Verliebt in einen Superstar - Anika Bischoff-Borrmann - E-Book

Verliebt in einen Superstar E-Book

Anika Bischoff-Borrmann

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Beschreibung

Die 30-jährige Melli ändert ihr Leben. Sie verlässt ihren Langzeitfreund Dennis und zieht vom Dorf nach Berlin, wo sie mit neuer Wohnung und neuem Job von vorn beginnen möchte. Während ihrer Arbeit in einer Kantine trifft sie zufällig eine alte Grundschulfreundin wieder. Herta, die auf die Idee kommt beim Training der Berliner Profieishockeymannschaft zuzuschauen. Melli hat keinen Schimmer von Eishockey, lässt sich aber überreden mitzukommen. Sie möchte endlich mal wieder etwas Neues erleben. Austin Carlos, der neue Import-Superstar, soll die Berliner Eisfüchse zur Meisterschaft führen. In der Trainingshalle der Eisfüchse trifft der Kalifornier zufällig eine Frau mit auffallend grünen Augen, dessen Haar nach Schnitzel duftet. Zunächst hält er sie für einen stinknormalen Fan. Nach einer weiteren Trainingseinheit in der Halle erkennt er sie zufällig wieder und findet mit ihr das Gespräch. Seither kann er sie nicht mehr vergessen. Er beschließt in die Offensive zu gehen und sie zu finden.

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Seitenzahl: 446

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Verliebt in einen Superstar

PrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23EpilogPresseauszügeImpressum

Prolog

~ Melli ~

Das Geräusch der Bremsen stach unangenehm im Trommelfell, dennoch machte sich in mir ein Gefühl von Freiheit breit, welches den Knoten in meiner Brust allmählich löste. Mit einem ausrangierten Koffer, den mir meine Familie zur Verfügung stellte, verließ ich das Abteil, stieg aus dem Zug und ließ somit mein altes Leben hinter mir. „Willkommen in Berlin-Spandau“, sprach die automatische Bahnhofstimme. Danke. Es war nicht 1989 und ich besaß auch mehr Dinge, als nur annähernd in den Koffer gepasst hätten. Der Rest würde mit dem LKW nachgeliefert werden. Doch eines stimmte, ich war auf der Flucht. Irgendwie. Ich brauch‘ Tapetenwechsel, sprach die Birke oder so ähnlich. Ich wollte nur noch weg. Weg von der Kontrolle meiner Familie, weg von den ewig spähenden Blicken der Nachbarn, weg vom Dorf und auch weg von Dennis. Ich war in Berlin geboren und aufgewachsen, doch irgendwann wollten meine Eltern aufs Dorf ziehen. Ohne Busverbindung und ohne Zeitungsladen. Ich war noch nicht volljährig und musste mit. Ich wurde erwachsen und blieb irgendwie auf dem Kaff hängen. Ich hatte eine kleine Wohnung neben dem Fußballplatz – der einzigen Attraktion im Dorf – und arbeitete in der Gastronomie für wenig Geld. Irgendwann vor fünf Jahren traf ich Dennis, wir verliebten uns und waren fortan nur noch zusammen. Seine blonden Locken, seine blauen Augen, ein lieber Kerl, den alle mochten. Seine Eltern, meine Eltern, alle sahen in uns etwas ganz Großes. Doch Dennis und ich unterschieden uns. Er wollte nie in die Hauptstadt ziehen. „Berlin ist laut“, hatte er immer behauptet, wobei ich stets die Augen verdrehte. „Ach, du und dein Berlin! Berlin ist nichts für uns, Schatz“, hatte er oft gesagt. Doch damit meinte er nur sich. Er, im Gegensatz zu mir, war auf dem Dorf zu Hause und wollte niemals von dort fortgehen. Ich wollte zurück nach Berlin. Immer. Ich versprach mir selbst eines Tages wieder dort zu leben, solange blieben mir nur Besuche. Mal mit, mal ohne Dennis. Unsere Unterschiede wurden mit der Zeit größer als die Gemeinsamkeiten. Ich war nicht mehr verliebt in ihn.

Nachdem ich den Koffer die Bahnhofstreppe herunter schleppte und schnaufend, aber heil unten ankam, ließ mich ein Blick aufs Handy zusammenzucken. Dennis.Er hatte nicht begreifen wollen, dass ich ernst machte, dass ich keine Sekunde mehr länger mit ihm Leben konnte, keine Sekunde mehr länger auf dem Land leben wollte. Mir war alles zu viel geworden. Ich stieg hastig in den ankommenden Bus, den Koffer hinter mir zerrend. Natürlich war der Bus voll. Heiß und stickig. Wenig später drehte ich den Schlüssel meiner eigenen Berliner Mietwohnung im Schloss herum. Der Koffer hallte laut auf dem Laminat. Bald würde der LKW mit meinen Sachen ankommen, hochgetragen und sogar aufgebaut werden, so hatte ich es gebucht. Ich öffnete die Balkontür meiner Wohnung und atmete tief ein und aus. Ich war zu Hause.

~ Austin Carlos ~

Als ich erwachte flog ich immer noch nach Europa, wo ich in wenigen Tagen bereits beim Eistraining der Eisfüchse in Berlin auslaufen würde. Die letzten Monate lebte ich als sogenannter Free Agent zu Hause in Südkalifornien. Das hieß, ich hatte keinen Club und viel Zeit, welche ich nutzte, um mich fit zu halten. Es gab durchaus Clubs in der National Hockey League an denen ich interessiert war. Ich trainierte viel auf der Eisfläche „der Enten“ in Anaheim. Talentscouts waren überall bekannte Zuschauer. Ich selbst hatte nie für „die Enten“ in der NHL gespielt, dafür in der AHL, einer untergeordneten Liga und das sogar als Topscorer, aber diese Zeit war vorbei. Ich hatte viele Monate mit Training und mit Surfen verbracht. Ich war heiß auf einen neuen Club und dann sprach mich während eines Trainings Sven an, ein Deutscher aus Berlin. Zugegeben, Eishockey rückte auf der Welt näher zusammen als früher, dennoch lagen die Leagues in Amerika, wo ich lebte und die DEL, welche in Deutschland gespielt wurde, in einer anderen Welt. Doch Sven war an mir interessiert und ich neugierig genug. Nun saß ich nach einem beachtlichen Aufwand an Organisation, wo mir mein neuer Club erstaunlich gut unter die Arme griff, in der Maschine nach Berlin. Was ich von Berlin wusste? Currywurst und Berliner Mauer, doch Letzteres existierte nicht mehr. Doch das wusste jeder. Spontan hatte ich mir kurzerhand im Barnes & Noble, die größte Buchhandlungskette zu Hause, einen Reiseführer für Berlin gekauft. Im hinteren Teil befanden sich nützliche Vokabeln, welche mir jetzt schon einen Knoten in die Zunge verpassten. Guten Tag. Das Wetter ist wolkig. Warum war über das Wetter zu sprechen überhaupt wichtig? Als ich mich Stunden später vor dem Gebäude eines kleinen Dorfflughafens, welcher der Hauptstadtflughafen sein sollte, vorfand, rückte ich meine Ray-Ban-Sonnenbrille im Pilotenstyle auf den Nasenrücken zurecht. Denn es war nicht wolkig, sondern sonnig und fühlte mich bereit. Nun musste ich alle überzeugen mit mir die richtige Wahl getroffen zu haben.

Kapitel 1

~ Melli ~

Als ich die Tür aufschloss, seufzte ich lauter als beabsichtigt, doch das Chaos meiner Wohnung sprang mir ins Gesicht. Die Möbel waren zwar aufgebaut, dennoch hatte ich immer noch nicht alle Kisten ausgepackt und brauchte obendrein dringend ein Sofa. Das Alte hatte ich bei Dennis gelassen. Das hätte hier sowieso nicht hineingepasst und obendrein hatte es Dennis lieber gemocht als ich. Dennis. Er hatte schon wieder versucht mich anzurufen, aber ich war nicht bereit mit ihm zu sprechen. Ich hatte ihm nichts mehr zu sagen. Es war vorbei. Den ersten Arbeitstag im neuen Leben hatte ich hinter mir. Ich arbeitete bei Karstadt zunächst in einer 6-Stunden-Schicht, etwas anderes war auf die Schnelle nicht zu bekommen. Allerdings war ich keine fancy Verkäuferin von Kreuzfahrten oder edlen Mänteln. Karstadt befand sich quasi nur drumherum. Mein eigentlicher Arbeitsplatz befand sich im „Worldwide Restaurant“. Ich saß wahlweise an der Kasse, wischte Tische ab, räumte stehengelassene Tabletts auf das Förderband, welches in die Küche führte und ja, in der Küche fand man mich auch. Das „Worldwide Restaurant“ war eine Kantine. Ich würde also ab sofort immer nach Schnitzel oder anderen derben Gerichten riechen und nach Feierabend sofort in die Dusche springen. Bereits im Schlafanzug bekleidet kam ich aus dem Bad und blätterte durch ein kleines Heft der BVG, der öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt, welches ich im Bus aus einem Ständer genommen hatte. In diesem Heft befand sich ein Plan der „Öffis“, wie man hier diese großartige Erfindung nannte. Auf dem Dorf gab es keine Öffis, vielleicht mit Ausnahme eines verdammten Zuges alle paar Stunden. Das Heft berichtete auch über Veranstaltungen in Berlin. Musicals, Kinofilme, Party in Parks und Sportereignisse. Ich trank einen großen Schluck Pepsi, wahlweise aus der Flasche, wo waren die Gläser und verfluchte mich innerlich dafür, dass immer noch nicht der Fernseher angeschlossen war. Ich brauchte Stimmung, ich brauchte Gesellschaft. Doch alles was ich besaß, war nicht angeschlossen oder befand sich noch in diversen Kisten. „Es rappelt im Fuchsbau“, lasen meine Augen und ich schlug die Seite komplett auf. „Besuche uns beim Training in der Berliner Eishalle! Bis bald in der Avenura Arena, wenn es wieder heißt: Fuchs, du hast den Pokal gestohlen!“ Ich grunzte vergnügt. Wo und was sollte das denn sein? Ich überflog den dazugehörigen Artikel und es stellte sich heraus, dass es sich um Eishockey der ersten Liga handelte. Was es hier in der Stadt alles gab. Was verstand ich vom Eishockey? Es fand auf dem Eis statt und man schlug mit Schlägern, ansonsten nichts. Ein weiterer Blick in den Artikel ließ mich begreifen, dass beide erwähnten Sporthallen am anderen Ende Berlins beheimatet waren. Ach du Scheiße! Resignierend warf ich das Käseblatt auf den Boden und kramte in der ersten Kiste, in der Hoffnung die Fernsehkabel zu finden. 

