Ein MORDs-Team - Band 12: Das Echo des Schreis (All-Age Krimi) - Andreas Suchanek - E-Book

Ein MORDs-Team - Band 12: Das Echo des Schreis (All-Age Krimi) E-Book

Andreas Suchanek

4,8

Beschreibung

Das Finale des 1. Falls ist da! Ein Sturm erreicht Barrington Cove, wie ihn das kleine Küstenstädtchen nie zuvor erlebt hat. Inmitten der Gewalten müssen sich Mason, Olivia und Danielle dem Mörder von Marietta King stellen. Noch einmal versammeln sie ihre Freunde und Gefährten, um eine Geschichte zu beenden, die vor dreißig Jahren ihren Anfang nahm. Unterdessen befinden sich Shannon, Jamie und Harrison in einem Privatjet auf dem Weg nach Barrington Cove. Doch der Sturm verwandelt den Flug in einen Höllenritt. Kommen die Drei noch rechtzeitig, um das Schlimmste zu verhindern? Dies ist der zwölfte Roman der Serie "Ein MORDs-Team".

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Table of Contents

»Das Echo des Schreis«

Was bisher geschah

Prolog

Im Haus der Familie Collister

Am Crest Point

Auf dem Gestüt der Familie Holt

Barrington Cove Hospital

Am geheimen Strand

Ein Sonntagmorgen

Hoch in der Luft

Barrington Cove, im alten Leuchtturm

Sheriffsdepartment Barrington Cove

1985 – Katastrophe Angel Island

In der Wohnung von Hester Stone

Sheriffsdepartment Barrington Cove

In den Favelas

Im alten Leuchtturm

Auf einem Flugplatz in Sunforest Cove

Barrington Cove Hospital

Im alten Leuchtturm

In der Residenz des Bürgermeisters

Im alten Leuchtturm

Auf dem Weg nach Barrington Cove

Redaktion von Channel 5

Die alte Barrington Cove Highschool

Etwa eine Stunde zuvor

In der alten Barrington Cove Highschool

Zwischenspiel – Schlaglichter

In der alten Highschool

Eine Woche später

Epilog – 1985

Vorschau auf Band 13, »Die fünfte Dynastie«

Nachwort

Impressum

Ein MORDs-Team

Band 12

»Das Echo des Schreis«

von Andreas Suchanek

 

 

 

Was bisher geschah

 

1984: Die fünf Jugendlichen Harrison, Marietta, Jamie, Shannon und Billy brechen in ihre Highschool ein, um die Prüfungsfragen eines landesweiten Tests zu stehlen, der am nächsten Tag stattfinden soll. Der Einbruch wird zur Katastrophe, als ein Unbekannter Marietta King tötet. Dreißig Jahre lang versuchen die verbliebenen 84er, den Mord aufzuklären. Vergeblich.

Gegenwart: Nachdem die vier Jugendlichen Mason, Olivia, Randy und Danielle eine Reihe turbulenter Abenteuer bestanden haben, sind sie dem Mörder dicht auf den Fersen. Dieser beschließt, eine Person aus dem Team zu töten, um die Jagd zu beenden. Hierfür hat er sich Randy ausgesucht. Dieser kann endlich die letzte Spur aufdecken und erkennt, wer der Mörder von Marietta King ist. Doch er kann die Information nicht mehr weitergeben. Der Killer überfällt den Jungen, als dieser alleine zu Hause ist. Randy muss nacheinander vier Tabletten schlucken, gefährliche Black Flashs, während der Mörder ihm die wahre Geschichte von Marietta King erzählt. Die tödliche Dosis ist mit der vierten Tablette erreicht.

Während Randy in der aussichtslosen Lage gefangen ist, berichtet der Mörder, was im Jahr 1984 wirklich geschehen ist. Es wird ersichtlich, dass er neben Marietta auch Doktor Silverman und Billy Tarnowski getötet hat. Auch hat Marietta damals nicht ein Kind – Alice –, sondern Zwillinge zur Welt gebracht. Allerdings wusste sie selbst nichts von dem Jungen (sie war durch Komplikationen bei der Geburt bewusstlos).

