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In Chile die Revolution, das Ende Allendes. Der junge Raúl Rivera kommt nach Deutschland. Als erfolgreicher Erfinder verteilt er nachgemachtes Geld mit Verfallsdatum und erlebt bei seinen Beobachtungen die haarsträubendsten Überraschungen.
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Seitenzahl: 526
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Teil
Kündigungsgrund
Geheimnisvolle Technik
Die neue Fälscherwerkstatt
Teil
Anpfiff, das Spiel beginnt
Ein Fixerleben
Schwelgen in Fantasien
Holger, der Lebemann
Feierabend bei McDonalds
Holger, der Unternehmer
Aller Anfang ist schwer
Holgers Geld auf Zeit
Koks in Tütchen
Die Geschäftspartner sind sauer
Es kommt dicke für Holger
Heimat der schweren Jungs
Gewaltspirale
Wer Wind säht...
Ein weiteres Opfer
Ende einer Drogenkarriere
Teil
Elfriede, die unglückliche Finderin
Die Volkszählung
Katzenpisse im Tresorraum
Erbarmungslos
Das Glück kehrt zurück
Teil
Hochwürdens neue Orgel
Der Inhalt - ein Geständnis
Ich gestehe und versichere jeder verehrten Leserin und jedem geehrten Leser, dass mich mein Textaufbau als auch meine Ausdrucksweise als echten Pfälzer ausweisen.
Der Autor Kurt Koch
Zu „Finderlohn“ -
ein kurzer Blick hinter die „Kulissen“
Am 11. September 1973 hatte der damals 58-jährige Pinochet den (in Chile) demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende gestürzt. (Wortlaut Wikipedia)
Jetzt regierten die Bajonetten und Maschinenpistolen.
Die Leitfigur in den beiden Bänden „Finderlohn“ erlebte diese Zeit als Kind. Die neuen Machthaber waren überzeugt, dass sein Vater an revolutionären Umtrieben beteiligt war. Um ihm Geständnisse abzupressen wurde seine Frau vor seinen und den Augen des Kindes Raúl Rivera auf das schwerste misshandelt.
Die Familie wurde gerettet und vom Roten Kreuz nach Deutschland verbracht. Vater und Mutter schieden bald aus dem Leben.
Raúl blieb ein Einzelgänger.
Er konnte sich nicht mehr ganz von den traumatischen Erlebnissen im Folterlager PISAGUA frei machen.
Er konnte und wollte es sich auf eigene Faust erlauben soziologische Studien anzustellen. Es war seine Meinung und einsame Entscheidung. Doch da konnte der Staat nicht tatenlos zusehen.
Machen Sie sich auf Überraschungen gefasst.
Raúl Rivera, sein kompletter Name war Raúl Frederic König Rivera, so stand es auf seiner chilenischen Geburtsurkunde. Er hatte aus wichtigem Anlass um eine Unterredung mit der Geschäftsführung gebeten.
Dieser exzellent ausgebildete Angestellte war ein bekannt guter Kopf in der Entwicklungsabteilung. Somit hatte man in der Führungsriege schnell ein offenes Ohr für das Anliegen dieses wertvollen, sehr zuverlässigen und auch beliebten Mitarbeiters Raúl Rivera. In den oberen Etagen der Geschäftsleitung waren die Herren mit ihm und seinen Leistungen hochzufrieden. Er war bekannt als etwas introvertiert, was ihm bei der Lösung kniffliger, technischer Aufgaben mehr zum Vorteil gereichte. Seine Kompetenz wurde von niemandem angezweifelt.
Etliche Patente, die die Firma hielt, gingen auf seine erfinderische Tätigkeit in ihrer anerkannt modernst ausgestatteten Entwicklungsabteilung zurück.
Raúl hatte die angeregte Unterredung als dringend bezeichnet. Und vertraulich. Aber das wusste auch er, dass es sowas nicht geben konnte, wenn die tiefer gehenden Interessen der Firma, des Konzerns allgemein direkt betroffen waren. Und es gab keinen Zweifel, dass es diesmal mit Sicherheit der Fall war. Schließlich hatte er den Beweis erarbeitet.
Er hatte es, wie üblich, mit vielen Bedenkenträgern zu tun. Trotzdem würde es in der Firmengeschichte ein klares Novum geben - müssen. Er war der Dreh- und Angelpunkt für einen gewaltigen Entwicklungssprung auf höchstem technischen Niveau. Er hatte sich intensiv auf diesen Moment der hochkarätig zusammengesetzten Zusammenkunft vorbereitet und er war sich sicher, dass er Erfolg haben würde.
Etwas außerhalb - nun, sagte er sich, <etwas außerhalb der in solchen Situationen einzuhaltenden Verfahrenswegen>. Einmal vorsichtig formuliert und auch sehr konservativ ausgedrückt.
Gewisse rituell anmutende Scheinheiligkeiten wurden stets bei den Entscheidungsträgern bei solchen Zusammenkünften gehegt und gepflegt. Sie gehörten zum normalen Ablauf. Er wusste um diesen Zustand aus Erfahrung und auch der Geschäftsführung war dies bewusst, die ihm trotzdem - aber selbstverständlich - absolute Vertraulichkeit zusicherte.
Außer den Vorstandsmitgliedern, verantwortlich für die Entwicklung und Marktstudien, dem technischen Leiter der hiesigen Tochtergesellschaft, dem Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden sowie dem Finanzvorstand würde niemand an Bord sein. Man freue sich auf die Unterredung, von der man einmal wieder richtungsweisende Neuigkeiten erwartete. Zum Wohle der Firma natürlich. Und zum Schaden des Initiators, des Erfinders, sollte es natürlich auch nicht sein. Das betonte man immer wieder mit gleicher Unredlichkeit und gebetsmühlenhaft.
Aus der - aus ihrer Entwicklungsabteilung - kam durchweg Gutes. Technische Vorgaben wurden regelmäßig übererfüllt und Zeitlimits unterboten. Meist konnte man der Konkurrenz ein Schnippchen schlagen, sie ausbooten. Und an dieser Tatsache hatte eben diese Entwicklungsabteilung den größten Anteil. Da hieß es meist: Auftrag erfüllt - Vorgaben übererfüllt. Die waren tüchtig. Die Firmenleitung war voller Stolz, besonders wenn sie halbjährlich die wiederum revolutionären Neuigkeiten der Öffentlichkeit präsentieren konnten. Von der Mutter aus Übersee spendierte man wohlwollend Boni. Auf die Leute am Standort Deutschland konnten sie sich verlassen. Da kam Freude auf. Öfters als aus anderen Ecken der Welt.
„Nun Herr“ - ein kurzer Blick auf seine Vorlagen - „Herr König“ - „Rivera“, verbesserte Raúl umgehend - „äh, Herr Rivera, wir sind ganz Ohr, wir sind gespannt, was Sie uns zu sagen haben.“ Der Geschäftsführer warf einen vielsagenden Blick auf seine goldene Rolex.
Der sportliche, durchtrainierte Herr mit der randlosen Brille, es war der Chef der Entwicklungsabteilung, ergriff, ohne eine Sekunde zu zögern das Wort. Es schien ein eingespieltes Ritual.
„Herr König - äh, Herr Rivera ist in unserer Kreativabteilung einer der führenden Köpfe bei der Entwicklung von Printers. Eigentlich, das sollte man ohne Einschränkung sagen, er ist in diesem exklusiven Club sicher der führende Kopf. Er ist ein Vordenker, der uns bisher bei der Lösung kniffliger, technischer Probleme immer erstaunlich schnell vorangebracht hat. Herr Rivera hat ein sehr gutes technisches Gespür, Fantasie und Einfühlungsvermögen. Seine Erfahrung hat ihn in eine zentrale Vertrauensposition gebracht.“
Süßholzraspler, dachte Raúl. Vor Ort hörte sich das meistens ganz anders an. Da konnte er mal schnell recht ranzig werden, aufs Tempo drücken, und zwar, gar nicht so selten, mit recht unangenehmen Methoden. Raúl war da nicht ausgenommen. Doch heute, das wollte er die Herren spüren lassen, da sollte es eine Abrechnung geben. Offenbar war das unausgesprochene Wort Abrechnung ein Startsignal für den Kassenwart.
„Herr Kollege“, ließ sich der Finanzvorstand vernehmen, „darf ich daran erinnern, dass das Budget...“
Weiter kam er nicht, denn der Geschäftsführer unterbrach ihn recht unsanft, „...wir sind hier um Herrn Rivera anzuhören“., wieder warf er einen Blick auf den mit einer Goldrolex bewehrten Unterarm, „nicht um unsere finanziellen Vorgaben oder Ziele zu diskutieren. Also! Herr Rivera!“
Er machte eine kurze unmissverständliche Kopfbewegung in Richtung Raúl und fügte hinzu: „Wir hören.“
„Schießen Sie los“, ergänzte wichtigtuerisch der sportlich gestählte Entwicklungschef.
„Meine Herren, Sie sind im Bilde, dass ich in der Entwicklungsabteilung, wie unser Herr Diplom Ingenieur Dr. Eberhardt erwähnt hat, für knifflige Aufgaben am richtigen Platz bin.“
Der Geschäftsführer unterbrach ihn: „Herr Rivera , bitte keine Süßholzrasplerei, kommen Sie zur Sache.“
„Nun gut“, setzte Raúl wieder an, „dann will ich den Herren keine Zeit rauben und komme direkt zur Sache.“
Der Geschäftsführer, seine sportlichen Highlights mochten mehrere Jahre zurückliegen, war trotzdem immer noch mit einem Körperbau ausgestattet, der auf Selbstdisziplin schließen ließ. Seine Bewegungen schlossen auf eben diese Selbstdisziplin und sicherlich gesunder Ernährungsgewohnheiten. Er war zudem immer gleichmäßig gebräunt. Offenbar tägliche Pflege im eigenen Solarium, dachte sich Raúl.
„Erfreulich“, sagte der Geschäftsführer, Herr Wickert.
