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Frau Bischoff, Frau Bischoff! Wir haben ein Organ für Sie! In zehn Minuten werden Sie abgeholt zum Waschen und Rasieren. Sollen wir Ihre Mutter anrufen? Die Worte rissen mich aus dem Schlaf. Die Stimme klang so weit weg, die Worte aber umso klarer. Was habe ich in diesem Moment gedacht? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch was ich fühlte und das war Angst. Mein Schicksal hatte sich gegen das Sterben und für das Überleben entschieden. Was das bedeutete, wie schwer dieser Weg werden sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen.
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Seitenzahl: 92
Veröffentlichungsjahr: 2019
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„Wir werden alle Helden sein, auch wenn es nur für einen Tag ist.“
(Bushido, Rapper)
„Frau Bischoff, Frau Bischoff! Wir haben ein Organ für Sie. In zehn Minuten werden Sie abgeholt zum Waschen und Rasieren. Sollen wir Ihre Mutter anrufen?"
Die Worte rissen mich aus dem Schlaf. Die Stimme klang so weit weg, die Worte aber umso klarer. Was habe ich in diesem Moment gedacht? Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch was ich fühlte und das war Angst. Mein Schicksal hatte sich gegen das Sterben und für das Überleben entschieden. Was das bedeutete, wie schwer dieser Weg werden sollte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen.
Dezember 2014
Januar, Februar 2015
März 2015
April 2015
Mai, Juni 2015
Juli 2015
August 2015
Nachwort
Zuhause
Mukoviszidosestation, Charité
Intensivstation, Charité
Gut gelaunt, aber müde holte mich mein Lebensgefährte Frank von der Weihnachtsfeier meiner Firma ab. Es war der 19.12. Die Müdigkeit, ich schon Tage vorher spürte, hatte mittlerweile ihren Höhepunkt erreicht. Aber wer war schon nicht müde und überarbeitet im tiefsten Winter, kurz vor Weihnachten? Ich freute mich auf Weihnachten und vor allem auf meine freien Tage. Endlich erholen und richtig schlafen. Ich war häufig müde, dennoch schlief ich nachts schlecht. Ständig hörte ich meinen Herzschlag im Ohr pochen, hatte einen hohen Puls egal was ich tat und ich hatte das Gefühl, ich würde nachts sogar mein Blut im Ohr rauschen hören. „Ich brauche nur mal ein paar Tage Erholung", so hatte ich gedacht, denn Symptome einer Grippe oder Erkältung hatte ich nicht. Sport hatte ich weiterhin jeden Tag betrieben und es lief soweit gut, wenn nur nicht diese schlechten Nächte und diese Müdigkeit wären. Am folgenden Wochenende fühlte ich mich nicht viel besser und so entschied ich noch einen Tag zu Hause zu bleiben, bevor die zwei letzten Arbeitstage vor Weihnachten anstanden. Allerdings kam ich an diesem Montag nicht vom Sofa herunter. Ich schlief, schlief und schlief und als ich erwachte, fühlte ich mich noch nicht einmal besser. Ich war einfach schlapp. Ich telefonierte mit meiner Mutter, die mir riet etwas zum Schlafen zu nehmen. Damit ich mal wieder tagsüber fit wäre. Den ganzen Tag lag ich auf dem Sofa und am Abend war ich plötzlich heiser. War es doch ein Infekt? Appetit hatte ich keinen, obwohl mein Schatz Frank an diesem Abend so eine leckere Kürbissuppe gekocht hatte. Ich aß nur wenige Löffel. Ich sah, dass meine beste Freundin Mandy angerufen hatte. Ich war zu müde und zu geschafft, um sie zurückzurufen. Ich nahm meine Schlafpille und schrieb eine SMS an Mandy, welche nur „Gute Nacht“ enthielt, dann schaltete ich mein Telefon aus und legte mich ins Bett. Sofort schlief ich ein, doch die Nacht war seltsam. Ich erinnere mich, dass Frank mich immer wieder ansprach, was denn los sei. Irgendwann schlief ich wieder ein. Am nächsten Tag, es war der 23.12., erwachte ich durch ein ununterbrochenes klingeln. Frank war auf der Arbeit. Das Festnetztelefon tönte ununterbrochen, die Türklingel ebenfalls. Ich schleppte mich zur Toilette und ging dann ans Telefon, dabei schaute ich auf die Uhr und erschrak. Es war 14 Uhr. „Hier ist Peter, mach die Tür auf, mach die Tür auf!“ Die aufgeregte Stimme meines Schwagers kam aus dem Hörer. Ich wunderte mich, begriff nicht was los war und suchte nach dem Schlüssel, um die Tür zu öffnen. Peter lief sofort in die Wohnung und zog mich hinterher, Frank folgte dahinter. Entsetzt starrte mich mein Schwager an und schrie: „Soll ich den Notarzt rufen? Soll ich den Notarzt rufen?“ Ich weiß nicht mehr warum, aber ich antwortete nicht. Ich dachte nur: „Warum denn?“ Frank wühlte in der Zeit in meiner Handtasche, vermutlich nach meiner Krankenversicherungskarte, während Peter telefonierte. Der Notarzt hätte mich ins nächstliegende Waldkrankenhaus bringen müssen, was Frank ablehnte.