***

Ich gähnte müde in den Ärmel meines Kittels und warf einen schnellen Blick auf das Tablett vor meinen Augen. Schnitzel mit Kroketten registrierte mein Gehirn und ich tippte die dazugehörige Kombination in die Kasse. Plus zwei 400 ml Getränke. „Das macht 14,50 € bitte.“ Ich nahm die Bankkarte der kurvig blond aussehenden Frau entgegen und überlegte eine Sekunde zu lang, ob mir das Gesicht bekannt vorkam. „Melli?“, murmelte die Frau und schien mich intensiv zu mustern, „Melanie Brinkmann?“ Sie kannte mich. Scheiße. „Ja“, lächelte ich, als ich der Frau die Karte zurückgab. Ein genauerer Blick in ihr Gesicht ließ mein Hirn arbeiten. Auch ich kannte sie, doch von woher? „Krass dich hier wiederzusehen. Es ist Jahre her“, sagte sie und nach dem ich scheinbar immer noch geistig abwesend lächelte, sagte sie: „Ich bin’s Herta.“ „Bsc?“, murmelte ich. Ein Mädchen namens Herta wurde früher in der Grundschule immer so genannt. Früher, vor einer Millionen Jahren. Heute hatte die Frau vor mir wie ich die dreißig so gut wie überschritten. Die blonden Haare waren geblieben, an ihrer Hand blickten zwei Kinderaugen schüchtern zu mir. „Ja, Bsc“, lachte sie. „Mensch, das ist ja ewig her! Wie geht es dir?“, fragte Herta lachend. Zwischenzeitlich hatte sich hinter ihr eine Schlange gebildet. „Geht erst einmal essen“, bat ich sie und zuckte mit meinem Gesicht in Richtung Menschentraube.

~ Austin Carlos ~

Obwohl ich in den letzten Monaten viel trainiert hatte, tat mir dennoch alles weh. Zwei Tage hatte ich Zeit mich vom Jetlag zu erholen, bisher fühlte ich mich noch nicht erholt. Aber darum ging es hier nicht, es ging nur darum einen guten Job abzuliefern. „Der Neue, der die Eisfüchse zur Meisterschaft führen will“, hatte die Presse über mich geschrieben und war rattenscharf darauf, mich endlich vors Mikrofon zu bekommen. Mich den neuen Right Wing, den neuen Angriffsstürmer rechts außen. Scheibenrückgewinnung, Führung und jede Menge Powerskating, das hieß schnelles Eislaufen. Denn nicht nur Coach Mik hatte in der letzten Saison die Geschwindigkeit der Mannschaft auf dem Eis kritisiert. Der Schweiß tropfte mir von der Nasenspitze, als meine neuen Kollegen und ich nach einer Stunde Eistraining in die Schoner traten und das Eis verließen. Das Training fand in einer unscheinbaren Eishalle statt und hätte so überall auf der Welt stehen können. Die Kollegen klärten mich darüber auf, dass hier bereits Eishockeygeschichte geschrieben wurde, und ich glaubte es ihnen sofort. Das Flair, die Energie, man konnte es an diesem Ort fühlen. Es gab veraltete Tribünen, aber dafür eine angenehme Eisfläche. Einige Hundert Fans des Clubs kamen hierher, um beim Training zuzuschauen, was mich irgendwie rührte. Die Jungs vor mir begannen fleißig Autogramme zu schreiben und in Handykameras zu grinsen, als ich einen Druck am Schulterschutz spürte und mich fast roboterartig zur Seite drehte. „Hi Carlos!“ Eine dreiköpfige Familie lachte mich an, hieß mich auf Englisch willkommen und fragte nach einem Foto. Die Familie bedankte sich überglücklich und ich musste auf dem Weg zur Kabine noch einige Fotowünsche erfüllen. So viele freundlich lachende Fans, die uns viel Erfolg für die Saison wünschten. Daran könnte ich mich gewöhnen. Meine Jungs klärten mich in der Kabine auf. Berlin war eine Eishockeystadt und sogar Spieler, die wie ich aus Amerika oder Kanada hierherkamen, erklärten mir, dass die Berliner Fans ihrer Meinung nach die Lautesten waren und es mit ihnen unendlich Spaß machte. Das würde ich in der Avenura Arena bald feststellen, dort wo die Ligaspiele stattfanden. Ich war bereit! Doch erst einmal musste ich mit der Presse sprechen.

~ Melli ~

„Melli! Setz dich doch!“, rief Herta und wies mich auf den Stuhl gegenüber. Ich hatte die Kasse verlassen und einige Tische abgewischt und nahm zögerlich Platz. Eine direkte Pause hatte ich nicht. Herta hatte ihren Teil des Schnitzels schon verspeist, nur der kleine Mann neben ihr war noch dabei, mundgerechte Stücke mit der Gabel aufzuspießen. „Erzähl!“, forderte sie mich freudestrahlend auf. „Hast du Familie? Das ist mein Sohn Lukas-Ben.“ Ich lächelte das Kind an, doch es sah nur beschämend weg. „Nein“, murmelte ich „Ich bin frisch getrennt, aber wir waren nicht verheiratet und es gibt keine Kinder. Ich wohne jetzt wieder in Berlin.“ Beim letzten Satz kam meine Zuversicht zurück. „Oh, ich bin auch vom Kindsvater getrennt. Läuft momentan nicht so gut, aber egal.“ „Ja, manchmal ist alles für'n Arsch“, murmelte ich und spürte Hertas entsetzten Blick. Ich vergaß, dass Kraftausdrücke vor Kindern zu sagen von Eltern nicht begrüßt wurden. „War schön dich wiederzusehen“, lächelnd erhob ich mich und schwang auffällig den Putzlappen in meiner Hand hin und her. „Wollen wir Nummern tauschen?“, fragte sie mich geradeheraus. Ich empfand das als mutig. „Ähm, ja!“, murmelte ich, kramte in meinem Kittel nach einem Stift und schrieb ihr meine Nummer hastig auf eine Serviette. Ich glaubte kaum daran, dass sie sich wirklich melden würde. Doch nur wenige Minuten nachdem Herta mit ihrem Sohn das Restaurant verließ, erschien eine fröhliche Nachricht auf dem Display meines Handys.

~ Austin Carlos ~

„Austin Carlos, willkommen in Berlin! Hast du den Kader schon kennengelernt, welche Nummer wirst du tragen und wie ist dein erster Eindruck von Berlin?“, fragte er mich fließend auf Englisch. Das Smartphone des jungen Journalisten, oder war er ein Influencer, hatte beinah mein Kinn berührt. In den Trainingsklamotten des neuen Sponsors stand ich vor sechs Leuten, die Presse, und mir knurrte der Magen. „Ich habe viele Jungs während des Trainings schon kennengelernt. Ich werde die Nummer 22 tragen.“ Es blitzte ununterbrochen. Im Blitzlicht zu stehen bereitete mir keine Schwierigkeiten. „Ich habe noch nicht so viel von der Stadt sehen können, aber ich freue mich hier zu sein.“ Das klang nach Geplauder, aber auch das lernte man mit der Zeit. „Wie werden Sie die Eisfüchse zur Meisterschaft führen?“ Hatte ich das behauptet? Mein Magen knurrte erneut. „Und wo? Im Center?“, schob er sogleich die nächste Frage hinterher. „Right Wing“, antwortete ich, das bedeutete rechts außen. „Tja wie?? Mit arbeitsintensiver Deckungsarbeit, give and go“, ich tat es dem Presseboy gleich und nickte zuversichtlich. Damit war das Interview beendet. Ich ging mit einigen Betreuern zurück in die Eishalle, sie klopften mir anerkennend auf die Schulter. Nicht nur der Hunger, auch der Jetlag meldete sich zurück in meinen Knochen. Mannschaftskollege Jonas Meier kam mir entgegen. Er war der Einzige, den ich sofort erkannte. Sein Gesicht erinnerte mich an eine Marvel-Figur. „Gute Arbeit“, warf er mir entgegen und hielt mir seine Faust hin. „Feierabend“, fügte er auf Deutsch hinzu, doch ich verstand es nicht. Meinte er das Wetter? Ein Blick neben uns durch die Glasfront ließ darauf vermuten. Es regnete. „Kommst du mit etwas essen? Nudeln?“, fragte er mich auf Englisch und ich stimmte sofort zu. Und danach wollte ich nur noch schlafen.

