Ein Mann für Mama - Magdalena Bienert - E-Book

Ein Mann für Mama E-Book

Magdalena Bienert

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Beschreibung

Magdalena Bienerts "Ein Mann für Mama" ist ein charmantes Mutter-Tochter-Experiment, das gute Laune macht. Zu zweit begeben sich Tochter und Mutter auf eine ungewöhnliche Suche nach – genau: einem Mann für Mama. Was sie dabei erleben und warum es mit Anfang 70 nicht weniger kompliziert ist, den Richtigen zu finden als mit Anfang 30, davon erzählt "Ein Mann für Mama" mit Witz und viel Gefühl. "Meine Mama ist 'n heißer Feger. Und Single. Jetzt ist sie Anfang 70 und ich kann mir nicht vorstellen, dass es niemanden geben soll, der ihr Leben nicht ein klein bisschen auf den Kopf stellen kann. Also suchen wir gemeinsam einen Mann für Mama." Gesagt, getan: Magdalena Bienert und ihre Mutter Monika machen sich auf Männersuche und lassen dabei wenig aus: von analog bis digital, vom Blinddate bis zum Tanzcafé – das sympathische Duo macht die Männerwelt unsicher. "Ein Mann für Mama" basiert auf dem gleichnamigen Erfolgs-Podcast und ist ein Buch über die Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft durch die Generationen, eine Expedition ins Reich der Silver-Age-Singles, aber vor allem eine amüsant-innige Mutter-Tochter-Geschichte.

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Seitenzahl: 284

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Magdalena Bienert

Ein Mann für Mama

Wie ich mit meiner Mutter loszog, um die Liebe zu finden

Knaur e-books

Über dieses Buch

»Meine Mutter ist einfach cool und für jeden eine Bereicherung. Aber Single. Jetzt ist sie Anfang 70 und ich kann mir nicht vorstellen, dass es niemanden geben soll, der ihr Leben nicht ein klein bisschen auf den Kopf stellen kann. Also suchen wir gemeinsam einen Mann für Mama.« Gesagt, getan: Magdalena Bienert und ihre Mutter Monika machen sich auf Männersuche und lassen dabei wenig aus: von analog bis digital, vom Blind Date bis zum Tanzcafé – das sympathische Duo macht die Männerwelt unsicher. Ein Mann fürMama basiert auf dem gleichnamigen Erfolgs-Podcast und ist ein Buch über die Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft durch die Generationen, eine Expedition ins Reich der Silver-Age-Singles, aber vor allem eine amüsant-innige Mutter-Tochter-Geschichte.

Inhaltsübersicht

WidmungMottoEinleitungToday is the dayDas Leben beginnt außerhalb der KomfortzoneWarum wir wurden, wer wir sindLiebe analogLiebe virtuellHappy birthday to youAnpassungsgestörte sucht Persönlichkeitsriesen»Hier fliegen gleich die Löcher aus’m Keese«Keine halben Flaschen mehrPlease Mr PostmanTeestunde mit dem AnnoncenkönigDeep TalkZielgruppe »Senior«Auf eigene FaustGeselliges BeisammenseinLove is in the airLet’s talk about sex (explicit!)Das Single-Papa-DateSpeed-Dating in Slow MotionWerde, der du bistDünne Luft in der oberen Liga(K)ein Mann für Mama?Nachwort»Ein Fragebogen für Mama«DankQuellenverzeichnis
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Für alle Mütter,

vor allem die alleinerziehenden,

für die Väter, die geblieben sind,

und natürlich

für meine Mama

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I trust the next chapter because I know the author

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Einleitung

Gemeinsam mit meiner 72-jährigen Mutter habe ich Ausschau nach einem neuen Lebenspartner für sie gehalten. Wir haben einander durch die vielen Gespräche, die wir durch das Projekt miteinander geführt haben, noch besser kennengelernt, und was uns dabei wenig verwundert hat: Männer wurden da manchmal auch zweitrangig.

Ich bin über meinen Beruf der Hörfunkjournalistin darauf gekommen, meine Mutter für einen Podcast (also als Serie für eine riesige Audio-Bibliothek im Netz) mit meiner Idee der gemeinsamen Suche zu überfallen. Es gab einen Ideenwettbewerb (»Call for Podcast«) des Bayerischen Rundfunks für neue Podcast-Formate, und ich fand den Gedanken spannend, meiner Mutter offiziell als Journalistin auch Fragen stellen zu können, vor denen ich mich als Tochter gescheut hätte. Wann redet man beim Kaffeekränzchen mit den Eltern über ihr Sexleben oder fragt, ob sie sich eigentlich auch mal einsam fühlen? Wir beide haben kein Blatt vor den Mund genommen und durch die Auseinandersetzung mit dem Thema Liebe auch viel über eigene Erfahrungen und Denkweisen reflektiert.

Gleichaltrige Freundinnen meiner Mutter sind dabei genauso zu Wort gekommen, und wir haben mit ihnen über ihre Bedürfnisse gesprochen.

Die Sehnsüchte und Wünsche der sogenannten Silver Ager wurden lange in der Öffentlichkeit sehr stiefmütterlich behandelt. Diese Generation ist eben nicht so laut, wenn es um das Äußern der eigenen Bedürfnisse geht, wie kleine Kinder. Natürlich erscheinen solche Sehnsüchte uns bei Menschen in dem Alter auch nicht mehr so zukunftsweisend wie Träume von jungen Erwachsenen.

