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Krimi über Habgier und Erpressung Ein Bankangestellter erbeutet und veruntreut eine Datenliste mit tausenden von Steuerhinterziehern. Seine Frau erpresst hinter seinem Rücken unehrliche Täter. Als Deckung inszeniert sie den Tod und Beerdigung ihrer Tante. Kann das gutgehen?
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Seitenzahl: 498
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ich gestehe und versichere jeder verehrten Leserin und jedem geehrten Leser, dass mich mein Textaufbau als auch meine Ausdrucksweise als echten Pfälzer ausweisen.
Der Autor Kurt Koch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
An seinem Arbeitsplatz in der Bank für Internationale Beziehungen, BiB, fuhr Oskar Schiller als erstes seinen Computer hoch. Wie immer tat er das vor dem offiziellen Arbeitsbeginn. Die meisten seiner Kollegen zogen dagegen in dieser Zeit ein Schwätzchen vor. Es hatte Zeiten gegeben, da lästerten sie über seine Überpünktlichkeit. Es waren aber doch mehr freundschaftlich gemeinte Kommentare. Mittlerweile sahen sie in seinem Handeln nur noch die persönliche Marotte, über die sich niemand mehr Gedanken machte.
Er betreute seit acht Jahren mit seinen Kollegen im gleichen Großraumbüro die Abteilung Statistik.
Jetzt gab Oskar das Passwort und einen zusätzlichen, persönlichen Geheimcode ein. Wie immer lauerten bald im Hintergrund die Elektronen, die dienstbaren Geister der Bits und Bytes darauf, um seine Befehle entgegenzunehmen.
Das war jetzt für ihn der Moment, in dem er sich routinemäßig noch in aller Ruhe einen Becher Kaffee aus der Maschine holen konnte. Es war zu langweilig auf dem Monitor den altbekannten Initiationsritualen, Icons und Sperenzien zuzuschauen. Oskar Schiller konnte sich darauf verlassen, dass sein PC in weniger als einer Minute bereit war Zahlen, Linien, Kurven, Balken, Tortengrafiken und derlei Gewünschtes vorzuzeigen. Dann würde die Maschine bis Feierabend keine Mucken mehr machen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen Techniker brauchte, um seiner Rechenmaschine Flausen auszutreiben.
Als er mit seinem Kaffee wieder an den Arbeitsplatz kam, bot ihm sein Monitor ein seltsames, ein für ihn so völlig ungewohntes Bild. Es sah auf dem Bildschirm alles so ganz anders aus, absolut ungewohnt. Er fühlte sich, noch im Stehen, lange Sekunden so, wie man sich verloren glaubt, wenn man an den Parkplatz kommt und das Auto ist nicht mehr an der Stelle, wo man es - ganz sicher - abgestellt hatte. Es ist weg. Man schaut und schaut und ist der Meinung, bis hin zur felsenfesten Überzeugung, dass das Auto doch hier sein muss, sein müsste. Man will es nicht glauben, was man sieht oder, in diesem Falle, auch nicht sieht. Genauso verloren schaute er lange Sekunden wie gebannt immer wieder auf das Rechteck des Bildschirms.
Er konnte und wollte es einfach nicht glauben, was ihm da geboten wurde.
Jeden Augenblick würde sein Programmbild wieder da sein. Es würde da sein müssen. Für einen kleinen Moment schloss er fest seine Augen. Als er sie wieder öffnete, war jedoch, entgegen seiner Hoffnung, der fremde Anblick immer noch da.
Er ließ seine Augen kreisen, dann von unten nach oben wandern und auch noch von Seite zu Seite. Eine Entscheidung war gefragt, aber er wusste noch nicht, was er dazu wirklich suchte oder brauchen würde. Die Überraschung war perfekt. Er war wirklich überrumpelt und fühlte sich aus der sicheren Bahn einer vertrauten Routine geworfen.
Oskar pflegte eine Marotte, die er aber keinesfalls als Aberglauben sehen wollte. Demnach stellte er jetzt in einem Anflug von Resignation fest, dass dies kein gutes Omen für den vor ihm liegenden Arbeitstag war. Das konnte ja heiter werden, dabei hatte der korrekterweise noch nicht einmal begonnen. Was würde da noch so an allerhand unliebsamen Überraschungen auf ihn zukommen?
Er fand sich mit dem, was er sah, einfach nicht zurecht. Dabei war sein Unterbewusstsein bereits einen Schritt weiter und hatte den Tatbestand wirklichkeitsgetreu registriert. Oskar befand sich jedoch weit davon entfernt diesen anzuerkennen, ja ihn wenigstens bewusst zu beachten. Verdrängen war eine seine weniger guten Charaktereigenschaften. Im Verbund mit Fatalismus. Und, er hatte sich bisher erfolgreich dagegen gewehrt, diese Eigenschaft, mit dem Ziel einer Besserung, zu analysieren. Geschweige denn ihn auszumerzen oder ihn wenigstens zu verbannen. Ja schon, es gab Ansätze dazu, aber auch die verdrängte er wieder - recht erfolgreich.
Er wartete noch eine Weile, so als wollte er Zeit gewinnen und daran glauben, dass sich der Zustand des Bildschirmes einfach von einem zum anderen Moment wieder verändern würde. Dann würden wieder seine altvertrauten Klickpunkte auftauchen. Dann erst würde wieder ein neuer Arbeitstag beginnen können. Ja, so oder so ähnlich würde es kommen.
Der Bildschirm tat ihm aber nicht den Gefallen. Das, was er sah bewegte sich nicht, ja es flimmerte nicht einmal. Es war einfach da, unverrückbar da. Ein stures Standbild, wie eingefroren.
Oskar sah sich verstohlen um. Würden die Kollegen auch ihre Ratlosigkeit mit einem dazugehörenden Gesichtsausdruck entsprechend bezeugen? Doch da waren erst drei angekommen. Sie standen in unmittelbarer Nähe der Kaffeemaschine beisammen. Wahrscheinlich diskutierten sie über das gestern Abend im Fernsehen übertragene Fußballspiel. Keiner schaute in seine Richtung.
Mit ihren Computern hatten sie sich noch nicht beschäftigt. Jetzt erst glaubte er festzustellen, dass ihre Computer überhaupt noch nicht einmal hochgefahren waren. Wieso überraschte es ihn aber diesmal? Es war doch an jedem Tag gleich.
Nach einer Weile weiteren Staunens über die Machenschaften der Speicher, Prozessoren, Widerstände, Transistoren, Dioden, schaute er sich doch einmal die Darstellungen der bisher unbekannten Monitoroberfläche an.
Pfui Deibel, schoss ihm jetzt doch die klare Erkenntnis durch den Kopf, da ist ja eine geheime Kundenliste und genau die, die noch geheimer als geheim sein sollte. Da waren sicher alle Kunden mit Einlagen, von denen gerade einmal der Einleger wusste und niemand anders sollte eigentlich mit den Daten zu tun haben. Ausgenommen natürlich in der Bank die Spezialisten, Anlageberater, Akquisiteure, Buchhalter, Prokuristen, Abteilungsleiter, Prüfer usw. und es war nur logisch, dass alle die hohen Tiere in den Stockwerken über seinem Großraumbüro Bescheid wussten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar auch gleichzeitig die Initiatoren und Drahtzieher waren.
Sein erster Impuls war: Programm beenden. Raus da. Rasch beenden. Dieses Datengewusel mit den langen Zahlenkolonnen schnellstens verschwinden lassen. Ja keinen Fehler machen und plötzlich sogar als Angeklagter, als Schuldiger, eventuell gar als vorsätzlich Handelnder dastehen.
Der Begriff Vertrauensbruch schoss ihm durch den Kopf. Warum auch immer. In seinem Hals hatte sich ein Kloß gebildet. Er hätte im Augenblick nicht eine verständliche Silbe hervorbringen können. Leicht hätte er sich in den nächsten Sekunden und Minuten zu den absurdesten Selbstvorwürfen versteigen können.
Doch dann bremste er sich aus. Schließlich, als er ein wenig mehr seine Emotionen überwunden glaubte, zog er einen Besuch bei einem Vorgesetzten in Betracht. Aber natürlich, das war´s. Bloß, wer kam dafür in Betracht? Und wenn er den Falschen traf? Wieder rollte es wie eine neue, ihn verschlingende Angstwelle auf ihn zu und er fühlte sich regelrecht überfordert.
Wiederholt rotierten in seinem Gehirn Begriffe wie Maulwurf, Spionage, Straftäter, Ehrloser und andere nicht minder schockierende Selbstanklagen. Er musste jetzt allein entscheiden und genau das lag nicht in seinem Naturell. Er war ein guter Angestellter. Seine Position füllte ihn voll und ganz aus. Es gab so gut wie keine Konflikte mit seinen Vorgesetzten. Er liebte seinen Arbeitsplatz. Er konnte sich seit Jahren eigentlich keine andere Stellung, dazu eventuell noch mit viel mehr, eigentlich zutiefst unerwünschter Eigenverantwortung, vorstellen. Hier verbrachte er seine Tage, hier verdiente er sein Gehalt, hier schwamm er wie ein Fisch im Wasser und manchmal, nun ja, nicht nur manchmal, ließ er sich, zufrieden mit sich selbst, auch treiben.
In solchen Momenten fühlte er sich, zufrieden mit sich selbst, weit weg von seiner ehrgeizigen, unzufriedenen, allzu oft impulsiven und energiegeladenen Gattin.