Kapitel 2

~ Melli ~

„Schön“, murmelte Herta und blickte unbeholfen in meiner Wohnung umher. Ja, ich brauchte ein Sofa! Ich zeigte auf eine Bücherkiste, worauf sie vorsichtig Platz nahm. Lukas-Ben war an diesem Abend bei seinem Vater, so Hertas Erzählung. „Ich rödel nach der Arbeit hier herum, aber ohne Sofa wirkt’s halt nicht gemütlich“, erklärte ich und reichte ihr ein Glas Wasser. Immerhin hatte ich die Gläser gefunden. „Ach, du! Bei mir ist es nicht viel besser, mit Kind hast du immer Unordnung. Erzähle mir von Dennis.“ Dennis. Ein Thema, welches ich lieber für immer eingemottet haben wollte. „Tja nach fast fünf Jahren“, ich zuckte krampfhaft mit den Schultern, „keine Ahnung, er wollte da hin, ich wollte woanders hin.“ Mein Hals wurde trocken. „Das kenne ich von Damian und mir. Mit Kind wird es alles noch schwieriger.“ Damian. Dennis. Dummies. „Wir sind schon eine Weile getrennt“, fuhr Herta fort, „aber richtig raus komme ich auch selten. Mal nimmt er Lukas-Ben, mal nicht. Wie es ihm gerade passt.“ Ihre Lippen verzogen sich wie nach dem Genuss von Zitrusfrüchten. Plötzlich beugte sie sich nach hinten und griff nach etwas. Ich hatte schon Angst sie würde von der Kiste heruntersegeln. „Du hast hier etwas fallenlassen“, ächzte sie und wedelte mit dem BVG Werbeheft herum. „Ach, das ist nichts.“ Doch Herta blätterte bereits darin. „Guck mal Eishockey! Ist das kostenlos?“ Herta hatte ihre Nase tief im Heft vergraben. „Beim Training zuschauen, ja, aber in der großen Arena natürlich nicht“, klärte ich sie auf. „Vielleicht kann ich da mal hinfahren und mir das mit Lukas-Ben anschauen, wenn’s doch nichts kostet.“ „Magst du nicht eher Fußball?“, zog ich sie auf und sie lachte los. „Ach! Lukas-Ben mag momentan gar nichts, na ja, außer euer Schnitzel.“ Sag einfach noch einmal Lukas-Ben. „Morgen um 17 Uhr findet ein Training statt. Hast du nicht Lust mitzukommen?“, augenklimpernd blickte sie mich an. „Das ist total weit weg“, protestierte ich, doch schlussendlich willigte ich doch ein. Ich könnte von der Arbeit gleich weiterfahren. Es würde zwar ewig dauern, aber ich war schließlich in Berlin und hatte gerade eine alte Freundin wiedergefunden. Und wollte etwas erleben! Das Chaos in meiner Wohnung konnte warten.

***

Feucht und außer Atem erreichte ich die Eishalle, die mich äußerlich an eine alte Sporthalle aus Ost-Berlin erinnerte, was sie auch war. Sie lag unscheinbar in der Landschaft, sodass ich Mühe hatte die Halle zu finden. Ich hatte mich mit Herta drinnen verabredet, weil ich direkt von meiner Schicht hierhergekommen war. Mein Haar roch nach Schnitzel. Ätzend. Draußen standen Kerle herum, die rauchten. Fans? Ich drängte mich durch den Eingang in die Eishalle. Die kalte Luft, die mir entgegenkam, war außergewöhnlich. Meine Füße waren ohnehin feucht, weil es mal wieder regnete und nun stand ich in einer Eishalle. Ob das schlau war? Herta erblickte mich und winkte hektisch von einer der Tribünen. Ihr Sohn stand daneben und starrte auf die Eisfläche. Eishockey war schnell wie der Blitz, wie ich sogleich feststellte. Ich schrieb Herta eine Nachricht, dass ich unten, das hieß vor der Tribüne stehen bleiben würde. Denn mich jetzt zu ihr an den vielen Fans vorbeizudrängeln, lag mir nicht. Unten war es ebenso voll, aber ich fand eine Lücke und konnte die Eisfläche beobachten. Berlin hatte nicht nur Öffis, sondern auch Eishockey. Zwei Dinge, die jahrelang in meiner Welt nicht existierten. Ich staunte, weil es so wahnsinnig schnell war. Eiskalte Luft schlug mir von der Eisfläche in Intervallen entgegen.

~ Austin Carlos ~

Das Eis unter meinen Kufen fühlte sich gut an. Trotz des intensiven Powerskatings, was einen eisigen Wind durch die Halle aufwirbelte, schwitzte ich wie aus Eimern. Nun schnappte sich jeder den nächstbesten Puck und versuchte diesen zu versenken. Doch unsere Goalies, die Torhüter, egal ob Krätzle, Herfurd oder Smith ließen prallen. Die waren ziemlich gut. Das Eistraining lief heute besonders gut für mich. Langsam hatte ich mich akklimatisiert und konnte meine Kraft gut einsetzen. Ein Blick auf die Tribünen verriet mir, dass wieder einige Fans gekommen waren. Berlin machte mir jetzt schon Spaß. Die Jungs hatten mir bereits von der Stimmung in der großen Arena vorgeschwärmt. Ich konnte es kaum erwarten! Die letzten Formationen in den jeweiligen Zonen standen an, welche wir mit höchster Präzision durchführten. Es tat so gut wieder Eishockey zu spielen! Ich ließ mich gegen die Bande prallen und kaute ein letztes Mal auf meinem Zahnschutz herum, bevor ich diesen ausspuckte, es meinen Kollegen gleichtat und in Richtung Kabine lief. Zur ersehnten Dusche. Doch zunächst stoppten wir in der Menge der Fans, die uns freudig erwarteten und scharf darauf waren Fotos und Autogramme zu bekommen. Es machte einfach Spaß.

~ Melli ~

Die Spieler liefen an den unteren Tribünen entlang und stoppten bei den Fans. Große sportliche Kerle waren das, die angelaufen oder eher angewackelt kamen. Die imposante Ausrüstung ließ die Spieler noch größer erscheinen. Die Fans lachten mit den Spielern um die Wette und die Spieler waren so nett und ließen sich mit ihnen fotografieren. Ich blickte zu Herta hinauf, die mir signalisierte näher heranzugehen. Sollte ich nach einem Autogramm fragen? Ich hatte weder Zettel noch Stift dabei und roch obendrein nach Fritteuse. Und doch stand ich nun genauso wie andere Fans direkt am Gang und klatschte diverse Hände der Spieler ab. Als hätte ich Ahnung. Die Spieler verschwanden nacheinander in ihrer Kabine. Das Training war vorüber. Und ich fragte mich angesichts des bevorstehenden langen Rückwegs nach Hause, wo sich die Toiletten befanden. Planlos blickte ich umher. Ich tippte eine Nachricht an Herta, dass ich noch auf die Toilette wollte. Sie bräuchte nicht auf mich warten. Diese war auch schon fast draußen, so ihre Antwort, da Lukas-Ben wohl Eisfüße bekommen hatte. Verständlich, so kalt, wie es hier war. So lief ich suchend unter den Tribünen entlang und fand mich in einem Gang wieder. Immerhin signalisierte mir ein Schild, dass ich in der richtigen Richtung unterwegs war. Als mir das WC-Zeichen entgegensprang, stürzte ich hinein und untersuchte bei der Gelegenheit gleich meine Schuhe auf Nässe und stopfte mir sogar Klopapier in die feuchten Schuhe. Als ich mir wenig später im verwaisten Toilettenraum die Hände wusch, stieg mir der Geruch meiner Haare in die Nase. Schnitzel. Ein Blick auf die Uhr meines Handys verriet mir, dass ich mich langsam auf den Rückweg machen sollte. Das Training war cool. Schade, dass ich nichts vom Eishockey verstand und mit Herta nicht reden konnte. Es hatte keiner von uns gedacht, dass so viele Fans da sein würden. Ich verließ seufzend die Toilette, als ein Raum weiter zeitgleich die Tür vom Männerklo aufgerissen wurde. Ein Typ in dunklen Sportklamotten, bestechend dunklen Augen und eine Haut wie Karamell schaute mich freundlich an. Er war nur einen Kopf größer als ich. Mir war diese Spontanbegegnung leicht unangenehm, deshalb fing ich geistesabwesend an zu winken. Warum guckte der Typ denn so?Und warum winkte ich wie eine Verrückte? „Hallo, hast du uns beim Training zugesehen?“, sprach er mich plötzlich in einem amerikanisch klingenden Englisch an. Uns? War das etwa ein Spieler?Glotz nicht so blöd, Melanie, rede! „Ja, es war nett“, plapperte ich auf Englisch, weil mir so schnell keine passenden Vokabeln einfallen wollten. „Möchtest du ein Bild machen?“, fragte er, und sein Blick fiel auf das Handy in meiner Hand. Er musste also einer der Spieler sein. „Ja!“ Trottelig riss ich meine Augen weit auf und zückte mein Handy. Er kam näher an mich heran und setzte ein Grinsen auf. Dann fiel mir wieder ein, dass meine Haare nach Schnitzel stanken. Verdammte Schnitzel! Und nicht nur das, ich fing planlos an zu plaudern. „Meine Haare riechen nach Schnitzel, entschuldige“, lächelte ich und mühte mich krampfhaft auf Englisch ab, während ich fotografierte. Wobei ich das Wort Schnitzel einfach auf Deutsch sprach. Es klickte ein paar Mal, scheinbar war der Serienauslöser aktiviert. Ich Trottel. „Danke.“ Was sollte ich auch sonst sagen? „So schlimm ist es nicht“, antwortete er. „Das Foto?“ „Nein, der Geruch deiner Haare“, er grinste. Ich spürte die Röte in meinem Gesicht. „Ich bin übrigens Austin Carlos, die 22, der Neue.“ Ich nickte begeistert, um meine Ahnungslosigkeit zu vertuschen und die peinliche Bemerkung über meine Haare zu verdrängen. „Dann viel Erfolg“, sagte ich, ließ das Handy in meiner Tasche verschwinden und verließ die Eishalle. Draußen regnete es immer noch.