Der Einbruch in die Highschool entpuppt sich als geschickter Mordplan, der den 84ern damals eingeflüstert wurde. Und schließlich wird klar, warum der Mörder – der uneheliche Sohn des Schuhfabrikbesitzers Charles Baker – die Tat beging. Damit kennt Randy alle Fakten.

Der Mörder verlässt den Raum, nachdem Randy die vierte Tablette geschluckt hat.

In einer von den Drogen ausgelösten Illusion sieht Randy Marietta, die den lautlosen Schrei ausstößt, mit dem alles begann.

Dann hört sein Herz auf zu schlagen.

Prolog

 

Der Regen prasselte herab, wurde vom Wind seitlich herangetrieben und schlug ihr erbarmungslos ins Gesicht. Sie fluchte. Da halfen weder Kapuze noch Schirm. Als wäre der Tag nicht schon schlecht genug verlaufen.

Der Baum neben dem Haus bog sich, die Äste kratzten über Randys Fenster. Wieder einmal beschloss sie, bei nächster Gelegenheit dafür zu sorgen, dass das Gestrüpp gestutzt wurde. Zuerst mussten sie allerdings den Sturm überstehen. Die Wetterprognose gab wenig Anlass zur Hoffnung. Im schlimmsten Fall stand ihnen ein Hurrikan bevor.

Es patschte, als Barbara durch die tiefen Pfützen auf das Haus zurannte. Die Turnschuhe waren sofort klitschnass.

So viel zu atmungsaktiv, fluchte sie lautlos.

Erst als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, atmete sie auf. Eine Gänsehaut lief ihr den Rücken hinab. Sie schüttelte sich.

»Randy, ich bin's noch mal«, rief sie nach oben.

Kaum zu glauben, dass ausgerechnet sie die Keycard vergaß. Seit dem Bombenanschlag auf die Highschool hatte der Aufsichtsrat die Sicherheit des Barrington Cove Hospitals kontinuierlich erhöht. Dazu gehörte es auch, dass die Personalbereiche mit einem neuen Schließsystem versehen worden waren. Ohne Zugangskarte musste man den Wachmann bemühen. Heute keine gute Idee. Die Nerven lagen sowieso schon bei allen blank.

Sie rannte in ihr Büro, kramte in dem unordentlichen Papierstapel auf dem Schreibtisch und fand schließlich das verdammte Ding. Barbara war bereits wieder an der Eingangstür, als sie innehielt.

Auf dem Boden zeichneten sich schlammige Stiefelabdrücke ab. Zu groß, als dass sie zu Randy gehören konnten. Hatte er Besuch? Aber zu Vince passte das auch nicht, der lief ständig in diesen Converse herum. Mason? Basketballschuhe oder Sneaker. Die Mädchen? Keinesfalls!

»Randy?!«

Sie schaute nach oben, musste sich etwas verrenken, um die Tür seines Zimmers zu erkennen. Was, wenn es doch Vince war? Sie wollte nicht in einen intimen Moment der beiden hineinplatzen. Er wurde ja schon knallrot, sobald sie ihn und Vince beim Knutschen antraf. Nicht auszudenken, was geschehen würde, falls da mehr lief.

Vermutlich würde sein Herz stehen bleiben.

Trotzdem wollte sie wissen, zu wem die Schuhabdrücke gehörten. Außerdem musste die jemand wegputzen. Schweren Herzens beschloss sie, Randys Allerheiligstes aufzusuchen.

Die Stufen knarzten.

»Randy?!«

Seltsam. Mit jedem Schritt nahm ihre Gänsehaut zu. Die Nackenhärchen stellten sich auf. Was war hier los? Vor der Tür hielt sie inne, klopfte vorsichtig an.

»Randy?«

Keine Antwort. Sie hasste es wirklich, seine Privatsphäre zu stören. Gerade in dem Alter war die verdammt wichtig. Trotzdem, da war dieses Gefühl …

Sie drückte die Klinke hinunter und öffnete die Tür.