Aber jetzt war er gefordert, weit mehr als ihm lieb war und er spürte, dass er echt keine Zeit mehr zur Verfügung hatte, einen Entschluss noch weiter hinauszuschieben.
Etwas bis jetzt Unbekanntes regte sich in ihm. War es sein Unterbewusstsein? <Alles Kokolores>!! Er würde sich nicht in Versuchung führen lassen. Nein. Nix da. Wenn überhaupt, dann kann ich das auch noch später machen.
„Quatsch“, sagte er halblaut - und erschrak.
Seine Gedanken entglitten ihm wieder. Nein, auf diese Weise wollte er sich nicht festlegen, auf das was <das bedeuten sollte, das, was er später machen konnte - wollte - sollte>. Es erschien ihm vorübergehend wie etwas Dunkles, etwas Unfassbares, Gefährliches, etwas nicht Erlaubtes, ja streng Verbotenes. Mit derlei hatte er sein Leben lang noch nichts zu tun gehabt und jetzt - nein, er wischte mit einer Handbewegung etwas Unsichtbares vor seinem geistigen Auge weg. Nein und nochmals nein, jetzt würde er auch nicht damit beginnen. Mit was beginnen? ... fragte er sich bereits mit einer gehörigen Portion Scheinheiligkeit, und spielte für sich selbst den Überraschten.
Und dann spürte er doch, wie ihm etwas aus seinem bisherigen Leben entglitt. Er konnte es nicht festhalten. Oder wollte er es gar nicht?
Wieder schaute er sich nach den Kollegen um. Der eine hatte bereits Platz genommen. Der machte wie immer sein gelangweiltes Gesicht. Er hatte gerade die randlose Brille geputzt und zurechtgerückt. Hatte er vielleicht doch auch einen ...? - nein, er fing in diesem Moment an auf den Tasten zu spielen. Das sah eher nach der bekannten Routine aus. Der ruft sein Arbeitsprogramm auf. Suchte bestimmt nach den neuesten Anweisungen. Oskar war ja diese Routine hinreichend bekannt.
<Also, der weiß von nichts, bestimmt. Glaube ich wenigstens>.
In einigen Momenten mehr, würde er auch die anderen beäugen, schauen, ob die sich vielleicht verdächtig benahmen.
Eduard, der blonde Ede, korrigierte er sich, kam gerade an seinen Platz. Nach ihm würde er in wenigen Sekunden weiter noch einmal schauen.
Oskar begann die aufgezeigten, einzelnen Klassifikationen durchzulesen. Da wurden die Listen mit allen männlichen und weiblichen Personen getrennt aufgeführt. Es gab eine Aufschlüsselung nach Alter, angefangen von 30 bis 39 Jahre, dann von 40 bis 49 Jahre und das ging bis 90 - 100 Jahre. Den Datensammlern war nichts entgangen. Nur eines fiel ihm gleich auf, es fehlte die Religionszugehörigkeit. Ausgerechnet das, bemerkte er zu seinem eigenen Erstaunen. Dann fragte er sich, wieso er in dieser Situation auf diese abwegige Idee kommen konnte.
Bestens aufgeschlüsselt war die Staatszugehörigkeit. Dann gab es, offenbar, soweit es möglich war, eine Aufschlüsselung nach Postleitzahlen. Auch der Beruf ist in einer Rubrik aufgeführt. Natürlich die Kontostände, die Einzahlungen und Abhebungen, Umbuchungen, Transfers mit Datum und Uhrzeit, die Verzinsungen, und noch ein paar andere Daten.
Na, na, dachte sich Oskar, fehlt da nicht auch die Angabe zur Hautfarbe oder Rassenzugehörigkeit? Krankheitssymptome? Besondere Kennzeichen, Körpergröße? Hobbytätigkeit? Schuhgröße? Augenfarbe? .... Stopp, verordnete sich Oskar. Du machst Dich selbst zum Blödmann. Spielte sein Gehirn vielleicht bereits verrückt? Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren, verordnete er sich. Wie er glaubte, energisch.
Jetzt schaute er sich wieder unter seinen Kollegen um. Alle schienen sich pflichtbewusst augenblicklich, fast auf die Minute genau, um den geordneten Start in den Arbeitstag zu bemühen.
Sollte er doch nicht die Seite oder das Programm abschalten, auslöschen, wegschalten, schließen? Nein, entschied er sich nach einer kurzen Reaktionszeit, das aber jetzt zu seinem eigenen Erstaunen. Vielleicht, wer weiß, er würde möglicherweise alle Daten, bis hin zum Hauptcomputer, löschen. Ein blamabler, unausdenkbarer Verlust? Ein unglaublicher, unersetzbarer Verlust für die Bank.
Aber, da! .... Da könnte man doch etwas daraus machen. Es war lediglich ein sehr sündiger, aber auch flüchtiger Gedanke. Mehr der Hauch einer Erkenntnis. Er erschrak über sich selbst. Doch der nicht mehr harmlose Gedanke konnte nicht mehr ungedacht gemacht werden.
Eine Löschung dieses Gedankens, wie das bei seinem Rechner möglich war, gab es jetzt aber nicht. Für einen Beobachter wäre Oskars kurzzeitige Veränderung um seine Mundwinkel aufschlussreich gewesen. Doch auch diese Veränderung seiner Mimik war nur für einen flüchtigen Augenblick erkennbar.
Er würde sich später um den Gedanken, diesen verruchten aber auch, das musste er sich eingestehen, immens verführerischen Gedanken - kümmern. Ihn ... nun ja ... sicher verwerfen. Gaaanz sicher.
Ganz sicher?
Ein noch etwas verschwommenes Zukunftsbild huschte vor seinem geistigen Auge vorbei. Zugegeben, mit viel Licht und so gut wie keinem Schatten.
Aber - wenn sie dich erwischen?
Jetzt war Oskar endgültig bei sich selbst angekommen.
Statt einer rationalen Entscheidung Platz zu geben, suchte er bereits nach möglichen Ausreden. Und wenn er eine gute finden würde, dann .... Ja dann ... Noch weigerte er sich, wie er gerne glaubte, den Gedanken zu Ende zu denken. Aber zu einer seriösen, pflichtbewussten, auch vor dem Gesetz haltbaren Position und damit der einzig richtigen Lösung, wollte er schon nicht mehr zurück.
Noch einmal schien ihm sein Gewissen die neue Initiative entreißen zu wollen. -Löschen!- <Löschen>!! Doch die beiden Ausrufezeichen sah er bereits nicht mehr, wollte sie nicht mehr sehen. Und die Anweisung zum Löschen war irgendwie ebenfalls schnell verschwunden. Ausgelöscht!
Außerdem versuchte er sich wieder einzureden, würde er vielleicht alle Daten im Zentralcomputer löschen. Eine Katastrophe. Ausgelöst von ihm!
Das war eine großartige Ausrede, fand Oskar. Eine handfeste Entscheidungshilfe. Dass die Offerte direkt vom Teufel, seinem katholischen Teufel kam, spürte er wohl. Aber da war noch etwas, das er bisher bei sich noch nicht entdeckt hatte. Oder hatte er nur, bewusst oder unbewusst, den Deckel auf diesem unbekannten Charakterzug draufgehalten?
Er war ja in den Augen seiner Familie und Freunden ein Banker. War er es wirklich? Gehörte es nicht zu diesem Berufsstand auch gierig zu sein? Unverschämt zu sein? Zupackend? Legte man diese Kriterien zugrunde, dann war er einfach kein waschechter Banker.
Oskar grinste. Dachten die! Sollten sie ruhig weiter so denken. Wundern sollten sie sich über ihren Oskar.
Schluss mit diesen Gedanken. Er verscheuchte sie. Die Gier begann von jetzt an definitiv die Oberhand zu gewinnen. Und so schlecht fühlte sich das gar nicht an, stellte er mit einer gewissen Befriedigung fest.
Seine Frau, was würde sie dazu sagen? Und im Handumdrehen begann er an dem Gedanken zu feilen, wie er seine Eigenverantwortung noch ein wenig mehr in den Hintergrund schieben, allgemein sich aus der Schusslinie nehmen konnte. Ja, er würde seiner Frau über den Fund berichten. Er würde sich dann mit seiner Meinung mehr zurückhalten. Er würde sich nicht als Interessierter outen. Er würde den grundsoliden Banker spielen. Sollte doch sie, sollte doch sie ... er würde ihr nur eine Steilvorlage geben.
Es fiel ihm sowieso immer schwer eine Entscheidung zu treffen. Seine Frau wusste es und hatte ihn deswegen bereits mehrfach so „recht gefühlvoll durch die Blume“ damit aufgezogen. Diese Erkenntnis konnte er jetzt zu seinen Gunsten nutzen.
So gedachte er, diesmal in Umkehrung der Vorzeichen, „recht gefühlvoll durch die Blume“, die Verantwortung für die anstehende Entscheidung abzuschieben, seiner Frau zu überlassen. Im Grunde würde sie sich nicht weiter als wieder einmal in ihrer Ansicht bestätigt sehen: Ihr Mann, in Sachen Eigeninitiative, eher ein Schwächling. Wieder spielte dieses maliziöse Zucken um seine Mundwinkel.