Raúl war an der Reihe: „Ich habe einige der letzthin oft diskutierten und zunehmend aufgestauten Probleme zufriedenstellend gelöst. Aufbauend auf diesen technischen Problemlösungen wird es möglich sein, mehr als vierfarbig so zu drucken, wie es bisher nur die neuesten Offsetmaschinen können. Dies sowohl für den Anwender im Büro, zu Hause oder auch in jeder anderen Betriebsgröße in der Druckerei. Es wird sogar möglich sein mit dem Verfahren genauestens mehrfach und wiederholt übereinander zu drucken, einen perfekten Reliefdruck problemlos auszuführen. Dies direkt über den PC gesteuert, ohne Filme und Druckplatten und dadurch ohne jede andere Druckvorstufe. Sogar der Preis dürfte im Vergleich unschlagbar niedrig liegen. Soweit ich es bis gestern durch Recherchen beurteilen konnte, ist die Patentlage auch so, dass es bis jetzt noch keinen anderweitig konkurrierenden technischen Ansatz gibt.“
Es trat Stille ein.
„Was soll das heißen?“, unterbrach schließlich Herr Dr. rer. nat. Wickert die erwähnte, kurz eingetretene Stille.
Er schaute dabei in Richtung seines <sehr verehrten Kollegen> Herrn Dipl. Ing. Dr. Eberhardt.
Auch dieser erlauchte Herr schaute zunächst eine kurze Weile den Vorstandschef an, wandte sich dann an Raúl.
„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, berichten Sie uns hier quasi von einem erstaunlichen Durchbruch in der Drucktechnologie. Stimmt das?“
„Nicht nur quasi“, rutschte es Raúl heraus, „ich habe alle technischen Möglichkeiten der Beanspruchungen relevanter Bauteile und Komponenten durchgespielt. Alle theoretischen Vorausberechnungen und Ansätze sind in den wichtigsten Ansätzen in der Praxis übertroffen worden. Es kann keinen Zweifel an der praktischen Funktionalität des Systems, der Erfindung geben.“
„Dann hängt es sicher wieder am Geld?“, kam es vom Kassenwart.
Ein kurzer aber energischer Blickkontakt zwischen Dr. Wickert und Herrn Bose brachte letzteren zum Schweigen. Mit einem honorigen Titel konnte Herr Bose leider nicht aufwarten. Indigniert senkte er seinen Blick.
„Wenn die Feststellung von Herrn Rivera zutrifft, was ich nur gering anzweifeln mag, Entschuldigung Herr Rivera, dann können Sie sich mit Ihrem Geiz im Finanzresort ruhig in einen weit entlegenen Schmollwinkel zurückziehen. Dann wird nämlich, wie es die Erfahrung immer wieder gezeigt hat, jeder investierte Cent in erstaunlich kurzer Zeit vielfach zu uns, nun ja, zu Ihnen in ihre Kasse zurückfließen. Mal sehen, ob sie dann immer noch so ein lächerliches Lamento veranstalten. Habe ich recht?“
„Meine Herren, aber bitte, hören wir uns doch einige weitere Details an“, so sprach Wickert mit unverkennbarer Ungeduld in seiner Stimme.
„Nicht nur mir dürfte es bekannt sein, dass weltweit an der Lösung dieses Problems gearbeitet und geforscht wird und das nicht nur seit einigen Monaten.“ Das war Raúl. Und er schaute seinen direkten Vorgesetzten, Herrn Dr. Wickert, an.
„Und sie haben die Lösung gefunden“, fragte dieser mit einem etwas lauernden Unterton.
„Ja!“ Die knappste aller Antworten und in den einschlägigen Kreisen nun doch etwas ungewöhnlich.
Damit hatte niemand der Herren gerechnet. Es würden jetzt viele gescheite Fragen zu stellen sein. Doch für einen Moment war es erstaunlich still. Sie erkannten, dass es bei diesem Zusammenkommen darum ging weitreichende, zumindest Vorentscheidungen zu treffen.
Meistens suchten sich die einzelnen Verantwortungsträger so auszudrücken, dass ihnen beim Scheitern einer Entscheidung nicht wirklich und ausschließlich die Verantwortung angelastet werden konnte. So würden sie sicher auch diesmal bemüht sein, sich zunächst so präzise wie möglich im Ungefähren auszudrücken. Immer auf der Lauer vor ihren Konkurrenten und Neidern in den Chefetagen. Diese, die ja bekanntermaßen ständig an gewissen Stuhlbeinen sägten. Kippte ein Betroffener dann wirklich, „hatten es die Neider und Streber ja schon immer gewusst!“
Es meldete sich siegessicher Herr Eberhardt. Der ehrgeizige Herr sah sich sicher bereits im glänzenden Licht der technischen Neuerung, wie von Herrn Rivera angesagt. Er sah sich bestimmt bereits auf Pressekonferenzen, auf Fachmessen und Kongressen umschwärmt und von Fachleuten angehimmelt. Seine Augen begannen zu glänzen.
„Wenn Herr Rivera uns diese technische Neuerung, ach was, technische Sensation meldet, dann gehe ich davon aus, dass daran keine Zweifel angebracht sind. Weder an der technischen Lösung, noch an der Machbarkeit, noch an der Integrität und dem Sachverstand unseres Mitarbeiters.“
Jetzt geht er aber in die Vollen, dachte Raúl bei sich. Er positioniert sich, er will mich an seiner Seite haben. Wenn auch nur vorübergehend. Und er wird mich in die zweite oder in eine Reihe viel weiter hinten abschieben, sobald er die Details kennt und die Patentierungen laufen. Dann wird er der große Mann sein, mit all diesen Titeln, die er gesammelt hat. Denen gegenüber habe ich keine Chance wahrgenommen zu werden. Doch wartet nur mal ab, meine Herren, dachte Raúl. Auch ihr werdet lernfähig sein.
Raúl war klar, dass er in der Regel als Angestellter in dem Zusammenspiel der Vorstände mit Rückversicherung und Deckung auf Gegenseitigkeit, keine richtige Chance hatte. Er würde zwar die Erfindung gemacht haben, aber sie gehörte nicht ihm, sondern ausschließlich - uneingeschränkt - seinem Brötchengeber. Er konnte mit einem netten Brief, einem Anerkennungsschreiben auf Büttenpapier rechnen, auch mit den Unterschriften des gesamten Vorstandes. Vielleicht auch einer Geldprämie oder im allerbesten, aber unwahrscheinlichen Fall, eine mehr symbolische Beteiligung am Erfolg des neuen Verfahrens erhalten. Letztes war in keinem Anstellungsvertrag schriftlich festgehalten und somit regelmäßig außerhalb jeder Diskussion. Keiner dieser Herren würde jemals, und auch heute nicht, darüber ein Wort verlieren. Sie würden mit spitzem Finger und Schmollmund auf die Vertragsbedingungen zeigen.
Vielleicht würden sie ihm auch ein paar Vorzugsaktien übergeben. So als Andenken oder Anerkennung. gez.: Ihre Vorstände!
Raúl hatte demnach keine Möglichkeit auf Beteiligung an der Erfindung zu pochen oder sie gar einzuklagen. Nicht nur, dass dieser Zustand gültiges Recht war. Es war auch in einem Abschnitt in seinem Anstellungsvertrag ausdrücklich und ohne Recht auf Widerruf bzw. Anfechtbarkeit festgehalten.
Nein, auf diesem Weg hatte er keine Chance seine Leistung umfänglich gewürdigt zu sehen. Er gehörte mit seinem Gehirn, im übertragenen Sinne, mit Leib und Seele seinem Brötchengeber. <Nennen Sie es Sklavenhaltertum aus dem Mittelalter, oder wie sie wollen, das sind aber die Tatsachen> - so würde man ihn belehren, wie gesagt, wenn überhaupt. „So sind nun einmal die Spielregeln! Wir haben sie nicht erfunden. Wir wenden sie an und halten uns dabei an Gesetz und geltendes Recht. Dafür haben wir Ihre monatlichen Bezüge, allgemeine Prämien und Bonis lukrativ gestaltet, was Sie zugeben müssen und auch mit Ihrer Unterschrift bestätigt haben.“ <In aller Freundschaft> würde man ihn auf diese vertraglich bindenden Kleinigkeiten hinweisen.
Darüber hinaus standen in diesem Zusammenhang noch ganz andere knebelnde Vertragsbestandteile im Vertrag mit der Firma. Unter anderem:
Auch ein Ausscheiden aus der Firma, um sich dann in eigener Regie dem Patentierungsverfahren zu stellen, sich die Erfinderrechte zu sichern, hatte keine Chance auf Erfolg. Auch hier standen juristische und vom Gesetzgeber gewollte Vorgaben auf der Liste der Tatsachen. Sogar Erfindungen, die nichts mit seinem gegenwärtigen Aufgabengebiet in der Firma zu tun hatten, also Druckersysteme zu entwickeln bzw. zu verbessern, gehörten bis zu fünf Jahre nach seinem Ausscheiden immer noch der Firma. Auch wenn er, beispielsweise, ein Antischnupfenmittel erfinden würde. Es würde ihr frei stehen ihn zu honorieren, ihn zu beteiligen oder abzufinden. Im schlimmsten Fall würde ein Händedruck mit einem lauen <Danke> genügen.
Eine Verpflichtung bestand nicht einmal dem erwähnten Händedruck oder dem Danke gegenüber. Er könnte sich nicht einmal wehren, wenn eine Mitarbeit in der Firma nicht mehr erwünscht wäre. Wenn er „aus betrieblichen Gründen“ seine Entlassung bekäme. Unzufriedenheit ist keine Begründung für eine Prämienforderung jeglicher Art.
Raúl war aber nicht unvorbereitet. Schon seit längerer Zeit hatte er, in seiner etwas überdurchschnittlich privilegierten Stellung, nicht nur an der Lösung des technischen Problems gearbeitet. Er hatte auch nach Wegen gesucht, dem gesetzlich festgelegten Regelwerk zu entgehen. Vielleicht ihm ein Schnippchen zu schlagen. Die Erfindung musste nur wichtig genug sein, große renditeträchtige Erfolgsaussichten beinhalten, dann konnte man auch die höchste Hürde nehmen. Vielleicht? Oh nein! Sicher! Sie würden es ihm nicht leicht machen. Und immerhin sind sie eine geballte Macht, er nur ein Einzelkämpfer.