Zum Glück ändert sich das Bild der »Generation Rentner« in der öffentlichen Wahrnehmung allmählich. Es gibt Filme, in denen faltige nackte Haut gezeigt wird, und Senior*innen, die sogar Sex haben dürfen; es gibt grauhaarige Topmodels und viel geklickte YouTuber*innen, die um die 70 sind.

Wir werden immer älter und bleiben länger fit. Viele Rentner*innen sind wesentlich internetaffiner als noch vor wenigen Jahren. Kein Wunder, dass im Rentenalter auch der Singlemarkt boomt. Das Angebot an Partnerbörsen, Veranstaltungen oder Reisen in diesem Segment hat rasant zugenommen. Die Digitalisierung ist zwar für viele Silver Surfer eine Herausforderung, aber nicht wenige nehmen diese an, schließlich erlaubt sie ihnen, völlig neue Möglichkeiten auszuschöpfen, andere Menschen und potenzielle Partner auf diesem neuen Weg kennenzulernen.

Liebe im Alter ist ein wichtiges, aber tabuisiertes Thema, und ich lade Sie herzlich ein, uns bei der Suche nach der späten Liebe zu begleiten.

 

Ich bin dankbar, dass meine Mutter Monika Ja gesagt hat zur Idee der öffentlich geteilten Partnersuche, denn auch ich habe schnell gemerkt, dass dies einen Nerv trifft. Warum Monika nicht lange gezögert hat zuzusagen?

»Ich kenne das doch aus meinem Freundinnenkreis. Oft ist das Thema bei uns Singlefrauen: ›Wo können wir denn noch mal jemanden kennenlernen?‹ Das betrifft also nicht nur mich! Ich bin nur das Versuchskaninchen!«

Und so konnte der »Ein Mann für Mama«-Podcast entstehen, wir beide über unseren familiären Tellerrand schauen und Sie dieses Buch in den Händen halten. Vielleicht haben Sie es ja sogar von Ihrem tollen Kind geschenkt bekommen.

 

Und: Danke, Mama, dass du nie aufgehört hast, neugierig auf das Leben und die Liebe zu bleiben.

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Kapitel 1

Today is the day

»Ich glaube, ich finde diese Idee nicht so gut.«

Sagte meine Mutter, als ich sie mit meinem, wie ich fand, großartigen Einfall der Männersuche überraschte.

Warum ich überhaupt einen Mann für Mama finden will, fragen Sie sich vielleicht. Ist sie dazu nicht selbst in der Lage? »Braucht« sie denn überhaupt einen Mann?

Ich trage diese Idee von »Ein Mann für Mama« schon sehr lange mit mir herum, denn natürlich hinterfragt man mit zunehmendem Alter nicht nur den eigenen Lebensweg, sondern auch den der Eltern. Zumindest habe ich das getan. Es ist nicht so, dass meine Mutter einen unglücklichen Eindruck machen würde, im Gegenteil, sie ist aufgeschlossen, unternehmungslustig und fit wie ein Turnschuh mit ihren 72. Und genau deshalb treibt mich meine Idee um. Ich finde, meine Mutter könnte das Leben eines Mannes, der ähnlich tickt wie sie, unglaublich bereichern – und umgekehrt. Von »brauchen« kann keine Rede sein, aber haben wir je über »wünschen« gesprochen?

Und zugegeben, natürlich würde es mich auch beruhigen zu wissen, dass sie nicht allein lebt, dass noch jemand anderes da ist außer mir, der ein Auge auf sie hat. Ja, diese Idee ist auch ein klein wenig eigennützig. Meine Mutter reist gern, und wir haben schon viele Städtetrips hinter uns, aber ich hätte nichts dagegen, von ihr Postkarten zu bekommen von Orten, die sie gemeinsam mit einem tollen Mann entdeckt. Ich finde einfach, meine Mutter ist, so eigenwillig sie auch sein kann, zu schade für die eigenen vier Wände.

 

Ich bin als freiberufliche Hörfunkjournalistin und Podcasterin die meiste Zeit damit beschäftigt, Auftragsarbeiten zu erledigen. Was ein Segen ist und worüber ich mich keineswegs beschweren möchte. Ich liebe es, Interviews mit den unterschiedlichsten Menschen zu führen, ob es Celebritys, Künstler*innen oder meine Nachbarn sind. Kurze tagesaktuelle Beiträge oder auch mal längere Features für die öffentlich-rechtlichen Radiosender zu produzieren ist zwar meine Leidenschaft, doch für aufwendige, richtig langfristige Herzensprojekte bleibt sehr selten bis gar keine Zeit. Beziehungsweise ich habe sie mir nicht genommen, denn als Freiberuflerin freut man sich, wenn das Einkommen halbwegs regelmäßig auf dem Konto ankommt.

Experimente fallen mir schwer. Vielleicht auch, weil es Zeiten gab, in denen meine alleinerziehende Mutter und ich wirklich wenig Geld zur Verfügung hatten und ich es als Teenager richtiggehend ätzend fand, jeden Pfennig zweimal umdrehen zu müssen und auf Markenklamotten monatelang zu sparen. Kurzum, die Leichtigkeit, mir eine Auszeit für Herzensangelegenheiten zu nehmen, muss ich erst noch finden.

Daher war ich über den Ideenwettbewerb heilfroh, denn plötzlich tat sich dieses Fenster auf: das Projekt mit meiner Mutter zu starten und dafür bezahlt zu werden.

Aber, ob sie überhaupt dazu bereit wäre?