***

Am Wochenende hatte ich zwar immer noch kein Sofa, aber immerhin hatte ich endlich alle Kisten ausgepackt. Obwohl ich meine Haare am Freitagabend zweimal wusch, hatte ich das Gefühl für immer den Geruch des Frittierfettes in der Nase zu haben. Oder in den Haaren. Zwischen ausgiebiger Körperhygiene und der Einrichtung meiner neuen Wohnung telefonierte ich tatsächlich mit Dennis. Irgendwann musste ich ja ans Telefon gehen. Es kam, wie es kommen musste und endete im Streit. Ob mir mein Berlin jetzt gefiele? Oder ob ich es schon bereute in einer lauten Großstadt zu leben? Das Gespräch hatte nicht lange gedauert. Ich wusste nicht, was er von mir wollte. Sollte er doch glücklich werden und mir mein Leben lassen. Von Herta hatte ich in den letzten Tagen nichts mehr gehört. War ihr die Lust vergangen? Vielleicht hatte sie auch genug mit ihrem Sohn zu tun. Ben-Lukas oder hieß er Lukas-Ben? Augenblicklich fiel mir der Spieler vor der Toilette wieder ein und ich zückte mein Handy. Der Serienauslöser hatte das beste Foto abgespeichert, erst jetzt schaute ich es mir genauer an. Eigentlich war es gut geworden. So vorm Klo. Wir beide grinsten und sogar ich sah ganz manierlich aus. Wie hieß der Spieler noch mal? Ich überlegte und kam einfach nicht darauf. Ich erinnerte mich nur, dass er sich als neuen Spieler vorstellte. Den einzigen Internetanschluss, welchen ich zurzeit besaß, war im Mobiltelefon und so nahm ich auf meinem Bett Platz und gab in die Suchmaschine meines Browsers „Spieler Eisfüchse“ ein und landete auf deren Internetseite. Da war er. „Austin Carlos, unser neuer rechter Außenstürmer, die Nummer 22 im Fuchsbau. Der gebürtige Kalifornier wird uns in dieser Saison unterstützen. Willkommen in Berlin, Austin!“, stand dort. Ich ließ das Handy auf dem Bett liegen und machte mich seufzend bettfertig. Ich traf einmal im Leben einen Promi und stank dann nach Schnitzel, typisch. Ich rannte hastig aus dem Bad, da ich mein Handy klingeln hörte. Herta. Sie berichtete, dass es in den letzten Tagen sehr stressig bei ihr gewesen war, da in Lukas-Bens Kita irgendwelche Bakterien ausgebrochen waren und ihr Sohn diese natürlich abbekam. „Wie fandest du denn das Training? War doch ganz nett, oder?“, fragte sie. Ich berichtete ihr von meiner Begegnung vor der Toilette. Herta grölte mir begeistert ins Ohr. „Wollen wir morgen zum Spiel gehen? Es ist das erste Spiel der Saison, glaube ich. Ich habe mal im Internet geschaut, die Tickets sind nicht so teuer. Allerdings ist Lukas-Ben morgen bei seinem Vater, der ihn endlich mal wieder nimmt. Wir könnten doch hingehen, oder? Und vielleicht danach noch etwas trinken?“, prasselten Hertas Worte auf mich ein. Ich willigte ein. Ich entschied mich dazu, spontan, locker und cool zu sein. Wir würden also morgen zur großen Avenura Arena fahren und Eintrittskarten an der Kasse kaufen. Ich freute mich und fühlte mich lebendig.

~ Austin Carlos ~

„Austin eine Frage noch. Wie ist euer Plan für morgen? Das erste Spiel der Saison, dazu gegen die Nürnberger Dachse, gegen denen schon lange keine Punkte geholt wurden. Bist du oder besser, seid ihr vorbereitet? Gibt es einen Masterplan?“ Der Journalist eines örtlichen Volksblattes grinste penetrant und hielt mir sein Smartphone entgegen. Ich trug das neue Trikot des Clubs, meines Clubs, den Berliner Eisfüchsen, das Logo war ein hockeyspielender Fuchs mit aggressivem Blick. Ansonsten war das Trikot durch und durch mit Werbesponsoren zugepflastert. Ein ungewohnter Anblick für mich, kannte ich doch bisher nur fast werbefreie Trikots von zu Hause. Es gefiel mir dennoch. Ich trug es mit Stolz und zeigte dies auch gegenüber den Presseboys, die mir ihre Spiegelreflexkameras ins Gesicht hielten. „Wir sind bestens vorbereitet, das Training lief sehr gut. Mag sein, dass die letzte Saison nicht wie gewünscht verlaufen ist.“ Ich kratzte mich unbewusst an der Stirn. „Ansonsten geht es darum, schnelles, offensives Eishockey zu spielen. Und hinten wenig Chancen zuzulassen. Und das werden wir tun. Ich freue mich darauf, dass es losgeht.“ Es blitzte noch ein paar Mal und das Kurzinterview war beendet. Nun blieb noch Zeit für ein Mittagessen, bevor die letzten Vorbereitungen auf dem Eis in der großen prunkvollen Arena begannen. Mein Teamkollege Jonas Meier pfiff durch den Gang der Eishalle nach mir. „Mittag?“, rief er mir auf Deutsch zu und ich nickte zustimmend. „Schnitzel!“, rief ich so deutsch wie möglich zurück und er lachte auf. Das Wort Schnitzel wurde auch in den USA benutzt. Wie kam ich jetzt bloß darauf? Am Abend lümmelte ich fernsehschauend auf dem Sofa meiner neuen Wohnung und verstand kein Wort. Aber der Eistee in meiner Hand schmeckte. Fast wie zu Hause. Mein neues zu Hause, meine möblierte Wohnung lag direkt im Zentrum von Berlin, falls man das überhaupt so sagen konnte. Berlin war so riesig, dass es mehr als nur ein Zentrum besaß. Zumindest war ich in einem coolen Viertel untergekommen. Nur wenige Schritte vom Checkpoint Charlie entfernt, der berühmte ehemalige Berliner Grenzübergang. Der amerikanische Sektor. Vorhin hatte ich Zeit mit meiner Mutter per Handychat zu facetimen. Meine Familie vermisste mich jetzt schon, aber freuten sich auch für mich. Schließlich war ich in Europa, sogar in Berlin! Für heute Abend hatte ich mir fußläufig einen Kebab besorgt, den die Deutschen „Döner“ nannten. Er schmeckte ähnlich wie in Kalifornien, nur hier bekam man ihn an jeder Ecke mit beachtlichen scharfen Soßen. Könnte das eine gute Taktik sein für morgen? Den Gegner mit Knoblauchmundgeruch bezwingen? Gern wäre ich noch durch diverse Supermärkte spaziert, wie ich es zu Hause gern tat, wenn mir langweilig war. Doch hier hatten die Geschäfte nicht so lange auf, schon gar nicht 24 Stunden. Also schaltete ich durch die Programme und stellte fest, dass in Deutschland alles synchronisiert wurde. Die deutsche Sprache klang schön.