Ihr Blick streifte über eine durchsichtige Tüte mit blauen Pillen, eine umgestoßene Energydrink-Dose, blieb schließlich auf Randy hängen. Er lag auf dem Bett. Sein Brustkorb hob sich nicht. Keine Atmung!

Barbara war seit vielen Jahren Krankenschwester. Ihre Instinkte übernahmen die Kontrolle. Sie machte ein paar Schritte zurück in den Gang, griff nach dem Notfallkoffer, den sie immer im Haus hatte. Es war Teil von Randys sommerlichem Überlebenstraining, dass er sich nicht nur in der Wildnis beweisen konnte, sondern jederzeit wusste, dass hier im Haus Feuerlöscher, Wasserpumpe und Medizinkoffer bereitstanden.

Sie erreichte das Bett, prüfte den Puls. Nichts. Die blauen Pillen! Black Flashs also, damit kannte sie sich aus. Das verdammte Zeug! Barbara nahm eine Spritze mit Adrenalin hervor, setzte sie an. Das war der gefährliche Teil. Sie musste Randy diese Dosis injizieren, damit sein Herz wieder schlug. Gleichzeitig war er aber durch die Black Flashs geschwächt. Sie leerte die Dosis in seine Venen, nicht direkt ins Herz.

Ein paar bange Augenblicke vergingen. Dann fuhr er in die Höhe, keuchte, wand sich. Trotzdem glitten seine Augen ziellos umher, er war auf einem Höllentrip.

»Marietta?«, murmelte er.

Barbara zuckte zusammen. Sie zwang sich dazu, weiterzuarbeiten. Im Bad füllte sie ein Glas mit lauwarmem Wasser und kippte Salz hinein. Die einfachen Mittel waren oftmals die effektivsten. Auf dem Rückweg griff sie nach dem Telefon, wählte den Notruf und bestellte einen Rettungswagen.

Sie flößte Randy den Cocktail ein, worauf dieser sich sofort erbrach. Mit Kennermiene studierte sie den Inhalt seines Magens, der eine große Lache vor dem Bett bildete. Was sie sah, war eindeutig: eine von der Magensäure noch nicht zersetzte Black Flash.

Wenn sein Zustand bereits jetzt so schlimm war, mussten sich in seinem System weitaus mehr davon befinden. Diese Tablette hätte ihn getötet. Seit zwei Jahren wusste Barbara, dass Randy Schnellstoffwechsler war. Es ließ sich kaum verbergen, dass ein Betäubungsmittel schon nach kurzer Zeit nicht mehr wirkte, wenn man auf einem Zahnarztstuhl saß.

Sie konnte davon ausgehen, dass die Wirkung der Drogen bei Randy rascher nachließ. Falls das Intervall zwischen den Einnahmen der Tabletten groß genug gewesen war, blieb der Spiegel unter dem tödlichen Niveau. Genau konnte man das erst im Hospital sagen, ganz zu schweigen von anderen furchtbaren dauerhaften Schäden, die angerichtet worden sein konnten. Es gab Kids, die psychisch nie wieder zurückfanden. Sie blieben gefangen in einer düsteren Zwischenwelt, aus der ihr Geist nicht wiederkehrte.

Sie spritzte Randy ein den Kreislauf stabilisierendes Mittel, brachte ihn in die stabile Seitenlage. Erst dann sah sie sich um. Auch hier oben waren die seltsamen Fußabdrücke zu sehen. Etwas stimmte nicht.

Barbara wusste, dass nach der Einnahme von Black Flash automatisch das Sheriffsdepartment ermittelte. Diese Menge würde Randy eine Vorstrafe einbrocken. Außerdem konnte sie sich denken, in welche Richtung Bruker bei seinen Ermittlungen ging. Sie kannte Mason mittlerweile und hielt die Beschuldigungen, die ihm den Spitznamen »Drogenjunge« eingebracht hatten, für gänzlich unwahr. Nein, das konnte sie nicht zulassen.