Gut, ein paar Andeutungen über die Brisanz der Daten würde er schon machen können. Und, da sie nicht auf den Kopf gefallen war, würde sie sicher den Faden weiterspinnen. Sie würde sicher wieder die Initiative ergreifen und sie auch nicht wieder aus den Händen geben - wollen, ergänzte er. Aber auch das schien ihm nur recht und billig. Er konnte außen vor bleiben. Das Prinzip Herodes.
Bei diesem letzten Gedanken legte er dann doch seine Stirn in Sorgenfalten, aber das war nur ein kurzes Aufbäumen seiner Existenz. Ein kurzer Impuls seines Gewissens als ehrlicher und verantwortungsbewusster Bürger -- und Mitarbeiter. Als gestandener Banker. Und das war er ja auch, bisher, ergänzte er für sich.
Über seine angedachten Absichten und mehr unterschwelligen Hintergedanken würde er seiner Frau kein Wort sagen. Höchstens zarte, wenngleich durchaus auch raffinierte Andeutungen musste er parat haben. Sollte sich seine Frau dann für die Ausbeutung des Schatzes entscheiden, dann würde er sich gespielt entrüstet zeigen.
„Nein, nein, Ulricke, sowas doch nicht. Nicht mit mir. Denk doch mal über die Konsequenzen nach. Wir sind doch ehrliche, unbescholtene Bürger. Ich setze meinen Arbeitsplatz aufs Spiel, unsere familiäre Existenz. Unseren sauberen und guten Namen. usw.“ Und wieder zuckte dieses spöttische Lächeln um seine Mundwinkel.
Allerdings, das versprach er sich, würde er es nicht zu weit treiben dürfen oder können. Nicht, dass seine ihm nach katholischem Ritus angetraute Ulricke seine moralischen Bedenken allzu ernst nähme, vielleicht sogar einen Rückzieher machen würde.
Hier sah er ein Spannungsfeld. Er spürte, dass sein Mund jetzt sogar trocken war. Kam das plötzlich oder ...? Verkrampft sammelte er ein wenig Spucke und drückte sie in Richtung Magen, der sich prompt mit einer Art Klagelaut meldete. Für einen kurzen Moment fühlte er sich von seinen Gedankengängen abgelenkt. Dann fand er wieder den Faden. Richtig, er hatte ja über die Möglichkeit der sanften Aushebelung der moralischen Standfestigkeit Ulrickes meditiert
Seine Frau war stark. Ungern gestand er sich ausgerechnet jetzt ein, dass sie weit mehr erstrebte als die Frau eines Bankers, eines einfachen Bankangestellten zu sein. Etwas schmerzhaft registrierte er diese Erkenntnis. Sie erwartete jedenfalls mehr vom Leben als er bisher imstande oder auch willens war ihr zu bieten. Doch wie weit würde sie wirklich gehen?
Er gab sich einen Ruck und bemerkte trotzig - er würde einmal zeigen können, und er würde es zeigen, was wirklich in ihm steckte. Tatkraft, Durchsetzungsvermögen, eine schöpferische Ader, Unternehmergeist, eben ein ganzer Kerl. Dann versuchte er wieder schnell aus dem Dunstkreis dieser Gedankengänge zu entkommen. Wusste er es oder spürte er es nur, dass er sich verheddern würde, sich selbst Fallstricke basteln würde, wenn er seinen Kopf weiter in dieser Richtung beschäftigte.
Bis heute, in den acht Jahren Dienst mit Statistiken, hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen.
Jetzt lag plötzlich eine Realität vor ihm, von der er nur ganz im Verborgenen ein bisschen zu träumen, aber wirklich nur zu träumen gewagt hatte. Und hier zeigte ihm nun der Bildschirm übergroße Möglichkeiten, das insgeheim erträumte Potential.
Er glaubte zu hören, wie ihm das Schicksal zurief: „Greif zu. Das ist eine einmalige Gelegenheit.“
Er würde sich selbst etwas grundlegend Männliches beweisen können. Eine ernsthafte Spur von Unternehmergeist glaubte er zu spüren.
Sein Körper wurde von einer aufregenden Wärmewelle durchflutet. Mann, oh Mann, das war ja die reinste Fundgrube, die sich da vor ihm auftat. In seiner steigenden Begeisterung sah er urplötzlich bereits Sonne, Palmen, weiße Strände ... Wenn er ... „Schluss jetzt mit wenn und allen aufkommenden geilen Gedanken. Ich brauche jetzt einen klaren Kopf“, befahl er sich.
Gewann der ehrliche Banker in ihm doch noch die Oberhand?
Oder? Oder vielleicht doch nicht?
Er konnte sich jetzt nicht sattsehen in diesem Schatz. Was mochte da passiert sein? Da war im Netzwerk ein Schalter verkehrt umgelegt worden, einige Elektronen gingen ihre eigenen Wege und zack hatte er Zugriff auf die ansonsten allergeheimsten Geheimnisse der Bank. Der Schuldige war also mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Schalterchen, das man in natura höchstens mit einer Lupe erkennen konnte. Vielleicht? Interessant!
Oder war es eine falsch gepolte Schnittstelle? Ach was soll´s, Sch ... Schwachsinn. Er saß vor einer hochbrisanten und gleichermaßen höchst lukrativen Tatsache und überlegte sich, ob er treu zu seiner Firma halten sollte oder ... Weg - weg - weg mit diesen Gedanken. Es gelang ihm immer besser sie zu verscheuchen.
Eine solche Chance zu vergeben? Die Gier ergriff nun doch mehr und mehr Besitz von ihm. In dieser Aufmachung lag ein ungeheures Potential, um leichtes Geld zu machen. Niemals würde er es sich verzeihen können es zu vergeben. Und, erführe seine Frau von seiner Gewissensschwäche, sie würde alles drangeben ihn in ein Irrenhaus einweisen zu lassen. Zumindest würde sie ihn verlassen. Und nun wunderte sich Oskar, wie er für einen Moment glaubte, über seinen plötzlichen Realitätssinn. Überrascht hob er seinen Kopf und fixierte die große elektrische Uhr an der Wand. Doch den zuckenden Zeiger konnte er bereits nicht mehr erkennen. Die ganze Uhr verschwand schließlich. Nein, sie verschwamm vor seinen Augen. Sein Blick schien ins Unendliche zu versinken. War es die Vergangenheit oder die Zukunft, die er fixierte? Oder war es eine Mischung aus beidem? Entstand so bei den Menschen die Fata Morgana? Für den Moment von unzähligen, unsichtbaren Elektronen festgezurrt.
Sein Traumblick hielt indes nicht lange an.
Der Bildschirm vor ihm war die Realität. Bits und Bytes festgezurrt und nach dem lateinischen Alphabet geordnet, sichtbar und erfassbar gemacht von unzähligen, unsichtbaren Elektronen. Zu ihnen kehrte sein Blick und Aufmerksamkeit zurück. Nicht plötzlich, eher etwas zögerlich.
Dann fasste er sich wieder.
Wieviel Adressen mochte er haben - sehen - besitzen können? Er bemerkte, dass er es ja leicht feststellen konnte. Seiner vorläufigen Schätzung nach, dürften es mehr als 10 000 sein. Er schaute sich wieder rasch um - sollte ihn ...?
Heinrich blickte auf, ihre Blicke trafen sich. Aber keineswegs konspirativ. Heinrich war ein lustiger Kollege, mit ihm konnte man so manchen Spaß haben. Er schien lautlos mittels seiner Mimik fragen zu wollen, wie es ihm gehe. Oskar streckte den Daumen hoch. Heinrich reckte die Daumen beider Hände hoch. Damit war die heutige Begrüßungszeremonie gelaufen, Oskar kam gedanklich und konzentriert wieder zu seinen Bildschirmgeheimnissen zurück.
Er verkleinerte, er minimalisierte die Bildschirmangaben. Sie verschwanden in der linken unteren Ecke seines Monitors, wo sie auf seine nächsten Befehle oder auch Wiederauferstehung lauerten, „ich muss ein wenig nachdenken!“
Dann, es waren keine 15 Sekunden vergangen, schaltete er wieder auf volle Bildschirmgröße.
Es war einfach geil. Die Ansicht belustigte ihn jetzt. Ein gewisser Rauschzustand stellte sich ein. Er lag voll auf der Wellenlänge seines Sohnes. Jung, dynamisch, dachte Oskar. Der Bildschirm signalisierte ihm die Lösung aller Probleme, die sich in seiner Reichweite herumdrückten, versteckten oder auch immer wieder unverschämt angrinsten.
„Mann - oh Mann - oh Mann“, murmelte er so vor sich hin. Ein Ereignis, ein Jahrhundertereignis. Eine solche Gelegenheit würde niemals wiederkommen. Das tolle Leben streckte ihm seine Hand hin. Sollte er zugreifen? --- Weshalb nicht?
Der verzweifelte Kampf seines Gewissens fand nicht mehr in aller Offenheit, sondern bereits hinter den Kulissen statt. Er würde es wohl in eines der dunklen Kämmerlein einsperren müssen. Wenigstens für eine gewisse Zeit.
War die Entscheidung also bereits gefallen? Zupacken - zupacken - zupacken, raunte ihm eine Stimme zu.
Eine andere innere Stimme mahnte ihn jetzt zur Eile. Das schicksalhafte Angebot konnte jederzeit zurückgenommen werden. Vom Teufel oder einem Schutzengel. Das Netz konnte jeden Augenblick den Fehler erkennen und abschalten und ihn wieder von den geträumten Honigtöpfen des schönen Lebens wegziehen.