***

~ Melli ~

So eine große Halle hatte ich noch nie gesehen. Okay, das Olympiastadion war größer, aber dieses war auch nach oben offen. An der Avenura Arena leuchteten viele LED-Lämpchen in tausend Farben. Immer wieder wurden Instruktionen durchgegeben. Wer sich wo anstellen sollte, dass man nur eine kleine Tasche mit hineinnehmen durfte und andere Dinge. Herta winkte mir von Weitem mit zwei Tickets in den Händen entgegen. „Ich habe noch welche bekommen, ganz oben hat die gesagt, geil!“ Sie schien in ihrem Element zu sein. Ich lachte und schaute mir die vielen Fans an, dessen Zustrom gar kein Ende zu nehmen schien. Jeder trug die rötlich-weißen Farben des Vereins. Es schienen Fans jeden Alters zu sein. Ich bestaunte sie alle. Wie konnte man Menschenmengen nicht toll finden? Einige begannen draußen bereits zu singen, indem sie diverse Kinderlieder umdichteten und ihren Club einfügten. Ich verstand nicht jedes Wort, aber mir gefiel die Stimmung. Ich fühlte mich … lebendig! „Ich brauche auch etwas“, stellte ich fest, denn in meinem einfachen T-Shirt kam ich mir langweilig vor. Herta deutete auf ein Geschäft gegenüber der Arena, über deren ein Fuchskopf prangte. Ich nickte. Das war der Fanladen des Vereins, dieser war natürlich gerammelt voll. Herta blieb draußen stehen, während ich fast 20 min für einen Schal anstand, aber wir schafften es noch rechtzeitig auf unsere Plätze. Obwohl die Arena riesig war und dort mehr Leute Platz hatten als in dem Dorf, in dem ich die letzten Jahre verbrachte. Wir saßen ganz oben im Block, man hätte auch in einem Flugzeug sitzen können, so kam mir die Entfernung zum Eis vor. Ganz anders als in der kleinen Eishalle, wo das Training stattfand. Eine gigantische Introshow begann, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Gab es so etwas auch im Fußball?Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Die Spieler wurden mit einem Lied empfangen und dann wurde jeder einzeln aufgerufen und bejubelt. Eine wahnsinnige Atmosphäre herrschte bereits vor Spielbeginn in der Arena. Die Fans brannten darauf, dass die Eishockeysaison, ihr Club, endlich wieder loslegte. Die Nummer 22 wurde angekündigt und ich entschied mich mitzumachen und grölte den Namen des Spielers mit. War es doch die einzige Rückennummer, welche mir etwas sagte. Und schnell wurde mir etwas klar. Die Fans des Clubs sangen, klatschten und grölten die ganze Zeit, Eishockey musste die schnellste Sportart der Welt sein. Da konnte man nicht vor sich hinträumen, das Handy checken oder aufs Klo gehen. Natürlich hatte ich die Schnelligkeit in der kleinen Eishalle bereits festgestellt, aber das, was hier in der imposanten Arena mit Unterstützung der über 10.000 Menschen passierte, war einfach unvorstellbar. Ich hatte mit Sport bisher wenig zutun, natürlich schaute ich hin und wieder Fußball zur Weltmeisterschaft, aber wenn man sich Eishockey vor Augen führte, kam mir alles Bisherige doch extrem langsam vor und auch weniger elegant und spannend. Ein Schiedsrichter - wie viel gab es davon überhaupt? - pfiff plötzlich und eine Stimme sprach laut durch ein Mikrofon. „Strafzeit für unsere Gäste aus Nürnberg, für den Spieler mit der Nummer 6, James Mckurn, wegen Hakens.“ Was bedeutete Haken? Scheinbar musste der Haken-Spieler nun vom Eis gehen. Die Eisfüchse brachten die schwarze Scheibe schnell voran in Richtung Tor. Als das Gummiding ins Tor schoss, ertönte eine zirkusähnliche Musik und die Halle tobte. Auch uns riss es von den Sitzen.

Kapitel 3

~ Melli ~

In den nächsten Wochen sah ich Herta nicht so oft, dafür telefonierten wir häufig. Ihr Sohn war wieder krank und immer wieder gab es Ärger mit dem Kindsvater, weil dieser das kranke Kind nicht hüten wollte. Ich war mir aber nicht sicher, ob ich die Story korrekt verstand. Meine Wohnung nahm langsam Form an. Endlich hatte ich es geschafft ein Sofa zu bestellen, welches zwei Monate Lieferzeit benötigte. Ich wog mich in Geduld. Im Restaurant wurde es zunehmend anstrengender, denn eine Bedienung fiel aus. Somit arbeitete ich nun mehr und befand mich auch öfter direkt an der Essensausgabe, wo es um die Mittagszeit sehr stressig werden konnte. Gerade klatschte ich eine Kelle Kartoffelpüree auf einen Teller, als mich eine vertraute Stimme aus der Schlange ansprach. Mein Herz blieb fast stehen. Dennis!Hatte er komplett den Verstand verloren? Grinsend reichte ich der Seniorin vor mir den portionierten Teller und wünschte „guten Hunger“. Dann starrte ich Dennis vorwurfsvoll an. „Was willst du?“, knurrte ich. „Ich arbeite.“ „Das sehe ich“, sprach er entsetzt oder eher angewidert. „Ich nehme die Roulade mit Püree“, sagte er und hob die Augenbrauen. Widerwillig portionierte ich sein Essen und reichte ihm den Teller. Lächeln tat ich nicht. „Komm bitte zu mir rüber, wenn du hier fertig bist“, sagte er noch und ging zur Kasse. Kurze Zeit später wechselte ich mit meiner Kollegin Irma die Position und sie reichte mir einen Lappen. Ich lief tischabwischend durchs Restaurant und stoppte am Tisch meines Ex-Freundes, welcher lässig dasaß und mich anstarrte. Auf seinem Teller befanden sich nur noch Reste von Püree und ein Meer aus Bratensoße. „Was willst du?“ „Mit dir reden. Ich möchte, dass du wieder mit nach Hause kommst.“ Ich grunzte auf. „Sonst noch etwas?“ „Ich liebe dich, Melli.“ Seine Hand griff meine, ich zog sie weg und umklammerte den Putzlappen. „Dennis, wir sind Welten auseinander. Wir hatten eine gute Zeit. Aber ich bin jetzt 30. Wir wollen nicht die gleichen Dinge vom Leben. Du willst dich für ein Eigenheim verschulden, willst Kinderbilder in den Flur hängen und deine Eltern als Nachbarn haben. Und das ist auch okay, aber ich will das nicht. Es tut mir leid, aber es gibt nichts mehr was uns verbindet. Das haben wir aber auch schon alles besprochen.“ „Und was willst du, Melli?“, fragte er. Doch ich antwortete nicht. Ich erhob mich, das Gespräch war für mich beendet. Ich brachte den Putzlappen zurück und sagte meiner Kollegin, dass ich nun in die Pause ging. „Alles in Ordnung?“, fragte Irma. „Alles bestens.“ „Hier hast du etwas zum Lesen“, sagte sie und reichte mir eine Zeitung. „Soll ich dir ‘nen Kaffee bringen? Bleibst du hier im MAB?“ Damit meinte sie den Mitarbeiterbereich. Wir hatten einen separaten Bereich im Restaurant. Ich nickte und lief in unser Abteil, wo nur ein paar Haushandwerker pausierten. Irma kam sofort mit dem Kaffee hinterher. „Danke Irma. Kann ich dir das Geld später geben?“ Wir bekamen 50 % Mitarbeiterrabatt. „Klar genieße deine Pause.“ Ich lugte durch die Lamellen, welche den Kunden- vom Mitarbeiterbereich trennten. Dennis war nicht mehr zu sehen. Ich atmete auf und nippte am Kaffee. Er schmeckte fantastisch. Mir fiel eine Haarsträhne ins Gesicht, welche nach Roulade roch. Heute mal Rouladengeruch und nicht Schnitzel. Ich blätterte die Zeitung durch oder besser gesagt das Käseblatt, überblätterte Mord, halb nackte Frauen und den Wetterbericht und blieb beim Sport hängen. Als hätte ich Ahnung. „Und es rappelt weiter im Fuchsbau! Die Berliner Eisfüchse und ihr neuer Außensturm Austin Carlos sind kaum aufzuhalten“, las ich. Daneben befanden sich ein kleiner Leitartikel und ein Foto von Austin Carlos, wie er auf dem Eis umjubelt wurde. Eishockey. Es war nett gewesen, das Training und auch das Spiel. Mein Blick fiel auf einen kleinen umrandeten Textkasten. Neue Spieltermine sowie Trainingstermine wurden dort aufgelistet. Welches Datum hatten wir heute? Ich nahm den finalen Schluck meines Kaffees. Heute. Heute Abend war Training in der Eishalle. Und ich? Ich musste mich dringend ablenken.

