Schatten, ich saß unter einem Sonnenschirm und nippte an einer Flasche Cola. Ich hatte mit ein paar Crew-Leuten den Landgang genossen. Den Rucksack, gefüllt mit Annehmlichkeiten aus den Shops hatte ich den Kollegen schon mitgegeben, die sich auf dem Rückweg zurück aufs Schiff machten. Andere wollten noch zum Strand eine Runde schwimmen gehen. Eine Sache, die ich bereits genossen hatte. Und so saß ich mit Sonnenbrille auf der Nase in einem kleinen Café in einer Seitengasse, blickte ziellos in der Gegend umher und lauschte der Musik, die von irgendwoher erklang. Rhythmisch wackelte ich mit dem Kopf. Als gehörte nicht nur die Musik hierher, sondern auch ich. Ein Hochgefühl stieg in mir auf. Landgang war eben eine feine Sache.

La mano arriba

Cintura sola

Da media vuelta

Danza Kuduro.

No te canse’ ahora

Que esto solo empieza

Mueve la cabeza

Danza Kuduro.

Gut gelaunt zückte ich mein Handy und loggte mich ins Internet. In Hafennähe gab es oft eine brauchbare Verbindung. Gut, videotelefonieren konnte man damit nicht. Aber das tat ich sowieso lieber in meiner Kabine. Fürs Telefonieren hatte ich eine Flat, die ich weltweit nutzen konnte. Sofort zeigte mein Mobiltelefon neue Textnachrichten an. Die Erste war von Finn.

Hey Pirat! Hoffe, dir geht es mittlerweile etwas besser. Ich weiß, dumme Frage. Marina ist nun vollständig eingezogen :-) Obwohl sie das Meiste nicht mitgenommen hat, war es anstrengend genug ;-) Wollte mich nur mal melden. Der Grabstein für Uwe ist bald fertig. Gab da wohl diverse Verzögerungen bei der Beschaffung, aber bald ist alles fertig. Wenn du Bock hast, können wir bald mal wieder per Video sprechen. Oder auch ohne Video, wie es bei dir passt, Seemann. Ich denke an dich. Bis bald!

Schlagartig fühlte ich mich schwermütig. Mein Gott, da war es wieder. Das Vermissen, das Heimweh, was ich kaum kannte. Uwes Grabstein? Wie konnte ich den nur vergessen? Wenn man jemanden beerdigte, dauert es oft eine Weile bis der Grabstein fertig war und angeliefert wurde. Keine Ahnung, warum das so war. Ich hatte mal gehört, dass dies zum Beispiel in den Vereinigten Staaten ganz anders war. Da war am Beerdigungstag alles fertig. Vielleicht die deutsche Bürokratie? Ich hatte keinen Plan. Mein Freund Finn kümmerte sich als Bestatter selbstverständlich um alles. Seit Uwes Tod rumorte es nur noch in mir. Oft dachte ich an Finn und noch mehr, er fehlte mir als Freund. Verdammt, ich war der letzte Arsch gewesen, als ich das letzte Mal zu Hause gewesen war. Gesoffen hatte ich und sogar einen Stuhl durch das geschlossene Fenster geworfen. Nicht in unserer Wohnung, allerdings in der Wohnung meines Vaters. Ich war komplett im Eimer gewesen und habe mich verhalten wie ein Stück Scheiße. Und mein bester Freund und sogar seine Freundin Marina - Täubchen - hatten sich aufopfernd um meinen Seelenfrieden gekümmert. Aber ich Idiot musste ja, sobald ich Uwe beerdigt hatte, wieder aufbrechen. Und das auch noch kurz vor Weihnachten. Als hätte ich nicht eine Sekunde mehr stillstehen können. Niemand hatte mich dazu gedrängt. Warum war ich plötzlich so ruhelos? Ich war so oft weg. Ich war fast das ganze Jahr über unterwegs und stellte mir mittlerweile die Frage, ob ich genug Lebenszeit in den letzten Jahren mit meinem Vater verbracht hatte. Ganz sicher nicht. Und mit Finn auch nicht. Die Melancholie in mir breitete sich weiter aus und dass, obwohl ich hier im verdammten Paradies saß. Ach was, im verdammten Paradies lebte! Mein Leben als Kapitän in der Karibik war schließlich der Hammer! Aber war es das alles immer noch wert? Das war der Elefant, der im Raum stand. Und dann war da auch noch Anna.

Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr meines Mobiltelefons und entschied mich, Finn anzurufen. „Hey Capt‘n Blaubär!“, meldete sich mein bester Freund bestens gelaunt. Das brachte mich zum Lachen. „Wie kommst du denn jetzt da drauf?“, zog ich ihn auf. Finn hatte ja so einige Spitznamen für mich. Pirat, Seemann, Casanova … Aber Cap’t Blaubär war neu. „Ach, keine Ahnung, ich musste irgendwie daran denken, weil wir das doch früher immer geguckt haben.“ „Als wir jung waren“, ergänzte ich. „Ganz genau!“ Finn lachte. Finn und ich waren mittlerweile 46 fucking Jahre alt. „Freut mich, dass du anrufst. Ohne Video bedeutet, du bist nicht in deinem schwimmenden Zimmer, richtig?“ „Stimmt. Ich bin an Land und habe gerade Internet und deine Nachricht gelesen.“ „Ich traue mich fast nicht zu fragen, wie es dir geht, Robbi.“ Die anfängliche Heiterkeit verebbte. Ich hörte Finn geräuschvoll ausatmen. „Das passt ja. Ich traue mich nicht darauf zu antworten.“, sagte ich leise, dabei war die Gasse, in der ich mich befand, fast menschenleer. Die Touristen tummelten sich in den Hauptstraßen, wo die Shops und die Restaurants zu finden waren oder am Strand. „Versuch es trotzdem“, hörte ich meinen besten Freund sagen. Er hatte seine Bestatterstimme angeschmissen. Ruhig, sanft, wärmend. Diese Tonlage umarmte einen quasi. Ich seufzte. „Keine Ahnung“, begann ich zögerlich. „Plötzlich bekomme ich Heimweh wie ein Kind im Ferienlager. Keine Ahnung, warum. Schließlich mache ich das hier schon ewig. Ich frage mich, verstehe mich nicht falsch, mein Leben ist geil …“ „Schon klar, Robbi“, warf Finn mit neutraler Stimme ein. „Ich stelle mir Was-wäre-Wenn-Fragen. Und ich grübele darüber, ob ich genug Zeit mit Uwe verbracht habe und auch mit dir und irgendwie wird das nicht besser. Ich dachte, wenn ich erstmal wieder zurück bin und wieder auf der Brücke stehe, wird alles …“ Ich brachte den Satz nicht zu Ende. Ja, was hatte ich eigentlich gedacht? „Du hast gedacht, dann wird alles wieder gut. Du bist in deinem Element zurück. Bist der Boss, der Kapitän. Die Sonne scheint und alles geht seinen gewohnten, schönen Gang“, vervollständigte Finn meinen Satz. „Genau das“, schnaubte ich. „Und Anna?“, sprach er mich auf meine nächste Baustelle an. Zeitgleich fiel mir ein, dass auch Anna mir eine Nachricht geschickt hatte. Doch ich hatte sie noch nicht gelesen, da ich sofort Finn anrief. „Keine Ahnung!“, blaffte ich mit einem Mal schroff. „Nichts ist mit ihr!“ „Siehst du sie bald wieder?“ Finn ließ sich von meiner Stimmungsschwankung nicht beirren. „Vielleicht morgen Abend, da machen wir Halt auf Grenada. Werde ich sehen“, murmelte ich. Die Schwermut in mir war endgültig zurück und ich hasste das Gefühl. „Dann weißt du morgen vielleicht mehr. Vielleicht siehst du dann einige Dinge klarer. Immer eins nach den anderen.“ Ja, darauf bin ich gespannt, dachte der Sarkasmus in mir. Ich hörte Täubchen, wie sie Grüße ins Telefon rief und ich ließ ihr von Finn einen Gruß zurück ausrichten. Diese beiden! Ich war stolz auf Finn, dass er nach den Jahren des Alleinseins sein Herz wieder jemanden schenken konnte. Er war eben ganz anders als ich. Die Enge in meiner Brust begann mich langsam in den Wahnsinn zu treiben. „Okay, Totengräber. Mach dir mit Täubchen noch einen schönen Abend. Ich habe noch zwei Stunden Zeit, bevor ich zurück auf die Brücke muss. Ich rufe mir jetzt ein Taxi und fahre in den Puff.“ Als Finn wie erwartet aufstöhnte, schmunzelte ich. „Wirklich, Robbi? Meinst du, das hilft dir?“ „Hey! Du hast Täubchen! Ich habe nur meine Hand. Und auf Schlange würgen steht mir heute nicht der Sinn.“ Das brachte Finn wiederum zum Lachen und auch wenn wir nicht per Video miteinander sprachen, wusste ich genau, dass er dabei die Augen verdrehte. Wir waren wirklich wie Brüder. „Na, dann will ich dich nicht länger aufhalten. Viel Vergnügen und bis bald!“ „Bis bald, Finn!“, sagte ich zum Abschied. Dann bezahlte ich schnell meine Cola, bevor mir Annas Nachricht wieder in den Sinn kam. Aus irgendwelchen, mir nicht mehr erklärbaren Gründen hatte ich Annas Telefonnummer einst nur unter einem Emoji abgespeichert. Ein schwarzes Herz. Ich hatte keinen Schimmer, was ich mir dabei gedacht hatte. Hatte ich mich nicht getraut, sie mit Namen in mein Handy zu lassen? Vielleicht weil du nie Telefonnummern von Frauen abspeicherst? Kurzentschlossen änderte ich den Kontakt von einem schwarzen Herz in Anna. Den Namen starrte ich einen Augenblick an, bevor ich mich ihrer Nachricht widmete. Meine Hand zitterte - warum auch immer - als ich auf die Nachricht tippte.