„Herr Rivera, sind sie allein mit dem Problem befasst, bzw. wer arbeitet eventuell noch mit daran? Sie scheinen zumindest der Kopf dieser angekündigten umwälzenden Entwicklung zu sein.“
Aha, der Dipl. Ing. tastet sich vor, erkundet das Terrain, bevor er zur Sache, dem Angriff übergeht, dachte sich Raúl.
„Ich habe das allein durchgezogen, das Risiko war mir zu groß. Sie wissen ja, je mehr Personen damit be...“
Der Dipl. Ing, unterbrach ihn: „...Gut gemacht. Und gut gedacht. Nun, einerseits gut gemacht, andererseits hätten Sie bei mir, wie üblich einen verständnisvollen und auch begeisterten Ansprechpartner gefunden. Übrigens, wie sieht es mit den Printmitteln aus, Tinte, Pülverchen oder gibt es da auch eine Neuigkeit?“
Raúl schaute sehr konzentriert auf seine wenigen Papiere, die er vor sich auf den Tisch gelegt hatte.
„Nun, Herr Rivera?“
Es war Dr. Wickert.
„Ich habe auch daran gedacht. Selbstverständlich hängt ja eines mit dem anderen zusammen. Und schließlich verdient die Firma ja am besten mit den Zutaten. Bestimmte Vorgaben stehen ja ganz oben auf der Prioritätenliste, wenn ein neues Produkt in der Entwicklungsabteilung in Angriff genommen wird.“
„Hervorragend“, ließ sich der Kassierer vernehmen.
„Herr Dr. Wickert“, Herr Dipl. Ing. Dr. Eberhardt. wandte sich in Richtung seines Vorstandsvorsitzenden, „gehen Sie mit mir einig, dass wir, nach einer ersten und vorläufigen aber eingehenden Prüfung durch mich und unsere Fachleute, baldigst die Patentanwälte einschalten sollten?“
Er will unbedingt die Initiative. Der macht schon so, als wäre er der Herrscher aller Reusen, dachte sich Raúl.
Herr Dr. Wickert drehte, wie in Gedanken verloren an dem exklusiven Armband seiner Rolex. Niemand unterbrach ihn bei diesem Ritual.
Dann aber kam er in Fahrt: „Ich denke, dass es am besten ist, wenn wir zunächst eine Priority Group bilden. Diese aber organisatorisch sozusagen von der allgemeinen Entwicklungsabteilung abtrennen. Dazu lassen wir einfach im Block D die erforderlichen Installationen verlegen. Gleichzeitig beginnen wir aber auch die Erstellung des sowieso geplanten Neubaus vorzuziehen. Lasst uns mit Verve an die Arbeit gehen und keinen Tag mehr verlieren. Die Sicherheitsabteilung muss selbstverständlich für jede Fase eingeschaltet werden.“
„Für einen Neubau habe ich noch keinen Ansatz in der Planung!“
Das war wieder der Finanzchef.
„Nun lass mal gut sein“, bemerkte fast zu gütlich Dr. Wickert, „das bringe ich auf den Weg und wenn ich persönlich mit diesem einzigen Tagesordnungspunkt in der Übersee-Zentrale aufkreuze.“
„Ich wollte ja nur gesagt haben...“, hakte der Kassierer hartnäckig nach.
Raúl bekam das Gefühl, als wäre er bereits in dieser Runde die kleinste Nebensächlichkeit. Da hatte er noch keine technischen Details auf den Tisch gelegt, und schon hatten sie ihn vereinnahmt. Sein Wissen und Können gehörte sowieso ihnen und das ließen sie ihn bereits unbarmherzig spüren. Er befahl sich: Abwarten. Sie sollen sich in ihrer Selbstherrlichkeit erst einmal austoben.
„Beschlussfassung?“, ließ sich wieder der energische Vorstandsvorsitzende vernehmen und fuhr ohne eine Antwort abzuwarten fort. „Herr Rivera, sie gehen mit Herrn Eberhard das gesamte neue Spektrum in allen Einzelheiten durch, so wie es auch in unserem Hause die Regel ist, und sie werden von uns hören. Zunächst möchten wir ihnen unseren aufrichtigen Dank und Anerkennung für ihre beachtliche Leistung und Einsatz zum Wohle unserer Firma aussprechen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass ihnen auch in finanzieller Hinsicht Zufriedenheit widerfahren wird.“
„Herr Dr. Wickert“, ließ sich nun Raúl vernehmen, er war ja jetzt direkt angesprochen, „ich danke für Ihre Ausführungen, ....“ Weiter kam er nicht.
„...Aber das ist doch selbstverständlich, dass ich mich für die Belange unserer Mitarbeiter einsetze und ihre Leistungen zu würdigen weiß.“ So sprach Herr Dr. Wickert und schien keine weiteren Worte mehr darüber verlieren zu wollen.
Raúl war da anderer Ansicht.
„Darf ich noch einmal ums Wort bitten?“
Dr. Wickert ließ sich aus halb erhobener Flucht-Position wieder in seinen Chefsessel fallen. Dann drehte er wieder demonstrativ an seiner Rolex und warf einen auffallend intensiven Blick darauf.
Raúl ließ sich, für jeden Anwesenden überraschend und erkennbar, erstaunlicherweise nicht aus der Ruhe bringen. Normal wäre es gewesen, dass man vor den Absichten und Beschlüssen eines Dr. Wickert viel mehr Respekt zeigt. Sozusagen innerlich zusammensinkt, einknickt. Raúls Benehmen war daher schon recht ungewöhnlich, was man auch in den Gesichtern des Finanzvorstandes und dem des Dipl. Ing. ablesen konnte. Jeder legte in seiner gewohnt bekannten Manier die Stirn in Falten. Sollte sich jetzt einer von ihnen mit gefühlsbetonten Unmutsbezeugungen zeigen? Doch Raúl ließ sich dadurch nicht beeindrucken.
Möge er mal unsere Geduld nicht auf die Spitze treiben, dieser Satz lag in der Luft. Bei aller Wertschätzung. Verdammt noch eins.
„Bitte“, das war alles was Herr Dr. Wickert nun in Richtung Raúls doch noch sagte.
„Ich möchte festhalten, dass ich mit den Beschlüssen, auch mit dem beabsichtigten Vorgehen und den Planungen nicht einverstanden bin.“
Stille. Lange Sekunden. Oder waren es Minuten? Sechs Augenpaare bohrten sich mit dem Ausdruck größter Überraschung in die braunen Augen Raúls.
„Wie bitte?“ Dr. Wickert beugte sich langsam nach vorne und dehnte die beiden Worte fast unendlich lang. Das Fragezeichen hing schwer und dunkel wie ein Damoklesschwert über dem Konferenztisch und schien sich vernichtend auf Raúl Rivera stürzen zu wollen. Des Bosses Augen schienen sich zu Schlitzen zu verengen. Etwas Raubtierhaftes zeigte sich in seiner Körpersprache. So als würde er jeden Augenblick mit einem Satz sein Opfer anspringen wollen. Es verschlingen mit Haut und Haaren.
„Ich sagte, dass ich mit dem beabsichtigten Procedere nicht einverstanden bin. Ich suche eine Entscheidung, die auch meine Interessen berücksichtigt.“ Raúls Stimme gewann an Sicherheit und Klarheit, je mehr sich die Konfusion der hohen Herren darstellte. Er wunderte sich ein bisschen über sich selbst.
Klar, das war starker, ja stärkster Tobak.
„Und .... was schlägt der Herr vor?“ Dr. Wickert betonte jedes Wort und zog es in die Länge. Unerhörtes lag in der Luft. Es hatte sich hereingezwängt, drohte damit des Bosses inneres Gleichgewicht, seine Selbstsicherheit zu ersticken. Er hatte bisher immer die Spielregeln bestimmt. Und hier schien jemand diese auf den Kopf stellen zu wollen. Mühsam schluckte er einen aufkommenden Wutanfall hinunter.
Raúl erkannte den aufrichtigen O-Ton, den Herr Dr. Wickert jetzt angeschlagen hatte. Diesem Ton konnte man vertrauen. Der bedeutete im Grunde die bekannte Rücksichtslosigkeit hervorzukehren. Das harte, ja erbarmungslose Durchgreifen erkennbar zu machen, dieser Ton war bekannt. Nicht die einschmeichelnden Worte von wegen Anerkennung, Dank, Fürsorge usw. „Und was schlägt der Herr vor?“ Jetzt war er in seiner Stimmlage ehrlich. Vielleicht auch ungewollt, besser unbewusst. Er senkte langsam ein wenig den Kopf und drehte ihn gleichzeitig etwas zur Seite. Die Augen waren nur noch halb offen, besser beobachtet, sie verengten sich zu Schlitzen. Es war die lauernde Stellung eines Reptils, einer Schlange, bevor sie zustieß. Eine steile Falte bildete sich über der Nasenwurzel.
„Ich schlage vor, die Firma zahlt mich aus. Über den Wert der Erfindung müssten wir uns dann noch einig werden. Ich übergebe den neuesten Entwicklungsstand, alle Unterlagen, helfe ggfs. auch noch bei der Formulierung der diversen Patentschriften, dann trennen sich unsere Wege. Die Summe sollte allerdings schon so attraktiv sein, dass ich bereit sein kann zu kooperieren.“
Dr. Wickert stieg langsam aus seinem Chefsessel, bewegte sich in einer Drehung hinter die große Lehne. Diese verdeckte ihn fast, legte seinen Kopf auf die über der Lehne verschränkten Arme. Jetzt war nur noch der Kopf sichtbar, und schaute zu seinem <geschätzten> Mitarbeiter gegenüber. Nein - er fixierte ihn.
Der Schatzmeister beobachtete angestrengt seine Fingernägel, ob sie denn doch irgendwie nicht korrekt manikürt wurden.