„Aber zu was soll ich mich eilen?“ - Das war scheinheilig. In Wirklichkeit hatte er schon beschlossen, sich die Daten unter den Nagel zu reißen. Aber wie?
Sein PC hatte zwar ein DVD-Laufwerk, aber brennen konnte er keine Daten. Die Macher von der Bank wussten schon weshalb. Es war ihm also unmöglich die Daten einfach zu brennen, die Disc in die Tasche zu stecken und ab nach Hause damit. Ab und ein neues Leben organisieren.
Die USB-Anschlüsse waren alle, außer einem, unbrauchbar gemacht. Die Eingänge für die Maus und die Tastatur waren fest installiert, daran konnte er nichts machen. Weshalb mussten die von der Direktion auch so misstrauisch sein? Oskar grinste jetzt wieder maliziös. Wieder einmal hätte ein Beobachter einen fiesen Charakterzug als Auslöser unterstellt. Doch dann rief er sich zur Ordnung. Es gab keinen Anlass schlechte Scherze über seinen Arbeitgeber zu machen.
Aber sein eigener Ordnungsruf rutschte irgendwie viel zu schnell aus seinem Gedächtnis. Wieder schaute er sich, so unauffällig wie möglich um. Nein, die Kollegen schienen nichts gemerkt zu haben. Jeder war mit sich und seinen Statistiken beschäftigt.
Das Nagen in ihm, doch eine Entscheidung zu treffen, wurde immer stärker spürbar. Hatte er sich nicht doch schon entschieden?
Nein, nein-nein, beteuerte er wider besseres Wissen.
Dann hatte er doch einen Ordner angelegt. Wie mechanisch, beinahe wie von selbst, wie er es sich liebend gerne glauben machen wollte, speicherte er auf seiner Festplatte die Datenmasse. Und wieder schaute er sich um. <Blödmann>, sagte er sich, <genau durch deine auffälligen Rundblicke wirst du dich noch verraten. Das hatte er doch sonst noch niemals gemacht.
Hatte da nicht der Jörg-Wilhelm, der mit dem kahlrasierten Schädel, einen bedeutungsvollen Blick mit ihm getauscht? Wieso hatte der überhaupt zu ihm herübergeschaut? Der musste doch auch seinen Kopf verdrehen, wenn er von seinem Arbeitsplatz ganz außen, rechts von Oskar, herüberschauen wollte. Oskar spürte, wie sein Herz schneller pulsierte. Aber auch dann beruhigte ihn der Gedanke, dass dieser lange Lulatsch aufgrund seiner beachtlichen Körpergröße über die Monitore hinwegschauen konnte. Der brauchte gar nicht lange den Kopf zu verdrehen. Oder war es ...?
„Ich bringe noch alles durcheinander, ich muss mich zwingen cooler zu denken und zu handeln“, rief sich Oskar zur Ordnung.
So, jetzt hatte er alles auf seiner Festplatte. War es möglich den Zugriff auf seinen Rechner zu deaktivieren? Vielleicht eine Sperre einzuprogrammieren? Ein Passwort? Niemand sollte, eventuell aus purem Zufall, die Daten finden. Auf den ersten Blick konnte er keine Hinweise auf diese Möglichkeit erkennen. Aber - aber, so sagte er sich, das könnte Misstrauen hervorrufen. <Also, lass es lieber>, befahl er sich.
Dann erinnerte er sich, dass er die Möglichkeit hatte den Ordner zu verschlüsseln. Sollte er zuerst, nein, er würde zuerst verschlüsseln und dann die Datenflut von seinem Bildschirm verbannen. Dann konnte er nur hoffen, dass inzwischen niemand sonst über das interne Netz auf diesen verschlüsselten Ordner aufmerksam wurde. Bis Morgen, dann würde er sie wieder löschen können. Wenn er sie auf einem externen Datenträger gespeichert hatte.
Ein Knopfdruck danach ließ alle diese geldwerten, wunderschönen Daten von seinem Bildschirm verschwinden. Bits und Bytes und alle Elektronen standen jetzt in irgendeinem Speicher andernorts auf Abruf bereit.
Er war in Versuchung sich wieder einmal „unauffällig“ nach seinen Kollegen umzudrehen. Dann widerstand er.
Oskar wollte sich also mit seiner Frau besprechen. Nichts anderes ging ihm mehr durch den Kopf. Ständig war er bemüht sich vorzustellen, wie wohl seine Gattin reagieren würde. Und genau mit diesem Thema verfing er sich immer mehr in Überlegungen, Wortspielchen, Vorsätzen und Planungen. Wovon er sich Klarheit versprochen hatte, wurde immer mehr zu einem unentwirrbaren Puzzle. Seine Vorstellungen immer verschwommener, lösten sich in einer Art Nebel auf. Seine Gefühle waren jetzt extrem aufgewühlt.
Er hatte bisher das Ereignis hinausgezögert. Wieder und wieder quälte ihn der Gedanke: Was, wenn seine Frau nicht mit seinem Handeln oder auch nur Gedankenspielchen einverstanden war? Sie war in vielen Sachen und Angelegenheiten einfach zu ehrlich. - Wirklich? Oskar stellte sich überrascht und zum ersten Mal die Frage, ob er damit richtig lag. Entsprach diese Einschätzung der gelebten Realität?
Ob sie doch von der Aussicht auf Millionen erpressbarer Euro zu beeindrucken und im Falle eines Falles auch umzustimmen war? ...sein würde?
Wie er auch die Geschichte hin- und herüberlegte, er kam zu keinem klaren oder auch nur halbwegs zufriedenstellenden Ergebnis.
Die beste Aussicht auf Erfolg versprach er sich nach längeren Abwägungen und Überlegungen, sie einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen. „Hier, Frau - Frau würde er sagen, nicht Ulricke - habe ich den Schlüssel für Reichtum und ein schönes Leben auf irgendeiner Insel in der Südsee in der Hand“, und er würde ihr die DVD zeigen.
Und wenn sie doch nicht mitmachen wollte? Nun dann, ... ach tröstete er sich schließlich scheinheilig, da mache ich mir einmal noch keine Gedanken. Eine Lösung wird sich schon ergeben.
Er klopfte an die Tür zu Stefans Zimmer. Der Sohn, mit seinen beinahe 16 Jahren, wollte nicht so einfach ohne Voranmeldung besucht werden. Nach Stefans Ruf „komm doch rein“, fragte der Vater zunächst nach dem Werdegang in der Schule und redete auch sonst noch so ein wenig um den heißen Brei. Wie es denn so liefe in der Schule, die letzten Sportereignisse, sogar die üblichen Kommentare über das Wetter ließ er nicht aus. Bis der Sohn dazwischen platzte: „Du hast doch etwas auf dem Herzen. Spuck es schon aus und quatsche nicht so viel aufgewärmte Luft.“
„Ja, ich wollte Dich bitten mir für Morgen Deinen Externen DVD-Brenner zu leihen.“
„Vatter, Du hattest doch immer wieder betont, dass es Euch Bankfritzen verboten ist irgendetwas mit Speichermedien am Hut zu haben. Bist Du sicher?“
Oskar wollte mit Ausflüchten beginnen. <Von wegen, wie er denn darauf komme, dass er das Ding für die Bank brauche. Davon sei doch nicht die Rede gewesen>. Aber er sah auch ein, dass er da nicht gut ankommen würde. Stefan war ja nicht auf den Kopf gefallen.
Ob es nicht auch ein Stick sein könne? Der sei doch einfacher zu transportieren.
Oskar ging auf dieses Angebot nicht ein. Mental hatte er sich auf einen externen Disc-Brenner festgelegt. Er hatte den ominösen USB-Anschluss noch niemals benutzt. Und außerdem, seine Gedanken rutschten etwas durcheinander, er wusste nicht einmal, ob er funktionierte. Oder vielleicht gar irgendwo in einem Sicherheitsbüro sofort Alarm auslöste, wenn er in Betrieb gehen sollte. Oskar hatte das Thema mit dem Stick im Laufe des Tages abgehakt. Bei einer Disc konnte er sich noch im Großen und Ganzen die Speichertechnik vorstellen. Bei und mit einem Stick lag alles im mysteriösen Bereich. Weitab von seiner Vorstellungskraft.
Zudem, alles, was von seinem stundenlang eingefahrenen Denkschema abwich, blendete Oskar jetzt aus. Es war sowieso schon kompliziert genug für ihn. Und zudem fiel es ihm jetzt ein, dass er nicht einmal nach der Dateigröße geschaut hatte. Würde da Stefans Stick überhaupt ausreichen? Nein, so würde er das Schicksal jetzt nicht herausfordern. Es hatte ihn gut behandelt. Es war jetzt einfach Zeit zum Ernten, ganz ohne weitere Sperenzchen.
Er verscheuchte diese Gedankengänge.
Schließlich kam er, nach ein bisschen drucksen, nun doch zur Sache, nun, nicht ganz, aber... Es war zwar nicht die Wahrheit, aber es war auch nicht gelogen, <nicht ganz>, sagte er sich.
„Also da spielen sich merkwürdige Sachen in der Bank ab. Zufällig habe ich im Netz“ ...