Kurzerhand schnappte sie sich die Tüte, rannte zum Bad und kippte die Tabletten hinein. Damit konnte nicht einmal mehr nachgewiesen werden, was Randy genommen hatte. Von der Menge ganz zu schweigen. Die Vermutung, die die Ärzte sofort anstellen würden, war glücklicherweise kein Beweis.

Sie nahm einen Lappen mit zurück und wischte das Erbrochene vom Boden auf. »Keine Angst, wir schaffen das«, sprach sie zu Randy.

Er war bleich. Schweiß glänzte auf der Stirn. Er dümpelte irgendwo zwischen wach sein und Schlaf umher. Tränen stiegen ihr in die Augen. Schnell wischte sie sie fort. Nicht jetzt. Du musst funktionieren.

Minuten später kam der Rettungswagen.

Barbara warf einen letzten Blick zurück auf das Zimmer. Sie würde es nie wieder so sehen wie zuvor. Ihre Finger tasteten beiläufig über die Keycard in ihrer Tasche. Manchmal konnte Vergesslichkeit eben doch Leben retten.

Sie verließen das Haus.

Der Kampf um Randys Leben wurde an anderer Stelle weitergeführt.

Im Haus der Familie Collister

Ein Sonntagmorgen

 

Geh weg. Mason tat so, als würde er schlafen.

»Ich weiß, dass du wach bist«, sagte seine Mum. »Beweg dich. Wir müssen das Haus sturmfest machen. Dein Dad ist noch immer nicht zurück, also darfst du – als Mann im Haus – deine Muskelkraft unter Beweis stellen.«

Schon war sie wieder fort.

Mason überlegte, ob sie ihn vielleicht vergaß, wenn er nur lange genug liegen blieb. Zugegeben, das war nicht sehr wahrscheinlich. Er drehte mühselig seinen Kopf, um auf den Wecker zu linsen.

Acht Uhr! »Blöder Sturm! Es ist Sonntag.«

Er fischte das nächstbeste Shirt von einem großen Haufen, streifte es über, schlüpfte in Jogginghosen und trottete ins Erdgeschoss. Auf dem Tisch stand ein Teller mit French Toast, daneben ein Kaffee. Seine Laune besserte sich.

»Stärke dich. Du wirst jedes bisschen Kraft brauchen«, sagte seine Mum grinsend.

Er grummelte nur. Während er kaute, beobachtete er seine Mum. Sie wirkte unruhig. Normalerweise trug sie elegante Kleidung. Mal Businesskostüm, mal eine Jeans-Blusen-Kombination. Ihr Haar wurde alle drei Wochen in Form gebracht, sie besuchte wöchentlich eine Kosmetikerin und machte Sport. Überhaupt war ihr das Aussehen sehr wichtig. Sein Dad hatte einmal erwähnt, dass sie als Teenager übergewichtig gewesen war und Pickel gehabt hatte. Seltsamerweise hatte er dabei schuldbewusst dreingeschaut. Heute allerdings war von der sonst so eleganten Martha Collister wenig zu sehen. Sie trug Trekkingschuhe, verschlissene Jeans und ein Hemd seines Dads.

»Das wird ein schlimmer Sturm«, murmelte sie. »Ich war eben noch bei Erna Brewster im Laden. Sie hat uns netterweise ein paar Planen zur Verfügung gestellt, damit wir den Keller abdichten können. Was für eine nette Frau. Sie lässt den armen Nick wohl bei sich unterkommen, bis das Unwetter vorbei ist.«

Der Landstreicher tat Mason auch leid. Kurz überlegte er ernsthaft, ob er ihm ein Sandwich in den Laden bringen sollte.

»Na, fertig?«

»Darf ich noch meinen Kaffee austrinken?« Vorsichtig nippte er an der schwarzen Brühe.

»Klar«, sagte seine Mum. »Sind ja nicht meine Skateboards im Keller.«

Mason erstarrte. »Ihr habt meine Boards im Keller gelagert?! Ihr könnt doch nicht … Die sind doch …«

Er sprang auf und raste los.