Der Dipl. Ing. streckte sein Rückgrad durch und stützte seine Hände in unbequemer Haltung auf die Sessellehnen. Er schaute gespannt zum großen Zampano in Gestalt des Herrn Vorstandschefs Dr. Wickert.
Die Sekunden verrannen, die Spannung stieg.
Dann - Dr. Wickert hob den Kopf von seinen Armen. Ließ diese aber an ihrem Platz und begann, ganz sanft und leise, viel zu sanft, als dass dahinter auch nur ein Jota Aufrichtigkeit stecken konnte. Dann sprach der Chef: „Auszahlen. .... Bewerten. .... Bereitschaft zur Kooperation. Aber sicher, Sie sind doch ein integrer, ein seriöser Verhandlungspartner. Nun, das wäre mal geklärt.“
Pause. Stille. Eine unüberhörbare, spannungsgeladene Stille. Niemand schien auch nur zu atmen.
Der Kassenwart lehnte sich langsam zurück und starrte nun die Decke mit weit aufgerissenen Augen an. So als erwarte er aus den Höhen Erlösung und Hilfe.
Raúl hielt dem Blick des Übervaters stand, dessen Augen sich zum wiederholten Male zu Schlitzen verengten. Dieses Etwas von Raubtiergehabes begann sich aufs Neue in seinem Gesichtsausdruck auszuprägen. Er schien jetzt wirklich, die Muskeln gespannt, auf dem Sprung. Keine heimtückische Schlange mehr, jetzt kraftstrotzendes und hungriges Raubtier.
Doch dann löste er überraschend seine noch verschränkten Arme von der Stuhllehne, drehte sich langsam und machte ein paar Schritte zur Seite. Sein jetzt hochroter Kopf war, wie zum konzentrierten Nachdenken, leicht gesenkt. Raúl wusste, dass dies nicht ein Zeichen der Resignation war. Da braute sich etwas zusammen. Der Druck in diesem Herrn baute sich erst richtig auf. Gleich konnte die Explosion erfolgen.
Dann wandte er sich langsam Raúl zu, hob bedächtig seinen Kopf und sagte mit der sanftesten Stimme, der er fähig war bzw. die er bereits vor langer Zeit einstudiert hatte.
„Junger Mann, ich darf Ihnen doch mit ein wenig Aufklärung auf die Sprünge helfen.“ Und eine Nuance schärfer: „Offensichtlich verkennen Sie Ihre Situation und die Gesetzeslage. Und das ausgerechnet vor der versammelten Firmenführung.“
„Ich denke, dass mir diese Situation und auch die Gesetzeslage sehr wohl bekannt sind, Herr Dr. Wickert.“ Raúl legte in diese paar Worte viel zu viel Sicherheit, als dass man sie einfach als den dummen Einwand eines Übergeschnappten abtun konnte. Auch das entging dem Herrn Vorstandsvorsitzenden nicht. Trotzdem hielt er recht lange die Luft an. Jetzt ja nicht explodieren. Gerade im Erkennen von Feinheiten lag sein Erfolgsrezept, sonst wäre er niemals in der heutigen Position. Mit Aussichten sogar auf den Posten des Konzernchefs.
Der Geldverwalter suchte jetzt Unregelmäßigkeiten an den Enden seiner zehn Finger.
Der Dipl. Ing. hatte seinen Kopf in die linke Hand gestützt, betrachtete Raúl und dachte bei sich, wie hoch wohl dieser idiotisch veranlagte Hochstapler noch reizen wolle. Je höher, desto tiefer musste er schließlich fallen. Das war auch nicht gut für ihn selbst. „Haben sie Ihre Mannschaft nicht im Griff“, würde man ihm zurufen, immer wieder zurufen. Wie im Krampf quetschte seine sportliche rechte Hand die Sessellehne. Wo und wann, vor allem wie, sollte er sich ggfs. in den recht gespenstischen Ablauf einmischen. Klar war, dass sein Mitarbeiter diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Alle Vorteile lagen auf der Seite des Vorstandes. Aber, wenn er jetzt den Mund aufmachte, auch wenn es zur selbstverständlichen Unterstützung von Dr. Wickert war, würde ihm das der Chef verdammt übel nehmen. Und der konnte nachtragend sein und vergessen würde der schon gar nicht. Wenn er nicht sofort in seine Richtung explodieren würde, dann ein anderes Mal. Irgendwann in der Zukunft. Im ungünstigsten Moment.
Der Oberchef hatte sich unterdessen wieder vollkommen unter Kontrolle. Wie es in ihm aussah, wurde von Professionalität verdeckt. Jedenfalls wollte er es noch vermeiden Porzellan zu zerschlagen.
Er schlug eine andere Taktik an.
„Herr Rivera, fühlen sie sich von uns, von der Firma enttäuscht, benachteiligt, gekränkt?“
„Aber keinesfalls, Herr Dr. Wickert, wenigstens bis jetzt noch nicht. Ich habe sogar volles Vertrauen. Gerade weil ich Vertrauen habe, erlaube ich mir Vorschläge zu machen“.
Dr. Wickert, immer noch nach außen väterlich besorgt: „Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir einen Vertrag haben, Sie mit der Firma, die Firma mit ihnen. Ich darf doch davon ausgehen, dass sie noch wissen, was sie da unterschrieben haben? Oder sollte ich vielleicht doch besser die juristische Abteilung bitten den Schrieb zu uns zu bringen?“
„Das liegt in Ihrem Ermessen. Von meiner Seite aus besteht kein Bedarf. Unter anderem habe ich in diesem Vertrag unterschrieben, dass ich exklusiv für die Firma im Rahmen meiner Fähigkeiten forschen und entwickeln soll, Geheimnisse bewahren usw. Wenn sie Wert darauf legen, suche ich auch noch die anderen vielfältigsten Paragraphen zusammen. Zudem noch die Verpflichtungserklärungen.“
„Nun denn, was leiten Sie davon ab, Herr König? Wollen Sie mir mit eigenwilligen Interpretierungen kommen? Wollen Sie, dass ich mich für die Feststellungen im Vertrag in Ihrem Sinne umorientiere?“
Das war schon schulmeisterlich. Und zudem war das sicherlich eine hinterhältige Absicht, ihn jetzt wieder mit <König> anzureden. Der wollte Konfusion schüren. Raúl aus dem Konzept bringen, ihn irritieren. Herr Dr. Wickert beherrschte das ganze Repertoire auf der Liste der psychologischen Peinlichkeiten sehr gut. Trotzdem ließ sich Raúl nicht aus der Fassung bringen. Zu lange hatte er diese Szene immer wieder durchgespielt. Und es war nicht das erste Mal, dass er die Finessen seines obersten Chefs bewundern oder verachten lernte.
„Herr Dr. Wickert, ich würde mir ein solches Verhalten, eine solche Denkungsweise niemals selbst verzeihen. Ich respektiere ihre Geschäftsführung, ihre persönliche Integrität und selbstverständlich gilt auch für mich <Verträge müssen eingehalten werden>. Den lateinischen Spruch erspare ich ihnen und mir.“
<Was ist nur mit diesem verdammt selbstsicheren Raúl Rivera los? Von welchem Teufel ist der geritten? Der muss doch damit rechnen, dass ihn dieser Dr. Wickert in einem nicht fernen Moment mit Haut und Haaren verschlingen wird.>, überlegte angestrengt sein direkter Chef.
„Wollen wir denn dann noch weiter Zeit verschwenden? Sie halten den Vertrag ein und ich, als Vertreter der Firma, ebenfalls. Dann gehen wir zur Tagesordnung über und behandeln die Situation sachgerecht, wie unter Professionellen. Dagegen können Sie doch nichts haben? Oder? Betrachten sie diesen Vorschlag als Versuch Differenzen nicht auf die Spitze zu treiben. In meiner Jugend habe ich auch hin und wieder versucht Festungen im Handstreich zu nehmen. Kehren wir einfach auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Sie haben in der Eigenschaft eines Mitarbeiters unserer Firma eine bahnbrechende Erfindung gemacht. Wir werden uns an Recht und Gesetz halten, an die bestehenden Verträge und, das kann ich ihnen auch zusagen, wir werden nicht kleinlich sein, wenn es um die finanzielle Anerkennung ihrer Leistung geht.“
Das war beinahe eine Ansprache, die Schlupflöcher zwar andeutete aber natürlich in Wirklichkeit keinesfalls zulassen wollte. Frage und Antwort hatte der Boss sich selbst ausgewählt. Er war voller Zuversicht, dass nach den letzten Worten Raúls nun die Einsicht in seine Lage die Oberhand gewonnen hatte. Gewinnen musste.
Während der letzten Worte hatte er sich wieder seinem Chefsessel genähert, drehte ihn seelenruhig, um sich, beinahe demonstrativ genüsslich, darin niederzulassen.
„Ich kann nur nochmals wiederholen, dass ich die vorgeschlagene Verfahrensweise nicht akzeptiere. Ich denke, dass es jetzt richtig wäre die Positionen in die von mir vorgeschlagene Richtung zu bewegen. Schließlich will ich ihnen nicht kostbare Zeit stehlen, Herr Dr. Wickert.“
Jetzt trat wieder Stille ein. Diese fürchterliche, spannungsgeladene, erdrückende Stille. Aber es war an keinem anderen, als an Dr. Wickert den Karren wieder flott zu machen, die Initiative zu ergreifen. Zuckerbrot und Peitsche - er ließ seine Optionen kurz vor seinem inneren Auge vorbeiwandern. Zuckerbrot kam unter der obstinaten Verhaltensweise seines Untergebenen im Moment nicht mehr in Frage.
„Sie bestehen also auf Vertragsbruch?“
„Ich möchte eine Verhandlungslösung und wenn sie es auch nicht wahrhaben wollen, sie - sie sind nicht in der Position ihr entgegenzustehen.“
Das war starker Tobak. Sehr starker Tobak. Dr. Wickert dachte an aufstehen, wortlos den Raum verlassen. Er dachte an auf den Tisch hauen, an die Hinzuziehung der Rechtsabteilung - an irgendetwas, das an Blitz und Donner erinnern würde. Rasch versuchte er auch noch andere Optionen ausfindig zu machen. Doch dieses Hirnarreal war wie blockiert, da kam nichts mehr, so sehr er sich bemühte.