~ Austin Carlos ~

Sweat Baby sweat, schoss es mir durch den Kopf, als sich das Training zum Ende neigte und die von uns erzeugten eiskalten Powerskating-Winde durch die Halle zogen. Als war ich nicht schon nass genug, spritzte ich mir noch einmal Wasser in den Mund sowie ins Gesicht. Bevor ich unfassbar zufrieden vom Eis marschierte. Es war schön, dass immer Fans warteten. Selbst heute mitten in der Woche hatten sich die Fans nicht bitten lassen beim Training zuzuschauen. Waren die Fans hier immer so herzlich? „Bitte ein Foto, Austin“, rief mir ein Junge zu und ich nahm ihn kurz in den Arm und er betätigte den Selfieauslöser. „Du bist mein Lieblingsspieler“, sagte er zum Abschied. Wie nett, ich war doch noch gar nicht so lange im Kader. „Hallo“, rief die nächste Stimme und ich blickte in die grünen Augen einer Frau mit Brille, welche mir etwas schüchtern einen Stift und einen Fanschal hinhielt. Ich krakelte darauf herum und gab ihr beides zurück. „Auch ein Foto?“, fragte ich und das sogar auf Deutsch. Zwei Wochen nach meiner Ankunft in Berlin hatte ich damit angefangen, abends über mein Handy Deutsch auf „Babble“ zu lernen. Sie nickte verhalten und zückte ebenfalls den Selfieauslöser ihres Telefons. „Danke, jetzt habe ich auch eines von dir mit Ausrüstung“, lächelte sie verstohlen. Merkwürdig. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, was eigentlich nicht sein konnte. Kannte ich doch außer meines Teams niemanden hier. Waren wir uns schon einmal begegnet? Ich wankte auf meinen Schlittschuhen weiter. Meine Kollegen und ich unterschrieben so allerhand Fanartikel und lächelten in unzählige Kameras. Jedoch wühlte ich währenddessen stetig in meinem Gedächtnis danach, warum mir diese Frau bekannt vorkam. Als ich mich erschöpft auf die Kabinenbank niederließ und mir einen großen Schluck aus der dort platzierten Trinkflasche genehmigte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Toilette! Ich kannte sie von der Toilette! Instinktiv wackelte ich mit samt meiner Ausrüstung noch einmal vor die Kabinentür. „Hast du etwas vergessen?“, rief mir einer meiner Jungs hinterher, doch ich winkte nur kurz mit der Hand. Einige Fans waren noch geblieben und schauten nun erstaunt zu mir. Ich lief die wenigen Schritte zum Gang zurück, wo ich vor wenigen Minuten ihren Schal unterschrieben hatte, doch sie war nicht mehr da. Irgendwie hätte ich gern mit ihr gesprochen. Keine Ahnung, warum.

~ Melli ~

Ein Schal mit Unterschriften, Melli, Melli! Irgendwie war es faszinierend, wie die Spieler hier in dieser kleinen, überschaubaren Eishalle so normal wirkten. Während sie drüben in der großen Avenura Arena wie Superstars gefeiert wurden. Ich konnte mir vorstellen, dass sie auch nur normale Leute waren. Die auch mal aufs Klo gingen. Ich grinste. Da ich den weiten Weg nach Spandau zurückfahren musste, suchte ich genau wie neulich die Toilette auf. Einige Fans hatten sich an den Tribünen noch unterhalten und die Ergebnisse und Leistungen der letzten Spiele ausgewertet, aber ich verstand nicht allzu viel davon. Als ich aus der Damentoilette trat, fiel mein Blick automatisch zur Männerklotür. Doch niemand kam heraus. Dennoch war es eine nette Erinnerung. Ich lief ein Stück den Weg entlang und fand einen anderen Gang, welchen ich letztes Mal nicht bemerkte. Scheinbar gab es dort einen Fitnessraum, aber es war keine Menschenseele zu sehen. Ich blickte hinauf zu den Schildern. Wo war doch gleich der Ausgang? Endlich fand ich ihn. Ganz schön verwinkelt, hier. Ich zog mein Handy hervor und musterte kurz das neu geschossene Foto. Mit meiner Brille auf der Nase sah ich aus wie ein Sonderling.

~ Austin Carlos ~

Warum auch immer lief ich mit Schlittschuhen und Kufen an den Füßen ein Stück den Gang hinunter. Einige noch dagebliebene Fans musterten mich, riefen leise meinen Namen und fotografierten mich von der Seite. Da war sie! Wenige Meter vor dem Ausgang. Konzentriert schaute sie auf ihr Handy. Mit der Ausrüstung fühlte ich mich wie ein torkelnder Frankenstein, dennoch lief ich sofort auf sie zu. Ich musste irgendetwas sagen. „Hallo. Guten Tag“, sagte ich auf Deutsch und sie hob langsam den Kopf. „Hi“, murmelte sie und steckte ihr Handy weg. „Ich wusste, ich kenne dich“, redete ich nun auf Englisch weiter. „Du bist die Frau von der Toilette mit den Schnitzelhaaren.“ Sie prustete los. „Na toll“, antwortete sie ebenfalls auf Englisch, „so bleibe ich in Erinnerung.“ Ihr Lachen war ansteckend schön. „Keine Sorge“, lachte ich amüsiert, „aber warum Schnitzel?“ Sie schaute grinsend zur Glasfront und schien nach Worten zu ringen. „Ich arbeite in einem Restaurant. Bei uns gibt es Schnitzel und andere fettige Sachen“, erklärte sie. „Ich mag Schnitzel“, sagte ich auf Deutsch. Wer mochte Schnitzel nicht, du Idiot! „Gutes Training?“ Ich wusste nicht, ob es eine Frage oder nur eine Feststellung von ihr war, aber ich nickte für alle Fälle. „Es läuft alles sehr gut.“ Und auf Deutsch fügte ich „ich lerne gerade Deutsch“ hinzu. Sie lachte erneut. „Dann ist Schnitzel schon einmal ein guter Start. Weißt du, was ich heute verkauft habe?“ Ich schüttelte grinsend den Kopf. „Rouladen!“ Begeistert hob ich die Daumen in die Luft. Wir standen grinsend da und unterhielten uns überwiegend in Englisch mit ein paar deutschen Worten, die mir so einfielen. „Kommst du öfter zum Eishockey?“, wollte ich wissen. Sie lächelte verstohlen und schüttelte den Kopf. „Ich bin ganz neu hier in der Szene“, sie hob ihren Schal, „aber ich mag es, es ist sehr schnell.“ „Die schnellste Sportart der Welt“, sagte ich lachend. „Ich arbeite leider viel und lebe am anderen Ende von Berlin in Spandau, aber hin und wieder werde ich sicher kommen. Ich war beim ersten Spiel in der Arena“, erklärte sie begeistert. „Echt? Stark! Wie fandest du uns?“ „Gut, aber was ist Haken?“ Sie kicherte. Ich begriff zunächst nicht, was sie meinte, da sie den Satz auf Deutsch sprach. „Das sind Checks, es gibt sehr viele.“ Ich lachte, doch jetzt sah sie mich ungläubig an. Sie hatte keine Ahnung von Eishockey. Die alte Neonröhre an der Decke ließ ihre Augen mit einem Mal noch grüner erstrahlen. Ihre Brille intensivierte dies. „Ich muss jetzt los. Hat mich gefreut.“ Sie legte sich den Schal um den Hals und positionierte ihre Handtasche über die Schulter. Dann reichte sie mir ihre Hand zum Abschied. Sie fühlte sich kühl in meiner warmen Hand an. „Viel Erfolg für die Saison. Ich bin übrigens Melanie, damit du auch mal meinen Namen kennst.“ Sie ließ mich stehen und verließ die Eishalle.

~ Melli ~

Damit du auch mal meinen Namen kennst … Oh Mann. Ich hielt die Luft an, bis ich das Gebäude verlassen hatte. Draußen regnete es dieses Mal nicht, dafür war der Himmel bewölkt. Fast hätte ich noch gesagt, meine Freunde nennen mich Melli. Nachdenklich trottete ich zur S-Bahn. Gedankenverloren nahm ich am Fenster Platz und blickte hinaus. Als ich in Spandau ankam, regnete es.

~ Austin Carlos ~

Ein paar Fotografen hatten sich vor der Halle versammelt und hielten uns beim Verlassen die Kameras ins Gesicht. Mein Gefühl trog mich nicht. Wenn wir Interviews für diverse Sportspalten oder Fanblogs gaben, waren das eher Termine auf Augenhöhe und in der Regel angenehm. Die Leute, die uns hier entgegen knipsten, konnten nur für unseriöse Klatschspalten tippen, so meine Vermutung. So etwas kannte ich aus den Staaten zu Genüge. Aber auch hier gab es viele solcher Klatschseiten, egal ob offline oder online. Meistens waren diese Arten von Berichterstattungen an anderen Themen als die Spielerleistung interessiert. „Austin auf ein Wort!“, rief einer dieser Hampelmänner. Ich lief weiter, blickte ihn aber an. Ein Zeichen, das ich minimal interessiert war. „Dass es für euch bisher in der Saison super läuft, weiß jeder, aber wie geht es dir in Berlin? Erkundest du mit deiner Frau auch die Stadt?“ Ich rückte meine Ray-Ban-Sonnenbrille zurecht. „Ich erkunde die Stadt, wann immer ich Zeit habe. Ich fühle mich sehr wohl“, antwortete ich. Den anderen Jungs meiner Mannschaft winkte ich zum Abschied und ging auf ein Taxi zu, was auf dem Parkplatz vor der Eishalle bereitstand. Einige Mannschaftsjungs, die in der Nähe lebten, fuhren mit dem Fahrrad. Ich warf meine Sporttasche auf die Rückbank und schaute dem Pressetypen noch einmal ins Gesicht. „Für welches Blatt schreibst du?“ „Promiblitz“, antwortete er. Ich ahnte es. „Das hört sich so an, als hättest du keine Frau hier in Berlin. Oder wartet in der Heimat jemand auf dich?“ Am liebsten hätte ich ihm sein Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Aber die Show musste weitergehen. „Ich konzentriere mich voll und ganz hier in Berlin einen guten Job abzuliefern.“ Wir nickten uns zu, dann stieg ich ein und zog die Taxitür zu.