Hallo Seebär! Ich mache mich gerade für die Arbeit fertig und wollte mich einfach mal melden. Ich habe gesehen, dass die Mermaid bald nach Grenada kommt. Gern reserviere ich dir einen Platz an der Bar. Flaschencola und Erdnüsse. Ich habe es nicht vergessen. Du kommst doch? Na ja, vielleicht sieht man sich ja. Wünsche dir nur das Beste. Anna

Seebär? Jetzt klang Anna schon beinah wie Finn. Und ob wir uns sehen werden, spukte mir durch den Kopf, als ich grinsend mein Telefon wegsteckte, zur Hauptstraße schlenderte, wo unzählige Taxis schon bereitstanden, den Schiffstouristen ihr Geld abzunehmen. Ein Bordell auf Aruba hatte ich bisher noch nicht besucht, machte mir da aber keine Gedanken. Taxifahrer kannten jeden Inselwinkel. Wenige Minuten später stieg ich vor einem Etablissement aus, welches sich „Magic Venus“ nannte. Zeit, sich zu amüsieren.

Kapitel 4

Grenada

~ Anna ~

Mir schmerzte nicht nur der Rücken, auch meine Füße brachten mich mittlerweile um. Trotz der Sneaker, die ich trug. Jetzt kündigten sich auch noch Kopfschmerzen an. Die Strandbar war gerammelt voll. Zwei Kreuzfahrtschiffe hatten angelegt, im Nu wurde die Insel mit Urlaubern aus aller Herren Länder überschwemmt. Grenada lebte wie viele der karibischen Inseln vom Tourismus. Es blieb ein Knochenjob, erst recht, wenn wir nur zwei Kellnerinnen waren. Die Strandbar hatte einen überdachten Bereich, dessen Holzfußboden ständig sandig war und dann gab es noch den offenen Bereich direkt im Sand. Insgesamt gab es einige Sitzgelegenheiten im Innen- und Außenbereich. Alle Plätze waren inzwischen belegt. Es gab noch ein paar Stühle, die man an Tische hinzustellen konnte. Einige Gäste setzten sich mit ihren Getränken direkt in den Sand. Bunte Lampions sorgten für das karibische Fler. Die an der Decke installierten Ventilatoren drehten sich. Dazu dröhnte laute Musik aus mehreren Lautsprechern. Wir Bedienungen trugen türkisblaue, kurze Hosen, die viel nacktes Bein preisgaben, Turnschuhe und weiße Tanktops, welche die Fantasie noch mehr anregten. Unsere Uniformen erinnerten an die Kleidung der US-Kette Hooters. Doch sicherlich war diese Art aufreizende Kleidung kein besonderes Geschäftsgeheimnis. Unser Manager stand und bestand darauf. Und auch bei ihm musste man, wenn er da war, ständig aufpassen, wo er seine Hände hatte. An die Blicke, Sprüche, Pfiffe und das Antatschen hatte ich mich längst gewöhnt. Auch wenn ich es verabscheute, es war Teil des Jobs und es brachte Trinkgeld.