„...Vatter, so rein zufällig ...?“
„Doch, das kannst Du mir glauben, so rein zufällig kamen auf meinen Bildschirm Daten, von denen angenommen werden darf, dass sie kompromittierend sein könnten.“ Au weia, da hatte er versucht so gut es ging alles zu verschleiern, aber möglichweise hatte er mit diesen halb unbedachten Plaudereien noch mehr Misstrauen gesät.
Der Sohnemann kräuselte jetzt die Stirn, die Augenbrauen schoben sich nach oben. Sein Gesicht verzog er zu einer Grimasse und er blinzelte mit dem rechten Auge. <War das alles>, fragte sich Oskar?
Nein, das war noch nicht alles.
„Ich gehe natürlich davon aus, dass Du die Entdeckung ausnutzen willst, Dich bei den Herren in den oberen Stockwerken beliebt zu machen. Du spielst auf eine Beförderung an.“
Das war aber nun doch eine echte Steilvorlage. Für Oskar allerdings in diesem Moment noch ein bisschen zu steil. In seiner Nervosität, der damit verbundenen Hektik und der Summe aller vorgestanzten Gedanken, konnte er sie leider nicht sicher und selbstsicher verwerten. So stotterte er mehr als er sprach, „ach Stefan, daran hatte ich eigentlich ...“. Oskar stockte. Hatte ihm da sein Sohnemann nicht eine Brücke gebaut?
Jetzt fiel der Groschen. Dass er darauf nicht selbst gekommen war?
„Nun, stell Dir einmal vor, ich komme mit einer DVD und beweise meinen Direktoren, dass es im Haus eine Sicherheitslücke gibt. Ich habe sie entdeckt und...“ Oskar fühlte sich gut. Ein wärmendes Gefühl breitete sich in seinem Körper aus. Es war offensichtlich, dass er einen Schritt weitergekommen war. Fantastisch, der Sohn, der ihn unterbrochen hatte, spann sogar den Faden in seinem Sinne weiter.
„... und Du wirst belohnt mit einer Prämie, einer Gehaltserhöhung und die Beförderung auf den Posten, den Du schon so lange im Auge hast!“
Stefan hatte die Aussage mit einer bedeutungsvollen aber auch nicht klar zu entschlüsselnden Mimik unterstrichen.
Aber schließlich nahm Oskar die Aussage erleichtert auf und war der Meinung, dass die Kuh jetzt eigentlich auf eine ganz elegante Art vom Eis war. Das meinte er jetzt hoffnungsfroh ... und sagte: „Nun, ich finde das ja keine schlechte Idee. Oder? Das ... das...“
„Vatter, Du bist ein schlechter Lügner. Machst Du mir jetzt etwas vor oder Dir selbst?“
Stefan schaute seinem Vater in die Augen. Oskar hielt auch diesmal diesem psychologischen Druck nicht stand. Er war aufs Neue verwirrt. Dennoch versuchte er doch zu retten, was seiner Meinung nach zu retten war.
„Das ist nicht so. Wenn da etwas Krummes gedreht wird, möchte ich ... will ich ... versuchen, meine Haut außen vor zu halten. Ich will zwar keine Anzeige erstatten, aber wenn da etwas rauskommt, dann werde ich ...“
Stefan ging das alles zu zähflüssig. Und so unterbrach er seinen Vater.
„Du willst beweisen, dass Du Dich herausgehalten hast. Und mit den Unterlagen willst Du zur gegebenen Zeit, wenn es denn erforderlich sein sollte, den Sündenbock entlarven. Ist es vielleicht so?“
Es war diese neuerliche verführerische Suggestivfrage, die Oskar jetzt definitiv Auftrieb verschaffte.
„Na ja, ich hätte es zwar etwas anders formuliert aber die gleichen Worte gebraucht. Und nun weißt Du auch schon zu viel. Ich wollte da keine Familienmitglieder hinzuziehen. Einfach nur vorbereitet sein, damit man mir nichts anhängen kann. Ich meine ich habe ja nichts damit zu tun. Aber man weiß ja niemals, ob da nicht eine Absicht dahintersteckt, dass ausgerechnet auf meinem Bildschirm Daten gelandet sind ... das könnte doch sein ... und dann müsste man doch feststellen können, wer mir das ... äh, antun wollte.“
Jetzt spürte Oskar die Wärme einer tiefen Zufriedenheit und genoss das gute Gefühl.
„Ja, Vatter. Ich habe zwar nicht alles von Deinem Gelaber verstanden, aber Du wirst es schon richtig machen.“
Stefan grinste vielsagend und dachte bei sich, dass er da schon mal in den nächsten Tagen die Augen offenhalten würde. Vatter redete zu viel drumherum, allzu viel drumherum. Dieser Filou hatte da etwas in petto. Da lief etwas. Wetten, dass? Er konnte es gewissermaßen riechen und er würde die aufgenommene Spur nicht mehr verlieren.
„Gib mir noch die Installationsdiskette für das Brennsystem.“
Na, dann ist ja alles klar, dachte sich Stefan.
Oskar trug am nächsten Morgen den externen DVD-Brenner in seiner sehr seriösen Banker-Akten-Tasche. Er hatte sich diesmal mit seinem Wagen sehr fahrig, eigentlich gemeingefährlich, in den Berufsverkehr eingereiht. Seine Konzentration war doch erheblich gestört und zweimal hätte es ihn beinahe erwischt, schuldhaft erwischt. Es war einfach seine Unaufmerksamkeit, seine aktuelle, extreme Zerstreutheit, die ihn selbst und andere, zu dieser Stunde durchweg Berufspendler wie er, in Gefahr brachte.
Doch dann schlich er sich zu seiner Arbeitsstelle. Er fürchtete und glaubte es wenigstens, dass seine demonstrative und übernervöse Gangart zu auffallend sein musste und seine Kollegen müssten es bemerken, ihn misstrauisch beobachten. Den Weg von seinem Parkplatz aus der Tiefgarage in den Aufzug und dann zu seinem Büro, empfand er als wahres Martyrium. Es befiel ihn das Gefühl umkehren zu müssen. Einfach wegzulaufen und wegzufahren. Alles das zu vergessen, was er bis hierher geplant, gedacht und überlegt hatte. Den Gedanken verwarf er dann doch. Das wäre zu auffällig gewesen. Denn zurückzulaufen und mit seinem Auto zu verschwinden, hätte ja erst recht zu Spekulationen oder gar hochnotpeinlichen Fragen geführt. Von wem auch immer. Was hätte er da antworten sollen?
Seine Oberschenkelmuskeln schienen aus waberndem, billigem Plastikschaum zu bestehen. Er war sich bewusst, dass er seinen Kündigungsgrund in seiner Tasche hatte. Und dazu würde noch eine Anzeige wegen Datendiebstahl, Untreue, und was weiß der Teufel noch alles kommen. Sah man ihm das nicht an? Kontrollen hatte er zwar noch nicht erlebt, aber er hatte auch noch niemals solch ein Ding, solch ein verführerisches Angebot auf seinem Bildschirm.
Er versuchte sich gedanklich mit einem Spruch aufzuheitern, den er einmal aufgeschnappt hatte, ...ein Angebot, das er nicht abschlagen konnte! Aber es wollte keine rechte Freude oder wenigstens mehr Gelassenheit am Arbeitsplatz aufkommen.
Er war die Aufgeregtheit in Person, als er, vor seinem Computer angekommen, an die Aufnahme seiner Routinearbeiten ging. Schon beim Einschalten seines PC zitterten ihm die Finger. Und wieder, immer wieder glaubte er sich beobachtet, bloßgestellt. Er tröstete sich damit, dass er halt keiner der hartgesottenen Gewohnheitsverbrecher war. Er hatte jetzt aber <a> gesagt, jetzt musste er auch <b> sagen - so redete er sich die Angelegenheit schön. A und B, so war es nun einmal, so war es immer gewesen. Es schien ihm, als könne er damit ein Naturgesetz als Beweis anführen. „Ich bin gebunden. Ich kann ja gar nicht anders.“
Aber er hätte anders gekonnt. Noch war es Zeit. Nur, und das war es, das genau war es, was er nicht mehr wahrhaben wollte.
Oskar versuchte jetzt ernsthaft sich um seine tägliche Arbeit zu kümmern. Da waren einige Anfragen aus ortsfernen Abteilungen zu beantworten, mit Grafiken zu unterlegen, die wollte er gewissenhaft erledigt wissen. Daten wurden bereitgestellt, er hatte sie zu analysieren, grafisch aufzuarbeiten und dann ab damit in die unsichtbaren Leitungen zu einem unsichtbaren Empfänger. Das wäre noch schöner, wenn er schluderte und ein Supervisor käme, um sich nach den Gründen zu erkundigen.
Seine innere Unruhe wuchs stetig. Und wenn er trotzdem einen Fehler machte? Mehrmals war er in Versuchung sich nach dem einen oder anderen Kollegen umzudrehen. Aber er schaffte es diese Impulse zu unterdrücken. Es stand zu viel auf dem Spiel und leicht hätte der eine oder andere Kollege auch fragen können: „Was hast Du denn heute? Du bist so aufgeregt.“ Und was sollte dann seine Antwort sein? Was sollte er antworten?
Angestrengt dachte er nach, ob er denn an anderen normalen Tagen auch hin und wieder nach seinen Kollegen Ausschau gehalten hatte. Oskar unterstrich im Geiste die beiden Worte „normalen Tagen“, Er kam aber zu keinem klaren Schluss.