Ein kurzes Interview zum langjährigen Singledasein ist schließlich etwas anderes als eine zehnteilige Serie à 20 Minuten, und das womöglich im Wochentakt!

 

Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr fiel mir auf, wie wenig ich über die Bedürfnisse und Wünsche meiner Mutter wusste. Und wie sie zu dem ganzen Männerthema überhaupt stand. War sie noch offen dafür, jemanden kennenzulernen? Jemanden in ihr Leben zu lassen? Der letzte wichtige Mann, mit dem sie bis heute eng verbunden ist, heißt Volker. Ihn hat sie mit 50 kennengelernt. Davor gab es meinen Vater, da war meine Mutter 35. Aber aus dieser Affäre ergab sich leider nichts Festes, obwohl meine Mutter es sich sehr gewünscht hatte. Dann spricht sie noch manchmal von ihrer großen Liebe während des Schauspielstudiums, und es gab Peter, nach dem Studium. Er ist auch heute noch mit Mama befreundet. Warum sie nie einen Heiratsantrag bekam oder stellen wollte, beantwortet sie heute so:

Mein Lebensmotto war immer: Ich brauche keine Ehe, denn das ist doch nur eine bürgerliche Versorgungseinrichtung, die ich nicht nötig habe. Mein Beruf ist mir eh wichtiger als jeder Mann. Natürlich gab es Männer in meinem Leben! Aber ich war sehr frei in meinen Entscheidungen, welcher Mann wie lange mein Bett teilen durfte.

Ob das heute noch einmal jemand dürfte, mit Mama das Bett teilen? Oder hat sich das Thema ab einem bestimmten Alter erledigt?

Meine Mutter ist natürlich nicht der einzige Single in ihrem Freundeskreis. Daten ihre Freundinnen eigentlich noch? Wenn es Tinder für moderne heterosexuelle Singles gibt und Grindr für Homosexuelle, wo begeben sich dann die Silver Surfer auf die Suche? Was treibt diese Generation in Sachen Beziehung überhaupt noch?

 

In meinem Kopf schiebe ich die Möglichkeiten hin und her: Anzeigenschalten, Ausgehen, Tanzen, Kultur, lustige Senioren-Singlepartys, Speed-Dating und was es da sicher alles so gibt. Mit der eigenen Mutter auf den Putz hauen – für manche mag das eine schreckliche Vorstellung sein, aber ich stelle mir das wirklich unterhaltsam vor, und ich habe richtig Lust darauf! Schließlich ist unser Verhältnis eng und innig. Außerdem bin ich wahnsinnig neugierig, was uns dabei erwartet.

Ich muss nur noch meine Mutter davon überzeugen.

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Kapitel 2

Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone

Ich betrachte meine Mutter von der Seite. Ihr frisch nachgefärbtes, halblanges Haar leuchtet wieder in sattem Herbstblätterrot. Sie trägt den passenden Nagellack, den ich ihr zum letzten Geburtstag geschenkt habe. Tiefroten Lippenstift sowieso. Und dazu ihre vielen, vielen Falten, die von einst kurzen Nächten mit unzähligen Zigaretten erzählen, einem unbeschwerten Leben in der Sonne, vielen Lachanfällen, aber auch herzensschweren Abschieden.

Wir sitzen in ihrem Auto, auf dem Weg zu einem Weihnachtsmarkt, wo sie am Bühnenprogramm teilnimmt und die Weihnachtsgeschichte vortragen wird. In der amüsanten Variante auf Berlinerisch. Sie hat einen dunkelgrünen Schal über ihrem schwarzen, knielangen Mantel. Darunter dünne Nylons und schwarze gefütterte Wildlederstiefel bis unters Knie. Eigentlich etwas zu aufgebrezelt für den Besuch eines Weihnachtsmarktes, aber Auftritt ist Auftritt. Da macht sie als leidenschaftliche Schauspielerin, wenn auch in Rente, keinen Unterschied.

Diese gepflegte Erscheinung ruft auf einmal, während sie abbremst: »Mensch, so ein Affe! Na los, fahr doch, du kommst doch vorbei!«

Meine Mutter wedelt energisch mit der linken Hand, um dem Audifahrer-»Affen« anzuzeigen, dass er endlich vor ihr einscheren soll, wenn er in diesem Leben noch die Fahrbahn wechseln möchte, die gerade einspurig geworden ist. Der kleine Vogelkäfig aus Metall, der am Rückspiegel hängt, baumelt nervös.

Ich werfe einen Blick zu meiner kleinen Tochter auf dem Rücksitz. Sie ist zum Glück eingeschlafen und hat ihre fluchende Oma nicht gehört. Sie wird also hoffentlich nicht demnächst in der Kita ihre Freunde auf dem Bobbycar als Affen beschimpfen. Eigentlich bringt meine Mutter so schnell nichts aus der Ruhe, aber im Straßenverkehr wettert sie manchmal los wie ein nass gewordener Rohrspatz.

 

Meine Mutter gehört zu den 45 Prozent der weiblichen 65-plus-Generation, die in Deutschland allein leben. Das ist viel. Bei Männern sind es nur 19 Prozent. Also ist klar, dass nicht jedes Stückchen Erdbeerkuchen eine tolle Portion Schlagsahne abbekommt, aber zumindest bei meiner Mutter möchte ich es versuchen: Ich möchte ihr einen Mann ins Leben zaubern. Auch, wenn sie oft so tut, als würde sie sich nicht viel aus Schlagsahne machen. Und erst recht darf es keine 0815-Sahne aus der Sprühdose sein!