Am Abend hatte ich frei und so lümmelte ich auf dem Sofa herum und hatte meinen Laptop aufgeklappt. Auf Yelp versuchte ich naiverweise herauszufinden, wo man im Berliner Bezirk Spandau Schnitzel essen konnte. Und nicht nur das, ich las einiges über Spandau. Der Ort hatte sehr viel Wald, einen der bestbesuchten Weihnachtsmärkte und besaß eine Zitadelle. Ich staunte. Und es gab so einige Restaurants, wo man Schnitzel essen konnte und auch Rouladen. Es war sinnlos. Und was versprach ich mir überhaupt davon? Seufzend klappte ich den Laptop zu und verließ die Wohnung. Ich rief meine Mutter per Facetime an, um ihr per Videochat den Checkpoint Charlie zu zeigen. Ich fiel auf der Straße kaum auf. Ich war nur einer unter vielen Touristen. Das Facetimen mit meiner Familie tat mir gut, auch der Spaziergang rund um den Checkpoint. Doch etwas war merkwürdig. Jede attraktive Frau, die mir den Weg kreuzte, ließ mich an die Frau mit den grünen Augen denken. Melanie.Ein Fan? Als ich später im Bett lag, kam mir eine Idee. Ich nahm mein Handy und öffnete die Insta-App. Ich war nicht tagtäglich aktiv in den sozialen Medien. Wer hatte schon die Zeit dafür? Aber hin und wieder fütterte ich meine Fotoseite mit diversen Fotos aus meinem Leben als Eishockeyspieler. Ich postete ein aktuelles Promobild von mir, mit Ausrüstung und Schläger vom Eis kommend. Darunter schrieb ich „gutes Training heute“ und fügte noch „Melanie. Danke für das nette Gespräch, melde dich bitte bei mir“ hinzu. Es war ein Versuch. Aufgrund der diversen Presseseiten, die täglich die sozialen Medien nach Informationen abscannten, wollte ich so neutral wie möglich klingen. Als ich gegen Mitternacht das Handy weglegte, holte mich die Anstrengung des Tages ein und ich schlief sofort ein.

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~ Melli ~

„Und was hast du gestern Abend noch getrieben?“, fragte mich meine Kollegin Irma neben mir an der Essensausgabe. Der große Mittagsschwung war vorüber. Ich streifte meine Handschuhe ab, kramte nach meinem Telefon und hielt ihr das gestrige Foto hin. Sie riss die Augen weit auf. „Ein Date mit ‘nem Eishockeyspieler! Du bist mir ja ‘ne Marke!“ „Kennst du Eishockey?“, fragte ich sie. „Nee, nicht wirklich, aber sieht man ja, wer das ist. Der ist ja auch in jeder Zeitung. Ist er nett?“ „Ja, aber das war kein Date“, lachte ich und steckte das Handy wieder weg und stülpte mir neue Handschuhe über. Eine Frau bestellte Currywurst mit Pommes. „Ich habe nur beim Training zugeschaut und ein Foto gemacht. Beim ersten Mal haben meine Haare nach Schnitzel gerochen und beim zweiten Mal nach Roulade.“ Irma reichte einen Teller Matjes. „So so, also schon zwei Mal getroffen“, was nicht nach einer Frage klang. Ich verdrehte theatralisch die Augen. „Ach du! In der Eishalle ist alles sehr, na ja, übersichtlich, da trifft man schon mal Spieler.“ Doch Irma grinste mich mit diesem besonderen Blick an. „Und, wann siehst du deinen Eishockeyspieler wieder?“ Ich stöhnte leise auf und bediente die nächsten drei Kunden, versorgte sie mit Wurst, Schnitzel und Rouladen. Ein Vorteil dieses Jobs war, dass ich stundenlang in diesen Gerüchen stand und sie meinen Hunger dämpften. „Schau doch mal im Internet nach ihm“, schlug Irma vor. „Was soll das bringen? Er ist der neue Spieler. Er ist aus Kalifornien hierhergekommen und soll die Mannschaft zur Meisterschaft führen oder so. Fertig.“ Doch Irma grinste weiter. „Aber du hast ihn immerhin zweimal getroffen.“ „Das war nach seinem Training. Glaube mir, das bedeutet nichts. Da waren Hunderte Fans.“ Während ich weiterhin freundlich lächelnd das Essen auf Teller portionierte und über die Theke reichte, grübelte ich über Irmas Bemerkungen. Es waren viele Fans da gewesen und mit Fans redete man freundlich, genauso wie ich die Leute in meinem Job freundlich bediente. Punkt.

Kapitel 4

~ Austin Carlos ~

„Glückwunsch zum 5:2-Sieg. Austin Carlos, wenn es weiter so gut für die Eisfüchse läuft, dann können wir uns ja auf die Meisterschaft freuen“, die charmante Journalistin ließ Mikrofon und Kamera mitlaufen. Ich lächelte so gut ich konnte. Die Partie gestern gegen die Schwenninger Roadrunners lag mir schwer in den Knochen. Nach einem heftigen Forechecking krachte ich in die Bande. Das Glas brach, ich blieb heil. „Daran denke ich zurzeit noch nicht, um mir keinen Druck zu machen. Es läuft sehr gut für uns. Was wichtig ist, dass wir weiter unseren Plan verfolgen“, antwortete ich größtenteils auf Deutsch und so stellte sie mir die nächste Frage ebenso auf Deutsch. „Wie geht es dir heute nach dem gestrigen Banden-Check?“ Die Journalistin zeigte ihr Zahnpastalächeln, ihre grünen Augen fixierten mich. Hübsche Augen. Doch ich ließ mich nicht aus dem Konzept bringen, dafür war ich durch und durch Profi. „Das Glas lässt sich tauschen. Ich bin froh, dass ich weiterspielen konnte. Aber Eishockey ist und bleibt ein körperbetonter Sport.“ Sie nickte fröhlich und lobte mich für mein gutes Deutsch. Einige meiner Mannschaftskollegen, darunter auch Kapitän Jerry, sprachen noch weiter mit Journalisten. Mein Teil war erledigt und ich konnte mich umziehen. Wir trugen noch die Trainingsklamotten unseres Ausstatters. „Bis Morgen, Austin!“, rief mir einer der Betreuer zu. Ich wartete noch auf meinen Kollegen Jonas Meier, wir wollten uns ein Taxi teilen.