Also schleppten mich die beiden zu Peters Auto und wir fuhren selbst zur Notaufnahme ins Vivantes, wo meine Mutter auch als Krankenschwester arbeitete und an diesem Tag zufällig Dienst hatte. Meine Mutter sah mich entsetzt an. Ich weiß nicht mehr was ich sagte oder was sie sagte. Ich weiß nur noch was der Notaufnahmearzt sagte. „Ach du Scheiße!“, rief dieser. Sofort wurde ich beatmet. Was ich erst viel später erfuhr, dass ich komplett blau angelaufen war, einen CO2-Wert von über 100 hatte sowie eine Sauerstoffsättigung von 53%. Ich war mehr tot als lebendig. Ich erinnere mich, dass viele Leute an mir herumfummelten. Ich sollte dann im Rettungswagen in die Charité gefahren werden. Ich schlief viel, war kaum anwesend. Ich bekam nur mit, dass die Fahrt ziemlich rasant war als würde man jedes Schlagloch spüren. Irgendwann lag ich dann auf der Mukoviszidosestation, welche mich gut kannten. Man vermutete einen schlimmen Infekt. Ich bekam eine Sauerstoffmaske, besser fühlte ich mich jedoch nicht. Meine Familie war da und meine Mutter befahl mir im Bett liegen zu bleiben, weil ich trotz meines Zustandes zur Toilette laufen wollte. Mir ging es sehr schlecht. Mein Herz pochte und sprang mir fast aus der Brust, ich hatte Herzrhythmusstörungen. Auf dem Überwachungsmonitor konnte ich es sehen, mein Puls schoss auf 130. Ich war innerlich total aufgeregt, seltsam unruhig und fühlte mich komplett unwohl. Die kommende Nacht war seltsam und unangenehm. Mein Herz schlug entsetzlich schnell in meiner Brust. Am nächsten Tag hatte meine Mutter die Nase voll und verlangte sofortiges Handeln. Die Ärztin, welche das Privileg hatte am 24.12. arbeiten zu dürfen, war scheinbar überfordert mit der Situation. Irgendwie wusste keiner so recht, was mir fehlte. Ich lag weiterhin erschöpft da, während das Personal den Sauerstoff immer höher drehte, was für den ohnehin überhöhten CO2-Wert nicht vorteilhaft war. Meine Familie verlangte die Verlegung auf die Intensivstation. Das wäre wohl nicht so einfach und dies müsste ein Intensivarzt entscheiden, sagte das überforderte Personal. Bei meiner Mutter lagen die Nerven blank und sie schnappte sich die Ärztin. „Sie wollen also meine Tochter, trotz ihres schlechten Zustandes, nicht auf die Intensivstation verlegen? Sollte ich heute Nacht einen Anruf von Ihnen bekommen, dass Sie meine Tochter reanimieren mussten, dann werde ich den Laden hier verklagen und werde morgen mit der Presse hier aufschlagen.“ Diese Drohung wirkte und es wurde ein Arzt der Intensivstation konsultiert. Ich wurde umgehend verlegt und kam in ein topmodernes Intensivzimmer. Dort lag ich drei bis vier Tage und es war beinah nett. An der Decke hing eine riesige Lichtinstallation, welche alle paar Minuten die Farbe änderte. Das fand ich spannend. Es gab sogar iPads für Patienten, damit man ins Internet oder Fernsehen gucken konnte. Ich schaute zum ersten Mal das Traumschiff. Ich durfte sogar den Toilettenstuhl benutzen und musste nicht den Nachttopf nehmen. Ich schrieb sogar E-Mails und telefonierte und fühlte mich etwas fitter. Ich schrieb eine E-Mail an meine Mutter: „… Frau Dr. S. war heute da, ich kann bald verlegt werden, ich bin wohl übern Berg…“ Drei oder vier Tage später wurde ich tatsächlich zurück auf die Mukoviszidosestation verlegt. Was dort passierte weiß ich kaum noch. Ich weiß, dass es mir rasant schlechter ging und ich in der Nacht mit den Worten geweckt wurde: „... wir müssen Sie verlegen, wir wissen nicht was mit ihrer Lunge ist!