Seit er im Berufsleben stand, war ihm noch niemals eine solche Lage untergekommen. Stand er davor die Handlungshohheit zu verlieren? Da war ein untergeordnetes Würstchen, ein Rädchen aus seinem Imperium, wenngleich auch ein recht bedeutendes Rädchen, das sich nicht mehr dem Gleichklang seiner Vorgaben unterordnen wollte, es spielte verrückt. Das konnte das Ende seiner Autorität bedeuten. War dem so?
Doch Moment: Er stand immer noch einem der bedeutendsten Unternehmen vor, das seinen Schwerpunkt in der Printtechnologie sah. Und auf diesem Gebiet stand man in der ersten Reihe, weltweit. Und er war einer der Entscheidungsfürsten. Zwar in einem harten Wettbewerb, in dem sich jeder Manager in dem Konzernbetrieb und seinen Töchtern befand. Aber er hatte eine Spitzenposition erobert. Er stand als einer in der ersten Auswahl, sozusagen als heiß gehandelter Kandidat, für einen Posten ganz oben an der internationalen Konzernspitze. Unter anderem, aber nicht zuletzt, besaß er persönliche Verfügbarkeit über den Firmenjet. Das kam nicht von ungefähr. Er hatte immer hart gearbeitet, hatte messbare Erfolge erzielt. Er hatte die Klippen der alltäglichen und gegenwärtigen Intrigen geschickt und manchmal auch gnadenlos umschifft.
Und da kam plötzlich aus heiterem Himmel - vor einer Stunde war die Welt noch in prima Ordnung - dieser Hochmutspinsel aus irgendeinem finsteren Loch gekrochen ... Verdammt, war es wirklich ein Hochmutspinsel? Kam der aus einem finsteren Loch? Hatten sie einen Hochstapler gezüchtet und ihn auch noch fürstlich entlohnt?
Wie einen wehrlosen Mistkäfer zertrat er im Geiste den ersten Anflug von Zweifel, von Unbehagen. Er war der Boss, er war in diesem Raum die höchste Instanz, Richter und Vollstrecker zugleich. Du darfst nicht zulassen, dass dieser Bursche dir auch nur eine klitzekleine Beule in deine glänzende, gepanzerte Karosserie schlägt, ja nicht einmal einen Kratzer daran unterbringt, redete er in stillem Ringen mit sich selbst Mut zu. Er ertappte sich dabei, ganz entgegen seiner eigenen eisernen Regeln, dass er dabei war diesen Mann mit allerlei Vergleichen aus dem Tierreich zu bestücken.
Dabei wollte er nicht wahrhaben, dass ihn die Lage doch etwas verwirrte. Dass er sogar bereits die besagten Kratzer in seiner Karosserie hatte. Verwirren? Neeeiin, mich doch nicht!
Er entschloss sich möglichst unmerklich tief durchzuatmen und mit leiser Stimme zu belehren. <Ja nicht den Brustkasten bewegen. Die Atmung muss über die Bauchmuskulatur erfolgen>. So hatte auch er es in Seminaren immer wieder gehört und verinnerlicht.
„Herr König, laut Gesetzbuch sind Sie verpflichtet, alle Erfindungen an ihren Arbeitgeber abzutreten. Das heißt nicht einmal das, denn Sie können gar keine Erfindung für sich in Anspruch nehmen. Sie arbeiten für die Firma und Sie sind Teil der Firma. Ergo können Sie auch nichts an die Firma abtreten. Alle Ihre Erfindungen gehören automatisch der Firma, im vorliegenden Fall uns. Außer Ihrer physischen Arbeitskraft gehört auch die Leistung Ihres Gehirns der Firma, die sie nach vertraglichen Vereinbarungen bezahlt. Dies als klärender Kommentar zur Rechtslage. Nebenbei, und das betone ich nocheinmal, ich habe die Gesetzte nicht gemacht. Sie sind älter als die Dauer meines bisherigen Chefdaseins.“ Die letzten beiden Sätze sprach er im Ton eines gütigen Großvaters, der seinen Enkeln die Welt erklärt. Und er fuhr zunächst in gleicher Tonlage fort.
„Der - Ihr - Arbeitgeber kann, muss aber nicht, Sie in gesonderter Weise prämieren, Ihre Leistung anerkennen und würdigen. Auch wenn Sie aus der Firma ausscheiden, gehören noch bis zu fünf Jahre alle ihre möglichen Erfindungen uns, unserer Firma. Auch wenn Sie etwas erfinden, das mit Druckern aus unserer Branche überhaupt nichts zu tun hat. Beispielsweise Sie würden eine Zahnpaste erfinden. Wir sind die rechtmäßigen Eigentümer, sie haben keine Chance. Nun lassen Sie uns endlich die Kinkerlitzchen beiseitelegen. Machen wir Nägel mit Köpfen.“
Seine Stimme hatte sich wieder beschleunigt und war auch lauter, sogar auch schneidender geworden.
„Sie erzählen mir nichts Neues, Herr Dr. Wickert. Und trotzdem möchte ich in dem von mir vorgeschlagenen Sinn verhandeln.“
Dr. Wickert, der Boss, dachte und spürte kurz, dass sich der Untergebene, dieser Raúl verdammt weit aus dem Fenster lehnte. Wenn einer so hartnäckig eine Position verteidigt, beinahe weinerlich, er glaubte oder wünschte sich das herauszuhören, dann musste er Schwachstellen haben. Dann sieht er sich sicherlich nicht auf einem Betonsockel, sondern eher auf tönernen Füßen. Er möchte verhandeln. Er hatte nicht gesagt: „Ich will ...“ Das klingt schon nach halber Kapitulation. Also, das bedeutete für Wickert: Ranklotzen.
„Sie haben keine Verhandlungsposition, keinen Verhandlungsspielraum, Herr König.“
Mit jedem Wort wurde die Aussprache des großen Machers schneidender.
<Aufpassen>, rief sich Raúl lautlos, aber deutlich zu, dieses beharren auf <König> brachte ihn tatsächlich ein wenig aus der Fassung. Er durfte in diesem Moment nicht widersprechen oder nachbessern. Er wusste, dass er sich das nicht erlauben und sich aus dem Konzept bringen lassen durfte. Schnell könnte sein schöner Plan platzen und in unkontrollierbarer und sowieso unfruchtbarer Diskussion enden.
Nach einer, wie es Herrn Dr. Wickert schien, kurzen Nachdenklichkeit Raúls und die er prompt falsch interpretierte, fuhr Raúl fort.
„Und ich denke, ja ich weiß, dass Sie da nicht ganz richtig liegen. Bevor wir so weit auseinanderkommen, dass die Verbindung zwischen uns abreißt, bitte ich um Bedenkzeit. Nicht bei mir, sondern bei Ihnen - wenn´s erlaubt ist, Herr Direktor.“
Letzteres kam von Raúl nur halblaut. Auf Herrn Dr. Wickert musste das wie eine weitere pikante Provokation wirken. Sollte er sich neu orientieren?
Nicht doch, sagte dieser zu sich, und fügte hinzu: Das ist doch ein Fliegengewicht. Er sah sich noch immer in einem uneinholbaren Vorsprung gegenüber diesem, diesem .......
„Mann“ - jetzt war es nicht mehr Herr König - „ich könnte Sie wegen Vertragsbruch sofort entlassen. So können Sie doch nicht mit uns umspringen.“
Raúl war wieder an der Reihe.
„Ich habe Ihnen einen fairen Vorschlag gemacht und Sie winken mit Entlassung. Glauben Sie, dass sie mich mittels Drohungen veranlassen können, Ihnen gefällig zu sein? Mein Wissen preiszugeben? Wenn ja, dann sollten Sie schnellstens umschalten.“
„Ich bin weit davon entfernt Ihnen zu drohen, ich habe lediglich ein eher mögliches realistisches Szenario geschildert.“ Der Herr Dr. Wickert war sauer. Er musste unter allen Umständen vermeiden, dass sich seine Stimme überschlug. Sich jetzt ja nicht lächerlich machen. Überhaupt - weshalb quatschte er noch mit diesem Typen? Schmeiß ihn raus, suggerierte ihm eine innere Stimme.
„Ich versuche Sie wieder auf den Boden der Tatsachen ...“
„Sie halten mich wohl für debil? Boooden der Tatsachen.“ Ein wenig schon hatte er die Kontrolle verloren. War seine Stimme schon übergeschnappt? Hatte er nicht schon die Selbstkontrolle verloren? Sch... schwer zu sagen. Er versuchte seinen Blutdruck unter Kontrolle zu bringen. Hatte ihn nicht der Arzt gewarnt? Dr. Wickerts Gesicht war wieder hochrot geworden. Und er wusste, er fühlte es und er verfluchte sich und seine mangelnde Selbstkontrolle.
Raúl: „Also, ein weiterer Anlauf. Ich versuche auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und Sie von dieser, meiner Position zu überzeugen. Hilft das weiter?“
Die Antwort des Herrn Dr. Wickert kam nun wie aus der Pistole geschossen.
„Ich finde es immer noch eine Unversch... ich will sagen, dass ich Ihnen bei einem Vertragsbruch nicht behilflich sein werde. Nicht sein kann, wenigstens das werden Sie doch verstehen“, ergänzte er noch.
„Ich habe Sie weder eingeladen noch dazu gedrängt einen Vertragsbruch gutzuheißen. Das ist doch wohl die Tatsache, die auch Sie erkennen werden, wenn Sie mir ruhig zuhören und meinen Vorschlag durchdenken.“
Der Herr Dr. schaute verächtlich, wandte sich an seinen Ing. Eberhardt und meinte: „Stehe ich mittlerweile einem Affenladen vor? Sie sind mir zu still, Herr Ingenieur.“
„Sie sind nun mal als der Manager für alle geschäftlichen Vorgänge, Entscheidungen und Verwaltungsaufgaben zuständig. Ich leite die Technik.“
Der Herr Ingenieur wollte sich seinerseits keinesfalls zu weit aus dem Fenster lehnen. Es ging schließlich wirklich um Fragen außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches. Dachte der Ing. Dafür war das Jahreseinkommen von Herrn Dr. Wickert auch dreimal so hoch. Mindestens.