Seufzend hielt ich mich im hinteren Bereich des Lokals auf, um einen Schluck Wasser zu trinken. Die Sonne war bereits untergegangen. Mein Blick schweifte hinaus auf den dunklen Ozean. Die Wellen konnte man rauschen hören, auch waren dezent weiße Schaumkrönchen in der Dunkelheit zu erspähen. Die zwei Giganten der Meere hatten vor der Küste auf offenen Gewässer Halt gemacht. Viel zu groß waren sie für den kleinen Hafen. Die Passagiere beider Schiffe wurden mit Beibooten an Land gebracht. Die Majestic Mermaid war das größere Schiff. Wie das andere Schiff hieß, wusste ich nicht mehr. Irgendetwas, was weniger majestätisch, weniger edel klang. Es war ein Kreuzer der unteren Preisklasse, ganz anders als die Mermaid. Aber was verstand ich schon davon? Niemals hätte ich mir eine Reise auf nur eins dieser Prachtexemplare leisten können. Die letzten zwei Tage hatte ich mies geschlafen, was nicht nur daran lag, dass mir ein gewisser Kapitän nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Ich hatte meine Textnachricht an ihn versandt, allerdings keine Antwort erhalten. Enttäuschte mich das? Kaum. Log ich mir selbst in mein Spiegelbild? Ja. Die Majestic Mermaid hatte vor der Küste geankert. Aber ich fragte mich, wo Robert war. Eine Tatsache, die mich stetig mehr wurmte. Konnte er wieder nicht an Land kommen? Oder ging er mir gar aus dem Weg? „Ich mache zehn Minuten Pinkel- und Raucherpause“, sagte meine Kollegin plötzlich neben mir, in ihrer Handtasche kramend. Wir sprachen beide Französisch miteinander. „Kannst du die Tische da hinten unterm Vordach übernehmen? Die Kerle haben schon ordentlich was gebechert.“ Sie verdrehte die Augen und fischte nach ihrer Zigarettenpackung. „Mach ich“, sagte ich. „Du bist ein Schatz“, antwortete sie. Ich nickte stumm. Sie war eine nette Person, doch die Kellnerinnen wechselten regelmäßig alle paar Monate, Freundschaften entstanden leider nicht. Auch ich tat mich schwer, mehr zu erzählen, als für die Arbeit von Nöten war. Niemand blieb jahrelang an einen Ort wie ich. Einige Frauen zog es ans andere Ende der Insel, in andere Bars oder Restaurants. Oder sie lernten Männer kennen, mit denen sie weiterzogen. Oder sie wechselten die Örtlichkeiten und arbeiteten fortan in der Rotlichtbranche. Dort würden mich keine zehn Pferde hinbringen. Geld hin oder her. Da lief ich mir lieber für immer die Füße in dieser nervtötenden Strandbar wund und drehte jeden karibischen Dollar zweimal um. Ich zupfte meinen Zopf zurecht und nahm noch einen Schluck Wasser, bevor ich meinen Lippenstift im Bad eilig nachzog und mich wieder ins Gewusel begab. Die Kerle grölten, als ich an ihren Tisch kam. Augenblicklich spürte ich eine kneifende Hand an meiner Arschbacke. Der Alkoholmundgeruch, welcher zeitgleich emporstieg, brachte mich zum Schlucken, aber nicht zum Kotzen. Es war eine weitere Sache, mit der ich mich abgefunden hatte.