 

Ich atme durch, zücke unauffällig mein Aufnahmegerät, das ich auch für meine Radio-Interviews oft dabeihabe, und überfalle meine Mutter mit meiner Idee:

»Mama, weißt du noch, dass wir vor sehr, sehr langer Zeit mal darüber gesprochen hatten, dass ich das Projekt »Ein Mann für Mama« mit dir umsetzen will? Eine Männersuche auf verschiedenen Kanälen?!« Erwartungsfroh schaue ich sie an.

Doch sie blickt irritiert zu mir herüber: »Äh, ja. Ganz dunkel erinnere ich mich. Aber ich glaube, ich fand die Idee nicht so gut.«

Zum Glück kenne ich meine Mutter ja schon etwas länger und habe nicht vor, diesen Einwand gelten zu lassen. Ich erzähle ihr von der tollen Möglichkeit des Podcasts. Beim Wort »Podcast« stocke ich: »Mama, weißt du überhaupt, was ein Podcast ist?«

»Natürlich, ich bin doch nicht von gestern!«, antwortet meine 72-jährige Mutter empört. Ich muss ihr also nicht erklären, dass Podcasts wie eine riesige Online-Bibliothek für Audios funktionieren, in der man sich jederzeit unzählige Formate anhören kann, von Interviews über Ernährungs- und Lebenstipps bis hin zu Reportagen und wahren Geschichten in Serie erzählt. So, wie ich mir »Ein Mann für Mama« auch vorstelle.

Ich hatte es für den Moment vergessen. Aber meine Mutter ist absolut auf der Höhe unserer Zeit und alles andere als eine typische Rentnerin. Die Farbe Beige kommt bei ihr nur als Make-up-Grundierung vor, sie geht wöchentlich ins Frauen-Fitnessstudio, sendet mir regelmäßig per Mail Zeitungsartikel, die sie im Netz gelesen hat, und eBay ist quasi ihr zweiter Vorname. Bis auf Instagram nutzt sie mit ihrem Smartphone vieles, was ich auch benutze, außerdem hat sie für jede Lebenslage das passende Emoji bei WhatsApp parat. Neulich hat sie sich für ihre vielen unterschiedlichen Lampen im Wohnzimmer eine Fernbedienung gekauft und so programmiert, dass sie mit einem Klick die passende Lichtstimmung für jede Lebenslage einstellen kann. Natürlich weiß sie, was ein Podcast ist! Aber warum erinnere ich mich nicht an einen Mann für jede Lebenslage?

Die technische Seite der Veröffentlichung unserer Geschichte beschäftigt meine Mutter auch nur kurz. Was an ihr nagt, ist, was ich da eigentlich von ihr verlange. Aber schnell sprudelt es auch schon aus ihr heraus.

»Aber Magda, es gibt ja keine Männer mehr! Ich gucke ja immer, aber es gibt nur ganz wenige Männer, die mich wirklich interessieren. Die meisten in meinem Alter sind außerdem weggestorben, oder sie sind wortwörtlich einfach alt. Also geistig so alt. Und das ist etwas, was ich ja überhaupt nicht ertrage.«

Meine Mutter blickt mich kurz an und lenkt ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf die Straße. Als würde sie laut nachdenken, sagt sie: »Das muss einfach einer sein, der noch geistig interessiert ist, der Ansprüche hat, der sich pflegt – und zwar in jeder Hinsicht! Geistig wie seelisch und körperlich. Das ist schon eine Hürde!«

Ich verziehe ungläubig das Gesicht: »Echt? Das sollte man ja eigentlich nicht meinen …«

»Ja doch, ich merke das immer bei meinen Lesungen.«

Ich sehe meine Mutter vor mir, wie sie bei ihren Lesungen (über Künstlerpaare des 20. Jahrhunderts) an ihrem Tisch sitzt und auf die mit lauter Frauen besetzten Stuhlreihen blickt. Selten haben einige von ihnen, wenn vorhanden, ihre Männer mitgeschleppt.

»Von den wenigen Männern, die überhaupt kommen, möchte ich keinen haben«, sagt Mama ehrlich. »Und dann kommt noch hinzu, dass ältere Männer vor Frauen wie mir Angst haben. Vermutlich, weil ich so emanzipiert bin, also im positiven Sinne emanzipiert. Und dann bin ich natürlich auch noch etwas eigenwillig«, fügt Mama augenzwinkernd hinzu und schiebt für diese Charaktereigenschaft auch gleich eine Erklärung hinterher. »Wahrscheinlich durch meinen Beruf und weil ich immer selbstständig war. Und außerdem kann ich mich eben auch gut mit mir alleine beschäftigen.«

Sie überlegt, während sie links abbiegt und wir Randberlin ansteuern. Ich sehe eine leere Pferdekoppel vorbeiziehen. Diese Leere erinnert mich daran, dass ich eigentlich gar nicht so genau weiß, wer als ein Partner für meine Mutter geeignet wäre. Es gibt natürlich Volker, einen sehr engen Freund. Mit ihm telefoniert Mama täglich, er ist so etwas wie ihr Seelenpartner, aber er wohnt inzwischen fast 400 Kilometer weit weg, und die beiden sehen sich nur selten.