Nach etwa einer Stunde griff er dann doch entschlossen in seine Tasche, die er sich bereits so hingelegt hatte, dass er wirklich mit einem unverdächtigen Griff den Externen Brenner fühlen konnte. Dann zog er das Kabel für die Stromversorgung heraus und wollte sie in die Sicherheitssteckdose stecken. Das machte Schwierigkeiten, denn das Ding lag unter seinem Schreibtisch auf dem Boden. Er würde hinunter müssen. Dann, entweder unter den Schreibtisch kriechen oder um ihn herumgehen und an der Hinterseite zu Boden gehen müssen.
Im normalen Bürobetrieb kam das Hantieren an den Steckdosen sehr selten vor. Das war eigentlich gar nicht vorgesehen. Einer Putzfrau hatte man ordentlich die Leviten gelesen, nachdem sie den einen oder anderen Stromanschluss für ihren Staubsauger benutzt hatte. Nicht viele in seiner Abteilung waren bereit das zu glauben. Bei einer Unterhaltung an der Kaffeemaschine kam dann auch die Meinung ins Gespräch, dass es sich ja vielleicht um eine speziell geschulte und eingeschleuste Spionin handeln könnte. Oskar wollte es von dieser Frau nicht denken. Schließlich glaubte er viel zu sehr an das Gute im Menschen.
Musste also ein Hantieren an den Stromlieferanten, dieses außergewöhnliche Verhalten, nicht zwangsläufig Verdacht erregen?
Er entschloss sich für einen Bückling unter dem Schreibtisch. Es war schnell getan, aber Heinrich rief herüber, ob er Probleme habe. „Nein, nein ... das heißt doch, irgendein Wackelkontakt, aber das ist damit behoben. Ich glaube, dass ich mit meinen krummen Füßen etwas losgetreten hatte. Alles in Ordnung“, wiederholte er. „Danke“, schob er noch nach. Und gleich hätte er sich auf die Zunge beißen können, hatte er mit seinen verfahrenen Antworten nicht doch Verdacht erregt? Aber dann überkam ihn das Gefühl, dass er alles richtig gemacht hatte und beruhigte sich etwas. Na denn.
An einer kleinen Kontrollleuchte konnte er erkennen, dass das Maschinchen für die Arbeiten mit einer DVD gerüstet war. Die Elektronen waren nun bereit seinen weiteren Befehlen zu gehorchen. Er würde sie einladen gezielt in sein Aufnahmegerät zu gleiten.
Zunächst arbeitete er noch eine Weile weiter und beschäftigte sich mit seinen Pflichten. Routine-Routine-Routine beibehalten. Das hämmerte er sich wieder und wieder ein. Es war nun wie eine Zwangsneurose, er musste unter allen Umständen vermeiden durch außergewöhnliche Aktivitäten oder ungewöhnliches Verhalten Verdacht zu erregen.
Schließlich schnappte er sich das USB-Kabel und stellte den Kontakt zwischen externem Brenner und seiner Maschine her. Plötzlich ging alles recht flott. Er schob die Installationsdiskette für das Brennsystem ein und gab den Befehl zum Installieren. Rasch schob er die Bildschirmdarstellung in den Hintergrund. Zu sehen waren nur seine üblichen Aufgaben mit den Tabellen und Grafiken.
Eine kleine Anzeige in der Leiste am oberen Bildschirmrand zeigte ihm nach ca. vier ewig langen Minuten die erfolgreiche Installation des Brennprogramms an.
Er entnahm die Installationsdiskette.
Dann machte er einen Neustart. Das System arbeitete perfekt. Aber, und das quälte ihn, jederzeit konnte jetzt ein Typ in ihren Bürokomplex kommen und ihn fragen, weshalb er ein neues Programm, eine nicht benötigte Software aufgespielt habe. Das wäre der Oskar-GAU an sich gewesen.
Hastig schob er nun die jungfräuliche DVD in den Brenner. Dann gab er die Kommandos und das Ding rollte. Ein winziges Lichtlein flackerte. Es musste wohl so sein. Und wieder: Jetzt ja nicht umschauen, ja keinen Verdacht durch außergewöhnliche Bewegungen oder ungewöhnliches Verhalten erregen. Verdammt, lief das langsam, wie lange würde das noch dauern? Aber alles hatte seine Ordnung, der Brennvorgang war dann irgendwann, irgendwie erfolgreich beendet.
„Danke“, murmelte Oskar. Die Diskette kam aus dem Brennerschacht. Er zog den USB-Stecker, verstaute Kabel und Diskette. Den anderen Stecker würde er später, irgendwann, aus der Schuko-Steckdose herausziehen. Und dann das Gerät wieder in seiner Tasche einschließen. Jetzt wagte er doch einen kurzen Rundblick. Alle waren mit sich und ihrer Arbeit beschäftigt. Alfred stand bei der Kaffeemaschine, schaute sie sehnsüchtig an, wartete, bis sie mit ihren technischen Sperenzien fertig und die Tasse gefüllt war. Es war überall wie immer, so als wäre nichts geschehen. <Und es war ja auch nichts geschehen>, sagte er sich, redete er sich, vorerst erleichtert, ein.
Es war der Auftakt zu einem arbeitssamen und erfolgreichen Vormittag. Pff - was konnte jetzt noch schiefgehen?
Es fiel ihm wie so nebenbei doch noch ein, dass er das Ganze doch wohl tatsächlich einfacher hätte haben können. Ein Stick - „Ach Mist, verdammter Mist“. So viel Nerven hatte ihn die Geschichte gekostet und jetzt erst ... Aber, so erinnerte er sich, das hatte er doch schon durchgedacht. Und abgehakt. Oder doch nicht gründlich genug?
Es fiel ihm ein: Der Stick, den er seinem Sohn geschenkt hatte, konnte nur 256 MB speichern. Es war für die Zeit einer der leistungsstärksten Sticks auf dem Markt. Vielleicht zu wenig. Der Umfang der Datei war ihm nicht bekannt und er wollte ja auch nicht lange daran herumfummeln, um es herauszubekommen. Das hätte dann doch irgendwo einen Alarm auslösen können. Es wäre also ein Risiko gewesen und die Kapazität des Sticks hätte möglicherweise nicht ausgereicht. Und zudem, Stefan hatte ja sicherlich ebenfalls Daten darauf gespeichert und, ja, das war ausschlaggebend, so ohne weiteres hätte er seine Absichten vor seinem Sohn nicht verheimlichen können. Außerdem, wie hätte er, mit seinen halbherzigen Erklärungen und Ausreden, mit einem Stick vor seinen Chefs erscheinen sollen? Also, alles in trockenen Tüchern? Das war jetzt im Nachgang etwas verwirrend. Verwirrend oder nicht verwirrend, ich habe es geschafft! Am liebsten hätte er triumphierend mit einem Fuß aufgestampft.
Oskar war es jetzt zufrieden, er hatte alles richtig gemacht. Vor seinem Sohn stand er da als Saubermann, der alles daransetzen würde, um seinen Arbeitgeber vor Schaden zu bewahren. Natürlich auch zu seinem eigenen Vorteil. Und, so wie die Dinge lagen und sich entwickelt hatten, respektiert, hochgeachtet von seinem Sohn. Er hatte beispielhaft gehandelt.
Kurz vor der Mittagspause, die Zeit bis dahin schien ihm unendlich lang, tauchte er dann unter seinen Arbeitstisch ab und trennte die Verbindung vom Netz. Er fühlte sich bereits abgehärtet. Niemand hatte etwas mitbekommen. Er war der Sieger. Der König. Das Ding lief.
Er verschloss die Tasche nun auch mit der ledernen Lasche samt Utensilien. Die Diskette schob er in die Innentasche seiner Jacke, die er sich über die Lehne seines kommoden Bürostuhls gehängt hatte. Wenigstens das war nicht außergewöhnlich.
War er mit sich im Reinen? Ja, er war mit sich im Reinen.
Dann streifte ihn doch noch so ein Gedanke: „Ich kann ja die Disc immer noch wegschmeißen - oder vernichten.“ Oskar wusste es aber, dass dies keine ernstgemeinte Option mehr war.
Zudem, von jedem Eingeweihten, dem er diesen Satz vorgetragen hätte, wäre er als Illusionist bezeichnet worden, als Träumer, als unverbesserlicher Schlafwandler. Und als solcher wollte er dann doch nicht abgestempelt werden.
Oskar sah das aber anders. In Gedanken klopfte er sich dann doch auf die Schulter - „gut gemacht, alter Junge“, sagte er sich und ein warmes Gefühl der Ruhe nach dem gewaltigen Sturm seiner Gefühle überwältigte ihn.
Dann wurde ihm plötzlich warm, ja es durchzog ihn wie eine heiße Welle. Das Brennprogramm. Verdammt, das hätte er beinahe vergessen. Ein Korpus delicti ersten Ranges. Ein Beweisstück seines Vergehens und seines moralischen Versagens. Er hatte bislang nicht mehr daran gedacht es zu löschen.
Das holte er jetzt mit zittrigen Fingern und stockendem Atem nach. Nur langsam beruhigte sich sein plötzlich wieder extrem hochgefahrener Puls.
Niemand belästigte ihn beim Verlassen seines Arbeitsplatzes, bei der <<Bank für Internationale Beziehungen>>.