Im Keller angekommen, sah er sich um. »Wo sind sie denn?«

»Auf dem Speicher«, sagte seine Mum. »Aber da du schon mal hier bist, können wir ja anfangen.«

»Du bist ein hinterhältiger Mensch«, erklärte Mason entschieden.

»Danke.« Sie drückte ihm Klebeband in die Hand. »Dort hinten liegen die Planen. Jedes Kellerfenster muss innen und außen abgeklebt werden. Sonst läuft uns hier alles voll.« Sie stemmte die Arme in die Hüften. »Hat Barbara Gladstone nicht auch eine Pumpe? Ich werde sie mal anrufen. Ach, Quatsch, sie hat ja heute Schicht.«

Das Telefon klingelte.

Während seine Mum nach oben stapfte, begann Mason mit der Arbeit. Der Keller war feucht, muffig und unaufgeräumt. Überall stapelten sich alte Kisten, lag Gerümpel, standen schiefe Regale.

Vorzugsweise kam Mason hier herunter, um etwas auf einen der Stapel zu werfen und zu vergessen. Alles andere war so mühselig. Sollte das Zeug hier nass werden, sah es allerdings gar nicht gut aus.

»Das darf ich dann alles wieder wegmachen.«

Auf einer Kiste stand mit schwarzem Edding die Zahl: 1984. Neugierig ging er näher.

»Mason«, erklang die Stimme seiner Mum. »Kommst du bitte mal rauf.«

»Rauf, runter, entscheide dich mal.« Oben angekommen verkrampfte sich sein Magen. Das Gesicht seiner Mutter war kreidebleich. »Was ist passiert?«

»Es geht um Randy.«

 

*

 

Am Crest Point

 

Olivia zog sich tiefer in den Schutz des kleinen Wäldchens zurück. Es klickte, als sie den Auslöser der Kamera betätigte. Wolken, Sturm, Wind und Wetter: Die Bilder, die sie geschossen hatte, würde sie bestimmt in der Gazette oder Sonjas Freier Stimme unterbringen. Die Gewalt der Natur, gebannt in Momentaufnahmen. Das entschädigte auch für das frühe Aufstehen. Sie gähnte. Neben ihr stand ein Coffee to go. Sie nippte an dem Pappbecher.

Der Sturm nahm stetig zu. Mittlerweile kullerten im Crest Point Steine von beachtlicher Größe den Hang hinab. In der Innenstadt herrschte Ausnahmezustand. Die Geschäfte hatten alles verrammelt, Zeitungsständer lagen am Boden und rollten davon. Die Reste der letzten Partynacht wirbelten durch die Luft.

Später wollte sie unbedingt im alten Leuchtturm bei Sonja vorbeischauen, vorzugsweise mit den anderen. Danach würden sie Erna Brewster aufsuchen, um von ihr mehr über die frühere Schuhfabrik der Bakers zu erfahren. Vorausgesetzt, sie kamen in dem Sturm überhaupt noch vor die Tür. Andernfalls mussten die Ermittlungen ruhen. Eine Idee, die Olivia gar nicht gefiel. Der Mörder schien immer dreister zu werden. Die Nachricht von Mason hatte sie entsetzt. Heute Morgen beim Aufwachen hatte sie im Halbschlaf seine Message in der Chat-App durchgescrollt. Im nächsten Augenblick war sie beinahe aus dem Bett gefallen. Der Mörder hatte versucht, Erna Brewster zu töten und ihren Laden in Brand zu stecken.

Natürlich hatte Mason sich prompt einen Kampf mit dem Kerl geliefert. Sie wusste aus dem Zusammentreffen in der Geisterbahn, dass dieser kräftig war. Das hätte schlimm ausgehen können. Man konnte Jungs einfach nicht alleine lassen.

Es nagte an ihr, dass sie im Verlauf der Ermittlungen ein Bild gemacht hatte, das dem Mörder gefährlich werden konnte. Bisher war es nicht gelungen, die Aufnahme zu finden. Möglicherweise erkannten sie aber auch einfach nicht, was für ein Bild es war.