Wie würde ich mir denn einen Mann für sie vorstellen? Ob er groß oder klein wäre, ist mir natürlich egal, aber ich weiß, dass sie größere Männer attraktiver findet. Eigentlich ist die Ausstrahlung das Wichtigste. Er sollte außerdem witzig und gebildet sein, gern auch ein bisschen verrückt. Die Betonung liegt auf »ein bisschen«! Und im besten Fall legt er auch einen guten Stil an den Tag, sowohl kleidungstechnisch als auch im Verhalten. Denn wie wohl viele Frauen in Mamas Generation weiß sie einen echten Gentleman zu schätzen.

Meine Mutter reißt mich mit ihren Überlegungen aus den Gedanken.

»Obwohl es natürlich manchmal Situationen gibt, wo ein Mann fehlt, na klar. Essen gehen zum Beispiel. Das mache ich ja nicht gern alleine, und immer nur mit meinen Freundinnen essen zu gehen, das ist doch langweilig. Da vermisse ich das gewisse Etwas. Ich flirte doch so gern. Na ja, und beim Tanzen natürlich fehlt auch ein Partner. Wo ich doch so gerne taaanze!«

So, wie sie das Wort ausspricht, schwingt die Erinnerung an ihre Jugend und ihre wilden Zwanziger mit. Sie liebte es, Rock’n’Roll zu tanzen, und ist auch heute noch einigen Standardtänzen nicht abgeneigt. Es fehlen allein die Gelegenheiten!

Eine rote Ampelphase später fügt sie hinzu: »Also eigentlich bin ich offen für eine Suche.«

Na bitte. Ich atme hörbar aus und freue mich riesig, dass es nun wirklich etwas werden könnte mit unserem Podcast – und mit den Männern. Sofort schwirren zig Fragen unsortiert in meinem Kopf herum, und ich hake nach, warum die Männersuche offenbar nie Priorität bei ihr hatte.

Mama sagt, ohne zu überlegen: »Ich habe mich damit nie auseinandergesetzt, weil ich so ein erfülltes Leben hatte. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich etwas versäumt habe. Und ich hatte ja auch immer tolle Männer an meiner Seite. Das hat mich natürlich ein bisschen versaut für alle kommenden.«

Wir müssen lachen, und ich nutze den heiteren Moment für eine Frage, die ich wohl nie gestellt hätte, wenn ich nicht gerade ein Mikrofon in der Hand hielte und eine Mission hätte: »Und würde Sex auch noch ’ne Rolle spielen?«

»Na sicher.«

»Deshalb käme also schon mal kein Gleichaltriger infrage!«, sage ich leichthin.

»Ach, es gibt da ja viele Spielarten«, fügt meine Mutter verschmitzt hinzu.

Oha. Die Sexfrage. Dinge, die man eigentlich von den Eltern nicht wissen möchte. Aber mir ist klar, dass wir, wenn wir erfolgreich zusammen das Projekt »Männersuche« angehen wollen, wohl beide unsere Komfortzone verlassen müssen. Irgendwie freue ich mich darauf.

 

Als kurze Zeit später klar ist, dass wir mit »Ein Mann für Mama« die Jury des Podcast-Wettbewerbs überzeugen konnten und nun eine zehnteilige Serie dazu produziert werden soll, gibt es kein Zurück mehr.

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Kapitel 3

Warum wir wurden, wer wir sind

»Schieb dir deine Scheißwestfrucht doch in deinen Scheißwestarsch!«, brüllte ich und zielte mit der harten, unreifen Kiwi auf Sigmar. Ich war wohl acht oder neun und Sigmar der erste »richtige« Freund an Mamas Seite, und ich hasste ihn. Es war ein ehrliches, tiefes und rundum vereinnahmendes Gefühl, wie nur Kinder es spüren, wenn sie befürchten, ihnen könnte etwas sehr Wertvolles weggenommen werden.

Gut, so laut sei ich gar nicht gewesen, sagt meine Mutter heute, und daran, dass ich die Frucht wirklich geworfen hätte, könne sie sich auch nicht mehr erinnern. Aber ich bin sicher, dass ich die vergiftenden Worte im Raum fühlen konnte. Ich weiß noch sehr genau, wie mir diese pelzige und ungemein saure Kiwi die Zunge verätzte und sie in gefühlt hundert Bläschen verwandelte. So sollte der Westen ab jetzt für mich schmecken? Sigmar, diesem Kerl aus Westberlin, sei Dank?

Es hat fast 20 Jahre gedauert, bis ich wieder eine Kiwi probierte. Es war eine ganz, ganz weiche mit sehr dunkelgrünem, schon leicht glasigem Fruchtfleisch. Überreif müssen sie sein, so liebe ich Kiwis.

Mama war sehr verknallt in Sigmar, er sollte aber auch unser Türöffner nach Westberlin sein, wohin meine Mutter mit mir ausreisen wollte. Sie war als Schauspielerin und Anhängerin eines regimekritischen Künstlerkreises der ständigen Willkür und Erniedrigung durch die Stasi ausgesetzt. Nächtelange Verhöre, während derer sie mich, ihr Baby, mutterseelenallein zu Hause wusste, hatten ihren Entschluss weiter gefestigt: Bloß raus aus der DDR.

Sie und Sigmar wollten sogar heiraten. Dass das nur Taktik war, um Mamas Absichten glaubhafter darzustellen, konnte ich zu dem Zeitpunkt nicht überblicken. In meinen Augen war da nur dieser mittelmäßige Typ, der mir meine Mutter abspenstig machte. Im Nachhinein war es sicher gut, dass ich um das Ausmaß der mit einer Ausreise zusammenhängenden Dinge und Gefühle nichts wusste. Ich ahnte nicht, dass wir danach einer Besuchersperre unterlegen hätten und ich meine Freunde und meine geliebte Oma für unbestimmte Zeit nicht mehr hätte treffen können.