Am gleichen Abend wollte er mit seiner Frau sprechen. Doch, doch, das hatte er sich fest vorgenommen. Immer wieder ging er im Geiste sein Vorgehen, seine gestanzten und zugegebener Weise etwas ungewöhnlichen Argumentationen durch. Dann versuchte er sich schließlich damit zu trösten, dass es letztendlich nichts mit Lügen und Scheinheiligkeiten zu tun hatte, sondern, dass er schlicht und einfach die Angelegenheit diplomatisch vorzubringen gedachte. Keinesfalls „mit der Tür ins Haus fallen wollte“. Ja, genau das war es. Also heute Abend.
Es kam aber anders. Für Oskar nicht unbedingt ungelegen. Er atmete dann tief durch, nachdem er sich die familiäre Routine ins Gedächtnis gerufen hatte. Es war der Abend, an dem seine Gattin zu den Folterwerkzeugen in das Gymnasium ging. Da war sie, wie er bereits sehr diskret festgestellt hatte, in clubähnlichem Ambiente mit ihren Freundinnen zusammen. Im Geiste verlieh er dem Begriff Freundinnen Gänsefüßchen. Die meisten dieser „sogenannten“ kannte er von der der einen oder anderen Party.
So bekam er eine Gnadenfrist.
Er genoss die Stunden, in devnen er nichts zu beichten oder zu verhandeln hatte. Er genoss sie und war mit sich zufrieden. Morgen würde er mit seiner Frau über das Ausmaß und die Perspektiven seiner Beute sprechen. Die „Perspektiven“ - zu gut deutsch -Aussichten. Er amüsierte sich über diese Wortklauberei.
Sohnemann Stefan nahm den Externen DVD-Brenner kommentarlos von seinem Vater zurück. Er fragte nicht einmal nach, ob denn alles gutgegangen war. Oskar wartete auf diese Frage, hatte sich immer wieder die Antwort vorgesagt. Nein, da würde er keine Fehler mehr machen. Aber der Sohnemann fragte nicht. Das war dann Oskar auch nicht recht. Ja, es beunruhigte ihn etwas. Zu Recht?
Hätte er sich denn ein wenig mehr als <etwas> beunruhigt, vieles wäre ihm in der Zukunft erspart geblieben. Denn dann wäre er der ersichtlich zur Schau getragenen Desinteressiertheit Stefans auf den Grund gegangen. Er hätte nachgebohrt und wäre, vielleicht, fündig geworden. Hätte womöglich Haarsträubendes entdeckt. Aber so ...?
Am nächsten Morgen war er wieder an seinem Arbeitsplatz. Auch jetzt machte er sich wieder Gedanken über das <wenn> und <vielleicht> seiner Kollegen. Doch alles nahm wieder seinen gewohnten Lauf. Keiner seiner Kollegen kümmerte sich auch nur einen Deut mehr um ihn, als es in „anderen Zeiten“ gewesen war. Der Schnitt in seinem Leben betraf offensichtlich nur ihn. Niemand anderes hatte eine Ahnung von dem, was in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, quasi vor ihren Augen, abgelaufen war. Revolutionäres abgelaufen war, fundamental Umwälzendes abgelaufen war. Er hatte den Jackpot geknackt. Soweit wagte sich Oskar bereits zu denken. Keine innere Stimme meldete sich mehr vehement, nörgelnd oder wenigstens störend, um ihn vor einem sicheren Verderben zu warnen.
„Na, dann kann ich ja zufrieden sein“ - das war die vorübergehende Meinung Oskars. Aber er war es nicht. Er war noch weit davon entfernt ganz zufrieden zu sein. Er konnte nicht zufrieden sein, denn er hatte ja noch eine Hürde zu nehmen, die seiner Frau.
Gestern Abend hatte er nach ihrer Rückkehr zwar noch halbherzig auf einen günstigen Moment gewartet. Doch, wenn er auch nur versuchte ein Gespräch zu beginnen, wimmelte sie ihn ab: „Ich bin fix und fertig, ich will nur noch ins Bett.“ Und: „Spar Dir Deine Bemerkungen.“
Mehr oder weniger der übliche small-Talk.
Teils erleichtert, aber dann doch auch beunruhigt, ging auch er ins Bett. Es wurde für ihn eine unruhige Nacht. Er spürte seinen stark erhöhten Puls. Es pochte in seinen Schläfen. Und er war sich sicher, dass auch sein Blutdruck verrückt spielte.
Er war froh, als er vor dem Weckerton aus dem Bett stieg. Aber heute Abend, sagte er sich. Heute Abend.
Und am Abend? Pustekuchen, es war wieder nichts mit einer Beichte und mit der Idee, seine Frau auf ein besseres Leben vorzubereiten. In Luxus. Den ultimativen Luxus.
Ulricke arbeitete Teilzeit an einer Sonderschule für Behinderte Kinder. Ausgerechnet heute war Elternabend. Zunächst verwünschte er sich, von wegen - von wegen - dem Pech, das ihn verfolgte. Aber, was soll´s, der Aufschub hatte auch etwas Vorteilhaftes. Er konnte nochmals eine Gnadenfrist vom Schicksal herausholen.
Morgen war Freitag - Freitagabend, da würde es denn sein müssen. Er würde sich nicht mehr weiter drücken können. Es würde keinen Aufschub mehr geben. Es musste ja sein. Die Kardinalssünde, die er begangen hatte, erschien ihm immer unwichtiger, aber das zielgerichtete Gespräch mit seiner Frau gewann an Gewicht. Und es drückte und lastete auf seinem Gemüt. Ja es schien ihm mehr als wollte ihn diese Last schier erdrücken.
Ulricke hörte dann ihrem Mann zunächst fast ungerührt zu. Er erklärte ihr die Bedeutung, die das Bankgeheimnis hatte. Das war nichts Neues für sie.
Sie erfuhr, dass ihr Mann dann doch in einer Bank arbeitete, die sich offenbar recht wenig um die Gesetze aber umso mehr um den Schutz ihrer, ach so wundersam anonymen Kunden kümmerte. „Und Du steckst in diesem Morast drin?“, fragte sie empört? Unvermittelt. Wahrscheinlich mehr spontan als wohlkalkuliert. Dann hatte sie ihre zweifelsfrei vorhandenen Emotionen wieder unter Kontrolle.
Noch niemals hatten sie so detailliert über seine Arbeit gesprochen. Er arbeitete, sie arbeitete. Aber dass er ein Rädchen war in dem Getriebe, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Gesetze zu umgehen, und dabei auch anderen half diese zu brechen, das war ihr eigentlich neu. Daran hatte sie wirklich noch keinen Gedanken verschwendet. Nicht nur die gewachsenen Gesetze der Gesellschaft, sondern auch jedes ungeschriebene Gesetz des Anstandes wurde bei der dargelegten Idee von der Bank umgangen. Irgendwie schien es ihr für einen Moment, als käme ein Ideal abhanden. Doch überraschend rasch schüttelte sie die aufkommenden Gedankengänge oder gar Bedenken ab. Energisch schüttelte sie die aus ihrer Sicht überholten, ja scheißscheinheiligen Moralvorstellungen ab.
Ulricke selbst war dann aber doch auch höchst von sich überrascht, wie gut sie nach außen die Rolle der empörten Moralistin spielte. Ja, sie spielte mit den Waffen einer Frau. So, oder so ähnlich, wie sie diese Rolle in den letzten Jahren immer mehr perfektioniert hatte. Oder vielleicht, wie sie ihr in den letzten Jahren zu ihrem zweiten Ich geworden war. Eine Paralleleigenschaft ihres wirklichen Denkens, Handelns und Fühlens. Insgesamt hatte sie sich die Ehe erlebnisreicher, spannungsreicher, natürlich im positiven Sinne, vorgestellt. Die Illusionen verflogen und von daher schien es ihr nicht mehr als gerecht, dass sich, und überhaupt wie sich ihre Parallelpersönlichkeit entwickelte.
Hier und jetzt bot sich ihr die Gelegenheit ihr schauspielerisches Talent und verbogene Diplomatie voll auszuspielen. Sie hatte von ihrem Mann regelrecht eine Einladung bekommen ihre einstudierten und oft geübten Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Sie nahm sich vor zu Höchstform aufzulaufen.
Ihre erste sichtbare Reaktion auf den Vortrag ihres Mannes war dann auch im weiteren Verlauf beinahe so etwas wie Verhaltensroutine. Nichts Spektakuläres. Zuhören und ja nicht zeigen, wie sie von seinen traditionell umständlichen Formulierungen gelangweilt war.
Doch dann begannen fast schlagartig ihre Sinne zielgerichteter zu arbeiten. Noch halb im Unterbewusstsein hatte sie bis jetzt seinen Ausführungen zugehört. Was sollte das alles? Was war in ihn gefahren?
Etwas zog sie jetzt wie magisch an. Da tat sich ein interessantes Spannungsfeld auf. Immer schneller arbeitete ihr Hirn bis sie glaubte sich zu verhaspeln, ihre Ungeduld zu verraten. Für einen Moment konnte sie ihren eigenen Gedanken selbst nicht mehr folgen. Daraufhin war es nun wieder keineswegs Routine von der halbherzigen und sogar gespielten Aufmerksamkeit auf wirkliche, sachliche Koordinierungen ihrer hektischen Hirntätigkeit umzuschalten.