„Genau darum geht es ja jetzt“, meinte Dr. Wickert, „Sie haben ihre Leute nicht unter Kontrolle. Wie kann eine solche Situation entstehen? Wieso sind Sie nicht im Besitz aller Einzelheiten dieser sogenannten technischen Neuerung? Dann bräuchten wir uns nicht mit diesem ... mit Herrn König auseinanderzusetzen.“
Raúl schwieg wieder oder noch einmal wegen dem <König>.
Dr. Wickert hatte sich nochmals gefangen, hätte aber beinahe Türen, vielleicht für immer, zugeschlagen. Es schwante ihm, dass hinter dem Verhalten von Herrn König doch mehr stecken könnte. Was immer es sein sollte, es musste zu seinem Vorteil sein - der Firma O.K. - aber?
Und noch etwas. Verdammt, er hatte sich gehen lassen und angefangen Streitigkeiten im Vorstand, mit seinem Dipl. Ing. Eberhardt, vor diesem ... diesem ... Schnösel auszubreiten. Das durfte nicht noch einmal passieren. Verdammt nochmals! Wickert ärgerte sich jetzt über sein Verhalten. Damit gab er kostenlos Positionen preis und stärkte sein Gegenüber. Und zudem hatte er seinen Chefingenieur vergrämt, vor einem simplen Mitarbeiter. Vor dessen direktem Untergebenen. Verdammt! Er wusste, dass dies in seiner Position als eine Todsünde gewertet werden konnte. So sah er bereits vor seinem geistigen Auge einen Aktenvermerk. Und der könnte ihm den Sprung an die Konzernspitze vermasseln. Er holte, entgegen den Empfehlungen der Psychologen, vernehmbar tief Luft.
„Ich kann meine Enttäuschung nicht verhehlen“, setzte er dann in einem bedauernden Tonfall, und mit Blick auf Dipl. Ing. Eberhardt, hinzu.
Man sah es dem großen Verantwortlichen auch an. Das Raubtierhafte war, für den Augenblick wenigstens, verschwunden.
Der Ing. machte eine wegwerfende Handbewegung. Doch damit war noch lange nichts entschieden. Hier hatte sich ein Spalt des Zerwürfnisses aufgetan. Den er in diesem Moment auch nicht verschließen konnte, nicht einmal wollte.
Dr. Wickert unternahm einen neuen Anlauf. Raúl schien die Entwicklung nicht zu erschüttern. Das nervte zusehends den großen Mann Geschäftsführer.
Ein gewichtiges Detail aus der Sicht Raúls: Schon seit einer ganz beachtlichen Weile hatte der Herr Dr. Wickert nicht mehr auf seine goldene Rolex geschaut.
Fast lautlos erschien eine Sekretärin und legte dem Herrn Direktor einen Zettel vor. Nach einem kurzen Blick darauf entschied er: „Vertagen.“
„Sehr wohl“, antwortete die Dame und verschwand wieder, so gut wie geräuschlos.
„So, wie kommen wir weiter?“
Diese, mehr ungewöhnlich und noch mehr hilflos klingende Frage war an Raúl gerichtet.
„Wir waren zuletzt bei einer möglichen Vertragsauflösung durch Entlassung. Dadurch käme ich in den Genuss einer stattlichen Abfindung. Ich könnte durch das Werkstor nach draußen marschieren, zusammen mit meinem Wissen und Können, ohne in Bitterkeit zurückzuschauen. Und ohne, dass Sie mich zwingen könnten ebendieses Ihnen, beziehungsweise der Firma, zu überlassen.“
Soll ich mich überhaupt noch mit ihm weiter unterhalten? fragte sich Herr Wickert. Das machte er dann doch. Im geschäftsmäßigen Tonfall.
„Mann, Sie sind vielleicht lustig. Wollen mit einer für die Firma wichtigen Erfindung einfach verduften. Das schlagen Sie sich mal aus dem Kopf. Da gibt es Rechtsmittel, die Ihnen schwer zu schaffen machen könnten.“
Raúl konterte:
„Es scheint als könnten Sie einfach nicht von Drohungen lassen und so scheint es auch als wollten Sie unbedingt einen Bruch in unserer Verbindung herbeiführen. Ich glaube, ich habe es bereits erwähnt und wiederhole es lieber nochmals, das wäre äußerst unklug und müsste andererseits den Mitbewerbern in die Hände spielen.“ Hatte nun der Herr Direktor diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden?
Der Herr Dr. Wickert: „Könnte ich, aufgrund Ihrer neuesten Äußerungen, nicht langsam in den Verdacht kommen, dass Sie ein Klugscheißer sind? Ich weigere mich noch dies anzunehmen - zu ihren Gunsten. Also, Sie wollen eine Erfindung unterschlagen, die rechtmäßiges Eigentum unserer Firma ist. Glauben Sie nicht, dass dies Grund genug ist, ihnen die Hölle heiß zu machen? Sie in eine verdammt unbequeme Lage zu bringen?“
„Ich hege trotz der Eskalation in ihrem verbalen Verhalten noch die Hoffnung, dass wir uns auf der Grundlage meines Vorschlages einigen können. Andererseits, Herr Dr. Wickert, wie wollen Sie beweisen, dass ich tatsächlich der Firma eine Erfindung vorenthalte? Sie kennen ja nicht einmal die relevanten Details. Und die müssten sie ja bekanntermaßen für eine Klage auf den Tisch legen.“
Postwendend legte Herr Dr. Wickert nach.
„Übersehen sie die Zeugen in diesem Raum?“
„Ich sehe hier Vorstandsmitglieder, die mir zugehört haben. Und was sie gehört haben könnte glatt ein Hirngespinst sein - meine Fantasie. Der Kerl ist übergeschnappt, könnten sie denken. Doch ich will sie damit nicht provozieren.“
Der Ing. schielte so offenkundig nach den Papieren, die vor Raúl auf dem Tisch lagen. Es schien als erwarte er darin den Nachweis für die Erfindung zu wissen. Raúl erkannte auch diese Unruhe und wandte sich an den Herrn Dipl. Ingenieur Eberhardt.
„Sie interessieren sich für die Papiere, bitte da sind sie, zu ihrer freien Verfügung“, und Raúl reichte sie über den Tisch. Zögernd, vorsichtig, so als könnten sie vergiftet sein, griff der Ing. zu.
Es waren enttäuschende Computerausdrucke mit einem Bibeltext. Raúl hatte sie als Schmierpapier, für eventuelle Notizen mitgebracht.
„Eine Abfindung wollen Sie“, setzte der Dr. Wickert wieder an, „oder der Firma ihre Erfindung verkaufen. Ihre, dieses Wörtchen setze ich allerdings in große Anführungszeichen. Das kann doch nicht wahr sein. Ich wiederhole nochmals, was ich bereits dargelegt habe. Sie werden doch nicht erwarten, dass wir unser Eigentum kaufen, Geld ausgeben für das, was uns sowieso gehört. Das haben wir doch schon längst bezahlt. Ihre Gehälter, ihre Prämien, ihren Lebensstandard. Wir haben ihnen doch einen großen Vertrauensvorschuss gegeben. Und sie haben in unseren Mauern, mit unseren Anlagen und unseren Maschinen experimentieren können.“
Dann, nach einer kleinen Denkpause, und mit einem nicht zu überhörenden sarkastischen Unterton fuhr Herr Dr. Wickert fort: „Doch, erklären Sie sich ruhig mal. Vielleicht habe ich ja etwas übersehen.“
„Das denke ich, mit Verlaub. Schauen Sie, Sie können, um mit ihren Worten zu sprechen, ihr Eigentum kaufen und sind dann im alleinigen Besitz desselben. Oder Sie vergeben diese einmalige Chance und gehen das, allerdings sehr hypothetische Risiko ein, einer Konkurrenz das Produkt zu überlassen. Die könnte die erwähnte Erfindung selbst machen und patentieren, Ihnen zuvorkommen. Dieses erwähnte hypothetische Risiko liegt in Ihrem Verantwortungsbereich, das möchte ich betont haben. Und ich betone auch nochmals, dass Sie diesen Begriff von <Ihrem Eigentum> geprägt haben. Ich habe das niemals gesagt.“
Dr. Wickert sprang wie von einer explosiven Treibladung angetrieben auf.
„Mann sie reden sich hier um Kopf und Kragen. Vor so viel Zeugen. Wieso denken Sie, dass ich unter diesen Umständen einer Quasierpressung nachgebe?“
Kleine Pause.
„Das Wort Erpressung will ich nicht gehört haben. Ich habe Ihnen ein Geschäft vorgeschlagen. Und auch das meine ich ganz ernst: Wenn Sie mir noch einmal von Erpressung sprechen, dann kündige ich und Sie werden sich zumindest wegen falscher Anschuldigungen verantworten müssen, oder Verleumdungen oder ..., nun ja die Rechtsanwälte finden immer etwas, das für die Firma ganz schön teuer werden könnte. Nun kann ich nämlich ebenfalls sagen, dass es seriöse Zeugen gibt.“
Raúl war nun nicht mehr ganz so ruhig und sachlich wie bisher. Er spürte es, dass er dabei war, seinen Vorteil einer überlegenen Verhandlungsposition zu verspielen und sprach weiter. Jetzt aber wieder sehr ruhig.