“ Von dem Zeitpunkt an ging es rasant abwärts. Ich wurde zurück auf die Intensivstation gebracht. Jetzt empfand ich die Station nicht mehr nett und freundlich. Mir ging es sehr viel schlechter, die Luft wurde knapp und wurde jeden Tag knapper. Meine Bronchien waren komplett verschleimt. Ich konnte nicht mehr atmen. Bald wurde ich nasal beatmet. Damit ging es zunächst. Das Licht, welches ich anfangs noch als nett empfand, begann mich nun zu nerven. Die Ärzte versuchten derzeit verschiedenste Antibiotika, damit es mir endlich besser ginge. Der Verdacht reichte von einer Lungenembolie bis zur Lungenentzündung. Mittlerweile waren die Weihnachtsfeiertage vorbei und mir ging es zusehends schlechter. Am 29.12. kam ich an die extrakorporale Membranoxygenierung, kurz ECMO. Die ECMO ist eine große Maschine, welche die Funktion der Lunge übernimmt. Ich erinnere mich, dass ich aus meinen vielen Schlafphasen erwachte und einen roten Schlauch an meinem Oberschenkel sah. Die Schlauchdicke erinnerte mich an die Dicke von Gartenschläuchen. Ein weiterer dicker Schlauch befand sich an meinem Hals. Beide Schläuche waren mit der Maschine verbunden, welche nun den Gasaustausch meiner Lunge übernahm. Mein Leben hing nicht wie sprichwörtlich am seidenen Faden, sondern am dicken ECMO-Schlauch. Mittlerweile stand Silvester vor der Tür. Ich erwachte um Mitternacht und fühlte mich unendlich traurig und allein. Mein Bett stand in Fensternähe und so konnte ich das Feuerwerk sehen. Das Feuerwerk der glücklichen Menschen.
Ich hatte nur einen Gedanken: „Was wird das neue Jahr wohl für mich bringen?"
Intensivstation, Charité
Intensivstation, Deutsches Herzzentrum
Die nasale Beatmung reichte nicht mehr aus. Ich wurde nun per CPAP-Maske beatmet. Die Maskenbeatmung wurde zu meiner Fessel. Ich bekam unter der Maske zwar Luft, aber ansonsten konnte ich nichts mehr machen. Nahm ich die Maske ab, bekam ich sofort einen Hustenanfall und meine Luft blieb weg. Niemals zuvor kannte ich derartige Atemnot oder hatte nur die leiseste Ahnung wie sich echte, schlimme Atemnot anfühlte. Nun wusste ich wie es sich anfühlte zu ersticken und von welcher Panik dieses Gefühl begleitet wurde. Leider musste ich die Maske auch mal abnehmen. Wie sollte ich sonst essen und trinken? Das Essen verging mir recht schnell, ich nahm immer mehr an Gewicht ab. Mein Durstgefühl blieb, aber ich reduzierte das Trinken nur auf das Nötigste. Immer wieder keine Luft zu bekommen und diese Panik zu ertragen hielt ich einfach nicht aus. Nachts lag ich wach und war durstig. Meine Lippen waren trocken und dennoch verkniff ich mir zu trinken. Ich wollte die Maske nicht abnehmen. Man ahnt gar nicht wie viel Kraft und Atemluft man zum Trinken benötigt. Das Sprechen fiel unter der Beatmung auch flach. Meine Familie hatte die Idee, dass ich auf Papier mit ihnen kommuniziere. Sie brachten mir ein kleines Ringbuch mit. Es hatte einen fröhlichen Delfin auf dem Blockdeckel. Dieses Ringbuch wurde nun zu meiner Stimme. So langsam begann ich die Lage meines Zustandes zu verinnerlichen. Eine Embolie war kein