Wunsch, Verlangen und die Gier veranstalteten bei ihr ein Wettrennen. Wobei die Gier, als eine der ältesten menschlichen Eigenschaften, bald die Oberhand gewann. Ausgerechnet die, ausgerechnet die, durfte sie jetzt aber keinesfalls vor ihrem Mann offenlegen. Das hätte ihn erschrecken können, verschrecken müssen, verbesserte sie sich.
Sie wusste sich jetzt unter Kontrolle zu bringen. Sie glaubte sich jetzt auch unter Kontrolle zu haben. Ihre Gedanken kreisten jetzt um die Sorge, denen ihres Mannes nur ja nicht allzu weit vorauszueilen. Wenn er denn überhaupt bereits einen Standpunkt dazu hatte. Was allerdings zu bezweifeln war. Sie kannte ja sein Zögern vor einer Entscheidung. Und, wie oft hatte sie ihn diplomatisch auf den richtigen, sprich: auf ihren Weg bringen müssen. Niemals hatte er es krummgenommen. Vielmehr erschien er stets erleichtert, dass er die Entscheidung nicht allein zu treffen brauchte. Sie war ja für ihn da.
Die diesmal vom Gatten vorgetragenen Bedenken schienen ihr immer mehr wie doofes Schleimerverhalten eines Menschen, der nicht sicher auf dem Boden der Tatsachen dieser Welt stand.
Mit einem atemberaubenden Tempo hatte sie erfasst, dass sich hier eine der Chancen auftat, die das Leben niemals ein zweites Mal anbot.
Ihr Mann erzählte - lamentierte - jetzt von den Qualen, die er durchzustehen hatte, weil er sie nicht gleich nach seinem Übergriff sprechen konnte. Doch insgesamt vermied er allzu kritisch zu werden, sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Ihr jetzt dümmliche Vorwürfe zu machen. Er glaubte immer noch, dass er sie überzeugen musste aus den computerisierten Erkenntnissen Kapital zu schlagen.
Andererseits war er entschlossen, vorläufig entschlossen, wenn seine Frau nicht mitmachen wollte, ja sogar begeistert mitmachen wollte, dann würde er die DVD vernichten. Na ja, vielleicht... dann würde er sehen müssen, wie es weitergehen könnte. Es gab da noch so viele andere Möglichkeiten damit zu Geld zu kommen. Vielleicht würde er sie auch einlagern für einen anderen günstigeren Moment. Viele, viele vielleicht hatte er in seinem geistigen Gepäck.
Ulricke dagegen ärgerte sich einmal wieder über das geringe Durchsetzungsvermögen ihres Mannes, ohne sich in ihrem äußeren Erscheinungsbild etwas anmerken zu lassen. Sie ärgerte sich darüber, dass er sie nicht doch wie ein echter Kerl mit den Waffen eines Mannes, ohne jede Verzögerung, ohne dieses vermaledeite vor sich herschieben, „überzeugt“ hatte. Dass er ihr seine Geschichte nicht bereits vom ersten Moment an mitgeteilt hatte. Sofort! Haarsträubend! Wer weiß, was in diesen Tagen alles hätte geschehen können, oder, Gott behüte, bereits tatsächlich geschehen war.
Zwei Tage, in denen er eine Diskette mit solch einem Wissensschatz mit sich herumgetragen hatte. Es brodelte in ihr. Aber sie durfte es nicht zeigen. Im Gegenteil. Nein, und sie durfte auch nicht weiter in Horrorkategorien denken und doch konnte sie einen Anflug von schierer Verzweiflung nicht gänzlich unterdrücken. Es hätte ihm etwas zustoßen können und all die schönen Träume und paradiesischen Aussichten wären für immer verloren gewesen.
Sie war nun am Zug.
Sie biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte.
Natürlich war sie viel schneller auf seiner Seite gewesen, als er überhaupt erahnen konnte. Aber mit der eigenen weiblichen Diplomatie oder Heuchelei, ließ sie ihren Gatten irgendwo zwischen zur Schau getragener Gesetzestreue und Verruchtheit schmoren.
Sie hatte in solchen Sachen Erfahrung, er dagegen nicht die Spur einer Ahnung. So sah sie jetzt die Entwicklung der Ereignisse in fiebriger Anspannung.
Ulricke hatte nämlich die Tragweite der Geschichte mit ihren glänzenden Perspektiven erfasst. Und das war recht schnell, jedenfalls viel schneller, als es sich ihr Gatte vorstellen konnte. Er hätte schon seiner Gattin die Planung der weiteren Entwicklung überlassen können.
Was er in seiner Position als Ehemann Ulrickes nicht wissen sollte oder auch wissen wollte, war, dass ihm seine Frau in so gut wie allen Belangen des Alltags überlegen war. Es war Lebenserfahrung und auch Intelligenz, Gewitztheit, Durchsetzungsvermögen, aber, bis jetzt immer ohne offene Aggressivität ausgelebt. Ihren Mann ließ sie von ihrer Überlegenheit nichts spüren, wenigstens glaubte sie daran. Klar, sie konnte schon einmal bis an das Limit gehen. Aber sie hatte es bisher fertiggebracht, ihn niemals so bloßzustellen, so zu behandeln, dass er sein Gesicht verlor. Möglich war, dass er das intuitiv erfasst hatte und sich deswegen nicht gegen die Vormachtstellung seiner Frau wehrte. Ließ er sich gerne führen? Es war eher anzunehmen, dass er den typischen Waffen der Frau erlegen war. Von denen er absolut keine Ahnung hatte.
Vermutlich war er auch so weit in seine Opferrolle hineingewachsen, dass er gerne glauben wollte, dass das ein allgemein normaler Zustand einer eingefahrenen Ehelaufbahn war. Darüber hatte er bisher mit niemandem gesprochen.
Ulricke erhoffte sich jetzt von ihrem Mann die Vorschläge zu hören, die sie selbst bereits weitgehend entwickelt und spontan parat hatte und gerne selbst gemacht hätte. Sie hatte bereits in kürzester Zeit Pläne entwickelt und die Zukunft schien immer mehr aufzuleuchten. Aber sie hielt sich immer noch klug zurück, wie sie dachte und sich selbst versicherte. Denn derart Wichtiges würde sie gerne ihrem Angetrauten als Erfinder überlassen. Er sollte Partner werden und in keinem Detail ein Bremsklotz in dem zukünftigen Geschehen.
Doch worüber faselte der denn noch? Meine Güte, sie biss sich wieder auf die Lippen, um nicht herauszuplatzen mit dem, was ihr Mann irgendwann, nach verschwurbelten Sätzen sowieso vorzubringen gedachte. Sie wusste nur zu gut was kommen würde, kommen musste.
Und Oskar versuchte mit langatmigen Darstellungen und Umschreibungen irgendwann und irgendwie auf den Kern seiner Gedanken zu kommen. Lieber wäre es ihm gewesen, wenn seine Frau aufgrund seiner Andeutungen sofort schlicht und einfach die Führung übernommen hätte. Wenn sie das doch besser eingeschätzt hätte. Sie hätte ja nicht auf den Tisch hauen müssen und mit einer Basta-Entscheidung den einzuschlagenden Weg aufdecken müssen. Sehnsüchtig erwartete er von ihr jetzt das Fertigspinnen seiner ausgelegten, aber immer noch überaus verwirrenden Fäden.
Ganz klar war doch, dass sie es in der Hand hatten ein riesiges Vermögen zu machen, wenn sie nur die Angst der Anleger und die Scheu derselben vor dem Fiskus in angemessener Weise ausnützen würden. Großes Ausrufezeichen!
Dann kam sie endlich an die Reihe. Er kam auch mit seinen übervorsichtig und verwirrend geäußerten Einlassungen kaum noch weiter. Ganz gelassen, mehr mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck, ersuchte sie ihren Mann um mehr Einzelheiten. Wenn der gewusst hätte?
Dann übernahm sie, mit einem meisterlich gespielten Zögern und mit großer Umsicht, die Führungsrolle. Oskar vernahm das mit Freuden. Er konnte ihr die Initiative überlassen. Endlich - die Kuh war vom Eis.
Oder war da noch etwas?
Ja, da war noch etwas.
Der Sohnemann Stefan hatte schon am gleichen Tag des heiklen und doch auch wieder fruchtbaren Gesprächs mit seinem Vater, im Wohnzimmer ein verstecktes Mikrofon angebracht. Er hatte richtig kalkuliert, dass es zu einer Aussprache zwischen seinen Elternteilen kommen würde. Und dieser wollte er beiwohnen. Jetzt war es so weit. Alles, was er erhofft oder auch erträumt hatte, wurde bei weitem übertroffen. „Mein lieber Scholli“, murmelte er ein ums andere Mal.
Die Art und Weise, wie sich sein Vater bei seiner Mutter einzuschleimen versuchte, war die einzige Enttäuschung in dieser neuen Entwicklung. Wo hatte sein Vater nur seine Hosen gelassen? Mann, das war doch Männersache. Er hätte es liebend gerne erwartet zu hören: „Mutti, wir machen jetzt Kohle ohne Ende. Scheiß auf Gesetz und Moral.“ Stattdessen dieses fast endlose Geeiere.
Da war er doch ein anderer Kerl. Sein nun von ihm selbst freudig begrüßter Entschluss stand bereits fest: „Da mische ich mit.“
So als hätte er Bedenken, dass ihm das eine oder andere Detail entgehen könnte, drückte er mit beiden Händen die Muscheln des aufgesetzten Kopfhörers noch fester auf seine Ohren.