„Ich kann Ihnen ja im Grunde ihre Aufregung nicht verübeln. Aber bitte denken Sie trotzdem noch einmal darüber nach. Angenommen ich kündige. Da Sie die Details meiner Erfindung nicht kennen, können Sie mich auch nicht belangen, wenn ich inzwischen die Details weiterverkauft habe. Käufer gibt es ja, Sie könnten sich ja selbst in die Warteschlange einreihen. Nur, dass Sie unter den gegebenen Umständen keine Chance bekommen würden.“
Herr Wickert hatte sich wieder gesetzt, nervös spielte er Finger entkrampfen, wischte sich die eine oder andere unsichtbare Fusel von seiner maßgeschneiderten Jacke, fand dass eine Bügelfalte seiner Hose eine bessere Lage verdient hatte. Und er hatte plötzlich ein fast unmerkliches nervöses Zucken in seinem Gesicht. Raúl bemerkte den schwindenden Widerstand bei seinem noch Vorstandschef und die zunehmende Erleuchtung der Gegebenheiten und fuhr fort.
„Also, Herr Dr. Wickert, nur mal angenommen, ich verkaufe die Erfindung an sonst wen und verzichte auf jede Nennung meines Namens, ich will nicht einmal Miterfinder sein. Wenn nur die Kasse stimmt. Glauben Sie im Ernst, sie könnten etwas gegen mich unternehmen, mir auch nur ein Bein stellen? Der Käufer würde sich hüten auch nur ein Wort über die Herkunft seiner Erfindung zu verlieren. Klingt doch logisch und dürfte ihnen als Prozedere bekannt sein. Sie wissen doch, wie sowas läuft. Und wie viele Erfindungen werden angeblich bei uns gemacht, die im Endeffekt doch nur gekauft sind? Sie hätten nicht mal eine Idee, um was es sich konkret handelte. Auch das habe ich bereits angesprochen. Sie könnten jedenfalls schon aus diesem Grund nicht handeln. Die Erfindung wäre immerhin für Sie außer Reichweite. Und ich ebenfalls. Oder fällt Ihnen dazu etwas anderes ein? Obendrein nochmals die wiederholte Anmerkung, dass dies Wortspiele sind und natürlich vollkommen hypothetisch gemeint sind.“
Dr. Wickert spielte nun bei verschränkten Händen mit seinen Daumen Karussell.
Der Ing. kratzte sich am Hinterkopf. Es wäre zu schön gewesen, sich wieder einmal in der wärmenden Sonne einer überaus wichtigen Erfindung zu zeigen. Aber noch war ja nicht alles verloren. Wirre Gedanken schwirrten durch seinen Kopf. Wie wäre es wenn ...? Verdammt nochmals, der Kerl hatte recht. Der hatte die besten Trümpfe in der Hand. Was würde der Vorstandsvorsitzende jetzt dagegensetzen können?
Der Finanzvorstand vergaß seinen Mund zu schließen und starrte gedankenverloren in eine Ecke.
Raúl: „Wie sollen wir verbleiben? Erwarten Sie von mir jetzt die Kündigung?“
„Entschuldigung, aber bitte gewähren Sie mir doch auch das Recht nachzudenken. Ich will ja nichts übers Knie brechen. Ist nicht meine Methode.“
Das war schon mehr eine ergreifende Ansprache, ein Nachruf auf das forsche Großkotzgehabe des Machers, des großen Machers. Klar war auch für den Ing., dass es hier und bald ein Einknicken geben musste. Fragte sich nur noch zu welchen Bedingungen. Hatte dieser Wickert überhaupt noch die Möglichkeit Bedingungen zu stellen? Der hatte sich doch arg vergaloppiert. Wenn er jetzt die Nerven behalten würde. Eberhard dachte kurz daran, selbst Profit aus der Schwachstelle des Oberbosses zu ziehen. Warum nicht?
„Wie lange arbeiten Sie bereits an dem Projekt?“ Die Frage stellte Dr. Wickert in sehr ruhiger Tonlage. Zu ruhig, fand Raúl. Vorsicht!
„Bitte, Herr Dr. nehmen Sie es mir einfach straffrei ab, wenn ich dazu die Aussage verweigere. Nehmen Sie ganz einfach zur Kenntnis, dass ich Ihnen von einer sensationellen technische Neuerung berichtet habe. Und diese technische Neuerung biete ich ihnen zum Kauf an. Die Firma wird mit der weltweiten Exklusivität und den Lizenzverträgen eine Menge Geld verdienen, einen gewaltigen Zuwachs an Prestige verzeichnen. Das heißt im Detail, wir machen einen Vertrag, ich werde mich von Rechtsbeiständen meiner Wahl beraten lassen, Sie zahlen mich vereinbarungsgemäß aus. Wir geben uns die Hand und ich bin kein Mitarbeiter ihres geschätzten Unternehmens mehr. Ich verzichte auch, wenn Sie darauf bestehen, auf die Nennung meines Namens auf dem Patentantrag. Mein Ego wird das verkraften können. Die Firma erhält alles und ich ein Sümmchen, mit dem ich mir und ihr keine Vorwürfe zu machen brauche. So zum Beispiel auch, dass mich Herr Dr. Wickert übers Ohr gehauen haben könnte. Jetzt sind Sie am Zug.“
Herr Dr. Wickert bewegte seinen Kopf hin und her, leicht nach hinten gelegt sah es aus, als wolle er seine verkrampften Nackenmuskeln entspannen. In Wirklichkeit war weit mehr verspannt als nur sein Nacken.
„Die Frage bleibt noch im Raum, wer dann wen übers Ohr gehauen hat. Ich werde einfach das ungute Gefühl nicht los, dass ich hier im Namen der Firma eine unsanfte Landung hinlege.“ Das war in einem erstaunlich ruhigen Tonfall, so der Herr Dr. Wickert.
„Noch ist nicht aller Tage Abend, Herr Dr., sie können ja immer noch in gewohnt härtester Gangart die Vertragsbestimmungen beeinflussen. Sie haben dann die Chance sich wieder einmal als wahrer Hüter der Interessen der Firma zu bewähren. Das bereden Sie aber mit Rechtsgelehrten, die dann meine Interessen vertreten. Mir ist das zu nervig.“
„Und wir finden natürlich wirklich nichts auf den Festplatten unserer Entwicklungsabteilung“, warf der Herr Direktor fast launisch in die Runde.
„Darauf können Sie bauen“, antwortete Raúl wie aus der Pistole geschossen.
„Na, na“, das war der ganze letzte Kommentar des Dipl. Ing. Eberhardt.
„Ich komme mir einfach wie überfahren vor.“
„Das Gefühl wird vergehen, Herr Dr. Wickert, wenn Sie erst einmal die Lorbeeren ernten, auf denen sich gut ruhen lässt.“
Raúl war fortan Millionär.
Er konnte sich nun seinen Hobbys widmen. Doch was heißt hier Hobbys, er kannte nur eine Richtung. Er konnte von seinen Druckern nicht loskommen. Doch warum sie nicht nutzen als Mittel, um sie seinen recht ungewöhnlichen Träumen zur Verfügung zu stellen.
Raúl war Einzelgänger mit bemerkenswerten, überaus tragischen Kindeserlebnissen. Er war nicht verheiratet und war nach bitteren Erfahrungen zur Erkenntnis gekommen, dass man sich vor der Spezies Mensch in Acht nehmen sollte. Gleich welchen Geschlechtes.
Allerdings war er auch sehr sensibel. Soziale Ungerechtigkeiten, Schicksalsschläge, auch ihm fremder Menschen, trieben ihm regelmäßig die Tränen des Mitgefühls in die Augen.
Zu Raúls äußerst traumatischen Erlebnissen während der grausamen diktatorischen Pinochet-Zeit in Chile, die Details im Schlusskapitel in Band 2.
Seit einiger Zeit hatte sich Raúl schon auf eine Zeit als Ich-AG, (OSA) ohne staatliche Aufsicht, vorbereitet und teilweise auch eingerichtet. Wohlgemerkt eine Ich-AG nach seinen Vorstellungen. Ohne staatliche Beteiligung über Steuerberater, Steuerprüfungen und Steuerprüfer. Andererseits hatte er nicht vor Gewinne zu erwirtschaften. Also wozu Steuerbehörden beschäftigen. Vor denen hätte er <Das Ziel der AGesellschaft> offenlegen müssen. Die hätten ihm <etwas gehustet>, von wegen! Wahrscheinlich hätten sie versucht ihn in eine Nervenheilanstalt einweisen zu lassen.
Nein, es war auch kein Unternehmen, das nach Art der Gemeinnützigkeit umtriebig werden sollte. Obwohl, da gab es einen kleinen Annäherungspunkt, vielleicht eine Fastberührung, wenn er es sich genau überlegte.
Ein Verein, so ganz allein, konnte er nicht sein. Vereine mussten ja, nach Gesetzeslage, mindestens 7 Mitglieder aufweisen. Und schon aus einem anderen Grund käme das nicht infrage, denn da müsste er sich ja wieder einer oder gar mehreren Kontrollen staatlicher Organe unterordnen. Nein, die wollte und konnte er bei den ausgeklügelten Aktivitäten nicht gebrauchen.
Würde es ein Institut sein? Vielleicht werden?
Er stellte wiederholt fest, dass es zu seinem geplanten Unternehmen noch keine Parallele in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hatte. Und es war genau diese Idee, die ihn beflügelte, eigentlich beinahe mit Inbrunst daran hinarbeiten ließ.
So plante er konsequent für eine Zeit nach seinem Abgang bei dem Weltkonzern mit Schwerpunkt bei der Hardware Drucker.
Und nun beherrschte er eine Technologie, die allerhöchsten Anforderungen, auch im Hochsicherheitsbereich der Druckerkunst gerecht wurde. Er hatte sie ja in den wichtigsten Bereichen erfunden, zumindest mitentwickelt.
Dazu gehörte auch das Drucken von Banknoten.
Raúl gönnte sich einen kleinen Rückblick.
So ganz im Verborgenen, ganz unverfänglich für seinen Chef, dem Diplomingenieur Eberhardt, arbeitete Raúl an einem neuen Projekt. Er hatte sogar auf seinem Insel-Hochleistungsrechner, im Sinne der Geschäftsleitung, die Sicherungen eingebaut, die verhindern sollten, dass sich sogenannte Unbefugte ungebeten über seine Daten schlau machen konnten. Werksspionage war ein gefürchtetes, ein gar nicht so abwegiges Sachgebiet, für viele ein gefürchtetes Gespenst.