~ Robert ~

Das Aftershave brannte auf meiner Haut. Nach getaner Arbeit stand ich vor dem Spiegel in meiner Kabine und kam nicht umhin, das Rumoren meines Bauches zu ignorieren. Ich hatte geduscht, war umgezogen und hatte mich frisch rasiert. Bereit, um an Land zu gehen. Hatte ich mich extra für Anna herausgeputzt? Blödsinn! Ich musste mich sowieso rasieren, schließlich hatte die Reederei da auch ein Wörtchen mitzureden, wie der Kapitän aussah, redete ich mir ein. Wenn ich an Land ging, trug ich immer die gleichen Klamotten. Ich hatte nicht viele Kleidungsstücke dabei, ich brauchte auf See nicht viel. Während des Dienstes trug ich eh Uniform und wenn ich an Land ging, reichten normale, gemütliche Klamotten völlig aus. Angespannt steckte ich meine ID, Kreditkarte und etwas Bargeld in meine Hosentasche. Mehr brauchte ich nicht. Erst wollte ich mein Handy zurücklassen, aber falls ich niemanden zum Quatschen haben würde, hätte ich wenigsten im Internet verweilen können. Oder wolltest du Anna etwa anrufen, sollte sie nicht da sein? Puh. Schnaubend verließ ich meine Kabine. Meine Sonnenbrille ließ ich zurück. Die Sonne war ohnehin längst untergegangen. Kurze Zeit später stieg ich in eines der Beiboote und ließ mich zum Hafen tendern. Obwohl ich geduscht hatte, fühlten sich bereits mein Oberkörper und auch meine Hände schwitzig an. Das lag jedoch an den hohen Temperaturen, die noch immer draußen herrschten. 27 Grad waren es bestimmt noch. Mit der Tatsache, dass ich Anna wiedersehen würde, hatte das garantiert nichts zu tun.

Als ich etwa eine halbe Stunde später die völlig überlaufende Strandbar erreichte, plärrte aus den Boxen gerade ACDC. Man fühlte sich, als wäre man ein bisschen aus der Zeit gefallen.

She was a fast machine, she kept her motor clean,

she was the best damn woman that I ever seen.

Mit suchendem Blick lief ich über den knirschenden Dielenboden. Die Musik schallte durch die Lokalität, überall saßen Touristen herum, die laut lachten, sangen, tranken oder grunzten. Meist waren es Schwarze und Asiaten. Die Luft stank nach Alkohol und frittierten Essen. Zum Glück war die Bar luftig offen, sodass eine frische Meeresbrise durchziehen konnte. Weiter hinten in der Nähe des Barkeepers sah ich eine dunkelhäutige Schönheit, welche offensichtlich hier arbeitete. Aber es war nicht die Frau, die ich suchte. Mit einem Mal tippte mich jemand von der Seite an. Mein Herz begann Purzelbäume zu schlagen, doch die Enttäuschung folgte sogleich, es war nicht Anna. Es war Staff-Kapitän Jack Neil, der bis über beide Ohren grinste. Im Arm hielt er Skylar Santiago. Frau Doktor gibt sich also sehr wohl mit der Nummer zwei ab, dachte ich grinsend. Beide lachten übertrieben, offensichtlich hatten sie getrunken. Was im Grunde nicht verwerflich war, schließlich legten wir erst in 24 Stunden wieder ab. Ich hatte allerdings andere Prinzipien. Nämlich die, dass ich keinen Alkohol trank. „Hey!“ Neil schlug mir auf die Schulter. Aufgrund des Lärms in der Bar musste er nah an mich herankommen. Ja, er hatte eindeutig getrunken. „Suchst du dein Mädchen?“, lallte er an meinem Ohr. Nein, ich war aus Vergnügen hier, Idiot. Ich nickte energisch, während Skylar ihr Gesicht schmachtend an Jacks Hals vergrub. „Da hinten ist sie!“, sagte er und deutete in Richtung Vordach.