Stattdessen sah ich also nur, was in diesem Moment war, und das war er, dieser Kotzbrocken in meinem Leben. Er konnte allerdings gar nichts dafür, denn wovon er keinen Schimmer hatte: Sigmar war der erste offizielle Freund, den meine Mutter mir vorstellte. Ich war absolut geschockt. Ich wusste bis dahin nicht, dass in ihrem Leben Männer überhaupt eine Rolle spielen könnten, geschweige denn, dass es welche gab, die über das »Gute Freunde«-Ding hinaus Potenzial haben könnten. Ich dachte immer, meine Mutter braucht keinen Mann. WIR brauchen keinen Mann! Das strahlte sie doch mit jeder Geste aus, atmete es aus jeder Pore. Wir hatten ja uns! Was, wenn nicht mehr genug Liebe für mich übrig bliebe?

Hinzu kam, dass Sigmar noch einen ziemlich bescheuerten zwölfjährigen Sohn hatte, den ich natürlich ebenso hasste. Der Sohn mich ganz sicher auch, und das war fast schon ein bisschen beruhigend, weil ich so hoffen konnte, dass er die Beziehung zwischen unseren Eltern genauso sabotierte wie ich.

 

Ich war entgegen meiner Natur unfassbar garstig zu Sigmar und seiner schwarzen Lederjacke, die diesen schweren Geruch nach eben Leder und in meiner Nase widerlichem Männerparfum ausstrahlte. Eigentlich war es weniger der Geruch des künstlichen Duftes, den ich nicht mochte, sondern schlicht das damit assoziierte männliche Geschlecht. Einmal spuckte ich Sigmar auf diese Jacke, als er vor mir stand. Einfach um zu sehen, was passieren würde. Ich war sogar kurz über mich selbst erschrocken. Hoffte aber, ihn damit so weit provozieren zu können, dass er ausrastete und meine Mutter sein – in meinen Augen wahres – Gesicht erkennen würde. Leider konnte er sich beherrschen.

Als die Beziehung nach einem Jahr doch zu Ende ging, war ich sehr, sehr froh. Allerdings spielte ich dabei auch eine Rolle, wie meine Mutter mir lange Zeit später ganz ohne Groll erzählte. Gefangen in meinem Kinderhass-Gefühl war es mir reichlich schnuppe, wie es Mama mit diesem Beziehungsende ging. Ich war einfach unendlich beruhigt, dass sie ihn nicht heiraten und wir nicht aus unserem beschaulichen Randberlin im Osten wegziehen mussten. Tatsächlich saßen wir kurz darauf trotzdem auf gepackten Koffern, weil Mamas Ausreiseantrag unverhofft genehmigt worden war, auch ohne Heirat. Eine Ironie des Schicksals, dass wir am 10. November 1989 ganz legal nach Westberlin hätten ziehen dürfen.

 

Westberlin. Die bunte Parallelwelt begann in meiner kindlichen Vorstellung direkt hinter der lang gezogenen, grauen Mauer, die wir in Johannisthal so oft entlangfuhren. Und natürlich war ich neugierig darauf, wie es dahinter aussah, auch wenn ich auf dieses pelzige Kiwi-Dingens gut verzichten konnte. Als Mama und ich nach der Maueröffnung am 10. November 1989 an der Neuköllner Sonnenallee über die Grenze gingen, drückte mir direkt dahinter jemand eine Rolle Haribo in die Hände. Runde Gummibärchen in buntem durchsichtigem Papier. Haribo Roulette. Es gibt sie heute noch, und noch immer werde ich sentimental, wenn ich sie bei der »Quengelware« neben der Supermarktkasse liegen sehe. Dann erinnere ich mich an diesen besonderen Moment.

Ich war gerade erst zehn geworden, und meine Mutter sagt, dass ich sehr blass und still wurde, als wir zusammen das erste Mal Westberlin besuchten. Zum Glück stand Sigmar nicht auf der anderen Seite, dann wäre ich wahrscheinlich kollabiert. Sigmar, die Kiwi und runde Gummibärchen – meine ersten Erfahrungen mit dem Westen, die schon alle Gefühlslagen vereint hatten, die ich bis dahin so kannte. Hätte mir Sigmar statt der Kiwi ein Toffifee gegeben, vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, denke ich manchmal.

 

Warum meine Mutter mir vorher nie einen Mann vorgestellt hat, obwohl es in ihrem Leben natürlich Affären und kurze Beziehungen gegeben hat, erklärte sie mir zum ersten Mal im Zuge unserer Interviews für den Podcast. Wir haben vorher nie wirklich darüber gesprochen.

»Ich wollte dir in der ersten Phase deines Lebens keine Männer vorsetzen, weil ich nicht wollte, dass du irgendwelchen Einflüssen unterliegst, die dann vielleicht wieder abgebrochen werden. Das hätte ich schlimmer gefunden, als dich sozusagen ›männerlos‹ zu erziehen.«

Natürlich habe ich sofort zurückgefragt: »Warum hast du dich überhaupt auf meinen Vater eingelassen? Du wusstest doch, dass er verheiratet war! Warum hast du trotzdem gedacht, es sei eine gute Idee, mit diesem Mann ein Kind zu kriegen?« Plötzlich habe ich viele Fragen, auf die ich keine Antwort hatte. Erst für den Podcast fängt meine Mutter an, ihre Sicht der Dinge für mich aufzuschreiben.