Trotzdem nahm er seine Daten jeden Tag mit nach Hause. Er hätte krank werden können, irgendetwas konnte passieren derart, dass er dann u.U. seine Sicherung hätte preisgeben müssen. Er wäre zumindest in einer etwas unbequemen Situation gewesen, hätte all das offenlegen müssen, was er gerade am entwickeln war. Bisher hatte seine persönliche Geheimnistuerei funktioniert. Folgenschwere Überraschungen ergaben sich nicht.
Auch in seinem Zuhause verwahrte er die Daten sachgerecht und, wie er glaubte, sicher.
Freilich lag die offizielle Sicherung in einem Panzerschrank der Geschäftsleitung. Aber dann gab es ja noch die persönliche Sicherung und dahinter hatte er seine Neuentwicklung verschanzt. Also doppelte Sicherung. Allerdings zu seinem Vorteil. Nicht so unbedingt zum Vorteil für die Firma.
Natürlich war seine Abteilung abgeschirmt. Sein Rechensystem als Insel ausgelegt. Alle in Räumen mit speziellen Vorkehrungen, die kein bekanntes Spionagesystem durchdringen konnte. Und im Internet arbeiten oder recherchieren war off Limits. Dazu gab es Rechner, die einerseits einer konstanten Kontrolle unterlagen und andererseits ständig von IT-Spezialisten auf Malware und Spione überwacht und gecheckt wurden.
Wenn der Dip. Ing. Eberhardt nachschauen, seinen Rechner auf die laufenden Arbeiten überprüfen sollte, würde er, anhand der internen Sicherung, die Daten finden, die über die hausinterne, normale Arbeit Raúls berichteten. Alles, was seine Neuentwicklung betraf, lag in einem versteckten Dateienblock. Nur ein gewiefter Fachmann hätte sich mit einem gewissen Aufwand Zutritt verschaffen können. Aber er war ja eine Vertrauensperson, Misstrauen durfte nirgendwo aufkommen.
Und dem Herrn Dipl. Ingenieur zeigte Raúl, legte ihm das vor, was dieser zu sehen wünschte. Und das war ja auch nicht wenig. Darauf achtete Raúl ganz besonders. Er tat also unter den Augen seiner Vorgesetzten seine Pflicht, vernachlässigte augenscheinlich nichts. Alles paletti.
Dahinter, quasi hinter einer Firewall, war das gewachsen, wofür Raúl den ersten Preis gewonnen hatte. Sein persönliches Startkapital. Ausgezahlt gegen die gewichtigen Bedenken des Herrn Bose, oberster Wächter über die Finanzen der Firma. Aber auch mit der Unterschrift des Herrn Dr. Wickert, die dieser ebenfalls nur unter starkem Bauchgrimmen geleistet hatte.
Er war es, der die Entscheidung vor der Konzernleitung in Übersee verteidigen musste. Er war sogar vollkommen von der positiven Entwicklung und der Tragweite der Erfindung überzeugt. Doch er wusste auch wie seltsam manchmal seine Ober-Macher tickten. Als Amis gingen sie an solche Probleme mit einer ganz eigenen Mentalität heran.
Seine Argumente überzeugten dann doch, so dass er sich wieder beruhigt nach Hause fliegen lassen konnte. Die Firma hatte immerhin ein Alleinrecht an einem sensationellen technischen System, das die nächste und wahrscheinlich auch die übernächste Generation der Drucktechnik beherrschen würde. Im Großen und im Kleinen.
Mittlerweile hatten es ihm auch die Strategen und spitzfindigsten Techniker im Konzern bestätigt.
Nur Eberhard war sauer, weil er sich mit einer zweitklassigen Belobigung begnügen musste.
Raúls privilegierte Position in der Entwicklungsabteilung hatte noch weitere Vorteile gehabt. So musste er mit den Spezialisten in der Abteilung für Tinte, den Farbklecksern, wie man die Entwickler gerne etwas abfällig bezeichnete, zusammenarbeiten. Es wurde aus seiner Sicht eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. Besonders mit einem sympathischen jungen Mann. Seines Zeichens Biochemiker. Ein relativ junger Beruf.
Es kam den Interessen der Firma entgegen, als Raúl eines Tages anregte eine Biofarbe zu mixen - wie sie beide feixend als Ziel festlegten. Wer weiß, die Biowelle konnte allen Ernstes auch auf die unschuldigen Drucker überschwappen. Sie könnte vielleicht aus der Sicht der Firma ein Verkaufsschlager werden. Jedenfalls würde der Besitz dahingehender Patente nicht schaden.
Biotinte! Damit war jedenfalls immer die nicht unbedeutende Tatsache verbunden, dass das Zeugs sich auf und davon machen konnte. Sich verflüchtigt, die ursprüngliche Farbe sich verändert, vielleicht fault, stinkt, sich zersetzt und letztendlich verschwindet. Was hätte eine solche Tinte für einen Sinn? Sie musste stabilisiert werden. Man würde bei der Notierung der Inhaltsstoffe vermerken müssen, dass hier auch E -soundso, E-soundso und E-soundso mit im Spiel sei. Das könnte allen Ernstes erforderlich werden, denn bei Biotinte, die dann ja auch keine mehr wäre, könnte trotzdem jemand auf die Idee kommen sie zu trinken. Daher auch die entsprechenden Warnhinweise über die zugesetzten Inhaltsstoffe. In den USA sowieso ein unbedingtes Muss. Denn ein fehlender, sachgerechter Hinweis auf den Chemiezusatz, das würden Fisimatentenanwälte bald als attraktive Einnahmequelle entdecken.
Tatsächlich war ihre Biotinte nicht stabil.
Der nächste Schritt war daher, Tintenarten zu vermischen, mit dem Nebeneffekt sie haltbarer zu machen. Die Biotinte also zu stabilisieren. Wieviel Stabilisator und welchen würde man benötigen? Bis hierher war es noch für beide, den Biochemiker und Raúl, eine Art Spass. Es standen hinter den Bemühungen keine ernsthaften Bedürfnisse oder auch nur Ansätze für eine Dringlichkeit in der Firma.
Zudem war noch keinerlei Druck, weder von der Politik noch von Verbrauchern gekommen, die Forschung und Entwicklung überhaupt zu betreiben.
Aber man hätte für Eventualitäten, z.B. ein plötzliches Muss, ein schönes Ass im Ärmel.
Rein zufällig kam man auf die Idee, eine in ihrer Lebensdauer genau begrenzte Tinte zu entwickeln. Sozusagen eine Tinte, einmal ausgedruckt, mit Haltbarkeitsdatum. „Nach dem Öffnen für den alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Einmal gedruckt, nur XX Tage lesbar.“ Sie hatten ihren Spaß an dieser innovativen Phantasie-Produktlinie.
Beide stellten fest, dass bei Versuchen, unter bestimmten Umständen, ein Druckergebnis nach 6 Tagen, manchmal aber erst nach zwei Monaten verschwand. Dann nicht mehr da war. Raúl und sein Kumpel fanden, dass es an der Zeit war, sich den einen oder anderen Spaß zu erlauben. Man könnte es mal unter Freunden ausprobieren. Ein Brief, heute gedruckt, morgen erhalten, würde sich inhaltlich nach einigen Tagen in Nichts aufgelöst haben.
Sie entdeckten, wie sie das Haltbarkeitsdatum fast auf den Tag manipulieren und die Tinte entsprechend programmieren konnten.
Sie stellten dann einige Mengen der Biotinte in acht Farbtönen her. Sie selbst konnten, eben durch Zugabe der entsprechenden Chemikalien, die Lebenszeit der gebrauchten, der ausgedruckten Tinte bestimmen. Wie Lebensmittel ließ sich die Haltbarkeit der Biotinte im Kühlschrank verlängern. Im gefrorenen Zustand - fast - unbegrenzt haltbar machen. Interessant.
Als Toner, zum Drucken mit Laser, eignete sich das Produkt allerdings nicht. Noch nicht, würde der Wissenschaftler sagen. Dieser Meinung waren auch die beiden „verspielten“ Jungwissenschaftler.
Nachdem die Zeit der Spielerei abgelaufen war, kam auch das Thema immer seltener auf den Tisch der Entwickler. Doch vergessen hatte es Raúl nicht.
Er hatte auch im Verlauf seiner Ausbildung mit Hologrammen experimentiert. Die Erinnerungen an dieses Thema waren noch frisch. Es war für ihn ein sehr faszinierendes technisches Verfahren gewesen und schon von daher fest in seinem Gedächtnis verankert. Er kannte die dazu erforderliche Technik. Er kannte auch diverse Einschränkungen für den Vertrieb der geeigneten technischen Einrichtungen.
Er hatte es sich nicht verkneifen können schon bald, nachdem er eine bestimmte Höhe der Stufenleiter in der Entwicklungsabteilung erklommen hatte, auch mit dieser Technik zu experimentieren. Es gehörte ja in den Aufgabenbereich seiner Entwicklungsabteilung.
Um sich für experimentelle Zwecke die entsprechenden Gerätschaften anzuschaffen zu können, erfüllte die Firma in idealer Weise die Vorgaben. Das kam dann dem Spieltrieb Raúls einerseits und andererseits seinen zukünftigen Plänen oder privaten Interessen entgegen.
Nachdem die Anlage arbeitete und man sich an den Ergebnissen ergötzen konnte, fehlte trotzdem noch der letzte Pepp. In seiner Abteilung schafften sie es dann Zusätze zu entwickeln, die die Leistung sogar noch steigerten und das Ergebnis nocheinmal entscheidend verbesserten. Allerdings sah man noch keinen direkten Anwendungsbereich für Produkte, die sich jedermann im Supermarkt kaufen konnte. Bis nach ganz oben, in die Firmenleitung, waren diese Aktivitäten nicht vorgedrungen. Man wusste dort zwar, dass auch an sogenannten Spielereien gewerkelt