~ Melli ~

Seit Ewigkeiten war Herta mal wieder bei mir. Zur Feier des Tages, da ich endlich ein Sofa besaß. Es war ein flaschengrünes Westchester Dreier-Sofa. Es sah wahnsinnig edel aus und passte irgendwie nicht recht zu mir. Sofa hui! Der Rest pfui? Herta trank ein Glas Hugo. Einen süßlichen Perlwein, welchen sie extra mitgebracht hatte. Seit Stunden redete sie auf mich ein und erzählte mir sämtliche Details ihres Ex-Freundes bzw. Kindsvaters. Der gnädige Herr nahm sich scheinbar das gemeinsame Kind nur, wenn es ihm in den Tagesplan passte. Und oh Wunder, es passte nur selten, was Herta zu Recht aufregte. Als ich mir alles geduldig angehört hatte, war ich froh, dass ich mit Dennis keine Kinder hatte. Dennis. Er tauchte nach seinem Rouladenessen im Restaurant nicht mehr auf, aber er schrieb mir. Meistens antwortete ich nicht. „Und bei dir so?“, fragte Herta, nachdem sie alles losgeworden schien, was ihr auf dem Herzen lag. „Was ist das denn?“ Sie zog meinen Fanschal vom Kleiderhaken. „Der Eisfüchse Schal“, antwortete ich lapidar und nahm einen Schluck Hugo. Viel zu süß. „Da sind ja Unterschriften drauf, warst du noch einmal da?“ „Ja beim Training. Das ist aber schon eine Weile her“, antwortete ich. „Das hat wirklich Spaß gemacht“, sprach sie und meinte wohl das Spiel in der Arena. Sie musterte die einzelnen Unterschriften. „Dieser neue Spieler, Carlos wurde ja neulich gefoult, das Glas ist sogar kaputtgegangen.“ Ich hob eine Augenbraue. „Ich lese die Spielberichte, na ja, wenn ich die Zeit finde“, gab sie zu. „Und du?“ Seufzend nahm ich einen weiteren Schluck des süßlichen Getränks. Bier wäre mir lieber gewesen. Ich schüttelte den Kopf. „Ach, ich bin nur noch nonstop im Restaurant und stehe in der Fettwolke“, antwortete ich. Während Herta ihr Handy zur Hand nahm und darin las. Sie berichtete mir von Fouls, die wohl im Eishockey Checks genannt wurden. Wieder etwas gelernt. Sie zitierte einige Auszüge aus Interviews und eine offensichtliche Klatschseite, die behauptete, dass Carlos keine Freundin in Berlin hatte. Uninteressant. Ich hörte kaum zu. Dann riss sie plötzlich die Augen weit auf und starrte fassungslos auf ihr Telefon, als hätte ihr Jesus persönlich geschrieben. „Wann warst du beim Training, also da wo du den Schal hast unterschreiben lassen?“ „Keine Ahnung. Vor zwei Monaten oder so.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Hast du das gesehen?“ Herta hielt mir ihr Handy vor die Nase. Offensichtlich hatte sie das Insta-Profil eines Spielers geöffnet. Insta war eine Fotoseite, eigentlich eine App, wo sich jeder egal ob privat oder Star selbst feierte. Ich hatte zwar auch ein Profil dort, aber alle alten Bilder von mir und Dennis gelöscht. Meine verwaiste Seite zeigte nur noch ein Foto von meinem ersten Currywurst-Pommes-Teller, als ich frisch nach Berlin zog. Mir fiel nichts ein, was ich auf dieser Plattform zeigen sollte. Ich blickte auf Hertas Handy. Das Bild zeigte Austin Carlos, wie er auf dem Eis stand und von seinen Mannschaftskollegen umjubelt wurde. Aufgrund der etwas dunkleren Hautfarbe war er gut zu erkennen. „Und?“ Ich verstand nicht, was sie mir zeigen wollte. „Der Text!“ Ihre Stimme klang immer noch aufgeregt. Mein Blick fiel unter das Foto. Dort stand, dass er ein gutes Training hatte. Gerade holte ich Luft, um sie erneut zu fragen, worauf sie eigentlich hinauswollte, da fiel es mir ins Auge. Da stand noch etwas. Mein Name! Ich starrte Herta mit offenem Mund an. „Er meint dich! Kennt er deinen Namen?“, fragte sie. „Ja. Wir hatten kurz geredet“, grübelte ich laut. Aber warum sollte er mich meinen? Ich war verwirrt. Irgendwie konnte ich mir das Ganze doch recht schwer vorstellen. Ich schaute auf das Datum des Beitrags. Es passte. „Schreib zurück!“ Herta war sichtlich amüsiert. Vielleicht sollte sie aufhören Hugo zu trinken? „Schreib eine Nachricht über Insta, da kann man auch Privatnachrichten schicken. Der meint bestimmt dich!“ Ich fand, sie hatte den Verstand verloren. Ich fühlte mich ein bisschen als wären wir wieder in der Grundschule und würden Zettelchen an Jungs schreiben. Nur, dass wir heute alt waren. Vielleicht war es der süßliche Hugo, der mir langsam zu Kopf stieg. Ich griff nach meinem Telefon und öffnete die Insta-App. „Okay, was soll ich schreiben?“ Herta klatschte aufgeregt in die Hände. „Schreib nicht zu viel, sag einfach nur hallo.“ Ich hob eine Augenbraue. „Guter Plan. Dann blamiere ich mich nicht völlig, falls ich doch nicht gemeint war.“ Wovon ich überzeugt war. Ich griff nach meinem Glas. Mut antrinken. Und tippte auf Carlos‘ Profil. „Hallo Carlos“, mehr tippte ich nicht. Ich überlegte einen Smiley anzufügen, fand das dann aber alles albern. Dann legte ich das Handy weg. Doch Herta, die immer noch in ihr Handy starrte, schien etwas zu missfallen. „Das ist dein Profil? Man sieht ja nur einen Essensteller.“ Ihr Gesichtsausdruck wirkte so angewidert als hätte sie Hundekacke am Schuh. „Du hast auch kein Profilbild“, nörgelte sie weiter. Ich stöhnte auf. Deshalb mochte ich die sozialen Medien nicht, wenn man einmal damit anfing. „Lade das Bild mit Carlos hoch, sonst weiß er doch nicht, dass du es bist“, schlug sie vor als hätte sie den totalen Durchblick. So langsam wurde die ganze Aktion peinlich. Ich tat ihr den Gefallen und lud das zweite Bild mit mir und Carlos hoch, welches in der Fanschlange entstanden war. Jetzt hatte ich also zwei Fotos auf meinem Profil. Ein Selfie mit einem berühmten Eishockeyspieler und ein Teller Currywurst mit Pommes. Wahnsinn. „Gut so und nun noch ein Profilbild, sonst denkt er du bist Spam!“ So langsam war ich genervt. Ich brauchte mehr Hugo. „Herta, ich habe kein Selfie von mir. Ich arbeite den ganzen Tag, trage ein Haarnetz, kassiere oder verkaufe Schnitzel.“ Sie nickte und schoss mit meinem Handy ein Foto von mir, immerhin auf dem coolen neuen Sofa. „Bitte. Lade das hoch.“ Ich tat ihr den Gefallen. „So, alles richtig?“, stöhnte ich und warf einen Blick auf Hertas Fotoseite. Selfies, Essen, Blumen und natürlich Lukas-Ben. Wahnsinn.

~ Austin Carlos ~

Ich war mit Jonas Meier noch in einer Touri-Bar hängen geblieben. Er erzählte mir Storys aus der Liga, des Clubs und aus Berlin. Ich erzählte ihm meine Heimatgeschichten. Er würde gern einmal in seinem Leben für die NHL spielen. Ich erzählte ihm, welche Ehre es für mich war in Europa, dazu noch in Berlin, Eishockey spielen zu dürfen. Aber so war das. Es zog die Menschen immer in die Ferne. Und die NHL wurde nicht umsonst als „Beste Liga der Welt“ betitelt, aber dafür kam man dort eben nicht einfach hinein. Es gab viel Konkurrenz und die Leistung wurde sehr streng beurteilt. Mittlerweile gefiel mir Berlin richtig gut. Wir spielten schnelles Eishockey und mein Deutsch wurde auch immer besser. Jonas und ich redeten gemischt. Wir verstanden uns sehr gut. Wir tranken an diesen Abend beide nur Eistee. Alkohol war zwar nur während der Meisterschaft unerwünscht, dennoch wollten wir beide unsere Fitness nicht mit Absackern gefährden. Als ich nach Hause ging, las ich unterwegs noch ein paar online Eishockeynachrichten. Klatsch und Tratsch las ich im Grunde nie, das war zeitvergeudend. Es gab ein neues Pressefoto von mir, wie ich während des Checks gegen die Bande prallte und diese zerbrach. Eine hübsche Splitteraufnahme. Dieses Foto wollte ich auf mein Insta-Profil laden. Ich schrieb auf Deutsch „Scherben bringen manchmal Glück. Ich wurde nicht verletzt. Und wir gewannen“ dazu. Grinsend über meinen Wortwitz betrat ich die Wohnung. Mein Privatnachrichtenfach der App blickte, was nichts Ungewöhnliches war. Die Fans kommentierten und schrieben gern. Trotzdem war ich neugierig und wischte mich durch die Nachrichten. Ein Profilbild ließ mich innehalten. Eine Frau mit Brille. Der Name lautete: „Mellibrinkbln“. Melanie? Ich öffnete die Nachricht, wo sich nur ein kurzes „Hallo Carlos“ befand. Nichts Besonderes so weit. Ich tippte auf das Profil der Frau und starrte im nächsten Moment in mein eigenes Gesicht von vor ein paar Wochen. Im Arm mit ihr. Statt eines Textes hatte sie darunter nur ein Eishockeyzeichen gepostet. Ansonsten befand sich nicht viel auf ihrer Seite, außer das Bild einer Currywurst. Ihre Augen wirkten auf dem Foto unendlich grün. Wie in echt. Ich entledigte mich meiner Klamotten, ging auf die Toilette und warf mich dann mit dem Telefon ins Bett. Wie spät war es überhaupt? Egal! „Hallo Melanie, wie geht es dir? Schön von dir zu hören. Austin Carlos“, tippte ich auf Deutsch. Mir fiel gerade nichts Kreativeres ein. Sofort schickte ich die Nachricht ab. Ich deckte mich zu, das Telefon neben mir liegend. Ich war hellwach.

~ Melli ~

Verdammtes Telefon! Es piepte zwar nicht, jedoch ploppte eines dieser unwichtigen Pushnachrichten auf. Warum auch immer. Und gerade als ich am Einschlafen war. Das Zimmer wurde durch die einkommende Meldung kurz taghell. Ich schielte ohne Brille auf den Bildschirm. Konnte das sein? Sah ich richtig? Insta? Grummelig ließ ich das Handy liegen und drehte mich auf die andere Seite. Mein Kopf dröhnte leicht und obendrein musste ich aufs Klo. Verdammter Hugo! Stöhnend schälte ich mich aus meiner warmen Decke und trottete ins Bad. Carlos. Warum dachte ich jetzt an ihn? Moment, Insta? Ich stürmte aus dem Bad, fingerte nach meiner Brille, griff nach dem Telefon und öffnete die Pushnachricht, die mich direkt in die Insta-App führte. Carlos. Er hatte tatsächlich geschrieben. Und das sogar auf Deutsch. Und nun?

~ Austin Carlos ~

Ich konnte nicht schlafen. Die Frau, die ich vor gut zwei Monaten traf und die ich seither irgendwie nicht mehr vergessen konnte, hatte meine Nachricht gesehen und mir geschrieben. Melanie, die mit den zauberhaften grünen Augen, die Schnitzel und Rouladen servierte und in Spandau lebte. Mehr wusste ich nicht.