Sie schüttelte den Kopf.

In der nächsten Stunde wollte sie sich noch auf das Unwetter konzentrieren. Danach war wieder der Fall Marietta King an der Reihe. Ein letzter Schluck, dann verstaute sie den Pappbecher in einer mitgebrachten Tüte und diese in der Umhängetasche.

Normalerweise war der Crest Point an einem Sonntagmorgen überfüllt. Grüppchen standen herum, man plauderte und lachte. Natürlich kam auch Negatives zum Vorschein. Drogendealer, allen voran Thompkins, der für den Grafen mit Black Flash dealte, waren hier stets anzutreffen. Heute verständlicherweise nicht. Mason tat ihr leid. Den Ruf als Drogenjunge von Barrington Cove hatte er wohl endgültig gepachtet.

Das letzte Jahr war für sie alle nicht leicht gewesen. Das nächste kam vermutlich mit noch mehr Herausforderungen daher. Immerhin warf das College seine Schatten voraus. Sie verdrängte den Gedanken sofort in den hintersten Winkel ihres Denkens.

In der Hosentasche vibrierte das Smartphone.

Olivia legte die Kamera sorgfältig zur Seite, schob den Schutz über das Objektiv und betrachtete sie skeptisch. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, war eine kaputte Linse. Das eine Mal hatte gereicht.

Sie zog das Smartphone hervor.

Eine Nachricht von Mason leuchtete ihr vom Display entgegen. Er hatte in der sicheren Chat-App geschrieben, die Randy ihnen programmiert hatte.

 

Randy liegt im Krankenhaus.

Lebensgefahr.

Kommt sofort.

M.

 

Olivia starrte auf das kleine Display. Die Worte manifestierten sich nur langsam in ihrem Geist, zähflüssig wie Sirup. Dann brach sie in hektische Betriebsamkeit aus.

Fünf Minuten später raste ein schlammgrüner Dodge durch die Straßen von Barrington Cove.

 

*

 

Auf dem Gestüt der Familie Holt

 

Danielle hielt das Brett, während Rafael den letzten Nagel hineinschlug. Der relativ junge Gestütsleiter, er war erst Anfang dreißig, trug eine Wollmütze unter der schwarze Haarsträhnen hervorlugten. Ein ergänzender Dreitagebart und glasklare blaue Augen trugen das Übrige dazu bei, dass jedes weibliche Wesen auf dem Gestüt – und einige männliche – zweimal hinschaute, wenn er vorbeiging.

»So, damit hätten wir das Wichtigste erledigt«, sagte Rafael. »Danke für deine Hilfe. Das wäre echt nicht nötig gewesen.«

»Alleine hättest du noch gute drei Stunden gebraucht«, erwiderte Danielle. Sie schob eine flatternde blonde Strähne aus ihrem Gesicht.

»Trotzdem. Wenn dein Dad mitbekommt, dass du niedere Arbeiten verrichtest, bin ich meinen Job los.« Er lächelte, doch in seinen Augen erkannte sie keinerlei Humor.

»Stimmt. So ist er.« Sie schaute zu Boden.

»Hey«, ruderte Rafael schnell zurück. »Ich bin wirklich dankbar für deine Hilfe. Sorgen wir nur dafür, dass er es nicht erfährt.«

Seltsamerweise war ihr Dad tatsächlich zufrieden mit dem Gestütsleiter. Er machte seinen Job auch verdammt gut, der ehrenwerte Richard Holt aka Dad musste hier niemals eingreifen. Das liebte er. Investitionen, die sich ohne sein Zutun amortisierten.

»Okay. Behältst du alles im Blick?«, fragte Danielle.

»Klar«, erwiderte er. »Decke und Thermoskanne liegen bereit. Ich bleibe so lange hier, bis der Sturm vorüber ist. Sollte was sein, habe ich ein paar der Jungs von Caleb auf Abruf.«

»Caleb Moore?«

»Ja, genau. Kennst du ihn?«

Der Wind frischte auf, trieb den Regen immer stärker seitlich heran. Sie zogen sich in die Stallungen zurück.