Meine biologische Uhr tickte. Als ich mich in meinen Kollegen verliebte, beschloss ich, dass er der Vater meines Kindes sein sollte. Außerdem war er immer sehr fürsorglich mit seinem kleinen Sohn, den er bereits hatte. Er strahlte so etwas Familienkompetentes aus, und ich habe gedacht: Jetzt oder nie. Eine gute Freundin sagte immer zu mir: Du musst unbedingt ein Kind kriegen, du bist die geborene Mutter! Also setzte ich die Pille ab, natürlich in der Hoffnung, dass mein Geliebter bei mir bliebe, falls ich wirklich schwanger werden würde. Er lebte auch mit seiner Frau nicht mehr zusammen, ich nahm das als Zeichen, dass seine Ehe nicht mehr funktionierte. Was auch stimmte.

Als ich dann schwanger war, hat sich dein Vater sofort von seiner Frau, allerdings auch von mir getrennt. Ich habe eigentlich damit rechnen müssen, aber es war natürlich schrecklich. Ich habe damals in einer Art WG gelebt, und hätte ich nicht meine guten Freunde dort gehabt, wäre es für mich alleine sehr schwer geworden. Als du geboren warst und ich ihn darüber informiert habe, hat er einen Vaterschaftstest verlangt. Ich sagte damals zu ihm: »Bitte schau sie dir doch einfach an!« Du hast ja ausgesehen wie er. Aber er hat lieber prozessiert, damit ich dem Test zustimme. Die 800 Mark hätte er sich sparen können: Du bist natürlich zu 99,99 % sein Kind.

Für mich wurdest du ohne ihn also das »Meinkind«. Ein Wort, das ich mir bei der Schriftstellerin Monika Maron geliehen habe.

Mein Vater hatte einen sündhaft teuren Vaterschaftstest verlangt, anstatt sehen zu wollen, wie ähnlich wir uns waren. Das nach all den Jahren so direkt zu hören tut schon ein bisschen weh. Meine Mutter hat diesen Test sogar bis heute aufgehoben, zusammen mit einem vertrockneten, bräunlichen Etwas. Sie vermutet, dass es sich dabei um ein Stückchen Nabelschnur handelt. Ich habe es heimlich entsorgt.

Ich sollte mich mal wieder bei meinen Halbgeschwistern melden, denke ich während der Podcast-Produktion. Mein Vater hatte sich in seiner flatterhaften Manier direkt nach Mamas Schwangerschafts-Info auf die nächste Blüte gesetzt. Ich wusste von meiner Mutter früh, dass ich väterlicherseits nicht nur drei Brüder, sondern auch noch eine Schwester hatte. Meine Mutter schätzte, dass sie jünger sein musste als ich. Nach dem Tod unseres umtriebigen Erzeugers trafen alle meine Halbgeschwister und ich zum ersten Mal aufeinander. Es war eines der bewegendsten Treffen meines Lebens. Wir verstanden uns alle auf Anhieb und spürten, trotz unserer Unterschiedlichkeit, ein tiefes emotionales Band, das bis heute hält. Meine Schwester und ich mussten allerdings sehr erstaunt und für einen kurzen Moment auch fassungslos feststellen, dass wir gleich alt waren. Hanna ist lediglich neun Monate jünger als ich. Außerdem haben wir neben dem Ältesten, Matthias, noch zwei Halbbrüder, Tom und Tim. Die beiden sind von der letzten Frau unseres Vaters, der wirklich kein Kind von Traurigkeit war. Als er Anfang der 2000er-Jahre an Krebs verstarb, sorgte Matthias dafür, dass wir uns alle endlich kennenlernten. Ich bin ihm bis heute sehr dankbar dafür und habe durch Matthias, der ja viele Jahre mit unserem Vater verbracht hat, im Nachhinein vieles besser einordnen und verstehen können.

 

Meine Mama rutscht bei unserem persönlichen Gespräch, um das ich sie nach Erhalt der »Meinkind«-E-Mail bitte, tiefer in meine Couch und blickt dabei suchend in die Luft: »Im Nachhinein bedauere ich die ganze Situation von damals schon, muss ich ehrlich sagen. So leicht, wie ich das zu dieser Zeit genommen hatte und fand, dass das schon alles gut so ist, wie es ist – heute würde ich sagen, es ist nicht gut gewesen.«

»Warum?«, frage ich sie.

»Na wegen Yin und Yang, männlicher und weiblicher Energie, Vater und Mutter. Dir fehlte ja der Ausgleich, vor allem in der Auseinandersetzung. So warst du mir sozusagen ausgeliefert! Und ich weiß ja, dass ich eine starke Persönlichkeit bin. Obwohl ich natürlich auch immer versucht habe, dich loszulassen. Heute würde ich sicher nicht mehr allein ein Kind bekommen und großziehen. Mal außer Acht gelassen, dass ich natürlich inzwischen eh viel zu alt dafür bin …«

 

Yin und Yang. Die Auseinandersetzung, mein wunder Punkt. Ich habe bis in meine 30er hinein immer gedacht: So ein Glück, dass du kein Scheidungskind bist. Dein Vater spielte von Anfang an keine große Rolle, also konnte er dir auch nicht fehlen. Du hast sicher keinen Knacks. Und auf wesentlich ältere Männer stehst du auch nicht – läuft doch.