She told me to come, but I was already there.

‘Cause the walls start shaking, the Earth was quaking.

My mind was aching and we were making it.

Ich war mir sicher, dass der Musiker eigentlich über sein Motorrad sang, allerdings schien mein Hirn unterversorgt zu sein, sobald ich sie erblickte. Anna! Doch so groß die Freude sie zu sehen auch war, zeitgleich brannten meine Sicherungen durch. Denn Anna stand an einem Tisch von grölenden Wichsern. Und einer davon grapschte ihr just in diesem Moment an den Hintern. Das war zu viel! Wie ein wütender Cowboy trampelte ich über den Holzfußboden und packte das Arschloch schroff am Handgelenk, um seine Kralle von Anna wegzuziehen. „Fass sie nicht an!“, spie ich dem Bastard auf Englisch in die Fresse. Die anderen Kerle am Tisch hielten augenblicklich inne und starrten mich an. Einige vergruben ihr Gesicht im Glas. Andere hoben erschrocken ihre Augenbrauen. „Schon gut!“, plärrte der Hurensohn erbost. Dem Akzent nach hielt ich ihn für einen Briten. „Deine Freundin oder was?“, wetterte er. „Zufällig ja!“, bellte ich zurück, was die Kerle augenblicklich verstummen ließ. Sie wandten sich wieder ihren Getränken zu. Anna war während dieser kleinen Unterhaltung abgehauen. Ich sah sie hinten am Tresen. Sie hatte das Tablett abgestellt und wartete, dass der Barkeeper ihr neue Getränke aushändigte. Eben hatte mein Körper noch vor Adrenalin gekribbelt. Nun wurde mir ganz anders, als ich sie endlich betrachtete. Sie endlich wiedersah! Es fühlte sich an wie ein Déjà-vu. Wie vor ein paar Wochen, als ich hier war, als mein Vater noch lebte, bevor ich die Karibik überstürzt verließ. Anna schaute in meine Richtung und unsere Blicke verharrten. Mein Hirn schien alles um uns herum auszublenden. Die laute Musik, die Akustik der Touristen, das Gegröle, die Hitze, die mir Schweißperlen auf die Stirn und in den Nacken trieb, die Lichter, die überfüllte Bar. Es schien nur noch uns beide zu geben. Annas aufreizende Aufmachung, ihre Titten, ihr Bauch, ihre Beine in dieser kurzen Shorts. Sie hatte weibliche Kurven, die in ihrer Kellneruniform oder was das sein sollte, vollends präsentiert wurden. Arsch, Titten und Hüften waren ein einziger Traum, dazu ihr blondes Haar, welches sie wie damals geflochten trug. Nur die übertrieben geschminkten Lippen müssten nicht sein. Aber mir war sehr wohl klar, dass ihre ganze Aufmachung absichtlich war, um die männliche Kundschaft bei Laune zu halten. Meine Gedanken formten Fantasiebilder, wie ich sie hart von hinten nehmen würde und zu meiner Verwunderung sogar Kuschelsex praktizierte. Annas Hüften luden dazu ein, sich an ihnen festzukrallen. Augenblicklich begann mein Schwanz in der Hose zu zucken. Ihr Körper war der Hammer. Sie war der Hammer. Ihre Titten waren ein einziger Traum in diesem weißen, engen Oberteil. An ihren Knospen wollte ich knabbern und saugen und sie dabei festhalten. Stopp! Bist du bescheuert?! Wenn ich eine Frau vögeln wollte, sprach ich sie an, klärte alle Bedingungen und ging mit ihr weg, wenn sie es genauso wollte wie ich. Ich freundete mich nicht mit ihr an. Das Fick-Fenster bei Anna war bereits zugefallen. Und vermutlich hatte es nie offen gestanden. Sie war - was auch immer sie für mich war - aber kein Zwischendurch-Einmal-Fick. Mir war völlig klar, dass jeder heterosexuelle Kerl in der Bar ein Auge auf sie warf.

---ENDE DER LESEPROBE---