»Er hat uns nach dem Gründungstag aus den Trümmern geholt.«

»Ah, ich erinnere mich.« Rafael nickte versonnen. »Das war übel. Ein Wunder, dass es nicht noch mehr Tote gab. Caleb ist heute für den Katastrophenschutz zuständig. Natürlich wird das alles mit dem Bürgermeister koordiniert, und Channel 5 sorgt auf dem Notkanal dafür, dass jeder Haushalt informiert ist.«

»Immerhin. Dann werden wir das schon hinbekommen.« Ihr Smartphone vibrierte. Danielle streifte ihre nassen Hände an der Hose ab, zog es hervor. »Falls etwas sein sollte, kannst du mich auch jederzeit anrufen. Ich …«

Danielles Blick klebte am Display ihres neuen Smartphones. Zwei Nachrichten waren im Gruppenchat eingegangen.

 

Randy liegt im Krankenhaus.

Lebensgefahr.

Kommt sofort.

M.

 

Bin auf dem Weg ins Krankenhaus. Liest du mit, Danielle? Komm sofort.

O.

 

»Ich muss weg.« Ohne ein weiteres Wort rannte sie zum Bereitschaftsraums des Chauffeurs. Sie musste zum Hospital.

 

*

 

Barrington Cove Hospital

 

»Hey, Mason!«

Er schreckte auf. »Was?«

Olivia zog ihn in eine Umarmung. Erst jetzt registrierte er bewusst, dass sie ihn dreimal angesprochen hatte. »Was ist passiert?«

»Keine Ahnung. Ich warte noch auf Antworten. Seine Tante ist bei ihm.«

Olivia nahm neben ihm Platz. Gerade wollte sie eine Vermutung aussprechen, als Martha Collister um die Ecke gebogen kam. Sie trug zwei Pappbecher. »Ah, Olivia.« Sie reichte beiden einen Becher. »Nimm meinen, ich habe sowieso zu viel davon intus.«

Ein Keuchen erklang.

Kurz darauf kam Danielle herbeigeeilt. »Was ist passiert?«

Niemand konnte ihr eine Antwort geben. Sie begrüßten einander, warteten in betretener Stille.

Überall im Hospital herrschte große Aktivität. Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern rannten hin und her, schoben Wägelchen oder legten Patientencharts ab. Es wirkte ein wenig, als warte jeder auf das kommende Armageddon.

Mason hatte seines seelisch längst erlebt.

Kurz darauf stieß Vince zu ihnen. Der Freund von Randy war völlig aufgelöst. Die beiden waren erst seit wenigen Monaten ein Paar, nachdem über ihnen die gesamte Highschool zusammengebrochen war. Kurze Zeit hatte es nicht gut für Vince ausgesehen.

Der Collegestudent trug eine Lederjacke, abgenutzte Jeans und trotz des schrecklichen Wetters Converse. Sein attraktives Gesicht war angsterfüllt, das dunkle Haar nass vom Regen.

»Es ist meine Schuld«, sagte Mason.

Alle Blicke wandten sich ihm zu.

»Wie meinst du das?«, fragte Olivia.

»Gestern Abend habe ich noch darüber nachgedacht, bei ihm zu bleiben. Ein Computerspiel zocken oder so. Aber dann bin ich gefahren.«

»Niemand konnte das wissen«, sagte Vince. »Mach dir bitte keine Vorwürfe.«

»Wovon sprecht ihr überhaupt?«, fragte Masons Mum. »Er hat Black Flashs genommen. Das hätte er sicher einfach zu einem anderen Zeitpunkt getan.«

»Randy würde das Zeug niemals nehmen«, fuhr Mason auf. »Jemand hat ihn vergiftet. Oder gezwungen. Was weiß ich.« Er raufte sich die Haare.

Bevor seine Mum nachbohren konnte, eilte Randys Tante herbei. Sie wirkte gehetzt, übermüdet, am Ende aller Kräfte. »Hey, ihr. Hallo, Martha.«