Ich war nie mit Arschlöchern zusammen. Ich ließ mich nicht schlecht behandeln, liebte innig, stritt kaum, aber irgendwann ging ich dann. Weil die Liebe sich nicht mehr bedingungslos anfühlte und es irgendwie anstrengend wurde. Oder die Leichtigkeit verloren gegangen war. Außerdem verbrachte ich auch gern Zeit mit mir allein und genoss meine Unabhängigkeit immer sehr. Ich war davon überzeugt, dass man wahrscheinlich nicht beides in einer Beziehung haben kann.

Heute, viele Therapie- und Coachingstunden später, weiß ich, dass ich einfach nie vorgelebt bekam, wie man sich mit seinem Partner wirklich auseinandersetzt. Wie man Dinge diskutiert, ohne dabei gleich die Beziehung infrage zu stellen. Wie man an einer Beziehung »arbeitet«, wie es immer so schön heißt, obwohl mich dieses Wort »Beziehungsarbeit« schon allein beim Lesen müde macht. Aber natürlich entsteht ein auf Respekt und Toleranz basierendes Zusammenleben selten von heut auf morgen und ohne eigenes Zutun.

Das nicht vorgelebte Beziehungsmodell fiel mir mit der Geburt meiner Tochter so richtig auf die Füße. Wie geht »Vater-Mutter-Kind« überhaupt? Von dem Moment an, als meine Tochter auf der Welt war, konnte ich nicht mehr so einfach verschwinden, egal, wie unsicher ich wurde. Dass ich unbewusst mein Leben mit Kind gerade in seinem ersten Jahr trotz Beziehung möglichst alleinerziehend gemanagt habe, war mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht klar. Verantwortung an den Partner übertragen? Um Hilfe bitten? Es völlig normal zu finden, nicht alles allein wuppen zu müssen (zu können, das ist eine andere Frage, na klar, aber eben nicht zu müssen) – das kam in meinen Denkstrukturen einfach nicht vor. Ich und mein Partner sind ziemlich tief in die Eltern-Falle getappt: die absolute Hinwendung zum Kind, eigene Bedürfnisse komplett hintanstellen, aus Mann und Frau werden Mami und Papi, und das war’s. Und ich habe dabei noch wunderbar das Erziehungsmodell meiner Mutter übernommen. Habe die tiefstmögliche Kindbindung forciert, habe versucht, alles allein hinzubekommen, und nebenbei immer auf mein eigenes Geld geachtet, um jederzeit frei und unabhängig vom Partner zu sein, falls es doch schiefgeht.

Was es tat. Der Soziologe Robert King Merton hat dafür das Konzept der sich selbst erfüllenden Prophezeiung erarbeitet. Die unbewusste Verhaltenssteuerung sorgt dafür, dass sich die eigene Befürchtung tatsächlich erfüllt. Herzlichen Glückwunsch, dachte ich nur, als es endlich klick machte und ich begriff, wie ich quasi unbewusst aufs Alleinerziehen hingearbeitet hatte.

Aus den 70er-Jahren stammt das Bindungskonzept der »Triangulierung«, und es beschreibt diese wertvolle Dreiecksbeziehung einer jungen Familie vor allem in den ersten Jahren nach der Geburt. Wenn das Kind durch die Abnabelung der Mutter in eine Krise gerät, ist der Vater als Fels in der Brandung zur Stelle und schützt das Kind vor schweren Verlustängsten. Seine Rolle besteht darin, dem Kind dabei zu helfen, seine Symbiose-Wünsche mit der Mutter aufzugeben. Er dient als Puffer und als zweite Identifikationsfigur. Klingt total logisch, als ich davon beim Therapeuten Horst Petri las, fühlte ich mich dennoch seltsam ertappt. Ich war aber auch überrascht, wie wenig das Dilemma des Kindes offenbar von einer Person allein aufgefangen werden kann.

Fühle ich mich eigentlich vollständig abgenabelt? Mit fast vierzig? Dass Mama und ich uns zur gleichen Zeit anrufen oder Nachrichten schreiben, verwundert uns längst nicht mehr. Wir sind so eng miteinander verbunden, dass es wirklich nicht überrascht, dass mir ihr Männerbild unbewusst in Mark, Bein und Herz übergegangen ist: »Männer können eine tolle Bereicherung sein, aber es ist immer besser, sich nicht auf sie zu verlassen«, das strahlte sie für mich immer aus.

Ich bin froh, dass ich irgendwann feststellen konnte, dass ich mir über mein persönliches Männerbild eine eigene, neue Meinung machen muss und auch kann. Zu diesem Zeitpunkt lag meine Beziehung allerdings schon in Scherben, und als ich damals zufällig ein Interview mit der österreichischen Politikwissenschaftlerin Mariam Irene Tazi-Preve las, hingen mir ihre Worte sehr lange nach. Tazi-Preve schrieb 2017 über das »Versagen der Kleinfamilie« und warum es eine »Vereinbarkeitslüge« wäre, der gerade Frauen aufsäßen, die krampfhaft versuchten, Beziehung, Job und Familie gleichermaßen unter einen Hut zu bringen.

Die Buchautorin brachte meine Gefühlswelt auf den Punkt, indem sie beschrieb, wie wir nach Mister oder Miss Perfect suchen würden, nach jemandem, mit dem es nie Streit und Konflikte gäbe. Das könne natürlich nur schiefgehen: »In den USA sagt man: ›It wasn’t the right one.‹ Das heißt, man stellt den Menschen infrage, aber nicht das Ideal, dem man aufsitzt. Die Menschen suchen etwas, das es nicht gibt, und verzweifeln an der Realität.«